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Bedeutung schulischer Rahmenbedingungen - Gute Schulen ...

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Helmut Lehner: Selbständiges lernen mit Texten<br />

Der Aufsatz ist zuerst abgedruckt worden in:<br />

Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation,<br />

18, 1998, S. 53-65.<br />

Veröffentlichung als Online-Dokument ohne Änderungen<br />

© Helmut Lehner 2005<br />

HELMUT LEHNER<br />

EIN MODELL DER AUSWIRKUNGEN VON<br />

ERZIEHUNGSTHEORIEN AUF DIE SCHULE<br />

A model of the effects of educational theories on school<br />

and instruction<br />

Zusammenfassung:<br />

Verschiedene Auffassungen von Erziehung führen zu unterschiedlichen<br />

Vorstellungen der Ziele, Formen der Leistungsbeurteilung usw. Letztlich<br />

resultieren daraus verschiedene Grundkonzeptionen von Schule. Diese werden<br />

zumeist als unvereinbar betrachtet, weshalb in der Schulforschung grundlegende<br />

Alternativen auch nur selten systematisch untersucht worden sind. So<br />

findet man z.B. nicht viele Vergleichsuntersuchungen der Wirkungen von<br />

Alternativ- und Regelschulen. Voraussetzung dafür wäre ein erklärendes<br />

Modell unterschiedlicher <strong>schulischer</strong> Grundkonzeptionen und der durch sie<br />

ausgelösten Prozesse und Wirkungen. Ein solches Modell würde aber nicht nur<br />

Vergleiche unterschiedlicher Schulsysteme ermöglichen, sondern auch unsere<br />

Kenntnis der Wirkungen einer Vielzahl vereinzelter Faktoren in einen systematischen<br />

Zusammenhang bringen


HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

Abstract:<br />

Different conceptions of education lead to different conceptions of aims, the<br />

form of performance evaluation, etc. Different basic conceptions of the school<br />

result from this. These are generally regarded as incompatible, for which<br />

reason fundamental alternatives are seldom systematically studied in school<br />

research. Thus, for example, there are few comparative studies of the effects of<br />

alternative and public schools. A prerequisite for this would be an explanatory<br />

model of different fundamental school conceptions and the processes and<br />

effects arising from them. Such a model would not only make possible<br />

comparisons among different school systems, but also help us to systematise<br />

our knowledge of a multiplicity of effects of individual factors.<br />

1. Das Problem<br />

Unterschiedliche Auffassungen von Erziehung führen letztlich zu verschiedenen<br />

schulischen Grundkonzeptionen. Diese finden ihren Ausdruck in<br />

bestimmten <strong>Rahmenbedingungen</strong>, d.h. Zielen, Formen der Leistungsbeurteilung,<br />

der Unterrichtsorganisation und Schulleitung. Der Einfluß dieser<br />

Faktoren auf den Unterricht wird meist im Zusammenhang mit der<br />

Schuleffektivität untersucht.<br />

Unter dem Gesichtspunkt der Effektivität liegen vor allem Erhebungen von<br />

Daten über eine Vielzahl einzelner Wirkungszusammenhänge vor. Diese<br />

Arbeiten untersuchen zumeist qualitative Unterschiede zwischen <strong>Schulen</strong> mit<br />

ähnlichen <strong>Rahmenbedingungen</strong>, so daß gerade interessante Alternativen nicht<br />

selten unbeachtet bleiben. Außerdem ist bisher unklar, welche<br />

Zusammenhänge zwischen den als relevant betrachteten Faktoren bestehen,<br />

weil übergreifende Konzepte nicht entwickelt und geprüft worden sind. Die<br />

unzulängliche Theorie- bzw. Modellbildung wird zwar beklagt, aber Ansätze<br />

dazu sind kaum zu finden (Mortimore 1994, 119 ff.).<br />

2. Erziehungsvorstellungen und schulische Grundkonzeptionen<br />

Unterschiedliche Erziehungsvorstellungen und aus ihnen folgende schulische<br />

Grundkonzeptionen sind offensichtlich, wenn man beispielsweise Montessori-<br />

<strong>Schulen</strong>, Jenaplan-<strong>Schulen</strong> oder Waldorfschulen mit staatlichen Regelschulen<br />

vergleicht. Die Ursprünge dieser verschiedenen Erziehungsauffassungen und<br />

2


HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

schulischen Systeme sind in zwei Denk- oder Forschungsansätzen zu suchen,<br />

die man als Objektivismus und Subjektivismus bezeichnen kann (v. Hayek<br />

1979, 28 ff.). Sie spielen nicht nur in der Geschichte der Pädagogik, sondern<br />

auch in der Geschichte anderer Sozialwissenschaften eine bedeutsame Rolle.<br />

2.1 Objektivistische Auffassungen von Erziehung<br />

Der Name „Objektivismus“ steht für eine Denkweise, nach der Erziehungsphänomene<br />

wie objektive Gegebenheiten aufzufassen sind, die man durch<br />

Beobachtung „von außen“ studieren kann, ohne die Einstellungen der<br />

Individuen zu diesen Erscheinungen zu berücksichtigen (vgl. allgemein v.<br />

Hayek 1979, 56 ff.).<br />

Eine solche Auffassung führt zu einer Reihe von Konsequenzen, die für die<br />

Institutionalisierung von Erziehung bedeutsam sind. Grundlegend ist die daraus<br />

folgende Annahme, man könne Individuen mittels geeigneter Maßnahmen in<br />

gewünschter Weise erziehen, ohne Rücksicht auf ihre Einstellungen zu<br />

nehmen. Insofern Widerstände vorhanden sind, wird Erziehung dadurch zwar<br />

komplizierter, aber im Grunde bleibt sie ein Steuerungsvorgang, d.h. ein<br />

einseitig und zielbewußt in Gang gesetzter und bestimmter Prozeß, auch wenn<br />

