05/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Fr. 7.50 5/Mai <strong>2017</strong><br />
Cybermobbing<br />
Wenn Kinder im Netz<br />
verletzt werden – und<br />
was Eltern tun können<br />
Fabian Grolimund<br />
Alles zu viel – wie<br />
Familien ihren Alltag<br />
entspannter erleben<br />
MIT 68 SEITEN<br />
Berufswahl<br />
Väter<br />
Was gute<br />
anders machen
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Editorial<br />
Bild: Geri Born<br />
Nik Niethammer<br />
Chefredaktor<br />
«Ich vermisse die Zeit, als<br />
ich morgens voller Elan aus<br />
dem Bett gesprungen bin.<br />
Damals. Mit 4.»<br />
Autor: unbekannt<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Beschimpft, ausgeschlossen, gedemütigt: Mobbing ist für jeden Jugendlichen ein<br />
Trauma – ganz besonders, wenn es online und in den sozialen Netzwerken stattfindet.<br />
Studien belegen, dass jeder vierte Jugendliche schon einmal Opfer von<br />
Cybermobbing wurde. Im Mai startet die Stiftung Elternsein, Herausgeberin<br />
des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi, eine Kampagne gegen die Hetze<br />
im Netz: Unter dem Titel «Wenn Worte weh tun» will die Stiftung Kinder und<br />
Jugendliche dafür sensibilisieren, wie viel Leid sie mit einem abschätzigen<br />
Kommentar, einer beleidigenden Zeile oder einer schnell getippten Drohung<br />
anrichten können. Mehr Infos auf der Stiftungsseite unter elternsein.ch,<br />
Cybermobbing. Wenn Jugendliche im Internet hassen – ab Seite 50.<br />
180 000! In Worten: Hundertachtzigtausend. Fritz+Fränzi hat nun fast so viele<br />
Leserinnen und Leser wie die Weltwoche. Das geht aus der neusten Leserschaftsstudie<br />
Mach Basic der WEMF hervor. Die Studie kennt viele Verlierer – und<br />
einen Gewinner: das Schweizer Eltern Magazin. Satte 17 Prozent mehr<br />
Leserinnen und Leser verzeichnet unser Heft im Zeitraum von September 2015<br />
bis September 2016. Ein beachtlicher Leserzuwachs in<br />
Zeiten, wo Informationen auf Papier immer seltener<br />
konsumiert werden. Wir sind mächtig stolz und danken<br />
Ihnen ganz herzlich für Ihr Vertrauen.<br />
Zwei Drittel aller Eltern sagen, dass sie regelmässig von<br />
Selbstzweifeln geplagt sind, obwohl sie täglich ihr Bestes<br />
geben. Gerade die frühkindliche Erziehung fordert und<br />
verunsichert Väter und Mütter in besonderem Masse. Der<br />
Eintritt in den Kindergarten bedeutet eine Zäsur – für die<br />
Eltern wie für das Kind. Dem wollen wir Rechnung tragen<br />
mit unserem neuen Magazin Kindergarten, das Mitte August erstmals erscheint.<br />
Wir wollen Eltern und ihr Kind begleiten beim Eintritt ins Schulsystem; wir<br />
wollen mithelfen, dass Mütter und Väter sich sicher fühlen und sich dem<br />
gesellschaftlichen Druck nach Perfektion ein bisschen widersetzen können. Dass<br />
sie ein starkes Selbstbild entwickeln und damit auch eine entspanntere Erziehung<br />
praktizieren können. Dass sie erkennen, dass sie nicht perfekt sein müssen,<br />
sondern dass hinreichend gut auch reicht. Bei ihnen und ihren Kindern.<br />
Dieser Ausgabe liegt nach 2015 und 2016 erneut ein Spezialheft zur Berufswahl<br />
bei. Wir kümmern uns auf 68 Seiten um die Auswirkungen der Digitalisierung<br />
auf unsere Arbeitsplätze, zeigen, dass gerade vermeintlich weniger attraktive<br />
Berufe die besten Perspektiven bieten, und begleiten Jugendliche (und ihre<br />
Eltern) auf dem Weg ins Berufsleben.<br />
Herzlichst – Ihr Nik Niethammer<br />
850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org
Inhalt<br />
Ausgabe 5 / Mai <strong>2017</strong><br />
Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />
fritzundfraenzi.ch und<br />
facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Psychologie & Gesellschaft<br />
40 Das mach ich doch mit links!<br />
Früher wurden Linkshänder<br />
umerzogen. Heute plädieren Experten<br />
dafür, auf die Kinder keinen Einfluss<br />
zu nehmen. Extra-Scheren, -Stifte und<br />
-Messer erleichtern das Leben unter<br />
Rechtshändern.<br />
Augmented Reality<br />
Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />
erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und<br />
Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />
10<br />
Dossier: Väter<br />
10 So wichtig und so unterschätzt<br />
Wie bedeutend sind Väter für die<br />
Entwicklung ihrer Kinder? Viel wichtiger,<br />
als sie selbst glauben, sagen Experten.<br />
20 Familie steht an erster Stelle<br />
Moderne Väter wollen heute mehr sein<br />
für ihre Kinder als Brotverdiener, sagt<br />
Familienforscher Wassilios E. Fthenakis.<br />
Bild: Johan Bävman<br />
30 Männer im Hamsterrad<br />
Männerberater Martin Bachmann: Väter<br />
leiden unter einer doppelten Belastung.<br />
32 Jesper Juul<br />
Wie wird man ein guter Vater?<br />
Cover<br />
Unser Titelbild stammt<br />
aus der Fotoreihe<br />
«Swedish Dads»<br />
des schwedischen<br />
Fotografen<br />
Johan Bävma<br />
Bilder: Johan Bävman, Daniel Winkler / 13 Photo, iStockphoto, Carla Kogelmann / De Beeldunie<br />
4
34<br />
66<br />
70<br />
Urs Moser, werden jemals alle Schüler die<br />
gleichen Chancen auf Bildung haben?<br />
Wenn Kinder krank werden, brauchen sie<br />
Liebe und – die richtige Behandlung.<br />
Was es braucht, damit Kinder für andere<br />
Menschen Mitgefühl entwickeln.<br />
Erziehung & Schule<br />
44 Elterngespräche<br />
Wenn Lehrperson und Eltern an einem<br />
Tisch sitzen, treffen oft zwei Welten<br />
aufeinander.<br />
46 Spielend Schreiben lernen<br />
Schriftspiele fördern das Bewusstsein<br />
für unsere Sprache.<br />
70 Herzenswarm<br />
Wie lässt sich Mitgefühl lernen?<br />
Und kann man Kindern Empathie<br />
beibringen? Experten sagen: ja!<br />
Digital & Medial<br />
50 Cybermobbing<br />
Beschimpft, bedroht, ausgelacht:<br />
Mobbing ist für jedes Kind ein Trauma.<br />
Besonders, wenn es online passiert.<br />
60 Reine Konzentrationssache<br />
Um gut lernen zu können, müssen<br />
Kinder sich konzentrieren. So können<br />
Eltern sie dabei unterstützen.<br />
61 Mixed Media<br />
Ernährung & Gesundheit<br />
66 Medikamente für kleine Patienten<br />
Gerade bei Kindern sollten sich Eltern<br />
an die Angaben von Ärzten halten,<br />
sonst droht eine Überdosierung.<br />
Rubriken<br />
03 Editorial<br />
06 Entdecken<br />
34 Monatsinterview<br />
Ob ein Kind aufs Gymnasium kommt,<br />
hängt immer noch von seiner<br />
Herkunft ab, sagt Bildungsexperte<br />
Urs Moser.<br />
42 Fabian Grolimund<br />
Was tun gegen das Gefühl von<br />
ständiger Überforderung?<br />
47 Stiftung Elternsein<br />
Ellen Ringier über die Nähe der<br />
Grosseltern zu ihren Enkeln.<br />
48 Mikael Krogerus<br />
Unser Kolumnist über das<br />
Sommerhaus seiner Träume.<br />
62 Leserbriefe<br />
Service<br />
48 Verlosung<br />
78 Unser Wochenende in ...<br />
… der Region Savognin Bivio Albula<br />
80 Sponsoren/Impressum<br />
81 Buchtipps<br />
82 Eine Frage – drei Meinungen<br />
Die Tochter will nicht Klavier üben –<br />
sollten sie ihre Eltern dazu anhalten?<br />
83 Abo<br />
Die nächste Ausgabe erscheint<br />
am 13. Juni <strong>2017</strong>.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>5
Entdecken<br />
Puh – das stinkt!<br />
Erst ab dem Alter von fünf Jahren<br />
kombinieren Kinder ihre<br />
Seh- und Geruchseindrücke, wie<br />
Forscher aus Triest beobachteten.<br />
Die Kinder schnupperten erst<br />
den Duft von Rosen und<br />
gammeligem Fisch und wählten<br />
dann eines von zwei Gesichtern<br />
auf dem Bildschirm aus. Die<br />
Kleinen bevorzugten stets das<br />
fröhliche Gesicht, die Grösseren<br />
das zum Geruch passende.<br />
3 FRAGEN<br />
an Sarah M. Springman, Rektorin der ETH Zürich<br />
«Kinder sind die geborenen Forscher,<br />
wenn man sie lässt»<br />
Das neue Abenteuer des Schnabelwesens Globi findet in der Hochburg<br />
der Schweizer Wissenschaft und Technik statt: der ETH Zürich. «Globi<br />
und die verrückte Maschine» heisst der 87. Band. Warum Kinder die<br />
begeistert sten Tüftler sind, weiss ETH-Rektorin Sarah M. Springman.<br />
Interview: Claudia Landolt<br />
Frau Springman, Sie sind Ingenieurin und Professorin für Geotechnik.<br />
Wie haben Sie den Zugang zur Wissenschaft gefunden?<br />
Schon als Kind hat mich fasziniert, wie Wasser sich seinen Weg durch die<br />
Landschaft bahnt und wie diese sich anpasst. In den Ferien am Meer<br />
baute ich tagelang grosse Dämme. Noch heute begeistere ich mich für<br />
diese Dinge.<br />
Globis Begleiterin ist die ETH-Professorin Pauline Schrödinger.<br />
Eine Anspielung, mehr Frauen für technische Berufe zu begeistern?<br />
An der ETH werden junge Leute jeglichen Geschlechts hervorragend<br />
ausgebildet. Diversität ist uns wichtig, der Mix der Kulturen, Sprachen<br />
und Disziplinen. Wir sorgen für ein Klima, welches für Kind und Karriere<br />
von Mann und Frau gleichermassen vorteilhaft ist. Deshalb ist uns<br />
Frauenförderung ein Anliegen. Der Frauenanteil unter den Studierenden<br />
macht bereits 30 Prozent aus, und bei den Professuren steigt er stetig<br />
an.<br />
Kinder sind die geborenen Forscher. Was kann man als Eltern tun,<br />
dass Töchter und Söhne diesen Wissensdurst behalten?<br />
Indem man sie machen lässt. Kinder sind wie Globi: daufgängerische<br />
Lausbuben mit Mut, Entdeckungsdrang und kreativen Ideen. An der ETH<br />
wollen wir möglichst viele Kinder für Technik und Naturwissenschaften<br />
begeistern, und das möglichst früh.<br />
Bei Kindern unter 6 Jahren und bei Jugendlichen über<br />
10 Jahren scheint der positive Einfluss von Haustieren<br />
auf das Selbstwertgefühl von Kindern am grössten zu sein.<br />
(Quelle: University of Liverpool)<br />
Die Zeit heilt –<br />
auch Magersucht<br />
Anorexie und Bulimie sind<br />
sehr schwerwiegende<br />
Essstörungen, bei Magersüchtigen<br />
vereinzelt sogar<br />
mit tödlichem Ausgang.<br />
Doch die Prognose auf<br />
Heilung ist nicht ganz so<br />
düster, wie bislang<br />
befürchtet. Forscherinnen<br />
am Massachusetts General<br />
Hospital begleiteten 136<br />
Frauen mit der Diagnose<br />
Anorexie und 110 mit der<br />
Diagnose Bulimie. Nach neun Jahren hatten zwei Drittel der<br />
Bulimikerinnen ihre Krankheit überwunden. Bei den Magersüchtigen<br />
hingegen waren zu diesem Zeitpunkt nur gut 30 Prozent geheilt, doch<br />
auch für die anderen gab es weiterhin Hoffnung. Eine Nachfrage nach<br />
20 Jahren ergab, dass nunmehr auch zwei Drittel der magersüchtigen<br />
Patientinnen gesund waren. Das macht Hoffnung!<br />
Bilder: ZVG, fotolia<br />
6 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
MEHR<br />
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«Man wüsste ja, was zu tun wäre:<br />
Es braucht erschwingliche Krippenplätze,<br />
ein Steuersystem, das den Zweiterwerb<br />
durch die Frau nicht mehr bestraft,<br />
und einen Vaterschaftsurlaub für alle.»<br />
Markus Theunert in einem Online-Beitrag der NZZ<br />
zum Thema Teilzeitarbeit von Müttern und Vätern<br />
Markus Theunert ist Leiter des<br />
Schweizerischen Instituts für Männerund<br />
Geschlechterfragen (SIMG), der<br />
Fachstelle von männer.ch.<br />
Blutsbrüder<br />
Befreundete Kinder beeinflussen<br />
sich gegenseitig darin, wie sie<br />
Gefahren einschätzen und ob diese<br />
ihnen Angst machen. Dies ergab<br />
eine Studie der britischen University<br />
of East Anglia. 242 Schulkindern<br />
wurden Bilder gezeigt sowie<br />
bedrohliche und neutrale Geschichten<br />
vorgelesen. Danach ähnelten<br />
sich Freunde viel mehr darin, wie sie<br />
über Gefahren und Angst dachten,<br />
als nicht miteinander befreundete<br />
Kinder.<br />
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Flucht – wie erklär<br />
ichs meinem Kind?<br />
Souraya lebt wie ein normales Mädchen<br />
in Syrien, bis ihre Heimat durch den Krieg<br />
verwüstet wird. Zusammen mit ihrer<br />
Familie beginnt ihre gefährliche Flucht …<br />
Entstanden ist das liebevoll gestaltete<br />
Kinderbuch «Warum Souraya ihre Heimat<br />
verlassen musste» auf Wunsch verschiedener<br />
Lehrpersonen. Diese waren auf der<br />
Suche nach passendem Lehrmaterial zum<br />
Thema Migration und Flucht. Es soll Kindern<br />
zwischen acht und elf Jahren dieses<br />
anspruchsvolle Thema anschaulich und<br />
kindgerecht nahebringen. Der gesamte<br />
Erlös kommt dem Verein «StrickWärme –<br />
hilft Menschen auf der Flucht» zugute.<br />
«Warum Souraya ihre Heimat verlassen<br />
musste», 35 Franken, zu bestellen auf:<br />
www.strickwaerme.ch<br />
Bilder: ZVG<br />
8 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
© UBS <strong>2017</strong>. Alle Rechte vorbehalten.<br />
Es geht um viel<br />
mehr als den Sieg.<br />
Grosse Emotionen am UBS Kids Cup erleben.<br />
ubs.com/kidscup<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>9
Dossier<br />
Kinder sind Frauensache. Das glaubten bis<br />
vor Kurzem auch die meisten Wissenschaftler.<br />
Doch seit einigen Jahren geraten zusehends<br />
die Männer in den Fokus der Forscher. Väter sind<br />
offenbar viel wichtiger für die Entwicklung<br />
eines Kindes als lange Zeit vermutet.<br />
Text: Jochen Metzger<br />
Bilder: Johan Bävman und Fabian Unternaehrer / 13 Photo<br />
Bilder: Johan Bävman
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>11
Dossier<br />
Die meisten Bilder zu diesem Dossier<br />
stammen aus der wunderbaren Fotoarbeit<br />
«Swedish Dads» von Johan Bävman<br />
(www.johanbavman.se). Die Schweizer<br />
Väter und ihre Kinder hat der Berner<br />
Fotograf Fabian Unternaehrer porträtiert.<br />
Im Juni 2016 geschah etwas<br />
Merkwürdiges. Wissenschaftler<br />
aus der ganzen Welt hatten<br />
einen Flug nach Detroit ge <br />
bucht, um dort den Bus Richtung<br />
Westen zu besteigen. Nach<br />
einer Stunde erreichten sie ein<br />
schmuckes Uni-Städtchen namens<br />
Ann Arbor. «Wir hatten hier zum<br />
ersten Mal die führenden Leute aus<br />
der Väterforschung beisammen»,<br />
erzählt Brenda Volling, Psychologieprofessorin<br />
an der University of<br />
Michigan. Seit mehr als 30 Jahren<br />
untersucht sie, was die Väter anders<br />
machen als die Mütter, wie sie mit<br />
ihren Kindern spielen – und wie<br />
wichtig sie für die Entwicklung ihrer<br />
Töchter und Söhne sind. «Anfangs<br />
hat mich kaum einer von den Kollegen<br />
ernst genommen», erzählt Brenda<br />
Volling. «Die komplette Forschung<br />
drehte sich nur um die<br />
Mütter.»<br />
Doch die Welt hat sich verändert.<br />
Für Familienpsychologen – und für<br />
die Familien selbst. Ge meinsam mit<br />
ihrer schwangeren Partnerin erleben<br />
heute die meisten Männer den<br />
Moment, in dem das Bild ihres Kindes<br />
zum ersten Mal auf dem Monitor<br />
eines Ultraschallgeräts erscheint.<br />
Im Kreisssaal hören sie den ersten<br />
Schrei, mit dem ihr Neugeborenes<br />
die Welt begrüsst. Sie wickeln, sie<br />
füttern, sie trösten, sie spielen.<br />
Noch vor wenigen Jahrzehnten<br />
war all das die Ausnahme. Inzwischen<br />
geschieht es mit der allergrössten<br />
Selbstverständlichkeit –<br />
unsere Gesellschaft hat die Rolle des<br />
Vaters vollkommen neu definiert.<br />
Aber was heisst es heute, ein «guter<br />
Vater» zu sein? Immer neue wissenschaftliche<br />
Studien geben darauf<br />
überraschende Antworten. Und<br />
auch die Vernetzung zwischen den<br />
Wissenschaftlern wird zunehmend<br />
besser. So haben Forscher aus der<br />
Schweiz, aus Österreich und<br />
Deutschland ein eigenes Netzwerk<br />
namens CENOF gegründet. Die<br />
Abkürzung steht für «Central European<br />
Network on Fatherhood».<br />
Es ist kein Zufall, dass sich die<br />
deutschsprachige Gruppe einen<br />
englischen Namen gegeben hat:<br />
Väterforschung ist längst zu einem<br />
internationalen, weltweiten Projekt<br />
geworden. Noch ist es reine Grundlagenforschung,<br />
was in den Fachjournalen<br />
erscheint. Doch ein paar<br />
Erkenntnisse der Wissenschaft können<br />
Eltern schon heute sehr konkret<br />
in ihren Alltag mitnehmen.<br />
So bestreitet heute kaum noch ein<br />
Psychologe, dass Kinder von ihren<br />
Vätern in einem unglaublichen Masse<br />
profitieren. Doch die Daten be <br />
leuchten auch eine komplett andere<br />
Seite des Familiensystems: Väter<br />
sehen sich selbst oftmals noch als<br />
Bezugsperson zweiter Klasse, als<br />
eine Art Aushilfs-Babysitter<br />
Väter sehen sich selbst oftmals<br />
noch als Bezugsperson zweiter<br />
Klasse, als Aushilfs-Babysitter. >>><br />
Bild: Johan Bävman<br />
12
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>13
Dossier<br />
14 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Bild: Fabian Unternährer / 13 Photo<br />
Gute Väter trösten, gute Väter<br />
spielen, gute Väter helfen – gute<br />
Väter kümmern sich.<br />
>>> für die Zeiten, in denen Mama<br />
gerade nicht kann. «Die Väter haben<br />
noch immer nicht bemerkt, wie<br />
wichtig sie sind. Das ist unsere entscheidende<br />
Botschaft als Forschergruppe»,<br />
sagt Brenda Volling.<br />
Mehrere Studien zeigen inzwischen,<br />
was geschieht, wenn Väter<br />
sich selbst und ihre Aufgabe als<br />
Bezugsperson für die Kinder ernst<br />
nehmen. Wenn sie sich «gemeint»<br />
und verantwortlich fühlen, sobald<br />
ihr Baby schreit, sobald es später im<br />
Kindergartenalter «Zirkusdirektor»<br />
oder «Teegesellschaft» spielen will,<br />
sobald es als Schulkind Hilfe bei den<br />
Hausaufgaben braucht.<br />
Gute Väter trösten, gute Väter<br />
spielen, gute Väter helfen – gute<br />
Väter kümmern sich. Und wenn sie<br />
das tun, dann setzen sie für sich<br />
selbst und für die ganze Familie<br />
etwas in Gang, was die Emotionspsychologin<br />
Barbara Fredrickson als<br />
«Aufwärtsspirale des Aufblühens»<br />
bezeichnet. Sie senken den Stresspegel<br />
ihrer Partnerin, sie festigen die<br />
Bindung zu ihrem Kind, sie erleben<br />
sich selbst als wirkungsmächtiger<br />
und zufriedener, sie verbessern die<br />
Beziehung zu ihrer Partnerin. Die<br />
ganze Familie profitiert davon.<br />
Sechs verschiedene Grundsätze<br />
bündeln die Erkenntnisse der aktuellen<br />
Forschung. Nicht alle klingen<br />
besonders neu oder revolutionär.<br />
Doch sie erklären, warum die >>><br />
«In Erziehungsfragen<br />
vertraue ich auf<br />
meinen gesunden<br />
Menschenverstand»<br />
In der Familie von Philippe Klemenz,<br />
46, TV-Journalist aus Zollikerberg<br />
ZH, herrschen klare Regeln. Der<br />
Vater von Rémy, 12, und Camille,<br />
8, findet: Authentizität und Liebe<br />
schweissen uns zusammen.<br />
Aufgezeichnet von Martina Bortolani<br />
«In Erziehungsfragen tausche ich mich<br />
selten mit anderen Vätern aus – ich regle<br />
das weitgehend im Selbstgespräch oder im<br />
Austausch mit meiner Frau. Und vertraue<br />
auf meinen gesunden Menschenverstand.<br />
Erziehungsfragen sind heikle, sehr private<br />
Themen, und jeder soll es so machen, wie<br />
er es richtig findet.<br />
Ich richte mich nach dem französischen<br />
Erziehungsstil. Trotz viel Zuneigung<br />
und Aufmerksamkeit herrscht bei uns zu<br />
Hause keine Basisdemokratie. Ein Nein<br />
ist ein Nein. Es gibt Erwachsenen- und<br />
Kinderzonen, Elternzeit, Kinderzeit. Wenn<br />
wir Besuch empfangen, essen die Kids vor<br />
uns und ziehen sich dann in ihre Zimmer<br />
zurück. Bei uns liegen auch selten Spielsachen<br />
im Wohnzimmer herum, dafür<br />
haben Rémy und Camille liebevoll eingerichtete,<br />
eigene Zimmer.<br />
Meine Frau und ich wollten unser Leben<br />
als Erwachsene nie an der Garderobe des<br />
Kreisssaals abgeben. Ich sehe es nicht als<br />
meine Aufgabe als Vater, die Kinder die<br />
ganze Zeit zu bespassen. Meines Erachtens<br />
kommen unsere Kinder mit diesen klaren<br />
Regeln gut zurecht und haben darum auch<br />
früh gelernt, selbständig zu sein.<br />
Mit der Selbständigkeit wächst das Vertrauen<br />
der Kinder in ihre eigenen Fähig -<br />
keiten. Aktuelles Beispiel: Rémy, Sechstklässler,<br />
wollte sich unbedingt für die<br />
Aufnahmeprüfung ans Gymi anmelden. Wir<br />
haben ihn unterstützt in diesem Wunsch,<br />
aber verlangt, dass er sich weitgehend<br />
selbst darauf vorbereitet. Das hat er – und<br />
hat bestanden!<br />
Ein spannender Ansatz bei der Erziehung<br />
ist für mich der Humor. Die Ironie, der<br />
Schalk. Wunderbare Instrumente für mehr<br />
Elastizität im Zusammenleben. Das habe<br />
ich selber in der Pfadi gelernt. Dort haben<br />
wir schon als Backfische geübt, schwierige<br />
Situationen zunächst einmal mit Humor zu<br />
betrachten. Eine Fähigkeit, die mir jetzt als<br />
Vater hilft. Ich konnte so unsere Kinder früh<br />
darauf sensibilisieren, die vielen feinen Zwischentöne<br />
herauszuhören.<br />
Apropos Töne: Tanzen und Musik sind bei<br />
uns Formen der Kommunikation. Gerade<br />
wenn wir angespannt sind oder uns mal auf<br />
die Nerven gehen. Dann heisst es: Pump<br />
up the volume! Manchmal tanzen wir am<br />
Samstagmorgen alle in der Wohnung<br />
herum, um uns in eine gute Wochenendlaune<br />
zu versetzen. Es ist rührend, zu sehen,<br />
dass die Kinder ihren Gefühlen freien Lauf<br />
lassen können. Das leben wir ihnen vor.<br />
Authentizität schweisst uns zusammen.<br />
Und natürlich die Liebe.»<br />
15
Dossier<br />
>>> allermeisten Väter mit dem,<br />
was sie tun, genau auf dem richtigen<br />
Weg sind.<br />
1. Gute Väter sind gute Partner<br />
Traditionell haben Psychologen den<br />
Vätern eher eine Nebenrolle zugeschrieben.<br />
Die Geschichte ging so:<br />
Das Kind braucht in den ersten<br />
Lebensjahren vor allem eine sichere,<br />
vertrauensvolle, geborgene Bindung<br />
an einen Erwachsenen. So kann sich<br />
das Kindergehirn optimal entwickeln,<br />
so wird alles gut. «Tatsächlich<br />
ist die Bindungstheorie noch immer<br />
unser wichtigstes Werkzeug», sagt<br />
Brenda Volling. «Und ich glaube<br />
nicht, dass man sich von ihr abwenden<br />
sollte. Niemand wird bestreiten,<br />
dass diese erste Beziehung die<br />
Grundlage ist, auf der Kinder ihr<br />
Leben aufbauen.» Diese «erste Beziehung»<br />
scheint auf naturgegebene<br />
Weise die Beziehung zur Mutter zu<br />
sein. Klar: In ihrem Bauch wächst<br />
das Kind heran. Aus ihr wird es<br />
geboren. Von ihr wird es gestillt. Sie<br />
gibt dem Kind die Geborgenheit, die<br />
es braucht.<br />
Der Vater – so die traditionelle<br />
Aussage der Bindungstheorie – soll<br />
seine Partnerin unterstützen, wo er<br />
kann, und ihr das Leben leichter<br />
machen. «Ich kenne nicht eine einzige<br />
Studie, in der eine gute Paarbeziehung<br />
schlecht für das Kind gewesen<br />
wäre», sagt Brenda Volling.<br />
«Aber ich kenne viele Untersuchungen,<br />
die eine eindeutig schlechte<br />
Auswirkung auf die Kinder belegen,<br />
wenn die Eltern sich häufig streiten,<br />
wenn sie einander anschreien oder<br />
die Autorität des anderen untergraben.<br />
Die Kinder überfordert das, sie<br />
Der Vater soll seine<br />
Partnerin unterstützen,<br />
wo er kann, und ihr<br />
das Leben leichter machen.<br />
können nicht gut damit umgehen.»<br />
Gute Väter sind gute Partner – oder<br />
versuchen zumindest, gute Partner<br />
zu sein.<br />
Allerdings erfuhr die Bindungstheorie<br />
letzthin einige überraschende<br />
Erweiterungen. Forscher aus Israel<br />
haben untersucht, was geschieht,<br />
wenn nicht die Mutter, sondern der<br />
Vater zur ersten Bezugsperson eines<br />
kleinen Kindes wird. Die Ergebnisse<br />
waren eine Sensation: Die Väter<br />
zeigten dasselbe sensible und aufmerksame<br />
Verhalten, das man sonst<br />
bei Müttern beobachten kann. Im<br />
Gehirn ereignen sich Aktivierungsmuster,<br />
die eher für Mütter typisch<br />
sind, besonders in jenen Arealen, in<br />
denen Emotionen verarbeitet werden.<br />
Sogar der Hormonhaushalt der<br />
Väter veränderte sich.<br />
Die Psychobiologin Ulrike Ehlert<br />
von der Universität Zürich hat schon<br />
vor einigen Jahren herausgefunden,<br />
dass Väter kleiner Kinder häufig<br />
einen auffällig niedrigen Testosteronspiegel<br />
haben und dadurch vermutlich<br />
geduldiger mit ihren Kindern<br />
umgehen. Nun zeigt sich, dass<br />
auch die Produktion des Kuschelhormons<br />
Oxytocin bei Vätern<br />
schwankt: Sie geht auf ähnliche Weise<br />
in die Höhe wie bei jungen Müttern.<br />
Sogar ein Hormon namens<br />
Prolaktin wird in der Übergangsphase<br />
zur Vaterschaft vermehrt ausgeschüttet<br />
– bei den Müttern regt es<br />
die Milchproduktion an. Bei einigen<br />
Tieren sorgt Vater-Prolaktin für ein<br />
grösseres Engagement bei der Aufzucht<br />
der Jungen. Welche Funktion<br />
es bei Menschenvätern erfüllt, wird<br />
derzeit von Anthropologen an der<br />
University of Notre Dame in den<br />
USA untersucht.<br />
All diese Ergebnisse «legen den<br />
Schluss nahe, dass die Evolution<br />
noch andere Wege zur guten Elternschaft<br />
kennt als den alten Pfad über<br />
Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit,<br />
der allein den Frauen vorbehalten<br />
ist», schreibt der israelische<br />
Hirnforscher Eyal Abraham. Mit<br />
anderen Worten: Wenn ein >>><br />
Bild: Johan Bävman<br />
16
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>17
Dossier<br />
«Ich lasse meine<br />
Kinder nicht im Stich.<br />
Niemals!»<br />
Indika, 46, ist Automechaniker mit<br />
eigener Garage in Höri ZH. Seinen<br />
Söhnen Kai, 18, und Yanik, 16, bringt<br />
er bei, dass es sich lohnt, Dinge zu<br />
hinterfragen.<br />
Aufgezeichnet von Martina Bortolani<br />
«Eigentlich ist es ganz einfach mit dem<br />
Elternsein: Man darf die Kinder nicht im<br />
Stich lassen. Nie. Egal, was sie tun, man<br />
hat eine Pflicht, hinter ihnen zu stehen. Ich<br />
halte mich als Vater sehr streng an diesen<br />
Grundsatz.<br />
Es ist mir aber klar, dass meine Rolle für<br />
die Jungs immer ‹uninteressanter› wird und<br />
ich sie gehen lassen muss. Das fällt mir<br />
manchmal schwer, ich bin fürsorglich und<br />
habe die Zeit, als sie klein waren, genossen.<br />
Doch je älter sie werden, desto weniger<br />
brauchen sie mich. Das ist gut für sie und<br />
schlecht für die Eltern.<br />
Wir haben unsere beiden Söhne immer<br />
ziemlich verhätschelt. Meine Frau war zu<br />
Hause mit den kleinen Kindern, und ich<br />
habe in der Garage gearbeitet. Heute gehen<br />
beide ins Gymi. Kai, der Ältere, ist gerade an<br />
der Matur. Yanik macht den Abschluss in<br />
vier Jahren. Wenn sie zu Hause sind, lernen<br />
sie oft, und die gemeinsamen Stunden<br />
sind rar, aber schön. Ich sehe die Kids vorwiegend<br />
am Wochenende.<br />
Kai und Yanik konnte ich bis anhin beibringen,<br />
dass es sich lohnt, Dinge zu hinterfragen.<br />
Sich für andere Menschen und<br />
Politik zu interessieren. Und über Arm<br />
und Reich nachzudenken. Das bedeutet<br />
für mich auch, dass sie verstehen, warum<br />
ich Automechaniker geworden bin: weil<br />
ich diesen Beruf gern habe. Und nicht,<br />
weil es mir für einen akademischen Titel<br />
nicht gereicht hätte. Weder Kai noch Yanik<br />
haben ein handwerkliches Flair, beide sind<br />
Kopfmenschen. Es macht mich stolz, zu<br />
18 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Bild: Fabian Unternährer / 13 Photo<br />
Wenn ein Vater will und<br />
die Gelegenheit dazu<br />
bekommt, kann er<br />
tatsächlich so etwas sein<br />
wie eine tolle Mutter.<br />
>>> Vater will und die Gelegenheit<br />
dazu bekommt, dann kann er<br />
tatsächlich so etwas sein wie eine<br />
tolle Mutter.<br />
2. Gute Väter raufen<br />
Die zweite und womöglich wichtigere<br />
Erweiterung der Bindungstheorie<br />
zielt jedoch in eine andere Richtung.<br />
Sie achtet nicht nur auf die<br />
Sicherheit und Geborgenheit der<br />
Kinder, sondern auf ihre Aktivierung,<br />
ihren Mut, ihren Forschergeist,<br />
ihren Wunsch, die Welt zu<br />
beobachten, wie dezidiert ihre Ansichten<br />
mittlerweile sind. Wir führen oft intensive<br />
Diskussionen, die ich anregend finde.<br />
Dampf lassen sie raus, wenn sie Fussball<br />
oder Badminton spielen. Das tun wir<br />
manchmal auch zusammen.<br />
Meine Wurzeln sind in Sri Lanka. Ich<br />
wuchs in einer Lehrerfamilie mit vielen<br />
Geschwistern auf. Uns ging es verhältnismässig<br />
gut, aber das war nicht selbstverständlich.<br />
Darum predige ich den Kindern<br />
auch gerne, bescheiden zu sein. Mein Vater<br />
war ein Lebemann, meine Mutter eine stille<br />
«Chrampferin». Ich bin mehr wie sie. Ich<br />
gönne mir auch nicht so viel, probiere aber,<br />
mir meine Wünsche zu erfüllen. Im Moment<br />
interessiere ich mich sehr für Fotografie<br />
und belege auch Kurse. Yanik findet das<br />
cool. Manchmal sitzen meine Frau und ich<br />
mit Kai und Yanik am Tisch und schmieden<br />
Pläne für eine lange gemeinsame Reise.<br />
Das ist einer meiner grössten Wünsche.<br />
Es wäre schön, wenn wir ihn verwirklichen<br />
könnten. Wir werden sehen.»<br />
erobern. «Väter tendieren dazu, auf<br />
eine andere Art mit ihren Kindern<br />
zu spielen», sagt Brenda Volling. «Sie<br />
spielen tendenziell körperlicher. Und<br />
lange Zeit hat die Forschung überhaupt<br />
nicht verstanden, wie wichtig<br />
dieses eher körperliche Spiel für die<br />
Entwicklung der Kinder ist.»<br />
Besonders Forscherteams aus<br />
Kanada und Australien beschäftigen<br />
sich seit einiger Zeit mit Rauf- und<br />
Kampfspielen von Vätern und Kindern.<br />
Die ersten Grunderkenntnisse<br />
dieser jungen Forschungsrichtung<br />
stammen übrigens aus der Beobachtung<br />
re den Schwächeren manchmal ge -<br />
winnen lässt – und damit signalisiert,<br />
dass alles nur ein grosser Spass ist.<br />
Gute Väter verlieren also manchmal<br />
und ermutigen ihre Kinder dadurch,<br />
sich anzustrengen. Aber meistens<br />
