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Fr. 7.50 5/Mai <strong>2017</strong><br />

Cybermobbing<br />

Wenn Kinder im Netz<br />

verletzt werden – und<br />

was Eltern tun können<br />

Fabian Grolimund<br />

Alles zu viel – wie<br />

Familien ihren Alltag<br />

entspannter erleben<br />

MIT 68 SEITEN<br />

Berufswahl<br />

Väter<br />

Was gute<br />

anders machen


Erleben Sie Graubünden<br />

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Editorial<br />

Bild: Geri Born<br />

Nik Niethammer<br />

Chefredaktor<br />

«Ich vermisse die Zeit, als<br />

ich morgens voller Elan aus<br />

dem Bett gesprungen bin.<br />

Damals. Mit 4.»<br />

Autor: unbekannt<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Beschimpft, ausgeschlossen, gedemütigt: Mobbing ist für jeden Jugendlichen ein<br />

Trauma – ganz besonders, wenn es online und in den sozialen Netzwerken stattfindet.<br />

Studien belegen, dass jeder vierte Jugendliche schon einmal Opfer von<br />

Cybermobbing wurde. Im Mai startet die Stiftung Elternsein, Herausgeberin<br />

des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi, eine Kampagne gegen die Hetze<br />

im Netz: Unter dem Titel «Wenn Worte weh tun» will die Stiftung Kinder und<br />

Jugendliche dafür sensibilisieren, wie viel Leid sie mit einem abschätzigen<br />

Kommentar, einer beleidigenden Zeile oder einer schnell getippten Drohung<br />

anrichten können. Mehr Infos auf der Stiftungsseite unter elternsein.ch,<br />

Cybermobbing. Wenn Jugendliche im Internet hassen – ab Seite 50.<br />

180 000! In Worten: Hundertachtzigtausend. Fritz+Fränzi hat nun fast so viele<br />

Leserinnen und Leser wie die Weltwoche. Das geht aus der neusten Leserschaftsstudie<br />

Mach Basic der WEMF hervor. Die Studie kennt viele Verlierer – und<br />

einen Gewinner: das Schweizer Eltern Magazin. Satte 17 Prozent mehr<br />

Leserinnen und Leser verzeichnet unser Heft im Zeitraum von September 2015<br />

bis September 2016. Ein beachtlicher Leserzuwachs in<br />

Zeiten, wo Informationen auf Papier immer seltener<br />

konsumiert werden. Wir sind mächtig stolz und danken<br />

Ihnen ganz herzlich für Ihr Vertrauen.<br />

Zwei Drittel aller Eltern sagen, dass sie regelmässig von<br />

Selbstzweifeln geplagt sind, obwohl sie täglich ihr Bestes<br />

geben. Gerade die frühkindliche Erziehung fordert und<br />

verunsichert Väter und Mütter in besonderem Masse. Der<br />

Eintritt in den Kindergarten bedeutet eine Zäsur – für die<br />

Eltern wie für das Kind. Dem wollen wir Rechnung tragen<br />

mit unserem neuen Magazin Kindergarten, das Mitte August erstmals erscheint.<br />

Wir wollen Eltern und ihr Kind begleiten beim Eintritt ins Schulsystem; wir<br />

wollen mithelfen, dass Mütter und Väter sich sicher fühlen und sich dem<br />

gesellschaftlichen Druck nach Perfektion ein bisschen widersetzen können. Dass<br />

sie ein starkes Selbstbild entwickeln und damit auch eine entspanntere Erziehung<br />

praktizieren können. Dass sie erkennen, dass sie nicht perfekt sein müssen,<br />

sondern dass hinreichend gut auch reicht. Bei ihnen und ihren Kindern.<br />

Dieser Ausgabe liegt nach 2015 und 2016 erneut ein Spezialheft zur Berufswahl<br />

bei. Wir kümmern uns auf 68 Seiten um die Auswirkungen der Digitalisierung<br />

auf unsere Arbeitsplätze, zeigen, dass gerade vermeintlich weniger attraktive<br />

Berufe die besten Perspektiven bieten, und begleiten Jugendliche (und ihre<br />

Eltern) auf dem Weg ins Berufsleben.<br />

Herzlichst – Ihr Nik Niethammer<br />

850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org


Inhalt<br />

Ausgabe 5 / Mai <strong>2017</strong><br />

Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />

fritzundfraenzi.ch und<br />

facebook.com/fritzundfraenzi.<br />

Psychologie & Gesellschaft<br />

40 Das mach ich doch mit links!<br />

Früher wurden Linkshänder<br />

umerzogen. Heute plädieren Experten<br />

dafür, auf die Kinder keinen Einfluss<br />

zu nehmen. Extra-Scheren, -Stifte und<br />

-Messer erleichtern das Leben unter<br />

Rechtshändern.<br />

Augmented Reality<br />

Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />

erhalten. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos und<br />

Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />

10<br />

Dossier: Väter<br />

10 So wichtig und so unterschätzt<br />

Wie bedeutend sind Väter für die<br />

Entwicklung ihrer Kinder? Viel wichtiger,<br />

als sie selbst glauben, sagen Experten.<br />

20 Familie steht an erster Stelle<br />

Moderne Väter wollen heute mehr sein<br />

für ihre Kinder als Brotverdiener, sagt<br />

Familienforscher Wassilios E. Fthenakis.<br />

Bild: Johan Bävman<br />

30 Männer im Hamsterrad<br />

Männerberater Martin Bachmann: Väter<br />

leiden unter einer doppelten Belastung.<br />

32 Jesper Juul<br />

Wie wird man ein guter Vater?<br />

Cover<br />

Unser Titelbild stammt<br />

aus der Fotoreihe<br />

«Swedish Dads»<br />

des schwedischen<br />

Fotografen<br />

Johan Bävma<br />

Bilder: Johan Bävman, Daniel Winkler / 13 Photo, iStockphoto, Carla Kogelmann / De Beeldunie<br />

4


34<br />

66<br />

70<br />

Urs Moser, werden jemals alle Schüler die<br />

gleichen Chancen auf Bildung haben?<br />

Wenn Kinder krank werden, brauchen sie<br />

Liebe und – die richtige Behandlung.<br />

Was es braucht, damit Kinder für andere<br />

Menschen Mitgefühl entwickeln.<br />

Erziehung & Schule<br />

44 Elterngespräche<br />

Wenn Lehrperson und Eltern an einem<br />

Tisch sitzen, treffen oft zwei Welten<br />

aufeinander.<br />

46 Spielend Schreiben lernen<br />

Schriftspiele fördern das Bewusstsein<br />

für unsere Sprache.<br />

70 Herzenswarm<br />

Wie lässt sich Mitgefühl lernen?<br />

Und kann man Kindern Empathie<br />

beibringen? Experten sagen: ja!<br />

Digital & Medial<br />

50 Cybermobbing<br />

Beschimpft, bedroht, ausgelacht:<br />

Mobbing ist für jedes Kind ein Trauma.<br />

Besonders, wenn es online passiert.<br />

60 Reine Konzentrationssache<br />

Um gut lernen zu können, müssen<br />

Kinder sich konzentrieren. So können<br />

Eltern sie dabei unterstützen.<br />

61 Mixed Media<br />

Ernährung & Gesundheit<br />

66 Medikamente für kleine Patienten<br />

Gerade bei Kindern sollten sich Eltern<br />

an die Angaben von Ärzten halten,<br />

sonst droht eine Überdosierung.<br />

Rubriken<br />

03 Editorial<br />

06 Entdecken<br />

34 Monatsinterview<br />

Ob ein Kind aufs Gymnasium kommt,<br />

hängt immer noch von seiner<br />

Herkunft ab, sagt Bildungsexperte<br />

Urs Moser.<br />

42 Fabian Grolimund<br />

Was tun gegen das Gefühl von<br />

ständiger Überforderung?<br />

47 Stiftung Elternsein<br />

Ellen Ringier über die Nähe der<br />

Grosseltern zu ihren Enkeln.<br />

48 Mikael Krogerus<br />

Unser Kolumnist über das<br />

Sommerhaus seiner Träume.<br />

62 Leserbriefe<br />

Service<br />

48 Verlosung<br />

78 Unser Wochenende in ...<br />

… der Region Savognin Bivio Albula<br />

80 Sponsoren/Impressum<br />

81 Buchtipps<br />

82 Eine Frage – drei Meinungen<br />

Die Tochter will nicht Klavier üben –<br />

sollten sie ihre Eltern dazu anhalten?<br />

83 Abo<br />

Die nächste Ausgabe erscheint<br />

am 13. Juni <strong>2017</strong>.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>5


Entdecken<br />

Puh – das stinkt!<br />

Erst ab dem Alter von fünf Jahren<br />

kombinieren Kinder ihre<br />

Seh- und Geruchseindrücke, wie<br />

Forscher aus Triest beobachteten.<br />

Die Kinder schnupperten erst<br />

den Duft von Rosen und<br />

gammeligem Fisch und wählten<br />

dann eines von zwei Gesichtern<br />

auf dem Bildschirm aus. Die<br />

Kleinen bevorzugten stets das<br />

fröhliche Gesicht, die Grösseren<br />

das zum Geruch passende.<br />

3 FRAGEN<br />

an Sarah M. Springman, Rektorin der ETH Zürich<br />

«Kinder sind die geborenen Forscher,<br />

wenn man sie lässt»<br />

Das neue Abenteuer des Schnabelwesens Globi findet in der Hochburg<br />

der Schweizer Wissenschaft und Technik statt: der ETH Zürich. «Globi<br />

und die verrückte Maschine» heisst der 87. Band. Warum Kinder die<br />

begeistert sten Tüftler sind, weiss ETH-Rektorin Sarah M. Springman.<br />

Interview: Claudia Landolt<br />

Frau Springman, Sie sind Ingenieurin und Professorin für Geotechnik.<br />

Wie haben Sie den Zugang zur Wissenschaft gefunden?<br />

Schon als Kind hat mich fasziniert, wie Wasser sich seinen Weg durch die<br />

Landschaft bahnt und wie diese sich anpasst. In den Ferien am Meer<br />

baute ich tagelang grosse Dämme. Noch heute begeistere ich mich für<br />

diese Dinge.<br />

Globis Begleiterin ist die ETH-Professorin Pauline Schrödinger.<br />

Eine Anspielung, mehr Frauen für technische Berufe zu begeistern?<br />

An der ETH werden junge Leute jeglichen Geschlechts hervorragend<br />

ausgebildet. Diversität ist uns wichtig, der Mix der Kulturen, Sprachen<br />

und Disziplinen. Wir sorgen für ein Klima, welches für Kind und Karriere<br />

von Mann und Frau gleichermassen vorteilhaft ist. Deshalb ist uns<br />

Frauenförderung ein Anliegen. Der Frauenanteil unter den Studierenden<br />

macht bereits 30 Prozent aus, und bei den Professuren steigt er stetig<br />

an.<br />

Kinder sind die geborenen Forscher. Was kann man als Eltern tun,<br />

dass Töchter und Söhne diesen Wissensdurst behalten?<br />

Indem man sie machen lässt. Kinder sind wie Globi: daufgängerische<br />

Lausbuben mit Mut, Entdeckungsdrang und kreativen Ideen. An der ETH<br />

wollen wir möglichst viele Kinder für Technik und Naturwissenschaften<br />

begeistern, und das möglichst früh.<br />

Bei Kindern unter 6 Jahren und bei Jugendlichen über<br />

10 Jahren scheint der positive Einfluss von Haustieren<br />

auf das Selbstwertgefühl von Kindern am grössten zu sein.<br />

(Quelle: University of Liverpool)<br />

Die Zeit heilt –<br />

auch Magersucht<br />

Anorexie und Bulimie sind<br />

sehr schwerwiegende<br />

Essstörungen, bei Magersüchtigen<br />

vereinzelt sogar<br />

mit tödlichem Ausgang.<br />

Doch die Prognose auf<br />

Heilung ist nicht ganz so<br />

düster, wie bislang<br />

befürchtet. Forscherinnen<br />

am Massachusetts General<br />

Hospital begleiteten 136<br />

Frauen mit der Diagnose<br />

Anorexie und 110 mit der<br />

Diagnose Bulimie. Nach neun Jahren hatten zwei Drittel der<br />

Bulimikerinnen ihre Krankheit überwunden. Bei den Magersüchtigen<br />

hingegen waren zu diesem Zeitpunkt nur gut 30 Prozent geheilt, doch<br />

auch für die anderen gab es weiterhin Hoffnung. Eine Nachfrage nach<br />

20 Jahren ergab, dass nunmehr auch zwei Drittel der magersüchtigen<br />

Patientinnen gesund waren. Das macht Hoffnung!<br />

Bilder: ZVG, fotolia<br />

6 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Rubrik<br />

MEHR<br />

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ŠKODA Das Schweizer Preis, ElternMagazin der nur ein Fritz+Fränzi Fazit zulässt: Mai <strong>2017</strong>7<br />

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Entdecken<br />

«Man wüsste ja, was zu tun wäre:<br />

Es braucht erschwingliche Krippenplätze,<br />

ein Steuersystem, das den Zweiterwerb<br />

durch die Frau nicht mehr bestraft,<br />

und einen Vaterschaftsurlaub für alle.»<br />

Markus Theunert in einem Online-Beitrag der NZZ<br />

zum Thema Teilzeitarbeit von Müttern und Vätern<br />

Markus Theunert ist Leiter des<br />

Schweizerischen Instituts für Männerund<br />

Geschlechterfragen (SIMG), der<br />

Fachstelle von männer.ch.<br />

Blutsbrüder<br />

Befreundete Kinder beeinflussen<br />

sich gegenseitig darin, wie sie<br />

Gefahren einschätzen und ob diese<br />

ihnen Angst machen. Dies ergab<br />

eine Studie der britischen University<br />

of East Anglia. 242 Schulkindern<br />

wurden Bilder gezeigt sowie<br />

bedrohliche und neutrale Geschichten<br />

vorgelesen. Danach ähnelten<br />

sich Freunde viel mehr darin, wie sie<br />

über Gefahren und Angst dachten,<br />

als nicht miteinander befreundete<br />

Kinder.<br />

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riesigen Becken, ein Anblick, der jeden LEGO-Fan jubeln lässt. Das Beste: Reinspringen<br />

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21. Mai <strong>2017</strong> in der Messe Basel ihrer Leidenschaft frönen. Für alle Digital-Fans sind<br />

Game- und Movie-Zonen geplant. Und lebensgrosse Statuen und LEGO-Welten zeigen,<br />

was Profis aus den Steinen zaubern können. Wer danach noch immer nicht müde ist, kann<br />

die Basler Mustermesse muba besuchen, die zeitgleich in der Messe Basel stattfindet.<br />

Weitere Informationen unter www.bricklive.ch und www.muba.ch<br />

Flucht – wie erklär<br />

ichs meinem Kind?<br />

Souraya lebt wie ein normales Mädchen<br />

in Syrien, bis ihre Heimat durch den Krieg<br />

verwüstet wird. Zusammen mit ihrer<br />

Familie beginnt ihre gefährliche Flucht …<br />

Entstanden ist das liebevoll gestaltete<br />

Kinderbuch «Warum Souraya ihre Heimat<br />

verlassen musste» auf Wunsch verschiedener<br />

Lehrpersonen. Diese waren auf der<br />

Suche nach passendem Lehrmaterial zum<br />

Thema Migration und Flucht. Es soll Kindern<br />

zwischen acht und elf Jahren dieses<br />

anspruchsvolle Thema anschaulich und<br />

kindgerecht nahebringen. Der gesamte<br />

Erlös kommt dem Verein «StrickWärme –<br />

hilft Menschen auf der Flucht» zugute.<br />

«Warum Souraya ihre Heimat verlassen<br />

musste», 35 Franken, zu bestellen auf:<br />

www.strickwaerme.ch<br />

Bilder: ZVG<br />

8 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Rubrik<br />

© UBS <strong>2017</strong>. Alle Rechte vorbehalten.<br />

Es geht um viel<br />

mehr als den Sieg.<br />

Grosse Emotionen am UBS Kids Cup erleben.<br />

ubs.com/kidscup<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>9


Dossier<br />

Kinder sind Frauensache. Das glaubten bis<br />

vor Kurzem auch die meisten Wissenschaftler.<br />

Doch seit einigen Jahren geraten zusehends<br />

die Männer in den Fokus der Forscher. Väter sind<br />

offenbar viel wichtiger für die Entwicklung<br />

eines Kindes als lange Zeit vermutet.<br />

Text: Jochen Metzger<br />

Bilder: Johan Bävman und Fabian Unternaehrer / 13 Photo<br />

Bilder: Johan Bävman


Dossier<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>11


Dossier<br />

Die meisten Bilder zu diesem Dossier<br />

stammen aus der wunderbaren Fotoarbeit<br />

«Swedish Dads» von Johan Bävman<br />

(www.johanbavman.se). Die Schweizer<br />

Väter und ihre Kinder hat der Berner<br />

Fotograf Fabian Unternaehrer porträtiert.<br />

Im Juni 2016 geschah etwas<br />

Merkwürdiges. Wissenschaftler<br />

aus der ganzen Welt hatten<br />

einen Flug nach Detroit ge ­<br />

bucht, um dort den Bus Richtung<br />

Westen zu besteigen. Nach<br />

einer Stunde erreichten sie ein<br />

schmuckes Uni-Städtchen namens<br />

Ann Arbor. «Wir hatten hier zum<br />

ersten Mal die führenden Leute aus<br />

der Väterforschung beisammen»,<br />

erzählt Brenda Volling, Psychologieprofessorin<br />

an der University of<br />

Michigan. Seit mehr als 30 Jahren<br />

untersucht sie, was die Väter anders<br />

machen als die Mütter, wie sie mit<br />

ihren Kindern spielen – und wie<br />

wichtig sie für die Entwicklung ihrer<br />

Töchter und Söhne sind. «Anfangs<br />

hat mich kaum einer von den Kollegen<br />

ernst genommen», erzählt Brenda<br />

Volling. «Die komplette Forschung<br />

drehte sich nur um die<br />

Mütter.»<br />

Doch die Welt hat sich verändert.<br />

Für Familienpsychologen – und für<br />

die Familien selbst. Ge meinsam mit<br />

ihrer schwangeren Partnerin erleben<br />

heute die meisten Männer den<br />

Moment, in dem das Bild ihres Kindes<br />

zum ersten Mal auf dem Monitor<br />

eines Ultraschallgeräts erscheint.<br />

Im Kreisssaal hören sie den ersten<br />

Schrei, mit dem ihr Neugeborenes<br />

die Welt begrüsst. Sie wickeln, sie<br />

füttern, sie trösten, sie spielen.<br />

Noch vor wenigen Jahrzehnten<br />

war all das die Ausnahme. Inzwischen<br />

geschieht es mit der allergrössten<br />

Selbstverständlichkeit –<br />

unsere Gesellschaft hat die Rolle des<br />

Vaters vollkommen neu definiert.<br />

Aber was heisst es heute, ein «guter<br />

Vater» zu sein? Immer neue wissenschaftliche<br />

Studien geben darauf<br />

überraschende Antworten. Und<br />

auch die Vernetzung zwischen den<br />

Wissenschaftlern wird zunehmend<br />

besser. So haben Forscher aus der<br />

Schweiz, aus Österreich und<br />

Deutschland ein eigenes Netzwerk<br />

namens CENOF gegründet. Die<br />

Abkürzung steht für «Central European<br />

Network on Fatherhood».<br />

Es ist kein Zufall, dass sich die<br />

deutschsprachige Gruppe einen<br />

englischen Namen gegeben hat:<br />

Väterforschung ist längst zu einem<br />

internationalen, weltweiten Projekt<br />

geworden. Noch ist es reine Grundlagenforschung,<br />

was in den Fachjournalen<br />

erscheint. Doch ein paar<br />

Erkenntnisse der Wissenschaft können<br />

Eltern schon heute sehr konkret<br />

in ihren Alltag mitnehmen.<br />

So bestreitet heute kaum noch ein<br />

Psychologe, dass Kinder von ihren<br />

Vätern in einem unglaublichen Masse<br />

profitieren. Doch die Daten be ­<br />

leuchten auch eine komplett andere<br />

Seite des Familiensystems: Väter<br />

sehen sich selbst oftmals noch als<br />

Bezugsperson zweiter Klasse, als<br />

eine Art Aushilfs-Babysitter<br />

Väter sehen sich selbst oftmals<br />

noch als Bezugsperson zweiter<br />

Klasse, als Aushilfs-Babysitter. >>><br />

Bild: Johan Bävman<br />

12


Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>13


Dossier<br />

14 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Bild: Fabian Unternährer / 13 Photo<br />