er mit dem Risiko des Fehlschlags behaftet ist.<br />

2.2 Subjektivistische Auffassungen von Erziehung<br />

Während die objektivistische Methode Erziehungsphänomene von außen zu<br />

betrachten sucht, geht die subjektivistische Denkweise "von unserer Kenntnis<br />

des Innern dieser ... Komplexe aus" (v. Hayek 1979, 69), nämlich von der<br />

Kenntnis der Einstellungen der Individuen, welche zentrale Elemente der<br />

Struktur von Erziehungsphänomenen bilden. Was bestimmte Bedingungen<br />

bewirken, hängt im wesentlichen davon ab, wie sie von den betroffenen<br />

Individuen interpretiert werden. Deshalb müssen die individuellen Sichtweisen<br />

oder Deutungen zentrale Elemente jener Zusammenhänge sein, mit denen wir<br />

das Verhalten von Lehrern und Schülern in Erziehungssituationen zu erklären<br />

versuchen.<br />

3


HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

Sollen Schüler Erziehungsmaßnahmen als lernfördernd und die schulische<br />

Umgebung als handlungsanregend deuten, müssen Bedingungen geschaffen<br />

werden, die den Schülern eine solche Deutung ermöglichen. Aus subjektivistischer<br />

Sicht wird man daher fragen, was ein Gegenstand für den Schüler<br />

bedeutet, was er damit anfangen kann, wie der Gegenstand beschaffen sein<br />

müßte, damit der Schüler zu der Auffassung kommen kann, daß die Beschäftigung<br />

damit zu einem Gewinn für ihn führt.<br />

3. Wirkungen unterschiedlicher <strong>schulischer</strong> <strong>Rahmenbedingungen</strong><br />

Die Hauptunterschiede zwischen <strong>Schulen</strong>, sind auf verschiedene, in den<br />

Institutionen verankerte Auffassungen von Erziehung zurückzuführen. Diese<br />

institutionalisierten Auffassungen kanalisieren Wahrnehmung, Denken und<br />

Handeln und beeinflussen so das Verhalten der Lehrer. Das kann im wesentlichen<br />

ohne Zwang erfolgen, indem bestimmte Auffassungen und Handlungen<br />

eher auf Zustimmung stoßen als andere 1 . Folgende Faktoren, die in eher<br />

objektivistischer bzw. subjektivistischer Ausprägung die Gestalt einer Schule<br />

prägen, sind von <strong>Bedeutung</strong>: Die schulischen Ziele (3.1), die Organisation zur<br />

Sicherung der Leistungen (3.2) und die Art der Schulleitung (3.3; siehe auch<br />

das Schema).<br />

3.1 Ziele und die dadurch bedingte Lehr-Lernorganisation<br />

3.1.1 Orientierung an Anforderungen von außen:<br />

zielerreichender Unterricht<br />

<strong>Schulen</strong>, die vor allem die Erfüllung der Lehrpläne als ihr Programm betrachten,<br />

begünstigen beim Lehrer die Entstehung einer objektivistischen Sichtweise.<br />

Er wird sozusagen dazu gebracht, Unterricht vor allem von den An-<br />

1 Hoffnungen, besser ausgebildete Lehrer könnten die Schule durch pädagogischpsychologisch<br />

fundiertes Handeln von innen her reformieren, sind aus dieser Sicht<br />

wenig aussichtsreich. Erfolgversprechender wäre es, die <strong>Rahmenbedingungen</strong> so<br />

zu gestalten, daß sie solches Handeln fordern und auch begünstigen. Außderdem<br />

wäre es günstiger, die Schule so zu gestalten, daß die Qualität des Unterrichts<br />

weniger vom einzelnen Lehrer abhängt, so daß auch weniger geeignetes Lehrpersonal<br />

kaum Schaden anrichten könnte.<br />

4


HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

forderungen her zu sehen und weniger von den individuellen Bedürfnissen und<br />

Interessen der Schüler. In Situationen allerdings, in denen die Erfüllung des<br />

Lehrplans weniger bedeutsam ist, können die Lehrer versuchen, auf den einzelnen<br />

Schüler einzugehen. Das ist vor allem „bei Einzelgesprächen, Klassenfahrten,<br />

außerschulischen Projekten etc. der Fall“ (Rheinberg / Minsel 1993,<br />

331).<br />

Die Orientierung an externen Anforderungen wird ferner dadurch gefördert,<br />

daß die Unterrichtsziele in der Regel für alle Schüler einer Stufe gelten.<br />

Unterricht wird dann weitgehend als gleichschrittiges Vorgehen der Klasse<br />

oder Lerngruppe interpretiert. Alle Schüler sollen zur selben Zeit dieselben<br />

Ziele erreichen. Unter dieser Bedingung wird der Bezugspunkt des Lehrers eher<br />

die Gruppe sein als der einzelne. Individuelle Unterschiede stellen eher eine<br />

Art „Hindernis“ oder einen Störfaktor dar. D.h., dem Schüler als einzelnem<br />

kommt vor allem dann eine besondere <strong>Bedeutung</strong> zu, wenn er mit der Gruppe<br />

nicht mithalten kann.<br />

Da individuelle Unterschiede Schwierigkeiten verursachen, wird als Mittelweg<br />

auch die Bildung homogener Lerngruppen genutzt. Die Differenzierung in<br />

leistungseinheitliche Teilgruppen, die diesen ein gleichmäßiges Vorankommen<br />

ermöglichen soll, gestattet u.a. die Aufrechterhaltung der Sicht von außen, weil<br />

diese Gruppen dann eher als Ganze auf die Erreichung gegebener Lehrziele<br />

ausgerichtet und individualisierende Maßnahmen umgangen werden können<br />

(Hopf/ Krappmann/ Scheerer 1980).<br />

Insgesamt begünstigt die objektivistische Orientierung eine Organisation der<br />

Schule, bei der direkte Einflußnahme, d.h. Lenkung als ein Effektivität<br />

förderndes Unterrichtsmerkmal betrachtet wird. Zumindest im lehrplangeleiteten<br />