gewinnen sie. Tatsächlich verschwinden<br />
die guten Konsequenzen<br />
der Toberei, sobald man den Kindern<br />
immer den Sieg schenkt. Die<br />
beste Formel für gutes Raufen<br />
stammt vom australischen Väterforscher<br />
Richard Fletcher. Sie lautet:<br />
«Ich bin viel stärker als du. Und ich<br />
hab dich sehr lieb.»<br />
von Tieren. So fand man her-<br />
aus, dass Ratten einen Teil ihrer<br />
Sozialkompetenz den spielerischen<br />
Ringkämpfen ihrer Kindheit verdanken<br />
und dass sie Probleme besser<br />
lösen, wenn sie sich als Jungtiere<br />
ausgiebig balgen dürfen.<br />
Natürlich sind Menschen keine<br />
Ratten. Wir raufen anders als andere<br />
Säugetiere – und die Eltern spielen<br />
bei uns eine viel grössere Rolle.<br />
Menschenkinder lernen eine Menge<br />
fürs Leben, wenn sie regelmässig mit<br />
ihren Vätern toben. Sie werden<br />
selbstbewusster und können besser<br />
mit Rückschlägen umgehen, sich<br />
besser in der Schule konzentrieren,<br />
ihre Gefühle besser regulieren. Eine<br />
australische Studie aus dem Jahr<br />
2016 beschreibt sogar, dass Kinder,<br />
die häufig mit Papa raufen, besser<br />
auf ihren Körper achtgeben und seltener<br />
mit Verletzungen nach Hause<br />
kommen. Sie haben beim Toben<br />
offenbar gelernt, ihre eigenen Grenzen<br />
einzuschätzen, etwa beim sogenannten<br />
«Sockenspiel». Dabei versucht<br />
man, dem anderen eine Socke<br />
auszuziehen, ohne die eigene zu<br />
verlieren.<br />
Soll man sein Kind dabei gewinnen<br />
lassen? Manchmal ja und<br />
manchmal nein. Die meisten Forscher<br />
sind überzeugt: Kinder sehnen<br />
sich danach, zu spüren, wie stark<br />
Papa ist, wie gut er die Familie be -<br />
schützen kann. Andererseits kann<br />
man bei den Kampfspielen aller Säugetiere<br />
3. Gute Väter lesen vor und fragen<br />
nach<br />
Dass Väter gerne toben, ist keine<br />
Überraschung. Doch wie steht es mit<br />
ihrem Einfluss auf die sprachliche<br />
Entwicklung der Kinder? Man weiss,<br />
dass Frauen im Durchschnitt die<br />
besseren kommunikativen Fähigkeiten<br />
besitzen. Worte, Bücher, Vorlesen<br />
– all das scheint deshalb eher<br />
Muttersache zu sein. Doch auch hier<br />
haben Forscher den Einfluss der<br />
Väter lange unterschätzt. Kinder profitieren<br />
enorm davon, wenn ihre<br />
Eltern ihnen regelmässig vorlesen.<br />
Langfristig werden sie zu besseren<br />
Lesern; sie werden besser in Mathe;<br />
sie können sich besser konzentrieren;<br />
sie zeigen weniger Verhaltensauffälligkeiten.<br />
So steht es etwa in einer Studie<br />
der University of North Carolina,<br />
die dafür mehr als 5000 amerikanische<br />
Familien untersucht hat. Der<br />
Beitrag der Väter fiel dabei kleiner<br />
aus als der der Mütter. Sie lesen im<br />
Durchschnitt weniger vor – weil sie<br />
spät von der Arbeit nach Hause<br />
kommen, weil ihnen das Lesen kein<br />
Vergnügen bereitet oder weil sie<br />
glauben, es schlechter zu machen als<br />
ihre Partnerin.<br />
Die Arbeiten der Psychologin<br />
Natasha Cabrera von der University<br />
of Maryland haben jedoch gezeigt:<br />
Sobald Väter regelmässig vorlesen<br />
und das gerne tun, ist ihr Beitrag für<br />
beobachten, dass der Stärke- die Entwicklung der Kinder<br />
>>><br />
19
Dossier<br />
>>> sogar noch grösser als der,<br />
den mütterliches Vorlesen erzielt.<br />
Auch wenn sie mit ihren Kindern<br />
diskutieren, tun Väter das anders; sie<br />
fragen häufiger nach, weil sie das<br />
Kind nicht genau verstanden haben.<br />
Der Wortschatz der Kinder wächst<br />
dadurch in erstaunlichem Masse.<br />
Forscher glauben: Väter wirken<br />
durch ihre Nachfragen wie eine<br />
«Brücke» hinaus in die Welt. Mag<br />
sein, dass Mama den Kindern jeden<br />
Wunsch von den Lippen abliest.<br />
Dem Rest der Welt muss man aber<br />
erklären, was man möchte – und die<br />
Gespräche mit Papa sind dafür das<br />
beste Trainingslager.<br />
4. Gute Väter trösten – so gut es<br />
geht<br />
Manche Dinge können Mütter in<br />
den meisten Gesellschaften >>><br />
«Glückliche Paare<br />
haben glückliche<br />
Kinder»<br />
Die meisten Väter arbeiten noch<br />
immer Vollzeit. Drücken sie sich vor<br />
ihrer Verantwortung? Väterforscher<br />
Wassilios Fthenakis kommt in seinen<br />
Studien zu einer völlig anderen<br />
Antwort.<br />
Interview: Jochen Metzger<br />
Herr Fthenakis, Sie haben vor einigen<br />
Jahren das Selbstbild der Väter untersucht.<br />
Auftraggeber war das deutsche Familienministerium.<br />
Wie sehen sich die Väter<br />
denn?<br />
Etliche Forscher haben immer wieder<br />
gefragt: Wie viele Stunden verbringt der<br />
Bild: Johan Bävman<br />
Vater mit den Kindern? Welche Aufgaben<br />
übernimmt er in der Familie? Von welcher<br />
Qualität ist die Vater-Kind-Beziehung? Mich<br />
hat dagegen das Idealbild, die subjektive<br />
Konstruktion von Vaterschaft interessiert,<br />
das Vaterschaftskonzept aus der Sicht<br />
der Väter und der Mütter. Und da habe ich<br />
mit meiner Kollegin Beate Minsel in der<br />
Tat etwas Überraschendes festgestellt:<br />
Zwei Drittel der Männer zwischen 22 und<br />
45 Jahren definieren sich selbst im Sinne<br />
einer sozialen Vaterschaft. Das heisst:<br />
Nicht mehr das Brotverdienen steht an<br />
erster Stelle, sondern das Interesse an und<br />
die Beschäftigung mit den Kindern und der<br />
Familie. Das war ein völlig neuer Befund, den<br />
man bis dahin in dieser Form nicht kannte.<br />
Nur 33 Prozent haben das traditionelle Bild<br />
von Vaterschaft vertreten – nämlich das als<br />
Brotverdiener.<br />
Dieses Vaterschaftskonzept entsteht,<br />
sobald sie Väter werden?<br />
Nein, das beginnt schon deutlich früher.<br />
Dieses Idealbild von der sozialen Vaterschaft<br />
findet man bereits bei jungen Männern<br />
Anfang 20, die noch gar keine Kinder haben.<br />
Es entwickelt sich also sehr früh und bleibt<br />
dann im weiteren Familienverlauf bestehen.<br />
Woher wissen Sie das so genau?<br />
Weil wir Väter in unterschiedlichen Lebensphasen<br />
befragt haben. Was denken die<br />
jungen Männer darüber? Was passiert, wenn<br />
die Partnerin schwanger wird? Wie sieht das<br />
Selbstbild der Väter ein paar Monate nach<br />
der Geburt des ersten Kindes aus? Wie hat<br />
es sich verändert, wenn das Kind den Kindergarten<br />
besucht? Wenn es eingeschult<br />
wird? Wenn es in die Pubertät kommt? Wir<br />
haben uns also die Wendepunkte im Leben<br />
der Väter angesehen. Das verblüffende Er -<br />
gebnis: Die Antwort auf die Frage, wie ein<br />
Vater sein soll, wird durch die gemachten<br />
Erfahrungen in der Vaterschaft kaum verändert.<br />
Was erwarten denn die Frauen von ihren<br />
Partnern?<br />
Auch das hat uns überrascht: Die Frauen<br />
waren mit den Männern einer Meinung. Die<br />
meisten hatten das Idealbild einer sozialen<br />
Vaterschaft – nur ein Drittel der Frauen<br />
20 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
vertrat ein traditionelles Ideal und sah ihren<br />
Partner in erster Linie als Brotverdiener.<br />
Wie gut passt das väterliche Ideal zu dem,<br />
was in den Familien tatsächlich passiert?<br />
Da sehen wir, dass das Selbstbild in keiner<br />
Weise mit der Realität übereinstimmt. Väter<br />
und Mütter sagen zwar: Wir wollen beide<br />
für die Kinder da sein. Wenn dann aber das<br />
erste Kind geboren wird, geht der Vater<br />
weiter arbeiten – und zwar in Vollzeit, nicht<br />
selten mit Überstunden.<br />
In der Schweiz gilt das für mehr als<br />
80 Prozent aller Väter, deren Kinder 14<br />
oder jünger sind. Das sagen die aktuellen<br />
Zahlen des Bundesamtes für Statistik.<br />
Gleichzeitig kann man sehen, dass die<br />
Mutter oft für viele Jahre aus dem Berufsleben<br />
ausscheidet. Mit der Geburt des<br />
ersten Kindes kommt es also zu einer Traditionalisierung<br />
des Familienmodells. Dafür<br />
gibt es einen einfachen Grund: Der Mann<br />
verdient meist mehr als die Frau – deshalb<br />
entscheiden sich beide übereinstimmend<br />
dafür, dass er sich stärker im Job engagiert<br />
und sie zu Hause bleibt. Danach kommen<br />
die meisten Paare kaum noch aus dieser<br />
Traditionalisierung heraus. Das verschärft<br />
sich sogar noch, wenn das Paar weitere<br />
Kinder bekommt. Die Bereitstellung von<br />
Betreuungsangeboten für die Kinder kann<br />
helfen, diese Traditionalisierung zu überwinden.<br />
Der Mann verdient das Geld, die Frau kümmert<br />
sich um den Haushalt und die Kinder<br />
– dieses Modell hat über viele Generationen<br />
funktioniert. Was soll daran schlecht<br />
sein?<br />
Es macht die Frauen unzufrieden, vor allem<br />
jene, die eigentlich gut ausgebildet sind<br />
und weiterarbeiten wollen, aber wegen der<br />
Kinder zu Hause bleiben. Diese Gruppe war<br />
in unseren Untersuchungen besonders<br />
unglücklich.<br />
Die Männer haben damit kein Problem?<br />
Doch, natürlich. Die Väter erleben denselben<br />
inneren Konflikt, den man von berufstätigen<br />
Müttern kennt. Es fällt ihnen schwer, Beruf<br />
und Familie zu vereinbaren. Das gilt für mehr<br />
als ein Drittel der Väter. Neuere Studien<br />
bestätigen diesen Befund.<br />
Welchen Einfluss hat das für Familie und<br />
Partnerschaft?<br />
Wir haben darin die wichtigste Quelle für<br />
Probleme innerhalb der Elternbeziehung<br />
entdeckt. Wenn ein Mann ein egalitäres<br />
Selbstbild vertritt, Beruf und Familie vereinbaren<br />
möchte, seine Frau aber zu Hause<br />
bleibt und ein eher konservatives Konzept<br />
vertritt, dann kann man sehen, dass da <br />
durch das Wohlbefinden des Mannes beeinträchtigt<br />
wird, Konflikte in der Partnerschaft<br />
entstehen und seine Akzeptanz und Wertschätzung<br />
gegenüber der Frau leidet. Dies<br />
erfolgt aber nicht in gleicher Weise, wenn<br />
die Frau ebenfalls egalitär ausgerichtet ist.<br />
Wie bewusst ist den Vätern ihr eigenes<br />
Selbstbild?<br />
Das ist unterschiedlich. Es gibt eine Gruppe<br />
von Männern, die das reflektieren. Die<br />
meisten erleben es jedoch unbewusst. Sie<br />
kommen in eine diffuse Situation hinein, in<br />
der sie sich irgendwie unwohl fühlen. Aber<br />
sie können sich nicht rational erklären,<br />
woran das eigentlich liegt.<br />
Sie sagen: Wenn Vater und Mutter<br />
unterschiedliche Idealvorstellungen von<br />
Vaterschaft haben, ergeben sich Konflikte.<br />
Was raten Sie Vätern konkret?<br />
Ein guter Vater sollte sehr viel Zeit und<br />
Energie in die Qualität seiner Partnerschaft<br />
investieren. Wie gut er und seine Partnerin<br />
sich verstehen, ihre Beziehung auf gegenseitige<br />
Wertschätzung aufbauen – das sind<br />
die Dimensionen mit der stärksten Vorhersagekraft<br />
für die Entwicklung der Kinder.<br />
Vereinfacht gesagt: Glückliche Paare sind<br />
in der Regel auch gute Eltern.<br />
Apropos Kinder: Wie sehr leiden die Kinder<br />
darunter, wenn ihr Papa den ganzen Tag bei<br />
der Arbeit ist?<br />
Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, dass<br />
es nur auf die Anzahl der gemeinsam verbrachten<br />
Stunden ankäme. Wir sehen in<br />
unseren Studien, dass die Qualität der<br />
Begegnungen viel wichtiger ist. Die Väter<br />
kommen abends nach Hause und widmen<br />
sich ihren Kindern. Die gemeinsame Zeit<br />
findet also in einem entspannten Zusammenhang<br />
statt. Und die Väter nutzen diese<br />
Zeit meistens sehr intensiv. Ausserdem<br />
gibt es viele Möglichkeiten, den Kindern<br />
zu signalisieren, dass man an sie denkt.<br />
Auch wenn man unterwegs ist.<br />
Einige Väter gehen bewusst in Teilzeit<br />
oder bleiben komplett zu Hause. Ist es für<br />
die Kinder eigentlich egal, ob Vater oder<br />
Mutter ihre erste Bezugsperson ist?<br />
Darauf gibt es zwei Antworten. Die eine<br />
lautet: Wenn man die Kompetenzen von<br />
Vätern und Müttern untersucht, findet man<br />
viel mehr Übereinstimmungen als Unterschiede.<br />
Beide sind von Anfang an gleich<br />
geeignet, Kinder zu erziehen.<br />
Und die zweite Antwort?<br />
Männer führen einen Haushalt anders, als<br />
Frauen das tun. Frauen fühlen sich alleine<br />
für alles verantwortlich. Sie delegieren<br />
wenig, kontrollieren aber stark, ob das, was<br />
sie delegiert haben, umgesetzt wird. Und<br />
sie setzen die Standards relativ hoch. Die<br />
Männer auf der anderen Seite betrachten<br />
den Haushalt als gemeinsame Aufgabe der<br />
Familie. Sie delegieren mehr an die Kinder,<br />
sie setzen die Standards nicht hoch und<br />
kontrollieren nicht viel. Anders gesagt:<br />
Väter lassen mehr Freiräume. Und das<br />
fördert die Autonomie der Kinder.<br />
Zur Person<br />
Wassilios E. Fthenakis ist in Griechenland<br />
geboren. Er leitete das Staatsinstitut für<br />
Frühpädagogik in München und war Inhaber<br />
des Lehrstuhls für Entwicklungspsychologie<br />
u. a. an der Freien Universität Bozen, Italien.<br />
Bis heute gilt er als der einflussreichste<br />
Väterforscher im deutschsprachigen Raum.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>21
Dossier<br />
22 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Bild: Johan Bävman<br />
Heute kuscheln mehr als 84<br />
Prozent der Väter mit ihren<br />
Kindern und stellen darüber<br />
eine körperliche Nähe her.<br />
Literatur<br />
• Wassilios E. Fthenakis u. a.: Engagierte<br />
Vaterschaft. Die sanfte Revolution in der<br />
Familie. Verlag Leske und Budrich, 1999,<br />
ca. Fr. 18.–<br />
• Richard Rohr, Thomas Gesterkamp,<br />
Wassilios E. Fthenakis: Vater, Sohn und<br />
Männlichkeit. Verlag Tyrolia, 2001,<br />
ab Fr. 6.–<br />
• Walter Hollstein: Was vom Manne übrig<br />
blieb. Das missachtete Geschlecht.<br />
Verlag Opus Magnum, 2012, ca. Fr. 26.–<br />
• Victor Chu: Vaterliebe. Verlag Klett-<br />
Cotta, 2016, ca. Fr. 26.–<br />
• Dave Engledow: Papa allein zu Hause.<br />
77 Dinge, von denen Mama nicht wissen<br />
darf. Heyne-Verlag, 2015, ca. Fr. 14.–<br />
Links<br />
• www.vaeter.ch (generelle Information)<br />
• www.vaternetz.de (Väterbücher)<br />
• www.avanti-papi.ch (Veranstaltungen)<br />
• www.vaterrechte.ch (Rechtliches)<br />
• www.mencare.swiss/de (Plattform zur<br />
Stärkung väterlicher Präsenz)<br />
• www.maenner.ch (Dachverband)<br />
• www.vaterverbot.ch (für Väter in<br />
Trennung/Scheidung)<br />
• Väter: Wer sie sind, was sie tun und<br />
wie sie wirken (Projekt Tarzan). Eine<br />
Studie von Prof. Margrit Stamm (2015).<br />
Download auf www.margritstamm.ch<br />
>>> besser. Zum Beispiel trösten.<br />
So hat man untersucht, wie Eltern<br />
sich verhalten, wenn ihr Kind im<br />
Krankenhaus aus einer OP-Narkose<br />
erwacht. Väter wie Mütter versuchen,<br />
ihrem Kind ein Gefühl von<br />
Sicherheit und Ruhe zu vermitteln<br />
– vor allem über Berührungen und<br />
Körperkontakt. Die Mütter tun das<br />
jedoch intensiver und über einen<br />
längeren Zeitraum als die Väter. Die<br />
Männer haben in dieser Hinsicht<br />
allerdings deutlich aufgeholt. Die<br />
Berner Erziehungswissenschaftlerin<br />
Margrit Stamm hat nachgewiesen,<br />
dass heute mehr als 84 Prozent der<br />
Väter mit ihren Kindern kuscheln<br />
und darüber eine körperliche Nähe<br />
herstellen. Trotzdem: Noch immer<br />
gelingt es einem höheren Prozentsatz<br />
an Kindern und Jugendlichen, ein<br />
engeres Vertrauensverhältnis zur<br />
Mutter aufzubauen als zum Vater.<br />
Wenn sie Hilfe brauchen, dann<br />
gehen sie eher zu ihr als zu ihm.<br />
Welche Auswirkungen hat das<br />
auf die Entwicklung der Kinder?<br />
Mehrere Arbeiten aus den USA,<br />
Kanada und Israel kommen in dieser<br />
Frage zu identischen Ergebnissen:<br />
Schulkinder, die an beide<br />
Elternteile sicher gebunden sind,<br />
entwickeln eine höhere Sozialkompetenz<br />
und berichten von weniger<br />
Problemen im Alltag. Die gleichzeitige<br />
Bindung an Vater und Mutter<br />
wirkt als «Schutzfaktor» gegen Einsamkeit,<br />
Angst gefühle und Depression.<br />
Eigentlich hatte man diesen<br />
Effekt auch für jene Kinder erwartet,<br />
die nur an die Mutter sicher gebunden<br />
sind. Bei ihnen fiel der Schutzeffekt<br />
jedoch deutlich schwächer<br />
aus. «Diese Ergebnisse zeigen, dass<br />
wir uns genauer an schauen müssen,<br />
welche Rolle eine enge Beziehung<br />
zwischen Heranwachsenden und<br />
ihren Vätern spielt», heisst es in<br />
einem Forschungsbericht der Universität<br />
Tel Aviv. «Manche Studien<br />
schauen nur auf die Männer, andere<br />
nur auf die Frauen», erklärt Brenda<br />
Volling. «Aber es bringt nichts,<br />
Väter und Mütter gegeneinander<br />
auszuspielen. Es geht schliesslich<br />
darum, das grosse Bild zu zeichnen<br />
und zu zeigen, wie Eltern gemeinsam<br />
das Beste für ihre Kinder tun<br />
können.»<br />
5. Gute Väter bleiben (manchmal)<br />
zu Hause<br />
Doch woran liegt es, dass die Väterforschung<br />
zuletzt so stark an Bedeutung<br />
gewonnen hat? Die Fachleute<br />
sagen: vor allem an den Vätern selbst<br />
– und an der Gesellschaft, in der sie<br />
leben. Väter verbringen heute vier<br />
Mal mehr Zeit mit ihren Kindern,<br />
als das noch in den 60er-Jahren der<br />
Fall war. «Damals ist Papa von der<br />
Arbeit heimgekommen und hat darauf<br />
gewartet, dass seine Frau ihm<br />
einen Martini serviert. Sein Job<br />
bestand darin, das Geld für die Familie<br />
zu verdienen. Die Erziehung war<br />
komplett Angelegenheit der Frau»,<br />
sagt Brenda Volling. «Diesen Vatertypus<br />
gibt es heute kaum noch. Die<br />
Väter gehen ganz selbstverständlich<br />
davon aus, dass sie an der Erziehung<br />
der Kinder beteiligt sind.» Mit anderen<br />
Worten: Es sind die neuen Väter,<br />
die eine neue Art von Forschung<br />
notwendig machen.<br />
Doch diese neuen Väter haben es<br />
nach wie vor schwer. In der Schweiz<br />
arbeiten mehr als 80 Prozent von<br />
ihnen noch immer Vollzeit und verbringen<br />
weniger Stunden mit ihren<br />
Kindern, als sie das gerne würden.<br />
Arbeit in Teilzeit wird von den<br />
Arbeitgebern häufig nicht unterstützt.<br />
Doch was geschieht, wenn<br />
Väter einen radikalen Schritt wagen,<br />
wenn sie ganz zu Hause bleiben und<br />
die Aufgabe des Brotverdie- >>><br />
23
Dossier<br />
>>> ners an ihre Partnerin übergeben?<br />
Wassilios Fthenakis, die<br />
graue Eminenz der deutschsprachigen<br />
Väterforschung, hält das für eine<br />
«wichtige Erfahrung» (siehe Interview<br />
Seite 20).<br />
Eine Untersuchung aus Kanada<br />
zeigt jedoch eine andere Seite: Die<br />
Forscher wollten wissen, wie moderne<br />
Väter in Filmen und TV-Serien<br />
dargestellt werden. Das Ergebnis:<br />
Der engagierte, aber voll berufstätige<br />
Vater wird eher als sympathischer<br />
Gewinner gezeichnet. Wer dagegen<br />
als Vater zu Hause bleibt, erscheint<br />
fast immer als unmännlicher Versager,<br />
der sein Leben nicht auf die Reihe<br />
bekommt – Vollzeitpapa scheint<br />
zumindest auf der anderen Seite des<br />
Atlantiks noch immer kein begehrtes<br />
Karriereziel zu sein.<br />
Wer als Vater ganz zu Hause<br />
bleibt, erscheint im<br />
Fernsehen fast immer als<br />
unmännlicher Versager.<br />
6. Gute Väter sind echte Männer<br />
Wie einige «Stay Home Dads» sich<br />
ihr männliches Selbstbild auf originelle<br />
Weise zu rückholen, hat der aus<br />
Jordanien stammende Väterforscher<br />
Tawfiq Ammari im März <strong>2017</strong> auf<br />
der Konferenz CSCW im amerikanischen<br />
Portland beschrieben. Er<br />
stellte fest, dass Vollzeitväter in Interviews<br />
und in selbstgeschriebenen<br />
Blogs immer wieder eine Art «Heimwerkersprache»<br />
verwenden, um über<br />
ihren Alltag zu berichten. Tatsächlich<br />
verrichten sie einige ihrer Tätigkeiten<br />
auf besonders männliche Art<br />
und Weise – etwa, indem sie Ku -<br />
chenteig mit der Bohrmaschi- >>><br />
Bild: Fabian Unternährer / 13 Photo<br />
«Ich möchte wissen,<br />
worüber meine<br />
Kinder lachen oder<br />
streiten»<br />
Patrik Abächerli, 46, wohnt mit<br />
seiner Familie in Schachen LU. Der<br />
leitende Koch will seinen Kindern<br />
Kristina, 11, und Annika, 9, Vorbild<br />
und Freund sein.<br />
Aufgezeichnet von Martina Bortolani<br />
Ich bekomme noch jedes Mal Gänsehaut,<br />
wenn ich abends die spielenden Kinder<br />
in unserer Strasse sehe und Kristina und<br />
Annika auf mich zurennen, «Papi, Papi!»<br />
rufen und mich umarmen. Diese Momente<br />
entschädigen für alles, auch für Phasen, die<br />
streng und aufreibend sind.<br />
Was ist ein guter Vater? Keine leichte<br />
Frage. Noten gibt man ja immer leichter<br />
den anderen, als sich selbst. Ich versuche<br />
grundsätzlich im Leben, ein aufrichtiger<br />
Mensch zu sein, das gilt auch für mich<br />
in der Vaterrolle. Ehrliches Interesse am<br />
Leben der Kinder scheint mir da unabdingbar.<br />
Ich möchte wissen, worüber sie<br />
lachen, mit wem sie spielen, streiten oder<br />
welche Kleider sie mögen. Nicht immer<br />
verstehe ich zwar alles in diesem rosaroten<br />
Universum, aber die Mädels spüren, dass es<br />
mich interessiert.<br />
Obwohl ich Vollzeit arbeite, als Koch an<br />
einer heilpädagogischen Schule, fühle ich<br />
mich zu Hause als Team mit meiner Frau.<br />
Wir sind nicht 3 plus 1, sondern 4. Entscheidend<br />
ist da, dass Mütter die Väter auch<br />
aktiv in alle Prozesse miteinbeziehen – und<br />
Vertrauen haben, dass der Papi vieles auch<br />
recht macht. Die Eltern sind da wichtige<br />
Vorbilder für die Kinder. Im Unterschied zu<br />
meinem Vater bin ich weniger der Patriarch.<br />
Das war vor 40 Jahren anders. Da war der<br />
Mann das Oberhaupt der Familie, Punkt.<br />
Das hat sich in unserer Generation stark<br />
verändert. Meine Frau arbeitet auch ein<br />
reduziertes Pensum, und ich bin oft am<br />
Mittwochnachmittag und an den Wochenenden<br />
mit der Familie zusammen. Dann<br />
machen wir Puzzles oder gehen in den<br />
Wald und halten eine Wurst übers Feuer.<br />
Oder wir geniessen es auch nur, zusammen<br />
zu Hause zu sein. Jeder tut dann irgendetwas.<br />
Das ist ziemlich gemütlich und gibt<br />
den Kindern und mir Sicherheit und Ruhe.<br />
Selbst bin ich in einer Gastronomiefamilie<br />
aufgewachsen und habe meinen Vater oft<br />
bei der Arbeit beobachtet. In einem Wirtsbetrieb<br />
verlaufen die Übergänge zwischen<br />
Beiz und Familie fliessend. Das ist mit ein<br />
Grund, warum ich mir vorgenommen habe,<br />
Privates und Geschäftliches zu trennen,<br />
sollte ich mal Vater werden. Jetzt bin ich<br />
es, und die Entscheidung stimmt für mich.»<br />
24
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>25
Dossier
Dossier<br />
Bild: Johan Bävman<br />
>>> ne rühren oder die Halloween-Masken<br />
ihrer Kinder im<br />
Hobbykeller zusammenschrauben,<br />
statt sie im Laden zu kaufen.<br />
Doch auch die reine Interpretation<br />
ihrer Rolle ist betont maskulin.<br />
Die Väter inszenieren sich zum Beispiel<br />
nicht als «Hausmänner», sondern<br />
als «Familienunternehmer»<br />
(«dadpreneurs»), die mit durchdachten<br />
Plänen die Haushaltsausgaben<br />
senken. Andere Väter holen sich<br />
ihren Männerstolz aus der Tatsache,<br />
dass sie gemeinsam mit den Kindern<br />
Reparaturen am Haus selbst erledigen,<br />
ohne einen Handwerker rufen<br />
zu müssen. Das Selbstbild als «Do it<br />
yourself»-Papa («DIY dad»), so<br />
schliesst Ammari, ermöglicht es den<br />
Vätern, ein als «typisch weiblich»<br />
gesehenes Leben zu führen, ohne<br />
deshalb ihr maskulines Selbstbild<br />
aufgeben zu müssen. Anders gesagt:<br />
Gute Väter kümmern sich wie eine<br />
Mutter um ihre Kinder – aber sie<br />
wollen dabei unbedingt echte Kerle<br />
bleiben.<br />
Im England der Nachkriegszeit<br />
gab es eine Serie sehr erfolgreicher<br />
Ra diosendungen. Sie widmete sich<br />
einer einfachen Frage: Wie wird<br />
man eine gute Mutter? Der Macher<br />
der Reihe, der Psychoanalytiker<br />
Donald Winnicott, hat Unermessliches<br />
geleistet für das Wohlbefinden<br />
von Familien auf der Insel. Seine<br />
zentrale These lautete: Keine Mutter<br />
muss perfekt sein. Damit ihr Kind<br />
glücklich aufwächst, reicht es, wenn<br />
sie «gut genug» ist. Die Väterforschung<br />
des Jahres <strong>2017</strong> erzählt eine<br />
ganz ähnliche Geschichte: Mag sein,<br />
dass der eine Papa ein toller Partner<br />
ist, dass der andere rauft, vorliest,<br />
tröstet, zu Hause bleibt und sich<br />
dabei seine Männlichkeit bewahrt.<br />
Doch so lange er all das von Herzen<br />
tut, auf seine eigene Art, wird er «gut<br />
genug» sein – und für sein Kind der<br />
beste Vater, den man sich nur wünschen<br />
kann.<br />
>>><br />
Jochen Metzger<br />
Während der Recherche zu diesem<br />
Dossier hat der Hamburger Journalist,<br />
Buchautor («Alle Macht den Kindern»)<br />
und zweifache Vater immer wieder mit<br />
seiner 20-jährigen Tochter diskutiert. Ihr<br />
Kommentar: «Papa, wir haben ’ne ganze<br />
Menge richtig gemacht!»<br />
Anzeige<br />
Gute Väter kümmern sich wie<br />
eine Mutter um ihre Kinder,<br />
wollen dabei aber unbedingt<br />
echte Kerle bleiben.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>
Dossier<br />
Essay<br />
Vater sein – ein Fazit<br />
Unser Kolumnist beschäftigt sich mit der Frage, ob ihn Kinder zu einem besseren<br />
Menschen gemacht haben, und erschrickt beim Gedanken, was man in der Erziehung<br />
alles falsch machen kann. Verrückt macht er sich deshalb aber nicht. Text: Reto Hunziker<br />
Hilf- und ahnungslos. So fühlte ich<br />
mich, als ich in den Nebenraum durfte,<br />
um meine Tochter zu sehen, die die<br />
Ärzte kurz zuvor ihrer Mutter aus dem<br />
Bauch geschnitten hatten. Da stand ich<br />
nun, schaute zu, wie das kleine Wesen<br />
gewogen und eingewickelt wurde, und<br />
hatte keine Ahnung. Ich wusste nicht,<br />
wie ich sie anfassen sollte. Wusste<br />
nicht, wohin ich schauen, wusste nicht,<br />
was ich denken sollte.<br />
Heute ist sie zweieinhalb und ich<br />
bin nicht mehr ganz so überfordert.<br />
Und doch bringen die Kleine und ihr<br />
Halbbruder (12) mich immer wieder in<br />
Situationen, in denen ich rat- und fassungslos<br />
denke: «Echt jetzt?», oder:<br />
«Was nun?».<br />
Es war vielleicht das Entmutigendste,<br />
was mich der grosse Altersunterschied<br />
meiner Kinder gelehrt hat: Egal, wie alt<br />
sie sind, es wird immer schwierig sein,<br />
immer kompliziert, immer anstrengend.<br />
Die Probleme verlagern sich, das Nicht-<br />
Durchschlafen wird abgelöst vom Nicht-<br />
Aufstehenwollen, das Trötzeln mit 2<br />
vom Trötzeln mit 10.<br />
Kinder fordern uns heraus, ob sie<br />
wollen oder nicht. Sie zwingen uns,<br />
die Komfortzone zu verlassen, Fehler<br />
zu machen und dazuzulernen. Positiv<br />
formuliert: Sie halten uns geistig fit.<br />
Negativ formuliert: Sie verschlingen<br />
unsere Energie.<br />
Haben mich die Kinder zu einem<br />
besseren oder zumindest anderen Menschen<br />
gemacht, wie man es mir prophezeite?<br />
Meine Frau sagt ja. Sie findet, ich<br />
sei reifer geworden, gelassener, zufriedener<br />
auch. Ich sei nicht mehr derart<br />
auf der Suche nach Erfüllung im Beruf,<br />
weil meine Tochter mir einen Sinn im<br />
Leben gegeben habe. Verständnisvoller<br />
sei ich, sagt sie, und belastbarer, effizienter.<br />
Ich könnte besser multitasken<br />
und Prioritäten setzen. Damit muss ich<br />
ja fast zwangsläufig einverstanden sein.<br />
Tatsächlich fühle ich mich heute in<br />
Situationen gewappnet, die mich früher<br />
nervös gemacht hätten. An meinem<br />
Wesen, bin ich aber überzeugt, haben<br />
die Kinder nicht gerüttelt: Ich finde, ich<br />
war schon vorher ein sehr überlegter,<br />
verantwortungsvoller und geduldiger<br />
Mensch – bloss hat das damals<br />
niemand derart auf die Zerreissprobe<br />
gestellt. Nicht mal mein Lifestyle hat<br />
sich wahnsinnig verändert, ich bin seit<br />
je am liebsten zu Hause.<br />
Meine eigenen Eltern hingegen<br />
sehe ich mit anderen Augen, seit ich<br />
selbst Vater bin, unverklärter, entromantisierter.<br />
Auch sie mussten oft<br />
ahnungslos, überfordert und genervt<br />
gewesen sein; als Kind empfand ich<br />
sie jedoch stets als souverän und fast<br />
schon altehrwürdig.<br />
Irgendwie bezweifle ich, dass meine<br />
Kinder dasselbe von mir denken<br />
werden. Ich hoffe, sie nehmen mich als<br />
authentisch wahr, denn das ist mir das<br />
Wichtigste. Wer sich so gibt, wie er ist,<br />
hat schon vieles richtig gemacht – das<br />
ist das Konzentrat, das ich aus all den<br />
Erziehungsratgebern mitnehme.<br />
Was nützt eine gute Strategie, wenn<br />
man sie halbherzig vertritt? Ich lote ad<br />
hoc aus, was für mich stimmt, und höre<br />
dabei auf Hirn, Herz und Bauchgefühl.<br />
Sagt Jesper Juul dasselbe – fein. Widerspricht<br />
er – soll er doch.<br />
Klar ist es erschreckend, wenn man<br />
bedenkt, was man alles falsch machen<br />
kann in der Erziehung und welche<br />
Folgen das für das ganze Leben haben<br />
kann. Aber mich deswegen verrückt<br />
machen? Nein danke. Ein Kind ist für<br />
mich weder Projekt noch Heilsbringer,<br />
und auch als Vater habe ich nicht aufgehört,<br />
a priori Mensch zu sein.<br />
Einiges hätte ich nicht so erwartet.<br />
Zum Beispiel, dass man so wütend<br />
auf sein eigen Fleisch und Blut werden<br />
kann. Erst recht auf fremdes. Zum<br />
lebenslangen Lernprozess gehört<br />
wohl, einzusehen, dass deine eigenen<br />
Kinder überhaupt gar nichts mit dir<br />
gemeinsam haben müssen.<br />
Ich sehe das Kinderhaben in vielerlei<br />
Hinsicht als Geisterbahn: Du weisst<br />
nicht, was kommt, aber es wird garantiert<br />
deinen Puls hochjagen. Es bleibt<br />
eine Mischung aus Anspannung und<br />
freudiger Erwartung, aus Angst und<br />
Glück. Irgendwann fährst du aus dem<br />
Tunnel, bist erleichtert und rufst: noch<br />
