05/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Es ist später Sonntagabend,<br />
der Fünfjährige<br />
fiebert, die Packung mit<br />
den Zäpfchen ist aufgebraucht<br />
und die diensthabende<br />
Apotheke ausgerechnet am<br />
anderen Ende der Stadt. Zum Glück<br />
liegen im Medikamentenschrank<br />
noch ein paar Fieberzäpfchen der<br />
grossen Schwester. Die ist erst elf,<br />
was soll da schon schief gehen?<br />
Eine ganze Menge, sagen Experten,<br />
und raten dringend davon ab,<br />
Kindern Medikamente zu geben, die<br />
nicht für ihr Alter zugelassen sind.<br />
Der kindliche Organismus ist im<br />
Wachstum. Organe entwickeln sich:<br />
Die Leber muss sich erst auf ihre<br />
lebenslange Aufgabe einstellen, auch<br />
die Niere ist in den ersten Jahren<br />
noch mit Feinjustierung beschäftigt.<br />
Immunsystem und Stoffwechselkreisläufe<br />
funktionieren noch nicht<br />
wie bei einem Erwachsenen. Und in<br />
der Pubertät kommt ein chaotischer<br />
Mix aus Hormonen hinzu. All das,<br />
betont Dirk Mentzer vom Paul-Ehrlich-Institut,<br />
dem deutschen Bundesinstitut<br />
für Impfstoffe und biomedizinische<br />
Arzneimittel, spielt<br />
eine Rolle dabei, wie eine Substanz<br />
auf den Körper wirkt.<br />
«Erst seit etwa zwanzig Jahren<br />
gibt es umfangreichere Untersuchungen<br />
dazu, welchen Einfluss<br />
Medikamente auf den kindlichen<br />
Organismus haben», sagt der Kinderarzt.<br />
So habe man zum Beispiel<br />
herausgefunden, dass die Menge<br />
bestimmter Enzyme, die in der<br />
Leber für den Abbau der Arzneimittel<br />
zuständig sind, altersabhängig<br />
stark schwankt. Das hat mitunter<br />
zur Konsequenz, dass Kinder unter<br />
zwei Jahren die doppelte Dosis dessen<br />
nehmen müssen, was für<br />
Erwachsene empfohlen wird. In<br />
anderen Fällen wiederum wäre das<br />
hochgefährlich.<br />
Eine einfache Faustregel, wie<br />
Dosen von Erwachsenen auf Kinder<br />
heruntergerechnet werden können,<br />
gibt es nicht. «Im Alter zwischen<br />
drei und zehn Jahren wachsen Kin<br />
der, werden aber nicht dicker. Hier<br />
kann ich also nicht exponenziell<br />
rechnen, sondern muss das sich verändernde<br />
Verhältnis von Körpergrösse<br />
zu Gewicht beachten», erklärt<br />
Mentzer. Und das für jede Substanz<br />
individuell.<br />
Fünf Zulassungsgruppen<br />
Damit Eltern sicher sein können,<br />
dass ein Medikament ihrem Kind<br />
nicht schadet, verpflichten die europäischen<br />
Arzneimittelbehörden die<br />
Hersteller von Medikamenten seit<br />
zehn Jahren dazu, die Wirkstoffe<br />
auch für die Verwendung bei Kindern<br />
zu untersuchen. Dabei wird in<br />
fünf Subgruppen unterschieden:<br />
• Neugeborene<br />
• Säugling (0 bis 2 Jahre)<br />
• Kleinkind (2 bis 6 Jahre)<br />
• Kind (6 bis 11 Jahre)<br />
• Jugendliche (11 bis 18 Jahre)<br />
Ob diese Untersuchung stattgefunden<br />
hat und das Medikament für<br />
Kinder zugelassen ist, steht im Beipackzettel<br />
unter Indikationen und<br />
Anwendungsgebiete.<br />
«Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen,<br />
es kann also durchaus<br />
sein, dass sich bei manchen Medikamenten<br />
noch kein Hinweis auf die<br />
Zulassung für Kinder findet», sagt<br />
Mentzer. Das bedeute dann nicht<br />
automatisch, dass das Medikament<br />
ungeeignet sei, doch hier empfiehlt<br />
sich auf jeden Fall, mit dem Arzt<br />
Rücksprache zu halten.<br />
Ein Fünftel nicht zugelassen<br />
Etwa zwanzig Prozent der Arzneimittel,<br />
die niedergelassene Ärzte<br />
regelmässig verwenden, sind nicht<br />
für Kinder zugelassen, schätzt Mentzer.<br />
Dazu zählen blutdrucksenkende<br />
Mittel und solche gegen Krampfleiden<br />
sowie bestimmte Antibiotika.<br />
Unter ärztlicher Kontrolle im Spital<br />
werden solche Stoffe im Notfall aber<br />
auch Kindern gegeben.<br />
Dirk Mentzer warnt vor gut ge <br />
meinten Medikamentengaben, die<br />
schnell zu einer Überdosierung führen<br />
können. Ein Klassiker sind Heu<br />
Heuschnupfenpräparate und<br />
solche gegen Asthma sind<br />
für Kinder besonders heikel.<br />
schnupfentropfen, sogenannte Antihistaminika.<br />
«Das Kind leidet an der<br />
Allergie, die Eltern haben die frei<br />
verkäuflichen Tropfen zu Hause<br />
rumstehen und geben sie ihm. Das<br />
ist eigentlich ungefährlich. Doch<br />
dann geben die Eltern die Tropfen<br />
nochmals, weil sie irgendwie nicht<br />
zu wirken scheinen – so wird rasch<br />
eine Überdosierung erreicht, die<br />
zum Atemstillstand führen kann»,<br />
erklärt Mentzer. Es hat bereits<br />
Todesfälle nach solchen versehentlichen<br />
Überdosierungen gegeben.<br />
Das Gleiche gilt für Sprays, die<br />
viele Kinder gegen Asthma verschrieben<br />
bekommen, sogenannte<br />
Betamimetika. Wenn die einmalige<br />
Anwendung keine Wirkung zeigt,<br />
wird gerne wiederholt gesprüht –<br />
das kann zu Herzrasen und Herzrhythmusstörungen<br />
und da >>><br />
Das können Sie tun<br />
Bereiten Sie sich auf den Notfall vor. Nutzen<br />
Sie einen regulären Besuchstermin beim<br />
Kinderarzt, um mit ihm wichtige «Was,<br />
wenn ...»-Fälle zu besprechen. Was, wenn das<br />
Kind nach dem Impfen hohes Fieber kriegt?<br />
Wenn ein Zäpfchen nicht wirkt? Wenn der<br />
Husten trotzdem immer schlimmer wird? So<br />
wissen Sie im Ernstfall, wie und mit welchen<br />
Medikamenten Sie reagieren können. Wenn<br />
Sie Ihrem Kind versehentlich eine Überdosis<br />
gegeben haben, rufen Sie die Notfallnummer<br />
145 der Tox Info Suisse an. Dort gibt es rund<br />
um die Uhr unentgeltlich ärztliche Auskunft<br />
bei Vergiftungen oder Verdacht auf<br />
Vergiftungen.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>67