Unterricht wird der Lehrer gleichsam in die Rolle eines „Steuermanns“<br />

gedrängt. Auch wenn es sich hier um eine idealtypische Überzeichnung<br />

handelt, da Steuerungsvorgänge in jeder Art von Unterricht notwendig sind,<br />

wird doch die Betonung direkter Einflußnahme bei der Orientierung an<br />

Zielvorgaben weit häufiger anzutreffen sein als bei stärkerer Orientierung am<br />

Individuum, die eher indirekte Einflußversuche begünstigt.<br />

Aus Schülersicht ist Lenkung gleichbedeutend mit Fremdbestimmung. Erwartungsgemäß<br />

decken sich die „Wünsche der Schüler, wie und was sie lernen<br />

wollen“, nicht mit dem vom Lehrplan vorgegebenen Unterrichtsangebot. Als<br />

Folge davon erleben die Schüler das, was sie lernen und im Unterricht tun,<br />

5


HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

weder als sehr sinnvoll noch als besonders nützlich oder interessant (Eckerle/<br />

Kraak 1993, S. 139). Sie finden sich mit den eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten<br />

ab und verlieren zunehmend das Interesse, den Unterricht selbst<br />

mitzugestalten. Verbleibende Mitbestimmungsgelegenheiten bewerten sie eher<br />

abschätzig, wobei diesem Urteil vermutlich negative Erfahrungen mit selbständigem<br />

Lernen zugrunde liegen (Eckerle / Kraak 1993, 77; 140 f.). Denn<br />

wenn die Schüler bei seltenen Gelegenheiten unvorbereitet eigenständig arbeiten<br />

sollen, können sie zu der Auffassung gelangen, diese Arbeitsweise begünstige<br />

eher Mißerfolge.<br />

Es ist zu erwarten, daß auch die Lehrer durch die Aufgabe, den Lehrplan zu<br />

erfüllen, in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Dem widersprechen<br />

auf den ersten Blick Ergebnisse, nach denen Lehrer sich durch die<br />

institutionell-rechtlichen Bedingungen nur wenig reglementiert fühlen (zus.<br />

Hofer 1986, 357 ff.). Das betrifft aber wohl eher die Unterrichtsgestaltung, die<br />

tatsächlich kaum Kontrollen unterliegt. Hinsichtlich der Schule als Institution<br />

bzw. ihrer pädagogischen Reform lassen Lehrer jedoch einen deutlich resignativen<br />

Zukunftspessimismus erkennen und veranschlagen die Möglichkeiten,<br />

Veränderungen bewirken zu können, als sehr gering (vgl. Eckerle/ Kraak 1993,<br />

147 f.). Dabei ist zu berücksichtigen, daß Lehrer ihre Handlungsmöglichkeiten<br />

sicher unterschiedlich beurteilen. So dürften Lehrer mit objektivistisch geprägten<br />

Auffassungen eher eine stärkere Homogenisierung von Klassen oder Lerngruppen<br />

bzw. ihre Herbeiführung durch entsprechende selektive Maßnahmen<br />

fordern. Lehrer mit subjektivistischer Erziehungsauffassung dürften dagegen<br />

eher für Integration bei gleichzeitiger Individualisierung eintreten. Auseinandersetzungen<br />

unter Vertretern der beiden Denkweisen sind nach dem vorgelegten<br />

Modell vorzugsweise an reformorientierten <strong>Schulen</strong> mit nicht, nicht<br />

mehr oder noch nicht eindeutigen <strong>Rahmenbedingungen</strong> der einen oder anderen<br />

Prägung anzutreffen.<br />

Außerdem kann man davon ausgehen, daß an <strong>Schulen</strong> mit ausgeprägt<br />

objektivistischer Erziehungsauffassung nur begrenzte Förderungsmöglichkeiten<br />

für leistungsschwache Schüler bestehen. Ihre Handlungsmöglichkeiten<br />

sind im wesentlichen auf selektive Maßnahmen oder die Senkung von<br />

Leistungsanforderungen begrenzt, eine Sichtweise, die auch in der<br />

Schuleffektivitätsforschung als wenig effektiv gilt (Mortimore 1994, 125 f.).<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

3.1.2 Orientierung am Individuum: Bereitstellung von Lernmöglichkeiten<br />

Aus subjektivistischer Sicht ist der Schüler als aktives und gestaltendes Wesen<br />

aufzufassen (z.B. Shuell 1988). Die Ziele des Lehrplans bringen Anforderungen<br />

und Erwartungen zum Ausdruck, wie sie in der normativen Kultur, in<br />

der der Schüler lebt, an junge Menschen gestellt werden. Man kann sie als<br />

Ziele oder Handlungsmöglichkeiten auffassen, die dem Schüler eröffnet<br />

werden. Der Unterricht kann Gelegenheit und Hilfe bieten, diese Möglichkeiten<br />

selbstbestimmt zu ergreifen und zu verwirklichen.<br />

<strong>Schulen</strong>, die ihre Schüler in dieser Weise fördern wollen, müssen entsprechende<br />

Bedingungen schaffen. Diese Bedingungen sollen zunächst die<br />

Bestrebungen und das Verhalten der Lehrer in die gewünschte Richtung<br />

kanalisieren. Denn die Orientierung am Individuum entsteht nicht von selbst<br />

oder aufgrund bloßer Forderungen. Zunächst kann ein subjektivistisches pädagogisches<br />

Programm den Lehrern als Orientierungs- und Argumentationshilfe<br />

dienen. Montessori-, Jenaplan- und andere <strong>Schulen</strong> verfügen zumeist in Form<br />

der Konzeptionen ihrer Gründer über ein solches Programm. Inhaltlich kann es<br />

ein Bild des lernenden, seine Umwelt entdeckenden und sich aktiv<br />

anpassenden Schülers mit seinen Grundbedürfnissen nach Selbständigkeit und<br />

Sicherheit enthalten, eine Beschreibung der Aufgabe, sowohl den psychischen<br />