mal!<br />
Reto Hunziker<br />
ist freier Journalist. Er lebt mit Frau,<br />
Tochter und Stiefsohn in Zürich. Seine<br />
Patchworkfamilie sei manchmal verflixt und<br />
zusammengenäht, «aber wenigstens ist mir<br />
seit Jahren nicht mehr langweilig».<br />
Bild: Johan Bävman<br />
28
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>29
«Einem Mann, dem es gut geht, fällt<br />
es leichter, ein guter Vater zu sein»<br />
Ein Gespräch mit dem Männerberater Martin Bachmann über engagierte Väter,<br />
Kindergeburtstage und wie dauermüde Paare ihre Beziehung in Schwung halten.<br />
Interview: Reto Hunziker<br />
Herr Bachmann, was sind heute die<br />
Probleme des modernen Vaters?<br />
Zuerst einmal: Den modernen Vater<br />
gibt es nicht. Nach wie vor existieren<br />
diverse Varianten des Mannseins<br />
und Vaterseins. Dennoch gibt es<br />
Herausforderungen, denen sich<br />
wohl die meisten Väter im Jahre <strong>2017</strong><br />
stellen müssen.<br />
Die da wären?<br />
Eine Herausforderung ist, mit den<br />
vielen Freiheiten umzugehen. Wir<br />
haben heute viel mehr Möglichkeiten<br />
als früher, unser Leben zu gestalten.<br />
Das bedeutet aber auch, dass wir<br />
uns öfter entscheiden müssen. Das<br />
klassische Rollenmuster ist in die<br />
Jahre gekommen, es ist nicht mehr<br />
a priori klar, was die Aufgabe der<br />
Mutter ist und was die des Vaters.<br />
Ergo müssen wir uns fragen: Was für<br />
ein Vater will ich sein? Wie alltagsrelevant<br />
möchte ich für meine Kinder<br />
sein?<br />
Diese Freiheiten sind also Fluch und<br />
Segen zugleich?<br />
Genau. Die weicheren Rollenbilder<br />
erlauben es, dass wir Väter die Beziehung<br />
zu unserem Kind aktiver<br />
ge stalten können. So gibt es zum<br />
Beispiel immer mehr Väter, die Kindergeburtstage<br />
organisieren. Das ist<br />
«Mein Vater hat mir nie die<br />
Windeln gewechselt. Heute<br />
kommst du damit wohl<br />
nicht mehr davon.»<br />
toll, aber auch eine Herausforderung,<br />
weil das aktive Vatersein viel<br />
Planung erfordert.<br />
Was sind weitere Herausforderungen?<br />
Alles unter einen Hut zu bringen:<br />
Arbeit, Familie, Hobbys. Viele Männer,<br />
die bewusste und vielseitige<br />
Väter sein möchten, wollen zu viel,<br />
machen zu viel. Sie vergessen in all<br />
ihren Verpflichtungen, für sich selbst<br />
zu schauen. Kurz, sie verfügen über<br />
eine starke Aussenorientierung, ihre<br />
Innenwahrnehmung ist allerdings<br />
eher schwach.<br />
Was raten Sie diesen Männern?<br />
Sich selbst gerne zu haben und für<br />
sich selbst Sorge zu tragen. Wenn es<br />
mir als Mann gut geht, fällt es mir<br />
auch leichter, ein guter Vater zu sein.<br />
Plakativ gefragt: Ist es heute schwieriger,<br />
Vater zu sein, als früher?<br />
Mein eigener Vater sagt: «Ihr habt es<br />
toll, so viele Möglichkeiten wie ihr<br />
habt. Aber ich stelle es mir auch verdammt<br />
anstrengend vor.» Und damit<br />
trifft er es sehr genau. Mit den Optionen<br />
steigt auch der Planungsbedarf.<br />
Meine Eltern mussten wenig darüber<br />
streiten, wer was macht, mussten<br />
kaum etwas verhandeln. Mein Vater<br />
hat mir nie die Windeln gewechselt.<br />
Heute kommst du damit wohl nicht<br />
mehr davon. Aber jede Zeit hat ihre<br />
Schwierigkeit.<br />
Aber früher gab es doch auch<br />
engagierte Väter.<br />
Natürlich gab es Ausnahmen, Väter,<br />
die sich total für ihre Kinder eingesetzt<br />
und aufgeopfert haben, und das<br />
gegen die Rollenerwartung. Der<br />
Unterschied: Heute sind diese Väter<br />
deutlich zahlreicher. Für Väter ist es<br />
jetzt die beste Zeit, die Vorteile überwiegen<br />
klar.<br />
Dennoch entscheiden sich auch heute<br />
viele Männer für die Versorgerrolle.<br />
Wenn sich heute ein Paar für das<br />
traditionelle Modell entscheidet,<br />
dann bewusster und nicht, weil es<br />
sich so gehört oder es gar keine andere<br />
Wahl hätte. Das ist gut so, und<br />
deswegen sind diese Männer nicht<br />
schlechte Papis. Es sind einfach<br />
andere Papis.<br />
Angesichts der Pluralität dieser Vätermodelle:<br />
Steckt der Mann in einer<br />
Identitätskrise?<br />
Nein, das beobachte ich so nicht.<br />
Klar ist aber: Wer den unkonventionellen<br />
Weg geht, hat weniger Vorbilder.<br />
Und manche bleiben darob<br />
orientierungslos.<br />
Inwiefern ist das Kind für die Eltern<br />
als Paar eine Zerreissprobe?<br />
Im Vergleich zu früher haben wir<br />
weniger Kinder, dadurch werden sie<br />
für uns umso wichtiger. Kinder zu<br />
haben, ist in unserer Biografie relevanter<br />
geworden als noch vor 30<br />
Jahren. Das hat auch Konsequenzen.<br />
Mit Kindern sind wir etwa stärker<br />
an unseren Partner gebunden. In<br />
unserer schnelllebigen, oft beliebigen<br />
Welt gehen wir eine intensive<br />
lebensorganisatorische Verbindung<br />
ein. Auch wenn wir schon viel konfliktkompetenter<br />
geworden sind –<br />
das birgt immer noch viel Konfliktpotenzial.<br />
Und Frustrationspotenzial?<br />
Auch, ja. Dem Klischee zufolge<br />
kriegt ein rechter Mann alles gebacken.<br />
Das war schon immer Unsinn,<br />
jetzt hat es sich aber noch zugespitzt:<br />
30 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Der Mann kann auch noch in der<br />
Vaterrolle scheitern. Und wenn die<br />
Beziehung in die Brüche geht, leiden<br />
Väter genauso wie Mütter. Beide Seiten<br />
haben sich jahrelang engagiert,<br />
sich emotional auf die Kinder eingelassen.<br />
Was können wir tun, damit es gar<br />
nicht erst so weit kommt?<br />
Bei aller Hingabe in die Elternaufgabe,<br />
wir dürfen uns als Person und<br />
als Paar nicht vergessen. Wir sind<br />
nicht nur Eltern, sondern auch Individuen<br />
und Liebende. Wir brauchen<br />
Zeit für Gespräche, Erlebnisse, Zeit<br />
für Sex. Auch wenn es natürlich<br />
nicht mehr so häufig ist wie vorher.<br />
Warum ist das so wichtig?<br />
Wenn es mit dem Sex nicht mehr<br />
funktioniert, entstehen schnell andere<br />
Konflikte. Emotionalität und<br />
Genitalität brauchen Zeit und Raum.<br />
Wie stellt man das als dauermüdes<br />
Paar an?<br />
Gute Frage, aber machen muss man<br />
es trotzdem. Meine Empfehlung: ein<br />
gemeinsamer Abend pro Woche, ein<br />
gemeinsames Weekend pro Monat<br />
und eine Woche Ferien pro Jahr.<br />
Stichwort Patchworkfamilie: Was ist<br />
für Väter anders?<br />
In der Praxis sind Patchworkkonstellationen<br />
oft ein Thema. Sie<br />
machen ein Familienleben noch<br />
komplizierter, weil alle Beziehungen<br />
gepflegt sein wollen. Ein Patchworkvater<br />
muss sich nicht nur Gedanken<br />
um seine biologische, sondern auch<br />
um seine soziale Vaterschaft machen.<br />
Wer kommt ins Mannebüro Zürich?<br />
Männer, die Sachen tun oder im Tun<br />
begriffen sind, die sie gar nicht wollen.<br />
Die Ohnmacht fühlen, Stress<br />
und Überforderung. Zum Beispiel<br />
der Vater eines 17-jährigen Lehrabbrechers,<br />
der sagt: «Er sitzt nur noch<br />
faul zu Hause und mault. Ich bin<br />
kurz davor, ihm eine reinzuhauen.»<br />
Was ist in Ihren Augen die wichtigste<br />
Aufgabe eines Vaters?<br />
Präsent zu sein, sichtbar, erlebbar zu<br />
sein, sich einzubringen. Es ist für<br />
Kinder wunderbar, wenn sie live<br />
miterleben können, wie ihr Papa sich<br />
organisiert, wie er gute und schlechte<br />
Tage handelt. Wir machen unseren<br />
Kids ein grosses Geschenk, wenn wir<br />
alltagsrelevant greifbar sind, als<br />
Menschen, Männer. Väter sollen<br />
lieben, lebendig sein, aber nicht<br />
perfekt.<br />
Zur Person<br />
Martin Bachmann ist Männerberater und<br />
Sexologe im Mannebüro Züri. Seit 16 Jahren<br />
berät er unter anderem Väter, die an ihre<br />
Grenzen stossen. Bachmann ist selbst Vater<br />
dreier Töchter und arbeitet Teilzeit.<br />
Müde, erschöpft und ausgebrannt?<br />
Magnesium im neuen Strath Vitality hilft.<br />
erhältlich in führenden Apotheken und Drogerien<br />
www.bio-strath.com<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>31
Kolumne<br />
Können Männer von Frauen lernen,<br />
Väter zu sein?<br />
Nein, sagt Jesper Juul. Männer können das Vatersein nur von anderen Vätern lernen –<br />
vor allem aber im Umgang mit ihren Kindern.<br />
Jesper Juul<br />
ist Familientherapeut und Autor zahlreicher<br />
internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und<br />
Familien. 1948 in Dänemark geboren, fuhr er nach<br />
dem Abschluss der Schule zur See, war später<br />
Betonarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach der<br />
Lehrerausbildung arbeitete er als Heimerzieher und<br />
Sozialarbeiter und bildete sich in den<br />
Niederlanden und den USA bei Walter Kempler zum<br />
Familientherapeuten weiter. Seit 2012 leidet Juul an<br />
einer Entzündung der Rückenmarksflüssigkeit und<br />
sitzt im Rollstuhl.<br />
Jesper Juul hat einen erwachsenen Sohn aus erster<br />
Ehe und ist in zweiter Ehe geschieden.<br />
Verbote lähmen. Gleichwürdige<br />
Dialoge dagegen aktivieren<br />
und entwickeln das Gehirn.<br />
Eine Leserin schreibt: Ich<br />
bin verheiratet, mein<br />
Mann stammt aus Portugal.<br />
Wir haben einen<br />
gemeinsamen siebenjährigen<br />
Sohn. Unser Problem ist, dass<br />
ich der Meinung bin, dass mein<br />
Mann «altmodisch» denkt, wenn es<br />
um die Erziehung unseres Sohnes<br />
geht. Wir lesen gerade beide «Dein<br />
kompetentes Kind». Ich empfinde<br />
das Buch als Inspiration. Bei meinem<br />
Mann habe ich das Gefühl, dass<br />
er immer vergisst, was wir besprochen<br />
haben, und dann einfach so<br />
weitermacht wie bisher.<br />
Er wird immer sehr wütend,<br />
wenn ich ihn auf sein Verhalten in<br />
Konfliktsituationen mit unserem<br />
Sohn anspreche und ihn an die Vereinbarung<br />
erinnere, die wir aufgrund<br />
unserer Gespräche getroffen<br />
haben. Mein Mann sagt, dass er sich<br />
dadurch angegriffen fühlt und dass<br />
die Stimmung in unserer Familie<br />
darunter leidet. Er ist auch der Meinung,<br />
dass wir keine Konflikte<br />
haben dürfen, wenn unser Sohn uns<br />
zuhört. Aber ich sorge mich um<br />
unser Kind. Ich bin beunruhigt. Es<br />
bedrückt mich der Gedanke, dass<br />
unsere Ehe vielleicht sogar daran<br />
scheitern könnte. Ich bin sehr verzweifelt,<br />
denn ich liebe ja alle beide,<br />
aber was kann ich tun?<br />
Jesper Juul antwortet<br />
Ich fürchte, ich muss Ihrem Mann<br />
Recht geben. Mit Ihrem Verhalten<br />
untergraben Sie seine Rolle als Vater.<br />
Sie können ihm dabei helfen, dass er<br />
als Elternteil wächst – aber sie können<br />
es auch verhindern. Aus meiner<br />
Erfahrung, die mittlerweile von der<br />
Forschung bestätigt wird, weiss ich:<br />
Väter können von den Müttern ihrer<br />
Kinder nicht lernen, Väter zu sein.<br />
Auch nicht von anderen Müttern. Sie<br />
können es nur von anderen Vätern<br />
und im Umgang mit ihren Kindern<br />
lernen. Beide Elternteile lernen vor<br />
allem von ihren Kindern.<br />
In einer Familie ist das Wohlbefinden<br />
aller der zentrale Punkt. Ihr<br />
Mann liegt absolut richtig, wenn er<br />
behauptet, dass er durch Ihre Kritik<br />
an Würde verliert. Vor allem in den<br />
Augen seines Sohnes. Es darf nicht<br />
passieren, dass Ihre Situation sich zu<br />
einem Machtkampf um die Fürsorge<br />
und das Wohlbefinden des Kindes<br />
entwickelt.<br />
Kindern mit Einfühlungsvermögen<br />
begegnen<br />
Wenn wir uns mit Elternschaft<br />
beschäftigen, sollten wir auch die<br />
Frage danach einbeziehen, wie wir<br />
jemand anderen zu lieben gelernt<br />
haben. Wie steht es um unsere<br />
Bereitschaft und Fähigkeit als<br />
Erwachsene, uns selbst und den<br />
anderen so zu lieben, wie er ist?<br />
Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />
32 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Für Eltern ist es schwierig – aber<br />
nicht unmöglich –, ihren Kindern<br />
mit Einfühlungsvermögen und<br />
Inter esse zu begegnen, selbst wenn<br />
sie dies als Kinder selbst nicht erlebt<br />
haben. Viele Erwachsene sind als<br />
Kinder in Familien gross geworden,<br />
in denen ihre Gefühle und Verhaltensweisen<br />
nicht anerkannt und<br />
ernst genommen wurden.<br />
Einige dieser Menschen sind sich<br />
der dadurch entstandenen Schmerzen<br />
durchaus bewusst und wollen<br />
mit ihren Kindern einen anderen<br />
Weg gehen. Andere haben die<br />
Schmerzen schlichtweg vergessen<br />
und unterdrücken ihre Gefühle. Es<br />
fällt ihnen schwer, Neues zuzulassen.<br />
Die Fähigkeit, zu lieben, verfeinern<br />
Das heisst nicht, dass diese Menschen<br />
dazu verdammt sind, ein<br />
Leben lang an ihrem Verhalten festzuhalten.<br />
Es kann in der zweiten<br />
oder dritten Generation durchaus<br />
gelingen, die Fähigkeit, zu lieben, zu<br />
verfeinern. Wenn sich Eltern aber<br />
ständig gegenseitig im Elternsein<br />
kritisieren, werden bald existenzielle<br />
Fragen auftauchen: nämlich<br />
danach, welchen Wert sie als Menschen<br />
haben.<br />
Veränderungen entstehen<br />
in den Pausen<br />
So entwickeln sich Streitigkeiten<br />
über das Kind oft zu emotionalen<br />
Unterhaltungen. Um den Kindern<br />
ein Vorbild zu sein, sollten die<br />
Gespräche deshalb mit Sanftmut und<br />
Sorgfalt geführt werden. Veränderungen<br />
werden nicht während der<br />
Diskussion stattfinden, sondern vielmehr<br />
in den Pausen zwischen den<br />
Gesprächen – oft auch unbewusst.<br />
Die beste Art, wie Sie Ihren Mann<br />
unterstützen können, ist, ihn und<br />
Ihren Sohn deren eigenen Weg<br />
gehen zu lassen. Ihr Mann wird sich<br />
weiterentwickeln, um der beste<br />
Vater zu sein – und Ihr Sohn wird<br />
lernen, mit ihm zurechtzukommen.<br />
Es ist sehr schwierig für ihn, mit<br />
Eltern zu leben, die sich mit ihrer<br />
Ehe plagen und vergebens versuchen,<br />
die jeweils andere Partei als<br />
Kinder sollten lernen, über ihre<br />
eigenen Gedanken, Gefühle,<br />
Erlebnisse und Werte zu sprechen<br />
statt über die anderer Menschen.<br />
besser oder schlechter darzustellen.<br />
Sollte sein Vater seine Männlichkeit<br />
dem Familienfrieden opfern, so hat<br />
Ihr Sohn ein nutzloses Vorbild als<br />
Mensch, als Vater und Partner.<br />
Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
Im nächsten Heft:<br />
Pflegekinder<br />
Bild: fotolia<br />
In der Schweiz leben rund 15 000 Pflegekinder. Wie<br />
erleben diese eine Fremdplatzierung? Und wie ist<br />
das für die Pflegefamilie, die unterstützt, sorgt und<br />
nährt, aber ohne Rechte ist? Mit dieser anspruchsvollen<br />
Aufgabe befasst sich unser Dossier im Juni.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>33
Monatsinterview<br />
«Seine Kinder in<br />
schulischen Dingen zu<br />
puschen, bringt nichts»<br />
Ob es ein Kind aufs Gymnasium schafft, hängt in den<br />
meisten Fällen noch immer von seiner Herkunft ab, sagt<br />
Urs Moser. Der Bildungsexperte über die Gerechtigkeit des<br />
Schweizer Bildungssystems, sinnvoll verbrachte Freizeit<br />
und die Frage, ob Eltern die Hausaufgaben ihrer Kinder<br />
begleiten sollten. Interview: Evelin Hartmann Bilder: Daniel Winkler / 13 Photo<br />
Durch einen verwunschenen Garten<br />
führt der Weg zum Institut für<br />
Bildungsevaluation. An der Haustür<br />
kein Schild, im Treppenhaus kein<br />
Wegweiser. Urs Moser steht auf dem<br />
Treppenabsatz. Blaues Hemd,<br />
modische Brille. «Sie sind hier schon<br />
richtig», sagt er und lächelt. Er führt<br />
die Besucher in ein Sitzungszimmer.<br />
Das Gespräch kann beginnen.<br />
Herr Moser, wie erreichen wir<br />
Chancengleichheit in der Schule?<br />
Wir können uns ihr nur annähern,<br />
sie jedoch nicht erreichen. Chancengleichheit<br />
bleibt eine Illusion.<br />
Eine Illusion?<br />
Ja, die Chancen sind nie für alle<br />
gleich. Kinder haben nur Chancen<br />
auf einen Bildungsabschluss, wie die<br />
Matura, wenn sie die notwendigen<br />
Voraussetzungen mitbringen und<br />
sich dafür entscheiden. Ob Kinder<br />
Chancen nutzen, hängt erstens von<br />
ihren Anlagen und dem Bildungshintergrund<br />
der Eltern ab und zweitens<br />
von ihren Entscheidungen.<br />
Aber Kinder und Jugendliche sollten<br />
doch gleiche Chancen haben, unabhängig<br />
von ihrer sozialen Herkunft?<br />
Das sollte so sein, wird aber nie so<br />
sein. Nicht alle Eltern haben die gleichen<br />
Möglichkeiten, in die Bildung<br />
ihrer Kinder zu investieren. Eltern<br />
mit wenig Wissen und wenig Zeit,<br />
mit geringen emotionalen und finanziellen<br />
Möglichkeiten können ihr<br />
Kind nicht gleich unterstützen wie<br />
gebildete und wohlhabende Eltern,<br />
die alles daransetzen, dass ihr Kind<br />
erfolgreich durch die Schule kommt.<br />
Es kommt demnach immer auf den<br />
Bildungshintergrund der Eltern an.<br />
Von Bedeutung können auch finanzielle<br />
Mittel sein, die für zusätzliche<br />
Förderung eingesetzt werden, oder<br />
die Kenntnisse der Möglichkeiten<br />
innerhalb unseres Bildungssystems.<br />
Aber solche Ungleichheiten müssen<br />
doch abgebaut werden!<br />
Daran wird ja auch gearbeitet. Der<br />
Abbau von sozialen Ungleichheiten<br />
ist allerdings nicht ganz so einfach.<br />
Chancengleichheit setzt Bil- >>><br />
34
Monatsinterview<br />
>>> dung voraus, weshalb zunehmend<br />
in die Frühförderung investiert<br />
wird – und zwar bereits vor dem<br />
Kindergarten. Nur lässt sich dies<br />
nicht so einfach umsetzen. Der Staat<br />
kann ja nicht ab Geburt für benachteiligte<br />
Kinder zum Beispiel Sprachkurse<br />
verordnen; er kann sie höchstens<br />
anbieten. Die Eltern haben das<br />
Recht, ihre Kinder innerhalb eines<br />
gesetzlichen Rahmens so zu erziehen,<br />
wie sie es für richtig halten.<br />
... und sie nicht in den Sprachkurs zu<br />
geben.<br />
Chancen sind immer an Personen<br />
gebunden. Diese entscheiden letztlich,<br />
ob sie eine Chance ergreifen<br />
oder nicht. Tun sie es nicht, heisst<br />
das noch lange nicht, dass das Bildungssystem<br />
ungerecht ist oder<br />
nichts gegen den Abbau von sozialen<br />
Ungleichheiten unternommen wird.<br />
Deshalb halte ich Chancengleichheit<br />
auch nicht für einen besonders treffend<br />
gewählten Begriff. Ich spreche<br />
lieber von Chancengerechtigkeit.<br />
Was wäre denn gerecht?<br />
Ein Bildungssystem, das sich darum<br />
bemüht, soziale Ungleichheiten<br />
durch spezifische Angebote für Kinder<br />
aus sozial benachteiligten Familien<br />
zu reduzieren, und somit Chancen<br />
ermöglicht, herkunftsbedingte<br />
Defizite zu kompensieren.<br />
Und, welche Note geben Sie dem<br />
Schweizer Bildungssystem in Sachen<br />
Chancengerechtigkeit?<br />
Keine schlechte. Die Durchlässigkeit<br />
zwischen den einzelnen Schulstufen<br />
ist in den vergangenen Jahren deutlich<br />
besser geworden. Wer beispielsweise<br />
im Kanton Zürich eine Matura<br />
machen will, hat zahlreiche<br />
Möglichkeiten, dies zu tun. Man<br />
kann nach der sechsten Klasse ins<br />
Langzeitgymnasium übertreten,<br />
nach der achten oder neunten ins<br />
Kurzzeitgymi, eine berufliche<br />
Grundbildung mit Berufsmatura<br />
machen oder die Maturität nach der<br />
Berufsausbildung nachholen. Mit<br />
den kognitiven Voraussetzungen<br />
und der notwendigen Motivation<br />
schafft man das.<br />
Was Kindern aus weniger bildungsnahen<br />
Familien entgegenkommen dürfte.<br />
Absolut – wer in seiner Entwicklung<br />
weiter ist, sich mehr Wissen angeeignet<br />
hat und sich über die berufliche<br />
Zukunft im Klaren ist, kann<br />
Dinge anders bewerten und Entscheidungen<br />
bewusster fällen als in<br />
den Primarschuljahren.<br />
«Akademiker<br />
erwarten, dass ihre<br />
Kinder ebenfalls<br />
ans Gymnasium<br />
gehen.»<br />
Nun müssen beispielsweise im Kanton<br />
Zürich Primarschüler eine Prüfung<br />
absolvieren, um ans Langzeitgymnasium<br />
zu kommen. In Luzern nicht, da<br />
zählt der Notendurchschnitt. Wie<br />
gerecht ist das?<br />
Damit sprechen Sie eine zweite Ursache<br />
von sozialen Ungleichheiten an.<br />
Schaut man sich die Schnittstellen<br />
im Bildungssystem an, beispielsweise<br />
den Übergang von der Primarschule<br />
zum Gymnasium, lassen sich<br />
Schwächen nachweisen. Da geht es<br />
nicht nur fair zu und her.<br />
Ich könnte mir vorstellen, dass es in<br />
Luzern grundsätzlich leichter ist, ans<br />
Gymnasium zu kommen. Sollten<br />
Familien nicht besser dorthinziehen?<br />
Sie als bildungsnahe Person könnten<br />
sicher Einfluss auf die Lehrperson<br />
nehmen, damit ihr Kind den Notendurchschnitt<br />
für das Gymnasium<br />
erreicht.<br />
In Kantonen ohne Aufnahmeprüfung<br />
ist der Druck auf die Lehrperson demnach<br />
höher?<br />
Natürlich. Aber es ist auch in Luzern<br />
nicht so, dass die Eltern einfach entscheiden,<br />
auf welche Schule ihr Kind<br />
kommt. Es gibt Beurteilungsgespräche<br />
über Noten, Leistungen und<br />
Verhalten, und am Schluss wird<br />
gemeinsam ein Entscheid gefällt.<br />
Wenn Eltern bei der Wahl des passenden<br />
Schulangebots für ihre Kinder<br />
beteiligt sind, kann die Herkunft<br />
allerdings eine Rolle spielen. Eltern<br />
von Akademikerfamilien erwarten,<br />
dass ihre Kinder ebenfalls ans Gymnasium<br />
gehen.<br />
Unter diesem Gesichtspunkt scheint<br />
das Modell mit einer Aufnahmeprüfung<br />
gerechter.<br />
Das könnte man so sehen. Es kommt<br />
zu einem unabhängigen Entscheid,<br />
mit dem die Eltern nicht direkt etwas<br />
zu tun haben. Indirekt sind sie jedoch<br />
auch am Prüfungsentscheid beteiligt,<br />
indem finanzstarke Familien ihren<br />
Kindern für stattliche Summen private<br />
Prüfungsvorbereitungen ermöglichen.<br />
Viele Bildungsexperten plädieren<br />
dafür, die Hausaufgaben abzuschaf<br />
36 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
fen, da sie Ungerechtigkeiten im<br />
Bildungssystem noch verschärfen.<br />
So ihre These.<br />
Da bin ich anderer Meinung. Es würde<br />
nur dazu führen, dass sich Kinder<br />
aus bildungsfernen Familien nach<br />
der Schule gar nicht mehr mit schulischen<br />
Dingen beschäftigen, während<br />
bildungsnahe Eltern sich trotzdem<br />
mit ihren Kindern hinsetzen,<br />
das Gelernte überprüfen und ihnen<br />
eigene Aufgaben geben würden. Mit<br />
Hausaufgaben wird ja letztlich auch<br />
das Ziel verfolgt, bestimmte Fertigkeiten<br />
zu üben und die Kinder zum<br />
selbständigen Arbeiten hinzuführen.<br />
Zudem bieten Hausaufgaben<br />
eine Möglichkeit, Eltern und Kinder<br />
dazu zu bringen, miteinander über<br />
Schule und Unterricht zu sprechen.<br />
Meines Erachtens wird kaum mehr<br />
Gerechtigkeit erreicht, indem man<br />
Angebote abbaut, nur weil sie nicht<br />
von allen Kindern gleich genutzt<br />
werden können.<br />
«Manche Eltern<br />
können nicht dafür<br />
sorgen, dass ihre<br />
Kinder die Freizeit<br />
sinnvoll nutzen.»<br />
Was schlagen Sie vor?<br />
Man könnte das Problem mit Hausaufgabenbetreuung<br />
nach dem Unterricht<br />
lösen oder gleich Tagesschulen<br />
einführen.<br />
Was könnten Tagesschulen leisten?<br />
Beim Ziel «Abbau von sozialen Un -<br />
gleichheiten» geht es immer um eine<br />
sinnvolle Nutzung der Zeit. Manche<br />
Eltern können nicht dafür sorgen,<br />
dass ihre Kinder die Freizeit sinnvoll<br />
nutzen. Das kann eine Tagesschule<br />
leisten. Damit meine ich nicht, zwischen<br />
16 und 18 Uhr unter Aufsicht<br />
büffeln. Sinnvoll Zeit verbringen<br />
bedeutet vor allem sich bewegen<br />
oder frei spielen, Sport treiben, musizieren,<br />
basteln, programmieren –<br />
einfach etwas, das Freude bereitet<br />
und in einem guten Rahmen stattfindet.<br />
Für Kinder, die nachmittags<br />
nicht betreut werden, weil die Eltern<br />
arbeiten, wäre das ein Riesenvorteil.<br />
Die Chancen sind aber auch zwischen<br />
städtischen und ländlichen Gebieten<br />
ungleich verteilt. >>><br />
Urs Moser ist<br />
Mitglied der<br />
nationalen<br />
Projektleitung<br />
für Pisa-Studien.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>37
Monatsinterview<br />
>>> Definitiv! Die Chance, ein<br />
Gymnasium zu besuchen, hängt<br />
nicht nur von den Fähigkeiten und<br />
vom Elternhaus ab, sondern vor<br />
allem vom Wohnort. In Basel-Stadt<br />
ist die statistische Chance für den<br />
Besuch eines Gymnasiums doppelt<br />
so gross wie im Kanton St. Gallen.<br />
Warum das?<br />
Der Kanton Basel-Stadt hat sich stärker<br />
auf die Nachfrage nach der gymnasialen<br />
Ausbildung ausgerichtet.<br />
Zum einen entspricht dies einem<br />
Bedürfnis der Schülerinnen und<br />
Schüler beziehungsweise ihrer<br />
Eltern, zum andern kann es aber<br />
auch als Reaktion auf den Fachkräftemangel<br />
interpretiert werden. Es<br />
gibt mehr gymnasiale Ausbildungsplätze<br />
als in anderen Kantonen. Weil<br />
es in Basel nicht mehr intelligente<br />
Schülerinnen und Schüler gibt als im<br />
Kanton St. Gallen, sind die Hürden<br />
für einen Platz im Gymnasium in<br />
Basel mit grosser Wahrscheinlichkeit<br />
niedriger als in St. Gallen. Aus der<br />
Perspektive der Bildungsgerechtigkeit<br />
betrachtet, wäre es wünschenswert,<br />
dass die Anforderungen für<br />
bestimmte Ausbildungen in jedem<br />
Kanton gleich sind.<br />
In einer unserer letzten Ausgaben<br />
berichteten wir über ChagALL, ein Förderprogramm<br />
für begabte Migranten<br />
(Das Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi, Februar <strong>2017</strong>), die durch<br />
zusätzlichen Unterricht fit für das<br />
Kurzzeitgymnasium gemacht werden<br />
sollen. Ihre Eltern können ihnen diese<br />
Unterstützung nicht bieten. Helfen<br />
solche Programme?<br />
Sehr sogar, weil das Programm<br />
einem Bedürfnis entspricht und die<br />
Jugendlichen ein Ziel vor Augen<br />
haben: den Übertritt in die Mittelschule.<br />
Dabei treffen zwei wesentliche<br />
Erfolgsfaktoren aufeinander: Die<br />
Schüler sind hochmotiviert, und die<br />
Betreuung im Programm ist ausreichend<br />
und effektiv. Beide Faktoren<br />
sind notwendige Bedingungen für<br />
den Erfolg eines Förderprogramms.<br />
Wie sehr sollten sich Eltern dafür einsetzen,<br />
dass ihre Kinder ihre Chancen<br />
ergreifen? Sollte ich beispielsweise<br />
als Mutter täglich die Hausaufgaben<br />
meines Kindes begleiten?<br />
Es kommt darauf an, wie Sie das<br />
machen. Sich als Lehrperson auszugeben<br />
und dem Kind ständig zu<br />
erklären, wie es geht und was es zu<br />
tun hat, ist sicher nicht zielführend.<br />
Aber dass man ab und zu nachfragt:<br />
«Sag mal, hast du die Hausaufgaben<br />
erledigt?», oder: «Hast du dir auch<br />
schon einmal Gedanken gemacht,<br />
was du später tun möchtest?», ist<br />
sicher nicht falsch. Ich finde es wichtig,<br />
dass man die Kinder begleitet<br />
und ein ganz normales Interesse an<br />
schulischen Angelegenheiten und<br />
später an den beruflichen Interessen<br />
zeigt. Allerdings immer mit Mass<br />
und unterstützend.<br />
«Wenn meine<br />
Töchter eine<br />
Lehrperson toll<br />
finden, möchte ich<br />
immer wissen,<br />
weshalb.»<br />
Nehmen sich Eltern, gerade wenn sie<br />
viel arbeiten, heute zu wenig Zeit für<br />
so etwas?<br />
Das kann ich nicht beurteilen.<br />
Kinder brauchen keine langen Ge -<br />
spräche über Hausaufgaben, aber<br />
emotionale Zuwendung und Unterstützung.<br />
Wie haben Sie es mit Ihren beiden,<br />
heute fast erwachsenen Töchtern<br />
gehalten?<br />
Ich habe immer mit meinen Kindern<br />
über ihre Hausaufgaben gesprochen,<br />
weil mich das von Berufes wegen<br />
interessierte. Und ich habe mit ihnen<br />
auch über ihre schulischen und<br />
beruflichen Ziele gesprochen. In<br />
einer frühen Phase musste ich sie hin<br />
und wieder darauf hinweisen, dass<br />
sie etwas tun müssen, wenn sie ihre<br />
Ziele erreichen wollen. Aber so etwas<br />
lässt sich in einem ganz normalen<br />
Alltagsgespräch klären. Je älter sie<br />
wurden, desto selbstständiger wurden<br />
sie.<br />
Davon träumen viele Eltern.<br />
Ich sage nicht, dass es in allen Fällen<br />
so reibungslos laufen muss. Ich habe<br />
diesbezüglich mit meinen Kindern<br />
Glück gehabt. Aber ich habe auch<br />
von Anfang an ein gewisses Interesse<br />
an ihrer Schullaufbahn gezeigt,<br />
ohne sie mit ständigem Nachfragen<br />
oder Kontrollieren zu nerven. Wir<br />
unterhalten uns auch heute noch<br />
gerne über die Schule und die berufliche<br />
Zukunft.<br />
Und worüber genau?<br />
Ein grosses Thema ist, ob der Unterricht<br />
interessant ist und ob die Lehrpersonen<br />
gerecht sind. Wenn sie eine<br />
Lehrperson besonders toll finden,<br />
möchte ich immer wissen, weshalb.<br />
Und selbstverständlich sprechen wir<br />
darüber, was nach der Schule alles<br />
möglich ist.<br />
Können Eltern ihre Kinder auch zu<br />
sehr puschen?<br />
Natürlich – und es mag auch diese<br />
unglücklichen Kinder an den Gymnasien<br />
geben, die überfordert und<br />
fehl am Platz sind; aber es sind wohl<br />
kaum so viele, wie man aufgrund<br />
dieser Diskussionen immer wieder<br />
hört. Puschen bringt nichts, Unterstützung<br />
und angemessene Erwartungen<br />
hingegen schon. Wenn man<br />
auf die Kinder eingeht, merkt man<br />
meist, wo ihre Interessen liegen und<br />
wie man sie unterstützen kann.<br />
Und wenn ein Kind etwas anderes<br />
anstrebt als eine höhere Schullaufbahn,<br />
dann sollte man dem nachgeben?<br />
Unbedingt. Ein Kind, das weder die<br />
kognitiven Voraussetzungen noch<br />
die Motivation mitbringt, kann man<br />
nicht durchs Gymnasium peitschen.<br />
Dafür sind die Anforderungen der<br />
Gymnasien in der Schweiz zu hoch.<br />
Und wenn das Kind zu einem späteren<br />
Zeitpunkt die Matura nachholen<br />
und studieren möchte, bestehen in<br />
der Schweiz genügend Chancen.