Gute Väter trösten, gute Väter<br />

spielen, gute Väter helfen – gute<br />

Väter kümmern sich.<br />

>>> für die Zeiten, in denen Mama<br />

gerade nicht kann. «Die Väter haben<br />

noch immer nicht bemerkt, wie<br />

wichtig sie sind. Das ist unsere entscheidende<br />

Botschaft als Forschergruppe»,<br />

sagt Brenda Volling.<br />

Mehrere Studien zeigen inzwischen,<br />

was geschieht, wenn Väter<br />

sich selbst und ihre Aufgabe als<br />

Bezugsperson für die Kinder ernst<br />

nehmen. Wenn sie sich «gemeint»<br />

und verantwortlich fühlen, sobald<br />

ihr Baby schreit, sobald es später im<br />

Kindergartenalter «Zirkusdirektor»<br />

oder «Teegesellschaft» spielen will,<br />

sobald es als Schulkind Hilfe bei den<br />

Hausaufgaben braucht.<br />

Gute Väter trösten, gute Väter<br />

spielen, gute Väter helfen – gute<br />

Väter kümmern sich. Und wenn sie<br />

das tun, dann setzen sie für sich<br />

selbst und für die ganze Familie<br />

etwas in Gang, was die Emotionspsychologin<br />

Barbara Fredrickson als<br />

«Aufwärtsspirale des Aufblühens»<br />

bezeichnet. Sie senken den Stresspegel<br />

ihrer Partnerin, sie festigen die<br />

Bindung zu ihrem Kind, sie erleben<br />

sich selbst als wirkungsmächtiger<br />

und zufriedener, sie verbessern die<br />

Beziehung zu ihrer Partnerin. Die<br />

ganze Familie profitiert davon.<br />

Sechs verschiedene Grundsätze<br />

bündeln die Erkenntnisse der aktuellen<br />

Forschung. Nicht alle klingen<br />

besonders neu oder revolutionär.<br />

Doch sie erklären, warum die >>><br />

«In Erziehungsfragen<br />

vertraue ich auf<br />

meinen gesunden<br />

Menschenverstand»<br />

In der Familie von Philippe Klemenz,<br />

46, TV-Journalist aus Zollikerberg<br />

ZH, herrschen klare Regeln. Der<br />

Vater von Rémy, 12, und Camille,<br />

8, findet: Authentizität und Liebe<br />

schweissen uns zusammen.<br />

Aufgezeichnet von Martina Bortolani<br />

«In Erziehungsfragen tausche ich mich<br />

selten mit anderen Vätern aus – ich regle<br />

das weitgehend im Selbstgespräch oder im<br />

Austausch mit meiner Frau. Und vertraue<br />

auf meinen gesunden Menschenverstand.<br />

Erziehungsfragen sind heikle, sehr private<br />

Themen, und jeder soll es so machen, wie<br />

er es richtig findet.<br />

Ich richte mich nach dem französischen<br />

Erziehungsstil. Trotz viel Zuneigung<br />

und Aufmerksamkeit herrscht bei uns zu<br />

Hause keine Basisdemokratie. Ein Nein<br />

ist ein Nein. Es gibt Erwachsenen- und<br />

Kinderzonen, Elternzeit, Kinderzeit. Wenn<br />

wir Besuch empfangen, essen die Kids vor<br />

uns und ziehen sich dann in ihre Zimmer<br />

zurück. Bei uns liegen auch selten Spielsachen<br />

im Wohnzimmer herum, dafür<br />

haben Rémy und Camille liebevoll eingerichtete,<br />

eigene Zimmer.<br />

Meine Frau und ich wollten unser Leben<br />

als Erwachsene nie an der Garderobe des<br />

Kreisssaals abgeben. Ich sehe es nicht als<br />

meine Aufgabe als Vater, die Kinder die<br />

ganze Zeit zu bespassen. Meines Erachtens<br />

kommen unsere Kinder mit diesen klaren<br />

Regeln gut zurecht und haben darum auch<br />

früh gelernt, selbständig zu sein.<br />

Mit der Selbständigkeit wächst das Vertrauen<br />

der Kinder in ihre eigenen Fähig -<br />

keiten. Aktuelles Beispiel: Rémy, Sechstklässler,<br />

wollte sich unbedingt für die<br />

Aufnahmeprüfung ans Gymi anmelden. Wir<br />

haben ihn unterstützt in diesem Wunsch,<br />

aber verlangt, dass er sich weitgehend<br />

selbst darauf vorbereitet. Das hat er – und<br />

hat bestanden!<br />

Ein spannender Ansatz bei der Erziehung<br />

ist für mich der Humor. Die Ironie, der<br />

Schalk. Wunderbare Instrumente für mehr<br />

Elastizität im Zusammenleben. Das habe<br />

ich selber in der Pfadi gelernt. Dort haben<br />

wir schon als Backfische geübt, schwierige<br />

Situationen zunächst einmal mit Humor zu<br />

betrachten. Eine Fähigkeit, die mir jetzt als<br />

Vater hilft. Ich konnte so unsere Kinder früh<br />

darauf sensibilisieren, die vielen feinen Zwischentöne<br />

herauszuhören.<br />

Apropos Töne: Tanzen und Musik sind bei<br />

uns Formen der Kommunikation. Gerade<br />

wenn wir angespannt sind oder uns mal auf<br />

die Nerven gehen. Dann heisst es: Pump<br />

up the volume! Manchmal tanzen wir am<br />

Samstagmorgen alle in der Wohnung<br />

herum, um uns in eine gute Wochenendlaune<br />

zu versetzen. Es ist rührend, zu sehen,<br />

dass die Kinder ihren Gefühlen freien Lauf<br />

lassen können. Das leben wir ihnen vor.<br />

Authentizität schweisst uns zusammen.<br />

Und natürlich die Liebe.»<br />

15


Dossier<br />

>>> allermeisten Väter mit dem,<br />

was sie tun, genau auf dem richtigen<br />

Weg sind.<br />

1. Gute Väter sind gute Partner<br />

Traditionell haben Psychologen den<br />

Vätern eher eine Nebenrolle zugeschrieben.<br />

Die Geschichte ging so:<br />

Das Kind braucht in den ersten<br />

Lebensjahren vor allem eine sichere,<br />

vertrauensvolle, geborgene Bindung<br />

an einen Erwachsenen. So kann sich<br />

das Kindergehirn optimal entwickeln,<br />

so wird alles gut. «Tatsächlich<br />

ist die Bindungstheorie noch immer<br />

unser wichtigstes Werkzeug», sagt<br />

Brenda Volling. «Und ich glaube<br />

nicht, dass man sich von ihr abwenden<br />

sollte. Niemand wird bestreiten,<br />

dass diese erste Beziehung die<br />

Grundlage ist, auf der Kinder ihr<br />

Leben aufbauen.» Diese «erste Beziehung»<br />

scheint auf naturgegebene<br />

Weise die Beziehung zur Mutter zu<br />

sein. Klar: In ihrem Bauch wächst<br />

das Kind heran. Aus ihr wird es<br />

geboren. Von ihr wird es gestillt. Sie<br />

gibt dem Kind die Geborgenheit, die<br />

es braucht.<br />

Der Vater – so die traditionelle<br />

Aussage der Bindungstheorie – soll<br />

seine Partnerin unterstützen, wo er<br />

kann, und ihr das Leben leichter<br />

machen. «Ich kenne nicht eine einzige<br />

Studie, in der eine gute Paarbeziehung<br />

schlecht für das Kind gewesen<br />

wäre», sagt Brenda Volling.<br />

«Aber ich kenne viele Untersuchungen,<br />

die eine eindeutig schlechte<br />

Auswirkung auf die Kinder belegen,<br />

wenn die Eltern sich häufig streiten,<br />

wenn sie einander anschreien oder<br />

die Autorität des anderen untergraben.<br />

Die Kinder überfordert das, sie<br />

Der Vater soll seine<br />

Partnerin unterstützen,<br />

wo er kann, und ihr<br />

das Leben leichter machen.<br />

können nicht gut damit umgehen.»<br />

Gute Väter sind gute Partner – oder<br />

versuchen zumindest, gute Partner<br />

zu sein.<br />

Allerdings erfuhr die Bindungstheorie<br />

letzthin einige überraschende<br />

Erweiterungen. Forscher aus Israel<br />

haben untersucht, was geschieht,<br />

wenn nicht die Mutter, sondern der<br />

Vater zur ersten Bezugsperson eines<br />

kleinen Kindes wird. Die Ergebnisse<br />

waren eine Sensation: Die Väter<br />

zeigten dasselbe sensible und aufmerksame<br />

Verhalten, das man sonst<br />

bei Müttern beobachten kann. Im<br />

Gehirn ereignen sich Aktivierungsmuster,<br />

die eher für Mütter typisch<br />

sind, besonders in jenen Arealen, in<br />

denen Emotionen verarbeitet werden.<br />

Sogar der Hormonhaushalt der<br />

Väter veränderte sich.<br />

Die Psychobiologin Ulrike Ehlert<br />

von der Universität Zürich hat schon<br />

vor einigen Jahren herausgefunden,<br />

dass Väter kleiner Kinder häufig<br />

einen auffällig niedrigen Testosteronspiegel<br />

haben und dadurch vermutlich<br />

geduldiger mit ihren Kindern<br />

umgehen. Nun zeigt sich, dass<br />

auch die Produktion des Kuschelhormons<br />

Oxytocin bei Vätern<br />

schwankt: Sie geht auf ähnliche Weise<br />

in die Höhe wie bei jungen Müttern.<br />

Sogar ein Hormon namens<br />

Prolaktin wird in der Übergangsphase<br />

zur Vaterschaft vermehrt ausgeschüttet<br />

– bei den Müttern regt es<br />

die Milchproduktion an. Bei einigen<br />

Tieren sorgt Vater-Prolaktin für ein<br />

grösseres Engagement bei der Aufzucht<br />

der Jungen. Welche Funktion<br />

es bei Menschenvätern erfüllt, wird<br />

derzeit von Anthropologen an der<br />

University of Notre Dame in den<br />

USA untersucht.<br />

All diese Ergebnisse «legen den<br />

Schluss nahe, dass die Evolution<br />

noch andere Wege zur guten Elternschaft<br />

kennt als den alten Pfad über<br />

Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit,<br />

der allein den Frauen vorbehalten<br />

ist», schreibt der israelische<br />

Hirnforscher Eyal Abraham. Mit<br />

anderen Worten: Wenn ein >>><br />

Bild: Johan Bävman<br />

16


Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>17


Dossier<br />

«Ich lasse meine<br />

Kinder nicht im Stich.<br />

Niemals!»<br />

Indika, 46, ist Automechaniker mit<br />

eigener Garage in Höri ZH. Seinen<br />

Söhnen Kai, 18, und Yanik, 16, bringt<br />

er bei, dass es sich lohnt, Dinge zu<br />

hinterfragen.<br />

Aufgezeichnet von Martina Bortolani<br />

«Eigentlich ist es ganz einfach mit dem<br />

Elternsein: Man darf die Kinder nicht im<br />

Stich lassen. Nie. Egal, was sie tun, man<br />

hat eine Pflicht, hinter ihnen zu stehen. Ich<br />

halte mich als Vater sehr streng an diesen<br />

Grundsatz.<br />

Es ist mir aber klar, dass meine Rolle für<br />

die Jungs immer ‹uninteressanter› wird und<br />

ich sie gehen lassen muss. Das fällt mir<br />

manchmal schwer, ich bin fürsorglich und<br />

habe die Zeit, als sie klein waren, genossen.<br />

Doch je älter sie werden, desto weniger<br />

brauchen sie mich. Das ist gut für sie und<br />

schlecht für die Eltern.<br />

Wir haben unsere beiden Söhne immer<br />

ziemlich verhätschelt. Meine Frau war zu<br />

Hause mit den kleinen Kindern, und ich<br />

habe in der Garage gearbeitet. Heute gehen<br />

beide ins Gymi. Kai, der Ältere, ist gerade an<br />

der Matur. Yanik macht den Abschluss in<br />

vier Jahren. Wenn sie zu Hause sind, lernen<br />

sie oft, und die gemeinsamen Stunden<br />

sind rar, aber schön. Ich sehe die Kids vorwiegend<br />

am Wochenende.<br />

Kai und Yanik konnte ich bis anhin beibringen,<br />

dass es sich lohnt, Dinge zu hinterfragen.<br />

Sich für andere Menschen und<br />

Politik zu interessieren. Und über Arm<br />

und Reich nachzudenken. Das bedeutet<br />

für mich auch, dass sie verstehen, warum<br />

ich Automechaniker geworden bin: weil<br />

ich diesen Beruf gern habe. Und nicht,<br />

weil es mir für einen akademischen Titel<br />

nicht gereicht hätte. Weder Kai noch Yanik<br />

haben ein handwerkliches Flair, beide sind<br />

Kopfmenschen. Es macht mich stolz, zu<br />

18 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Bild: Fabian Unternährer / 13 Photo<br />

Wenn ein Vater will und<br />

die Gelegenheit dazu<br />

bekommt, kann er<br />

tatsächlich so etwas sein<br />

wie eine tolle Mutter.<br />

>>> Vater will und die Gelegenheit<br />

dazu bekommt, dann kann er<br />

tatsächlich so etwas sein wie eine<br />

tolle Mutter.<br />

2. Gute Väter raufen<br />

Die zweite und womöglich wichtigere<br />

Erweiterung der Bindungstheorie<br />

zielt jedoch in eine andere Richtung.<br />

Sie achtet nicht nur auf die<br />

Sicherheit und Geborgenheit der<br />

Kinder, sondern auf ihre Aktivierung,<br />

ihren Mut, ihren Forschergeist,<br />

ihren Wunsch, die Welt zu<br />

beobachten, wie dezidiert ihre Ansichten<br />

mittlerweile sind. Wir führen oft intensive<br />

Diskussionen, die ich anregend finde.<br />

Dampf lassen sie raus, wenn sie Fussball<br />

oder Badminton spielen. Das tun wir<br />

manchmal auch zusammen.<br />

Meine Wurzeln sind in Sri Lanka. Ich<br />

wuchs in einer Lehrerfamilie mit vielen<br />

Geschwistern auf. Uns ging es verhältnismässig<br />

gut, aber das war nicht selbstverständlich.<br />

Darum predige ich den Kindern<br />

auch gerne, bescheiden zu sein. Mein Vater<br />

war ein Lebemann, meine Mutter eine stille<br />

«Chrampferin». Ich bin mehr wie sie. Ich<br />

gönne mir auch nicht so viel, probiere aber,<br />

mir meine Wünsche zu erfüllen. Im Moment<br />

interessiere ich mich sehr für Fotografie<br />

und belege auch Kurse. Yanik findet das<br />

cool. Manchmal sitzen meine Frau und ich<br />

mit Kai und Yanik am Tisch und schmieden<br />

Pläne für eine lange gemeinsame Reise.<br />

Das ist einer meiner grössten Wünsche.<br />

Es wäre schön, wenn wir ihn verwirklichen<br />

könnten. Wir werden sehen.»<br />

erobern. «Väter tendieren dazu, auf<br />

eine andere Art mit ihren Kindern<br />

zu spielen», sagt Brenda Volling. «Sie<br />

spielen tendenziell körperlicher. Und<br />

lange Zeit hat die Forschung überhaupt<br />

nicht verstanden, wie wichtig<br />

dieses eher körperliche Spiel für die<br />

Entwicklung der Kinder ist.»<br />

Besonders Forscherteams aus<br />

Kanada und Australien beschäftigen<br />

sich seit einiger Zeit mit Rauf- und<br />

Kampfspielen von Vätern und Kindern.<br />

Die ersten Grunderkenntnisse<br />

dieser jungen Forschungsrichtung<br />

stammen übrigens aus der Beobachtung<br />

re den Schwächeren manchmal ge -<br />

winnen lässt – und damit signalisiert,<br />

dass alles nur ein grosser Spass ist.<br />

Gute Väter verlieren also manchmal<br />

und ermutigen ihre Kinder dadurch,<br />

sich anzustrengen. Aber meistens<br />

gewinnen sie. Tatsächlich verschwinden<br />

die guten Konsequenzen<br />

der Toberei, sobald man den Kindern<br />

immer den Sieg schenkt. Die<br />

beste Formel für gutes Raufen<br />

stammt vom australischen Väterforscher<br />

Richard Fletcher. Sie lautet:<br />

«Ich bin viel stärker als du. Und ich<br />

hab dich sehr lieb.»<br />

von Tieren. So fand man her-<br />

aus, dass Ratten einen Teil ihrer<br />

Sozialkompetenz den spielerischen<br />

Ringkämpfen ihrer Kindheit verdanken<br />

und dass sie Probleme besser<br />

lösen, wenn sie sich als Jungtiere<br />

ausgiebig balgen dürfen.<br />

Natürlich sind Menschen keine<br />

Ratten. Wir raufen anders als andere<br />

Säugetiere – und die Eltern spielen<br />

bei uns eine viel grössere Rolle.<br />

Menschenkinder lernen eine Menge<br />

fürs Leben, wenn sie regelmässig mit<br />

ihren Vätern toben. Sie werden<br />

selbstbewusster und können besser<br />

mit Rückschlägen umgehen, sich<br />

besser in der Schule konzentrieren,<br />

ihre Gefühle besser regulieren. Eine<br />

australische Studie aus dem Jahr<br />

2016 beschreibt sogar, dass Kinder,<br />

die häufig mit Papa raufen, besser<br />

auf ihren Körper achtgeben und seltener<br />

mit Verletzungen nach Hause<br />

kommen. Sie haben beim Toben<br />

offenbar gelernt, ihre eigenen Grenzen<br />

einzuschätzen, etwa beim sogenannten<br />

«Sockenspiel». Dabei versucht<br />

man, dem anderen eine Socke<br />

auszuziehen, ohne die eigene zu<br />

verlieren.<br />

Soll man sein Kind dabei gewinnen<br />

lassen? Manchmal ja und<br />

manchmal nein. Die meisten Forscher<br />

sind überzeugt: Kinder sehnen<br />

sich danach, zu spüren, wie stark<br />

Papa ist, wie gut er die Familie be -<br />

schützen kann. Andererseits kann<br />

man bei den Kampfspielen aller Säugetiere<br />

3. Gute Väter lesen vor und fragen<br />

nach<br />

Dass Väter gerne toben, ist keine<br />

Überraschung. Doch wie steht es mit<br />

ihrem Einfluss auf die sprachliche<br />

Entwicklung der Kinder? Man weiss,<br />

dass Frauen im Durchschnitt die<br />

besseren kommunikativen Fähigkeiten<br />

besitzen. Worte, Bücher, Vorlesen<br />

– all das scheint deshalb eher<br />

Muttersache zu sein. Doch auch hier<br />

haben Forscher den Einfluss der<br />

Väter lange unterschätzt. Kinder profitieren<br />

enorm davon, wenn ihre<br />

Eltern ihnen regelmässig vorlesen.<br />

Langfristig werden sie zu besseren<br />

Lesern; sie werden besser in Mathe;<br />

sie können sich besser konzentrieren;<br />

sie zeigen weniger Verhaltensauffälligkeiten.<br />

So steht es etwa in einer Studie<br />

der University of North Carolina,<br />

die dafür mehr als 5000 amerikanische<br />

Familien untersucht hat. Der<br />

Beitrag der Väter fiel dabei kleiner<br />

aus als der der Mütter. Sie lesen im<br />

Durchschnitt weniger vor – weil sie<br />

spät von der Arbeit nach Hause<br />

kommen, weil ihnen das Lesen kein<br />

Vergnügen bereitet oder weil sie<br />

glauben, es schlechter zu machen als<br />

ihre Partnerin.<br />

Die Arbeiten der Psychologin<br />

Natasha Cabrera von der University<br />

of Maryland haben jedoch gezeigt:<br />

Sobald Väter regelmässig vorlesen<br />

und das gerne tun, ist ihr Beitrag für<br />

beobachten, dass der Stärke- die Entwicklung der Kinder<br />

>>><br />

19


Dossier<br />

>>> sogar noch grösser als der,<br />

den mütterliches Vorlesen erzielt.<br />

Auch wenn sie mit ihren Kindern<br />

diskutieren, tun Väter das anders; sie<br />

fragen häufiger nach, weil sie das<br />

Kind nicht genau verstanden haben.<br />

Der Wortschatz der Kinder wächst<br />

dadurch in erstaunlichem Masse.<br />

Forscher glauben: Väter wirken<br />

durch ihre Nachfragen wie eine<br />

«Brücke» hinaus in die Welt. Mag<br />

sein, dass Mama den Kindern jeden<br />

Wunsch von den Lippen abliest.<br />

Dem Rest der Welt muss man aber<br />

erklären, was man möchte – und die<br />

Gespräche mit Papa sind dafür das<br />

beste Trainingslager.<br />

4. Gute Väter trösten – so gut es<br />

geht<br />

Manche Dinge können Mütter in<br />

den meisten Gesellschaften >>><br />

«Glückliche Paare<br />

haben glückliche<br />

Kinder»<br />

Die meisten Väter arbeiten noch<br />

immer Vollzeit. Drücken sie sich vor<br />

ihrer Verantwortung? Väterforscher<br />

Wassilios Fthenakis kommt in seinen<br />

Studien zu einer völlig anderen<br />

Antwort.<br />

Interview: Jochen Metzger<br />

Herr Fthenakis, Sie haben vor einigen<br />

Jahren das Selbstbild der Väter untersucht.<br />

Auftraggeber war das deutsche Familienministerium.<br />

Wie sehen sich die Väter<br />

denn?<br />

Etliche Forscher haben immer wieder<br />

gefragt: Wie viele Stunden verbringt der<br />

Bild: Johan Bävman<br />

Vater mit den Kindern? Welche Aufgaben<br />

übernimmt er in der Familie? Von welcher<br />

Qualität ist die Vater-Kind-Beziehung? Mich<br />

hat dagegen das Idealbild, die subjektive<br />

Konstruktion von Vaterschaft interessiert,<br />

das Vaterschaftskonzept aus der Sicht<br />

der Väter und der Mütter. Und da habe ich<br />

mit meiner Kollegin Beate Minsel in der<br />

Tat etwas Überraschendes festgestellt:<br />

Zwei Drittel der Männer zwischen 22 und<br />

45 Jahren definieren sich selbst im Sinne<br />

einer sozialen Vaterschaft. Das heisst:<br />

Nicht mehr das Brotverdienen steht an<br />

erster Stelle, sondern das Interesse an und<br />

die Beschäftigung mit den Kindern und der<br />

Familie. Das war ein völlig neuer Befund, den<br />

man bis dahin in dieser Form nicht kannte.<br />

Nur 33 Prozent haben das traditionelle Bild<br />

von Vaterschaft vertreten – nämlich das als<br />

Brotverdiener.<br />

Dieses Vaterschaftskonzept entsteht,<br />

sobald sie Väter werden?<br />

Nein, das beginnt schon deutlich früher.<br />

Dieses Idealbild von der sozialen Vaterschaft<br />

findet man bereits bei jungen Männern<br />

Anfang 20, die noch gar keine Kinder haben.<br />

Es entwickelt sich also sehr früh und bleibt<br />

dann im weiteren Familienverlauf bestehen.<br />

Woher wissen Sie das so genau?<br />

Weil wir Väter in unterschiedlichen Lebensphasen<br />

befragt haben. Was denken die<br />

jungen Männer darüber? Was passiert, wenn<br />

die Partnerin schwanger wird? Wie sieht das<br />

Selbstbild der Väter ein paar Monate nach<br />

der Geburt des ersten Kindes aus? Wie hat<br />

es sich verändert, wenn das Kind den Kindergarten<br />

besucht? Wenn es eingeschult<br />

wird? Wenn es in die Pubertät kommt? Wir<br />

haben uns also die Wendepunkte im Leben<br />

der Väter angesehen. Das verblüffende Er -<br />

gebnis: Die Antwort auf die Frage, wie ein<br />

Vater sein soll, wird durch die gemachten<br />

Erfahrungen in der Vaterschaft kaum verändert.<br />

Was erwarten denn die Frauen von ihren<br />

Partnern?<br />

Auch das hat uns überrascht: Die Frauen<br />

waren mit den Männern einer Meinung. Die<br />

meisten hatten das Idealbild einer sozialen<br />

Vaterschaft – nur ein Drittel der Frauen<br />

20 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


vertrat ein traditionelles Ideal und sah ihren<br />

Partner in erster Linie als Brotverdiener.<br />

Wie gut passt das väterliche Ideal zu dem,<br />

was in den Familien tatsächlich passiert?<br />

Da sehen wir, dass das Selbstbild in keiner<br />

Weise mit der Realität übereinstimmt. Väter<br />

und Mütter sagen zwar: Wir wollen beide<br />

für die Kinder da sein. Wenn dann aber das<br />

erste Kind geboren wird, geht der Vater<br />

weiter arbeiten – und zwar in Vollzeit, nicht<br />

selten mit Überstunden.<br />

In der Schweiz gilt das für mehr als<br />

80 Prozent aller Väter, deren Kinder 14<br />

oder jünger sind. Das sagen die aktuellen<br />

Zahlen des Bundesamtes für Statistik.<br />

Gleichzeitig kann man sehen, dass die<br />

Mutter oft für viele Jahre aus dem Berufsleben<br />

ausscheidet. Mit der Geburt des<br />

ersten Kindes kommt es also zu einer Traditionalisierung<br />

des Familienmodells. Dafür<br />

gibt es einen einfachen Grund: Der Mann<br />

verdient meist mehr als die Frau – deshalb<br />

entscheiden sich beide übereinstimmend<br />

dafür, dass er sich stärker im Job engagiert<br />

und sie zu Hause bleibt. Danach kommen<br />

die meisten Paare kaum noch aus dieser<br />

Traditionalisierung heraus. Das verschärft<br />

sich sogar noch, wenn das Paar weitere<br />

Kinder bekommt. Die Bereitstellung von<br />

Betreuungsangeboten für die Kinder kann<br />

helfen, diese Traditionalisierung zu überwinden.<br />

Der Mann verdient das Geld, die Frau kümmert<br />

sich um den Haushalt und die Kinder<br />

– dieses Modell hat über viele Generationen<br />

funktioniert. Was soll daran schlecht<br />

sein?<br />

Es macht die Frauen unzufrieden, vor allem<br />

jene, die eigentlich gut ausgebildet sind<br />

und weiterarbeiten wollen, aber wegen der<br />

Kinder zu Hause bleiben. Diese Gruppe war<br />

in unseren Untersuchungen besonders<br />

unglücklich.<br />

Die Männer haben damit kein Problem?<br />

Doch, natürlich. Die Väter erleben denselben<br />

inneren Konflikt, den man von berufstätigen<br />

Müttern kennt. Es fällt ihnen schwer, Beruf<br />

und Familie zu vereinbaren. Das gilt für mehr<br />

als ein Drittel der Väter. Neuere Studien<br />

bestätigen diesen Befund.<br />

Welchen Einfluss hat das für Familie und<br />

Partnerschaft?<br />

Wir haben darin die wichtigste Quelle für<br />

Probleme innerhalb der Elternbeziehung<br />

entdeckt. Wenn ein Mann ein egalitäres<br />

Selbstbild vertritt, Beruf und Familie vereinbaren<br />

möchte, seine Frau aber zu Hause<br />

bleibt und ein eher konservatives Konzept<br />

vertritt, dann kann man sehen, dass da ­<br />

durch das Wohlbefinden des Mannes beeinträchtigt<br />

wird, Konflikte in der Partnerschaft<br />

entstehen und seine Akzeptanz und Wertschätzung<br />

gegenüber der Frau leidet. Dies<br />

erfolgt aber nicht in gleicher Weise, wenn<br />

die Frau ebenfalls egalitär ausgerichtet ist.<br />

Wie bewusst ist den Vätern ihr eigenes<br />

Selbstbild?<br />

Das ist unterschiedlich. Es gibt eine Gruppe<br />

von Männern, die das reflektieren. Die<br />

meisten erleben es jedoch unbewusst. Sie<br />

kommen in eine diffuse Situation hinein, in<br />

der sie sich irgendwie unwohl fühlen. Aber<br />

sie können sich nicht rational erklären,<br />

woran das eigentlich liegt.<br />

Sie sagen: Wenn Vater und Mutter<br />

unterschiedliche Idealvorstellungen von<br />

Vaterschaft haben, ergeben sich Konflikte.<br />

Was raten Sie Vätern konkret?<br />

Ein guter Vater sollte sehr viel Zeit und<br />

Energie in die Qualität seiner Partnerschaft<br />

investieren. Wie gut er und seine Partnerin<br />

sich verstehen, ihre Beziehung auf gegenseitige<br />

Wertschätzung aufbauen – das sind<br />

die Dimensionen mit der stärksten Vorhersagekraft<br />

für die Entwicklung der Kinder.<br />

Vereinfacht gesagt: Glückliche Paare sind<br />

in der Regel auch gute Eltern.<br />

Apropos Kinder: Wie sehr leiden die Kinder<br />

darunter, wenn ihr Papa den ganzen Tag bei<br />

der Arbeit ist?<br />

Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, dass<br />

es nur auf die Anzahl der gemeinsam verbrachten<br />

Stunden ankäme. Wir sehen in<br />

unseren Studien, dass die Qualität der<br />

Begegnungen viel wichtiger ist. Die Väter<br />

kommen abends nach Hause und widmen<br />

sich ihren Kindern. Die gemeinsame Zeit<br />

findet also in einem entspannten Zusammenhang<br />

statt. Und die Väter nutzen diese<br />

Zeit meistens sehr intensiv. Ausserdem<br />

gibt es viele Möglichkeiten, den Kindern<br />

zu signalisieren, dass man an sie denkt.<br />

Auch wenn man unterwegs ist.<br />

Einige Väter gehen bewusst in Teilzeit<br />

oder bleiben komplett zu Hause. Ist es für<br />

die Kinder eigentlich egal, ob Vater oder<br />

Mutter ihre erste Bezugsperson ist?<br />

Darauf gibt es zwei Antworten. Die eine<br />

lautet: Wenn man die Kompetenzen von<br />

Vätern und Müttern untersucht, findet man<br />

viel mehr Übereinstimmungen als Unterschiede.<br />

Beide sind von Anfang an gleich<br />

geeignet, Kinder zu erziehen.<br />

Und die zweite Antwort?<br />

Männer führen einen Haushalt anders, als<br />

Frauen das tun. Frauen fühlen sich alleine<br />

für alles verantwortlich. Sie delegieren<br />

wenig, kontrollieren aber stark, ob das, was<br />

sie delegiert haben, umgesetzt wird. Und<br />

sie setzen die Standards relativ hoch. Die<br />

Männer auf der anderen Seite betrachten<br />

den Haushalt als gemeinsame Aufgabe der<br />

Familie. Sie delegieren mehr an die Kinder,<br />

sie setzen die Standards nicht hoch und<br />

kontrollieren nicht viel. Anders gesagt:<br />

Väter lassen mehr Freiräume. Und das<br />

fördert die Autonomie der Kinder.<br />

Zur Person<br />

Wassilios E. Fthenakis ist in Griechenland<br />

geboren. Er leitete das Staatsinstitut für<br />

Frühpädagogik in München und war Inhaber<br />

des Lehrstuhls für Entwicklungspsychologie<br />

u. a. an der Freien Universität Bozen, Italien.<br />

Bis heute gilt er als der einflussreichste<br />

Väterforscher im deutschsprachigen Raum.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>21