Gegebenheiten des Schülers wie auch den Lehrplananforderungen gerecht zu<br />

werden, und der dazu gegebenen oder zu entwickelnden Mittel und<br />

Maßnahmen.<br />

Zur Umsetzung eines solchen Programms sind verschiedene Organisationsformen<br />

entwickelt worden. Ihr Hauptmerkmal ist, daß sie Freiheit innerhalb<br />

einer von Ordnungsprinzipien geprägten Umgebung ermöglichen (Lehner<br />

1981). Der Schüler wird in einen Rahmen gestellt, der vor allem durch<br />

Materialien, freie und Pflichtaufgaben oder -kurse sowie durch einfache<br />

Verhaltensregeln strukturiert sein wird. Entscheidend ist, daß dieser Rahmen<br />

einen überschaubaren Bereich von Handlungsmöglichkeiten und -pflichten<br />

abgrenzt. Der Schüler erhält so Raum, um selbst zu planen, um eigene<br />

Entscheidungen zu treffen und auszuführen. Von <strong>schulischer</strong> Seite müssen<br />

dazu für die einzelnen Fächer Materialien angeschafft oder erstellt, Räume für<br />

selbständiges Arbeiten ausgestattet werden usw.<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

Eine solche Organisation hat auch Auswirkungen auf das Lehrerverhalten.<br />

Denn unter individualisierenden Bedingungen – beispielsweise wenn die Schüler<br />

selbständig mit vorbereiteten Materialien arbeiten – wird vor allem der<br />

einzelne der Bezugspunkt für den Lehrer sein, und zwar einfach deshalb, weil<br />

er gar nicht anders kann, wenn die Schüler Verschiedenes tun, verschieden<br />

vorgehen, verschieden fortgeschritten sind usw. Innerhalb dieses schulischen<br />

Rahmens kommt dem Lehrer die Rolle eines Beraters und Organisators von<br />

Lernbedingungen zu. Die beobachtenden, beratenden Aufgaben begünstigen<br />

eine aktivere Haltung des Lehrers z.B. gegenüber Schwierigkeiten lernschwacher<br />

Schüler. Statt die Anforderungen zu senken, können diese Schüler<br />

durch angemessene Herausforderungen gefördert werden. Die <strong>Rahmenbedingungen</strong><br />

begünstigen also die Entstehung einer „Mentalität“, die auch in der<br />

Schuleffektivitätsforschung als günstig für die Erzielung guter Leistungen<br />

betrachtet wird (Mortimore 1994, S.125 f.).<br />

Was die Schüler betrifft, so fördert eine überschaubare, geordnete und eigenes<br />

Handeln ermutigende Umgebung selbstverantwortliches Lernen. Das ist von<br />

großer <strong>Bedeutung</strong> für ihre Anstrengungsbereitschaft, die durch „das Gefühl der<br />

Zugehörigkeit zur Schule und Verantwortung für ihr eigenes Lernen“<br />

gesteigert werden kann (Mortimore 1994, 126).<br />

3.2 Die Organisation zur Sicherung von Leistung<br />

3.2.1 Selektion von Individuen<br />

Wenn vor allem Anforderungen von außen die Schule bestimmen, werden gute<br />

Leistungen in erster Linie durch Prüfungen zu erreichen versucht. Diese<br />

Ausrichtung auf Prüfungen gibt dem Unterricht letztlich das Erscheinungsbild<br />

eines Wettbewerbs. Aus objektivistischer Sicht gilt Wettbewerb als leistungsförderndes<br />

Merkmal des Unterrichts, weil die Schüler dadurch zu hohen<br />

Leistungen angespornt werden sollen.<br />

Insgesamt beeinflußt die Koppelung von Unterricht und Berechtigungswesen<br />

schulische Lehr-/ Lernprozesse nicht unwesentlich. Zunächst und vor allem<br />

scheint die Annahme, die Schüler würden durch häufige Leistungsvergleiche<br />

zu verstärkten Anstrengungen angestachelt, nur sehr begrenzt zuzutreffen. Da<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

unter Wettbewerbsbedingungen Erfolg und Mißerfolg weniger auf Anstrengung,<br />

sondern eher auf gute oder schlechte Begabungen zurückgeführt werden<br />

(Nicholls 1983, 216), gelten Anstrengungen eher als Hinweis auf geringe<br />

Fähigkeiten. Weil nicht Anstrengung, sondern Begabung belohnt wird, macht<br />

es Schüler eher unzufrieden, wenn sie hart arbeiten müssen (Ames 1981). Insbesondere<br />

leistungsschwächere Schüler neigen dazu, Mißerfolge mit mangelnder<br />

Begabung zu erklären. Sie reagieren daher eher passiv und mit nutzlosen<br />

Überlegungen zu ihrer Lage (Nicholls 1983, S. 216). Meist eignen sie sich<br />

reproduktiv Ergebnisse an. Ohne tieferes Verständnis jedoch fällt es ihnen<br />

immer schwerer, Zusammenhänge zu verstehen, so daß sich ihre Leistungen<br />

noch mehr verschlechtern (Nolen 1988).<br />

Ein weiteres Problem ist die mangelnde Objektivität <strong>schulischer</strong> Prüfungen und<br />

der darauf beruhenden Noten (Ingenkamp 1981), weil sie mangels Vergleichsnormen<br />

zumeist nicht an der entsprechenden Altersgruppe, sondern an den<br />

Leistungen der jeweiligen Lerngruppe orientiert sind. Ferner spielen bei der<br />

Beurteilung Faktoren wie Anstrengung und Benehmen der Schüler oder ihre<br />

körperliche Attraktivität eine nicht unwesentliche Rolle (Farkas / Sheehan /<br />