Zur Person<br />
Urs Moser ist Titularprofessor für<br />
Pädagogik an der Universität Zürich<br />
und seit 1999 Geschäftsleiter des<br />
Instituts für Bildungsevaluation der<br />
Universität Zürich sowie Mitglied der<br />
nationalen Projektleitung für Pisa-<br />
Studien. Er ist Vater zweier Töchter<br />
und lebt mit seiner Familie in Zürich.<br />
Evelin Hartmann, stellvertretende Chefredaktorin vom Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi,<br />
im Gespräch mit dem Bildungsexperten Urs Moser.<br />
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Psychologie & Gesellschaft<br />
Mit links durch den<br />
rechtshändigen Alltag<br />
Linkshändige Menschen müssen sich in einer rechtshändig dominierten<br />
Welt zurechtfinden. Das ist möglich, doch vor allem für Kinder nicht ganz<br />
einfach. Da sind Tücken, die es zu meistern gilt. Text: Susan Edthofer<br />
«Die Händigkeit<br />
der Kinder sollte<br />
nicht beeinflusst<br />
werden.»<br />
Susan Edthofer ist Redaktorin<br />
im Bereich Kommunikation<br />
von Pro Juventute.<br />
Linkshändigkeit ist heute kein Makel mehr.<br />
Und doch hält der Alltag für Linkshänderinnen<br />
und Linkshänder nach wie vor einige<br />
Stolpersteine bereit. Geschrieben und gemessen<br />
wird von links nach rechts, Scheren,<br />
Messer, Gemüseschäler, Saucenlöffel oder Dosenöffner<br />
sind meist für Rechtshänder gemacht.<br />
Längst ist erwiesen, dass die Händigkeit angeboren<br />
ist. Noch vor fünfzig Jahren wurden Kinder umerzogen.<br />
Die Folgen: mangelnde Konzentration, Gedächtnis- und<br />
Wortfindungsstörungen. Was es be deutet, wenn man<br />
nicht die bevorzugte Hand verwenden darf, merken<br />
rechtshändige Menschen erst, wenn sie die rechte Hand<br />
verletzt haben und alles mit links machen sollten.<br />
Wertung und Vorurteile<br />
Überbleibsel der negativen Wertung gegenüber Linkshändigkeit<br />
finden sich noch heute in unserem Sprachgebrauch:<br />
Wer schlechte Laune hat, ist mit dem linken<br />
Bein aufgestanden. Wer in eine unangenehme Situation<br />
geraten ist, den hat es auf dem linken Fuss erwischt, und<br />
wer sich ungeschickt anstellt, besitzt zwei linke Hände.<br />
Ganz vorurteilslos scheint man linkshändigen Menschen<br />
auch heute noch nicht zu begegnen. Nach wie vor geistert<br />
der Mythos umher, dass Rechtshänder grundsätzlich<br />
analytisch denken und Linkshänder eher kreativ und<br />
emotional seien.<br />
Die Tücken des täglichen Lebens<br />
Im Umgang mit Kindern ist es wichtig, keinen Einfluss<br />
zu nehmen. Solange nicht klar ist, ob ein Kind rechtsoder<br />
linkshändig ist, sollten Gegenstände so hingelegt<br />
werden, dass es wählen kann, mit welcher Hand es<br />
zugreifen möchte. Dass in Kindergärten und Schulen<br />
Scheren, Bleistiftspitzer und Füllfedern für Linkshändige<br />
vorhanden sind, sollte mittlerweile eine Selbstverständlichkeit<br />
sein. Im Hinblick auf das Schreibenlernen<br />
sollte die Händigkeit bis zum Schulalter festgelegt sein.<br />
Falls sich nicht deutlich herauskristallisiert, ob ein Kind<br />
rechts- oder linkshändig ist, kann ein Händigkeitstest<br />
durchgeführt werden, um zu klären, mit welcher Hand<br />
das Kind schreiben und zeichnen soll.<br />
«Linkshändige» Tiere<br />
Auch Tiere haben eine Ausprägung als Rechts- oder<br />
Linkspfoter. Offenbar geben die Fressspuren Aufschluss<br />
darüber, ob das Eichhörnchen den Tannzapfen in der<br />
rechten oder linken Pfote gehalten hat. In der Vogelwelt<br />
liegt die Anzahl der sogenannten Linksfüssler mit über<br />
90 Prozent sogar noch höher als bei den rechtshändigen<br />
Menschen.<br />
Was Eltern tun können – vier Tipps<br />
• Steht die Händigkeit Ihres Kindes noch nicht fest, sollten Sie<br />
Stifte oder Besteck so hinlegen, dass es selbst entscheiden kann,<br />
mit welcher Hand es die Dinge greifen möchte.<br />
• Besorgen Sie eine Linkshänderschere und Küchengeräte,<br />
die sich für beide Hände eignen.<br />
• Schuhe bzw. Schleife binden sollten seitenverkehrt gezeigt werden.<br />
• Der Arbeitsplatz Ihres Kindes soll linkshänderfreundlich eingerichtet<br />
sein: Der Lichteinfall kommt von rechts, das Blatt ist etwas schräg<br />
nach rechts gedreht. Bei einer korrekten Schreibhaltung zeigt das<br />
Ende des Stiftes zur linken Schulter.<br />
Pro Juventute Elternberatung<br />
Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugs personen von<br />
Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (<strong>05</strong>8 261 61 61) oder online<br />
(www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zu<br />
Erziehung und Schule stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen<br />
keine Kosten an. In den Elternbriefen und Extra briefen finden Eltern<br />
Informationen für den Erziehungsalltag. Infos auf: www.projuventute.ch<br />
40 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Tims Papi<br />
ist depressiv<br />
Psychische Krankheiten belasten ganze Familien. Wir setzen uns dafür<br />
ein, dass Kinder wie Tim die gleichen Chancen auf eine gesunde<br />
Entwicklung haben wie nicht betroffene Kinder. Auf unserer Onlineplattform<br />
www.iks-ies.ch beantworten wir die häufigsten Fragen zum<br />
Thema und vermitteln Hilfe.
Elterncoaching<br />
Kinder unter Druck<br />
Fast täglich hören wir Berichte über Druck, Stress und Burnout –<br />
und immer öfter scheinen bereits Kinder darunter zu leiden.<br />
Warum ist das so? Und was hilft gegen zu viel Druck?<br />
Fabian Grolimund<br />
ist Psychologe und Autor («Mit<br />
Kindern lernen»). In der Rubrik<br />
«Elterncoaching» beantwortet<br />
er Fragen aus dem Familienalltag.<br />
Der 37-Jährige ist verheiratet<br />
und Vater eines Sohnes, 4,<br />
und einer Tochter, 1. Er lebt<br />
mit seiner Familie in Freiburg.<br />
www.mit-kindern-lernen.ch<br />
www.biber-blog.com<br />
Bis heute fällt es mir<br />
schwer, nachzuvollziehen,<br />
warum Stress und<br />
Burnout die grossen<br />
Themen unserer Zeit zu<br />
sein scheinen. Hatten unsere Vorfahren<br />
nicht mit Problemen ganz<br />
anderen Kalibers zu kämpfen?<br />
Wenn unsere Grosseltern von früher<br />
erzählen, dann tauchen Themen auf<br />
wie Armut oder die Anforderung,<br />
sechs Kinder durchzubringen. Es<br />
wird vom Krieg erzählt und von<br />
Krankheiten, gegen die wir uns heute<br />
impfen können, die früher aber<br />
zum Tode führten.<br />
Auch unsere Eltern hatten es oft<br />
nicht leicht. Mein Vater erzählt von<br />
der Zeit im Internat mit Geistlichen,<br />
die beim kleinsten Vergehen zum<br />
Rohrstock griffen. Von Strafen, Härte<br />
und Gefühlskälte.<br />
Wie schön scheinen es im Vergleich<br />
dazu wir und unsere Kinder<br />
zu haben. Wir müssen nicht um<br />
unser Leben bangen. Unsere Kinder<br />
werden in der Schule nicht geschlagen,<br />
wenn sie die Hausaufgaben vergessen.<br />
Die realen Bedrohungen von früher<br />
haben für die meisten von uns<br />
hier in der Schweiz abgenommen.<br />
Bei einigen Menschen ist die Angst,<br />
etwas zu verpassen,<br />
so gross, dass sie sich auf nichts<br />
mehr einlassen können.<br />
Was zugenommen hat, ist ein Gefühl<br />
des ständigen, diffusen Bedrohtseins,<br />
das wir nicht recht einordnen<br />
können. Herausgreifen möchte ich<br />
nur zwei Aspekte, die zeigen: Es sind<br />
manchmal genau die Dinge, die wir<br />
am meisten schätzen, die uns unter<br />
Druck setzen.<br />
Freiheit<br />
Noch nie in der Geschichte der<br />
Menschheit hatten wir so viel Freiheit<br />
und Wahlmöglichkeiten. Wir<br />
könnten und dürfen fast alles mit<br />
unserem Leben anfangen.<br />
Welchen Beruf möchten wir<br />
ergreifen? Die Auswahl ist so gross<br />
geworden, dass selbst die Berufsberater<br />
den Überblick verlieren. Wollen<br />
wir heiraten? Eltern werden?<br />
Wie organisieren wir uns als Paar?<br />
Wer arbeitet wie viel? Wer übernimmt<br />
welche Aufgaben? Kinderkrippe<br />
oder nicht? Welchen Platz<br />
wollen wir Religion oder Spiritualität<br />
in unserem Leben geben? Wo<br />
wollen wir wohnen?<br />
Wenn wir diese Fragen lesen,<br />
merken wir gleich: Freiheit bedeutet<br />
Stress! Denn wir müssen uns entscheiden.<br />
Die Angst, die falsche<br />
Option zu wählen, wächst mit den<br />
verfügbaren Möglichkeiten. Oft fühlen<br />
wir uns blockiert, weil wir nicht<br />
in der Lage sind, eine Entscheidung<br />
zu treffen.<br />
Bei einigen Menschen ist die<br />
Angst, etwas zu verpassen, so gross,<br />
dass sie sich auf nichts mehr einlassen<br />
können. Sie sind immer latent<br />
auf der Suche. Sie sind zufrieden mit<br />
ihrem Job, aber halten Ausschau<br />
nach etwas Besserem. Sie beschrei-<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
42 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
en die Beziehung als gut, fragen<br />
sich aber ständig, ob es nicht noch<br />
jemand gäbe, der oder die besser<br />
passen würde.<br />
Früher war für viele Kinder der<br />
Weg vorgezeichnet – sie sind in die<br />
Fussstapfen der Eltern getreten. Sie<br />
haben den Hof, den Betrieb, das<br />
Handwerk übernommen. Heute<br />
haben wir als Eltern nicht die leiseste<br />
Ahnung, was aus unseren Kindern<br />
einmal werden wird. Vielleicht<br />
werden sie einen Beruf ergreifen,<br />
der heute nicht einmal existiert. Wie<br />
also sollen wir sie auf die Zukunft<br />
vorbereiten?<br />
Dieser Unsicherheit begegnen<br />
wir mit der Losung: Ich muss meinem<br />
Kind alle Wege offenhalten. Zu<br />
gross ist die Angst, dass das Kind<br />
sonst in einer Sackgasse landet und<br />
uns später Vorwürfe machen wird.<br />
Möglichst viel Bildung, ein möglichst<br />
hoher Abschluss scheint das<br />
Ticket zu sein, das wir unseren Kindern<br />
mit auf den Weg geben wollen.<br />
Daneben sollen die Kinder ein möglichst<br />
breites Repertoire an Fähigkeiten<br />
und Interessen aufbauen.<br />
Nach einem Vortrag fragte mich<br />
eine Mutter: «Meine Tochter ist in<br />
der ersten Klasse und möchte nach<br />
der Schule einfach nur spielen, in<br />
den Garten gehen, sich um die Tiere<br />
kümmern und ihre Freundinnen<br />
treffen. Ich habe mich so erschrocken,<br />
als ich gehört habe, was die<br />
anderen Kinder in ihrer Klasse alles<br />
machen. Die anderen Eltern meinten,<br />
es sei doch wichtig, dass ein<br />
Kind ein Instrument lernt und Sport<br />
macht. Ich habe Angst, dass ich meine<br />
Tochter zu wenig fördere.»<br />
Potenzialentfaltung<br />
Neben Freiheiten und Wahlmöglichkeiten<br />
steht auch die Entfaltung<br />
unseres Potenzials hoch im Kurs.<br />
Kinder sollen ihre Stärken entdecken,<br />
individuell gefördert werden.<br />
Wir hören immer wieder, dass<br />
unsere Kinder viel mehr könnten,<br />
wenn sie nur die richtige Lernumgebung<br />
erhielten – bis hin zur Aus-<br />
sage, dass angeblich 98 Prozent der<br />
Kinder hochbegabt seien. Berichte<br />
von Menschen mit Downsyndrom,<br />
die es an die Uni geschafft haben,<br />
sollen uns zeigen: Alles wäre möglich<br />
mit den richtigen pädagogischen<br />
Ansätzen.<br />
Sehnsüchtig suchen wir auf der<br />
ganzen Welt nach Musterbeispielen.<br />
Nach Finnlands Pisa-Sieg im Jahr<br />
2000 tingelten ganze Expertenscharen<br />
dorthin und berichteten von<br />
einer besseren Welt. Experten,<br />
Eltern und Lehrer waren und sind<br />
sich einig: Dort gelingt es. Andere<br />
Länder wie Deutschland und die<br />
Schweiz haben dagegen «Nachholbedarf».<br />
Solche Berichte haben etwas<br />
Bewegendes. Sie berühren und<br />
beflügeln uns. Manchmal sind sie<br />
ein Trost in schwierigen Zeiten. Sie<br />
geben uns das Gefühl: In meinem<br />
Kind könnte noch ganz vieles stecken<br />
– wir müssen es nur finden und<br />
zur Entfaltung bringen. Misstöne<br />
werden dabei gerne zur Seite ge -<br />
wischt. Wie beispielsweise die Schülerbefragung<br />
im Rahmen einer gross<br />
angelegten Studie der Unicef aus<br />
dem Jahr 2007, die zeigte: In keinem<br />
anderen Land geben weniger Schülerinnen<br />
und Schüler an, gerne zur<br />
Schule zu gehen, als in Finnland.<br />
Ständiges Suchen nach besseren<br />
Lösungen, Hinterfragen des Bestehenden<br />
und Optimieren setzt Schulen<br />
und Familien unter Druck. Der<br />
Glaube, dass jedes Kind im Grunde<br />
hochbegabt ist und in ihm ein Genie<br />
schlummert, das geweckt werden<br />
will, bedeutet im Umkehrschluss:<br />
Wenn ein Kind nichts Aussergewöhnliches<br />
wird, haben wir versagt.<br />
Wir haben es versäumt, die ungeahnten<br />
Kräfte und Talente in ihm<br />
zum Vorschein zu bringen.<br />
Es scheint gar keine Option zu<br />
sein, sich mit weniger als dem Maximum<br />
zufrieden zu geben. Auf dem<br />
Weg zum Bahnhof mit zwei Teilnehmerinnen<br />
einer Weiterbildung<br />
erzählte eine Lehrerin, dass ihr Sohn<br />
nun endlich eine Lehrstelle in sei-<br />
Zumindest im einen oder<br />
anderen Bereich weniger zu<br />
wollen, ist vielleicht gar kein<br />
schlechtes Mittel gegen Druck.<br />
nem Traumberuf gefunden habe.<br />
Darauf sagte die andere Teilnehmerin:<br />
«Ja – und heute mit dem dualen<br />
Bildungssystem kann er dann ja<br />
immer noch die Berufsmatura<br />
machen und sich weiterqualifizieren.»<br />
Ich nickte und sagte in ge -<br />
wohnter Manier: «Ja, da haben wir<br />
in der Schweiz wirklich Glück.» Die<br />
Mutter sah uns genervt an und erwiderte:<br />
«Er macht jetzt einfach diese<br />
Lehre! Ihm gefällt’s. Das reicht. Jedes<br />
Mal, wenn ich davon erzähle, kommen<br />
mir die Leute gleich mit ‹Er<br />
kann ja dann immer noch…›.»<br />
Wer am Wochenende und in den<br />
Ferien lieber zu Hause bleibt, als seinen<br />
Horizont zu erweitern, wer seinen<br />
Job gut und gern genug macht,<br />
anstatt sich permanent nach dem<br />
nächsten Karrieresprungbrett um -<br />
zusehen, wer dankbar ist, dass die<br />
Kinder gesund und zufrieden sind,<br />
ohne etwas Aussergewöhnliches zu<br />
sein, wer zugibt, dass man als Paar<br />
ein gutes Team ist, aber nicht jeden<br />
Tag von Leidenschaft gepackt wird,<br />
wirkt auf andere rasch etwas armselig.<br />
Und dennoch: Zumindest in<br />
manchen Bereichen weniger zu wollen<br />
und sich und seinen Kindern zu<br />
erlauben, durchschnittlich, gewöhnlich,<br />
langweilig oder einfach «gut<br />
genug» zu sein, ist vielleicht gar kein<br />
schlechtes Mittel gegen zu viel<br />
Druck.<br />
In der nächsten Ausgabe:<br />
Belohnungen – gut gemeint ist nicht immer gut<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>43
Schule & Erziehung<br />
«Eltern und Lehrpersonen<br />
wollen das Beste für das Kind»<br />
In Standortgesprächen zwischen Lehrpersonen und Eltern treffen oftmals verschiedene<br />
Perspektiven aufeinander. Sich gut darauf vorzubereiten, lohnt sich. Denn gelungene<br />
Gespräche können zur Förderung der kindlichen Entwicklung beitragen. Text: Ruth Fritschi<br />
«Gelungene Elternge spräche<br />
fördern den Lernprozess<br />
des Kindes.»<br />
Ruth Fritschi, ist Präsidentin der LCH-<br />
Stufenkommission 4bis8 und Kindergartenlehrperson.<br />
Sie schreibt regelmässig für<br />
unser Magazin.<br />
Die meisten Lehrpersonen besuchen<br />
eine Weiterbildung im Bereich<br />
Gesprächsführung und Umgang<br />
mit Problemsituationen.<br />
Für sämtliche Lehrpersonen<br />
gehören Elterngespräche<br />
zum Berufsauftrag.<br />
Sie finden auf allen<br />
Stufen vom Kindergarten<br />
bis zur Berufslehre oder zum Gymnasium<br />
statt. In vielen Kantonen<br />
werden sie als Schulische Standortgespräche<br />
bezeichnet und verfolgen<br />
das Ziel und den Zweck, den Entwicklungs-<br />
und den Leistungsstand<br />
des Kindes anhand von Bezugsnormen<br />
einzuschätzen. Diese Beurteilung<br />
ist für Eltern, Kind und Lehrperson<br />
von hoher Bedeutung und<br />
wird von Seiten der Eltern und Kinder<br />
oft mit Spannung erwartet. Für<br />
uns Lehrpersonen sind Elterngespräche<br />
ein wichtiger Bestandteil<br />
unserer Arbeit. Gelungene Elterngespräche<br />
begünstigen und fördern<br />
den weiteren Lernprozess des Kindes.<br />
Meine Erfahrungen im Schulalltag<br />
zeigen, dass die meisten Lehrpersonen<br />
viel Zeit und Energie in<br />
eine transparente Beurteilung und<br />
in die Gesprächsvorbereitungen stecken.<br />
Auch nach einigen Jahren Be -<br />
rufserfahrung wird immer wieder<br />
untereinander ausgetauscht, welche<br />
Faktoren zum guten Gelingen eines<br />
Elterngesprächs beitragen.<br />
Wertschätzende Beziehung<br />
Die meisten von uns besuchen im<br />
Verlauf ihrer beruflichen Tätigkeit<br />
Weiterbildungen zu Gesprächsführung<br />
und Umgang mit Problemsituationen.<br />
Wenn ich an die Gespräche<br />
in unserem Teamzimmer denke,<br />
stelle ich fest, dass die meisten meiner<br />
Kolleginnen und Kollegen die<br />
entscheidenden Faktoren kennen: Es<br />
wird versucht, eine wertschätzende<br />
und gleichberechtigte Beziehung zu<br />
den Beteiligten aufzubauen, die<br />
Strukturierung des Gesprächs wird<br />
transparent gemacht, und wenn<br />
immer möglich wird eine konstruktive<br />
und kooperative Lösung des<br />
Problems angestrebt.<br />
Viele Lehrpersonen verwenden<br />
ein persönliches Gesprächsraster<br />
und kommen mit diesem erfolgreich<br />
zum Ziel. Und trotzdem passiert es<br />
mir und wahrscheinlich auch meinen<br />
Kolleginnen und Kollegen, dass<br />
wir in unangenehme Problemsituationen<br />
geraten.<br />
Zum Beispiel stellt ein Vater die<br />
Autorität der Lehrerin gleich zu<br />
Gesprächsbeginn in Frage. Mit drohendem<br />
Getöse versucht er die junge<br />
Lehrerin einzuschüchtern und<br />
unterstellt ihr, dass sie die Klasse<br />
44 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
nicht im Griff habe. Der Machtaspekt<br />
steht vorerst so sehr im Vordergrund,<br />
dass an den Aufbau einer<br />
wertschätzenden und gleichberechtigten<br />
Beziehungsebene gar nicht<br />
mehr zu denken ist. Diese Situation<br />
verlangt von der Lehrerin geschickte<br />
kommunikative Verhaltensweisen,<br />
um das Gespräch auf inhaltliche<br />
Einschätzungen und auf eine konstruktive<br />
und kooperative Lösung zu<br />
lenken.<br />
Der Umgang mit negativen Emotionen<br />
kann als häufig erlebte Problemsituation<br />
beschrieben werden.<br />
Wenn die Beobachtungen und Einschätzungen<br />
von uns Lehrpersonen<br />
nicht mit den Beschreibungen von<br />
zu Hause übereinstimmen, kann es<br />
sein, dass im Verlauf des Gesprächs<br />
Wut oder Frustration aufkommen,<br />
die eine kooperative Beziehung zwischen<br />
den Beteiligten erschweren.<br />
Als erfahrene Lehrperson weiss ich,<br />
dass ich mich in solchen Situationen<br />
empathisch verhalten soll. Das<br />
bedeutet, dass ich die Standpunkte<br />
der Eltern nachvollziehen und nachfühlen<br />
können soll. Gleichzeitig<br />
sollte ich Distanz bewahren, um<br />
nicht emotional, sondern rational zu<br />
reagieren.<br />
Ich versuche, mich nicht aus der<br />
Fassung bringen zu lassen, immer<br />
betont sachlich zu bleiben und<br />
irgendwie zu vermitteln, dass es um<br />
die optimale Förderung des Kindes<br />
geht. Doch gerade weil es um die<br />
optimale Förderung des Kindes<br />
geht, war und ist es auch schon mal<br />
sinnvoll, emotional zu reagieren,<br />
damit die Eltern sehen, dass auch ich<br />
nur ein Mensch bin und meine<br />
Sache leidenschaftlich vertrete.<br />
Diskretion ist Ehrensache<br />
Ebenso bedarf es einigen Fingerspitzengefühls,<br />
wenn Eltern intime<br />
Konflikte oder familiäre Probleme<br />
im Gespräch darlegen, die mich als<br />
Lehrperson tief in die Familie hineinblicken<br />
lassen. Mit dem Wissen,<br />
dass die Ursachen für schulische<br />
Probleme oft in der familiären Situation<br />
zu suchen sind, ist es wichtig,<br />
dass die Beteiligten bei der Lehrperson<br />
auf Diskretion und Verständnis<br />
stossen. In diesem Fall verlangt die<br />
Situation viel Sensibilität und der<br />
Umgang mit dem Gehörten professionelle<br />
Integrität. Wenn diese familiären<br />
Informationen zu einer konstruktiven<br />
und kooperativen Lösung<br />
des Problems beitragen, sind sie<br />
soweit adäquat und hilfreich.<br />
Die geschilderten Situationen<br />
machen deutlich, dass es entscheidend<br />
ist, ob der Kontakt mit den<br />
Es ist entscheidend, ob der<br />
Kontakt mit den Eltern von<br />
gegenseitiger Unterstützung<br />
und Kooperation geprägt ist –<br />
oder ob Abwehr da ist.<br />
Eltern von gegenseitiger Unterstützung<br />
und Kooperation geprägt ist<br />
oder ob Forderungen auf der einen<br />
und abwehrende Haltung auf der<br />
anderen Seite vorhanden sind.<br />
Meine Berufserfahrung zeigt,<br />
dass es sich lohnt, einen eigenen<br />
Gesprächsleitfaden zu haben und zu<br />
festigen. Er beinhaltet die Herstellung<br />
eines positiven Kontakts, die<br />
Klärung eines vorliegenden Problems<br />
und die Eruierung von Lö <br />
sungsmöglichkeiten. Auch wenn die<br />
Situationen immer wieder unterschiedlich<br />
sind und die Fragen<br />
unterschiedlich beantwortet werden<br />
müssen, gibt mir mein eigener Leitfaden<br />
Orientierung und Sicherheit.<br />
Und Eltern, die sich zur Vorbereitung<br />
des Elterngesprächs auch<br />
ihre Aspekte überlegen, sind in den<br />
meisten Fällen kooperative Ge <br />
sprächspartner.<br />
PUBLIREPORTAGE<br />
Avadis Geldtipp Nr. 3<br />
Auf die Kosten achten<br />
Die Kosten eines Fonds können die Rendite<br />
deutlich schmälern. Deshalb ist es wichtig,<br />
bei der Wahl eines Anlageprodukts alle Kosten<br />
und Gebühren zu berücksichtigen.<br />
Viele Anleger wählen einen Fonds, weil er sich in<br />
der Vergangenheit gut entwickelt hat. In weniger<br />
guten Börsenzeiten schauen sie sich dann die<br />
Konditionen ihres Fonds genauer an und stellen<br />
mit Schrecken fest, dass ihnen hohe Gebühren<br />
belastet werden. Zu den eigentlichen Fondskosten<br />
kommen vielleicht noch Depot- und Transaktionsgebühren<br />
hinzu. So können sich die Gesamtkosten<br />
für einen aktiven Fonds rasch auf<br />
über 2% summieren. Kosten, die zuerst an den<br />
Märkten «verdient» werden müssen.<br />
TER enthält nicht alle Kosten<br />
Beim langfristigen Anlegen wirken sich schon<br />
kleine Kostenunterschiede sehr stark aus. Für<br />
den Anlageerfolg ist deshalb mitentscheidend,<br />
auf günstige Produkte zu setzen. Die Kosten<br />
eines Fonds werden in der Regel als «Total Expense<br />
Ratio» (TER) angegeben. «Total Expense»<br />
heisst jedoch nicht zwingend, dass sämtliche<br />
Kosten abgedeckt sind. So verrechnen manche<br />
Anbieter zusätzlich bis zu 2% des Anlagebetrags<br />
als Ausgabekommission. Entsprechend wichtig<br />
ist es, bei einem Kostenvergleich alle Gebühren<br />
zu berücksichtigen.<br />
Das Angebot von Avadis umfasst sieben<br />
Anlagefonds, die alle eine TER von unter<br />
0,60% aufweisen.<br />
Avadis verlangt keine Depotgebühren und<br />
keine Ausgabe- und Rücknahmekommissionen.<br />
Weitere Informationen finden Sie unter<br />
www.avadis.ch/anlegen.