Dossier<br />

22 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Bild: Johan Bävman<br />

Heute kuscheln mehr als 84<br />

Prozent der Väter mit ihren<br />

Kindern und stellen darüber<br />

eine körperliche Nähe her.<br />

Literatur<br />

• Wassilios E. Fthenakis u. a.: Engagierte<br />

Vaterschaft. Die sanfte Revolution in der<br />

Familie. Verlag Leske und Budrich, 1999,<br />

ca. Fr. 18.–<br />

• Richard Rohr, Thomas Gesterkamp,<br />

Wassilios E. Fthenakis: Vater, Sohn und<br />

Männlichkeit. Verlag Tyrolia, 2001,<br />

ab Fr. 6.–<br />

• Walter Hollstein: Was vom Manne übrig<br />

blieb. Das missachtete Geschlecht.<br />

Verlag Opus Magnum, 2012, ca. Fr. 26.–<br />

• Victor Chu: Vaterliebe. Verlag Klett-<br />

Cotta, 2016, ca. Fr. 26.–<br />

• Dave Engledow: Papa allein zu Hause.<br />

77 Dinge, von denen Mama nicht wissen<br />

darf. Heyne-Verlag, 2015, ca. Fr. 14.–<br />

Links<br />

• www.vaeter.ch (generelle Information)<br />

• www.vaternetz.de (Väterbücher)<br />

• www.avanti-papi.ch (Veranstaltungen)<br />

• www.vaterrechte.ch (Rechtliches)<br />

• www.mencare.swiss/de (Plattform zur<br />

Stärkung väterlicher Präsenz)<br />

• www.maenner.ch (Dachverband)<br />

• www.vaterverbot.ch (für Väter in<br />

Trennung/Scheidung)<br />

• Väter: Wer sie sind, was sie tun und<br />

wie sie wirken (Projekt Tarzan). Eine<br />

Studie von Prof. Margrit Stamm (2015).<br />

Download auf www.margritstamm.ch<br />

>>> besser. Zum Beispiel trösten.<br />

So hat man untersucht, wie Eltern<br />

sich verhalten, wenn ihr Kind im<br />

Krankenhaus aus einer OP-Narkose<br />

erwacht. Väter wie Mütter versuchen,<br />

ihrem Kind ein Gefühl von<br />

Sicherheit und Ruhe zu vermitteln<br />

– vor allem über Berührungen und<br />

Körperkontakt. Die Mütter tun das<br />

jedoch intensiver und über einen<br />

längeren Zeitraum als die Väter. Die<br />

Männer haben in dieser Hinsicht<br />

allerdings deutlich aufgeholt. Die<br />

Berner Erziehungswissenschaftlerin<br />

Margrit Stamm hat nachgewiesen,<br />

dass heute mehr als 84 Prozent der<br />

Väter mit ihren Kindern kuscheln<br />

und darüber eine körperliche Nähe<br />

herstellen. Trotzdem: Noch immer<br />

gelingt es einem höheren Prozentsatz<br />

an Kindern und Jugendlichen, ein<br />

engeres Vertrauensverhältnis zur<br />

Mutter aufzubauen als zum Vater.<br />

Wenn sie Hilfe brauchen, dann<br />

gehen sie eher zu ihr als zu ihm.<br />

Welche Auswirkungen hat das<br />

auf die Entwicklung der Kinder?<br />

Mehrere Arbeiten aus den USA,<br />

Kanada und Israel kommen in dieser<br />

Frage zu identischen Ergebnissen:<br />

Schulkinder, die an beide<br />

Elternteile sicher gebunden sind,<br />

entwickeln eine höhere Sozialkompetenz<br />

und berichten von weniger<br />

Problemen im Alltag. Die gleichzeitige<br />

Bindung an Vater und Mutter<br />

wirkt als «Schutzfaktor» gegen Einsamkeit,<br />

Angst gefühle und Depression.<br />

Eigentlich hatte man diesen<br />

Effekt auch für jene Kinder erwartet,<br />

die nur an die Mutter sicher gebunden<br />

sind. Bei ihnen fiel der Schutzeffekt<br />

jedoch deutlich schwächer<br />

aus. «Diese Ergebnisse zeigen, dass<br />

wir uns genauer an schauen müssen,<br />

welche Rolle eine enge Beziehung<br />

zwischen Heranwachsenden und<br />

ihren Vätern spielt», heisst es in<br />

einem Forschungsbericht der Universität<br />

Tel Aviv. «Manche Studien<br />

schauen nur auf die Männer, andere<br />

nur auf die Frauen», erklärt Brenda<br />

Volling. «Aber es bringt nichts,<br />

Väter und Mütter gegeneinander<br />

auszuspielen. Es geht schliesslich<br />

darum, das grosse Bild zu zeichnen<br />

und zu zeigen, wie Eltern gemeinsam<br />

das Beste für ihre Kinder tun<br />

können.»<br />

5. Gute Väter bleiben (manchmal)<br />

zu Hause<br />

Doch woran liegt es, dass die Väterforschung<br />

zuletzt so stark an Bedeutung<br />

gewonnen hat? Die Fachleute<br />

sagen: vor allem an den Vätern selbst<br />

– und an der Gesellschaft, in der sie<br />

leben. Väter verbringen heute vier<br />

Mal mehr Zeit mit ihren Kindern,<br />

als das noch in den 60er-Jahren der<br />

Fall war. «Damals ist Papa von der<br />

Arbeit heimgekommen und hat darauf<br />

gewartet, dass seine Frau ihm<br />

einen Martini serviert. Sein Job<br />

bestand darin, das Geld für die Familie<br />

zu verdienen. Die Erziehung war<br />

komplett Angelegenheit der Frau»,<br />

sagt Brenda Volling. «Diesen Vatertypus<br />

gibt es heute kaum noch. Die<br />

Väter gehen ganz selbstverständlich<br />

davon aus, dass sie an der Erziehung<br />

der Kinder beteiligt sind.» Mit anderen<br />

Worten: Es sind die neuen Väter,<br />

die eine neue Art von Forschung<br />

notwendig machen.<br />

Doch diese neuen Väter haben es<br />

nach wie vor schwer. In der Schweiz<br />

arbeiten mehr als 80 Prozent von<br />

ihnen noch immer Vollzeit und verbringen<br />

weniger Stunden mit ihren<br />

Kindern, als sie das gerne würden.<br />

Arbeit in Teilzeit wird von den<br />

Arbeitgebern häufig nicht unterstützt.<br />

Doch was geschieht, wenn<br />

Väter einen radikalen Schritt wagen,<br />

wenn sie ganz zu Hause bleiben und<br />

die Aufgabe des Brotverdie- >>><br />

23


Dossier<br />

>>> ners an ihre Partnerin übergeben?<br />

Wassilios Fthenakis, die<br />

graue Eminenz der deutschsprachigen<br />

Väterforschung, hält das für eine<br />

«wichtige Erfahrung» (siehe Interview<br />

Seite 20).<br />

Eine Untersuchung aus Kanada<br />

zeigt jedoch eine andere Seite: Die<br />

Forscher wollten wissen, wie moderne<br />

Väter in Filmen und TV-Serien<br />

dargestellt werden. Das Ergebnis:<br />

Der engagierte, aber voll berufstätige<br />

Vater wird eher als sympathischer<br />

Gewinner gezeichnet. Wer dagegen<br />

als Vater zu Hause bleibt, erscheint<br />

fast immer als unmännlicher Versager,<br />

der sein Leben nicht auf die Reihe<br />

bekommt – Vollzeitpapa scheint<br />

zumindest auf der anderen Seite des<br />

Atlantiks noch immer kein begehrtes<br />

Karriereziel zu sein.<br />

Wer als Vater ganz zu Hause<br />

bleibt, erscheint im<br />

Fernsehen fast immer als<br />

unmännlicher Versager.<br />

6. Gute Väter sind echte Männer<br />

Wie einige «Stay Home Dads» sich<br />

ihr männliches Selbstbild auf originelle<br />

Weise zu rückholen, hat der aus<br />

Jordanien stammende Väterforscher<br />

Tawfiq Ammari im März <strong>2017</strong> auf<br />

der Konferenz CSCW im amerikanischen<br />

Portland beschrieben. Er<br />

stellte fest, dass Vollzeitväter in Interviews<br />

und in selbstgeschriebenen<br />

Blogs immer wieder eine Art «Heimwerkersprache»<br />

verwenden, um über<br />

ihren Alltag zu berichten. Tatsächlich<br />

verrichten sie einige ihrer Tätigkeiten<br />

auf besonders männliche Art<br />

und Weise – etwa, indem sie Ku -<br />

chenteig mit der Bohrmaschi- >>><br />

Bild: Fabian Unternährer / 13 Photo<br />

«Ich möchte wissen,<br />

worüber meine<br />

Kinder lachen oder<br />

streiten»<br />

Patrik Abächerli, 46, wohnt mit<br />

seiner Familie in Schachen LU. Der<br />

leitende Koch will seinen Kindern<br />

Kristina, 11, und Annika, 9, Vorbild<br />

und Freund sein.<br />

Aufgezeichnet von Martina Bortolani<br />

Ich bekomme noch jedes Mal Gänsehaut,<br />

wenn ich abends die spielenden Kinder<br />

in unserer Strasse sehe und Kristina und<br />

Annika auf mich zurennen, «Papi, Papi!»<br />

rufen und mich umarmen. Diese Momente<br />

entschädigen für alles, auch für Phasen, die<br />

streng und aufreibend sind.<br />

Was ist ein guter Vater? Keine leichte<br />

Frage. Noten gibt man ja immer leichter<br />

den anderen, als sich selbst. Ich versuche<br />

grundsätzlich im Leben, ein aufrichtiger<br />

Mensch zu sein, das gilt auch für mich<br />

in der Vaterrolle. Ehrliches Interesse am<br />

Leben der Kinder scheint mir da unabdingbar.<br />

Ich möchte wissen, worüber sie<br />

lachen, mit wem sie spielen, streiten oder<br />

welche Kleider sie mögen. Nicht immer<br />

verstehe ich zwar alles in diesem rosaroten<br />

Universum, aber die Mädels spüren, dass es<br />

mich interessiert.<br />

Obwohl ich Vollzeit arbeite, als Koch an<br />

einer heilpädagogischen Schule, fühle ich<br />

mich zu Hause als Team mit meiner Frau.<br />

Wir sind nicht 3 plus 1, sondern 4. Entscheidend<br />

ist da, dass Mütter die Väter auch<br />

aktiv in alle Prozesse miteinbeziehen – und<br />

Vertrauen haben, dass der Papi vieles auch<br />

recht macht. Die Eltern sind da wichtige<br />

Vorbilder für die Kinder. Im Unterschied zu<br />

meinem Vater bin ich weniger der Patriarch.<br />

Das war vor 40 Jahren anders. Da war der<br />

Mann das Oberhaupt der Familie, Punkt.<br />

Das hat sich in unserer Generation stark<br />

verändert. Meine Frau arbeitet auch ein<br />

reduziertes Pensum, und ich bin oft am<br />

Mittwochnachmittag und an den Wochenenden<br />

mit der Familie zusammen. Dann<br />

machen wir Puzzles oder gehen in den<br />

Wald und halten eine Wurst übers Feuer.<br />

Oder wir geniessen es auch nur, zusammen<br />

zu Hause zu sein. Jeder tut dann irgendetwas.<br />

Das ist ziemlich gemütlich und gibt<br />

den Kindern und mir Sicherheit und Ruhe.<br />

Selbst bin ich in einer Gastronomiefamilie<br />

aufgewachsen und habe meinen Vater oft<br />

bei der Arbeit beobachtet. In einem Wirtsbetrieb<br />

verlaufen die Übergänge zwischen<br />

Beiz und Familie fliessend. Das ist mit ein<br />

Grund, warum ich mir vorgenommen habe,<br />

Privates und Geschäftliches zu trennen,<br />

sollte ich mal Vater werden. Jetzt bin ich<br />

es, und die Entscheidung stimmt für mich.»<br />

24


Dossier<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>25


Dossier


Dossier<br />

Bild: Johan Bävman<br />

>>> ne rühren oder die Halloween-Masken<br />

ihrer Kinder im<br />

Hobbykeller zusammenschrauben,<br />

statt sie im Laden zu kaufen.<br />

Doch auch die reine Interpretation<br />

ihrer Rolle ist betont maskulin.<br />

Die Väter inszenieren sich zum Beispiel<br />

nicht als «Hausmänner», sondern<br />

als «Familienunternehmer»<br />

(«dadpreneurs»), die mit durchdachten<br />

Plänen die Haushaltsausgaben<br />

senken. Andere Väter holen sich<br />

ihren Männerstolz aus der Tatsache,<br />

dass sie gemeinsam mit den Kindern<br />

Reparaturen am Haus selbst erledigen,<br />

ohne einen Handwerker rufen<br />

zu müssen. Das Selbstbild als «Do it<br />

yourself»-Papa («DIY dad»), so<br />

schliesst Ammari, ermöglicht es den<br />

Vätern, ein als «typisch weiblich»<br />

gesehenes Leben zu führen, ohne<br />

deshalb ihr maskulines Selbstbild<br />

aufgeben zu müssen. Anders gesagt:<br />

Gute Väter kümmern sich wie eine<br />

Mutter um ihre Kinder – aber sie<br />

wollen dabei unbedingt echte Kerle<br />

bleiben.<br />

Im England der Nachkriegszeit<br />

gab es eine Serie sehr erfolgreicher<br />

Ra diosendungen. Sie widmete sich<br />

einer einfachen Frage: Wie wird<br />

man eine gute Mutter? Der Macher<br />

der Reihe, der Psychoanalytiker<br />

Donald Winnicott, hat Unermessliches<br />

geleistet für das Wohlbefinden<br />

von Familien auf der Insel. Seine<br />

zentrale These lautete: Keine Mutter<br />

muss perfekt sein. Damit ihr Kind<br />

glücklich aufwächst, reicht es, wenn<br />

sie «gut genug» ist. Die Väterforschung<br />

des Jahres <strong>2017</strong> erzählt eine<br />

ganz ähnliche Geschichte: Mag sein,<br />

dass der eine Papa ein toller Partner<br />

ist, dass der andere rauft, vorliest,<br />

tröstet, zu Hause bleibt und sich<br />

dabei seine Männlichkeit bewahrt.<br />

Doch so lange er all das von Herzen<br />

tut, auf seine eigene Art, wird er «gut<br />

genug» sein – und für sein Kind der<br />

beste Vater, den man sich nur wünschen<br />

kann.<br />

>>><br />

Jochen Metzger<br />

Während der Recherche zu diesem<br />

Dossier hat der Hamburger Journalist,<br />

Buchautor («Alle Macht den Kindern»)<br />

und zweifache Vater immer wieder mit<br />

seiner 20-jährigen Tochter diskutiert. Ihr<br />

Kommentar: «Papa, wir haben ’ne ganze<br />

Menge richtig gemacht!»<br />

Anzeige<br />

Gute Väter kümmern sich wie<br />

eine Mutter um ihre Kinder,<br />

wollen dabei aber unbedingt<br />

echte Kerle bleiben.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>


Dossier<br />

Essay<br />

Vater sein – ein Fazit<br />

Unser Kolumnist beschäftigt sich mit der Frage, ob ihn Kinder zu einem besseren<br />

Menschen gemacht haben, und erschrickt beim Gedanken, was man in der Erziehung<br />

alles falsch machen kann. Verrückt macht er sich deshalb aber nicht. Text: Reto Hunziker<br />

Hilf- und ahnungslos. So fühlte ich<br />

mich, als ich in den Nebenraum durfte,<br />

um meine Tochter zu sehen, die die<br />

Ärzte kurz zuvor ihrer Mutter aus dem<br />

Bauch geschnitten hatten. Da stand ich<br />

nun, schaute zu, wie das kleine Wesen<br />

gewogen und eingewickelt wurde, und<br />

hatte keine Ahnung. Ich wusste nicht,<br />

wie ich sie anfassen sollte. Wusste<br />

nicht, wohin ich schauen, wusste nicht,<br />

was ich denken sollte.<br />

Heute ist sie zweieinhalb und ich<br />

bin nicht mehr ganz so überfordert.<br />

Und doch bringen die Kleine und ihr<br />

Halbbruder (12) mich immer wieder in<br />

Situationen, in denen ich rat- und fassungslos<br />

denke: «Echt jetzt?», oder:<br />

«Was nun?».<br />

Es war vielleicht das Entmutigendste,<br />

was mich der grosse Altersunterschied<br />

meiner Kinder gelehrt hat: Egal, wie alt<br />

sie sind, es wird immer schwierig sein,<br />

immer kompliziert, immer anstrengend.<br />

Die Probleme verlagern sich, das Nicht-<br />

Durchschlafen wird abgelöst vom Nicht-<br />

Aufstehenwollen, das Trötzeln mit 2<br />

vom Trötzeln mit 10.<br />

Kinder fordern uns heraus, ob sie<br />

wollen oder nicht. Sie zwingen uns,<br />

die Komfortzone zu verlassen, Fehler<br />

zu machen und dazuzulernen. Positiv<br />

formuliert: Sie halten uns geistig fit.<br />

Negativ formuliert: Sie verschlingen<br />

unsere Energie.<br />

Haben mich die Kinder zu einem<br />

besseren oder zumindest anderen Menschen<br />

gemacht, wie man es mir prophezeite?<br />

Meine Frau sagt ja. Sie findet, ich<br />

sei reifer geworden, gelassener, zufriedener<br />

auch. Ich sei nicht mehr derart<br />

auf der Suche nach Erfüllung im Beruf,<br />

weil meine Tochter mir einen Sinn im<br />

Leben gegeben habe. Verständnisvoller<br />

sei ich, sagt sie, und belastbarer, effizienter.<br />

Ich könnte besser multitasken<br />

und Prioritäten setzen. Damit muss ich<br />

ja fast zwangsläufig einverstanden sein.<br />

Tatsächlich fühle ich mich heute in<br />

Situationen gewappnet, die mich früher<br />

nervös gemacht hätten. An meinem<br />

Wesen, bin ich aber überzeugt, haben<br />

die Kinder nicht gerüttelt: Ich finde, ich<br />

war schon vorher ein sehr überlegter,<br />

verantwortungsvoller und geduldiger<br />

Mensch – bloss hat das damals<br />

niemand derart auf die Zerreissprobe<br />

gestellt. Nicht mal mein Lifestyle hat<br />

sich wahnsinnig verändert, ich bin seit<br />

je am liebsten zu Hause.<br />

Meine eigenen Eltern hingegen<br />

sehe ich mit anderen Augen, seit ich<br />

selbst Vater bin, unverklärter, entromantisierter.<br />

Auch sie mussten oft<br />

ahnungslos, überfordert und genervt<br />

gewesen sein; als Kind empfand ich<br />

sie jedoch stets als souverän und fast<br />

schon altehrwürdig.<br />

Irgendwie bezweifle ich, dass meine<br />

Kinder dasselbe von mir denken<br />

werden. Ich hoffe, sie nehmen mich als<br />

authentisch wahr, denn das ist mir das<br />

Wichtigste. Wer sich so gibt, wie er ist,<br />

hat schon vieles richtig gemacht – das<br />

ist das Konzentrat, das ich aus all den<br />

Erziehungsratgebern mitnehme.<br />

Was nützt eine gute Strategie, wenn<br />

man sie halbherzig vertritt? Ich lote ad<br />

hoc aus, was für mich stimmt, und höre<br />

dabei auf Hirn, Herz und Bauchgefühl.<br />

Sagt Jesper Juul dasselbe – fein. Widerspricht<br />

er – soll er doch.<br />

Klar ist es erschreckend, wenn man<br />

bedenkt, was man alles falsch machen<br />

kann in der Erziehung und welche<br />

Folgen das für das ganze Leben haben<br />

kann. Aber mich deswegen verrückt<br />

machen? Nein danke. Ein Kind ist für<br />

mich weder Projekt noch Heilsbringer,<br />

und auch als Vater habe ich nicht aufgehört,<br />

a priori Mensch zu sein.<br />

Einiges hätte ich nicht so erwartet.<br />

Zum Beispiel, dass man so wütend<br />

auf sein eigen Fleisch und Blut werden<br />

kann. Erst recht auf fremdes. Zum<br />

lebenslangen Lernprozess gehört<br />

wohl, einzusehen, dass deine eigenen<br />

Kinder überhaupt gar nichts mit dir<br />

gemeinsam haben müssen.<br />

Ich sehe das Kinderhaben in vielerlei<br />

Hinsicht als Geisterbahn: Du weisst<br />

nicht, was kommt, aber es wird garantiert<br />

deinen Puls hochjagen. Es bleibt<br />

eine Mischung aus Anspannung und<br />

freudiger Erwartung, aus Angst und<br />

Glück. Irgendwann fährst du aus dem<br />

Tunnel, bist erleichtert und rufst: noch<br />

mal!<br />

Reto Hunziker<br />

ist freier Journalist. Er lebt mit Frau,<br />

Tochter und Stiefsohn in Zürich. Seine<br />

Patchworkfamilie sei manchmal verflixt und<br />

zusammengenäht, «aber wenigstens ist mir<br />

seit Jahren nicht mehr langweilig».<br />

Bild: Johan Bävman<br />

28


Dossier<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>29


«Einem Mann, dem es gut geht, fällt<br />

es leichter, ein guter Vater zu sein»<br />

Ein Gespräch mit dem Männerberater Martin Bachmann über engagierte Väter,<br />

Kindergeburtstage und wie dauermüde Paare ihre Beziehung in Schwung halten.<br />