Grobe 1990). Außerdem dient die Notengebung nicht immer nur der Leistungsmessung,<br />

sondern wird auch als Erziehungsmittel verwendet.<br />

Wenn die Selektion von Individuen als zentrale Möglichkeit der Leistungssicherung<br />

gilt, hat das entscheidende Folgen für die ganze Unterrichtsorganisation.<br />

Denn um die Schüler hinsichtlich ihrer Leistungen vergleichen zu<br />

können, muß der Unterricht auf die zu prüfenden Ergebnisse ausgerichtet werden.<br />

Diese Ergebnisse sind durch die Inhalte der Fächer bestimmt. Das stärkt<br />

wiederum die Auffassung, zentrale Aufgabe sei die Vermittlung von Wissen.<br />

Es ist daher naheliegend, den Unterricht nach Fächern und ihren Inhalten zu<br />

organisieren. Das führt wegen der großen Zahl der Fächer zu einer Zerfaserung<br />

der Stundenpläne und begünstigt zudem ergebnisorientierten Unterricht. Darunter<br />

ist die didaktisch aufbereitete Vermittlung von Wissen als Instrumenten<br />

oder Tatsachen zu verstehen.<br />

Der Vorzug des ergebnisorientierten Unterrichts ist, daß in relativ kurzer Zeit<br />

über breite Gebiete informiert werden kann, wobei das Wissen durch Übung im<br />

Gedächtnis der Lernenden gespeichert und dort für spätere Anwendungen<br />

bereitgehalten werden soll. Ergebnisorientierte Methoden sind zwar besonders<br />

für die Vermittlung der im Lehrplan geforderten Kenntnisse und Fertigkeiten<br />

9


HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

geeignet, begünstigen aber vor allem aufnehmend-reproduzierendes Lernen.<br />

Wenn die Schüler sich in den höheren Klassenstufen daran gewöhnt haben,<br />

bevorzugen sie klare Anweisungen, die sie auch relativ widerspruchslos<br />

ausführen, während Aufforderungen zum Nachdenken oder zum selbständigen<br />

Herausfinden unbeliebt sind (Eckerle / Kraak 1993, S. 142).<br />

3.2.2 Selektion von Maßnahmen<br />

Wenn das Individuum im Vordergrund der Bemühungen steht, wird es zur<br />

zentralen Aufgabe, die am besten geeigneten Methoden zur Förderung des einzelnen<br />

zu finden. Als Beispiele seien hier der fächerübergreifende Unterricht<br />

sowie die Entkoppelung von Unterricht und Berechtigungswesen genannt.<br />

Die Entkoppelung von Unterricht und Prüfungen zur Vergabe von Berechtigungen<br />

wird an verschiedenen Privatschulen praktiziert. Diese Trennung<br />

ermöglicht es etwa den Waldorfschulen, sich auf ihren pädagogischen Auftrag<br />

zu konzentrieren, „junge Menschen ... in ihrem eigenen Wesen und Können so<br />

zu wecken und zu steigern, daß sie in sich und aus sich selber die Mittel und<br />

Wege finden können, ihr Leben zu meistern“ (Lindenberg 1975, 23).<br />

Die Lehrer erhalten Freiräume zur Gestaltung des Unterrichts, weil sie nicht<br />

immer auf die nächste Prüfung hinarbeiten müssen, in der alle Schüler dasselbe<br />

beherrschen sollen. Allerdings muß für das Problem der Berechtigungsvergabe<br />

eine andere Lösung gefunden werden. Eine Möglichkeit wird in der Errichtung<br />

externer Prüfungsbehörden gesehen. Das könnte allerdings den Effekt haben,<br />

daß der Unterricht als Vorbereitung auf diese Prüfungen angesehen würde.<br />

Eine andere Lösung besteht darin, vor dem Übergang auf andere Schulformen,<br />

Bildungsinstitutionen oder in den Beruf gezielt auf die entsprechenden Prüfungen<br />

vorzubereiten und sie durchführen. So können die Nachteile, die ein jahrelanger<br />

Prozeß des Leistungsvergleichs und der Zuordnung zu Leistungsrängen<br />

insbesondere bei schulleistungsschwächeren Schülern erzeugt, vermieden<br />

werden. Für sie ist es eher nachteilig, wenn der Unterricht primär als Wettbewerb<br />

um Rangplätze sowie um die Behauptung bzw. Verbesserung von<br />

Rangplätzen aufgefaßt wird.<br />

Aus subjektivistischer Sicht erscheint es als förderndes Merkmal des Unterrichts,<br />

wenn die gemeinsame Bemühung, die Kooperation von Schülern und<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

Lehrern um das Verständnis von Gegenständen und die Verbesserung von<br />

Fertigkeiten vorherrscht. Die Kooperation rückt die Sache in den Mittelpunkt<br />

der Aufmerksamkeit. Da fast jeder Schüler zumindest in einem begrenzten<br />

Bereich zu guten Leistungen in der Lage ist, eröffnen sich genügend Möglichkeiten<br />

der Bestätigung für jeden. Die Konzentration auf die Sache und die<br />

Verbesserung der eigenen Leistungen kann die Erfolgszuversicht steigern. Es<br />

gibt Hinweise, daß Schüler unter solchen Bedingungen mehr leisten als aufgrund<br />

ihrer IQ-Werte zu erwarten wäre (Krug 1985). Auch in der Schuleffektivitätsforschung<br />

hat es sich als vorteilhaft erwiesen, wenn Interesse an den<br />

Leistungsfortschritten des einzelnen bestand und Leistungen anerkannt wurden<br />