In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post<br />
Erziehung & Schule<br />
Zuhören, singen, reimen<br />
Für den Schreiberwerb ist eine Erkenntnis zentral: Unser Schriftsystem ist eine Laut-Buchstaben-Schrift.<br />
Das heisst, dass gesprochene Laute in Schriftzeichen übertragen werden. Sprachspiele unterstützen<br />
Kinder bei der Entwicklung dieses Bewusstseins. Text: Johanna Oeschger<br />
Ein Kind, das noch nicht schreiben<br />
kann, richtet seine Aufmerksamkeit<br />
hauptsächlich auf die Bedeutung der<br />
Wörter; den Klang oder die formalen<br />
Merkmale nimmt es noch nicht bewusst<br />
wahr. Erst nach und nach entdeckt das<br />
Kind, dass es die gesprochene Sprache<br />
in Wörter, Silben und Buchstaben zerlegen<br />
und diese als Bausteine für das<br />
eigene Schreiben nutzen kann. Dieser<br />
Lernprozess beginnt bereits lange vor<br />
dem ersten Schreiben, wenn Reime und<br />
Lieder das Interesse an der Struktur der<br />
Sprache wecken oder wenn beim Vorlesen<br />
die Aufmerksamkeit auf die<br />
Laut-Schrift-Beziehung gelenkt wird.<br />
«Ich sehe was, was du nicht<br />
siehst … »<br />
Als Variante des beliebten Zugfahr-/<br />
Autofahrspiels wird anstatt die Farbe der<br />
Anfangsbuchstabe des gesuchten Dings<br />
genannt («… und das fängt mit S an»).<br />
Silbenstufen<br />
Am Fuss einer Treppe denken sich die<br />
Kinder ein Wort aus, sprechen das Wort<br />
und gehen für jede Silbe eine Stufe hoch.<br />
Wer kommt am schnellsten die Treppe<br />
rauf?<br />
Liederkoffer<br />
Mit passenden Stichworten und Zeichnungen<br />
werden Lieder auf Zetteln dargestellt<br />
und in einer Schachtel gesammelt.<br />
Nun wird abwechslungsweise ein<br />
Zettel gezogen, der Liedtitel erraten –<br />
und gesungen!<br />
Wörter, die beim Vorlesen «versehentlich»<br />
verwechselt wurden (« … hatten<br />
grossen Wurst») oder suchen auf der<br />
Buchseite ein Wort, das öfter im Text<br />
vorkommt («Wo steht … ?»).<br />
Johanna Oeschger<br />
ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin,<br />
unterrichtet Deutsch und Englisch<br />
auf der Sekundarstufe II und arbeitet als<br />
Mediendidaktikerin bei LerNetz.<br />
Liederraten<br />
Aus welchen Liedern kommen diese Verse?<br />
1. D Chöpfli heis i ds Wasser,<br />
d Schwänzli heis i d Höh<br />
2. S müesst eine sii, wo rede cha –<br />
dä seit i mir denn alles nah<br />
3. Blib doch au dr ganz Tag da,<br />
das i cha veruse ga<br />
4. Chasch du rite? Chasch uf beidi Site?<br />
5. Alli tüe si grunze, alli tüe si schmatze,<br />
und enand am Rügge chratze<br />
Finde zu jedem Vers das passende Bild<br />
und schreibe den fett gedruckten<br />
Buchstaben zum Bild.<br />
Von links nach rechts gelesen ergeben die<br />
Buchstaben ein Lösungswort. Schicke<br />
das Lösungswort bis zum 31. Mai <strong>2017</strong> an<br />
fritzundfraenzi@lernetz.ch und gewinne<br />
mit etwas Glück eine CD mit vielen tollen<br />
Liedern!<br />
Tipp: Im Online-Artikel auf fritzundfraenzi.ch<br />
gibt’s die gesungene Version!<br />
Bild: iStockphoto<br />
(Vor)Lesen<br />
So werden aus Zuhörern allmählich<br />
Selbstleser: Die Zuhörer korrigieren<br />
46 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Stiftung Elternsein<br />
«Generationensprung!»<br />
Ellen Ringier über die Nähe der Grosseltern zu ihren Enkeln.<br />
Bild: Maurice Haas / 13 Photo<br />
Dr. Ellen Ringier präsidiert<br />
die Stiftung Elternsein.<br />
Sie ist Mutter zweier Töchter.<br />
Es wird schon an die zehn Jahre her sein,<br />
als meine beiden Töchter meine damals<br />
um die 80 Jahre alte Mutter besuchten,<br />
manchmal einzeln, manchmal zusammen.<br />
Eines Tages überraschten mich die beiden<br />
Teenager mit der Bemerkung, meine<br />
Mutter – ihre Grossmutter – hätte lange<br />
vor ihrer Hochzeit mit meinem Vater, also<br />
vor ihrem 25. Altersjahr, eine intime Beziehung mit<br />
einem jungen Mann gehabt. In New York, Ende der<br />
40er-Jahre. Und sie hätte diesen jungen Mann sehr<br />
geliebt, sich aber nicht getraut, mit ihren Eltern – meinen<br />
Grosseltern – darüber zu reden und, und, und.<br />
«Was», habe ich mir gedacht, «erzählt meine Mutter<br />
denn da?» Meinen Schwestern oder mir hätte sie das<br />
niemals erzählt! Obschon meine Mutter eine für damalige<br />
Verhältnisse ausgesprochen aufgeschlossene Frau<br />
und Sexualität bei uns zu Hause kein Tabuthema war.<br />
Ganz besonders nicht, wenn es um Verhütung ging!<br />
Liefen wir einander bei Gelegenheit nackt über den<br />
Weg, schien uns das normal. Prüde waren wir alle ganz<br />
gewiss nicht. Aber achtsam. Man könnte auch sagen,<br />
respektvoll gegenüber der Intimität des anderen.<br />
Aber die Intimsphäre haben weder meine Eltern uns<br />
Kindern gegenüber noch wir Kinder gegenüber unseren<br />
Eltern je angesprochen. Es wäre mir im Traum nicht<br />
eingefallen, meine Mutter zu fragen, ob Papi ein guter<br />
Liebhaber gewesen wäre! Und hätte meine Mutter eine<br />
diesbezügliche Andeutung gemacht, hätte ich sie nicht<br />
hören wollen.<br />
Demgegenüber waren Sex-Themen zwischen mir<br />
und meinen besten Freundinnen durchaus ein beliebter<br />
Gesprächsstoff.<br />
Ich denke heute, dass es zwischen Eltern und Kindern<br />
eine wohl genetisch angelegte Schranke gibt, die<br />
man als eine natürliche Scham bezeichnen könnte.<br />
Mein Mann und ich würden unsere Töchter auch<br />
heute niemals fragen, wie ihre Partner denn so im Bett<br />
seien … Nicht, dass es mich nicht interessieren würde,<br />
aber das Mutter-Kind- genauso wie das Vater-Kind-<br />
Verhältnis verbietet diese und ähnliche Fragen einfach.<br />
Und dies, obschon wir im Gegensatz zu meiner Jugendzeit<br />
in einer Welt leben, die sich nun wirklich nicht<br />
durch Tabus auszeichnet. Die Medien thematisieren<br />
nicht nur Intimes, Sexuelles öffentlich in Wort und Bild.<br />
Wer will, kann sich heutzutage nicht nur im Internet an<br />
jeder nur denkbaren sexuellen Perversion erfreuen. Und<br />
nun kommt also meine Mutter daher und erzählt meinen<br />
Töchtern von ihren ersten Liebeserfahrungen!<br />
Wie komme ich darauf, Ihnen das zu erzählen?<br />
Dieser Tage – wir sind mit einer Tochter und ihrem<br />
kleinen Sohn zusammen in den Ferien – beobachte ich,<br />
wie innig das Verhältnis unseres kleinen Enkels zu seinem<br />
Opa ist. Der zweijährige kleine Mann macht jede<br />
Faxe, ja jede Körperbewegung nach. Verschränkt mein<br />
Mann bei Tisch seine Arme, tut es der Kleine auch. Die<br />
beiden kommunizieren mit einer Leichtigkeit miteinander,<br />
als ob unser Enkel schon fliessend sprechen<br />
könnte. Mein Mann scheint den gutturalen Redeschwall<br />
bestens zu verstehen …<br />
Ich kann mich nicht erinnern, dass wir dem Brabbeln<br />
unserer eigenen Kinder je eine solche Aufmerksamkeit<br />
geschenkt hätten. Bei unseren Enkeln ist das ganz<br />
anders.<br />
Meine Tochter meint, Grosseltern hätten zu den<br />
Enkeln in einem gewissen Sinn eine viel grössere Nähe<br />
als zu den eigenen Kindern. Es gäbe, was dieses Thema<br />
angeht, immer eine Art Generationensprung. Wirklich?<br />
Werden mein Mann und ich unseren Enkelkindern<br />
eines Tages auch unsere Liebesgeschichten aus den 70er-<br />
Jahren erzählen?<br />
STIFTUNG ELTERNSEIN<br />
«Eltern werden ist nicht schwer,<br />
Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch<br />
Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten,<br />
Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein<br />
an. Sie richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern<br />
und Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen<br />
Eltern, Kindern, Lehrern und die Vernetzung der elternund<br />
erziehungsrelevanten Organisationen in der<br />
deutschs prachigen Schweiz. Die Stiftung Elternsein<br />
gibt das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus.<br />
www.elternsein.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>47
Kolumne<br />
Kein Sommerhaus,<br />
später<br />
Mikael Krogerus<br />
ist Autor und Journalist.<br />
Der Finne ist Vater einer Tochter und eines<br />
Sohnes, lebt in Biel und schreibt regelmässig<br />
für das Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi und andere Schweizer Medien.<br />
Vor vielen Jahren las ich eine Geschichte über den<br />
tragischen Umstand, «kein Sommerhaus<br />
zu besitzen». Ich verstand beim besten Willen<br />
nicht, was der Autor oder die Autorin zu so<br />
einem Text bewogen hatte. Ich war jung. Ich<br />
hatte keine Ahnung. Heute, 15 Jahre und zwei Kinder später,<br />
weiss ich, was gemeint war. Denn auch ich habe kein<br />
Sommerhaus. Das Sommerhaus, das ich nicht besitze, liegt nicht<br />
in meinem Heimatland Finnland. Vom windschiefen, fast<br />
hundert Jahre alten Haus führt kein steiler Weg hinunter zum<br />
See. Und unten angekommen, versteckt hinter einer kleinen<br />
Klippe, findet man nicht die alte Sauna, die mein Vater damals<br />
im Sommer 1984 nicht renovierte und in der es nicht so<br />
wunderbar nach Teerholz riecht. In der dunklen Hitze sass ich<br />
nie als Kind auf dem Boden und lauschte meinem Onkel, wie<br />
er jedes Mal den gleichen Witz machte, wenn die Hitzewelle<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
Bild: ZVG<br />
Jetzt<br />
gewinnen!<br />
Fritz+Fränzi verlost …<br />
Mai-Verlosung<br />
Neue, kreative Sprachcamps von fRilingue zum<br />
10-jährigen Jubiläum<br />
fRilingue organisiert Sprachcamps (F, E, D) im Frühling, Sommer und Herbst<br />
in der Schweiz und weltweit. Unterricht in 6er-Gruppen, Vollpension, Ausflüge,<br />
Spass und Action inklusive!<br />
CAMP 1: ArtCamp in Plasselb / 11–17 Jahre, 23. 7. – 5. 8. <strong>2017</strong>, 2 Wochen ab Fr. 1250.–<br />
Sprachferien in den Bergen mit genialen Kunstworkshops. Wir werfen Theorie<br />
und Praxis in einen grossen Topf und malen dann ein buntes Bild daraus.<br />
Französisch oder Englisch mal ganz anders ERLEBEN!<br />
CAMP 2: Theater&Video-Camp in St. Imier / 13–17 Jahre, 16. 7. – 5. 8. <strong>2017</strong>,<br />
2 Wochen ab Fr. 1250.–<br />
Kreative Explosion der Fantasie im Berner Jura. Unser brandheisses Sommer-<br />
Sprachcamp – Französisch und Englisch aktiv anwenden in spannenden<br />
Theater- und Videoprojekten u. a. mit Künstlern aus Paris.<br />
(Es wird pro Camp jeweils 1 Woche an 1 Person verlost)<br />
Mehr Infos: www.frilingue.ch<br />
Wettbewerbsteilnahme auf www.fritzundfraenzi.ch/verlosung<br />
Teilnahmeschluss: 12. Juni <strong>2017</strong>. Teilnahme per SMS: Stichwort FF CAMP1, FF CAMP2<br />
an 959 senden (30 Rp./SMS)
vom ersten Aufguss mein Gesicht traf wie eine glühende<br />
Peitsche: «Das hier, Kinder, ist besser als Sex.» Die Sauna<br />
hat auch keine Veranda mit kleiner Holzbank, auf der ich<br />
heute so gern nach dem Abkühlen sitze, die Füsse aufs<br />
Geländer gestützt, ein Bier in der Hand und den Blick aufs<br />
andere Seeufer gerichtet.<br />
Ich habe hier nicht jeden Sommer mit meinen Cousinen<br />
hinter dem Haus Himbeeren gepflückt (einmal zwei Liter<br />
in eineinhalb Stunden!), wir waren nie den ganzen Tag<br />
schwimmen und lagen nie auf den Felsen an der Sonne, um<br />
uns zu wärmen. Und nie sind wir mit dem alten Kahn rüber<br />
zur unbewohnten Insel gerudert, um dort Eierschwämmli<br />
zu sammeln und später dabei zuzuschauen, wie unsere<br />
Mutter sie mit Butter in der Pfanne briet. Abends sassen wir<br />
Kinder nie vor dem knisternden Kaminfeuer, das wir – das<br />
war eine eiserne Regel! – immer nur mit einem Streichholz<br />
und ohne Papier entfachen durften. Und nie weckte<br />
mich mein Vater in der Nacht des ersten Mittwochs im<br />
August, wenn die Krebssaison beginnt, um im Dunkeln, nur<br />
mit Taschenlampen bewaffnet, am Ufer die urtümlichen<br />
Tierchen zu jagen.<br />
Das Haus hat vieles nicht erlebt. Nicht den grossen Sturm<br />
von 1967 und nicht den Eiswinter von 1981, als unser Nachbar<br />
in seinem Haus erfror. Es hat auch nicht die Verbreiterung<br />
der Strasse, den Streit mit den neuen Nachbarn und auch nicht<br />
das Ausheben der grossen Kiesgrube erlebt.<br />
Und jetzt, da ich eigene Kinder habe, komme ich nicht jeden<br />
Sommer mit meiner Familie hierher. Ich werde meinen<br />
Kindern also nie vermitteln können, was ich selber nie erlebt<br />
habe: Ich werde ihnen nie zeigen, wie man einen frisch<br />
gefangenen Fisch ausnimmt, nicht, wie man sich im Wald ohne<br />
Kompass orientiert, und auch nicht, wo der Felsen liegt, auf<br />
dem ich damals in jener Julinacht nicht die Freundin meiner<br />
Cousine küsste.<br />
Jetzt beginnt bald ein neuer Sommer. Und ich freue mich<br />
schon, mein nicht-existierendes Sommerhaus aus seinem<br />
Winterschlaf zu wecken. Vor neun Monaten hatte ich die<br />
Läden nicht verschlossen, das Ruderboot nicht an Land<br />
gezogen und den Schlüssel nicht unter die Treppe gelegt, und<br />
von genau dort werde ich ihn bald wieder nicht hervorfischen,<br />
um einen neuen Sommer zu begrüssen.<br />
Ach, wenn doch jeder so ein Sommerhaus hätte, wie ich es<br />
nicht habe.<br />
Praktische Ausbildung<br />
Seniorenbetreuung<br />
AbsolventInnen arbeiten in Alters- und Pflegeheimen oder<br />
bei der Spitex. Sie übernehmen einfache Aufgaben in der<br />
Seniorenbetreuung und den hauswirtschaftlichen Tätigkeiten.<br />
Das Ausbildungsangebot richtet sich an junge Frauen und<br />
Männer mit einer Lernschwäche oder einer leichten geistigen<br />
und/oder psychischen Beeinträchtigung.<br />
Praktische Ausbildung<br />
Seniorenbetreuung<br />
Infos unter www.ibk-berufsbildung.ch<br />
Weitere Informationen unter www.ibk-berufsbildung.ch<br />
ORDNUNG FÜR KICKBOARDS<br />
Sexualität & Liebe. Die heilsame<br />
und heilige Dimension der körperlichen Liebe,<br />
9. – 10. September<br />
Weiterkommen. Als Paar. Zeit zu zweit –<br />
Impulse – neue Erfahrungen, 23. – 24. September<br />
Informationen und weitere Kurse: www.klosterkappel.ch<br />
Kloster Kappel, 8926 Kappel am Albis, Tel. 044 764 88 30<br />
KINDERLEICHTE MONTAGE<br />
WWW.KLICKBOARD.CH
Digital & Medial<br />
CYBERMOBBING<br />
Wenn Jugendliche<br />
im Internet hassen<br />
Beschimpft, ausgeschlossen, ausgelacht: Mobbing ist für jedes Kind, für jeden<br />
Jugendlichen ein Trauma – besonders wenn es online und in den sozialen<br />
Netzwerken stattfindet. Dort entfaltet Mobbing eine neue Dimension:<br />
Psychoterror, der Kinder in den Suizid treiben kann. Prävention und<br />
ein frühes Eingreifen sind entscheidend. Text: Irena Ristic<br />
Der Satz im Whats-<br />
App-Gruppenchat<br />
tut beim Lesen weh:<br />
«Ach leg dich einfach<br />
untern Zug,<br />
hilfst uns allen damit», schreibt<br />
Luca seinem Mitschüler Marius.<br />
«Da würde er sich selber und der<br />
Welt einen Gefallen tun», doppelt<br />
Luca nach. «Von der Brücke springen<br />
wär auch ok. Aber dafür hat der<br />
auch nicht die Eier».<br />
Der Grund für diese Hetze ist<br />
banal. Offenbar hat sich Marius zu<br />
oft im Unterricht gemeldet. Der Satz<br />
hat nur ein Ziel: Marius fertigzumachen.«Wie<br />
beim Mobbing im<br />
Klassenzimmer oder auf dem Schulhof<br />
besteht das Ziel der Cybermobber<br />
darin, ihr Opfer über einen längeren<br />
Zeitraum hinweg zu zerstören»,<br />
sagt Cybermobbing-Expertin<br />
Catarina Katzer. Sie ist eine der<br />
führenden Forscherinnen auf dem<br />
Gebiet der Cyberpsychologie.<br />
Cybermobbing gehört zu den am<br />
meisten diskutierten Themen in den<br />
Medien. Weil es keine allgemeingültige<br />
Definition von Cybermobbing<br />
gibt, variieren die Angaben über die<br />
Zahl der Betroffenen stark.<br />
Die aktuellsten Zahlen liefert die<br />
JAMES-Studie von 2016, die sich<br />
seit vielen Jahren mit dem Medienumgang<br />
von Schweizer Jugendlichen<br />
beschäftigt. «Ist es schon vorgekommen,<br />
dass über dich Falsches<br />
oder Beleidigendes im Internet verbreitet<br />
wurde?», wollten die Macher<br />
der Schweizer Studie im letz- >>><br />
Cybermobbing hat nur ein<br />
Ziel: Das Opfer soll<br />
leiden – bis zur psychischen<br />
Zerstörung.<br />
Bild:iStockphoto<br />
50
Auszug eines realen Chatverlaufs<br />
Luca<br />
Marius wieder voll am schleimen…was<br />
der heute wieder<br />
in englisch gebracht hat..<br />
Sandro<br />
wie er der Berger in Arsch<br />
kriecht – macht mich so<br />
aggro der Pisser<br />
Luca<br />
word! Ich füg den Spast mal<br />
hinzu LOL<br />
Marius wurde von Noah<br />
zum Chat hinzugefügt<br />
Darf man sich jetzt im<br />
Unterricht nicht mehr<br />
melden oder was???<br />
Luca<br />
ach komm leg dich einfach<br />
untern zug hilfst uns allen<br />
damit<br />
Sandro<br />
da würd er sich selber und<br />
der Welt n gefallen tun<br />
Luca<br />
Von der brücke springen wär<br />
auch ok…aber dafür hat der<br />
auch nicht die Eier…<br />
Sandro<br />
man könnt ihm ein bisschen<br />
nachhelfen ^^ hey Marius<br />
meld dich wenn du n schubs<br />
brauchst<br />
Leo<br />
RIP man – ich tröst dann<br />
die schwest<br />
Luca<br />
haha kannst vergessen alter<br />
die is auch froh wenn der<br />
weg is…<br />
LOL<br />
RIP<br />
Laughing Out Loud (zum todlachen)<br />
Rest in Peace (Ruhe in Frieden)
Digital & Medial<br />
>>> ten Jahr von Jugendlichen<br />
Ob online oder offline –<br />
Täter suchen Anerkennung.<br />
Aber auch Spass und<br />
Langeweile sind Motive.<br />
zwischen 12 und 19 Jahren wissen.<br />
Und: «Ist es schon vorgekommen,<br />
dass Dich jemand im Internet fertigmachen<br />
wollte?» Laut Gregor Waller,<br />
Projektleiter der JAMES-Studie,<br />
haben 24 Prozent eine der beiden<br />
Fragen mit Ja beantwortet. Das be -<br />
deutet: Jeder vierte Jugendliche in<br />
der Schweiz wurde schon Opfer von<br />
Cybermobbing.<br />
Macht spielt eine grosse Rolle<br />
Wie beim «klassischen» Mobbing<br />
sind mehrere Personen oder Gruppen<br />
am Cybermobbing beteiligt, die<br />
sich aus den Tätern, dem Opfer und<br />
den Bystandern (den Zuschauern,<br />
Duldern) zusammensetzen.<br />
Die Auslöser für den gruppendynamischen<br />
Prozess Mobbing sind<br />
vielfältig: «Aus einer harmlosen,<br />
online geposteten Neckerei kann<br />
sich eine Hassposting-Lawine entwickeln,<br />
die gar nicht im Sinne des<br />
Absenders war», sagt Medienwissenschaftler<br />
Martin Hermida. Die<br />
Motivation der Mobber ist jedoch<br />
oft dieselbe: «Ob online oder offline<br />
– Täter wollen Anerkennung», sagt<br />
Catarina Katzer. Auch Spass und<br />
Langeweile seien häufige Motive für<br />
Cybermobbing.<br />
Cybermobbing hört im Gegensatz<br />
zum klassischen Mobbing nie auf<br />
Mobbing und Cybermobbing laufen<br />
meist parallel. Trotzdem unterscheidet<br />
sich Cybermobbing in vier Punkten<br />
vom klassischen Mobbing:<br />
• Der Anonymitätsgrad bei Cy -<br />
bermobbing ist sehr hoch. Das<br />
Opfer sieht den oder die Täter<br />
nicht – was sein Ohnmachtsgefühl<br />
verstärkt.<br />
• Das Publikum kann von überall<br />
zusehen.<br />
• Cybermobbing verschwindet<br />
nicht. Videos, Fotos, Hasspostings<br />
können nie ganz gelöscht werden.<br />
• Cybermobbing-Opfer haben keinen<br />
Schutzraum. Jugendliche sind<br />
heute fast rund um die Uhr online.<br />
Die Täter kommen über das<br />
Smartphone und den PC bis ins<br />
Kinderzimmer.<br />
Dass viele Jugendliche ihren Selbstwert<br />
an ihr Image in sozialen Netzwerken<br />
koppeln, erhöht den Psychoterror,<br />
der von Cybermobbing<br />
ausgeht.<br />
Mobbing zerstört das soziale<br />
Leben eines Jugendlichen Stück für<br />
Stück: Was mit Selbstzweifeln und<br />
Schlaflosigkeit beginnt, kann sich<br />
schnell zur Isolation und Depression<br />
entwicklen.<br />
Bei manchen Jugendlichen ist die<br />
Verzweiflung so gross, dass sie nicht<br />
mehr leben wollen. Der Suizid der<br />
15-jährigen Kanadierin Amanda<br />
Todd ist ein tragischer Fall von vielen.<br />
Das Mädchen nahm sich das<br />
Leben, nachdem es wegen eines im<br />
Netz verbreiteten Nacktfotos über<br />
Monate hinweg online gemobbt<br />
worden war.<br />
Mädchen machen sich angreifbarer<br />
Gerade das Sexting, der Austausch<br />
von erotischen Bildern, gibt Cybermobbern<br />
eine gefährliche Waffe in<br />
die Hand. Eine Tatsache, >>><br />
52 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Original-SMS zum Thema Cybermobbing<br />
aus der Pro Juventute Beratung und Hilfe 147<br />
Hallo. Ich ha ä Kollegin, wo emä Typ es<br />
Föteli in Unterwösch gschickt hett, wo sie<br />
sehr gärn gha und ihm vertrout hett, är hett<br />
sie nach somene Föteli gfrogt. Är hetts denn<br />
in ä Gruppechat gschtellt, und die heis an<br />
fascht alli vo dr Schuel witer gschickt. Sie<br />
hett jetz Angscht, dass alli lache und sie<br />
Schlampe nennä. Ich mach mir grossi Sorge<br />
um sie. Was cha sie no mache?<br />
147-Beraterin<br />
Cybermobbing-Glossar<br />
Sexting, Grooming oder Happy Slapping –<br />
Gefahren, die Eltern kennen sollten.<br />
• Cyberstalking<br />
Auch Online-Stalking, also die Belästigung und/<br />
oder Verfolgung durch eine Person, etwa durch<br />
den Expartner.<br />
• Sexting/Revenge Porn (Racheporno)<br />
Austausch von erotischen Bildern oder<br />
Sexvideos in einer Beziehung – oft auch als<br />
Liebesbeweis eingefordert. Nach der Trennung<br />
werden sie aus Rache oder Wut online<br />
verbreitet.<br />
• Outing<br />
Werden Geheimnisse einer Person böswillig<br />
online veröffentlicht, ist man «geoutet».<br />
• Happy Slapping (fröhliches Schlagen)<br />
Gewalttätige Übergriffe, von Ohrfeigen bis hin<br />
zu schwerer (sexueller) Nötigung, werden auf<br />
Video aufgezeichnet. Der Clip wird ins Internet<br />
gestellt mit dem Ziel, das Opfer erneut zu<br />
demütigen.<br />
• Cybergrooming (Anbahnen, Vorbereiten)<br />
Gezieltes Ansprechen Minderjähriger über das<br />
Internet mit dem Ziel, sexuelle Kontakte anzubahnen.<br />
Dabei werden Kinder und Jugendliche<br />
belästigt und zum Versenden von Nacktaufnahmen<br />
oder Treffen aufgefordert.<br />
Hallo. Verständlich, dass du dir Sorgen um<br />
deine Kollegin machst. Was dieser Typ<br />
gemacht hat, ist Cybermobbing und ist<br />
nicht in Ordnung. Ehrverletzende Fotos<br />
herumzuschicken, ist strafbar, und deine<br />
Kollegin könnte ihn anzeigen. Dafür braucht<br />
die Polizei allerdings Beweise wie Bilder<br />
oder Kommentare. Deshalb solltet ihr zuerst<br />
alles speichern, was ihr bekommen habt.<br />
Dann kann deine Kollegin Kontakt mit dem<br />
Typ aufnehmen und ihm sagen, dass sie<br />
ihn anzeigt, wenn er nicht sofort das Bild<br />
von ihr löscht und alle, denen er das Bild<br />
geschickt hat, dazu auffordert, es auch zu<br />
löschen. Welche erwachsene Person könnte<br />
sie ausserdem unterstützen? Nachdem<br />
viele von eurer Schule beteiligt sind, wären<br />
die Schulsozial arbeiterin und euer Lehrer<br />
wichtige Personen. Unabhängig von deiner<br />
Freundin sollte die Schule zeigen, dass<br />
Mobbing und Cybermobbing fies sind und<br />
in eurer Schule gar nicht gehen. Kann sie<br />
hingehen oder magst du für sie dorthin gehen?<br />
Und nicht zuletzt ist es gut, wenn deine<br />
Kollegin jetzt so viel wie möglich mit Menschen<br />
zusammen ist, die sie gern haben und<br />
sie schätzen. Kolleginnen wie du. – Hilft das?<br />
Sonst kannst du gerne nochmal schreiben.<br />
Dein 147.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>53
deren sich viele Teenager<br />
nicht bewusst sind, wenn sie auf<br />
«Send» drücken. «Viele Mädchen,<br />
die zu unseren Workshops kommen,<br />
sind ganz verstört, wenn sie erfahren,<br />
dass es den Jungs nicht, wie<br />
behauptet, um einen Liebesbeweis<br />
geht», sagt Katzer.<br />
Davor sind auch Jungs nicht<br />
gefeit: «Ein aufgelöster Junge rief an.<br />
Er hatte sich dazu hinreissen lassen,<br />
sich vor der Webcam auszuziehen»,<br />
sagt Friederike Adrian, Beraterin bei<br />
der Kinder- und Jugendanlaufstelle<br />
147 von Pro Juventute. «Er hatte mit<br />
einem Mädchen geflirtet, das ihn zu<br />
diesem Spiel animiert hatte, und<br />
nun befürchtete er, dass Bilder oder<br />
ein Video gemacht wurden.»<br />
Auch sonst exponieren sich<br />
Cybermobbing-Opfer online oft zu<br />
sehr. Welche Ausmasse dies annehmen<br />
kann, zeigt das Youtube-Phänomen<br />
«Pretty or Ugly» (dt. «hübsch<br />
oder hässlich»). Dabei erzählen<br />
junge Mädchen von Mobbing und<br />
Hänseleien wegen ihres Aussehens,<br />
um dann mit einem scheuen Lächeln<br />
und unsicherer Stimme in die<br />
Kamera zu fragen: «Bin ich hübsch<br />
oder wirklich hässlich?» Sie möchten<br />
«ehrlich gemeinte» Bewertungen<br />
von Wildfremden aus dem World<br />
Wide Web in der Hoffnung, ihre von<br />
Unsicherheiten geplagte junge Seele<br />
aufzupäppeln. Es braucht nicht viel<br />
Fantasie, um sich auszumalen, wie<br />
de struktiv «ehrlich gemeinte» On -<br />
line-Kommentare für das verletzliche<br />
Selbstbewusstsein dieser Mädchen<br />
sein können.<br />
Mobbing mit strafrechtlichen<br />
Mitteln bekämpfen<br />
Über eine Tatsache müssen sich alle<br />
Online-Hetzer allerdings im Klaren<br />
sein: Angriffe, Beschimpfungen und<br />
Bedrohungen in der virtuellen Welt<br />
sind keine Kavaliersdelikte und können<br />
strafrechtlich verfolgt werden.<br />
In der Schweiz beginnt die Strafmündigkeit<br />
mit zehn Jahren im Vergleich<br />
zu anderen europäischen<br />
Ländern schon sehr früh.<br />
Zwar existiert hier, anders als in<br />
Österreich, kein Gesetzesartikel zu<br />
Cybermobbing, «trotzdem kann<br />
Cybermobbing in Tatbestände wie<br />
zum Beispiel Nötigung, Drohung,<br />
Ehrverletzung, Beschimpfung oder<br />
üble Nachrede aufgeschlüsselt werden»,<br />
sagt Martin Niederer, stellvertretender<br />
Leiter des Jugenddienstes<br />
der Stadtpolizei Zürich.<br />
Auch die Eltern der Täter sind oft<br />
ahnungslos<br />
Hören die Angriffe nicht auf, ist eine<br />
Anzeige oft das letzte Mittel: Bevor<br />
es aber so weit kommt, versuchen<br />
die Ermittler, Jugendlichen aufzuzeigen,<br />
was ihr Online-Verhalten<br />
alles nach sich ziehen kann. Dabei<br />
gehen die Polizisten in Schulkassen<br />
oder laden einzelne Jugendliche zu<br />
einem Gespräch auf den Polizeiposten<br />
vor. «Die meisten wissen durchaus,<br />
dass das, was sie da tun, ‹irgendwie<br />
nicht ganz okay ist›», erklärt<br />
Martin Niederer.<br />
Opfern von Cybermobbing rät er,<br />
auf gar keinen Fall Beweise zu<br />
löschen (siehe Tipps, Seite 57) und<br />
sich an ihre Eltern oder an eine<br />
andere Vertrauensperson zu wenden.<br />
Nicht nur die Eltern von<br />
Cybermobbing-Opfern fallen aus<br />
allen Wolken, wenn sie davon erfahren<br />
– auch die der Täter.<br />
Was können Mütter und Väter<br />
tun, wenn ihr Kind andere im Internet<br />
mobbt? «Sie müssen herausfinden,<br />
was hinter den Cyber attacken<br />
steckt, ob Probleme, Ängste, auch<br />
Gruppendruck oder eigene >>><br />
Wer sich im Netz besonders<br />
offen zeigt, macht sich<br />
auch angreifbar.<br />
Tipps für Eltern zur Prävention<br />
Bringen Sie Ihrem Kind bei …<br />
• … keine persönlichen Kontaktdaten im Internet<br />
preiszugeben sowie Fotos und Videos nur<br />
sehr zurückhaltend zu veröffentlichen. Passwörter<br />
sollten nicht geteilt werden: Oft sind es<br />
gerade ehemalige beste Freunde, die später zu<br />
Mobbern werden. Auch persönliche Angelegenheiten<br />
oder Differenzen zwischen Freundinnen<br />
und Freunden sollten lieber offline und unter<br />
vier Augen besprochen werden.<br />
• ... dass Sexting das Risiko von Cybermobbing<br />
erhöht. Ein als Liebesbeweis geschicktes<br />
Nacktfoto kann nach einer Trennung aus Rache<br />
für Mobbingzwecke eingesetzt werden.<br />
54 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Digital & Medial<br />
Ich erzähle<br />
«Sie war gekränkt, dass ich mit<br />
ihrem Ex zusammenkam»<br />
Die 19-jährige Chiara aus Lausanne* erzählt von der schlimmsten Zeit ihres<br />
Lebens: Vor zwei Jahren wurde sie von ihrer damals besten Freundin online<br />
gemobbt – aus Eifersucht. Aufgezeichnet von Irena Ristic<br />
«Der Start an der neuen Schule war gar nicht so schlimm,<br />
wie befürchtet. Meine Familie war erst vor Kurzem nach<br />
Lausanne gezogen, wo mein Vater einen neuen Job<br />