Interview: Reto Hunziker<br />

Herr Bachmann, was sind heute die<br />

Probleme des modernen Vaters?<br />

Zuerst einmal: Den modernen Vater<br />

gibt es nicht. Nach wie vor existieren<br />

diverse Varianten des Mannseins<br />

und Vaterseins. Dennoch gibt es<br />

Herausforderungen, denen sich<br />

wohl die meisten Väter im Jahre <strong>2017</strong><br />

stellen müssen.<br />

Die da wären?<br />

Eine Herausforderung ist, mit den<br />

vielen Freiheiten umzugehen. Wir<br />

haben heute viel mehr Möglichkeiten<br />

als früher, unser Leben zu gestalten.<br />

Das bedeutet aber auch, dass wir<br />

uns öfter entscheiden müssen. Das<br />

klassische Rollenmuster ist in die<br />

Jahre gekommen, es ist nicht mehr<br />

a priori klar, was die Aufgabe der<br />

Mutter ist und was die des Vaters.<br />

Ergo müssen wir uns fragen: Was für<br />

ein Vater will ich sein? Wie alltagsrelevant<br />

möchte ich für meine Kinder<br />

sein?<br />

Diese Freiheiten sind also Fluch und<br />

Segen zugleich?<br />

Genau. Die weicheren Rollenbilder<br />

erlauben es, dass wir Väter die Beziehung<br />

zu unserem Kind aktiver<br />

ge stalten können. So gibt es zum<br />

Beispiel immer mehr Väter, die Kindergeburtstage<br />

organisieren. Das ist<br />

«Mein Vater hat mir nie die<br />

Windeln gewechselt. Heute<br />

kommst du damit wohl<br />

nicht mehr davon.»<br />

toll, aber auch eine Herausforderung,<br />

weil das aktive Vatersein viel<br />

Planung erfordert.<br />

Was sind weitere Herausforderungen?<br />

Alles unter einen Hut zu bringen:<br />

Arbeit, Familie, Hobbys. Viele Männer,<br />

die bewusste und vielseitige<br />

Väter sein möchten, wollen zu viel,<br />

machen zu viel. Sie vergessen in all<br />

ihren Verpflichtungen, für sich selbst<br />

zu schauen. Kurz, sie verfügen über<br />

eine starke Aussenorientierung, ihre<br />

Innenwahrnehmung ist allerdings<br />

eher schwach.<br />

Was raten Sie diesen Männern?<br />

Sich selbst gerne zu haben und für<br />

sich selbst Sorge zu tragen. Wenn es<br />

mir als Mann gut geht, fällt es mir<br />

auch leichter, ein guter Vater zu sein.<br />

Plakativ gefragt: Ist es heute schwieriger,<br />

Vater zu sein, als früher?<br />

Mein eigener Vater sagt: «Ihr habt es<br />

toll, so viele Möglichkeiten wie ihr<br />

habt. Aber ich stelle es mir auch verdammt<br />

anstrengend vor.» Und damit<br />

trifft er es sehr genau. Mit den Optionen<br />

steigt auch der Planungsbedarf.<br />

Meine Eltern mussten wenig darüber<br />

streiten, wer was macht, mussten<br />

kaum etwas verhandeln. Mein Vater<br />

hat mir nie die Windeln gewechselt.<br />

Heute kommst du damit wohl nicht<br />

mehr davon. Aber jede Zeit hat ihre<br />

Schwierigkeit.<br />

Aber früher gab es doch auch<br />

engagierte Väter.<br />

Natürlich gab es Ausnahmen, Väter,<br />

die sich total für ihre Kinder eingesetzt<br />

und aufgeopfert haben, und das<br />

gegen die Rollenerwartung. Der<br />

Unterschied: Heute sind diese Väter<br />

deutlich zahlreicher. Für Väter ist es<br />

jetzt die beste Zeit, die Vorteile überwiegen<br />

klar.<br />

Dennoch entscheiden sich auch heute<br />

viele Männer für die Versorgerrolle.<br />

Wenn sich heute ein Paar für das<br />

traditionelle Modell entscheidet,<br />

dann bewusster und nicht, weil es<br />

sich so gehört oder es gar keine andere<br />

Wahl hätte. Das ist gut so, und<br />

deswegen sind diese Männer nicht<br />

schlechte Papis. Es sind einfach<br />

andere Papis.<br />

Angesichts der Pluralität dieser Vätermodelle:<br />

Steckt der Mann in einer<br />

Identitätskrise?<br />

Nein, das beobachte ich so nicht.<br />

Klar ist aber: Wer den unkonventionellen<br />

Weg geht, hat weniger Vorbilder.<br />

Und manche bleiben darob<br />

orientierungslos.<br />

Inwiefern ist das Kind für die Eltern<br />

als Paar eine Zerreissprobe?<br />

Im Vergleich zu früher haben wir<br />

weniger Kinder, dadurch werden sie<br />

für uns umso wichtiger. Kinder zu<br />

haben, ist in unserer Biografie relevanter<br />

geworden als noch vor 30<br />

Jahren. Das hat auch Konsequenzen.<br />

Mit Kindern sind wir etwa stärker<br />

an unseren Partner gebunden. In<br />

unserer schnelllebigen, oft beliebigen<br />

Welt gehen wir eine intensive<br />

lebensorganisatorische Verbindung<br />

ein. Auch wenn wir schon viel konfliktkompetenter<br />

geworden sind –<br />

das birgt immer noch viel Konfliktpotenzial.<br />

Und Frustrationspotenzial?<br />

Auch, ja. Dem Klischee zufolge<br />

kriegt ein rechter Mann alles gebacken.<br />

Das war schon immer Unsinn,<br />

jetzt hat es sich aber noch zugespitzt:<br />

30 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Der Mann kann auch noch in der<br />

Vaterrolle scheitern. Und wenn die<br />

Beziehung in die Brüche geht, leiden<br />

Väter genauso wie Mütter. Beide Seiten<br />

haben sich jahrelang engagiert,<br />

sich emotional auf die Kinder eingelassen.<br />

Was können wir tun, damit es gar<br />

nicht erst so weit kommt?<br />

Bei aller Hingabe in die Elternaufgabe,<br />

wir dürfen uns als Person und<br />

als Paar nicht vergessen. Wir sind<br />

nicht nur Eltern, sondern auch Individuen<br />

und Liebende. Wir brauchen<br />

Zeit für Gespräche, Erlebnisse, Zeit<br />

für Sex. Auch wenn es natürlich<br />

nicht mehr so häufig ist wie vorher.<br />

Warum ist das so wichtig?<br />

Wenn es mit dem Sex nicht mehr<br />

funktioniert, entstehen schnell andere<br />

Konflikte. Emotionalität und<br />

Genitalität brauchen Zeit und Raum.<br />

Wie stellt man das als dauermüdes<br />

Paar an?<br />

Gute Frage, aber machen muss man<br />

es trotzdem. Meine Empfehlung: ein<br />

gemeinsamer Abend pro Woche, ein<br />

gemeinsames Weekend pro Monat<br />

und eine Woche Ferien pro Jahr.<br />

Stichwort Patchworkfamilie: Was ist<br />

für Väter anders?<br />

In der Praxis sind Patchworkkonstellationen<br />

oft ein Thema. Sie<br />

machen ein Familienleben noch<br />

komplizierter, weil alle Beziehungen<br />

gepflegt sein wollen. Ein Patchworkvater<br />

muss sich nicht nur Gedanken<br />

um seine biologische, sondern auch<br />

um seine soziale Vaterschaft machen.<br />

Wer kommt ins Mannebüro Zürich?<br />

Männer, die Sachen tun oder im Tun<br />

begriffen sind, die sie gar nicht wollen.<br />

Die Ohnmacht fühlen, Stress<br />

und Überforderung. Zum Beispiel<br />

der Vater eines 17-jährigen Lehrabbrechers,<br />

der sagt: «Er sitzt nur noch<br />

faul zu Hause und mault. Ich bin<br />

kurz davor, ihm eine reinzuhauen.»<br />

Was ist in Ihren Augen die wichtigste<br />

Aufgabe eines Vaters?<br />

Präsent zu sein, sichtbar, erlebbar zu<br />

sein, sich einzubringen. Es ist für<br />

Kinder wunderbar, wenn sie live<br />

miterleben können, wie ihr Papa sich<br />

organisiert, wie er gute und schlechte<br />

Tage handelt. Wir machen unseren<br />

Kids ein grosses Geschenk, wenn wir<br />

alltagsrelevant greifbar sind, als<br />

Menschen, Männer. Väter sollen<br />

lieben, lebendig sein, aber nicht<br />

perfekt.<br />

Zur Person<br />

Martin Bachmann ist Männerberater und<br />

Sexologe im Mannebüro Züri. Seit 16 Jahren<br />

berät er unter anderem Väter, die an ihre<br />

Grenzen stossen. Bachmann ist selbst Vater<br />

dreier Töchter und arbeitet Teilzeit.<br />

Müde, erschöpft und ausgebrannt?<br />

Magnesium im neuen Strath Vitality hilft.<br />

erhältlich in führenden Apotheken und Drogerien<br />

www.bio-strath.com<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>31


Kolumne<br />

Können Männer von Frauen lernen,<br />

Väter zu sein?<br />

Nein, sagt Jesper Juul. Männer können das Vatersein nur von anderen Vätern lernen –<br />

vor allem aber im Umgang mit ihren Kindern.<br />

Jesper Juul<br />

ist Familientherapeut und Autor zahlreicher<br />

internationaler Bestseller zum Thema Erziehung und<br />

Familien. 1948 in Dänemark geboren, fuhr er nach<br />

dem Abschluss der Schule zur See, war später<br />

Betonarbeiter, Tellerwäscher und Barkeeper. Nach der<br />

Lehrerausbildung arbeitete er als Heimerzieher und<br />

Sozialarbeiter und bildete sich in den<br />

Niederlanden und den USA bei Walter Kempler zum<br />

Familientherapeuten weiter. Seit 2012 leidet Juul an<br />

einer Entzündung der Rückenmarksflüssigkeit und<br />

sitzt im Rollstuhl.<br />

Jesper Juul hat einen erwachsenen Sohn aus erster<br />

Ehe und ist in zweiter Ehe geschieden.<br />

Verbote lähmen. Gleichwürdige<br />

Dialoge dagegen aktivieren<br />

und entwickeln das Gehirn.<br />

Eine Leserin schreibt: Ich<br />

bin verheiratet, mein<br />

Mann stammt aus Portugal.<br />

Wir haben einen<br />

gemeinsamen siebenjährigen<br />

Sohn. Unser Problem ist, dass<br />

ich der Meinung bin, dass mein<br />

Mann «altmodisch» denkt, wenn es<br />

um die Erziehung unseres Sohnes<br />

geht. Wir lesen gerade beide «Dein<br />

kompetentes Kind». Ich empfinde<br />

das Buch als Inspiration. Bei meinem<br />

Mann habe ich das Gefühl, dass<br />

er immer vergisst, was wir besprochen<br />

haben, und dann einfach so<br />

weitermacht wie bisher.<br />

Er wird immer sehr wütend,<br />

wenn ich ihn auf sein Verhalten in<br />

Konfliktsituationen mit unserem<br />

Sohn anspreche und ihn an die Vereinbarung<br />

erinnere, die wir aufgrund<br />

unserer Gespräche getroffen<br />

haben. Mein Mann sagt, dass er sich<br />

dadurch angegriffen fühlt und dass<br />

die Stimmung in unserer Familie<br />

darunter leidet. Er ist auch der Meinung,<br />

dass wir keine Konflikte<br />

haben dürfen, wenn unser Sohn uns<br />

zuhört. Aber ich sorge mich um<br />

unser Kind. Ich bin beunruhigt. Es<br />

bedrückt mich der Gedanke, dass<br />

unsere Ehe vielleicht sogar daran<br />

scheitern könnte. Ich bin sehr verzweifelt,<br />

denn ich liebe ja alle beide,<br />

aber was kann ich tun?<br />

Jesper Juul antwortet<br />

Ich fürchte, ich muss Ihrem Mann<br />

Recht geben. Mit Ihrem Verhalten<br />

untergraben Sie seine Rolle als Vater.<br />

Sie können ihm dabei helfen, dass er<br />

als Elternteil wächst – aber sie können<br />

es auch verhindern. Aus meiner<br />

Erfahrung, die mittlerweile von der<br />

Forschung bestätigt wird, weiss ich:<br />

Väter können von den Müttern ihrer<br />

Kinder nicht lernen, Väter zu sein.<br />

Auch nicht von anderen Müttern. Sie<br />

können es nur von anderen Vätern<br />

und im Umgang mit ihren Kindern<br />

lernen. Beide Elternteile lernen vor<br />

allem von ihren Kindern.<br />

In einer Familie ist das Wohlbefinden<br />

aller der zentrale Punkt. Ihr<br />

Mann liegt absolut richtig, wenn er<br />

behauptet, dass er durch Ihre Kritik<br />

an Würde verliert. Vor allem in den<br />

Augen seines Sohnes. Es darf nicht<br />

passieren, dass Ihre Situation sich zu<br />

einem Machtkampf um die Fürsorge<br />

und das Wohlbefinden des Kindes<br />

entwickelt.<br />

Kindern mit Einfühlungsvermögen<br />

begegnen<br />

Wenn wir uns mit Elternschaft<br />

beschäftigen, sollten wir auch die<br />

Frage danach einbeziehen, wie wir<br />

jemand anderen zu lieben gelernt<br />

haben. Wie steht es um unsere<br />

Bereitschaft und Fähigkeit als<br />

Erwachsene, uns selbst und den<br />

anderen so zu lieben, wie er ist?<br />

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />

32 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Für Eltern ist es schwierig – aber<br />

nicht unmöglich –, ihren Kindern<br />

mit Einfühlungsvermögen und<br />

Inter esse zu begegnen, selbst wenn<br />

sie dies als Kinder selbst nicht erlebt<br />

haben. Viele Erwachsene sind als<br />

Kinder in Familien gross geworden,<br />

in denen ihre Gefühle und Verhaltensweisen<br />

nicht anerkannt und<br />

ernst genommen wurden.<br />

Einige dieser Menschen sind sich<br />

der dadurch entstandenen Schmerzen<br />

durchaus bewusst und wollen<br />

mit ihren Kindern einen anderen<br />

Weg gehen. Andere haben die<br />

Schmerzen schlichtweg vergessen<br />

und unterdrücken ihre Gefühle. Es<br />

fällt ihnen schwer, Neues zuzulassen.<br />

Die Fähigkeit, zu lieben, verfeinern<br />

Das heisst nicht, dass diese Menschen<br />

dazu verdammt sind, ein<br />

Leben lang an ihrem Verhalten festzuhalten.<br />

Es kann in der zweiten<br />

oder dritten Generation durchaus<br />

gelingen, die Fähigkeit, zu lieben, zu<br />

verfeinern. Wenn sich Eltern aber<br />

ständig gegenseitig im Elternsein<br />

kritisieren, werden bald existenzielle<br />

Fragen auftauchen: nämlich<br />

danach, welchen Wert sie als Menschen<br />

haben.<br />

Veränderungen entstehen<br />

in den Pausen<br />

So entwickeln sich Streitigkeiten<br />

über das Kind oft zu emotionalen<br />

Unterhaltungen. Um den Kindern<br />

ein Vorbild zu sein, sollten die<br />

Gespräche deshalb mit Sanftmut und<br />

Sorgfalt geführt werden. Veränderungen<br />

werden nicht während der<br />

Diskussion stattfinden, sondern vielmehr<br />

in den Pausen zwischen den<br />

Gesprächen – oft auch unbewusst.<br />

Die beste Art, wie Sie Ihren Mann<br />

unterstützen können, ist, ihn und<br />

Ihren Sohn deren eigenen Weg<br />

gehen zu lassen. Ihr Mann wird sich<br />

weiterentwickeln, um der beste<br />

Vater zu sein – und Ihr Sohn wird<br />

lernen, mit ihm zurechtzukommen.<br />

Es ist sehr schwierig für ihn, mit<br />

Eltern zu leben, die sich mit ihrer<br />

Ehe plagen und vergebens versuchen,<br />

die jeweils andere Partei als<br />

Kinder sollten lernen, über ihre<br />

eigenen Gedanken, Gefühle,<br />

Erlebnisse und Werte zu sprechen<br />

statt über die anderer Menschen.<br />

besser oder schlechter darzustellen.<br />

Sollte sein Vater seine Männlichkeit<br />

dem Familienfrieden opfern, so hat<br />

Ihr Sohn ein nutzloses Vorbild als<br />

Mensch, als Vater und Partner.<br />

Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

Im nächsten Heft:<br />

Pflegekinder<br />

Bild: fotolia<br />

In der Schweiz leben rund 15 000 Pflegekinder. Wie<br />

erleben diese eine Fremdplatzierung? Und wie ist<br />

das für die Pflegefamilie, die unterstützt, sorgt und<br />

nährt, aber ohne Rechte ist? Mit dieser anspruchsvollen<br />

Aufgabe befasst sich unser Dossier im Juni.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>33


Monatsinterview<br />

«Seine Kinder in<br />

schulischen Dingen zu<br />

puschen, bringt nichts»<br />

Ob es ein Kind aufs Gymnasium schafft, hängt in den<br />

meisten Fällen noch immer von seiner Herkunft ab, sagt<br />

Urs Moser. Der Bildungsexperte über die Gerechtigkeit des<br />

Schweizer Bildungssystems, sinnvoll verbrachte Freizeit<br />

und die Frage, ob Eltern die Hausaufgaben ihrer Kinder<br />

begleiten sollten. Interview: Evelin Hartmann Bilder: Daniel Winkler / 13 Photo<br />