(Mortimore 1994, 126 f.).<br />

Als Haupteinwand gegen den Verzicht auf Vergleichszensuren wird häufig<br />

angeführt, daß die Schüler beim Wechsel auf eine Schule oder in den Beruf,<br />

wo Wettbewerb herrsche, schlechter vorbereitet seien. Diese Vermutung<br />

bestätigt sich aber weder bei Grundschülern noch auf höheren Niveaus. So<br />

behaupten sich die an freie Arbeit und zensurenfreien Unterricht gewöhnten<br />

Montessori-Schüler im Regelschulwesen nicht schlechter als Schüler, die<br />

bereits von Anfang an in der Regelschule waren. Aus der Sicht der Lehrer sind<br />

sie eher unauffällig (Wörnle 1984). Auf höherem Abschlußniveau kommt eine<br />

Untersuchung ehemaliger Waldorf-Schüler zu relativ positiven Ergebnissen,<br />

was den Schulerfolg und den beruflichen Werdegang der Schüler betrifft (vgl.<br />

Hofmann / Prümmer / Weidner/ Vier 1981). Einschränkend muß jedoch auf<br />

mögliche selektive Effekte bei diesen Untersuchungen hingewiesen werden.<br />

Wenn der Unterricht nicht auf die Erzielung von Vergleichszenszuren ausgerichtet<br />

ist, kann er auch stärker die Interessen des einzelnen einbeziehen. Das<br />

gelingt eher, wenn die ansonsten unverbunden nebeneinander stehenden<br />

Inhalte in Zusammenhang gebracht werden. Wenn man statt von Fächern und<br />

ihren Ergebnissen von fächerübergreifenden Themen ausgeht, die sich auf die<br />

von den Schülern erfahrene Lebenswelt beziehen, können die Schüler<br />

ausgehend von ihren Kenntnissen und Alltagsvorstellungen verschiedene<br />

Aspekte dieser Themen mit Hilfe von Material, Mitschülern und Lehrern unter<br />

verschiedenen Aspekten untersuchen. Der Unterricht ist also eher<br />

problemorientiert und weniger ergebnisorientiert. Problemorientierung bedeutet,<br />

daß die Schüler mit Schwierigkeiten konfrontiert werden, die in ihrem<br />

Erfahrungsbereich liegen, die sie selbst zu lösen oder aufzuklären suchen<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

(Lehner 1979, 97 ff.). Die dabei gewonnenen Einsichten in Zusammenhänge<br />

dürften sich positiv auf die Akzeptanz des verbleibenden systematischen<br />

Fachunterrichts auswirken. Die Schüler erkennen dann, daß die dort<br />

untersuchten Fragen sozusagen tiefer liegen, aber doch auf konkretere Themen<br />

und Probleme angewendet werden können. 2<br />

Durch die Konzentration auf Themen können nicht nur Interessen berücksichtigt<br />

werden, sondern es wird auch die Entstehung von Interessen gefördert.<br />

In diesem Fall ist anzunehmen, daß die Schüler zumindest gedanklich über den<br />

Unterricht hinaus an ihrem Thema arbeiten und in der zur Verfügung<br />

stehenden Zeit eine möglichst gute Leistung erbringen möchten, so daß die<br />

Zeit insgesamt besser genutzt wird. Die Zeitnutzung gilt in der Schuleffektivitätsforschung<br />

als bedeutsamer Faktor (Mortimore 1994, 129)<br />

3.4 Schulleitung<br />

3.4.1 Hierarchisch-unterstützende Schulleitung<br />

Hierarchisch-unterstützende Formen der Schulleitung sind vor allem dann anzutreffen,<br />

wenn die Aufgaben der Schule wesentlich in der Erfüllung relativ<br />

detailliert von außen vorgegebener Bildungsaufgaben bestehen. In diesem Fall<br />

ist Schule wie ein Mechanismus, dessen Funktion von jemandem organisiert<br />

und überwacht werden muß und der bei Fehlern helfend eingreifen kann. Eine<br />

solcherart definierte, die hierarchische Position betonende organisatorische und<br />

unterstützende Tätigkeit haben der Schulleiter in der Regel zu übernehmen<br />

(Wissinger 1996, 155 ff.).<br />

Das Hauptproblem jeder hierarchischen Leitung ist, daß sie – trotz aller Bemühung<br />

und wohlmeinenden Fürsorge – bei der Vielfalt der zu lösenden Aufgaben<br />

auf das notwendig unzulängliche Wissen und Verständnis eines<br />

einzelnen beschränkt ist. Der Schulleiter kann sich zwar den Rat und die Anregung<br />

anderer holen, wird aber letztlich nur das verwirklichen oder<br />

unterstützen, was ihm selber einleuchtet und realistisch erscheint. Eine so<br />

geleitete Schule wird daher nur selten das leisten, was bei Nutzung der Kennt-<br />

2 Ein Beipiel aus dem Oberstufenunterricht beschreiben Schnack / Speth 1996.<br />

12


HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

nisse und Fertigkeiten all derer, die in der Schule tätig sind, erreicht werden<br />

könnte.<br />

3.4.2 Partizipativ-programmatische Schulleitung<br />

Partizipativ-programmatische Formen der Leitung sind eher dort anzutreffen,<br />

wo die Aufgabe der Schule darin gesehen wird, Bedingungen herbeizuführen,<br />

die dem Schüler die Entfaltung seiner individuellen Fähigkeiten ermöglichen,<br />

also bei subjektivistischer Erziehungsauffassung. Die Schaffung einer die<br />

Entfaltung des einzelnen anregenden Lernumgebung stellt nämlich – ebenso<br />

wie dieser Entfaltungsprozeß selbst – ein Problem dar, dessen Lösung die<br />

Bemühungen aller Beteiligten erfordert.<br />

<strong>Schulen</strong>, an denen Kooperation von Lehrern hinsichtlich zentraler Aufgaben<br />

bestand, wurden im Rahmen der Schuleffektivitätsforschung im Vergleich zu<br />

<strong>Schulen</strong>, in denen der Zusammenhalt und Konsens bei wichtigen Zielen<br />

weniger ausgeprägt war, klar als effektiver identifiziert (Mortimore 1994, S.<br />

