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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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is 1915 einen ausgedehnten Briefwechsel führte. 57 Doch Poppers Therapie, die nicht davor<br />

zurückscheute, Irma herabzusetzen, verfing nicht. 1910 ist Lukács’ Tagebuch und sind seine Briefe<br />

an Leo Popper wieder angefüllt mit der Rede von „Irma“ und ihrem Verschwinden, das Lukács<br />

immer wieder und d<strong>am</strong>it höchst <strong>am</strong>bivalent artikuliert, wie eine Beschwörung: „Irma. ‘Die Frau’ ist,<br />

wie ich fühle, bereits verschwunden: ich brauche sie nicht, sie hat keine Wirkung auf mich, sie gefällt<br />

mir nicht. Eines ist jedoch geblieben: die Frau, die Erlösende, die Helferin, die Gefährtin, die andere<br />

Hälfte, die mir Bestimmte.“ 58 Oder auch: „Nachts spüre ich wieder: Irma ist das Leben. [...] Und<br />

solange das nicht da ist: daß alles Berührung und alles gleichermaßen Berührung ist, solange ist gar<br />

nichts da. Ein Nichts ist die ‘Seelengemeinschaft’; und ein Nichts ist es, ‘verliebt’ zu sein. [...] Die<br />

Erinnerung an eine Episode mit ihr ist mehr als ein Leben, das man mit einer anderen verbringen<br />

kann.“ 59 Lukács quält sich mit Selbstzweifeln, Zweifeln an seinem Werk und an seinem Leben,<br />

Zweifeln daran, mit Irma abgeschlossen zu haben. Er fragt sich: „[I]st zwischen uns ‘alles zu Ende’.<br />

Ja: zwischen uns. Jedoch: von mir zu ihr: nicht. Und, wer weiß, wie es von ihr zu mir steht?“ 60 Die<br />

Essays, die er schreibt, assoziiert er mit den Stadien ihrer „Beziehung“ und diese hat für ihn<br />

offenkundig nicht aufgehört. Im Juni heißt es: „Der Philippe wird der eigentliche große Irma-Essay“ 61 ,<br />

und im September, wieder in Florenz, heißt es noch einmal: „Irma ist das Leben.“ 62 Schon im März<br />

1910 hatte Lukács ihr die ungarische Ausgabe des Buches zugesandt und in einem Begleitschreiben<br />

umständlich seine hochmütige Selbststilisierung als gar nicht wirklich Geliebter nun auch ihr gegenüber<br />

kultiviert. In der Folge begann Lukács sich über eine mehr oder weniger offene Widmung der<br />

geplanten deutschen Ausgabe des Bandes an Irma Seidler Gedanken zu machen, eine Idee, die er im<br />

Juni 1910 auch Popper mitteilt und eine zweideutige Antwort erhält. Er solle Irma brieflich um<br />

Erlaubnis bitten, dies würde vielleicht endlich eine Klärung zwischen ihnen herbei führen. 63<br />

57<br />

Hilda Bauers Briefe an Georg Lukács sind in ungarischer Sprache erschienen: Hilda Bauer, Emlékeim. Leveleik<br />

Lukácshoz [Meine Erinnerungen. Briefe an Lukács]. Budapest: MTA Filozófiai Intézet, 1985.<br />

58<br />

Lukács, Tagebuch, S. 8. Eintrag vom 27.4.1910.<br />

59<br />

Lukács, Tagebuch, S. 10. Eintrag vom 8.5.1910.<br />

60<br />

Lukács, Tagebuch, S. 14. Eintrag vom 14.5.1910.<br />

61<br />

Lukács, Tagebuch, S. 26. Eintrag vom 21.6.1910. Schon <strong>am</strong> 20.5.1910 hatte er den Philippe-Essay zum Bestandteil<br />

eines mit Irma assoziierten Progr<strong>am</strong>ms gemacht: „Er wird, wie es scheint, der echteste Irma-Essay sein. Die Lyrik<br />

des aktuellen Stadiums. Ausdruck der Stimmung bei der Absendung des Briefes und der Tage davor und danach.<br />

[...] Nun wird es also die wirkliche, große lyrische Reihe geben: George, Beer-Hofmann, Kierkegaard, Philippe.<br />

Denn der Zus<strong>am</strong>menhang mit den anderen ist weitaus lockerer; Novalis: die Stimmung der Begegnung; Kassner:<br />

Florenz, Ravenna; Storm: Briefe aus Nagybánya. Noch weiter entfernt: Sterne: die Vergeblichkeit, die ‘liederlichen’<br />

Stimmungen des Winters nach dem Bruch; Ernst: die Stunden der Abrechnung. In jenen vieren aber wird die<br />

Geschichte des Ganzen enthalten sein.“ (Lukács, Tagebuch, S. 16)<br />

62<br />

Lukács, Tagebuch, S. 34. Eintrag vom 29.9.1910.<br />

63<br />

Vgl. Briefe von Georg Lukács und Leo Popper vom 10. und 13.6.1910, in: Lukács, Briefwechsel, S. 128-133. In<br />

Poppers Antwort ist auch von einer Rezension von Balázs’ Todesästhetik die Rede, die Popper 1910 geschrieben<br />

hat und die leider verschollen ist.<br />

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