Durch einen verwunschenen Garten<br />

führt der Weg zum Institut für<br />

Bildungsevaluation. An der Haustür<br />

kein Schild, im Treppenhaus kein<br />

Wegweiser. Urs Moser steht auf dem<br />

Treppenabsatz. Blaues Hemd,<br />

modische Brille. «Sie sind hier schon<br />

richtig», sagt er und lächelt. Er führt<br />

die Besucher in ein Sitzungszimmer.<br />

Das Gespräch kann beginnen.<br />

Herr Moser, wie erreichen wir<br />

Chancengleichheit in der Schule?<br />

Wir können uns ihr nur annähern,<br />

sie jedoch nicht erreichen. Chancengleichheit<br />

bleibt eine Illusion.<br />

Eine Illusion?<br />

Ja, die Chancen sind nie für alle<br />

gleich. Kinder haben nur Chancen<br />

auf einen Bildungsabschluss, wie die<br />

Matura, wenn sie die notwendigen<br />

Voraussetzungen mitbringen und<br />

sich dafür entscheiden. Ob Kinder<br />

Chancen nutzen, hängt erstens von<br />

ihren Anlagen und dem Bildungshintergrund<br />

der Eltern ab und zweitens<br />

von ihren Entscheidungen.<br />

Aber Kinder und Jugendliche sollten<br />

doch gleiche Chancen haben, unabhängig<br />

von ihrer sozialen Herkunft?<br />

Das sollte so sein, wird aber nie so<br />

sein. Nicht alle Eltern haben die gleichen<br />

Möglichkeiten, in die Bildung<br />

ihrer Kinder zu investieren. Eltern<br />

mit wenig Wissen und wenig Zeit,<br />

mit geringen emotionalen und finanziellen<br />

Möglichkeiten können ihr<br />

Kind nicht gleich unterstützen wie<br />

gebildete und wohlhabende Eltern,<br />

die alles daransetzen, dass ihr Kind<br />

erfolgreich durch die Schule kommt.<br />

Es kommt demnach immer auf den<br />

Bildungshintergrund der Eltern an.<br />

Von Bedeutung können auch finanzielle<br />

Mittel sein, die für zusätzliche<br />

Förderung eingesetzt werden, oder<br />

die Kenntnisse der Möglichkeiten<br />

innerhalb unseres Bildungssystems.<br />

Aber solche Ungleichheiten müssen<br />

doch abgebaut werden!<br />

Daran wird ja auch gearbeitet. Der<br />

Abbau von sozialen Ungleichheiten<br />

ist allerdings nicht ganz so einfach.<br />

Chancengleichheit setzt Bil- >>><br />

34


Monatsinterview<br />

>>> dung voraus, weshalb zunehmend<br />

in die Frühförderung investiert<br />

wird – und zwar bereits vor dem<br />

Kindergarten. Nur lässt sich dies<br />

nicht so einfach umsetzen. Der Staat<br />

kann ja nicht ab Geburt für benachteiligte<br />

Kinder zum Beispiel Sprachkurse<br />

verordnen; er kann sie höchstens<br />

anbieten. Die Eltern haben das<br />

Recht, ihre Kinder innerhalb eines<br />

gesetzlichen Rahmens so zu erziehen,<br />

wie sie es für richtig halten.<br />

... und sie nicht in den Sprachkurs zu<br />

geben.<br />

Chancen sind immer an Personen<br />

gebunden. Diese entscheiden letztlich,<br />

ob sie eine Chance ergreifen<br />

oder nicht. Tun sie es nicht, heisst<br />

das noch lange nicht, dass das Bildungssystem<br />

ungerecht ist oder<br />

nichts gegen den Abbau von sozialen<br />

Ungleichheiten unternommen wird.<br />

Deshalb halte ich Chancengleichheit<br />

auch nicht für einen besonders treffend<br />

gewählten Begriff. Ich spreche<br />

lieber von Chancengerechtigkeit.<br />

Was wäre denn gerecht?<br />

Ein Bildungssystem, das sich darum<br />

bemüht, soziale Ungleichheiten<br />

durch spezifische Angebote für Kinder<br />

aus sozial benachteiligten Familien<br />

zu reduzieren, und somit Chancen<br />

ermöglicht, herkunftsbedingte<br />

Defizite zu kompensieren.<br />

Und, welche Note geben Sie dem<br />

Schweizer Bildungssystem in Sachen<br />

Chancengerechtigkeit?<br />

Keine schlechte. Die Durchlässigkeit<br />

zwischen den einzelnen Schulstufen<br />

ist in den vergangenen Jahren deutlich<br />

besser geworden. Wer beispielsweise<br />

im Kanton Zürich eine Matura<br />

machen will, hat zahlreiche<br />

Möglichkeiten, dies zu tun. Man<br />

kann nach der sechsten Klasse ins<br />

Langzeitgymnasium übertreten,<br />

nach der achten oder neunten ins<br />

Kurzzeitgymi, eine berufliche<br />

Grundbildung mit Berufsmatura<br />

machen oder die Maturität nach der<br />

Berufsausbildung nachholen. Mit<br />

den kognitiven Voraussetzungen<br />

und der notwendigen Motivation<br />

schafft man das.<br />

Was Kindern aus weniger bildungsnahen<br />

Familien entgegenkommen dürfte.<br />

Absolut – wer in seiner Entwicklung<br />

weiter ist, sich mehr Wissen angeeignet<br />

hat und sich über die berufliche<br />

Zukunft im Klaren ist, kann<br />

Dinge anders bewerten und Entscheidungen<br />

bewusster fällen als in<br />

den Primarschuljahren.<br />

«Akademiker<br />

erwarten, dass ihre<br />

Kinder ebenfalls<br />

ans Gymnasium<br />

gehen.»<br />

Nun müssen beispielsweise im Kanton<br />

Zürich Primarschüler eine Prüfung<br />

absolvieren, um ans Langzeitgymnasium<br />

zu kommen. In Luzern nicht, da<br />

zählt der Notendurchschnitt. Wie<br />

gerecht ist das?<br />

Damit sprechen Sie eine zweite Ursache<br />

von sozialen Ungleichheiten an.<br />

Schaut man sich die Schnittstellen<br />

im Bildungssystem an, beispielsweise<br />

den Übergang von der Primarschule<br />

zum Gymnasium, lassen sich<br />

Schwächen nachweisen. Da geht es<br />

nicht nur fair zu und her.<br />

Ich könnte mir vorstellen, dass es in<br />

Luzern grundsätzlich leichter ist, ans<br />

Gymnasium zu kommen. Sollten<br />

Familien nicht besser dorthinziehen?<br />

Sie als bildungsnahe Person könnten<br />

sicher Einfluss auf die Lehrperson<br />

nehmen, damit ihr Kind den Notendurchschnitt<br />

für das Gymnasium<br />

erreicht.<br />

In Kantonen ohne Aufnahmeprüfung<br />

ist der Druck auf die Lehrperson demnach<br />

höher?<br />

Natürlich. Aber es ist auch in Luzern<br />

nicht so, dass die Eltern einfach entscheiden,<br />

auf welche Schule ihr Kind<br />

kommt. Es gibt Beurteilungsgespräche<br />

über Noten, Leistungen und<br />

Verhalten, und am Schluss wird<br />

gemeinsam ein Entscheid gefällt.<br />

Wenn Eltern bei der Wahl des passenden<br />

Schulangebots für ihre Kinder<br />

beteiligt sind, kann die Herkunft<br />

allerdings eine Rolle spielen. Eltern<br />

von Akademikerfamilien erwarten,<br />

dass ihre Kinder ebenfalls ans Gymnasium<br />

gehen.<br />

Unter diesem Gesichtspunkt scheint<br />

das Modell mit einer Aufnahmeprüfung<br />

gerechter.<br />

Das könnte man so sehen. Es kommt<br />

zu einem unabhängigen Entscheid,<br />

mit dem die Eltern nicht direkt etwas<br />

zu tun haben. Indirekt sind sie jedoch<br />

auch am Prüfungsentscheid beteiligt,<br />

indem finanzstarke Familien ihren<br />

Kindern für stattliche Summen private<br />

Prüfungsvorbereitungen ermöglichen.<br />

Viele Bildungsexperten plädieren<br />

dafür, die Hausaufgaben abzuschaf­<br />

36 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


fen, da sie Ungerechtigkeiten im<br />

Bildungssystem noch verschärfen.<br />

So ihre These.<br />

Da bin ich anderer Meinung. Es würde<br />

nur dazu führen, dass sich Kinder<br />

aus bildungsfernen Familien nach<br />

der Schule gar nicht mehr mit schulischen<br />

Dingen beschäftigen, während<br />

bildungsnahe Eltern sich trotzdem<br />

mit ihren Kindern hinsetzen,<br />

das Gelernte überprüfen und ihnen<br />

eigene Aufgaben geben würden. Mit<br />

Hausaufgaben wird ja letztlich auch<br />

das Ziel verfolgt, bestimmte Fertigkeiten<br />

zu üben und die Kinder zum<br />

selbständigen Arbeiten hinzuführen.<br />

Zudem bieten Hausaufgaben<br />

eine Möglichkeit, Eltern und Kinder<br />

dazu zu bringen, miteinander über<br />

Schule und Unterricht zu sprechen.<br />

Meines Erachtens wird kaum mehr<br />

Gerechtigkeit erreicht, indem man<br />

Angebote abbaut, nur weil sie nicht<br />

von allen Kindern gleich genutzt<br />

werden können.<br />

«Manche Eltern<br />

können nicht dafür<br />

sorgen, dass ihre<br />

Kinder die Freizeit<br />

sinnvoll nutzen.»<br />

Was schlagen Sie vor?<br />

Man könnte das Problem mit Hausaufgabenbetreuung<br />

nach dem Unterricht<br />

lösen oder gleich Tagesschulen<br />

einführen.<br />

Was könnten Tagesschulen leisten?<br />

Beim Ziel «Abbau von sozialen Un -<br />

gleichheiten» geht es immer um eine<br />

sinnvolle Nutzung der Zeit. Manche<br />

Eltern können nicht dafür sorgen,<br />

dass ihre Kinder die Freizeit sinnvoll<br />

nutzen. Das kann eine Tagesschule<br />

leisten. Damit meine ich nicht, zwischen<br />

16 und 18 Uhr unter Aufsicht<br />

büffeln. Sinnvoll Zeit verbringen<br />

bedeutet vor allem sich bewegen<br />

oder frei spielen, Sport treiben, musizieren,<br />

basteln, programmieren –<br />

einfach etwas, das Freude bereitet<br />

und in einem guten Rahmen stattfindet.<br />

Für Kinder, die nachmittags<br />

nicht betreut werden, weil die Eltern<br />

arbeiten, wäre das ein Riesenvorteil.<br />

Die Chancen sind aber auch zwischen<br />

städtischen und ländlichen Gebieten<br />

ungleich verteilt. >>><br />

Urs Moser ist<br />

Mitglied der<br />

nationalen<br />

Projektleitung<br />

für Pisa-Studien.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>37


Monatsinterview<br />

>>> Definitiv! Die Chance, ein<br />

Gymnasium zu besuchen, hängt<br />

nicht nur von den Fähigkeiten und<br />

vom Elternhaus ab, sondern vor<br />

allem vom Wohnort. In Basel-Stadt<br />

ist die statistische Chance für den<br />

Besuch eines Gymnasiums doppelt<br />

so gross wie im Kanton St. Gallen.<br />

Warum das?<br />

Der Kanton Basel-Stadt hat sich stärker<br />

auf die Nachfrage nach der gymnasialen<br />

Ausbildung ausgerichtet.<br />

Zum einen entspricht dies einem<br />

Bedürfnis der Schülerinnen und<br />

Schüler beziehungsweise ihrer<br />

Eltern, zum andern kann es aber<br />

auch als Reaktion auf den Fachkräftemangel<br />

interpretiert werden. Es<br />

gibt mehr gymnasiale Ausbildungsplätze<br />

als in anderen Kantonen. Weil<br />

es in Basel nicht mehr intelligente<br />

Schülerinnen und Schüler gibt als im<br />

Kanton St. Gallen, sind die Hürden<br />

für einen Platz im Gymnasium in<br />

Basel mit grosser Wahrscheinlichkeit<br />

niedriger als in St. Gallen. Aus der<br />

Perspektive der Bildungsgerechtigkeit<br />

betrachtet, wäre es wünschenswert,<br />

dass die Anforderungen für<br />

bestimmte Ausbildungen in jedem<br />

Kanton gleich sind.<br />

In einer unserer letzten Ausgaben<br />

berichteten wir über ChagALL, ein Förderprogramm<br />

für begabte Migranten<br />

(Das Schweizer ElternMagazin<br />

Fritz+Fränzi, Februar <strong>2017</strong>), die durch<br />

zusätzlichen Unterricht fit für das<br />

Kurzzeitgymnasium gemacht werden<br />

sollen. Ihre Eltern können ihnen diese<br />

Unterstützung nicht bieten. Helfen<br />

solche Programme?<br />

Sehr sogar, weil das Programm<br />

einem Bedürfnis entspricht und die<br />

Jugendlichen ein Ziel vor Augen<br />

haben: den Übertritt in die Mittelschule.<br />

Dabei treffen zwei wesentliche<br />

Erfolgsfaktoren aufeinander: Die<br />

Schüler sind hochmotiviert, und die<br />

Betreuung im Programm ist ausreichend<br />

und effektiv. Beide Faktoren<br />

sind notwendige Bedingungen für<br />

den Erfolg eines Förderprogramms.<br />

Wie sehr sollten sich Eltern dafür einsetzen,<br />

dass ihre Kinder ihre Chancen<br />

ergreifen? Sollte ich beispielsweise<br />

als Mutter täglich die Hausaufgaben<br />

meines Kindes begleiten?<br />

Es kommt darauf an, wie Sie das<br />

machen. Sich als Lehrperson auszugeben<br />

und dem Kind ständig zu<br />

erklären, wie es geht und was es zu<br />

tun hat, ist sicher nicht zielführend.<br />

Aber dass man ab und zu nachfragt:<br />

«Sag mal, hast du die Hausaufgaben<br />

erledigt?», oder: «Hast du dir auch<br />

schon einmal Gedanken gemacht,<br />

was du später tun möchtest?», ist<br />

sicher nicht falsch. Ich finde es wichtig,<br />

dass man die Kinder begleitet<br />

und ein ganz normales Interesse an<br />

schulischen Angelegenheiten und<br />

später an den beruflichen Interessen<br />

zeigt. Allerdings immer mit Mass<br />

und unterstützend.<br />

«Wenn meine<br />

Töchter eine<br />

Lehrperson toll<br />

finden, möchte ich<br />

immer wissen,<br />

weshalb.»<br />

Nehmen sich Eltern, gerade wenn sie<br />

viel arbeiten, heute zu wenig Zeit für<br />

so etwas?<br />

Das kann ich nicht beurteilen.<br />

Kinder brauchen keine langen Ge -<br />

spräche über Hausaufgaben, aber<br />

emotionale Zuwendung und Unterstützung.<br />

Wie haben Sie es mit Ihren beiden,<br />

heute fast erwachsenen Töchtern<br />

gehalten?<br />

Ich habe immer mit meinen Kindern<br />

über ihre Hausaufgaben gesprochen,<br />

weil mich das von Berufes wegen<br />

interessierte. Und ich habe mit ihnen<br />

auch über ihre schulischen und<br />

beruflichen Ziele gesprochen. In<br />

einer frühen Phase musste ich sie hin<br />

und wieder darauf hinweisen, dass<br />

sie etwas tun müssen, wenn sie ihre<br />

Ziele erreichen wollen. Aber so etwas<br />

lässt sich in einem ganz normalen<br />

Alltagsgespräch klären. Je älter sie<br />

wurden, desto selbstständiger wurden<br />

sie.<br />

Davon träumen viele Eltern.<br />

Ich sage nicht, dass es in allen Fällen<br />

so reibungslos laufen muss. Ich habe<br />

diesbezüglich mit meinen Kindern<br />

Glück gehabt. Aber ich habe auch<br />

von Anfang an ein gewisses Interesse<br />

an ihrer Schullaufbahn gezeigt,<br />

ohne sie mit ständigem Nachfragen<br />

oder Kontrollieren zu nerven. Wir<br />

unterhalten uns auch heute noch<br />

gerne über die Schule und die berufliche<br />

Zukunft.<br />

Und worüber genau?<br />

Ein grosses Thema ist, ob der Unterricht<br />

interessant ist und ob die Lehrpersonen<br />

gerecht sind. Wenn sie eine<br />

Lehrperson besonders toll finden,<br />

möchte ich immer wissen, weshalb.<br />

Und selbstverständlich sprechen wir<br />

darüber, was nach der Schule alles<br />

möglich ist.<br />

Können Eltern ihre Kinder auch zu<br />

sehr puschen?<br />

Natürlich – und es mag auch diese<br />

unglücklichen Kinder an den Gymnasien<br />

geben, die überfordert und<br />

fehl am Platz sind; aber es sind wohl<br />

kaum so viele, wie man aufgrund<br />

dieser Diskussionen immer wieder<br />

hört. Puschen bringt nichts, Unterstützung<br />

und angemessene Erwartungen<br />

hingegen schon. Wenn man<br />

auf die Kinder eingeht, merkt man<br />

meist, wo ihre Interessen liegen und<br />

wie man sie unterstützen kann.<br />

Und wenn ein Kind etwas anderes<br />

anstrebt als eine höhere Schullaufbahn,<br />

dann sollte man dem nachgeben?<br />

Unbedingt. Ein Kind, das weder die<br />

kognitiven Voraussetzungen noch<br />

die Motivation mitbringt, kann man<br />

nicht durchs Gymnasium peitschen.<br />

Dafür sind die Anforderungen der<br />

Gymnasien in der Schweiz zu hoch.<br />

Und wenn das Kind zu einem späteren<br />

Zeitpunkt die Matura nachholen<br />

und studieren möchte, bestehen in<br />

der Schweiz genügend Chancen.


Zur Person<br />

Urs Moser ist Titularprofessor für<br />

Pädagogik an der Universität Zürich<br />

und seit 1999 Geschäftsleiter des<br />

Instituts für Bildungsevaluation der<br />

Universität Zürich sowie Mitglied der<br />

nationalen Projektleitung für Pisa-<br />

Studien. Er ist Vater zweier Töchter<br />

und lebt mit seiner Familie in Zürich.<br />

Evelin Hartmann, stellvertretende Chefredaktorin vom Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi,<br />

im Gespräch mit dem Bildungsexperten Urs Moser.<br />

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Psychologie & Gesellschaft<br />

Mit links durch den<br />

rechtshändigen Alltag<br />

Linkshändige Menschen müssen sich in einer rechtshändig dominierten<br />

Welt zurechtfinden. Das ist möglich, doch vor allem für Kinder nicht ganz<br />

einfach. Da sind Tücken, die es zu meistern gilt. Text: Susan Edthofer<br />

«Die Händigkeit<br />

der Kinder sollte<br />

nicht beeinflusst<br />

werden.»<br />

Susan Edthofer ist Redaktorin<br />

im Bereich Kommunikation<br />

von Pro Juventute.<br />

Linkshändigkeit ist heute kein Makel mehr.<br />

Und doch hält der Alltag für Linkshänderinnen<br />

und Linkshänder nach wie vor einige<br />

Stolpersteine bereit. Geschrieben und gemessen<br />

wird von links nach rechts, Scheren,<br />

Messer, Gemüseschäler, Saucenlöffel oder Dosenöffner<br />

sind meist für Rechtshänder gemacht.<br />

Längst ist erwiesen, dass die Händigkeit angeboren<br />

ist. Noch vor fünfzig Jahren wurden Kinder umerzogen.<br />

Die Folgen: mangelnde Konzentration, Gedächtnis- und<br />

Wortfindungsstörungen. Was es be deutet, wenn man<br />

nicht die bevorzugte Hand verwenden darf, merken<br />

rechtshändige Menschen erst, wenn sie die rechte Hand<br />

verletzt haben und alles mit links machen sollten.<br />

Wertung und Vorurteile<br />

Überbleibsel der negativen Wertung gegenüber Linkshändigkeit<br />

finden sich noch heute in unserem Sprachgebrauch:<br />

Wer schlechte Laune hat, ist mit dem linken<br />

Bein aufgestanden. Wer in eine unangenehme Situation<br />

geraten ist, den hat es auf dem linken Fuss erwischt, und<br />

wer sich ungeschickt anstellt, besitzt zwei linke Hände.<br />

Ganz vorurteilslos scheint man linkshändigen Menschen<br />

auch heute noch nicht zu begegnen. Nach wie vor geistert<br />

der Mythos umher, dass Rechtshänder grundsätzlich<br />

analytisch denken und Linkshänder eher kreativ und<br />

emotional seien.<br />

Die Tücken des täglichen Lebens<br />

Im Umgang mit Kindern ist es wichtig, keinen Einfluss<br />

zu nehmen. Solange nicht klar ist, ob ein Kind rechtsoder<br />

linkshändig ist, sollten Gegenstände so hingelegt<br />

werden, dass es wählen kann, mit welcher Hand es<br />

zugreifen möchte. Dass in Kindergärten und Schulen<br />

Scheren, Bleistiftspitzer und Füllfedern für Linkshändige<br />

vorhanden sind, sollte mittlerweile eine Selbstverständlichkeit<br />

sein. Im Hinblick auf das Schreibenlernen<br />

sollte die Händigkeit bis zum Schulalter festgelegt sein.<br />

Falls sich nicht deutlich herauskristallisiert, ob ein Kind<br />

rechts- oder linkshändig ist, kann ein Händigkeitstest<br />

durchgeführt werden, um zu klären, mit welcher Hand<br />

das Kind schreiben und zeichnen soll.<br />

«Linkshändige» Tiere<br />

Auch Tiere haben eine Ausprägung als Rechts- oder<br />

Linkspfoter. Offenbar geben die Fressspuren Aufschluss<br />

darüber, ob das Eichhörnchen den Tannzapfen in der<br />

rechten oder linken Pfote gehalten hat. In der Vogelwelt<br />

liegt die Anzahl der sogenannten Linksfüssler mit über<br />

90 Prozent sogar noch höher als bei den rechtshändigen<br />

Menschen.<br />

Was Eltern tun können – vier Tipps<br />

• Steht die Händigkeit Ihres Kindes noch nicht fest, sollten Sie<br />

Stifte oder Besteck so hinlegen, dass es selbst entscheiden kann,<br />

mit welcher Hand es die Dinge greifen möchte.<br />

• Besorgen Sie eine Linkshänderschere und Küchengeräte,<br />

die sich für beide Hände eignen.<br />

• Schuhe bzw. Schleife binden sollten seitenverkehrt gezeigt werden.<br />

• Der Arbeitsplatz Ihres Kindes soll linkshänderfreundlich eingerichtet<br />

sein: Der Lichteinfall kommt von rechts, das Blatt ist etwas schräg<br />

nach rechts gedreht. Bei einer korrekten Schreibhaltung zeigt das<br />

Ende des Stiftes zur linken Schulter.<br />

Pro Juventute Elternberatung<br />

Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugs personen von<br />

Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (<strong>05</strong>8 261 61 61) oder online<br />

(www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zu<br />

Erziehung und Schule stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen<br />

keine Kosten an. In den Elternbriefen und Extra briefen finden Eltern<br />

Informationen für den Erziehungsalltag. Infos auf: www.projuventute.ch<br />

40 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Tims Papi<br />

ist depressiv<br />

Psychische Krankheiten belasten ganze Familien. Wir setzen uns dafür<br />

ein, dass Kinder wie Tim die gleichen Chancen auf eine gesunde<br />

Entwicklung haben wie nicht betroffene Kinder. Auf unserer Onlineplattform<br />

www.iks-ies.ch beantworten wir die häufigsten Fragen zum<br />

Thema und vermitteln Hilfe.


Elterncoaching<br />

Kinder unter Druck<br />

Fast täglich hören wir Berichte über Druck, Stress und Burnout –<br />

und immer öfter scheinen bereits Kinder darunter zu leiden.<br />

Warum ist das so? Und was hilft gegen zu viel Druck?<br />

Fabian Grolimund<br />

ist Psychologe und Autor («Mit<br />

Kindern lernen»). In der Rubrik<br />

«Elterncoaching» beantwortet<br />

er Fragen aus dem Familienalltag.<br />

Der 37-Jährige ist verheiratet<br />

und Vater eines Sohnes, 4,<br />

und einer Tochter, 1. Er lebt<br />

mit seiner Familie in Freiburg.<br />

www.mit-kindern-lernen.ch<br />

www.biber-blog.com<br />

Bis heute fällt es mir<br />

schwer, nachzuvollziehen,<br />

warum Stress und<br />

Burnout die grossen<br />

Themen unserer Zeit zu<br />

sein scheinen. Hatten unsere Vorfahren<br />

nicht mit Problemen ganz<br />

anderen Kalibers zu kämpfen?<br />

Wenn unsere Grosseltern von früher<br />

erzählen, dann tauchen Themen auf<br />

wie Armut oder die Anforderung,<br />

sechs Kinder durchzubringen. Es<br />

wird vom Krieg erzählt und von<br />

Krankheiten, gegen die wir uns heute<br />

impfen können, die früher aber<br />

zum Tode führten.<br />

Auch unsere Eltern hatten es oft<br />

nicht leicht. Mein Vater erzählt von<br />

der Zeit im Internat mit Geistlichen,<br />

die beim kleinsten Vergehen zum<br />

Rohrstock griffen. Von Strafen, Härte<br />

und Gefühlskälte.<br />

Wie schön scheinen es im Vergleich<br />

dazu wir und unsere Kinder<br />

zu haben. Wir müssen nicht um<br />

unser Leben bangen. Unsere Kinder<br />

werden in der Schule nicht geschlagen,<br />

wenn sie die Hausaufgaben vergessen.<br />

Die realen Bedrohungen von früher<br />

haben für die meisten von uns<br />

hier in der Schweiz abgenommen.<br />

Bei einigen Menschen ist die Angst,<br />

etwas zu verpassen,<br />

so gross, dass sie sich auf nichts<br />

mehr einlassen können.<br />

Was zugenommen hat, ist ein Gefühl<br />

des ständigen, diffusen Bedrohtseins,<br />

das wir nicht recht einordnen<br />

können. Herausgreifen möchte ich<br />

nur zwei Aspekte, die zeigen: Es sind<br />

manchmal genau die Dinge, die wir<br />

am meisten schätzen, die uns unter<br />

Druck setzen.<br />

Freiheit<br />

Noch nie in der Geschichte der<br />

Menschheit hatten wir so viel Freiheit<br />

und Wahlmöglichkeiten. Wir<br />

könnten und dürfen fast alles mit<br />

unserem Leben anfangen.<br />

Welchen Beruf möchten wir<br />

ergreifen? Die Auswahl ist so gross<br />

geworden, dass selbst die Berufsberater<br />

den Überblick verlieren. Wollen<br />

wir heiraten? Eltern werden?<br />

Wie organisieren wir uns als Paar?<br />

Wer arbeitet wie viel? Wer übernimmt<br />

welche Aufgaben? Kinderkrippe<br />

oder nicht? Welchen Platz<br />

wollen wir Religion oder Spiritualität<br />

in unserem Leben geben? Wo<br />

wollen wir wohnen?<br />

Wenn wir diese Fragen lesen,<br />

merken wir gleich: Freiheit bedeutet<br />

Stress! Denn wir müssen uns entscheiden.<br />

Die Angst, die falsche<br />

Option zu wählen, wächst mit den<br />

verfügbaren Möglichkeiten. Oft fühlen<br />

wir uns blockiert, weil wir nicht<br />

in der Lage sind, eine Entscheidung<br />

zu treffen.<br />

Bei einigen Menschen ist die<br />

Angst, etwas zu verpassen, so gross,<br />

dass sie sich auf nichts mehr einlassen<br />

können. Sie sind immer latent<br />

auf der Suche. Sie sind zufrieden mit<br />

ihrem Job, aber halten Ausschau<br />

nach etwas Besserem. Sie beschrei-<br />

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />

42 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


en die Beziehung als gut, fragen<br />

sich aber ständig, ob es nicht noch<br />

jemand gäbe, der oder die besser<br />

passen würde.<br />

Früher war für viele Kinder der<br />

Weg vorgezeichnet – sie sind in die<br />

Fussstapfen der Eltern getreten. Sie<br />

haben den Hof, den Betrieb, das<br />

Handwerk übernommen. Heute<br />

haben wir als Eltern nicht die leiseste<br />

Ahnung, was aus unseren Kindern<br />

einmal werden wird. Vielleicht<br />

werden sie einen Beruf ergreifen,<br />

der heute nicht einmal existiert. Wie<br />

also sollen wir sie auf die Zukunft<br />

vorbereiten?<br />

Dieser Unsicherheit begegnen<br />

wir mit der Losung: Ich muss meinem<br />

Kind alle Wege offenhalten. Zu<br />

gross ist die Angst, dass das Kind<br />

sonst in einer Sackgasse landet und<br />

uns später Vorwürfe machen wird.<br />

Möglichst viel Bildung, ein möglichst<br />

hoher Abschluss scheint das<br />

Ticket zu sein, das wir unseren Kindern<br />

mit auf den Weg geben wollen.<br />

Daneben sollen die Kinder ein möglichst<br />

breites Repertoire an Fähigkeiten<br />

und Interessen aufbauen.<br />

Nach einem Vortrag fragte mich<br />

eine Mutter: «Meine Tochter ist in<br />

der ersten Klasse und möchte nach<br />

der Schule einfach nur spielen, in<br />

den Garten gehen, sich um die Tiere<br />

kümmern und ihre Freundinnen<br />

treffen. Ich habe mich so erschrocken,<br />

als ich gehört habe, was die<br />

anderen Kinder in ihrer Klasse alles<br />

machen. Die anderen Eltern meinten,<br />

es sei doch wichtig, dass ein<br />

Kind ein Instrument lernt und Sport<br />

macht. Ich habe Angst, dass ich meine<br />

Tochter zu wenig fördere.»<br />

Potenzialentfaltung<br />

Neben Freiheiten und Wahlmöglichkeiten<br />

steht auch die Entfaltung<br />

unseres Potenzials hoch im Kurs.<br />

Kinder sollen ihre Stärken entdecken,<br />

individuell gefördert werden.<br />

Wir hören immer wieder, dass<br />

unsere Kinder viel mehr könnten,<br />

wenn sie nur die richtige Lernumgebung<br />

erhielten – bis hin zur Aus-<br />

sage, dass angeblich 98 Prozent der<br />

Kinder hochbegabt seien. Berichte<br />

von Menschen mit Downsyndrom,<br />

die es an die Uni geschafft haben,<br />

sollen uns zeigen: Alles wäre möglich<br />

mit den richtigen pädagogischen<br />

Ansätzen.<br />

Sehnsüchtig suchen wir auf der<br />

ganzen Welt nach Musterbeispielen.<br />

Nach Finnlands Pisa-Sieg im Jahr<br />

2000 tingelten ganze Expertenscharen<br />

dorthin und berichteten von<br />

einer besseren Welt. Experten,<br />

Eltern und Lehrer waren und sind<br />

sich einig: Dort gelingt es. Andere<br />

Länder wie Deutschland und die<br />

Schweiz haben dagegen «Nachholbedarf».<br />

Solche Berichte haben etwas<br />

Bewegendes. Sie berühren und<br />

beflügeln uns. Manchmal sind sie<br />

ein Trost in schwierigen Zeiten. Sie<br />

geben uns das Gefühl: In meinem<br />

Kind könnte noch ganz vieles stecken<br />

– wir müssen es nur finden und<br />

zur Entfaltung bringen. Misstöne<br />

werden dabei gerne zur Seite ge -<br />

wischt. Wie beispielsweise die Schülerbefragung<br />

im Rahmen einer gross<br />

angelegten Studie der Unicef aus<br />

dem Jahr 2007, die zeigte: In keinem<br />

anderen Land geben weniger Schülerinnen<br />

und Schüler an, gerne zur<br />

Schule zu gehen, als in Finnland.<br />

Ständiges Suchen nach besseren<br />

Lösungen, Hinterfragen des Bestehenden<br />

und Optimieren setzt Schulen<br />

und Familien unter Druck. Der<br />

Glaube, dass jedes Kind im Grunde<br />

hochbegabt ist und in ihm ein Genie<br />

schlummert, das geweckt werden<br />

will, bedeutet im Umkehrschluss:<br />

Wenn ein Kind nichts Aussergewöhnliches<br />

wird, haben wir versagt.<br />

Wir haben es versäumt, die ungeahnten<br />

Kräfte und Talente in ihm<br />

zum Vorschein zu bringen.<br />

Es scheint gar keine Option zu<br />

sein, sich mit weniger als dem Maximum<br />

zufrieden zu geben. Auf dem<br />

Weg zum Bahnhof mit zwei Teilnehmerinnen<br />

einer Weiterbildung<br />

erzählte eine Lehrerin, dass ihr Sohn<br />

nun endlich eine Lehrstelle in sei-<br />

Zumindest im einen oder<br />

anderen Bereich weniger zu<br />

wollen, ist vielleicht gar kein<br />

schlechtes Mittel gegen Druck.<br />

nem Traumberuf gefunden habe.<br />

Darauf sagte die andere Teilnehmerin:<br />

«Ja – und heute mit dem dualen<br />

Bildungssystem kann er dann ja<br />

immer noch die Berufsmatura<br />

machen und sich weiterqualifizieren.»<br />

Ich nickte und sagte in ge -<br />

wohnter Manier: «Ja, da haben wir<br />

in der Schweiz wirklich Glück.» Die<br />

Mutter sah uns genervt an und erwiderte:<br />

«Er macht jetzt einfach diese<br />

Lehre! Ihm gefällt’s. Das reicht. Jedes<br />

Mal, wenn ich davon erzähle, kommen<br />

mir die Leute gleich mit ‹Er<br />

kann ja dann immer noch…›.»<br />

Wer am Wochenende und in den<br />

Ferien lieber zu Hause bleibt, als seinen<br />

Horizont zu erweitern, wer seinen<br />

Job gut und gern genug macht,<br />

anstatt sich permanent nach dem<br />

nächsten Karrieresprungbrett um -<br />

zusehen, wer dankbar ist, dass die<br />

Kinder gesund und zufrieden sind,<br />

ohne etwas Aussergewöhnliches zu<br />

sein, wer zugibt, dass man als Paar<br />

ein gutes Team ist, aber nicht jeden<br />

Tag von Leidenschaft gepackt wird,<br />

wirkt auf andere rasch etwas armselig.<br />

Und dennoch: Zumindest in<br />

manchen Bereichen weniger zu wollen<br />

und sich und seinen Kindern zu<br />

erlauben, durchschnittlich, gewöhnlich,<br />

langweilig oder einfach «gut<br />

genug» zu sein, ist vielleicht gar kein<br />

schlechtes Mittel gegen zu viel<br />

Druck.<br />

In der nächsten Ausgabe:<br />

Belohnungen – gut gemeint ist nicht immer gut<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>43


