Ernährung & Gesundheit Medikamente für kleine Patienten – das sollten Eltern beachten! Ein Zäpfchen wird so schnell nicht schlecht, der Hustensaft der grossen Schwester schadet auch dem kleinen Bruder nicht. Oder etwa doch? Experten raten bei der Gabe von Medikamenten an Kinder zu äusserster Vorsicht. Text: Claudia Füssler Bild: iStockphoto 66 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Es ist später Sonntagabend, der Fünfjährige fiebert, die Packung mit den Zäpfchen ist aufgebraucht und die diensthabende Apotheke ausgerechnet am anderen Ende der Stadt. Zum Glück liegen im Medikamentenschrank noch ein paar Fieberzäpfchen der grossen Schwester. Die ist erst elf, was soll da schon schief gehen? Eine ganze Menge, sagen Experten, und raten dringend davon ab, Kindern Medikamente zu geben, die nicht für ihr Alter zugelassen sind. Der kindliche Organismus ist im Wachstum. Organe entwickeln sich: Die Leber muss sich erst auf ihre lebenslange Aufgabe einstellen, auch die Niere ist in den ersten Jahren noch mit Feinjustierung beschäftigt. Immunsystem und Stoffwechselkreisläufe funktionieren noch nicht wie bei einem Erwachsenen. Und in der Pubertät kommt ein chaotischer Mix aus Hormonen hinzu. All das, betont Dirk Mentzer vom Paul-Ehrlich-Institut, dem deutschen Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, spielt eine Rolle dabei, wie eine Substanz auf den Körper wirkt. «Erst seit etwa zwanzig Jahren gibt es umfangreichere Untersuchungen dazu, welchen Einfluss Medikamente auf den kindlichen Organismus haben», sagt der Kinderarzt. So habe man zum Beispiel herausgefunden, dass die Menge bestimmter Enzyme, die in der Leber für den Abbau der Arzneimittel zuständig sind, altersabhängig stark schwankt. Das hat mitunter zur Konsequenz, dass Kinder unter zwei Jahren die doppelte Dosis dessen nehmen müssen, was für Erwachsene empfohlen wird. In anderen Fällen wiederum wäre das hochgefährlich. Eine einfache Faustregel, wie Dosen von Erwachsenen auf Kinder heruntergerechnet werden können, gibt es nicht. «Im Alter zwischen drei und zehn Jahren wachsen Kin der, werden aber nicht dicker. Hier kann ich also nicht exponenziell rechnen, sondern muss das sich verändernde Verhältnis von Körpergrösse zu Gewicht beachten», erklärt Mentzer. Und das für jede Substanz individuell. Fünf Zulassungsgruppen Damit Eltern sicher sein können, dass ein Medikament ihrem Kind nicht schadet, verpflichten die europäischen Arzneimittelbehörden die Hersteller von Medikamenten seit zehn Jahren dazu, die Wirkstoffe auch für die Verwendung bei Kindern zu untersuchen. Dabei wird in fünf Subgruppen unterschieden: • Neugeborene • Säugling (0 bis 2 Jahre) • Kleinkind (2 bis 6 Jahre) • Kind (6 bis 11 Jahre) • Jugendliche (11 bis 18 Jahre) Ob diese Untersuchung stattgefunden hat und das Medikament für Kinder zugelassen ist, steht im Beipackzettel unter Indikationen und Anwendungsgebiete. «Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen, es kann also durchaus sein, dass sich bei manchen Medikamenten noch kein Hinweis auf die Zulassung für Kinder findet», sagt Mentzer. Das bedeute dann nicht automatisch, dass das Medikament ungeeignet sei, doch hier empfiehlt sich auf jeden Fall, mit dem Arzt Rücksprache zu halten. Ein Fünftel nicht zugelassen Etwa zwanzig Prozent der Arzneimittel, die niedergelassene Ärzte regelmässig verwenden, sind nicht für Kinder zugelassen, schätzt Mentzer. Dazu zählen blutdrucksenkende Mittel und solche gegen Krampfleiden sowie bestimmte Antibiotika. Unter ärztlicher Kontrolle im Spital werden solche Stoffe im Notfall aber auch Kindern gegeben. Dirk Mentzer warnt vor gut ge meinten Medikamentengaben, die schnell zu einer Überdosierung führen können. Ein Klassiker sind Heu Heuschnupfenpräparate und solche gegen Asthma sind für Kinder besonders heikel. schnupfentropfen, sogenannte Antihistaminika. «Das Kind leidet an der Allergie, die Eltern haben die frei verkäuflichen Tropfen zu Hause rumstehen und geben sie ihm. Das ist eigentlich ungefährlich. Doch dann geben die Eltern die Tropfen nochmals, weil sie irgendwie nicht zu wirken scheinen – so wird rasch eine Überdosierung erreicht, die zum Atemstillstand führen kann», erklärt Mentzer. Es hat bereits Todesfälle nach solchen versehentlichen Überdosierungen gegeben. Das Gleiche gilt für Sprays, die viele Kinder gegen Asthma verschrieben bekommen, sogenannte Betamimetika. Wenn die einmalige Anwendung keine Wirkung zeigt, wird gerne wiederholt gesprüht – das kann zu Herzrasen und Herzrhythmusstörungen und da >>> Das können Sie tun Bereiten Sie sich auf den Notfall vor. Nutzen Sie einen regulären Besuchstermin beim Kinderarzt, um mit ihm wichtige «Was, wenn ...»-Fälle zu besprechen. Was, wenn das Kind nach dem Impfen hohes Fieber kriegt? Wenn ein Zäpfchen nicht wirkt? Wenn der Husten trotzdem immer schlimmer wird? So wissen Sie im Ernstfall, wie und mit welchen Medikamenten Sie reagieren können. Wenn Sie Ihrem Kind versehentlich eine Überdosis gegeben haben, rufen Sie die Notfallnummer 145 der Tox Info Suisse an. Dort gibt es rund um die Uhr unentgeltlich ärztliche Auskunft bei Vergiftungen oder Verdacht auf Vergiftungen. Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>67