antrat. Die neuen Schulkollegen nahmen mich total nett<br />
auf. Denise* wurde ziemlich schnell meine neue beste<br />
Freundin, sie war so cool und lustig. Ihr Vater kommt<br />
aus Zürich. Schweizerdeutsch wurde schnell unsere<br />
kleine Geheimsprache, die uns noch enger zusammenschweisste.<br />
Alles lief super. Der grosse Knall passierte, als<br />
ich mit ihrem Exfreund zusammenkam. Er trainierte im<br />
gleichen Basketballklub wie ich. Heute denke ich, dass es<br />
ein Fehler war, ihr nicht gleich davon zu erzählen.<br />
Aber ich fand es ja selbst ein bisschen komisch, dass<br />
er vorher mit Denise zusammen war. Auch wenn es schon<br />
über ein Jahr her war. Ich behielt also alles erst mal für<br />
mich. Doch jemand hatte uns offenbar gesehen und<br />
erzählte es Denise. Sie stellte mich sofort zur Rede – es<br />
endete in einem Megastreit. Ab dann herrschte Funkstille.<br />
Irgendwie dachte ich ja: Ich bin schuld<br />
Auch die Stimmung in der Klasse veränderte sich. Die Mitschüler<br />
ignorierten mich plötzlich. Egal, was ich fragte,<br />
keine Antwort. Dafür lachten und tuschelten sie, wenn<br />
sie mich sahen. Zuerst dachte ich, das geht vorbei. Meine<br />
Mutter bemerkte, dass ich mich zurückzog, und sprach<br />
mich darauf an. Doch ich schwieg. Irgendwie war ich ja, so<br />
dachte ich, auch schuld an der Situation.<br />
Mein Freund hielt zum Glück zu mir. Durch ein Mädchen<br />
aus der Parallelklasse erfuhr ich, was seit einigen Wochen<br />
hinter meinem Rücken ablief: Denise hatte eine WhatsApp-<br />
Gruppe gegründet, zusammen mit anderen Schülerinnen<br />
aus der Klasse. Sie hiess «Fick-Schlampe Chiara». Sie setzte<br />
das Gerücht in die Welt, ich hätte gewusst, dass sie noch in<br />
ihren Ex verliebt gewesen sei, und ihn ihr darum absichtlich<br />
weggeschnappt hätte. «Fotze» und «Nutte» gehörten noch<br />
zu den harmloseren Dingen, die sie über mich schrieben.<br />
Meine «Freundin» behauptete zudem, ich hätte auch mit<br />
anderen Jungs aus dem Basketballklub Sex gehabt – auch<br />
«von hinten».<br />
«Als Pornobilder auftauchten, brach ich zusammen»<br />
Als auf Facebook Pornobilder auftauchten mit Sexszenen,<br />
auf denen ein Frauenkörper zu sehen war, auf den mein Kopf<br />
montiert war, brach ich zusammen. Ich konnte nicht mehr<br />
aufhören, zu weinen. Das war alles so ekelhaft. Meine Gefühle<br />
und Gedanken waren ein Riesenchaos. Ich war wütend und<br />
verzweifelt. Und langsam begann ich selbst zu denken, dass<br />
ich eine «Schlampe» sei. Meine Eltern reagierten geschockt,<br />
als ich ihnen endlich berichtete, was los war. Sie schalteten<br />
sofort die Schulleitung ein. Es kam zu einer Klassenaussprache<br />
im Beisein einer Schulpsychologin. Danach wurde<br />
es ein bisschen ruhiger, die Online-Hetze hörte zum Glück<br />
auf. Doch ich blieb die Aussenseiterin. Es wurde erst besser,<br />
als ich ein paar Wochen später auf eine Privatschule wechseln<br />
konnte. Das alles ist jetzt über zwei Jahre her. Mit Denise habe<br />
ich nie mehr gesprochen. Das einzige Gute aus dieser Zeit:<br />
Mein Freund und ich sind immer noch zusammen.»<br />
* Namen und Orte wurden von der Redaktion abgeändert<br />
«Und plötzlich gab es Sexbilder<br />
von mir im Netz. Mein Kopf auf<br />
einem anderen Frauenkörper.<br />
Das war zu viel.»<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>55
Original-SMS zum Thema Cybermobbing<br />
aus der Pro Juventute Beratung und Hilfe 147<br />
Liebes 147. Ich werde es mit meiner BT nie<br />
mehr gut haben. Sie mobbt mich im Internet<br />
und ich mag selber nicht mehr ich wünsche<br />
mir vil das ich sterben kann weil es zimmlich<br />
schmerzt was sie dort veröffentlicht Ich habe<br />
ihr immer vertraut und heute ist sie so zu mir<br />
jaa es muss ein Ende haben und sie sagt<br />
auch viel ich soll mich selber umbringen was<br />
fileicht gahr keine schlechte Idee ist.<br />
147-Beraterin<br />
Hallo. Gut, dass du dich meldest. Dass deine<br />
Freundin dich im Netz mobbt, ist fies. Und<br />
ihre Aussage, dass du dich umbringen sollst,<br />
geht gar nicht. Jeder einzelne Mensch ist<br />
wertvoll. Schön, dass es dich gibt! Menschen,<br />
die daran denken, sich umzubringen,<br />
möchten oft nicht wirklich tot sein, sondern<br />
nicht mehr so weiterleben, wie es im Moment<br />
ist. Wir verstehen gut, dass du möchtest,<br />
dass das Mobbing ein Ende hat. Ganz<br />
wichtig ist, dass du dir noch mehr Unterstützung<br />
holst.<br />
Welcher erwachsenen Person vertraust du,<br />
so dass du dich an sie wenden könntest?<br />
Schreibst du es uns? Wir möchten gerne mit<br />
dir in Kontakt bleiben, bis du jemand hast.<br />
LG Dein 147.<br />
Eltern sollten<br />
Schuldzuweisungen<br />
vermeiden – auch<br />
wenn das oft schwerfällt.<br />
>>> Opfererlebnisse», sagt Sozialpsychologin<br />
Catarina Katzer. «Wichtig<br />
ist, klarzumachen, dass sie als<br />
Täter Verantwortung zeigen müssen.»<br />
Nicht nur in der Schule, auch im<br />
Elternhaus sollten Kinder für das<br />
Thema sensibilisiert werden – am<br />
besten, indem man immer wieder<br />
darüber spricht und nicht erst, wenn<br />
das Kind sich seltsam verhält.<br />
Auch Mitschüler und Freunde<br />
können eine wichtige Rolle bei der<br />
Prävention einnehmen und sogar<br />
dazu beitragen, Cybermobbing in<br />
seinen Anfängen zu stoppen. Wer<br />
bemerke, dass jemand online fertiggemacht<br />
wird, sollte eingreifen und<br />
andere Mitschüler mobilisieren, um<br />
nicht alleine dazustehen, rät Katzer.<br />
Nicht immer ist dies ein einfaches<br />
Unterfangen, der Gruppendruck ist<br />
gross. Trotzdem: Zivilcourage zeigen<br />
kann eine wichtige Lektion auf dem<br />
Lebensweg eines Jugendlichen sein.<br />
«Oft kann Cybermobbing vorgebeugt<br />
und Schlimmeres verhindert<br />
werden.»<br />
>>><br />
Seite 58: «Je härter und gemeiner, desto<br />
mehr Likes» – ein Interview mit der<br />
Cybermobbing-Expertin Catarina<br />
Katzer<br />
Irena Ristic<br />
ist Onlineredaktorin beim Schweizer<br />
ElternMagazin Fritz+Fränzi. Zu ihrer<br />
Schulzeit wurden Unstimmigkeiten noch<br />
oldschoolmässig auf dem Schulhof<br />
ausgetragen.<br />
56 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Digital & Medial<br />
Tipps für den Ernstfall<br />
• Hilfe holen<br />
Unterstützung und Trost durch Eltern,<br />
Lehrpersonen, Freunde oder andere<br />
Vertrauenspersonen sind im Ernstfall<br />
essenziell.<br />
• Keine Schuldzuweisungen<br />
Ahnen Eltern, dass ihr Kind im Internet<br />
gemobbt wird, sollten sie es darauf ansprechen.<br />
Im Ernstfall gilt: nicht überreagieren, keine<br />
Schuldzuweisungen, Ruhe bewahren und dem<br />
Kind versichern, dass Sie gemeinsam eine<br />
Lösung finden werden.<br />
• Nicht mit einem Handy- oder Internetverbot<br />
reagieren<br />
Das Internet und das Handy spielen für die<br />
Freizeit und für die Schule des Kindes eine<br />
grosse Rolle. Ein Verbot sendet ein falsches<br />
Signal.<br />
• Keine Reaktion auf Online-Attacken<br />
Die Täter leben von der Rückmeldung des<br />
Opfers. Auch wenn die Versuchung gross ist:<br />
nicht zurückpöbeln.<br />
• Beweise sichern<br />
Unterhaltungen, Nachrichten, Videos oder<br />
Bilder speichern – inklusive Screenshots.<br />
• Internetseitenbetreiber kontaktieren<br />
Eltern können Internetseitenbetreiber<br />
auffordern, Inhalte über ihr Kind zu löschen.<br />
• Schule einschalten<br />
Eltern sollten sich an die Schule wenden und<br />
im Idealfall über die Schule mit den Eltern des<br />
Mobbers oder der Mobber im Gespräch<br />
versuchen, eine Lösung zu finden.<br />
• Anzeige erstatten<br />
Wenn alles nichts hilft: Polizei einschalten.<br />
Beleidigungen, Erpressungen und Drohungen<br />
sind strafbar.<br />
Anzeige<br />
Wenn Worte weh tun<br />
Im Mai lanciert die Stiftung Elternsein,<br />
Herausgeberin des Schweizer ElternMagazins<br />
Fritz+Fränzi, eine Kampagne gegen Cybermobbing:<br />
Unter dem Slogan «Wenn Worte weh<br />
tun» macht die Stiftung auf die dramatischen<br />
Folgen von Cybermobbing aufmerksam und<br />
informiert die Öffentlichkeit zu den Themen<br />
Intervention und Prävention.<br />
Die Kampagne beinhaltet einen Film, Anzeigen<br />
(siehe Seite 65) und einen Radiospot. Ziel der<br />
Kampagne ist es, Kinder und Jugendliche dafür<br />
zu sensibilisieren, wie viel Leid sie mit einem<br />
abschätzigen Kommentar, einer beleidigenden<br />
Aussage oder einer schnell getippten Drohung<br />
anrichten können.<br />
www.elternsein.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>
Digital & Medial<br />
«Je härter und gemeiner,<br />
desto mehr Likes»<br />
Warum wird Cybermobbing unter Jugendlichen so schnell zu Psychoterror? Sozialpsychologin<br />
Catarina Katzer kennt die Mechanismen. Im Interview erklärt sie ausserdem, wieso<br />
Medienkompetenz-Unterricht zu kurz greift und wie man Jugendlichen einen<br />
verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet vermittelt. Interview: Irena Ristic<br />
Frau Katzer, lässt sich Cybermobbing<br />
vom klassischen Mobbing trennen?<br />
Cybermobbing und traditionelles<br />
Mobbing, etwa auf dem Schulhof,<br />
laufen meist parallel. Die Forschung<br />
zeigt: Ein Drittel der Täter war selbst<br />
Mobbingopfer. Das Internet ermöglicht<br />
ihnen, sich zu «wehren».<br />
Sie scheinen aber kein Verständnis für<br />
das Leiden der Opfer zu haben …<br />
Das ist so. Die digitale Empathie ist<br />
nicht da. Um jemanden ins Klo zu<br />
tauchen, muss immer noch eine psychologische<br />
Schwelle überwunden<br />
werden. Online fällt das weg. Das<br />
Handeln im Netz schafft eine Distanz<br />
zu Opfern, weil man ihnen nicht in<br />
die Augen schaut. Man sieht nicht,<br />
wenn sie weinen oder sich am Boden<br />
liegend vor Schmerzen krümmen.<br />
Richtet Cybermobbing langfristig<br />
mehr Schaden an als Mobbing?<br />
Der Traumatisierungsgrad ist bei<br />
Cybermobbing viel höher. Früher<br />
existierte zu Hause ein Rückzugsort.<br />
Dort konnte man durchatmen. Heute<br />
tragen Täter wie Opfer ihr Smartphone<br />
ständig mit sich. Zudem hat<br />
Cybermobbing einen extrem hohen<br />
Öffentlichkeitsgrad, die ganze Welt<br />
kann zuschauen. Die allumfassende<br />
Präsenz des Internets und das Wissen,<br />
dass es unmöglich ist, alle Bilder,<br />
Texte und Videos zu löschen, sind<br />
eine Belastung.<br />
Was macht das mit den Betroffenen?<br />
Wir wissen aus der Forschung, dass<br />
Mobbing und Cybermobbing im<br />
Gehirn die gleichen Schmerzregionen<br />
aktivieren wie physische Schläge.<br />
Wir haben bei Cybermobbing<br />
viele Fälle, wo Fotos immer wieder<br />
auftauchen. Das heisst: Das Opfer<br />
erlebt diesen Schmerz immer wieder.<br />
Sind junge Menschen online wirklich<br />
so brutal? Oder sind das Einzelfälle?<br />
Die Online-Aggressivität hat klar<br />
zugenommen. Sie wird salonfähig.<br />
Aber das ist auch bei den Erwachsenen<br />
so. Heute sind 20 Prozent der<br />
Erwachsenen in Deutschland Opfer<br />
von Cybermobbing. Mobbing unter<br />
Arbeitskollegen findet längst nicht<br />
mehr nur im Büro statt. Ein Thema<br />
übrigens, über das viele Unternehmen<br />
nicht sprechen.<br />
Je grösser die Zahl der Fälle, desto<br />
kleiner die moralischen Bedenken?<br />
Absolut. Nach dem Motto: Wenn es<br />
die anderen machen, dann wird das<br />
schon seine Richtigkeit haben. Wir<br />
nennen das in der Cyberpsychologie:<br />
sich in der Masse an das Netz abgeben.<br />
Meinungen und Anschuldigungen,<br />
die online gepostet werden,<br />
vermischen sich zu neuen Inhalten<br />
und entwickeln ein Eigenleben. Auf<br />
dieses Verhalten folgt dann ein zweiter<br />
Schritt, den ich als dramatisch<br />
erachte: In diesem Prozess bilden<br />
sich neue Einstellungen, die ins reale<br />
Leben übertragen werden.<br />
Was können wir präventiv tun?<br />
Wir müssen die Online-Nutzung<br />
und alles, was dazugehört, in die<br />
Bildung hineintragen. Das Bewusstsein,<br />
dass vieles manipulierbar ist,<br />
wird gerade in der Schule nicht vermittelt.<br />
Wir brauchen intelligente<br />
Lernkonzepte, die über den aktuellen<br />
Begriff der Medienkompetenz<br />
hinausgehen, der aus meiner Sicht<br />
ohnehin zu kurz greift.<br />
Was meinen Sie damit konkret?<br />
Jugendliche müssen Antworten auf<br />
Fragen erhalten wie: Was passiert mit<br />
meinen Emotionen online? Oder:<br />
Wieso bin ich online anders als real?<br />
Gibt es ein typisches Mobberprofil bei<br />
Jugendlichen?<br />
Cybermobbing geht durch alle Bildungsschichten,<br />
die Unterschiede<br />
zwischen Gymnasium, Haupt- oder<br />
Berufsschule sind gering. Doch es<br />
gibt bestimmte Risikofaktoren: Die<br />
meisten Täter fühlen sich weniger<br />
kompetent in der Schule, häufig ist<br />
ihre Beziehung zu ihren Eltern negativ<br />
belastet.<br />
Sie haben im Vorgespräch erwähnt,<br />
dass der Belohnungseffekt beim Mobben<br />
eine grosse Rolle spielt. Was muss<br />
man sich darunter vorstellen?<br />
Das ist eine neue Entwicklung: Auffälliges<br />
Online-Verhalten, unabhängig<br />
davon, ob negativ oder positiv,<br />
wird mit einem «Like» belohnt. Je<br />
härter und gemeiner draufgehauen<br />
wird, desto mehr «Likes».<br />
Stichwort Sexismus: Über Mädchen<br />
und Frauen wird online härter<br />
geurteilt. Können Sie das bestätigen?<br />
Bei einer Online-Verurteilung wird<br />
klar zwischen Jungen und Mädchen<br />
58 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
unterschieden. Das Mädchen wird,<br />
wenn ein Bild auftaucht, auf dem es<br />
in leichter Bekleidung zu sehen ist,<br />
gleich als «Bitch» beschimpft. Und<br />
es heisst: «Die hat sich so fotografiert,<br />
sie ist selbst schuld.»<br />
Was erleben männliche Cybermobbing-Opfer<br />
tendenziell häufiger?<br />
Auch Jungs werden mit diffamierenden,<br />
peinlichen Nacktfotos oder<br />
durch Videomaterial mit sexuellem<br />
Inhalt im Internet blossgestellt. Aber<br />
oft ist es auch so, dass Jungs verprügelt<br />
werden, was gefilmt und<br />
anschliessend online gestellt wird.<br />
Dann feuert man sich gegenseitig an:<br />
Wer hat das brutalste Video?<br />
Mädchen böten durch ihr Online-Verhalten<br />
mehr Angriffsfläche, schreiben<br />
Sie in Ihrem Buch über Cybermobbing.<br />
Mädchen sind online tendenziell<br />
ehrlicher. Sie öffnen sich in sozialen<br />
Netzwerken, indem sie etwa auf<br />
Facebook oder in WhatsApp-Gruppenchats<br />
darüber reden, in wen sie<br />
verliebt sind oder dass sie abnehmen<br />
möchten. Dadurch werden sie an -<br />
greifbar.<br />
Was raten Sie Eltern, wenn sie feststellen,<br />
dass ihr Kind online gemobbt<br />
wird?<br />
Eltern müssen ihrem Kind klarmachen:<br />
Du kannst uns vertrauen, wir<br />
reagieren nicht über, du bist nicht<br />
schuld, wir finden eine Lösung.<br />
Wichtig ist, gemeinsam einen Plan<br />
zu entwickeln, den Internetanbieter<br />
zu informieren und die Schule einzubinden.<br />
Auch eine Expertenberatung<br />
kann hilfreich sein.<br />
Und wie sollen Mütter und Väter von<br />
Cybermobbern mit der Situation<br />
umgehen?<br />
Eltern müssen herausfinden, was<br />
hinter den Cyberattacken steckt, ob<br />
Probleme, Ängste, Gruppendruck<br />
oder eigene Opfererlebnisse. Wichtig<br />
ist, klarzumachen: Cybermobbing<br />
ist kein Kavaliersdelikt. Opfer brauchen<br />
Entschuldigungen und Hilfe.<br />
Täter müssen Verantwortung zeigen.<br />
Das ist oft schwer. Psychologischer<br />
Rat ist deshalb nie verkehrt.<br />
Zur Person<br />
Dr. Catarina Katzer ist Sozialpsychologin und gilt als<br />
führende Forscherin auf dem Gebiet der Cyberpsychologie.<br />
Als Expertin berät sie unter anderem den Europarat<br />
und den Deutschen Bundestag.<br />
Ihr Buch «Cyberpsychologie. Leben im Netz: Wie das<br />
Internet uns verändert» (dtv) erhielt den «getAbstract<br />
International Book Award» für das beste<br />
deutschsprachige Wirtschaftsbuch 2016. Ihr erstes<br />
Buch, «Cybermobbing. Wenn das Internet zur Waffe<br />
wird», ist im Verlag Springer Spektrum erschienen.<br />
ERLEB WAS. UND HILF DAMIT<br />
DEN KINDERN AUF DER WELT.<br />
Mit der spannenden Schnitzeljagd durch<br />
deine Stadt unterstützt du Hilfsprojekte.<br />
Mit freundlicher Unterstützung von<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>59
Digital & Medial<br />
Erst die Arbeit,<br />
dann das Handy<br />
Funktioniert Lernen mit Handy? Darüber<br />
streiten sich Eltern oft mit ihren Kindern.<br />
Wir haben Tipps zusammengetragen, wie<br />
Sie Ihr Kind dabei unterstützen, Lernzeit<br />
effizient zu nutzen. Text: Michael In Albon<br />
Bild:Swisscom<br />
Kennen Sie diese Situation?<br />
Ihr Kind setzt<br />
sich mit dem Handy<br />
an die Hausaufgaben<br />
und versichert Ihnen:<br />
«Ich lerne zusammen mit meinen<br />
Klassenkameraden.» Übersetzt<br />
heisst das: Hat Ihr Kind die ersten<br />
drei Sätze gelesen, beschwert es sich<br />
bei seinen Freunden über den Stoff.<br />
Daraus werden schnell 15 Minuten.<br />
Zurück bei den Hausaufgaben, muss<br />
Ihr Kind die gelesenen Sätze wiederholen,<br />
bevor es aufgrund der Menge<br />
verzweifelt, die noch vor ihm liegt<br />
– und alles beginnt von vorne.<br />
Allerdings ist Konzentration keine<br />
reine Willenssache. Kinder benötigen<br />
Kontrollmechanismen, um<br />
sich zu konzentrieren und nachzudenken.<br />
Die wichtigsten Mechanismen<br />
sind: Selbstkontrolle, Planung<br />
und Arbeitsgedächtnis. Sind diese<br />
Fähigkeiten gut entwickelt, fällt Lernen<br />
leicht. Damit sich diese Mechanismen<br />
aber entwickeln können,<br />
brauchen sie Training. Folgende<br />
Trainingstricks können helfen.<br />
Trick 1: Nur noch fünf Minuten<br />
Bricht die Konzentration Ihres Kindes<br />
immer wieder ab oder möchte<br />
es aus Gewohnheit echten oder eingebildeten<br />
Bedürfnissen nachgehen,<br />
antworten Sie: «Nur noch fünf<br />
Minuten!» Manchmal reichen fünf<br />
Minuten aus, und Ihr Kind taucht<br />
noch einmal ins Thema ein. Wenn<br />
nicht, hat Ihr Sohn oder Ihre Tochter<br />
sich immerhin noch einmal für fünf<br />
Minuten konzentriert.<br />
Trick 2: Planen<br />
Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, mit<br />
einer Planungsphase ins Lernen zu<br />
starten. So lernt Ihr Kind, sich auf<br />
das Wichtige zu konzentrieren.<br />
Dabei listet es die offenen Aufgaben<br />
einzeln auf und beurteilt sie nach<br />
Schwierigkeit oder Dauer. Womit Ihr<br />
Kind nun beginnt, ist individuell.<br />
Während sich die einen die schwierigste<br />
Aufgabe gleich zum Einstieg<br />
vornehmen, wärmen sich andere<br />
lieber mit ein, zwei Kleinigkeiten auf,<br />
bevor sie eine längere und intensivere<br />
Arbeitsphase starten. Scheint<br />
der Berg an Stoff unfassbar gross,<br />
hilft diese Methode, den Aufwand<br />
auf Häppchen zu verteilen.<br />
Trick 3: Offline gehen<br />
Das Offensichtlichste fällt oft nicht<br />
leicht: das Smartphone ausschalten,<br />
um den regelmässigen Blick darauf<br />
zu vermeiden. Ist dies keine Alternative,<br />
kann es auch der Flugmodus<br />
sein oder Offline-Apps. Damit lassen<br />
sich einzelne Anwendungen gezielt<br />
für einen selbst festgelegten Zeitraum<br />
blockieren. Ihr Kind kann das<br />
Handy so weiterhin zum systematischen<br />
Lernen nutzen. Studien belegen,<br />
dass schon die reine Anwesenheit<br />
des Smartphones ablenken kann<br />
– auch ohne Blinken oder Surren.<br />
Wenn es also anders nicht geht:<br />
Smartphone weg.<br />
Für die Konzentration sind auch<br />
Aktivitäten wie Yoga, autogenes<br />
Training oder Achtsamkeitsübungen<br />
hilfreich. Sie fördern die Selbstdisziplin<br />
und helfen bei der Entwicklung<br />
des Charakters. Und sie<br />
tun gut – nicht nur Kindern und<br />
Jugendlichen, sondern vielleicht<br />
auch den Eltern.<br />
Michael In Albon<br />
Michael In Albon ist Beauftragter<br />
Jugendmedienschutz und Experte<br />
Medienkompetenz von Swisscom.<br />
Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />
Lernmodule für den kompetenten Umgang mit<br />
digitalen Medien im Familienalltag.<br />
swisscom.ch/medienstark<br />
60 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Der rätselnde Gnom<br />
mit der Zauberflöte<br />
MAMA, auf dem Spielplatz gehört<br />
das HANDY in die TASCHE!<br />
Ist das dieser autoritäre Erziehungsstil?<br />
Frage für mich.<br />
Tweet von @DieBrina007<br />
Die Mammuts<br />
schlagen zurück<br />
Das hatten sich die kleinen Wilden anders vorgestellt: Das «Oberste<br />
Mammutgericht» hat gar nichts mit leckerem Steak zu tun, sondern es<br />
ist ein wahrhaft echtes Gericht. Mit Mammuts in Roben. Und die<br />
wollen die kleinen Wilden dafür zur Verantwortung ziehen, dass sie<br />
Mammuts jagen und verspeisen. Eingeschüchtert von den mächtigen<br />
Richtern, geloben die kleinen Wilden Besserung. Aber wie ändert man<br />
das Bild, das Mammuts von einem haben, wenn in ihre Köpfe keine<br />
neuen Erinnerungen mehr hineinpassen? Eine sehr witzige Geschichte<br />
voller Missverständnisse und Wirrungen für Kinder ab 8 Jahren,<br />
vorgelesen von Shakespeare-Schauspieler Peter Kaempfe.<br />
Jackie Niebisch: Die kleinen Wilden und das Oberste Mammutgericht.<br />
Jumbo Neue Medien, <strong>2017</strong>, 1 CD mit 50 Minuten, ca. 13 Franken.<br />
Bilder: ZVG<br />
Der kleine Gnom findet eine Zauberflöte, mit deren Kraft er<br />
seinen Kosmos bereist und das Universum von Monstern<br />
befreit. In neun Welten trifft er auf Käfer, Affen, Pilzsammler<br />
oder Mönche und muss Aufgaben lösen. Logische Rätsel<br />
oder (musikalische) Merkspiele sind nur ein Teil der vielen<br />
Abenteuer, die der Protagonist in «Samorost 3» bestreiten<br />
muss. Durch die Flöte, die an Objekten eingesetzt wird, wird<br />
die Geschichte erzählt, und durch Gedankenblasen erfährt<br />
man, was zu tun ist. Hin und wieder muss man Dinge<br />
einsammeln und sie an richtiger Stelle einsetzen. Durch<br />
Tippen und Ziehen werden Sachen bewegt. Kleine, geheime<br />
Gimmicks schalten sogenannte Errungenschaften frei. Die<br />
App bietet tagelangen Spielspass, realistische HD-Grafiken<br />
und einen aussergewöhnlichen Soundtrack. Sie ist zudem<br />
kinder sicher, sollte anfangs aber mit einem Elternteil<br />
gemeinsam gespielt werden, um das Prinzip zu verstehen.<br />
Kinder ab 10 Jahren werden schnell Spass mit dem putzigen<br />
weissen Gnom haben.<br />
«Samorost 3» kostet<br />
5 Franken im Apple- und<br />
im Android-App-Store.<br />
samorost3.net<br />
Diese Kritik wird veröffentlicht mit<br />
freundlicher Genehmigung von<br />
ene-mene-mobile.de, der Website<br />
für Kinder-App-Rezensionen von<br />
zwei Frauen aus Berlin.<br />
ar<br />
Fritz+Fränzi-App laden,<br />
starten, Seite scannen<br />
und Spielszenen aus<br />
Samorost 3 ansehen.<br />
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BERATUNG<br />
VEREINBAREN<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>
erinnern,<br />
Lehrer und<br />
Schüler sind<br />
der Schule bringt.<br />
Do sier<br />
Leserbriefe<br />
«Abend für Abend<br />
ist die Qual der Hausaufgaben<br />
das Thema»<br />
Nie mehr<br />
Hausaufgaben?<br />
Sie sorgen in vielen Familien regelmässig für Frust und Ärger:<br />
Hausaufgaben. Sind Hausaufgaben wirklich nötig? Warum schafft<br />
man sie nicht einfach ab? Und mit welchen Tricks geht das Lernen<br />
leichter? Eine Annäherung an ein hoch emotionales Thema.<br />
Text: Claudia Landolt Bilder: Désirée Good / 13 Photo<br />
Ein gefährliches Vorbild für Populisten<br />
Stiftung Elternsein<br />
«Ich bin für Hausaufgaben<br />
ganz anderer Art»<br />
uneins, wie viel<br />
das Bü feln nach<br />
10 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April <strong>2017</strong> 1<br />
E len Ringier über US-Präsident Donald Trump und die Folgen seiner Politik.<br />
Dr. E len Ringier präsidiert<br />
die Stiftung Elternsein.<br />
Sie ist Mutter zweier Töchter.<br />
Hä te ich Kinder im «erziehungsfähigen<br />
sichts mancher gro smundiger Wahlversprechen reich-<br />
Alter» (meine sind bald 24 und 26 Jahre<br />
alt), glauben Sie mir, ich hä te die grö ste<br />
lich antiquiert vor …<br />
Mühe, ihnen zu erklären, warum ein<br />
Mann, der nicht nur a le gängigen Regeln<br />
eines friedlichen Zusammenlebens mit<br />
gen auf Kosten von Minderheiten, wie Grenzschlie sungen,<br />
Feindbilder zum Abschu s freigeben. Blo s keine<br />
differenzierten Angebote, die der Gese lschaft etwas<br />
abverlangen könnten! Die Erziehungsmaxime, da s man<br />
etwas leisten mu s, um etwas zu bekommen («Es gibt<br />
nichts Gutes, au ser man tut es!»), kommt mir ange-<br />
(Dossier «Hausaufgaben», Heft 4/<strong>2017</strong>)<br />
Bedacht verletzt, sondern dem freien Handel,<br />
dem freien Personenverkehr eine<br />
Ende machen wi l, Präsident des mächtigsten<br />
Landes der Welt werden konnte!<br />
Unsere jungen Erwachsenen werden im angebrochenen<br />
Jahr in wichtigen, richtungsweisenden politischen<br />
Donald Trump hat Frauen, Behinderte,<br />
Mexikaner, Muslime und Journalisten beleidigt und ist<br />
Fragen zur Urne gerufen.Werden sie sich dann daran<br />
dennoch oder gerade deswegen Präsident der USA<br />
geworden! Nie im Leben hä te ich gedacht, dass er mit<br />
diesen Pauschalverunglimpfungen, mit dem Schüren<br />
• da s unser Wohlstand auf offenen Grenzen beruht und<br />
da s eine wachsende Wirtschaft auf freien Personenund<br />
Warenverkehr angewiesen ist,<br />
von Ängsten, mit der Emotionalisierung eines jeden<br />
Sachverhalts, mit reinem Populismus ungestraft davon-<br />
• da s unsere Vorfahren jahrhundertelang für die Freiheiten<br />
von heute gekämpft haben, da s Hektoliter von<br />
«Danke für die<br />
klaren Worte!»<br />
(«Ein gefährliches Vorbild<br />
für Populisten», Heft 2/<strong>2017</strong>)<br />
Sehr geehrte Frau Ringier<br />
Bild: Vera Hartma n / 13 Photo<br />
Blut junger Männer auf den Schlachtfeldern Europas<br />
vergossen wurden, um religiöse und politische Diktate<br />
zu beseitigen,<br />
• da s die multilateralen Verträge, mithin die garantierte<br />
Handels-, die Niederlassungsfreiheit unserem Kontinent<br />
mit einigen wenigen Ausnahmen immerhin 70<br />
kommen, geschweige denn gewählt würde!<br />
Jahre Frieden gebracht haben und vor allem<br />
Gewalt und in letzter Konsequenz gar zu Vernichtung<br />
feindlichkeit. Eine der beliebten politischen Forderun-<br />
führen kann?<br />
Haben wir Eltern, die wir eine Generation des ungebro-<br />
sind Ausländer aus dem Land auszuweisen. Damit lassen<br />
sich alle die Menschen mobilisieren, die – aus wel-<br />
wie sie unsere Eltern und Grosseltern kannten, vorbereitet?<br />
Oder wird die junge Generation, auf einen ungechen<br />
Gründen auch immer – um ihre Arbeit fürchten.<br />
chen der Populisten erliegen mü sen?<br />
«Grenze zu, Ausländer raus = Arbeitsplatzsicherung<br />
nen! «Wi lkürlich ausgewählte Feindbilder für aktue le<br />
und sorgt für politisch gewo lte Radikalisierungen. Die<br />
in einer Kolumne eines Freundes aus Öste reich.<br />
und es machen sich in zahlreichen Ländern Populisten<br />
ans Werk, die ihrem Volk mit radikal einfachen Lösun-<br />
Populistisch, so die Definition, ist eine Politik, die<br />
mit scheinbar einfachen Lösungen die Gunst der Bevölkerung<br />
zu gewinnen versucht. Dabei stützt sich der<br />
Populismus auf Re sentiments, häufig auf Fremden-<br />
gen von Populisten lautet: Um Arbeitslosigkeit abzuwehren,<br />
dürfen keine Ausländer mehr ins Land oder<br />
Dabei spielt es dem Populisten keine Ro le, da s die<br />
Wirtschaft ohne Ausländer zusammenbrechen würde …<br />
des Inländers!» Als ob es Globalisierung, Digitalisierung<br />
und andere Entwicklunge nicht gäbe, die für die<br />
Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden kön-<br />
Situationen und gese lschaftliche Probleme verantwortlich<br />
zu machen, verschafft ein ste lvertretendes Ventil<br />
Folgen sind Ha s, Gewalt und Vernichtung», so zu lesen<br />
In Europa stehen in diesem Jahr wichtige Wahlen an,<br />
• da s das Schüren von Emotionen und Angst, den<br />
schlechtesten Ratgebern überhaupt, zu Ha s und<br />
chenen Konsums sind, unsere Jugend auf härtere Zeiten,<br />