128 f.).<br />

Im Rahmen der Aufgabe, die Entfaltung der Schüler zu fördern, wird eine<br />

partizipativ-programmatische Leitung nach Möglichkeit auch Schüler und<br />

Eltern zu beteiligen suchen 3 . Da Eltern eine entscheidende Rolle in der<br />

Entwicklung ihrer Kinder spielen, scheint es vorteilhaft, wenn sie mit Zielen<br />

und Vorgehensweisen der Schule vertraut sind und sie akzeptieren. Die Akzeptanz<br />

kann gefördert werden durch Mitarbeit, d.h. Beteiligung an der Lösung<br />

<strong>schulischer</strong> Aufgaben und Probleme. Allerdings sollte das Schulprogramm in<br />

diesem Fall bereits gut durchdacht und in wesentlichen Elementen erprobt sein,<br />

da sonst eher zusätzliche Schwierigkeiten geschaffen werden könnten<br />

(Mortimore 1994, 127 f.).<br />

3 Ein Beispiel für Möglichkeiten der Beteiligung von Schülern gibt Müller 1996, S.<br />

177 ff.).<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

Abb: Schematische Darstellung <strong>schulischer</strong> und schulpolitischer<br />

<strong>Rahmenbedingungen</strong> in ihren Wirkungen auf den Unterricht<br />

4. Schulpolitische Bedingungen<br />

4.1 Zentrale Lenkung vs. Autonomie<br />

Objektivistisches Denken zeichnet sich auf schulpolitischer Ebene durch die<br />

Überzeugung aus, das Schulsystem als Ganzes zielbewußt lenken und fortentwickeln<br />

zu können oder zu müssen. Die Konsequenz ist eine zentrale<br />

Verwaltung, die alle wesentlichen Entscheidungen trifft. Dadurch wird die Zahl<br />

der Versuche stark eingeengt, auf verschiedene Auffassungen gegründete<br />

Arten von Schule und Unterricht und entsprechende Methoden zu realisieren<br />

und schrittweise zu verbessern.<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

Wenn Lehrer sich nach vorliegenden Befunden für die Entwicklung der<br />

Organisation ihrer Schule „nicht zuständig“ fühlen und für Zusammenarbeit<br />

mit Kollegen kaum Anlaß sehen, dürfte das nicht zuletzt an diesem Mangel an<br />

Gestaltungsmöglichkeiten liegen. Es ist wohl kein Wunder, wenn sie sich<br />

stattdessen lieber auf den eigenen Unterricht konzentrieren, der ihnen mehr<br />

Handlungsmacht bietet (Eckerle / Kraak 1993, 148 ff.). Zentrale Lenkung läßt<br />

nur eine begrenzte Nutzung der Kompetenzen von Lehrern zu und dämpft ihre<br />

Bereitschaft, sich zu engagieren.<br />

Wird der einzelnen Schule dagegen ein größeres Maß an Autonomie gewährt,<br />

können Lehrer und Schüler, Eltern und hinzugezogene Berater ihre Auffassungen,<br />

Erfahrungen und Kenntnisse zur Gestaltung von Schule und Unterricht<br />

einbringen.<br />

Autonomie bedeutet die freie Erfüllung von Aufgaben in einem Rahmen von<br />

Grundpflichten, der Spielräume für selbst zu verantwortendes Gestalten<br />

schafft. Durch eine Rechenschaftspflicht gegenüber Schulträger, Schülern,<br />

Eltern läßt sich willkürliches bzw. nicht zu begründendes Handeln<br />

einschränken. Wenn z.B. ein Grundkanon an Lehrinhalten und -zielen<br />

vorgegeben ist, kann die Schule selbst über die programmatischen<br />

Schwerpunkte des Unterrichts und die Lehrmethoden entscheiden.<br />

Ob man die Grenzen weiter oder enger zieht, hängt vor allem davon ab, welche<br />

Unterschiede zwischen <strong>Schulen</strong> man tolerieren möchte. Denn größere Spielräume<br />

werden auch größere Unterschiede zur Folge haben. Je nach sozialem<br />

Umfeld könnte es dann deutlich besser und schlechter ausgestattete <strong>Schulen</strong><br />

geben. Denn Freiräume können verschieden genutzt und auch ausgenutzt<br />

werden. Es ist deshalb auch nicht zu erwarten, daß alle autonomen <strong>Schulen</strong><br />

eine verstärkte Orientierung am Individuum favorisieren.<br />

Ein anderes Problem ist der Übergang von abhängigen <strong>Schulen</strong> in die<br />

Autonomie, der von den Betroffenen nicht immer positiv aufgenommen<br />

werden muß. Denn neue Spielräume und Anforderungen können wegen der<br />

nicht abzuschätzenden Folgen Angst und Ablehnung hervorrufen. Gestufte<br />

Übergänge unter Begleitung von Beratern können hier zur Entlastung<br />

beitragen 4 .<br />

4 Zu Problemen und Möglichkeiten der Autonomie vgl. Daschner / Rolff/ Stryk<br />

1995.<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

4.2 Isolierung vs. Öffentlichkeit<br />

Autonomie kann ebenso wie ein zentral gelenktes Schulsystem zu Einseitigkeiten<br />

führen. Solange <strong>Schulen</strong> oder ein Schulsystem ganz oder partiell gegen<br />

öffentliche Kritik abgeschirmt sind, entstehen kaum Anreize zur Korrektur.<br />

Abschirmung vor öffentlicher Kritik entsteht vor allem durch ideologische oder<br />

weltanschauliche Isolierung. So können sich aufgrund gemeinsamer religiöser<br />

oder anderer Anschauungen der Lehrer- und Elternschaft schulische Inseln bilden,<br />

die sich „einigeln“ und gegen Kritik immunisieren. So beklagt etwa Skiera<br />

(1982, 107) einen gewissen Isolationismus an autonomen niederländischen<br />

<strong>Schulen</strong>.<br />

Die Abschirmung vor öffentlicher Kritik kann sich auch auf ein einzelnes<br />

Prinzip oder Merkmal beziehen. Ein Beispiel dafür ist das Leistungsprinzip<br />

(vgl. Fend u.a. 1976, 173 ff.), das im Selbstverständnis der Schule und breiter<br />

gesellschaftlicher Schichten von zentraler <strong>Bedeutung</strong> ist. Durch eine einseitige<br />

