brennpunkt 4-2012 .indd - Edition dibue
brennpunkt 4-2012 .indd - Edition dibue
brennpunkt 4-2012 .indd - Edition dibue
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
© Sydonia Duczek, (Original in Farbe)<br />
In der Café-Galerie Aroma sind es noch<br />
bis 14. Oktober die Fotografen und<br />
Fotografinnen der »Blauen Ampel«,<br />
die uns ganz direkt mit ihren Bildern<br />
Geschichten erzählen. Ihre Menschen<br />
in der großen Stadt meditieren mitten<br />
im Verkehrsgewimmel oder streben<br />
fröhlich Arm in Arm in die Disco. Das<br />
pure Leben! Kurator und Cafetier Gino<br />
Puddu hat damit seine Berlin-Reihe<br />
aufs Beste fortgesetzt. »Bilder von der<br />
Straße« waren auch bei pavlov`s dog in<br />
Mitte zu sehen. So sammelte Joachim<br />
Schmid 30 Jahre lang weggeworfene<br />
und zerrissene Fotos und klebte sie mit<br />
Kunstanspruch wieder zusammen, mit<br />
dem Statement, dass jetzt alles, aber<br />
wirklich alles geknipst und nur noch<br />
Recycling angesagt sei. Schmid hat<br />
1994 ein Standardwerk über die private<br />
Fotografie im vorigen Jahrhundert<br />
publiziert und war Herausgeber der<br />
Zeitschrift »Fotokritik« in den Achtzigern.<br />
Sie ist inzwischen Geschichte.<br />
Bilder von der Insel, der »Insel aus<br />
Versehen«, präsentierten Kamila<br />
Zimmermann und Lotti Nass im<br />
September im Haus am Mierendorffplatz.<br />
Der Kiez um diesen Platz nahe dem<br />
Schloss Charlottenburg ist seit 1956<br />
tatsächlich eine Insel, umspült von den<br />
Wassern der Spree und zwei Kanälen<br />
zum Westhafen. Das nimmt man nicht<br />
wahr als durchreisender Berliner. Aber<br />
eine lokale Initiative, www.kunstinselinselkunst.de,<br />
nutzt den Umstand für<br />
© Lotti Nass<br />
ihr Profil. Die zwei Fotografinnen der<br />
Gruppe haben im scheinbar farblosen<br />
Areal überraschende Motive gefunden.<br />
Kamila Zimmermann mit weiten,<br />
stimmungsvollen Wasserlandschaften<br />
und ganz eng gefassten Details von<br />
Gebäuden und Brücken, auch mal in<br />
bestechendem Schwarzweiß. Lotti<br />
Nass hat sich mehr den Harmonien<br />
und Widersprüchen der Architektur<br />
verschrieben, der Mischung aus<br />
Gewerbe und Wohnbauten, mit kleinen<br />
Läden, die dem Kiez ein farbiges Gesicht<br />
geben. Auf den Menschen haben beide<br />
Künstlerinnen bewusst verzichtet, für<br />
diesmal. Das ist eine andere Geschichte.<br />
Lotti Nass hat in Anlehnung an Vorbilder<br />
wie die Bechers ihre Motive formal<br />
streng gestaltet, ohne perspektivische<br />
Verzerrung, in angenehm dezenter<br />
Farbigkeit. Die klaren, ruhigen Bilder<br />
enthalten so viel Information, dass<br />
man sie sich größer wünschte. Doch<br />
der malerische Pavillon bietet nicht viel<br />
Raum.<br />
Galeriebericht<br />
Ein hoher Anspruch in der Bildgestaltung<br />
zeichnet auch die Autoren des<br />
Arbeitskreises Freier Lichtbildner Berlin<br />
aus. Sie feiern ihr 60-jähriges Bestehen<br />
mit einer Leistungsschau im Weddinger<br />
Café Reuter, zu sehen täglich von 10<br />
bis 22 Uhr, bis 30. November. (Triftstr.<br />
67, Sparrplatz). Immer wieder ist mir<br />
die klare Formensprache der Gruppe<br />
aufgefallen, so beim alljährlichen Foto-<br />
Klub-Forum im Rathaus Köpenick, oder<br />
– unvergessen – vor 5 Jahren mit den<br />
»Augenwanderungen« im Foyer des<br />
Fernsehturms mit 80 tollen Bildern. Die<br />
Lichtbildner erzählen ihre Geschichten<br />
beharrlich in edlem Schwarzweiß,<br />
gegen den Strom, auch wenn sie jetzt<br />
am Computer sitzen und nicht mehr im<br />
Eukobrom panschen.<br />
So tut auch Hansgert Lambers, gesehen<br />
in der Galerie Abakus in Weissensee,<br />
die ihrerseits Geschichte hat mit der<br />
verstorbenen Gründerin Jo Eckhardt.<br />
Lambers hat seine an sich schon<br />
poetischen schwarzweißen Motive<br />
lyrischen Texten von Michael Arenz<br />
zugeordnet. Fotografie zum Lesen nennt<br />
er das. Zum Lesen auch der verborgenen<br />
Texte hinter den Bildern, hinter der<br />
Lyrik. In der Kombination mag der<br />
Betrachter, der Leser, seine Geschichten,<br />
seine Wirklichkeit entdecken. Beim<br />
Künstlergespräch zeigte sich der<br />
Dichter Arenz begeistert von Lambers<br />
Bildauswahl. Sie sind auch durchweg<br />
ein ästhetisches Vergnügen, und es<br />
spricht für sie, wenn sie sich gegen eine<br />
schnelle Deutung sträuben. Ich hatte<br />
manchmal Mühe, die Idee zu erahnen,<br />
die Text und Bild zusammengeführt<br />
hat, weil beim Lesen der Dichtung<br />
sofort Bilder entstehen. Die muss<br />
man erstmal wegschubsen, um sich<br />
einlassen zu können auf die Zuordnung<br />
des Fotografen. Geholfen hat mir dabei<br />
der subtile Humor, der beide Künstler<br />
elementar verbindet. Wie ich überhaupt<br />
finde, dass eine Prise davon mancher<br />
Fotografie gut täte.<br />
Ich fand diese Prise in den Polaroids von<br />
Volker Wartmann in seinem »Berliner<br />
Salon für Fotokunst«. Man entdeckt<br />
sie erst auf den zweiten Blick, in den<br />
winzigen Originalen an den großen<br />
weißen Wänden. Fast spukhaft tritt sie<br />
auf, verborgen, hintergründig. Aus den<br />
originellen Bildfindungen spricht eine<br />
unbestimmte Sehnsucht, vielleicht<br />
<strong>brennpunkt</strong> 4/<strong>2012</strong><br />
55