Schule & Erziehung<br />

«Eltern und Lehrpersonen<br />

wollen das Beste für das Kind»<br />

In Standortgesprächen zwischen Lehrpersonen und Eltern treffen oftmals verschiedene<br />

Perspektiven aufeinander. Sich gut darauf vorzubereiten, lohnt sich. Denn gelungene<br />

Gespräche können zur Förderung der kindlichen Entwicklung beitragen. Text: Ruth Fritschi<br />

«Gelungene Elternge spräche<br />

fördern den Lernprozess<br />

des Kindes.»<br />

Ruth Fritschi, ist Präsidentin der LCH-<br />

Stufenkommission 4bis8 und Kindergartenlehrperson.<br />

Sie schreibt regelmässig für<br />

unser Magazin.<br />

Die meisten Lehrpersonen besuchen<br />

eine Weiterbildung im Bereich<br />

Gesprächsführung und Umgang<br />

mit Problemsituationen.<br />

Für sämtliche Lehrpersonen<br />

gehören Elterngespräche<br />

zum Berufsauftrag.<br />

Sie finden auf allen<br />

Stufen vom Kindergarten<br />

bis zur Berufslehre oder zum Gymnasium<br />

statt. In vielen Kantonen<br />

werden sie als Schulische Standortgespräche<br />

bezeichnet und verfolgen<br />

das Ziel und den Zweck, den Entwicklungs-<br />

und den Leistungsstand<br />

des Kindes anhand von Bezugsnormen<br />

einzuschätzen. Diese Beurteilung<br />

ist für Eltern, Kind und Lehrperson<br />

von hoher Bedeutung und<br />

wird von Seiten der Eltern und Kinder<br />

oft mit Spannung erwartet. Für<br />

uns Lehrpersonen sind Elterngespräche<br />

ein wichtiger Bestandteil<br />

unserer Arbeit. Gelungene Elterngespräche<br />

begünstigen und fördern<br />

den weiteren Lernprozess des Kindes.<br />

Meine Erfahrungen im Schulalltag<br />

zeigen, dass die meisten Lehrpersonen<br />

viel Zeit und Energie in<br />

eine transparente Beurteilung und<br />

in die Gesprächsvorbereitungen stecken.<br />

Auch nach einigen Jahren Be -<br />

rufserfahrung wird immer wieder<br />

untereinander ausgetauscht, welche<br />

Faktoren zum guten Gelingen eines<br />

Elterngesprächs beitragen.<br />

Wertschätzende Beziehung<br />

Die meisten von uns besuchen im<br />

Verlauf ihrer beruflichen Tätigkeit<br />

Weiterbildungen zu Gesprächsführung<br />

und Umgang mit Problemsituationen.<br />

Wenn ich an die Gespräche<br />

in unserem Teamzimmer denke,<br />

stelle ich fest, dass die meisten meiner<br />

Kolleginnen und Kollegen die<br />

entscheidenden Faktoren kennen: Es<br />

wird versucht, eine wertschätzende<br />

und gleichberechtigte Beziehung zu<br />

den Beteiligten aufzubauen, die<br />

Strukturierung des Gesprächs wird<br />

transparent gemacht, und wenn<br />

immer möglich wird eine konstruktive<br />

und kooperative Lösung des<br />

Problems angestrebt.<br />

Viele Lehrpersonen verwenden<br />

ein persönliches Gesprächsraster<br />

und kommen mit diesem erfolgreich<br />

zum Ziel. Und trotzdem passiert es<br />

mir und wahrscheinlich auch meinen<br />

Kolleginnen und Kollegen, dass<br />

wir in unangenehme Problemsituationen<br />

geraten.<br />

Zum Beispiel stellt ein Vater die<br />

Autorität der Lehrerin gleich zu<br />

Gesprächsbeginn in Frage. Mit drohendem<br />

Getöse versucht er die junge<br />

Lehrerin einzuschüchtern und<br />

unterstellt ihr, dass sie die Klasse<br />

44 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


nicht im Griff habe. Der Machtaspekt<br />

steht vorerst so sehr im Vordergrund,<br />

dass an den Aufbau einer<br />

wertschätzenden und gleichberechtigten<br />

Beziehungsebene gar nicht<br />

mehr zu denken ist. Diese Situation<br />

verlangt von der Lehrerin geschickte<br />

kommunikative Verhaltensweisen,<br />

um das Gespräch auf inhaltliche<br />

Einschätzungen und auf eine konstruktive<br />

und kooperative Lösung zu<br />

lenken.<br />

Der Umgang mit negativen Emotionen<br />

kann als häufig erlebte Problemsituation<br />

beschrieben werden.<br />

Wenn die Beobachtungen und Einschätzungen<br />

von uns Lehrpersonen<br />

nicht mit den Beschreibungen von<br />

zu Hause übereinstimmen, kann es<br />

sein, dass im Verlauf des Gesprächs<br />

Wut oder Frustration aufkommen,<br />

die eine kooperative Beziehung zwischen<br />

den Beteiligten erschweren.<br />

Als erfahrene Lehrperson weiss ich,<br />

dass ich mich in solchen Situationen<br />

empathisch verhalten soll. Das<br />

bedeutet, dass ich die Standpunkte<br />

der Eltern nachvollziehen und nachfühlen<br />

können soll. Gleichzeitig<br />

sollte ich Distanz bewahren, um<br />

nicht emotional, sondern rational zu<br />

reagieren.<br />

Ich versuche, mich nicht aus der<br />

Fassung bringen zu lassen, immer<br />

betont sachlich zu bleiben und<br />

irgendwie zu vermitteln, dass es um<br />

die optimale Förderung des Kindes<br />

geht. Doch gerade weil es um die<br />

optimale Förderung des Kindes<br />

geht, war und ist es auch schon mal<br />

sinnvoll, emotional zu reagieren,<br />

damit die Eltern sehen, dass auch ich<br />

nur ein Mensch bin und meine<br />

Sache leidenschaftlich vertrete.<br />

Diskretion ist Ehrensache<br />

Ebenso bedarf es einigen Fingerspitzengefühls,<br />

wenn Eltern intime<br />

Konflikte oder familiäre Probleme<br />

im Gespräch darlegen, die mich als<br />

Lehrperson tief in die Familie hineinblicken<br />

lassen. Mit dem Wissen,<br />

dass die Ursachen für schulische<br />

Probleme oft in der familiären Situation<br />

zu suchen sind, ist es wichtig,<br />

dass die Beteiligten bei der Lehrperson<br />

auf Diskretion und Verständnis<br />

stossen. In diesem Fall verlangt die<br />

Situation viel Sensibilität und der<br />

Umgang mit dem Gehörten professionelle<br />

Integrität. Wenn diese familiären<br />

Informationen zu einer konstruktiven<br />

und kooperativen Lösung<br />

des Problems beitragen, sind sie<br />

soweit adäquat und hilfreich.<br />

Die geschilderten Situationen<br />

machen deutlich, dass es entscheidend<br />

ist, ob der Kontakt mit den<br />

Es ist entscheidend, ob der<br />

Kontakt mit den Eltern von<br />

gegenseitiger Unterstützung<br />

und Kooperation geprägt ist –<br />

oder ob Abwehr da ist.<br />

Eltern von gegenseitiger Unterstützung<br />

und Kooperation geprägt ist<br />

oder ob Forderungen auf der einen<br />

und abwehrende Haltung auf der<br />

anderen Seite vorhanden sind.<br />

Meine Berufserfahrung zeigt,<br />

dass es sich lohnt, einen eigenen<br />

Gesprächsleitfaden zu haben und zu<br />

festigen. Er beinhaltet die Herstellung<br />

eines positiven Kontakts, die<br />

Klärung eines vorliegenden Problems<br />

und die Eruierung von Lö ­<br />

sungsmöglichkeiten. Auch wenn die<br />

Situationen immer wieder unterschiedlich<br />

sind und die Fragen<br />

unterschiedlich beantwortet werden<br />

müssen, gibt mir mein eigener Leitfaden<br />

Orientierung und Sicherheit.<br />

Und Eltern, die sich zur Vorbereitung<br />

des Elterngesprächs auch<br />

ihre Aspekte überlegen, sind in den<br />

meisten Fällen kooperative Ge ­<br />

sprächspartner.<br />

PUBLIREPORTAGE<br />

Avadis Geldtipp Nr. 3<br />

Auf die Kosten achten<br />

Die Kosten eines Fonds können die Rendite<br />

deutlich schmälern. Deshalb ist es wichtig,<br />

bei der Wahl eines Anlageprodukts alle Kosten<br />

und Gebühren zu berücksichtigen.<br />

Viele Anleger wählen einen Fonds, weil er sich in<br />

der Vergangenheit gut entwickelt hat. In weniger<br />

guten Börsenzeiten schauen sie sich dann die<br />

Konditionen ihres Fonds genauer an und stellen<br />

mit Schrecken fest, dass ihnen hohe Gebühren<br />

belastet werden. Zu den eigentlichen Fondskosten<br />

kommen vielleicht noch Depot- und Transaktionsgebühren<br />

hinzu. So können sich die Gesamtkosten<br />

für einen aktiven Fonds rasch auf<br />

über 2% summieren. Kosten, die zuerst an den<br />

Märkten «verdient» werden müssen.<br />

TER enthält nicht alle Kosten<br />

Beim langfristigen Anlegen wirken sich schon<br />

kleine Kostenunterschiede sehr stark aus. Für<br />

den Anlageerfolg ist deshalb mitentscheidend,<br />

auf günstige Produkte zu setzen. Die Kosten<br />

eines Fonds werden in der Regel als «Total Expense<br />

Ratio» (TER) angegeben. «Total Expense»<br />

heisst jedoch nicht zwingend, dass sämtliche<br />

Kosten abgedeckt sind. So verrechnen manche<br />

Anbieter zusätzlich bis zu 2% des Anlagebetrags<br />

als Ausgabekommission. Entsprechend wichtig<br />

ist es, bei einem Kostenvergleich alle Gebühren<br />

zu berücksichtigen.<br />

Das Angebot von Avadis umfasst sieben<br />

Anlagefonds, die alle eine TER von unter<br />

0,60% aufweisen.<br />

Avadis verlangt keine Depotgebühren und<br />

keine Ausgabe- und Rücknahmekommissionen.<br />

Weitere Informationen finden Sie unter<br />

www.avadis.ch/anlegen.


In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post<br />

Erziehung & Schule<br />

Zuhören, singen, reimen<br />

Für den Schreiberwerb ist eine Erkenntnis zentral: Unser Schriftsystem ist eine Laut-Buchstaben-Schrift.<br />

Das heisst, dass gesprochene Laute in Schriftzeichen übertragen werden. Sprachspiele unterstützen<br />

Kinder bei der Entwicklung dieses Bewusstseins. Text: Johanna Oeschger<br />

Ein Kind, das noch nicht schreiben<br />

kann, richtet seine Aufmerksamkeit<br />

hauptsächlich auf die Bedeutung der<br />

Wörter; den Klang oder die formalen<br />

Merkmale nimmt es noch nicht bewusst<br />

wahr. Erst nach und nach entdeckt das<br />

Kind, dass es die gesprochene Sprache<br />

in Wörter, Silben und Buchstaben zerlegen<br />

und diese als Bausteine für das<br />

eigene Schreiben nutzen kann. Dieser<br />

Lernprozess beginnt bereits lange vor<br />

dem ersten Schreiben, wenn Reime und<br />

Lieder das Interesse an der Struktur der<br />

Sprache wecken oder wenn beim Vorlesen<br />

die Aufmerksamkeit auf die<br />

Laut-Schrift-Beziehung gelenkt wird.<br />

«Ich sehe was, was du nicht<br />

siehst … »<br />

Als Variante des beliebten Zugfahr-/<br />

Autofahrspiels wird anstatt die Farbe der<br />

Anfangsbuchstabe des gesuchten Dings<br />

genannt («… und das fängt mit S an»).<br />

Silbenstufen<br />

Am Fuss einer Treppe denken sich die<br />

Kinder ein Wort aus, sprechen das Wort<br />

und gehen für jede Silbe eine Stufe hoch.<br />

Wer kommt am schnellsten die Treppe<br />

rauf?<br />

Liederkoffer<br />

Mit passenden Stichworten und Zeichnungen<br />

werden Lieder auf Zetteln dargestellt<br />

und in einer Schachtel gesammelt.<br />

Nun wird abwechslungsweise ein<br />

Zettel gezogen, der Liedtitel erraten –<br />

und gesungen!<br />

Wörter, die beim Vorlesen «versehentlich»<br />

verwechselt wurden (« … hatten<br />

grossen Wurst») oder suchen auf der<br />

Buchseite ein Wort, das öfter im Text<br />

vorkommt («Wo steht … ?»).<br />

Johanna Oeschger<br />

ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin,<br />

unterrichtet Deutsch und Englisch<br />

auf der Sekundarstufe II und arbeitet als<br />

Mediendidaktikerin bei LerNetz.<br />

Liederraten<br />

Aus welchen Liedern kommen diese Verse?<br />

1. D Chöpfli heis i ds Wasser,<br />

d Schwänzli heis i d Höh<br />

2. S müesst eine sii, wo rede cha –<br />

dä seit i mir denn alles nah<br />

3. Blib doch au dr ganz Tag da,<br />

das i cha veruse ga<br />

4. Chasch du rite? Chasch uf beidi Site?<br />

5. Alli tüe si grunze, alli tüe si schmatze,<br />

und enand am Rügge chratze<br />

Finde zu jedem Vers das passende Bild<br />

und schreibe den fett gedruckten<br />

Buchstaben zum Bild.<br />

Von links nach rechts gelesen ergeben die<br />

Buchstaben ein Lösungswort. Schicke<br />

das Lösungswort bis zum 31. Mai <strong>2017</strong> an<br />

fritzundfraenzi@lernetz.ch und gewinne<br />

mit etwas Glück eine CD mit vielen tollen<br />

Liedern!<br />

Tipp: Im Online-Artikel auf fritzundfraenzi.ch<br />

gibt’s die gesungene Version!<br />

Bild: iStockphoto<br />

(Vor)Lesen<br />

So werden aus Zuhörern allmählich<br />

Selbstleser: Die Zuhörer korrigieren<br />

46 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Stiftung Elternsein<br />

«Generationensprung!»<br />

Ellen Ringier über die Nähe der Grosseltern zu ihren Enkeln.<br />

Bild: Maurice Haas / 13 Photo<br />

Dr. Ellen Ringier präsidiert<br />

die Stiftung Elternsein.<br />

Sie ist Mutter zweier Töchter.<br />

Es wird schon an die zehn Jahre her sein,<br />

als meine beiden Töchter meine damals<br />

um die 80 Jahre alte Mutter besuchten,<br />

manchmal einzeln, manchmal zusammen.<br />

Eines Tages überraschten mich die beiden<br />

Teenager mit der Bemerkung, meine<br />

Mutter – ihre Grossmutter – hätte lange<br />

vor ihrer Hochzeit mit meinem Vater, also<br />

vor ihrem 25. Altersjahr, eine intime Beziehung mit<br />

einem jungen Mann gehabt. In New York, Ende der<br />

40er-Jahre. Und sie hätte diesen jungen Mann sehr<br />

geliebt, sich aber nicht getraut, mit ihren Eltern – meinen<br />

Grosseltern – darüber zu reden und, und, und.<br />

«Was», habe ich mir gedacht, «erzählt meine Mutter<br />

denn da?» Meinen Schwestern oder mir hätte sie das<br />

niemals erzählt! Obschon meine Mutter eine für damalige<br />

Verhältnisse ausgesprochen aufgeschlossene Frau<br />

und Sexualität bei uns zu Hause kein Tabuthema war.<br />

Ganz besonders nicht, wenn es um Verhütung ging!<br />

Liefen wir einander bei Gelegenheit nackt über den<br />

Weg, schien uns das normal. Prüde waren wir alle ganz<br />

gewiss nicht. Aber achtsam. Man könnte auch sagen,<br />

respektvoll gegenüber der Intimität des anderen.<br />

Aber die Intimsphäre haben weder meine Eltern uns<br />

Kindern gegenüber noch wir Kinder gegenüber unseren<br />

Eltern je angesprochen. Es wäre mir im Traum nicht<br />

eingefallen, meine Mutter zu fragen, ob Papi ein guter<br />

Liebhaber gewesen wäre! Und hätte meine Mutter eine<br />

diesbezügliche Andeutung gemacht, hätte ich sie nicht<br />

hören wollen.<br />

Demgegenüber waren Sex-Themen zwischen mir<br />

und meinen besten Freundinnen durchaus ein beliebter<br />

Gesprächsstoff.<br />

Ich denke heute, dass es zwischen Eltern und Kindern<br />

eine wohl genetisch angelegte Schranke gibt, die<br />

man als eine natürliche Scham bezeichnen könnte.<br />

Mein Mann und ich würden unsere Töchter auch<br />

heute niemals fragen, wie ihre Partner denn so im Bett<br />

seien … Nicht, dass es mich nicht interessieren würde,<br />

aber das Mutter-Kind- genauso wie das Vater-Kind-<br />

Verhältnis verbietet diese und ähnliche Fragen einfach.<br />

Und dies, obschon wir im Gegensatz zu meiner Jugendzeit<br />

in einer Welt leben, die sich nun wirklich nicht<br />

durch Tabus auszeichnet. Die Medien thematisieren<br />

nicht nur Intimes, Sexuelles öffentlich in Wort und Bild.<br />

Wer will, kann sich heutzutage nicht nur im Internet an<br />

jeder nur denkbaren sexuellen Perversion erfreuen. Und<br />

nun kommt also meine Mutter daher und erzählt meinen<br />

Töchtern von ihren ersten Liebeserfahrungen!<br />

Wie komme ich darauf, Ihnen das zu erzählen?<br />

Dieser Tage – wir sind mit einer Tochter und ihrem<br />

kleinen Sohn zusammen in den Ferien – beobachte ich,<br />

wie innig das Verhältnis unseres kleinen Enkels zu seinem<br />

Opa ist. Der zweijährige kleine Mann macht jede<br />

Faxe, ja jede Körperbewegung nach. Verschränkt mein<br />

Mann bei Tisch seine Arme, tut es der Kleine auch. Die<br />

beiden kommunizieren mit einer Leichtigkeit miteinander,<br />

als ob unser Enkel schon fliessend sprechen<br />

könnte. Mein Mann scheint den gutturalen Redeschwall<br />

bestens zu verstehen …<br />

Ich kann mich nicht erinnern, dass wir dem Brabbeln<br />

unserer eigenen Kinder je eine solche Aufmerksamkeit<br />

geschenkt hätten. Bei unseren Enkeln ist das ganz<br />

anders.<br />

Meine Tochter meint, Grosseltern hätten zu den<br />

Enkeln in einem gewissen Sinn eine viel grössere Nähe<br />

als zu den eigenen Kindern. Es gäbe, was dieses Thema<br />

angeht, immer eine Art Generationensprung. Wirklich?<br />

Werden mein Mann und ich unseren Enkelkindern<br />

eines Tages auch unsere Liebesgeschichten aus den 70er-<br />

Jahren erzählen?<br />

STIFTUNG ELTERNSEIN<br />

«Eltern werden ist nicht schwer,<br />

Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch<br />

Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten,<br />

Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein<br />

an. Sie richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern<br />

und Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen<br />

Eltern, Kindern, Lehrern und die Vernetzung der elternund<br />

erziehungsrelevanten Organisationen in der<br />

deutschs prachigen Schweiz. Die Stiftung Elternsein<br />

gibt das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus.<br />

www.elternsein.ch<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>47


Kolumne<br />

Kein Sommerhaus,<br />

später<br />

Mikael Krogerus<br />

ist Autor und Journalist.<br />

Der Finne ist Vater einer Tochter und eines<br />

Sohnes, lebt in Biel und schreibt regelmässig<br />

für das Schweizer ElternMagazin<br />

Fritz+Fränzi und andere Schweizer Medien.<br />

Vor vielen Jahren las ich eine Geschichte über den<br />

tragischen Umstand, «kein Sommerhaus<br />

zu besitzen». Ich verstand beim besten Willen<br />

nicht, was der Autor oder die Autorin zu so<br />

einem Text bewogen hatte. Ich war jung. Ich<br />

hatte keine Ahnung. Heute, 15 Jahre und zwei Kinder später,<br />

weiss ich, was gemeint war. Denn auch ich habe kein<br />

Sommerhaus. Das Sommerhaus, das ich nicht besitze, liegt nicht<br />

in meinem Heimatland Finnland. Vom windschiefen, fast<br />

hundert Jahre alten Haus führt kein steiler Weg hinunter zum<br />

See. Und unten angekommen, versteckt hinter einer kleinen<br />

Klippe, findet man nicht die alte Sauna, die mein Vater damals<br />

im Sommer 1984 nicht renovierte und in der es nicht so<br />

wunderbar nach Teerholz riecht. In der dunklen Hitze sass ich<br />

nie als Kind auf dem Boden und lauschte meinem Onkel, wie<br />

er jedes Mal den gleichen Witz machte, wenn die Hitzewelle<br />

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />

Bild: ZVG<br />

Jetzt<br />

gewinnen!<br />

Fritz+Fränzi verlost …<br />

Mai-Verlosung<br />

Neue, kreative Sprachcamps von fRilingue zum<br />

10-jährigen Jubiläum<br />

fRilingue organisiert Sprachcamps (F, E, D) im Frühling, Sommer und Herbst<br />

in der Schweiz und weltweit. Unterricht in 6er-Gruppen, Vollpension, Ausflüge,<br />