Auffassung von Leistung wird das Mißverständnis begünstigt, alternative<br />

Formen des Unterrichts müßten notwendig zu einer Vernachlässigung des<br />

Leistungsaspekts tendieren. Sofern Leistung nämlich mit lehrplanmäßigem<br />

Unterricht und nachfolgendem sozialem Leistungsvergleich gleichgesetzt wird,<br />

müssen nicht wettbewerbsorientierte Formen der Forderung und Förderung von<br />

Leistungen, der Leistungserbringung und Leistungsbeurteilung als nonkonform<br />

hinsichtlich des einseitig gedeuteten Leistungsprinzips erscheinen.<br />

Isolation und ideologische Abschirmung ließen sich begrenzen, wenn <strong>Schulen</strong><br />

beispielsweise dazu verpflichtet wären, sich in einem gewissen Ausmaß und<br />

zum Zweck des Vergleichs der Untersuchung zu öffnen und in gewissen<br />

Abständen Berichte über ihr Programm und ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit<br />

vorzulegen. Bei vergleichenden Untersuchungen ist zu beachten, daß für eine<br />

umfassende Beurteilung der Leistungen von <strong>Schulen</strong> eine Vielzahl von Vergleichskriterien<br />

einbezogen und die Ziele der jeweiligen Schule berücksichtigt<br />

werden sollten 5 . Neben den Schülerleistungen können die Wirkungen der<br />

jeweiligen Schule auf das Selbstwertgefühl oder Selbstbild ihrer Schüler untersucht<br />

werden, auf den Grad ihrer Aggressivität, auf ihre Orientierungsschwierigkeiten<br />

bzw. ihre Verhaltenssicherheit nach dem Wechsel zu anderen<br />

5 Zur Problematik der Untersuchung von Schuleffektivität vgl. Madaus/ Airasian/<br />

Kellaghan 1980.<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

Institutionen, ihre Kreativität, Durchsetzungskraft, Teamgeist und<br />

Problemlösefähigkeit, ihre Beurteilungen durch Arbeitgeber, ihren Berufs- und<br />

Studienerfolg usw.<br />

Während Autonomie ein schulpolitisches Mittel ist, um die Kräfte und das<br />

Wissen von einzelnen und Gruppen auszuschöpfen, ist Öffentlichkeit ein<br />

Mittel, um Informationen über unterschiedliche schulische Problemlösungen<br />

und deren Folgen für Diskussionen und Beurteilungen aller an <strong>schulischer</strong><br />

Bildung Interessierter bereitzustellen. In den dadurch in Gang gesetzten<br />

Prozessen könnten jene Kenntnisse und Verfahren entdeckt und erprobt<br />

werden, die man zur Verbesserung von <strong>Schulen</strong> braucht.<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

Literatur<br />

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Göttingen: Hogrefe<br />

Farkas, G./Sheehan, D./Grobe, R. (1990): Coursework mastery and school success:<br />

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Beltz<br />

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Neugebauer<br />

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Max-Plank-Institut für Bildungsforschung/ Projektgruppe. Bildungsbericht<br />

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Ingenkamp, K. (Hg.) (1981): Wert und Wirkung von Beurteilungsverfahren, Weinheim:<br />

Beltz<br />

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Madaus, G. F./Airasian, P. W./Kellaghan, T. (1980): School Effectiveness. A reassurement<br />

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HELMUT LEHNER: AUSWIRKUNGEN VON ERZIEHUNGSTHEORIEN<br />

Mortimore, P: Schuleffektivität (1994): Ihre Herausforderung für die Zukunft. In:<br />

Zeitschrift für Pädagogik, 32. Beiheft: Bildung und Erziehung in Europa. Hrsg.<br />

von D. Benner/ D. Lenzen, 117-134<br />

Müller, S. (1996): Beteiligung von Schülerinnen und Schülern an innerschulischen<br />

Entwicklungsprozessen. Das Fallbeispiel der Hauptschule S. In: Buhren, C.G.<br />

/ Rolff, H.-G. (Hg.): Fallstudien zur <strong>Schulen</strong>twicklung. Zum Verhältnis von innerer<br />

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Nolen, S. B. (1988): Reasons for studying. Motivational orientations and study<br />

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Rheinberg, F./Minsel, B. ( 2 1993).: Psychologie des Erziehers. In: Weidenmann, B./<br />

Krapp, A./Hofer, M./Huber, G.L./Mandl, H. (Hg): Pädagogische Psychologie.<br />

Ein Lehrbuch. Weinheim, 277-360<br />

Schnack, J./ Speth, M. (1996): Die Profiloberstufe der Max-Brauer Schule als <strong>Schulen</strong>twicklungsprozeß.<br />

In: Buhren, C.G. / Rolff, H.-G. (Hg.): Fallstudien zur<br />

<strong>Schulen</strong>twicklung. Zum Verhältnis von innerer <strong>Schulen</strong>twicklung und externer<br />

Beratung. Weinheim, München. Juventa, 207-234<br />

Shuell, T. J. (1988): The role of the student learning from instruction. In Contemporary<br />

Educational Psychology 13, 276-295<br />

Skiera, E. (1982): Die Jena-Plan-Bewegung in den Niederlanden. Beispiel einer<br />

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Wissinger, J. (1996): Perspektiven schulischen Führungshandelns. Eine<br />

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München: Juventa<br />

Wörnle, R. C. (1984): Auswirkungen der gemeinsamen Unterrichtung behinderter und<br />

nichtbehinderter Kinder nach den pädagogischen Prinzipien von Maria<br />

Montessori auf Konzentrationsverhalten, Schulangst, Schulleistungen und<br />

soziale Integration. Unveröffentl. Diss., München.<br />

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