05/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Stiftung Elternsein<br />
«Generationensprung!»<br />
Ellen Ringier über die Nähe der Grosseltern zu ihren Enkeln.<br />
Bild: Maurice Haas / 13 Photo<br />
Dr. Ellen Ringier präsidiert<br />
die Stiftung Elternsein.<br />
Sie ist Mutter zweier Töchter.<br />
Es wird schon an die zehn Jahre her sein,<br />
als meine beiden Töchter meine damals<br />
um die 80 Jahre alte Mutter besuchten,<br />
manchmal einzeln, manchmal zusammen.<br />
Eines Tages überraschten mich die beiden<br />
Teenager mit der Bemerkung, meine<br />
Mutter – ihre Grossmutter – hätte lange<br />
vor ihrer Hochzeit mit meinem Vater, also<br />
vor ihrem 25. Altersjahr, eine intime Beziehung mit<br />
einem jungen Mann gehabt. In New York, Ende der<br />
40er-Jahre. Und sie hätte diesen jungen Mann sehr<br />
geliebt, sich aber nicht getraut, mit ihren Eltern – meinen<br />
Grosseltern – darüber zu reden und, und, und.<br />
«Was», habe ich mir gedacht, «erzählt meine Mutter<br />
denn da?» Meinen Schwestern oder mir hätte sie das<br />
niemals erzählt! Obschon meine Mutter eine für damalige<br />
Verhältnisse ausgesprochen aufgeschlossene Frau<br />
und Sexualität bei uns zu Hause kein Tabuthema war.<br />
Ganz besonders nicht, wenn es um Verhütung ging!<br />
Liefen wir einander bei Gelegenheit nackt über den<br />
Weg, schien uns das normal. Prüde waren wir alle ganz<br />
gewiss nicht. Aber achtsam. Man könnte auch sagen,<br />
respektvoll gegenüber der Intimität des anderen.<br />
Aber die Intimsphäre haben weder meine Eltern uns<br />
Kindern gegenüber noch wir Kinder gegenüber unseren<br />
Eltern je angesprochen. Es wäre mir im Traum nicht<br />
eingefallen, meine Mutter zu fragen, ob Papi ein guter<br />
Liebhaber gewesen wäre! Und hätte meine Mutter eine<br />
diesbezügliche Andeutung gemacht, hätte ich sie nicht<br />
hören wollen.<br />
Demgegenüber waren Sex-Themen zwischen mir<br />
und meinen besten Freundinnen durchaus ein beliebter<br />
Gesprächsstoff.<br />
Ich denke heute, dass es zwischen Eltern und Kindern<br />
eine wohl genetisch angelegte Schranke gibt, die<br />
man als eine natürliche Scham bezeichnen könnte.<br />
Mein Mann und ich würden unsere Töchter auch<br />
heute niemals fragen, wie ihre Partner denn so im Bett<br />
seien … Nicht, dass es mich nicht interessieren würde,<br />
aber das Mutter-Kind- genauso wie das Vater-Kind-<br />
Verhältnis verbietet diese und ähnliche Fragen einfach.<br />
Und dies, obschon wir im Gegensatz zu meiner Jugendzeit<br />
in einer Welt leben, die sich nun wirklich nicht<br />
durch Tabus auszeichnet. Die Medien thematisieren<br />
nicht nur Intimes, Sexuelles öffentlich in Wort und Bild.<br />
Wer will, kann sich heutzutage nicht nur im Internet an<br />
jeder nur denkbaren sexuellen Perversion erfreuen. Und<br />
nun kommt also meine Mutter daher und erzählt meinen<br />
Töchtern von ihren ersten Liebeserfahrungen!<br />
Wie komme ich darauf, Ihnen das zu erzählen?<br />
Dieser Tage – wir sind mit einer Tochter und ihrem<br />
kleinen Sohn zusammen in den Ferien – beobachte ich,<br />
wie innig das Verhältnis unseres kleinen Enkels zu seinem<br />
Opa ist. Der zweijährige kleine Mann macht jede<br />
Faxe, ja jede Körperbewegung nach. Verschränkt mein<br />
Mann bei Tisch seine Arme, tut es der Kleine auch. Die<br />
beiden kommunizieren mit einer Leichtigkeit miteinander,<br />
als ob unser Enkel schon fliessend sprechen<br />
könnte. Mein Mann scheint den gutturalen Redeschwall<br />
bestens zu verstehen …<br />
Ich kann mich nicht erinnern, dass wir dem Brabbeln<br />
unserer eigenen Kinder je eine solche Aufmerksamkeit<br />
geschenkt hätten. Bei unseren Enkeln ist das ganz<br />
anders.<br />
Meine Tochter meint, Grosseltern hätten zu den<br />
Enkeln in einem gewissen Sinn eine viel grössere Nähe<br />
als zu den eigenen Kindern. Es gäbe, was dieses Thema<br />
angeht, immer eine Art Generationensprung. Wirklich?<br />
Werden mein Mann und ich unseren Enkelkindern<br />
eines Tages auch unsere Liebesgeschichten aus den 70er-<br />
Jahren erzählen?<br />
STIFTUNG ELTERNSEIN<br />
«Eltern werden ist nicht schwer,<br />
Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch<br />
Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten,<br />
Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein<br />
an. Sie richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern<br />
und Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen<br />
Eltern, Kindern, Lehrern und die Vernetzung der elternund<br />
erziehungsrelevanten Organisationen in der<br />
deutschs prachigen Schweiz. Die Stiftung Elternsein<br />
gibt das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus.<br />
www.elternsein.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>47