Spass und Action inklusive!<br />

CAMP 1: ArtCamp in Plasselb / 11–17 Jahre, 23. 7. – 5. 8. <strong>2017</strong>, 2 Wochen ab Fr. 1250.–<br />

Sprachferien in den Bergen mit genialen Kunstworkshops. Wir werfen Theorie<br />

und Praxis in einen grossen Topf und malen dann ein buntes Bild daraus.<br />

Französisch oder Englisch mal ganz anders ERLEBEN!<br />

CAMP 2: Theater&Video-Camp in St. Imier / 13–17 Jahre, 16. 7. – 5. 8. <strong>2017</strong>,<br />

2 Wochen ab Fr. 1250.–<br />

Kreative Explosion der Fantasie im Berner Jura. Unser brandheisses Sommer-<br />

Sprachcamp – Französisch und Englisch aktiv anwenden in spannenden<br />

Theater- und Videoprojekten u. a. mit Künstlern aus Paris.<br />

(Es wird pro Camp jeweils 1 Woche an 1 Person verlost)<br />

Mehr Infos: www.frilingue.ch<br />

Wettbewerbsteilnahme auf www.fritzundfraenzi.ch/verlosung<br />

Teilnahmeschluss: 12. Juni <strong>2017</strong>. Teilnahme per SMS: Stichwort FF CAMP1, FF CAMP2<br />

an 959 senden (30 Rp./SMS)


vom ersten Aufguss mein Gesicht traf wie eine glühende<br />

Peitsche: «Das hier, Kinder, ist besser als Sex.» Die Sauna<br />

hat auch keine Veranda mit kleiner Holzbank, auf der ich<br />

heute so gern nach dem Abkühlen sitze, die Füsse aufs<br />

Geländer gestützt, ein Bier in der Hand und den Blick aufs<br />

andere Seeufer gerichtet.<br />

Ich habe hier nicht jeden Sommer mit meinen Cousinen<br />

hinter dem Haus Himbeeren gepflückt (einmal zwei Liter<br />

in eineinhalb Stunden!), wir waren nie den ganzen Tag<br />

schwimmen und lagen nie auf den Felsen an der Sonne, um<br />

uns zu wärmen. Und nie sind wir mit dem alten Kahn rüber<br />

zur unbewohnten Insel gerudert, um dort Eierschwämmli<br />

zu sammeln und später dabei zuzuschauen, wie unsere<br />

Mutter sie mit Butter in der Pfanne briet. Abends sassen wir<br />

Kinder nie vor dem knisternden Kaminfeuer, das wir – das<br />

war eine eiserne Regel! – immer nur mit einem Streichholz<br />

und ohne Papier entfachen durften. Und nie weckte<br />

mich mein Vater in der Nacht des ersten Mittwochs im<br />

August, wenn die Krebssaison beginnt, um im Dunkeln, nur<br />

mit Taschenlampen bewaffnet, am Ufer die urtümlichen<br />

Tierchen zu jagen.<br />

Das Haus hat vieles nicht erlebt. Nicht den grossen Sturm<br />

von 1967 und nicht den Eiswinter von 1981, als unser Nachbar<br />

in seinem Haus erfror. Es hat auch nicht die Verbreiterung<br />

der Strasse, den Streit mit den neuen Nachbarn und auch nicht<br />

das Ausheben der grossen Kiesgrube erlebt.<br />

Und jetzt, da ich eigene Kinder habe, komme ich nicht jeden<br />

Sommer mit meiner Familie hierher. Ich werde meinen<br />

Kindern also nie vermitteln können, was ich selber nie erlebt<br />

habe: Ich werde ihnen nie zeigen, wie man einen frisch<br />

gefangenen Fisch ausnimmt, nicht, wie man sich im Wald ohne<br />

Kompass orientiert, und auch nicht, wo der Felsen liegt, auf<br />

dem ich damals in jener Julinacht nicht die Freundin meiner<br />

Cousine küsste.<br />

Jetzt beginnt bald ein neuer Sommer. Und ich freue mich<br />

schon, mein nicht-existierendes Sommerhaus aus seinem<br />

Winterschlaf zu wecken. Vor neun Monaten hatte ich die<br />

Läden nicht verschlossen, das Ruderboot nicht an Land<br />

gezogen und den Schlüssel nicht unter die Treppe gelegt, und<br />

von genau dort werde ich ihn bald wieder nicht hervorfischen,<br />

um einen neuen Sommer zu begrüssen.<br />

Ach, wenn doch jeder so ein Sommerhaus hätte, wie ich es<br />

nicht habe.<br />

Praktische Ausbildung<br />

Seniorenbetreuung<br />

AbsolventInnen arbeiten in Alters- und Pflegeheimen oder<br />

bei der Spitex. Sie übernehmen einfache Aufgaben in der<br />

Seniorenbetreuung und den hauswirtschaftlichen Tätigkeiten.<br />

Das Ausbildungsangebot richtet sich an junge Frauen und<br />

Männer mit einer Lernschwäche oder einer leichten geistigen<br />

und/oder psychischen Beeinträchtigung.<br />

Praktische Ausbildung<br />

Seniorenbetreuung<br />

Infos unter www.ibk-berufsbildung.ch<br />

Weitere Informationen unter www.ibk-berufsbildung.ch<br />

ORDNUNG FÜR KICKBOARDS<br />

Sexualität & Liebe. Die heilsame<br />

und heilige Dimension der körperlichen Liebe,<br />

9. – 10. September<br />

Weiterkommen. Als Paar. Zeit zu zweit –<br />

Impulse – neue Erfahrungen, 23. – 24. September<br />

Informationen und weitere Kurse: www.klosterkappel.ch<br />

Kloster Kappel, 8926 Kappel am Albis, Tel. 044 764 88 30<br />

KINDERLEICHTE MONTAGE<br />

WWW.KLICKBOARD.CH


Digital & Medial<br />

CYBERMOBBING<br />

Wenn Jugendliche<br />

im Internet hassen<br />

Beschimpft, ausgeschlossen, ausgelacht: Mobbing ist für jedes Kind, für jeden<br />

Jugendlichen ein Trauma – besonders wenn es online und in den sozialen<br />

Netzwerken stattfindet. Dort entfaltet Mobbing eine neue Dimension:<br />

Psychoterror, der Kinder in den Suizid treiben kann. Prävention und<br />

ein frühes Eingreifen sind entscheidend. Text: Irena Ristic<br />

Der Satz im Whats-<br />

App-Gruppenchat<br />

tut beim Lesen weh:<br />

«Ach leg dich einfach<br />

untern Zug,<br />

hilfst uns allen damit», schreibt<br />

Luca seinem Mitschüler Marius.<br />

«Da würde er sich selber und der<br />

Welt einen Gefallen tun», doppelt<br />

Luca nach. «Von der Brücke springen<br />

wär auch ok. Aber dafür hat der<br />

auch nicht die Eier».<br />

Der Grund für diese Hetze ist<br />

banal. Offenbar hat sich Marius zu<br />

oft im Unterricht gemeldet. Der Satz<br />

hat nur ein Ziel: Marius fertigzumachen.«Wie<br />

beim Mobbing im<br />

Klassenzimmer oder auf dem Schulhof<br />

besteht das Ziel der Cybermobber<br />

darin, ihr Opfer über einen längeren<br />

Zeitraum hinweg zu zerstören»,<br />

sagt Cybermobbing-Expertin<br />

Catarina Katzer. Sie ist eine der<br />

führenden Forscherinnen auf dem<br />

Gebiet der Cyberpsychologie.<br />

Cybermobbing gehört zu den am<br />

meisten diskutierten Themen in den<br />

Medien. Weil es keine allgemeingültige<br />

Definition von Cybermobbing<br />

gibt, variieren die Angaben über die<br />

Zahl der Betroffenen stark.<br />

Die aktuellsten Zahlen liefert die<br />

JAMES-Studie von 2016, die sich<br />

seit vielen Jahren mit dem Medienumgang<br />

von Schweizer Jugendlichen<br />

beschäftigt. «Ist es schon vorgekommen,<br />

dass über dich Falsches<br />

oder Beleidigendes im Internet verbreitet<br />

wurde?», wollten die Macher<br />

der Schweizer Studie im letz- >>><br />

Cybermobbing hat nur ein<br />

Ziel: Das Opfer soll<br />

leiden – bis zur psychischen<br />

Zerstörung.<br />

Bild:iStockphoto<br />

50


Auszug eines realen Chatverlaufs<br />

Luca<br />

Marius wieder voll am schleimen…was<br />

der heute wieder<br />

in englisch gebracht hat..<br />

Sandro<br />

wie er der Berger in Arsch<br />

kriecht – macht mich so<br />

aggro der Pisser<br />

Luca<br />

word! Ich füg den Spast mal<br />

hinzu LOL<br />

Marius wurde von Noah<br />

zum Chat hinzugefügt<br />

Darf man sich jetzt im<br />

Unterricht nicht mehr<br />

melden oder was???<br />

Luca<br />

ach komm leg dich einfach<br />

untern zug hilfst uns allen<br />

damit<br />

Sandro<br />

da würd er sich selber und<br />

der Welt n gefallen tun<br />

Luca<br />

Von der brücke springen wär<br />

auch ok…aber dafür hat der<br />

auch nicht die Eier…<br />

Sandro<br />

man könnt ihm ein bisschen<br />

nachhelfen ^^ hey Marius<br />

meld dich wenn du n schubs<br />

brauchst<br />

Leo<br />

RIP man – ich tröst dann<br />

die schwest<br />

Luca<br />

haha kannst vergessen alter<br />

die is auch froh wenn der<br />

weg is…<br />

LOL<br />

RIP<br />

Laughing Out Loud (zum todlachen)<br />

Rest in Peace (Ruhe in Frieden)


Digital & Medial<br />

>>> ten Jahr von Jugendlichen<br />

Ob online oder offline –<br />

Täter suchen Anerkennung.<br />

Aber auch Spass und<br />

Langeweile sind Motive.<br />

zwischen 12 und 19 Jahren wissen.<br />

Und: «Ist es schon vorgekommen,<br />

dass Dich jemand im Internet fertigmachen<br />

wollte?» Laut Gregor Waller,<br />

Projektleiter der JAMES-Studie,<br />

haben 24 Prozent eine der beiden<br />

Fragen mit Ja beantwortet. Das be -<br />

deutet: Jeder vierte Jugendliche in<br />

der Schweiz wurde schon Opfer von<br />

Cybermobbing.<br />

Macht spielt eine grosse Rolle<br />

Wie beim «klassischen» Mobbing<br />

sind mehrere Personen oder Gruppen<br />

am Cybermobbing beteiligt, die<br />

sich aus den Tätern, dem Opfer und<br />

den Bystandern (den Zuschauern,<br />

Duldern) zusammensetzen.<br />

Die Auslöser für den gruppendynamischen<br />

Prozess Mobbing sind<br />

vielfältig: «Aus einer harmlosen,<br />

online geposteten Neckerei kann<br />

sich eine Hassposting-Lawine entwickeln,<br />

die gar nicht im Sinne des<br />

Absenders war», sagt Medienwissenschaftler<br />

Martin Hermida. Die<br />

Motivation der Mobber ist jedoch<br />

oft dieselbe: «Ob online oder offline<br />

– Täter wollen Anerkennung», sagt<br />

Catarina Katzer. Auch Spass und<br />

Langeweile seien häufige Motive für<br />

Cybermobbing.<br />

Cybermobbing hört im Gegensatz<br />

zum klassischen Mobbing nie auf<br />

Mobbing und Cybermobbing laufen<br />

meist parallel. Trotzdem unterscheidet<br />

sich Cybermobbing in vier Punkten<br />

vom klassischen Mobbing:<br />

• Der Anonymitätsgrad bei Cy -<br />

bermobbing ist sehr hoch. Das<br />

Opfer sieht den oder die Täter<br />

nicht – was sein Ohnmachtsgefühl<br />

verstärkt.<br />

• Das Publikum kann von überall<br />

zusehen.<br />

• Cybermobbing verschwindet<br />

nicht. Videos, Fotos, Hasspostings<br />

können nie ganz gelöscht werden.<br />

• Cybermobbing-Opfer haben keinen<br />

Schutzraum. Jugendliche sind<br />

heute fast rund um die Uhr online.<br />

Die Täter kommen über das<br />

Smartphone und den PC bis ins<br />

Kinderzimmer.<br />

Dass viele Jugendliche ihren Selbstwert<br />

an ihr Image in sozialen Netzwerken<br />

koppeln, erhöht den Psychoterror,<br />

der von Cybermobbing<br />

ausgeht.<br />

Mobbing zerstört das soziale<br />

Leben eines Jugendlichen Stück für<br />

Stück: Was mit Selbstzweifeln und<br />

Schlaflosigkeit beginnt, kann sich<br />

schnell zur Isolation und Depression<br />

entwicklen.<br />

Bei manchen Jugendlichen ist die<br />

Verzweiflung so gross, dass sie nicht<br />

mehr leben wollen. Der Suizid der<br />

15-jährigen Kanadierin Amanda<br />

Todd ist ein tragischer Fall von vielen.<br />

Das Mädchen nahm sich das<br />

Leben, nachdem es wegen eines im<br />

Netz verbreiteten Nacktfotos über<br />

Monate hinweg online gemobbt<br />

worden war.<br />

Mädchen machen sich angreifbarer<br />

Gerade das Sexting, der Austausch<br />

von erotischen Bildern, gibt Cybermobbern<br />

eine gefährliche Waffe in<br />

die Hand. Eine Tatsache, >>><br />

52 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Original-SMS zum Thema Cybermobbing<br />