brochenen Konsum fixiert, zwangsweise den Verspre-<br />
STIFTUNG ELTERNSEIN<br />
«Eltern werden ist nicht schwer,<br />
Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch<br />
Oft fühlen sich Eltern a leingela sen in ihren Unsicherheiten,<br />
Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein an. Sie<br />
richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern und<br />
Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen Eltern,<br />
Kindern, Lehrern und die Vernetzung der eltern- und<br />
erziehungsrelevanten Organisationen in der deutschsprachigen<br />
Schweiz. Die Stiftung Elternsein gibt das Schweizer<br />
ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus. www.elternsein.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Februar <strong>2017</strong> 49<br />
Ich möchte Ihnen für die klaren Worten danken, die Sie im<br />
Hinblick auf die Präsidentschaft von Trump und den damit<br />
in Zusammenhang stehenden Bewegungen in Europa<br />
geäussert haben. Sie haben mir damit aus der Seele<br />
gesprochen. Meine beiden Töchter sind 9 und 7 Jahre alt.<br />
Während die kleinere noch kein unmittelbares Interesse an<br />
Politik hegt, hat die grosse Tochter die Wahl in den USA<br />
bereits mittels Zeitungsberichten verfolgt. Ich kann mich<br />
noch sehr genau erinnern, als sie mich fragte, ob der gewählte<br />
Präsident nicht derjenige sei, der im Wahlkampf derartig<br />
menschenverachtende Äusserungen getätigt und gelogen<br />
habe. Das «Warum» der Wahl konnte ich ihr nicht erklären,<br />
da ich es selber nicht verstand. Ich habe zwar nie selber für<br />
unsere Freiheiten «gekämpft», aber dennoch «kämpfe» ich<br />
fast täglich, diese in den kleinen Dingen zu bewahren.<br />
Ihre Worte waren daher fast schon tröstlich, und ich hoffe,<br />
dass viele Personen diese verinnerlichen werden.<br />
Birgit Weil (per Mail)<br />
Ich bin 39 Jahre alt, Primarlehrerin und habe vier Kinder<br />
zwischen fünf und zehn Jahren. Meine Schullaufbahn verlief<br />
reibungslos; die Hausaufgaben waren schnell erledigt und<br />
Prüfungen im Eiltempo ins Kurzzeitgedächtnis gestopft.<br />
Ein klarer Fall von Hausaufgaben-Befürworterin also? Weit<br />
gefehlt! Hausaufgaben im klassischen Sinne sollten komplett<br />
gestrichen werden. Wir reden von Chancengleichheit,<br />
individuellem Lernen, Motivation, Freude. Doch wo bleibt das<br />
alles? Wieso kann ich es beim besten Willen nirgends sehen?<br />
Kann es sein, dass die Schwächsten zu Hause wieder am<br />
längsten an den Hausaufgaben sitzen? Dass Eltern wie Kinder<br />
organisatorisch wie auch inhaltlich oft überfordert sind? Dass<br />
Streit und Unruhe in die Familie kommen und das ganze<br />
Wochenende ruinieren? Dass die Freude an der Schule Jahr<br />
für Jahr schwindet? Das Leben birgt unendlich viel Spannendes,<br />
das zu entdecken sich lohnt. Wenn Platz für eigene<br />
Gedanken da ist und eine gute Atmosphäre zu Hause wie auch<br />
in der Schule herrscht, können Energien erst aufkommen und<br />
genutzt werden. Wie soll das gehen, wenn Abend für Abend die<br />
Qual der Hausaufgaben zum Thema wird?<br />
Ich befürworte Hausaufgaben ganz anderer Art. Die Eltern<br />
sorgen dafür, dass sie jeden Tag zehn Minuten intensiv mit<br />
ihrem Kind diskutieren, es ausreden lassen, ihm aktiv zuhören<br />
und es bei Anliegen unterstützen. Sie lassen ihm unverplante<br />
Zeitfenster, in denen es spielen darf, was es will. Die Kinder<br />
halten sich jeden Tag im Freien auf und schlafen genügend.<br />
Ämtli im Haushalt müssen täglich strikt gemacht werden.<br />
Wenn sich ein Kind für ein Thema interessiert, wird es dabei<br />
unterstützt. Auf diese Art und Weise fühlt sich das Kind ernst<br />
genommen und entwickelt Fähigkeiten ganz von alleine. So<br />
bleibt sogar Zeit fürs tägliche Lesen. Die ganze Familie sitzt<br />
bequem im Pyjama auf der Couch und liest, was immer sie will<br />
– und das alles ohne Druck. So wird Lesen nicht zu einer<br />
lästigen Hausaufgabe, sondern zur Kuschelzeit.<br />
Nicole Schlegel, Gossau SG (per Mail)<br />
62 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
eit + Zugabe U1 – Titel 120 mm breit + Zugabe<br />
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Vorteile und Rabatte<br />
für die ganze Familie!<br />
«Wir passen alles nach unten an»<br />
Hausaufgaben sind sehr wichtig und gehören unter keinen<br />
Umständen abgeschafft. Mit einer allfälligen Abschaffung<br />
gehen wir wieder einmal in die falsche Richtung. Wir nehmen<br />
den Kindern die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, denn<br />
heute gehört es zum guten Ton, dass alles abgeschafft wird,<br />
um den Kleinen das Leben zu erleichtern. Ich glaube, es hat<br />
niemand von uns gerne Hausaufgaben gemacht, aber im<br />
Leben wird man immer wieder in Situationen kommen, dass<br />
man Sachen nicht gerne macht, aber einfach machen muss.<br />
Mit Hausaufgaben lernen die Kinder, nebst Ämtli (welche<br />
die Kinder hoffentlich zu Hause haben) ebenfalls die Verantwortung<br />
zu übernehmen. Dies ist genauso wichtig, wie den<br />
Schulweg alleine oder mit Gspändli zu bestreiten.<br />
Es sind die Hausaufgaben der Kinder und nicht der Eltern.<br />
Viele Eltern projizieren heute den Erfolg bzw. Misserfolg Ihrer<br />
Kinder als Ihr eigenes Versagen. Viele Eltern machen ja die<br />
Hausaufgaben für die Kinder, und das kann es nicht sein. Auch<br />
Tadel von der Lehrperson, wenn die Hausaufgaben nicht<br />
erledigt sind, schwächen ein Kind nicht, im Gegenteil, es lernt<br />
daraus und hat einen weiteren Schritt in der Entwicklung<br />
gemacht. Das Lob der Lehrperson stärkt ebenfalls, wenn ein<br />
Kind die Aufgaben prompt erledigt hat oder sogar noch mehr<br />
gemacht hat. Es sind Lernfelder, die auf keinen Fall abgeschafft<br />
gehören.<br />
Die Diskussionen, welche heute geführt werden, gehen<br />
immer in die gleiche Richtung. Möglichst alles abschaffen,<br />
dass es ja keine Belastung gibt für die Kinder und oft auch für<br />
die Eltern. Must have just fun … Aber das Leben und später<br />
das Berufsleben sind eben nicht nur Fun. Man muss auch mit<br />
Erfolgen und Misserfolgen umgehen können. Auch Hausaufgaben<br />
gehören zu diesen Übungsfeldern.<br />
Wir passen alles nach unten an, auch bei den Lernzielen<br />
usw. Bereits wird darüber diskutiert, wie man nach der Schule<br />
die Niveaus dem heutigen Stand anpasst, zum Beispiel bei<br />
Berufslehren oder beim Eignungstest fürs Militär. Wir müssen<br />
und dürfen den Kindern auch etwas zutrauen und nicht alle<br />
und alles in Watte packen.<br />
Sandra Allemann Kleinschmager, Stans (per Mail)<br />
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Mai <strong>2017</strong>63
Lehrer und<br />
Schüler sind<br />
uneins, wie viel<br />
das Bü feln nach<br />
der Schule bringt.<br />
Do sier<br />
Leserbriefe<br />
Nie mehr<br />
Hausaufgaben?<br />
Sie sorgen in vielen Familien regelmässig für Frust und Ärger:<br />
Hausaufgaben. Sind Hausaufgaben wirklich nötig? Warum schafft<br />
man sie nicht einfach ab? Und mit welchen Tricks geht das Lernen<br />
leichter? Eine Annäherung an ein hoch emotionales Thema.<br />
Text: Claudia Landolt Bilder: Désirée Good / 13 Photo<br />
«Leichtigkeiten erleben»<br />
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10 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April <strong>2017</strong> 1<br />
«Bindeglied zwischen Eltern<br />
und Schule»<br />
(Dossier «Hausaufgaben», Heft 4/<strong>2017</strong>)<br />
Schule ohne Hausaufgaben geht nicht. Hausaufgaben sind<br />
wirklich ein wichtiges Bindeglied zwischen Eltern und Schule.<br />
Unser Sohn hatte drei Viertel Jahre keine Hausaufgaben in<br />
der 5./6. Klasse. Da kamen bei den Eltern einige Unsicherheiten<br />
und Zweifel auf. Entweder verzichten dann alle Klassenstufen<br />
auf Hausaufgaben, oder alle Lehrer geben welche. Es funktioniert<br />
absolut nicht, wenn dies nur ein Lehrer macht.<br />
Monika Treier (per Mail)<br />
Schreiben Sie uns!<br />
Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />
Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns<br />
wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch<br />
oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich.<br />
Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi<br />
oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Kürzungen behält sich die Redaktion vor.<br />
FOKUS MOBILITÄT UND ENERGIE<br />
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Hausaufgaben wirken – wie alles auf der Welt – immer<br />
in dem Geiste, in dem sie gegeben und gemacht<br />
werden. Da wir Geist grundsätzlich nicht beachten,<br />
haben wir verdienter massen Schwierigkeiten damit.<br />
Die praktischen Beispiele der neuen Ich-kann-Schule<br />
zeigen, dass wir ebenso gut Leichtigkeiten damit<br />
erleben könnten.<br />
Franz Josef Neffe, Deutsches COUÉ-Institut,<br />
D-Wittibreut (per Mail)<br />
«Nun bleibt Zeit zum Lernen»<br />
Als unser Sohn, 11, in die Schule kam, ging er in<br />
seinen Hausaufgaben buchstäblich unter. Wochenplan<br />
war an unserer Schule grossgeschrieben. In der<br />
1. und 2. Klasse musste er regelmässig an den<br />
Wochenenden arbeiten. Da ja alles fertig sein musste.<br />
Ob die Kinder es verstanden haben, war egal. In der<br />
3. und 4. Klasse mussten die Kinder ihre Arbeiten<br />
sogar selber korrigieren. Mit Hilfe eines Lösungsordners.<br />
Unser Sohn und auch andere Kinder waren<br />
damit total überfordert. Mit Korrigieren alleine<br />
verbrauchte er so viel Zeit, dass zum Arbeiten nicht<br />
viel übrig blieb. Gespräche und Vereinbarungen mit<br />
Lehrpersonen brachten nichts.<br />
Heute geht er in die 5. Klasse. In derselben Schule,<br />
aber bei einem anderen Lehrer. Wochenplan ist kein<br />
Thema mehr, dafür hat er einen gut überschaubaren<br />
Arbeitsplan. Themen werden in einem Tempo<br />
erarbeitet, in dem alle Kinder folgen können. Für<br />
Schnelle gibts Zusatzfutter. Tests können mit guten<br />
Noten gelöst werden, weil nun Zeit zum Lernen bleibt.<br />
Hausaufgaben gibt es nicht mehr jeden Tag. Nun hat<br />
unser Sohn Zeit, «Kind zu sein», mit allem, was<br />
dazugehört. Seitdem schläft er ruhig ein, nässt das<br />
Bett nicht mehr und ist nicht mehr aggressiv! Unser<br />
Familienfriede wäre eigentlich wiederhergestellt,<br />
hätten wir nicht noch unseren zweiten Sohn – die<br />
Geschichte können Sie oben von vorne lesen …<br />
Barbara Christen (per Mail)<br />
Basel, 12. bis 21. Mai <strong>2017</strong><br />
Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
WENN WORTE WEH TUN. 14:37<br />
Jedes vierte Kind in der Schweiz erlebt<br />
Cybermobbing am eigenen Leib. Bitte<br />
unterstützen Sie unsere vielfältigen<br />
Anti-Mobbing-Massnahmen mit einer<br />
Spende: elternsein.ch 14:41<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>65
Ernährung & Gesundheit<br />
Medikamente für kleine Patienten –<br />
das sollten Eltern beachten!<br />
Ein Zäpfchen wird so schnell nicht schlecht, der Hustensaft der grossen Schwester schadet auch<br />
dem kleinen Bruder nicht. Oder etwa doch? Experten raten bei der Gabe von Medikamenten<br />
an Kinder zu äusserster Vorsicht. Text: Claudia Füssler<br />
Bild: iStockphoto<br />
66 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Es ist später Sonntagabend,<br />
der Fünfjährige<br />
fiebert, die Packung mit<br />
den Zäpfchen ist aufgebraucht<br />
und die diensthabende<br />
Apotheke ausgerechnet am<br />
anderen Ende der Stadt. Zum Glück<br />
liegen im Medikamentenschrank<br />
noch ein paar Fieberzäpfchen der<br />
grossen Schwester. Die ist erst elf,<br />
was soll da schon schief gehen?<br />
Eine ganze Menge, sagen Experten,<br />
und raten dringend davon ab,<br />
Kindern Medikamente zu geben, die<br />
nicht für ihr Alter zugelassen sind.<br />
Der kindliche Organismus ist im<br />
Wachstum. Organe entwickeln sich:<br />
Die Leber muss sich erst auf ihre<br />
lebenslange Aufgabe einstellen, auch<br />
die Niere ist in den ersten Jahren<br />
noch mit Feinjustierung beschäftigt.<br />
Immunsystem und Stoffwechselkreisläufe<br />
funktionieren noch nicht<br />
wie bei einem Erwachsenen. Und in<br />
der Pubertät kommt ein chaotischer<br />
Mix aus Hormonen hinzu. All das,<br />
betont Dirk Mentzer vom Paul-Ehrlich-Institut,<br />
dem deutschen Bundesinstitut<br />
für Impfstoffe und biomedizinische<br />
Arzneimittel, spielt<br />
eine Rolle dabei, wie eine Substanz<br />
auf den Körper wirkt.<br />
«Erst seit etwa zwanzig Jahren<br />
gibt es umfangreichere Untersuchungen<br />
dazu, welchen Einfluss<br />
Medikamente auf den kindlichen<br />
Organismus haben», sagt der Kinderarzt.<br />
So habe man zum Beispiel<br />
herausgefunden, dass die Menge<br />
bestimmter Enzyme, die in der<br />
Leber für den Abbau der Arzneimittel<br />
zuständig sind, altersabhängig<br />
stark schwankt. Das hat mitunter<br />
zur Konsequenz, dass Kinder unter<br />
zwei Jahren die doppelte Dosis dessen<br />
nehmen müssen, was für<br />
Erwachsene empfohlen wird. In<br />
anderen Fällen wiederum wäre das<br />
hochgefährlich.<br />
Eine einfache Faustregel, wie<br />
Dosen von Erwachsenen auf Kinder<br />
heruntergerechnet werden können,<br />
gibt es nicht. «Im Alter zwischen<br />
drei und zehn Jahren wachsen Kin<br />
der, werden aber nicht dicker. Hier<br />
kann ich also nicht exponenziell<br />
rechnen, sondern muss das sich verändernde<br />
Verhältnis von Körpergrösse<br />
zu Gewicht beachten», erklärt<br />
Mentzer. Und das für jede Substanz<br />
individuell.<br />
Fünf Zulassungsgruppen<br />
Damit Eltern sicher sein können,<br />
dass ein Medikament ihrem Kind<br />
nicht schadet, verpflichten die europäischen<br />
Arzneimittelbehörden die<br />
Hersteller von Medikamenten seit<br />
zehn Jahren dazu, die Wirkstoffe<br />
auch für die Verwendung bei Kindern<br />
zu untersuchen. Dabei wird in<br />
fünf Subgruppen unterschieden:<br />
• Neugeborene<br />
• Säugling (0 bis 2 Jahre)<br />
• Kleinkind (2 bis 6 Jahre)<br />
• Kind (6 bis 11 Jahre)<br />
• Jugendliche (11 bis 18 Jahre)<br />
Ob diese Untersuchung stattgefunden<br />
hat und das Medikament für<br />
Kinder zugelassen ist, steht im Beipackzettel<br />
unter Indikationen und<br />
Anwendungsgebiete.<br />
«Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen,<br />
es kann also durchaus<br />
sein, dass sich bei manchen Medikamenten<br />
noch kein Hinweis auf die<br />
Zulassung für Kinder findet», sagt<br />
Mentzer. Das bedeute dann nicht<br />
automatisch, dass das Medikament<br />
ungeeignet sei, doch hier empfiehlt<br />
sich auf jeden Fall, mit dem Arzt<br />
Rücksprache zu halten.<br />
Ein Fünftel nicht zugelassen<br />
Etwa zwanzig Prozent der Arzneimittel,<br />
die niedergelassene Ärzte<br />
regelmässig verwenden, sind nicht<br />
für Kinder zugelassen, schätzt Mentzer.<br />
Dazu zählen blutdrucksenkende<br />
Mittel und solche gegen Krampfleiden<br />
sowie bestimmte Antibiotika.<br />
Unter ärztlicher Kontrolle im Spital<br />
werden solche Stoffe im Notfall aber<br />
auch Kindern gegeben.<br />
Dirk Mentzer warnt vor gut ge <br />
meinten Medikamentengaben, die<br />
schnell zu einer Überdosierung führen<br />
können. Ein Klassiker sind Heu<br />
Heuschnupfenpräparate und<br />
solche gegen Asthma sind<br />
für Kinder besonders heikel.<br />
schnupfentropfen, sogenannte Antihistaminika.<br />
«Das Kind leidet an der<br />
Allergie, die Eltern haben die frei<br />
verkäuflichen Tropfen zu Hause<br />
rumstehen und geben sie ihm. Das<br />
ist eigentlich ungefährlich. Doch<br />
dann geben die Eltern die Tropfen<br />
nochmals, weil sie irgendwie nicht<br />
zu wirken scheinen – so wird rasch<br />
eine Überdosierung erreicht, die<br />
zum Atemstillstand führen kann»,<br />
erklärt Mentzer. Es hat bereits<br />
Todesfälle nach solchen versehentlichen<br />
Überdosierungen gegeben.<br />
Das Gleiche gilt für Sprays, die<br />
viele Kinder gegen Asthma verschrieben<br />
bekommen, sogenannte<br />
Betamimetika. Wenn die einmalige<br />
Anwendung keine Wirkung zeigt,<br />
wird gerne wiederholt gesprüht –<br />
das kann zu Herzrasen und Herzrhythmusstörungen<br />
und da >>><br />
Das können Sie tun<br />
Bereiten Sie sich auf den Notfall vor. Nutzen<br />
Sie einen regulären Besuchstermin beim<br />
Kinderarzt, um mit ihm wichtige «Was,<br />
wenn ...»-Fälle zu besprechen. Was, wenn das<br />
Kind nach dem Impfen hohes Fieber kriegt?<br />
Wenn ein Zäpfchen nicht wirkt? Wenn der<br />
Husten trotzdem immer schlimmer wird? So<br />
wissen Sie im Ernstfall, wie und mit welchen<br />
Medikamenten Sie reagieren können. Wenn<br />
Sie Ihrem Kind versehentlich eine Überdosis<br />
gegeben haben, rufen Sie die Notfallnummer<br />
145 der Tox Info Suisse an. Dort gibt es rund<br />
um die Uhr unentgeltlich ärztliche Auskunft<br />
bei Vergiftungen oder Verdacht auf<br />
Vergiftungen.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>67
Ernährung & Gesundheit<br />
Die bei Säften mitgelieferten<br />
Löffel führen zu einer<br />
ungenauen Dosierung.<br />
>>> mit zum Tod führen. «Die<br />
wichtigste Regel lautet hier, keine<br />
Versuche mit einer Selbstmedikation<br />
zu unternehmen, sondern sich<br />
genau daran zu halten, was der Arzt<br />
gesagt hat, und im Zweifel Rücksprache<br />
mit ihm oder einem Apotheker<br />
zu halten», sagt Mentzer.<br />
Dass die Pädiatrie in Sachen wissenschaftlicher<br />
Untersuchungen ein<br />
Stiefkind ist, findet auch Angela<br />
Caduff Good. «Da sind einfach<br />
immer noch viele Informationslücken<br />
vorhanden, die dazu führen,<br />
dass wir nicht immer wissen, ob ein<br />
Medikament für ein Kind sicher ist<br />
oder nicht», sagt die Fachapothekerin<br />
in Spitalpharmazie vom Kinderspital<br />
Zürich. Sie weist darauf hin,<br />
Links<br />
• compendium.ch<br />
Die Internetseite des Arzneimittel-Kompendiums<br />
ist eigentlich für Fachleute gedacht, gibt jedoch<br />
auch Laien einen schnellen Überblick darüber,<br />
ab welchem Alter ein bestimmter Wirkstoff für<br />
Kinder zugelassen ist.<br />
• toxinfo.ch<br />
Die gemeinnützige Stiftung Tox Info Suisse<br />
hat auf ihrer Internetseite Informationen zur<br />
Prävention von Vergiftungen und einzelnen<br />
Giftstoffen zusammengefasst.<br />
• embryotox.de<br />
Die Internetseite des Pharmakovigilanz- und<br />
Beratungszentrums der Berliner Charité<br />
informiert über die Sicherheit von Arznei mitteln<br />
in Schwangerschaft und Stillzeit.<br />
dass die in einem Beipackzettel aufgeführten<br />
Nebenwirkungen eines<br />
Arzneimittels oft Studien mit Er <br />
wachsenen entnommen sind. «Es<br />
kann sein, dass die Substanz auf<br />
einen kindlichen Körper ganz<br />
anders wirkt und vielleicht Nebenwirkungen<br />
verursacht, die man<br />
nicht erwartet oder die beim Er <br />
wachsenen in dieser Art gar nicht<br />
beschrieben sind», sagt Caduff<br />
Good.<br />
Sie empfiehlt daher, ein Kind,<br />
dem man ein Medikament gibt,<br />
immer etwas im Auge zu behalten<br />
und eventuelle Auffälligkeiten dem<br />
Arzt oder Apotheker zu berichten.<br />
So sei es auch immer möglich, dass<br />
Kinder oder Jugendliche – wie Er <br />
wachsene auch – allergisch auf ein<br />
Mittel reagierten, unabhängig da <br />
von, ob es richtig dosiert ist oder<br />
nicht. Oder ein Medikament wird<br />
versehentlich überdosiert, wenn<br />
Eltern zum Beispiel zum gleichnamigen,<br />
aber höher dosierten Fieberzäpfchen<br />
der grossen Schwester greifen.<br />
«Es ist für Laien oft schwierig,<br />
eine Überdosierung zu erkennen.<br />
Dafür braucht es einen guten Indikator.<br />
Wenn ein Medikament zum<br />
Beispiel laut dem Beipackzettel als<br />
Nebenwirkung müde macht, mein<br />
Kind aber wirklich extrem müde<br />
wird, dann würde ich schon stutzig<br />
werden», sagt Caduff Good. Sie ist<br />
selbst Mutter und weiss, wie schnell<br />
Eltern unsicher sind und sich Sorgen<br />
machen. «In einem solchen Fall<br />
kann die Tox Info Suisse kontaktiert<br />
werden» (24Stunden-Notfalltelefon ,<br />
Nummer 145). Dort erhalte man<br />
sehr kompetente Auskunft, sagt die<br />
Expertin.<br />
Spritzen sind besser als Löffel für<br />
eine genaue Dosierung<br />
Um beispielsweise Über- oder Unterdosierungen<br />
bei der Verabreichung<br />
von in der Pädiatrie oft eingesetzten<br />
Lösungen und Sirupen möglichst zu<br />
vermeiden, sollte die nötige Medikamentenmenge<br />
so genau wie möglich<br />
abgemessen werden. Die gerade bei<br />
Säften mitgelieferten Löffel führten<br />
zu einer ungenauen Dosierung, sagt<br />
Caduff Good. «Besser sind Oralspritzen,<br />
mit denen das Mittel exakt aufgezogen<br />
werden kann.» Einige Apotheken<br />
tauschen bei Medikamenten<br />
die zugehörigen Löffel daher gegen<br />
eine solche Spritze aus.<br />
Im Zusammenhang mit einer<br />
korrekten Medikamentenanwendung<br />
ist es zudem wichtig, zu wissen,<br />
wie es sich mit dem Verfallsdatum<br />
verhält. Auf jedem Arzneimittel<br />
ist vom Hersteller ein Verfallsdatum<br />
aufgedruckt. Das ist vor allem bei<br />
Flüssigkeiten jedoch nur so lange<br />
verbindlich, wie das Medikament<br />
nicht angebrochen ist. «Sobald Sie<br />
68 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Tropfen oder einen Saft öffnen, sind<br />
diese häufig kürzer haltbar, als auf<br />
der Verpackung angegeben ist»,<br />
erklärt Angela Caduff Good. Sie rät,<br />
sich auf der Flasche das jeweilige<br />
Anbruchdatum zu notieren.<br />
Falls im Beipackzettel die Haltbarkeit<br />
nach dem ersten Öffnen<br />
nicht vermerkt ist, kann die Apotheke<br />
Auskunft darüber geben. Wenn<br />
man sich nicht sicher ist, wann eine<br />
Flasche geöffnet worden oder ob das<br />
Medikament noch gut ist, gilt: Im<br />
Zweifel ist der Abfalleimer die bessere<br />
Entscheidung. «Wichtig ist<br />
auch, darauf zu achten, wie ein<br />
Medikament gelagert werden muss.<br />
Es kann sein, dass ein Medikament<br />
vor Anbruch bei Raumtemperatur,<br />
nach Anbruch aber im Kühlschrank<br />
gelagert werden muss», sagt Caduff<br />
Good. Sie empfiehlt generell einen<br />
bedachten Umgang mit Medikamenten<br />
und rät Eltern, sich gerade<br />
in diesem Zusammenhang immer<br />
wieder zu sagen: Kinder sind keine<br />
kleinen Erwachsenen.<br />
>>><br />
Claudia Füssler<br />
ist als Kind mit Schnupfen immer in eine<br />
heisse Badewanne mit etwas Eukalyptusöl<br />
gesteckt worden. Dieses Ritual liebt sie noch<br />
heute – auch wenn die Nase gar nicht läuft.<br />
Altersgerechte Dosierung<br />
Dass viele Medikamente für Erwachsene für<br />
Kinder ungeeignet sind, zeigt sich oft schon<br />
in ihrer Form: Tabletten, Zäpfchen, Kapseln<br />
sind zu gross. Arzneimittel, die hauptsächlich<br />
für Kinder gedacht sind, liegen daher meist<br />
in einer entsprechenden Darreichungsform<br />
vor, solche, die für Kinder und Erwachsene<br />
gleichermassen geeignet sind, gibt es meist<br />
in mehreren Varianten. Als Faustregel sollte<br />
man sich daran orientieren, dass Kinder<br />
unter sechs Jahren Flüssigkeiten bekommen,<br />
danach sind die meisten in der Lage, auch<br />
eine Tablette zu schlucken. Achten Sie beim<br />
Arzt darauf, welche Darreichungsform er<br />
verschreibt. Wenn Sie beispielsweise wissen,<br />
dass Ihr Zehnjähriger Probleme damit hat,<br />
eine Tablette zu nehmen, fragen Sie direkt<br />
nach einem Saft.<br />
Meine<br />
Impfung<br />
Dein<br />
Schutz<br />
Eltern und Bezugspersonen<br />
von Säuglingen impfen sich –<br />
und schützen damit die Kleinsten<br />
vor gefährlichen Krankheiten.<br />
www.sichimpfen.ch<br />
Impf-Infoline : 0844 448 448<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>69<br />
gegen Masern und Keuchhusten
Erziehung & Schule<br />
Herzenswarm<br />
Die Welt scheint immer kälter zu werden. Umso wichtiger ist es<br />
gerade jetzt, Kindern Empathie gegenüber anderen mitzugeben.<br />
Und dieses Mitgefühl lässt sich auch beibringen.<br />
Text: Julia Meyer-Hermann Bilder: Carla Kogelmann / De Beeldunie
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>71
Erziehung & Schule<br />
Es ist die Empathie, die uns<br />
überhaupt zu sozialen Wesen<br />
macht.<br />
Vor Kurzem hörte ich<br />
meine Tochter Fanny<br />
in ihrem Zimmer<br />
leise weinen. Schon<br />
beim Abendessen<br />
war sie auffällig ruhig gewesen, hatte<br />
aber auf meine Fragen nur brüsk<br />
«Es ist nichts!» geantwortet. Als ich<br />
den Kopf durch die geöffnete Tür<br />
hineinsteckte, sah ich meine Neunjährige<br />
auf ihrem Bett sitzen. Ihre<br />
Augen waren leicht gerötet, die Nase<br />
zog sie immer wieder lautstark hoch.<br />
«Ich schäme mich so», schluchzte<br />
sie. «Ich habe heute ganz laut über<br />
Nina gelacht.» Dann erzählte sie,<br />
dass sie in der Nachmittagsbetreuung<br />
über Kästen gesprungen seien.<br />
Nina habe es als Einzige nicht ge <br />
schafft. «Sie ist ja nicht so sportlich,<br />
weil sie so dick ist», sagte Fanny. Es<br />
habe wahnsinnig komisch ausgesehen,<br />
wie Nina einfach auf dem Kasten<br />
liegen geblieben sei. Einer habe<br />
gerufen: «Wie ein Sack!» Ein paar<br />
Kinder hätten gekichert, Fanny<br />
auch. «Ich habe erst aufgehört, als<br />
ich gesehen habe, dass Nina beinahe<br />
geweint hätte», flüsterte meine<br />
Tochter und warf sich in meine<br />
Arme.<br />
Mir stiegen ebenfalls Tränen in<br />
die Augen. Ich litt mit meiner Tochter.<br />
Ich schämte mich für sie. Und<br />
ich konnte auch den Kummer des<br />
anderen Mädchens fühlen. «Was ist,<br />
Mama?», wollte meine Tochter wissen,<br />
die natürlich merkte, wie mitgenommen<br />
ich war. «Bist du mir<br />
böse?» War ich das? «Ich finde nicht<br />
gut, dass du gelacht hast», sagte ich.<br />
«Aber es ist gut, dass du jetzt verstehst,<br />
wie es deiner Freundin ging.»<br />
Und dann erzählte ich meiner<br />
Tochter von einer Spezialeigenschaft<br />
unseres Gehirns, die mich seit je fasziniert.<br />
Von dieser Fähigkeit, empathisch<br />
mitzuerleben, also tatsächlich<br />
zu empfinden, was einem anderen<br />
Menschen gerade widerfährt. «Lä <br />
gen wir beide jetzt in einer Maschine,<br />
mit der man in unseren Kopf<br />
sehen kann, dann würden bei uns<br />
im Gehirn die gleichen Punkte<br />
leuchten», sagte ich. «Läge ich mit<br />
Nina jetzt in so einer Gehirndurchleuchtungsmaschine,<br />
wäre das auch<br />
so», schlussfolgerte Fanny. Weil sie<br />
den Kummer ihrer Freundin auch<br />
fühlen würde – so als wäre es ihr<br />
eigener. «Krass!», fasste meine Tochter<br />
zusammen. Und so sehr mir dieses<br />
Wort manchmal missfällt, so<br />
passend fand ich es diesmal.<br />
Empathische Zivilisation nötig<br />
Empathie stammt ab vom griechischen<br />
Wort «empatheia»: «em»<br />
bedeutet «hinein», «pathos» heisst<br />
«Leiden». Die Zusammensetzung<br />
beschreibt das Hineinfühlen in die<br />
Gemütszustände anderer. Früher<br />
dachte man, dass Menschen nur aufgrund<br />
ihrer Lebenserfahrung rational<br />
erfassen können, wie ihr Gegenüber<br />
sich fühlt. Dann entdeckten<br />
Neurologen Mitte der Neunzigerjahre,<br />
dass bestimmte Zellen im Gehirn,<br />
die sogenannten «Spiegelzellen», das<br />
Erleben und die Emotionen von<br />
anderen widerspiegeln. Das gilt nicht<br />
nur für offensichtliche Zustände wie<br />
Trauer, Zorn oder Ekel, sondern<br />
sogar für weniger deutliche Regungen<br />
wie Verlegenheit oder Einsamkeit.<br />
Seitdem klar ist, dass es nicht um<br />
vermeintliche Gefühlsduselei geht,<br />
sondern um messbare Vorgänge,<br />
wollen Neurologen, Biologen, Psychologen<br />
und Pädagogen erkunden,<br />
wie Empathie entsteht: Woher kennt<br />
der Körper bestimmte Sachverhalte,<br />
bevor sie angesprochen werden?<br />
Wie funktioniert diese Verbindung<br />
zwischen zwei Menschen, die über<br />
eine rein rationale Ebene hinausgeht?<br />
Alle sind sich einig: Es ist die<br />
Empathie, die uns überhaupt zu<br />
sozialen Wesen macht. Der Soziologe<br />
und Ökonom Jeremy Rifkin<br />
glaubt sogar, dass es gerade diese<br />
menschliche Eigenschaft ist, die<br />
unsere Zeit am meisten braucht. Er<br />
72 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
