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brennpunkt 4-2012 .indd - Edition dibue

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Galeriebericht<br />

Die Geschichte hinter<br />

dem Bild.<br />

So hieß eine große Bilderschau im gläsern<br />

glitzernden Neuen Kranzler Eck<br />

zum Kudamm-Jubiläum, mit den Highlights<br />

von einem Dutzend Fotografen<br />

der B.Z., immer noch die auflagenstärkste<br />

Zeitung Berlins. Vom Amokläufer<br />

bis zum »Orgel-Ebi« am Leierkasten.<br />

Wowi am Schreibtisch, Otto mit<br />

der B.Z. an der Grinsebacke, Regisseur<br />

Klaus Peymann im roten Tüllröckchen.<br />

Ohne zugehörige Meldung sagen uns<br />

die Bilder wenig. Wo ist sie, die versprochene<br />

Geschichte dahinter? Im Begleitheft.<br />

Je 7 – 10 Zeilen. Von Ole Krüger.<br />

Redakteur. Der B.Z.. In solch nervigem<br />

Telegrammstil.<br />

Nein, wir wollen unsere Geschichte<br />

selbst herausfinden. Es gibt sie ja, die<br />

Erzähler mit der Kamera, und die<br />

Galeristen, die uns ihre Geschichten<br />

zugänglich machen. Manch ein<br />

Lebenswerk entdecken sie für uns.<br />

© DIRK ALVERMANN, »Neapel«<br />

So hat Norbert Bunge für seine Galerie<br />

argus fotokunst schon im Herbst<br />

2008 die wunderbaren Menschenbilder<br />

von Dirk Alvermann ausgegraben,<br />

und jetzt zeigt er bis 6. Oktober<br />

seine Serie »Streiflichter 1956 – 1965«<br />

aus Warschau, Tirana, Neapel, Peniscola<br />

und Sheffield (siehe <strong>brennpunkt</strong><br />

54 <strong>brennpunkt</strong> 4/<strong>2012</strong><br />

3/<strong>2012</strong>). Angefangen hat Alvermann mit<br />

der Leica in seiner Geburtsstadt, dem<br />

»stinkigen dunklen Düsseldorf der 50er<br />

Jahre«. »Fotografie bedeutet für mich,<br />

am Zeitgeschehen auf meine etwas<br />

verquere Weise tätig teilzuhaben«. Verquer?<br />

Ja, er hat sich nie angepasst, stand<br />

immer auf Seiten der Unterdrückten, in<br />

Ost und West. Für seine Reportagen hat<br />

er mit angepackt auf der Baustelle und<br />

auf dem Acker, war immer mitten drin.<br />

1966 zog ihn die Liebe nach Ostberlin<br />

und er drehte für das DDR-Fernsehen<br />

Dokumentarfilme. Heute lebt er in<br />

Mecklenburg. Bis Ende Dezember ehrt<br />

ihn das Düsseldorfer Stadtmuseum mit<br />

einer großen Retrospektive. Schon vor<br />

1960 hat er den verzweifelten Freiheitskampf<br />

der Algerier gegen die französische<br />

Kolonialmacht fotografiert.<br />

© Jörg Ruppert, »Partnerlook«,<br />

Barbés Rochechouart, Paris 1989<br />

30 Jahre später war Jörg Rubbert mutig<br />

in den Banlieues unterwegs, den Vorstadtghettos<br />

des Pariser Nordens, bevölkert<br />

vor allem von Einwanderern aus<br />

Algerien und Marokko. Seine »Kids in<br />

the backyard« bei Manfred Carpentier<br />

sind mit großer Anteilnahme beobachtet,<br />

meist ungestellt, Skizzen eines<br />

Lebens ohne Perspektive, ausgegrenzt,<br />

von den Alteingesessenen gemieden.<br />

Rubbert zeigt in zupackenden Bildern<br />

von Demos und Protesten, wie anfällig<br />

die jungen Leute sind für Parolen<br />

und Aktionen radikaler Kräfte, die den<br />

Hass auf Israel und die USA schüren.<br />

Und doch gibt es das fröhliche Spiel<br />

der Kinder, herzerwärmend, zum Beispiel<br />

mit einem zerrupften Regenschirm.<br />

Rubbert arbeitet mit dem Normalobjektiv<br />

und vergrößert das volle Negativ<br />

sorgfältig auf Baryt. Ein ästhetischer<br />

Genuss, trotz des brisanten Themas.<br />

Daniel Seiffert (in der Reihe »talents«<br />

von c/o Berlin) hat sich ohne fototechnischen<br />

Ehrgeiz in der ostdeutschen Provinz<br />

für die Jugendlichen interessiert,<br />

deren Lebensumstände durchaus vergleichbar<br />

sind mit denen in den Banlieues.<br />

Über ein Jahr lang hat er die<br />

Folgen von Arbeitslosigkeit und Isolierung<br />

beobachtet, am Beispiel Lübbenau,<br />

dessen Braunkohlekraftwerk mit dem<br />

beziehungsreichen Namen »Jugend«<br />

1994 stillgelegt wurde. Seifferts Kids<br />

sind nach der Wende geboren, aber der<br />

Geschichte entkommen sie nicht.<br />

Die großen farbigen Drucke sind lässig<br />

an die Stellwände genagelt, viel nächtliche<br />

Szenen, Haltestellen, leere Durchgänge,<br />

kaputte Treppen als Symbole<br />

des Stillstands. Und Porträts, scheinbar<br />

nebenbei, mal so, vage wie die Zukunft<br />

der Region.<br />

Bis 28. Oktober zeigt c/o Berlin einen<br />

Querschnitt durch die Geschichte der<br />

Modefotografie, mit vielen weltbekannten<br />

Namen. Schön, elegant, perfekt, mal<br />

ausgefallen und bizarr.<br />

Auch Roger Melis hat Mode fotografiert,<br />

für die einst so verwegene DDR-<br />

Zeitschrift »Sibylle«, den Gegenentwurf<br />

zur »Brigitte« im Westen. Dafür pilgere<br />

ich zur nahen Schröderstraße, zur winzigen<br />

»Galerie für moderne Fotografie«.<br />

Es ist sommerlich heiß. Die Tür ist<br />

angelehnt. Sachte schiebe ich sie auf.<br />

Kein Mensch. Doch! Da liegen zwei<br />

Reisende auf dem Boden, in malerischen<br />

Klamotten. Sie schlafen tief und<br />

fest. In aller Ruhe lasse ich die angenehm<br />

unspektakulären Schwarzweißbilder<br />

auf mich wirken. Sachte lehne<br />

ich die Tür wieder an. Was bleibt, ist<br />

die Erkenntnis: Roger Melis hat hier<br />

die Pflicht absolviert. Man muss leben.<br />

Aber man kann nur leben, wenn man<br />

auch die Seele füttert. Das hat er u.a.<br />

mit seinen wunderbaren Menschenbildern<br />

vom Lande getan. Sie sind als Buch<br />

erschienen unter dem Titel »In einem<br />

stillen Land«.

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