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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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aufs Ganze zu gehen vermeinte, schrieb seine Essays der beiden folgenden Jahre im Zeichen eines<br />

selbstgerechten Mythos, in den er Irma Seidler verwandelt hatte. Er war nicht bereit, Irma<br />

loszulassen, er gab ihr die Freiheit nicht zurück. Und er schrieb auch ein Märchen, in dem er das<br />

Geschehene poetisch-allegorisch zu verarbeiten trachtete, sehr zur Überraschung seines Freundes<br />

Leo Popper, dem er Die Legende des König Midas 52 zusandte und der sie d<strong>am</strong>als als einziger zu<br />

Gesicht bek<strong>am</strong>. „Mein liebster Gyurika,“ antwortete Popper, „vor etwa anderthalb Monaten trug ich<br />

in mein Tagebuch ein: Wie König Midas nie einen lebendigen Griff ins Menschenleben tun kann,<br />

ohne statt des Lebens etwas Goldenes herauszuziehen, so ist es auch in der Kunst. [...] Das<br />

Märchen hat mir daher nicht viel Neues erzählt. Am meisten hat mich natürlich die Tatsache<br />

überrascht, daß Du ein Märchen schriebst.“ 53 Leo Popper reagierte mit bemüht leichtem Ton auf<br />

Lukács’ narzisstischen Tragismus des zur Eins<strong>am</strong>keit Verurteilten, dem alles, was er anfasst, zu Gold<br />

erstirbt, der schließlich das Mädchen, das er liebt, nicht anzufassen wagt und <strong>am</strong> Ende mit einer<br />

verdorrten Blume in der Hand tot unter Zypressen gefunden wird. 54 Popper, selbst schon von der<br />

Krankheit gefangen, die ihn schließlich töten würde, versuchte Lukács aufzumuntern. „Keine Angst,<br />

mein Sohn: Was glitzert ist nicht unbedingt Gold [...]. Es gibt auch vergoldetes Fleisch, man braucht<br />

es nur anzustechen.“ 55 Oder an anderer Stelle: „Mein Sohn, Du bist sehr leichtsinnig: auch die Midas-<br />

Theorie verdankt ihr Dasein einer überschnellen kleinen Induktion: Was mußte er im Leben angefaßt<br />

haben, daß er so schlechte Erfahrungen hat? Ich glaube, dieser Midas dachte einmal im Leben daran,<br />

etwas anzufassen, und weil er sich nicht traute, meint er nun (mit selbstzerfleischender Sophistik), er<br />

sei der M[idas]. Warum eigentlich wagte er es nicht? Aus Furcht vor dem Fluch? Aber wo: weil er<br />

fürchtete, das Ganze sei Lüge. Weil er das Mädchen, nicht so sehr liebte, daß er es hätte anfassen<br />

müssen. Lag aber der Fehler in ihm? Aber wo: das Mädchen war nicht von dem Schlag, den er hätte<br />

lieben können (dieser M. hat einen Freund, der weiß da Bescheid: Er wollte d<strong>am</strong>als mit aller Kraft<br />

verliebt sein, konnte aber nicht).“ 56<br />

Das Jahr 1909 ging dahin im Versuch, andere Frauen in sein Leben eintreten zu lassen, darunter auch<br />

Hilda Bauer, Balázs’ Schwester, mit der Lukács einige Monate verbunden war und mit der er noch<br />

52<br />

Georg Lukács, „Midász király legendája“ [Legende vom König Midas], Manuskript, 18.11.1908, veröffentlicht in:<br />

Világosság [Helle], Jg. 16, H. 1 (Januar 1975), S. 37-41.<br />

53<br />

Leo Popper an Georg Lukács, 19.4.1909, in: Lukács, Briefwechsel, S. 61.<br />

54<br />

Vgl. dazu Hellenbart, König Midas in Budapest, 1995, S. 68.<br />

55<br />

Leo Popper an Georg Lukács, 19.4.1909, S. 62.<br />

56 Ebd., S. 63.<br />

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