fordert eine «empathische Zivilisation»,<br />
weil die menschliche Fähigkeit,<br />
sich in andere hineinversetzen<br />
zu können, den natürlichen Gegenpol<br />
zum Eigennutz und Narzissmus<br />
unserer Gesellschaft bildet. Weil sie<br />
uns bei dem helfen kann, was der<br />
deutsche Ex-Bundespräsident<br />
Johannes Rau zu seinem Motto<br />
machte: Versöhnen statt spalten.<br />
Die Begabung dazu tragen wir in<br />
uns. «Wir werden vermutlich mit der<br />
Voraussetzung zur Empathie geboren»,<br />
sagt der Neuropsychologe Matthias<br />
Bolz, der am Leipziger Max-<br />
Planck-Institut für Kognitions- und<br />
Neurowissenschaften die kognitiven<br />
Fähigkeiten und Gehirnprozesse bei<br />
Menschen untersucht. «Jedenfalls ist<br />
diese Fähigkeit schon sehr früh in<br />
irgendeiner Art und Weise im Ge <br />
hirn angelegt.»<br />
Wie Kinder und Jugendliche<br />
emotionale Kompetenz entwickeln<br />
und lernen, Gefühle bei sich und<br />
anderen zu erkennen, erforscht die<br />
Psychologin Maria von Salisch von<br />
der Universität Lüneburg. Die ersten<br />
Trainingseinheiten dazu hat man ab<br />
dem Tag null: Schon Babys eignen<br />
sich Wissen über verschiedene Emotionen<br />
an. «Das vorsprachliche Lernen<br />
konzentriert sich darauf, be <br />
stimmte Merkmale und Muster<br />
wiederzuerkennen. Immer wenn<br />
Mama mich auf den Arm nimmt,<br />
lächelt sie. Immer wenn Papa mich<br />
wickelt, macht er ein ganz bestimmtes<br />
Gesicht.» Ein Grossteil der Kommunikation<br />
zwischen Eltern und<br />
Kleinkindern beschäftigt sich damit,<br />
grundlegende Gefühle ken >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>73
Erziehung & Schule<br />
>>> nenzulernen und benennen<br />
zu können: Bist du traurig? Ärgerst<br />
du dich gerade? Mama ist gerade<br />
sehr müde. Du musst keine Angst<br />
haben.<br />
Können also schon Säuglinge<br />
fühlen, wie es anderen geht? Ich<br />
erinnere mich an das kollektive Weinen<br />
in den Krabbelgruppen, das<br />
immer ausbrach, sobald ein Baby<br />
angefangen hatte zu schreien. Wie<br />
verzweifelt sich meine Kinder an <br />
hörten, wenn ein anderes unglücklich<br />
klang, obwohl es ihnen selbst<br />
gut ging. «Das ist keine erste empathische<br />
Reaktion, sondern eine Ge <br />
fühlsansteckung», sagt die Entwicklungspsychologin<br />
Doris Bischof-<br />
Köhler. «Den Kindern in diesem<br />
Alter ist noch gar nicht bewusst,<br />
dass es um den anderen geht. Sie<br />
können noch nicht zwischen der<br />
eigenen Trauer und dem Kummer<br />
eines Freundes unterscheiden.»<br />
Das Bewusstsein für die eigenen Gefühle<br />
ist aber ganz entscheidend, um<br />
überhaupt mitfühlen zu können. Erst<br />
wenn ein Kind etwa achtzehn Monate<br />
alt ist und anfängt, sich selbst im<br />
Spiegel zu erkennen, entwickelt es<br />
mit dem Gefühl für das eigene Selbst<br />
ein Empfinden dafür, wie es einem<br />
anderen geht. Diese Entwicklungsprozesse<br />
zu erforschen, ist nicht einfach.<br />
Immerhin müssen dafür Kleinkinder<br />
in einer möglichst natürlichen<br />
74 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
Alltagssituation beobachtet werden.<br />
In einer der Versuchsreihen von<br />
Doris Bischof-Köhler täuschte eine<br />
erwachsene Spielpartnerin einem<br />
Kind Trauer vor, weil ihr Teddy<br />
kaputtgegangen war. «Die Kinder,<br />
die sich noch nicht selbst im Spiegel<br />
erkennen konnten, verstanden die<br />
Situation nicht und reagierten entweder<br />
unbeteiligt oder wollten selbst<br />
getröstet werden.» Die anderen Kinder<br />
hingegen spiegelten die Emotion<br />
der «Freundin», versuchten zu trösten<br />
und boten ein anderes Stofftier<br />
an.<br />
Empathie-Lücken zugestehen<br />
Es gibt im Alltag immer wieder Szenen,<br />
bei denen Eltern warm ums<br />
Herz wird, weil ihre Kinder «so lieb»<br />
sind. Mein dreijähriger Sohn Carl,<br />
der seine grosse Schwester umarmt,<br />
weil er sie nach einem Sturz trösten<br />
möchte. Der friedlich das Sandspielzeug<br />
teilt, weil sein Freund seine<br />
Sachen vergessen hat. Meine Tochter<br />
Fanny, die ruft, «Lassen Sie mich das<br />
machen», und dann einer alten Frau<br />
im Supermarkt beim Aufsammeln<br />
des heruntergefallenen Einkaufs<br />
hilft.<br />
Wenn mein Mann und ich uns<br />
darüber unterhalten, welche Charaktereigenschaften<br />
uns bei unseren<br />
Kindern besonders wichtig sind,<br />
steht auf meiner Liste das Einfühlungsvermögen<br />
ganz weit oben. Wie<br />
wunderbar wäre es, wenn die beiden<br />
ein besonderes Gespür dafür hätten,<br />
wer Trost und Unterstützung<br />
braucht, und entsprechend mitfühlend<br />
handeln. Mein Mann weist<br />
dann meistens darauf hin, dass auch<br />
Fanny und Carl mal schadenfroh,<br />
unaufmerksam oder ruppig sein<br />
dürften, dass ich ihnen Empathie-<br />
Lücken zugestehen müsse.<br />
«Als ob ich ihnen die überhaupt<br />
absprechen könnte», erwidere ich<br />
dann – und merke an, dass unser<br />
Sohn mit dreieinhalb Jahren trotzdem<br />
langsam mal verstehen könnte,<br />
wann seine Mutter ein kleines bisschen<br />
Unterstützung braucht. Dass<br />
ich Carl noch so eindringlich erklären<br />
kann, warum ich ihn nicht<br />
zusammen mit den Einkäufen fünf<br />
Stockwerke hochtragen kann und er<br />
bitte, bitte selbst laufen möge. Er<br />
brüllt dann trotzdem: «Doofe<br />
Mama!», und bleibt schreiend im<br />
Treppenhaus liegen. Und Fanny,<br />
statt ihren Bruder an die Hand oder<br />
eine Einkaufstüte zu nehmen, sprintet<br />
die Treppen hoch und empfängt<br />
mich oben mit: «Du bist aber nicht<br />
mehr so fit, Mama. Du schnaufst ja<br />
wie eine alte Frau.»<br />
Eine gängige Redensart lautet:<br />
Kinder sind grausam. So möchte das<br />
Andreas Schick, Leiter des Heidelberger<br />
Präventionszentrums nicht<br />
stehen lassen. «Ich würde sagen,<br />
dass Kinder grosse Experimentatoren<br />
sind», sagt er. «Sie entdecken<br />
noch den Umgang mit sich und mit<br />
anderen. Das kann immer wieder<br />
einmal dazu führen, dass sie die<br />
Grenzen anderer deutlich überschreiten.»<br />
Eine Freundin erzählte mir kürzlich,<br />
dass ihre Tochter einen Verweis<br />
bekommen habe. Ich war zunächst<br />
eher erfreut als schockiert, weil ich<br />
die Achtjährige bislang als mustergültig<br />
angepasst erlebt hatte. Umso<br />
mehr überraschte mich, dass dieses<br />
Mädchen zusammen mit drei<br />
Freundinnen eine Klassenkameradin<br />
schikaniert hatte. Sie hatten<br />
deren Schal in eine Toilette gestopft<br />
und nacheinander draufgepinkelt,<br />
während das Opfer weinend vor der<br />
Tür stand. Ich konnte meiner Freundin<br />
ansehen, dass sie das genauso<br />
schockierte wie mich. «Ganz schön<br />
gefühlskalt, was?», sagte sie.<br />
Doch zum Glück sind Einfühlungsvermögen<br />
und Mitgefühl nicht<br />
einfach nur Veranlagungssa- >>><br />
Einfühlungsvermögen und<br />
Mitgefühl sind nicht nur<br />
Veranlagungssache, sondern<br />
können auch trainiert werden.<br />
75
che, man kann sie trainieren. «Emotionen-Coaching» nennt das ten Tag an Mitschüler und Lehrer<br />
«Das ist ein Potenzial wie Intelligenz,<br />
das man gezielt fördern oder<br />
brachliegen lassen kann», sagt Psychologe<br />
Andreas Schick. «Wenn<br />
man die Achtsamkeit trainiert, also<br />
die eigenen Körperempfindungen<br />
und Emotionen besser bemerken<br />
und einordnen kann, dann kann<br />
man auch achtsamer und offener auf<br />
andere reagieren», sagt Matthias<br />
Bolz, der unter der Leitung der Neurowissenschaftlerin<br />
Tania Singer am<br />
Leipziger Max-Planck-Institut für<br />
Kognitions- und Neurowissenschaften<br />
ein mentales Training für Er -<br />
wachsene durchgeführt hat. Kinder<br />
brauchen bei diesem Prozess die<br />
Begleitung durch Erwachsene.<br />
Andreas Schick. Der Therapeut hat<br />
die Programme «Faustlos» und<br />
«Fäustling» mitentwickelt, um die<br />
sozialen Kompetenzen von Kindergartenkindern<br />
und Grundschülern<br />
zu fördern – und auch das Gruppengefühl<br />
zu stärken. In diesen Trainings<br />
lernen die Kinder, sich in<br />
andere hineinzuversetzen, und üben,<br />
was dem anderen gut tun könnte. Sie<br />
durchleben spielerisch verschiedene<br />
Situationen und sprechen anschliessend<br />
mit Erwachsenen darüber, wie<br />
man sich in der anderen Rolle gefühlt<br />
hat.<br />
In der Schule meiner Tochter ist<br />
dieses Konzept aufgegangen. In ihre<br />
Klasse geht ein Junge, der vom erstyrannisierte.<br />
Die Mädchen nannte<br />
er «blöde Schlampen», etlichen Jungen<br />
hat Tom (der in Realität anders<br />
heisst) die Nase blutig geschlagen.<br />
Er bespuckte Erwachsene, zerstörte<br />
Tische und Stühle. Es verging monatelang<br />
kein Tag, an dem Fanny nicht<br />
mit einer neuen Horror-Story nach<br />
Hause kam – bis der Klassenlehrer<br />
mit seinen Schülern ein Empathie-<br />
Training absolvierte.<br />
In Abwesenheit von Tom erzählte<br />
er zunächst dessen Geschichte:<br />
Der Junge war vor der Einschulung<br />
zwei Jahre lang im Krankenhaus<br />
gewesen, weil er Krebs gehabt hatte.<br />
In dieser Zeit hatte er überhaupt keinen<br />
Kontakt zu anderen Kindern<br />
gehabt, «Wir haben gespielt, wie<br />
Tom sich wohl fühlt», erzählte meine<br />
Tochter. «Ich glaube, er ist vor<br />
Angst ganz ausser sich.»<br />
Mit unterschiedlichen Rollen<br />
probte die Klasse, was eigentlich<br />
passiert, wenn einer ausrastet,<br />
wochenlang, immer wieder. Auch<br />
Tom lernte die Perspektive des<br />
Kinder lernen sich noch selbst<br />
kennen. Das kann dazu führen,<br />
dass sie die Grenzen anderer<br />
deutlich überschreiten.<br />
76 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
Opfers kennen. Seitdem ist nicht<br />
alles gut. «Aber Tom ist schon viel<br />
ruhiger geworden, seit er zu uns da <br />
zugehört», sagt Fanny.<br />
Elternhaus als wichtigste Schule<br />
Psychologe Andreas Schick ist davon<br />
überzeugt, dass man mit solchen<br />
Massnahmen Mobbing und Gewalt<br />
an Schulen reduzieren und die<br />
Offenheit gegenüber anderen fördern<br />
kann. Auch zu Hause muss das<br />
passieren, die wichtigste Schule fürs<br />
Einfühlungsvermögen ist das Elternhaus.<br />
Also darf ich als Mutter nie<br />
ausrasten, weil ich dann ein schlechtes<br />
Vorbild bin? Ich denke an die<br />
vielen Male, bei denen ich deutlich<br />
lauter geworden bin, als ich es selbst<br />
gut finde. Wo ich gesehen habe, dass<br />
meine Kinder schon verschüchtert<br />
waren und trotzdem rumgebrüllt<br />
habe. «Wenn man das Gefühl hat,<br />
über das Ziel hinausgeschossen zu<br />
sein, ist das kein Drama, sondern<br />
zutiefst menschlich. Wichtig ist<br />
dann, dass man später das Gespräch<br />
sucht.» Dass man erklärt, warum<br />
man wütend war, und vielleicht sogar<br />
bespricht, wie sich die Wut anfühlt.<br />
Der Knackpunkt ist letztendlich<br />
der Schritt vom blossen Mitfühlen<br />
zum Handeln: Es reicht schliesslich<br />
nicht aus, die Empfindungen zu teilen<br />
und mitzuleiden, wenn daraus<br />
keine Hilfe erwächst für den, der sie<br />
benötigt. Das erfordert aber manchmal<br />
mehr Mut, als man hat. Auch<br />
meine Tochter wollte sich gerne bei<br />
Nina entschuldigen, über die sie<br />
gekichert hatte, wusste aber nicht so<br />
recht wie. Sie lachte nicht mehr,<br />
wenn wieder ein Witz über das Mädchen<br />
gemacht wurde. «Aber ich<br />
traue mich auch nicht, zu sagen, dass<br />
ich das falsch finde», sagte sie. Ein<br />
paar Tage später hatte sie eine<br />
Lösung gefunden. Zusammen mit<br />
ihrer besten Freundin stellte sie sich<br />
neben Nina, als die wieder gepiesackt<br />
wurde, und erzählte, wie ihr<br />
beim Rollschuhfahren am letzten<br />
Wochenende die Hose am Po gerissen<br />
sei. Und wie schlimm der Nachhauseweg<br />
gewesen sei. Nina habe<br />
sich gefreut, sagt Fanny. «Das konnte<br />
ich fühlen. Und es hat sich gut<br />
angefühlt.»
Unser Wochenende …<br />
Savognin Bivio Albula<br />
in der Region<br />
Chur<br />
Text: Leo Truniger<br />
Salouf<br />
Riom<br />
Lai Barnagn<br />
Savognin<br />
Piz Platta<br />
Tiefencastel<br />
Bivio<br />
Tinizong<br />
Rona<br />
Piz<br />
Calderas<br />
Alp Flix<br />
Piz Ela<br />
Parc Ela<br />
Bergün<br />
Pensa<br />
Marmorera<br />
Entdecken …<br />
Piz Üertsch<br />
Julierpass<br />
Silvaplana<br />
… In der Passlandschaft von Albula, Julier und Septimer in<br />
Mittelbünden befindet sich der Parc Ela. Der grösste<br />
regionale Naturpark der Schweiz umfasst rund 550 Quadratkilometer,<br />
200 davon sind unberührte Natur. Eine der<br />
schönsten Wanderungen im Park ist die Exploratour. Die<br />
Bergwanderung führt Sie vom Julierhospiz La Veduta durch<br />
das Val d’Agnel über die Fuorcla digl Leget nach Bivio.<br />
Dabei erleben Sie die Erdgeschichte hautnah: Sie wandern<br />
sozusagen vom Kontinent zum Ozean, der einst Afrika und<br />
Europa trennte, und sehen, wo sich der Urkontinent gespalten<br />
und wieder aufgetürmt hat. Hier ist der ehemalige Ozeanboden<br />
nun mit Gras und Moos überwachsen. Mit dem leihbaren<br />
Exploratour-Kit können Sie sich mit Ihren Kindern als Forscher<br />
betätigen. Es enthält Forschungswerkzeug und Anleitungen<br />
für Experimente und Beobachtungen.<br />
Länge: 11,4 Kilometer; Wanderzeit: ca. 5,5 Stunden; für Familien<br />
mit Kindern ab 12 Jahren; www.parc-ela.ch, www.savognin.ch.<br />
Die informative und hilfreiche App Parc Ela gibt es für Android<br />
oder iPhone. Exploratour-Kit-Miete: Fr. 18.–<br />
… Möchten Sie sich ganz dem Forschen widmen? Dann bietet<br />
sich Ihnen der Forscherparcours auf der Alp Flix an. Die Tour<br />
durch die Moore an den Seen führt zu sechs Posten, an denen<br />
Ihre Kinder auf spielerische Art mehr über die Natur erfahren<br />
und die Artenvielfalt erkunden können. Mit dem Forscherkit<br />
von Professor Fix bauen Sie ein Wasserrad, giessen Tierspuren<br />
aus Gips, saugen Spinnen ein und beobachten diese in der<br />
Becherlupe. Spannende Informationen erhalten Sie aus dem<br />
Forschertagebuch. Erfrischung finden Sie im Berghaus Piz<br />
Platta oder auf dem Agritourismo-Hof der Familie Cotti mit<br />
Jurtenhotel und Pferderanch.<br />
Forscherparcours für 7 bis 12 Jahre; www.savognin.ch ><br />
Aktivitäten & Erlebnisse. www.agrotour.ch, www.flix.ch.<br />
Forscherkit Fr. 38.– in den Tourismusbüros und Hotels vor Ort<br />
Erleben …<br />
… Eine Bikertour zum Aufwärmen, nicht allzu anstrengend, für<br />
Familien und Ungeübte geeignet, ist der «Römer Trail». Den<br />
Namen verdankt die Tour dem Römerweg und den Fundstätten.<br />
Von Savognin führt der Trail dem Fluss Julia entlang<br />
leicht ansteigend nach Tinizong. Dann wird es etwas steiler,<br />
aber der Römerweg nach Rona ist immer noch angenehm zu<br />
befahren. Weiter gehts zu den Maiensässen Plaz Beischen<br />
und nach Pensa mit Blick ins Val d’Err und nach Proschen<br />
und Rudnal, wo verschiedene Funde aus der Römer- und<br />
Bronzezeit gemacht wurden. Die Abfahrt durch den Wald nach<br />
Savognin schliesst die Tour ab.<br />
«Römer Trail» Savognin–Rona–Tinizong–Savognin. Start:<br />
Parkplatz Bergbahnen Savognin. Schwierigkeit: leicht; Länge:<br />
17 Kilometer; Dauer: 2 Stunden; Aufstieg/Abstieg: 640 Meter.<br />
Bikes können Sie in den Savogniner Sportgeschäften mieten<br />
… Oder ist Ihrer Familie eher nach einem Tag mit Spiel, Spass<br />
und Erholung? Dann gehen Sie an den Badesee Lai Barnagn.<br />
Er liegt mitten in Savognin und hat im Sommer eine angenehme<br />
Temperatur, die zum Verweilen lädt, aber auch Abkühlung<br />
verschafft. Kinder können da nicht nur schwimmen, sondern<br />
auch ein Badeparadies entdecken. Am Kiosk erhält man fast<br />
alles, was es für einen solchen Tag braucht.<br />
Badesee Lai Barnagn, Veia Barnagn, Savognin. Kiosk offen ab<br />
13. Mai, je nach Witterung, ohne Speisen; ab 25. Mai von 10 bis<br />
17 Uhr, mit Speisen; 8. Juli bis 20. August von 9 bis 19 Uhr, mit<br />
78 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Service<br />
In der Weite des<br />
Parc Ela, auf dem<br />
Forscherparcours<br />
auf der Alp Flix,<br />
am Ufer des<br />
Lai Barnagn.<br />
Bilder: Lorenz Andreas Fischer, ZVG<br />
Speisen. Saisonende: 22. Oktober <strong>2017</strong>. www.savognin.ch ><br />
Aktivitäten & Erlebnisse > Weitere Sommer-Erlebnisse<br />
Übernachten …<br />
… Auf 1300 m ü. M. oberhalb von Savognin, in Salouf,<br />
befindet sich das Aparthotel Ela an ruhiger Lage. Zu mieten<br />
sind Studios und Wohnungen mit Bad/WC, TV/Radio,<br />
Südbalkon oder Sitzplatz. Hallenbad- und Saunabenützung im<br />
Hotel. Das Restaurant bietet regionale Spezialitäten,<br />
Biofleisch, frische Gemüse und Salate und ein reichhaltiges<br />
Frühstücksbuffet. Kinder bis 5 Jahre gratis im Elternzimmer,<br />
6 bis 11 Jahre 50 Prozent, 12 bis 16 Jahre 30 Prozent.<br />
Hotel Ela, Salouf. Preisbeispiel: 2 Nächte für 2 Erwachsene und<br />
2 Kinder (9 und 13) inkl. Frühstück: Fr. 358.–. www.hotel-ela.ch<br />
… Wenn Sie’s lieber privat mögen, ist der Hof Collet in Riom<br />
ein Tipp. In der gemütlichen 2-Zimmer-Wohnung im Parterre<br />
finden 5 bis 6 Personen Unterschlupf. Die Wohnung besteht<br />
aus einem Schlafzimmer mit Doppelbett und Kajütenbett,<br />
einer Stube mit Bettsofa, TV/Radio und einer separaten<br />
Küche. Badezimmer mit Dusche/WC und Waschmaschine.<br />
Der Biobetrieb liegt an sonniger Lage nahe der Burg Rätia<br />
Ampla. Im Hofladen gibt es Fleisch von eigenen Natura-Beef-<br />
Kälbern, Wurstwaren von eigenen Kühen und Produkte von<br />
Gran Alpin, also aus ökologischem Bergackerbau.<br />
Hof Collet, Cadra 7, Riom. Preis pro Tag im Sommer: Fr. 60.–,<br />
im Winter: Fr. 80.– bis 100.–. www.collet-riom.ch<br />
Gut zu wissen …<br />
… mit der Ela Card von Savognin Bivio Albula kommen Sie in<br />
den Genuss verschiedener Preisermässigungen.<br />
Bedingungen und Leistungen: www.savognin.ch > Unterkünfte<br />
& Angebote<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>79
Service<br />
Vielen Dank<br />
Impressum<br />
Finanzpartner<br />
Dr. iur. Ellen Ringier<br />
Walter Haefner Stiftung<br />
an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />
Hauptsponsoren<br />
Credit Suisse AG<br />
Rozalia Stiftung<br />
UBS AG<br />
17. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />
Herausgeber<br />
Stiftung Elternsein,<br />
Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />
www.elternsein.ch<br />
Präsidentin des Stiftungsrates:<br />
Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />
Tel. 044 400 33 11<br />
(Stiftung Elternsein)<br />
Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />
ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01<br />
Redaktion<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Chefredaktor: Nik Niethammer,<br />
n.niethammer@fritzundfraenzi.ch<br />
Verlag<br />
Fritz+Fränzi,<br />
Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />
Tel. 044 277 72 62,<br />
info@fritzundfraenzi.ch,<br />
verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />
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Business Development & Marketing<br />
Leiter: Tobias Winterberg,<br />
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Art Direction/Produktion<br />
Partner & Partner, Winterthur<br />
Bildredaktion<br />
13 Photo AG, Zürich<br />
Korrektorat<br />
Brunner Medien AG, Kriens<br />
Auflage<br />
(WEMF/SW-beglaubigt 2016)<br />
total verbreitet 101 725<br />
davon verkauft 18 572<br />
Preis<br />
Jahresabonnement Fr. 68.–<br />
Einzelausgabe Fr. 7.50<br />
iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />
Abo-Service<br />
Galledia Verlag AG Berneck<br />
Tel. 0800 814 813, Fax <strong>05</strong>8 344 92 54<br />
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Für Spenden<br />
Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />
Postkonto 87-447004-3<br />
IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />
Inhaltspartner<br />
Institut für Familienforschung und -beratung<br />
der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />
und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation /<br />
Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale<br />
Hochschule für Heilpädagogik Zürich /<br />
Schweizerisches Institut für Kinder- und<br />
Jugendmedien<br />
Stiftungspartner<br />
Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />
Zürich / Elternbildung CH / Marie-Meierhofer-<br />
Institut für das Kind / Schule und Elternhaus<br />
Schweiz / Schweizerischer Verband<br />
alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV /<br />
Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />
Kinderbetreuung Schweiz<br />
BRICKLIVE –<br />
FÜR ALLE<br />
LEGO ® -FANS.<br />
Übernachtungsangebot ab CHF 61<br />
Vom 12. bis 21. Mai <strong>2017</strong> kommt die weltweit grösste Show für LEGO-Fans nach Basel. Während 10 Tagen können<br />
Kinder und Erwachsene in der Messe Basel auf über 15'000 m 2 ihrer Leidenschaft frönen und nach Herzenslust mit<br />
den berühmten Steinen spielen. Mit dem attraktiven Spezialangebot von Basel Tourismus können Sie die LEGO-Show<br />
voll auskosten und verbringen die Nacht entspannt in einem Hotel Ihrer Wahl. Weitere Informationen und Buchung<br />
unter Tel. +41 (0)61 268 68 68 oder auf www.basel.com/bricklive.<br />
BASEL.COM<br />
80 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Buchtipps<br />
Viola Rohner:<br />
Hier ist Minna!<br />
Illustrationen<br />
von Dorota<br />
Wünsch.<br />
Peter Hammer,<br />
2016, Fr. 17.90,<br />
ab 5 Jahren<br />
Nebenan die<br />
Wildnis<br />
Das Abenteuer<br />
wartet gleich im<br />
Nachbargarten!<br />
Petra Posterts<br />
«kleiner Roman»<br />
über zwei Kinder,<br />
die ein verlassenes Haus entdecken,<br />
hat schon etwas mehr Text pro Seite,<br />
aber auch viele Bilder und eine<br />
zumutbare Länge.<br />
Tulipan, 2016, Fr. 14.90, ab 7 Jahren<br />
Bilder: ZVG<br />
Wer den üblichen Erstlesereihen entwachsen<br />
ist und sich an ein erstes «richtiges» Buch<br />
wagen will, darf nicht gleich entmutigt<br />
werden. Zum Glück gibt es Kinderliteratur,<br />
die genau diese Zielgruppe bedient und<br />
die Freude am Lesen aufrechterhält.<br />
Was kommt nach den Erstlesebüchern?<br />
Hier ist Minna!<br />
Minna ist ein<br />
«strammer Kerl»,<br />
wie Opa Jan sie<br />
nennt. «Kleinigkeit»,<br />
sagt sie, als<br />
ihre Mutter sie bittet, kurz auf die<br />
Waschmaschine aufzupassen. Und<br />
den Coiffeursalon führen, wenn<br />
Opa kurz weg ist? Minna kann das!<br />
Was sie in ihrem Alltag in der Phase<br />
zwischen Kindergartenabschied und<br />
Schulbeginn erlebt, erzählt sie in<br />
unbestechlicher Kinderlogik konsequent<br />
aus ihrer Perspektive.<br />
Als Altersangabe schreibt der<br />
Verlag bei «Hier ist Minna!» ab fünf.<br />
Tatsächlich eignet sich das Buch gut<br />
zum Vorlesen und es ist keine Frage,<br />
dass Fünfjährige schon ihre Freude<br />
daran haben können. Doch das Kinderbuch<br />
der Zürcher Autorin Viola<br />
Rohner bringt Qualitäten mit sich,<br />
die zum Selberlesen einladen: Die<br />
Schrift ist gross und serifenlos, die<br />
Zeile endet mit dem Satz, was die<br />
Orientierung im Text erleichtert,<br />
und die vielen gros sen Illustrationen<br />
tragen zum Textverständnis bei und<br />
bieten Raum für eine kurze Pause.<br />
Viele Verlage haben in den letzten<br />
Jahren erkannt, dass es Fortsetzungslektüre<br />
für jene Kinder<br />
braucht, die die reinen pädagogischdidaktischen<br />
Erstlesebücher schon<br />
gut meistern. Dicke Kinderromane<br />
sind oft noch zu umfangreich und<br />
können – müssen aber nicht! – entmutigen.<br />
Unterhaltsame und gut<br />
geschriebene Kinderliteratur in kurzer<br />
Form mit hohem Bildanteil und<br />
gut lesbarer Schrift sind hier eine<br />
Alternative.<br />
Viele Grüsse,<br />
Deine Giraffe<br />
Als Giraffe sich<br />
langweilt,<br />
schreibt sie einen<br />
Brief – und<br />
bekommt Antwort<br />
vom Pinguin! Die<br />
Geschichte zweier ganz<br />
unterschiedlicher Brieffreunde von<br />
Megumi Iwasa eignet sich zum<br />
Vor- oder Selberlesen.<br />
Moritz, <strong>2017</strong>, Fr. 16.90, ab 6 Jahren<br />
Die<br />
supergeheime<br />
Körnchengang:<br />
Der Zwei-<br />
Millionen-<br />
Körnerschatz<br />
Serien sind<br />
bestes Lesefutter,<br />
auch schon für kleine Leserinnen<br />
und Leser. In der neuen Serie<br />
von Katja Alves sind unternehmungslustige<br />
Meerschweinchen die grossen<br />
Helden.<br />
Arena, <strong>2017</strong>, je Fr. 13.90, ab 7 Jahren<br />
Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />
Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />
Instituts für Kinder- und<br />
Jugendmedien SIKJM.<br />
Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind<br />
weitere B uch empfehlungen zu finden.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Mai <strong>2017</strong>81
Eine Frage – drei Meinungen<br />
Unsere Tochter, 9, spielt seit Kurzem Klavier. Mit dem Üben nimmt sie es<br />
nicht so genau; sie meint, sie sei ein Naturtalent. Wie bringen wir ihr bei,<br />
dass tägliches Üben einfach dazugehört? Gisela, 45, und Tom, 39, Glarus<br />
Nicole Althaus<br />
Naturtalent oder nicht. Der<br />
Mensch hat eine natür liche<br />
Tendenz, das Vergnügen der<br />
Arbeit vorzuziehen. Wenn Sie<br />
wirklich wollen, dass Ihre<br />
Tochter übt, dann schreiben<br />
Sie es ihr vor. Freiwillig setzen<br />
sich nur die allerwenigsten<br />
Kinder ans Klavier. Und ein<br />
tiefes Verständnis für den Sinn täglichen Übens können<br />
Sie von einer Neunjährigen auch nicht erwarten. Erst<br />
Hausaufgaben, dann Üben, dann das Vergnügen. Wenn<br />
Sie sich daran halten, wird es Ihre Tochter auch tun.<br />
Tonia von Gunten<br />
Am besten lernt der Mensch,<br />
indem er sich für etwas<br />
begeistert. Mit Druck<br />
hingegen erreichen Sie auf<br />
Dauer gar nichts. Am<br />
allerwenigsten, dass Ihre<br />
Tochter dadurch ihre heutige<br />
Freude am Klavierspielen<br />
behält. Hören Sie ihr immer<br />
wieder beim Üben zu und erfreuen Sie sich an den<br />
kleinen Fortschritten. Es bleibt dabei zu hoffen, dass<br />
Ihre Tochter sich weiterhin fürs Klavierspielen<br />
interessiert – Naturtalent hin oder her!<br />
Peter Schneider<br />
Dass sie kein Naturtalent ist,<br />
dürfte sie bald schon selber<br />
merken. Ob es sie dazu<br />
bewegt, anzuerkennen, dass<br />
sie deshalb mehr üben muss,<br />
wird sich zeigen. Bis dahin<br />
bleibt Ihnen wohl nichts<br />
anderes übrig, als sie zum<br />
täglichen Üben anzuhalten.<br />
Und sich schon mal darauf einzustellen, dass sie<br />
vermutlich keine zukünftige Martha Argerich in der<br />
Familie haben, sondern eine Hobbypianistin, die Ihnen<br />
später einmal wahlweise vorwerfen wird, dass sie<br />
immer auf dem Klavier üben musste, oder aber, dass<br />
ihre Eltern sie nicht konsequent genug zum Üben<br />
angehalten haben.<br />
Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin<br />
und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am<br />
Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir<br />
eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.<br />
ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter<br />
von zwei Kindern, 16 und 12.<br />
Tonia von Gunten, 43, ist Elterncoach, Pädagogin<br />
und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein<br />
Programm, das frische Energie in die Familien<br />
bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz<br />
stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet<br />
und Mutter von zwei Kindern, 10 und 7.<br />
Peter Schneider, 59, ist praktizierender<br />
Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die<br />
andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent<br />
für klinische Psychologie an der Uni Zürich und<br />
ist Professor für Entwicklungspsychologie an<br />
der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines<br />
erwachsenen Sohnes.<br />
Haben Sie auch eine Frage?<br />
Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />
82 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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