aus der Pro Juventute Beratung und Hilfe 147<br />

Hallo. Ich ha ä Kollegin, wo emä Typ es<br />

Föteli in Unterwösch gschickt hett, wo sie<br />

sehr gärn gha und ihm vertrout hett, är hett<br />

sie nach somene Föteli gfrogt. Är hetts denn<br />

in ä Gruppechat gschtellt, und die heis an<br />

fascht alli vo dr Schuel witer gschickt. Sie<br />

hett jetz Angscht, dass alli lache und sie<br />

Schlampe nennä. Ich mach mir grossi Sorge<br />

um sie. Was cha sie no mache?<br />

147-Beraterin<br />

Cybermobbing-Glossar<br />

Sexting, Grooming oder Happy Slapping –<br />

Gefahren, die Eltern kennen sollten.<br />

• Cyberstalking<br />

Auch Online-Stalking, also die Belästigung und/<br />

oder Verfolgung durch eine Person, etwa durch<br />

den Expartner.<br />

• Sexting/Revenge Porn (Racheporno)<br />

Austausch von erotischen Bildern oder<br />

Sexvideos in einer Beziehung – oft auch als<br />

Liebesbeweis eingefordert. Nach der Trennung<br />

werden sie aus Rache oder Wut online<br />

verbreitet.<br />

• Outing<br />

Werden Geheimnisse einer Person böswillig<br />

online veröffentlicht, ist man «geoutet».<br />

• Happy Slapping (fröhliches Schlagen)<br />

Gewalttätige Übergriffe, von Ohrfeigen bis hin<br />

zu schwerer (sexueller) Nötigung, werden auf<br />

Video aufgezeichnet. Der Clip wird ins Internet<br />

gestellt mit dem Ziel, das Opfer erneut zu<br />

demütigen.<br />

• Cybergrooming (Anbahnen, Vorbereiten)<br />

Gezieltes Ansprechen Minderjähriger über das<br />

Internet mit dem Ziel, sexuelle Kontakte anzubahnen.<br />

Dabei werden Kinder und Jugendliche<br />

belästigt und zum Versenden von Nacktaufnahmen<br />

oder Treffen aufgefordert.<br />

Hallo. Verständlich, dass du dir Sorgen um<br />

deine Kollegin machst. Was dieser Typ<br />

gemacht hat, ist Cybermobbing und ist<br />

nicht in Ordnung. Ehrverletzende Fotos<br />

herumzuschicken, ist strafbar, und deine<br />

Kollegin könnte ihn anzeigen. Dafür braucht<br />

die Polizei allerdings Beweise wie Bilder<br />

oder Kommentare. Deshalb solltet ihr zuerst<br />

alles speichern, was ihr bekommen habt.<br />

Dann kann deine Kollegin Kontakt mit dem<br />

Typ aufnehmen und ihm sagen, dass sie<br />

ihn anzeigt, wenn er nicht sofort das Bild<br />

von ihr löscht und alle, denen er das Bild<br />

geschickt hat, dazu auffordert, es auch zu<br />

löschen. Welche erwachsene Person könnte<br />

sie ausserdem unterstützen? Nachdem<br />

viele von eurer Schule beteiligt sind, wären<br />

die Schulsozial arbeiterin und euer Lehrer<br />

wichtige Personen. Unabhängig von deiner<br />

Freundin sollte die Schule zeigen, dass<br />

Mobbing und Cybermobbing fies sind und<br />

in eurer Schule gar nicht gehen. Kann sie<br />

hingehen oder magst du für sie dorthin gehen?<br />

Und nicht zuletzt ist es gut, wenn deine<br />

Kollegin jetzt so viel wie möglich mit Menschen<br />

zusammen ist, die sie gern haben und<br />

sie schätzen. Kolleginnen wie du. – Hilft das?<br />

Sonst kannst du gerne nochmal schreiben.<br />

Dein 147.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>53


deren sich viele Teenager<br />

nicht bewusst sind, wenn sie auf<br />

«Send» drücken. «Viele Mädchen,<br />

die zu unseren Workshops kommen,<br />

sind ganz verstört, wenn sie erfahren,<br />

dass es den Jungs nicht, wie<br />

behauptet, um einen Liebesbeweis<br />

geht», sagt Katzer.<br />

Davor sind auch Jungs nicht<br />

gefeit: «Ein aufgelöster Junge rief an.<br />

Er hatte sich dazu hinreissen lassen,<br />

sich vor der Webcam auszuziehen»,<br />

sagt Friederike Adrian, Beraterin bei<br />

der Kinder- und Jugendanlaufstelle<br />

147 von Pro Juventute. «Er hatte mit<br />

einem Mädchen geflirtet, das ihn zu<br />

diesem Spiel animiert hatte, und<br />

nun befürchtete er, dass Bilder oder<br />

ein Video gemacht wurden.»<br />

Auch sonst exponieren sich<br />

Cybermobbing-Opfer online oft zu<br />

sehr. Welche Ausmasse dies annehmen<br />

kann, zeigt das Youtube-Phänomen<br />

«Pretty or Ugly» (dt. «hübsch<br />

oder hässlich»). Dabei erzählen<br />

junge Mädchen von Mobbing und<br />

Hänseleien wegen ihres Aussehens,<br />

um dann mit einem scheuen Lächeln<br />

und unsicherer Stimme in die<br />

Kamera zu fragen: «Bin ich hübsch<br />

oder wirklich hässlich?» Sie möchten<br />

«ehrlich gemeinte» Bewertungen<br />

von Wildfremden aus dem World<br />

Wide Web in der Hoffnung, ihre von<br />

Unsicherheiten geplagte junge Seele<br />

aufzupäppeln. Es braucht nicht viel<br />

Fantasie, um sich auszumalen, wie<br />

de struktiv «ehrlich gemeinte» On -<br />

line-Kommentare für das verletzliche<br />

Selbstbewusstsein dieser Mädchen<br />

sein können.<br />

Mobbing mit strafrechtlichen<br />

Mitteln bekämpfen<br />

Über eine Tatsache müssen sich alle<br />

Online-Hetzer allerdings im Klaren<br />

sein: Angriffe, Beschimpfungen und<br />

Bedrohungen in der virtuellen Welt<br />

sind keine Kavaliersdelikte und können<br />

strafrechtlich verfolgt werden.<br />

In der Schweiz beginnt die Strafmündigkeit<br />

mit zehn Jahren im Vergleich<br />

zu anderen europäischen<br />

Ländern schon sehr früh.<br />

Zwar existiert hier, anders als in<br />

Österreich, kein Gesetzesartikel zu<br />

Cybermobbing, «trotzdem kann<br />

Cybermobbing in Tatbestände wie<br />

zum Beispiel Nötigung, Drohung,<br />

Ehrverletzung, Beschimpfung oder<br />

üble Nachrede aufgeschlüsselt werden»,<br />

sagt Martin Niederer, stellvertretender<br />

Leiter des Jugenddienstes<br />

der Stadtpolizei Zürich.<br />

Auch die Eltern der Täter sind oft<br />

ahnungslos<br />

Hören die Angriffe nicht auf, ist eine<br />

Anzeige oft das letzte Mittel: Bevor<br />

es aber so weit kommt, versuchen<br />

die Ermittler, Jugendlichen aufzuzeigen,<br />

was ihr Online-Verhalten<br />

alles nach sich ziehen kann. Dabei<br />

gehen die Polizisten in Schulkassen<br />

oder laden einzelne Jugendliche zu<br />

einem Gespräch auf den Polizeiposten<br />

vor. «Die meisten wissen durchaus,<br />

dass das, was sie da tun, ‹irgendwie<br />

nicht ganz okay ist›», erklärt<br />

Martin Niederer.<br />

Opfern von Cybermobbing rät er,<br />

auf gar keinen Fall Beweise zu<br />

löschen (siehe Tipps, Seite 57) und<br />

sich an ihre Eltern oder an eine<br />

andere Vertrauensperson zu wenden.<br />

Nicht nur die Eltern von<br />

Cybermobbing-Opfern fallen aus<br />

allen Wolken, wenn sie davon erfahren<br />

– auch die der Täter.<br />

Was können Mütter und Väter<br />

tun, wenn ihr Kind andere im Internet<br />

mobbt? «Sie müssen herausfinden,<br />

was hinter den Cyber attacken<br />

steckt, ob Probleme, Ängste, auch<br />

Gruppendruck oder eigene >>><br />

Wer sich im Netz besonders<br />

offen zeigt, macht sich<br />

auch angreifbar.<br />

Tipps für Eltern zur Prävention<br />

Bringen Sie Ihrem Kind bei …<br />

• … keine persönlichen Kontaktdaten im Internet<br />

preiszugeben sowie Fotos und Videos nur<br />

sehr zurückhaltend zu veröffentlichen. Passwörter<br />

sollten nicht geteilt werden: Oft sind es<br />

gerade ehemalige beste Freunde, die später zu<br />

Mobbern werden. Auch persönliche Angelegenheiten<br />

oder Differenzen zwischen Freundinnen<br />

und Freunden sollten lieber offline und unter<br />

vier Augen besprochen werden.<br />

• ... dass Sexting das Risiko von Cybermobbing<br />

erhöht. Ein als Liebesbeweis geschicktes<br />

Nacktfoto kann nach einer Trennung aus Rache<br />

für Mobbingzwecke eingesetzt werden.<br />

54 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Digital & Medial<br />

Ich erzähle<br />

«Sie war gekränkt, dass ich mit<br />

ihrem Ex zusammenkam»<br />

Die 19-jährige Chiara aus Lausanne* erzählt von der schlimmsten Zeit ihres<br />

Lebens: Vor zwei Jahren wurde sie von ihrer damals besten Freundin online<br />

gemobbt – aus Eifersucht. Aufgezeichnet von Irena Ristic<br />

«Der Start an der neuen Schule war gar nicht so schlimm,<br />

wie befürchtet. Meine Familie war erst vor Kurzem nach<br />

Lausanne gezogen, wo mein Vater einen neuen Job<br />

antrat. Die neuen Schulkollegen nahmen mich total nett<br />

auf. Denise* wurde ziemlich schnell meine neue beste<br />

Freundin, sie war so cool und lustig. Ihr Vater kommt<br />

aus Zürich. Schweizerdeutsch wurde schnell unsere<br />

kleine Geheimsprache, die uns noch enger zusammenschweisste.<br />

Alles lief super. Der grosse Knall passierte, als<br />

ich mit ihrem Exfreund zusammenkam. Er trainierte im<br />

gleichen Basketballklub wie ich. Heute denke ich, dass es<br />

ein Fehler war, ihr nicht gleich davon zu erzählen.<br />

Aber ich fand es ja selbst ein bisschen komisch, dass<br />

er vorher mit Denise zusammen war. Auch wenn es schon<br />

über ein Jahr her war. Ich behielt also alles erst mal für<br />

mich. Doch jemand hatte uns offenbar gesehen und<br />

erzählte es Denise. Sie stellte mich sofort zur Rede – es<br />

endete in einem Megastreit. Ab dann herrschte Funkstille.<br />

Irgendwie dachte ich ja: Ich bin schuld<br />

Auch die Stimmung in der Klasse veränderte sich. Die Mitschüler<br />

ignorierten mich plötzlich. Egal, was ich fragte,<br />

keine Antwort. Dafür lachten und tuschelten sie, wenn<br />

sie mich sahen. Zuerst dachte ich, das geht vorbei. Meine<br />

Mutter bemerkte, dass ich mich zurückzog, und sprach<br />

mich darauf an. Doch ich schwieg. Irgendwie war ich ja, so<br />

dachte ich, auch schuld an der Situation.<br />

Mein Freund hielt zum Glück zu mir. Durch ein Mädchen<br />

aus der Parallelklasse erfuhr ich, was seit einigen Wochen<br />

hinter meinem Rücken ablief: Denise hatte eine WhatsApp-<br />

Gruppe gegründet, zusammen mit anderen Schülerinnen<br />

aus der Klasse. Sie hiess «Fick-Schlampe Chiara». Sie setzte<br />

das Gerücht in die Welt, ich hätte gewusst, dass sie noch in<br />

ihren Ex verliebt gewesen sei, und ihn ihr darum absichtlich<br />

weggeschnappt hätte. «Fotze» und «Nutte» gehörten noch<br />

zu den harmloseren Dingen, die sie über mich schrieben.<br />

Meine «Freundin» behauptete zudem, ich hätte auch mit<br />

anderen Jungs aus dem Basketballklub Sex gehabt – auch<br />

«von hinten».<br />

«Als Pornobilder auftauchten, brach ich zusammen»<br />

Als auf Facebook Pornobilder auftauchten mit Sexszenen,<br />

auf denen ein Frauenkörper zu sehen war, auf den mein Kopf<br />

montiert war, brach ich zusammen. Ich konnte nicht mehr<br />

aufhören, zu weinen. Das war alles so ekelhaft. Meine Gefühle<br />

und Gedanken waren ein Riesenchaos. Ich war wütend und<br />

verzweifelt. Und langsam begann ich selbst zu denken, dass<br />

ich eine «Schlampe» sei. Meine Eltern reagierten geschockt,<br />

als ich ihnen endlich berichtete, was los war. Sie schalteten<br />

sofort die Schulleitung ein. Es kam zu einer Klassenaussprache<br />

im Beisein einer Schulpsychologin. Danach wurde<br />

es ein bisschen ruhiger, die Online-Hetze hörte zum Glück<br />

auf. Doch ich blieb die Aussenseiterin. Es wurde erst besser,<br />

als ich ein paar Wochen später auf eine Privatschule wechseln<br />

konnte. Das alles ist jetzt über zwei Jahre her. Mit Denise habe<br />

ich nie mehr gesprochen. Das einzige Gute aus dieser Zeit:<br />

Mein Freund und ich sind immer noch zusammen.»<br />

* Namen und Orte wurden von der Redaktion abgeändert<br />

«Und plötzlich gab es Sexbilder<br />

von mir im Netz. Mein Kopf auf<br />

einem anderen Frauenkörper.<br />

Das war zu viel.»<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>55


Original-SMS zum Thema Cybermobbing<br />

aus der Pro Juventute Beratung und Hilfe 147<br />

Liebes 147. Ich werde es mit meiner BT nie<br />

mehr gut haben. Sie mobbt mich im Internet<br />

und ich mag selber nicht mehr ich wünsche<br />

mir vil das ich sterben kann weil es zimmlich<br />

schmerzt was sie dort veröffentlicht Ich habe<br />

ihr immer vertraut und heute ist sie so zu mir<br />

jaa es muss ein Ende haben und sie sagt<br />

auch viel ich soll mich selber umbringen was<br />

fileicht gahr keine schlechte Idee ist.<br />

147-Beraterin<br />

Hallo. Gut, dass du dich meldest. Dass deine<br />

Freundin dich im Netz mobbt, ist fies. Und<br />

ihre Aussage, dass du dich umbringen sollst,<br />

geht gar nicht. Jeder einzelne Mensch ist<br />

wertvoll. Schön, dass es dich gibt! Menschen,<br />

die daran denken, sich umzubringen,<br />

möchten oft nicht wirklich tot sein, sondern<br />

nicht mehr so weiterleben, wie es im Moment<br />

ist. Wir verstehen gut, dass du möchtest,<br />

dass das Mobbing ein Ende hat. Ganz<br />

wichtig ist, dass du dir noch mehr Unterstützung<br />

holst.<br />

Welcher erwachsenen Person vertraust du,<br />

so dass du dich an sie wenden könntest?<br />

Schreibst du es uns? Wir möchten gerne mit<br />

dir in Kontakt bleiben, bis du jemand hast.<br />

LG Dein 147.<br />

Eltern sollten<br />

Schuldzuweisungen<br />

vermeiden – auch<br />

wenn das oft schwerfällt.<br />

>>> Opfererlebnisse», sagt Sozialpsychologin<br />

Catarina Katzer. «Wichtig<br />

ist, klarzumachen, dass sie als<br />

Täter Verantwortung zeigen müssen.»<br />

Nicht nur in der Schule, auch im<br />

Elternhaus sollten Kinder für das<br />

Thema sensibilisiert werden – am<br />

besten, indem man immer wieder<br />

darüber spricht und nicht erst, wenn<br />

das Kind sich seltsam verhält.<br />

Auch Mitschüler und Freunde<br />

können eine wichtige Rolle bei der<br />

Prävention einnehmen und sogar<br />

dazu beitragen, Cybermobbing in<br />

seinen Anfängen zu stoppen. Wer<br />

bemerke, dass jemand online fertiggemacht<br />

wird, sollte eingreifen und<br />

andere Mitschüler mobilisieren, um<br />

nicht alleine dazustehen, rät Katzer.<br />

Nicht immer ist dies ein einfaches<br />

Unterfangen, der Gruppendruck ist<br />

gross. Trotzdem: Zivilcourage zeigen<br />

kann eine wichtige Lektion auf dem<br />

Lebensweg eines Jugendlichen sein.<br />

«Oft kann Cybermobbing vorgebeugt<br />

und Schlimmeres verhindert<br />

werden.»<br />

>>><br />

Seite 58: «Je härter und gemeiner, desto<br />

mehr Likes» – ein Interview mit der<br />

Cybermobbing-Expertin Catarina<br />

Katzer<br />

Irena Ristic<br />

ist Onlineredaktorin beim Schweizer<br />

ElternMagazin Fritz+Fränzi. Zu ihrer<br />

Schulzeit wurden Unstimmigkeiten noch<br />

oldschoolmässig auf dem Schulhof<br />

ausgetragen.<br />

56 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Digital & Medial<br />

Tipps für den Ernstfall<br />

• Hilfe holen<br />

Unterstützung und Trost durch Eltern,<br />

Lehrpersonen, Freunde oder andere<br />

Vertrauenspersonen sind im Ernstfall<br />

essenziell.<br />

• Keine Schuldzuweisungen<br />

Ahnen Eltern, dass ihr Kind im Internet<br />

gemobbt wird, sollten sie es darauf ansprechen.<br />

Im Ernstfall gilt: nicht überreagieren, keine<br />

Schuldzuweisungen, Ruhe bewahren und dem<br />

Kind versichern, dass Sie gemeinsam eine<br />

Lösung finden werden.<br />

• Nicht mit einem Handy- oder Internetverbot<br />

reagieren<br />

Das Internet und das Handy spielen für die<br />

Freizeit und für die Schule des Kindes eine<br />

grosse Rolle. Ein Verbot sendet ein falsches<br />

Signal.<br />

• Keine Reaktion auf Online-Attacken<br />

Die Täter leben von der Rückmeldung des<br />

Opfers. Auch wenn die Versuchung gross ist:<br />

nicht zurückpöbeln.<br />

• Beweise sichern<br />

Unterhaltungen, Nachrichten, Videos oder<br />

Bilder speichern – inklusive Screenshots.<br />

• Internetseitenbetreiber kontaktieren<br />

Eltern können Internetseitenbetreiber<br />

auffordern, Inhalte über ihr Kind zu löschen.<br />

• Schule einschalten<br />

Eltern sollten sich an die Schule wenden und<br />

im Idealfall über die Schule mit den Eltern des<br />

Mobbers oder der Mobber im Gespräch<br />

versuchen, eine Lösung zu finden.<br />

• Anzeige erstatten<br />

Wenn alles nichts hilft: Polizei einschalten.<br />

Beleidigungen, Erpressungen und Drohungen<br />

sind strafbar.<br />

Anzeige<br />

Wenn Worte weh tun<br />

Im Mai lanciert die Stiftung Elternsein,<br />

Herausgeberin des Schweizer ElternMagazins<br />

Fritz+Fränzi, eine Kampagne gegen Cybermobbing:<br />

Unter dem Slogan «Wenn Worte weh<br />

tun» macht die Stiftung auf die dramatischen<br />

Folgen von Cybermobbing aufmerksam und<br />

informiert die Öffentlichkeit zu den Themen<br />

Intervention und Prävention.<br />

Die Kampagne beinhaltet einen Film, Anzeigen<br />

(siehe Seite 65) und einen Radiospot. Ziel der<br />

Kampagne ist es, Kinder und Jugendliche dafür<br />

zu sensibilisieren, wie viel Leid sie mit einem<br />

abschätzigen Kommentar, einer beleidigenden<br />

Aussage oder einer schnell getippten Drohung<br />

anrichten können.<br />

www.elternsein.ch<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>


Digital & Medial<br />

«Je härter und gemeiner,<br />

desto mehr Likes»<br />

Warum wird Cybermobbing unter Jugendlichen so schnell zu Psychoterror? Sozialpsychologin<br />

Catarina Katzer kennt die Mechanismen. Im Interview erklärt sie ausserdem, wieso<br />

Medienkompetenz-Unterricht zu kurz greift und wie man Jugendlichen einen<br />

verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet vermittelt. Interview: Irena Ristic<br />

Frau Katzer, lässt sich Cybermobbing<br />

vom klassischen Mobbing trennen?<br />

Cybermobbing und traditionelles<br />

Mobbing, etwa auf dem Schulhof,<br />

laufen meist parallel. Die Forschung<br />

zeigt: Ein Drittel der Täter war selbst<br />

Mobbingopfer. Das Internet ermöglicht<br />

ihnen, sich zu «wehren».<br />

Sie scheinen aber kein Verständnis für<br />

das Leiden der Opfer zu haben …<br />

Das ist so. Die digitale Empathie ist<br />

nicht da. Um jemanden ins Klo zu<br />

tauchen, muss immer noch eine psychologische<br />

Schwelle überwunden<br />

werden. Online fällt das weg. Das<br />

Handeln im Netz schafft eine Distanz<br />

zu Opfern, weil man ihnen nicht in<br />

die Augen schaut. Man sieht nicht,<br />

wenn sie weinen oder sich am Boden<br />

liegend vor Schmerzen krümmen.<br />

Richtet Cybermobbing langfristig<br />

mehr Schaden an als Mobbing?<br />

Der Traumatisierungsgrad ist bei<br />

Cybermobbing viel höher. Früher<br />

existierte zu Hause ein Rückzugsort.<br />

Dort konnte man durchatmen. Heute<br />

tragen Täter wie Opfer ihr Smartphone<br />

ständig mit sich. Zudem hat<br />

Cybermobbing einen extrem hohen<br />

Öffentlichkeitsgrad, die ganze Welt<br />

kann zuschauen. Die allumfassende<br />

Präsenz des Internets und das Wissen,<br />

dass es unmöglich ist, alle Bilder,<br />

Texte und Videos zu löschen, sind<br />

eine Belastung.<br />

Was macht das mit den Betroffenen?<br />

Wir wissen aus der Forschung, dass<br />

Mobbing und Cybermobbing im<br />

Gehirn die gleichen Schmerzregionen<br />

aktivieren wie physische Schläge.<br />

Wir haben bei Cybermobbing<br />

viele Fälle, wo Fotos immer wieder<br />

auftauchen. Das heisst: Das Opfer<br />

erlebt diesen Schmerz immer wieder.<br />

Sind junge Menschen online wirklich<br />

so brutal? Oder sind das Einzelfälle?<br />

Die Online-Aggressivität hat klar<br />

zugenommen. Sie wird salonfähig.<br />

Aber das ist auch bei den Erwachsenen<br />

so. Heute sind 20 Prozent der<br />

Erwachsenen in Deutschland Opfer<br />

von Cybermobbing. Mobbing unter<br />

Arbeitskollegen findet längst nicht<br />

mehr nur im Büro statt. Ein Thema<br />

übrigens, über das viele Unternehmen<br />

nicht sprechen.<br />

Je grösser die Zahl der Fälle, desto<br />

kleiner die moralischen Bedenken?<br />

Absolut. Nach dem Motto: Wenn es<br />

die anderen machen, dann wird das<br />

schon seine Richtigkeit haben. Wir<br />

nennen das in der Cyberpsychologie:<br />

sich in der Masse an das Netz abgeben.<br />

Meinungen und Anschuldigungen,<br />

die online gepostet werden,<br />

vermischen sich zu neuen Inhalten<br />

und entwickeln ein Eigenleben. Auf<br />

dieses Verhalten folgt dann ein zweiter<br />

Schritt, den ich als dramatisch<br />

erachte: In diesem Prozess bilden<br />

sich neue Einstellungen, die ins reale<br />

Leben übertragen werden.<br />

Was können wir präventiv tun?<br />

Wir müssen die Online-Nutzung<br />

und alles, was dazugehört, in die<br />

Bildung hineintragen. Das Bewusstsein,<br />

dass vieles manipulierbar ist,<br />

wird gerade in der Schule nicht vermittelt.<br />

Wir brauchen intelligente<br />

Lernkonzepte, die über den aktuellen<br />

Begriff der Medienkompetenz<br />

hinausgehen, der aus meiner Sicht<br />

ohnehin zu kurz greift.<br />

Was meinen Sie damit konkret?<br />

Jugendliche müssen Antworten auf<br />

Fragen erhalten wie: Was passiert mit<br />

meinen Emotionen online? Oder:<br />

Wieso bin ich online anders als real?<br />

Gibt es ein typisches Mobberprofil bei<br />

Jugendlichen?<br />

Cybermobbing geht durch alle Bildungsschichten,<br />

die Unterschiede<br />

zwischen Gymnasium, Haupt- oder<br />

Berufsschule sind gering. Doch es<br />

gibt bestimmte Risikofaktoren: Die<br />

meisten Täter fühlen sich weniger<br />

kompetent in der Schule, häufig ist<br />

ihre Beziehung zu ihren Eltern negativ<br />

belastet.<br />

Sie haben im Vorgespräch erwähnt,<br />

dass der Belohnungseffekt beim Mobben<br />

eine grosse Rolle spielt. Was muss<br />

man sich darunter vorstellen?<br />

Das ist eine neue Entwicklung: Auffälliges<br />

Online-Verhalten, unabhängig<br />

davon, ob negativ oder positiv,<br />

wird mit einem «Like» belohnt. Je<br />

härter und gemeiner draufgehauen<br />

wird, desto mehr «Likes».<br />

Stichwort Sexismus: Über Mädchen<br />

und Frauen wird online härter<br />

geurteilt. Können Sie das bestätigen?<br />

Bei einer Online-Verurteilung wird<br />

klar zwischen Jungen und Mädchen<br />

58 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


unterschieden. Das Mädchen wird,<br />

wenn ein Bild auftaucht, auf dem es<br />

in leichter Bekleidung zu sehen ist,<br />

gleich als «Bitch» beschimpft. Und<br />

es heisst: «Die hat sich so fotografiert,<br />

sie ist selbst schuld.»<br />

Was erleben männliche Cybermobbing-Opfer<br />

tendenziell häufiger?<br />

Auch Jungs werden mit diffamierenden,<br />

peinlichen Nacktfotos oder<br />

durch Videomaterial mit sexuellem<br />

Inhalt im Internet blossgestellt. Aber<br />

oft ist es auch so, dass Jungs verprügelt<br />

werden, was gefilmt und<br />

anschliessend online gestellt wird.<br />

Dann feuert man sich gegenseitig an:<br />

Wer hat das brutalste Video?<br />

Mädchen böten durch ihr Online-Verhalten<br />

mehr Angriffsfläche, schreiben<br />

Sie in Ihrem Buch über Cybermobbing.<br />

Mädchen sind online tendenziell<br />

ehrlicher. Sie öffnen sich in sozialen<br />

Netzwerken, indem sie etwa auf<br />

Facebook oder in WhatsApp-Gruppenchats<br />

darüber reden, in wen sie<br />

verliebt sind oder dass sie abnehmen<br />

möchten. Dadurch werden sie an -<br />

greifbar.<br />

Was raten Sie Eltern, wenn sie feststellen,<br />

dass ihr Kind online gemobbt<br />

wird?<br />

Eltern müssen ihrem Kind klarmachen:<br />

Du kannst uns vertrauen, wir<br />

reagieren nicht über, du bist nicht<br />

schuld, wir finden eine Lösung.<br />

Wichtig ist, gemeinsam einen Plan<br />

zu entwickeln, den Internetanbieter<br />

zu informieren und die Schule einzubinden.<br />

Auch eine Expertenberatung<br />

kann hilfreich sein.<br />

Und wie sollen Mütter und Väter von<br />

Cybermobbern mit der Situation<br />

umgehen?<br />

Eltern müssen herausfinden, was<br />

hinter den Cyberattacken steckt, ob<br />

Probleme, Ängste, Gruppendruck<br />

oder eigene Opfererlebnisse. Wichtig<br />

ist, klarzumachen: Cybermobbing<br />

ist kein Kavaliersdelikt. Opfer brauchen<br />

Entschuldigungen und Hilfe.<br />

Täter müssen Verantwortung zeigen.<br />

Das ist oft schwer. Psychologischer<br />

Rat ist deshalb nie verkehrt.<br />

Zur Person<br />

Dr. Catarina Katzer ist Sozialpsychologin und gilt als<br />

führende Forscherin auf dem Gebiet der Cyberpsychologie.<br />

Als Expertin berät sie unter anderem den Europarat<br />

und den Deutschen Bundestag.<br />

Ihr Buch «Cyberpsychologie. Leben im Netz: Wie das<br />

Internet uns verändert» (dtv) erhielt den «getAbstract<br />

International Book Award» für das beste<br />

deutschsprachige Wirtschaftsbuch 2016. Ihr erstes<br />

Buch, «Cybermobbing. Wenn das Internet zur Waffe<br />

wird», ist im Verlag Springer Spektrum erschienen.<br />

ERLEB WAS. UND HILF DAMIT<br />

DEN KINDERN AUF DER WELT.<br />

Mit der spannenden Schnitzeljagd durch<br />

deine Stadt unterstützt du Hilfsprojekte.<br />

Mit freundlicher Unterstützung von<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>59


Digital & Medial<br />

Erst die Arbeit,<br />

dann das Handy<br />

Funktioniert Lernen mit Handy? Darüber<br />

streiten sich Eltern oft mit ihren Kindern.<br />

Wir haben Tipps zusammengetragen, wie<br />

Sie Ihr Kind dabei unterstützen, Lernzeit<br />

effizient zu nutzen. Text: Michael In Albon<br />

Bild:Swisscom<br />

Kennen Sie diese Situation?<br />

Ihr Kind setzt<br />

sich mit dem Handy<br />

an die Hausaufgaben<br />

und versichert Ihnen:<br />

«Ich lerne zusammen mit meinen<br />

Klassenkameraden.» Übersetzt<br />

heisst das: Hat Ihr Kind die ersten<br />

drei Sätze gelesen, beschwert es sich<br />

bei seinen Freunden über den Stoff.<br />

Daraus werden schnell 15 Minuten.<br />

Zurück bei den Hausaufgaben, muss<br />

Ihr Kind die gelesenen Sätze wiederholen,<br />

bevor es aufgrund der Menge<br />

verzweifelt, die noch vor ihm liegt<br />

– und alles beginnt von vorne.<br />

Allerdings ist Konzentration keine<br />

reine Willenssache. Kinder benötigen<br />

Kontrollmechanismen, um<br />

sich zu konzentrieren und nachzudenken.<br />

Die wichtigsten Mechanismen<br />

sind: Selbstkontrolle, Planung<br />

und Arbeitsgedächtnis. Sind diese<br />

Fähigkeiten gut entwickelt, fällt Lernen<br />

leicht. Damit sich diese Mechanismen<br />

aber entwickeln können,<br />

brauchen sie Training. Folgende<br />

Trainingstricks können helfen.<br />

Trick 1: Nur noch fünf Minuten<br />

Bricht die Konzentration Ihres Kindes<br />

immer wieder ab oder möchte<br />

es aus Gewohnheit echten oder eingebildeten<br />

Bedürfnissen nachgehen,<br />

antworten Sie: «Nur noch fünf<br />

Minuten!» Manchmal reichen fünf<br />

Minuten aus, und Ihr Kind taucht<br />

noch einmal ins Thema ein. Wenn<br />

nicht, hat Ihr Sohn oder Ihre Tochter<br />

sich immerhin noch einmal für fünf<br />

Minuten konzentriert.<br />

Trick 2: Planen<br />

Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, mit<br />

einer Planungsphase ins Lernen zu<br />

starten. So lernt Ihr Kind, sich auf<br />

das Wichtige zu konzentrieren.<br />

Dabei listet es die offenen Aufgaben<br />

einzeln auf und beurteilt sie nach<br />

Schwierigkeit oder Dauer. Womit Ihr<br />

Kind nun beginnt, ist individuell.<br />

Während sich die einen die schwierigste<br />

Aufgabe gleich zum Einstieg<br />

vornehmen, wärmen sich andere<br />

lieber mit ein, zwei Kleinigkeiten auf,<br />

bevor sie eine längere und intensivere<br />

Arbeitsphase starten. Scheint<br />

der Berg an Stoff unfassbar gross,<br />

hilft diese Methode, den Aufwand<br />

auf Häppchen zu verteilen.<br />

Trick 3: Offline gehen<br />

Das Offensichtlichste fällt oft nicht<br />

leicht: das Smartphone ausschalten,<br />

um den regelmässigen Blick darauf<br />

zu vermeiden. Ist dies keine Alternative,<br />

kann es auch der Flugmodus<br />

sein oder Offline-Apps. Damit lassen<br />

sich einzelne Anwendungen gezielt<br />

für einen selbst festgelegten Zeitraum<br />

blockieren. Ihr Kind kann das<br />

Handy so weiterhin zum systematischen<br />

Lernen nutzen. Studien belegen,<br />

dass schon die reine Anwesenheit<br />

des Smartphones ablenken kann<br />

– auch ohne Blinken oder Surren.<br />

Wenn es also anders nicht geht:<br />

Smartphone weg.<br />

Für die Konzentration sind auch<br />

Aktivitäten wie Yoga, autogenes<br />

Training oder Achtsamkeitsübungen<br />

hilfreich. Sie fördern die Selbstdisziplin<br />

und helfen bei der Entwicklung<br />

des Charakters. Und sie<br />

tun gut – nicht nur Kindern und<br />

Jugendlichen, sondern vielleicht<br />

auch den Eltern.<br />

Michael In Albon<br />

Michael In Albon ist Beauftragter<br />

Jugendmedienschutz und Experte<br />

Medienkompetenz von Swisscom.<br />

Auf Medienstark finden Sie Tipps und interaktive<br />

Lernmodule für den kompetenten Umgang mit<br />

digitalen Medien im Familienalltag.<br />

swisscom.ch/medienstark<br />

60 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Der rätselnde Gnom<br />

mit der Zauberflöte<br />

MAMA, auf dem Spielplatz gehört<br />

das HANDY in die TASCHE!<br />

Ist das dieser autoritäre Erziehungsstil?<br />

Frage für mich.<br />

Tweet von @DieBrina007<br />

Die Mammuts<br />

schlagen zurück<br />

Das hatten sich die kleinen Wilden anders vorgestellt: Das «Oberste<br />

Mammutgericht» hat gar nichts mit leckerem Steak zu tun, sondern es<br />

ist ein wahrhaft echtes Gericht. Mit Mammuts in Roben. Und die<br />

wollen die kleinen Wilden dafür zur Verantwortung ziehen, dass sie<br />

Mammuts jagen und verspeisen. Eingeschüchtert von den mächtigen<br />

Richtern, geloben die kleinen Wilden Besserung. Aber wie ändert man<br />

das Bild, das Mammuts von einem haben, wenn in ihre Köpfe keine<br />

neuen Erinnerungen mehr hineinpassen? Eine sehr witzige Geschichte<br />

voller Missverständnisse und Wirrungen für Kinder ab 8 Jahren,<br />

vorgelesen von Shakespeare-Schauspieler Peter Kaempfe.<br />

Jackie Niebisch: Die kleinen Wilden und das Oberste Mammutgericht.<br />

Jumbo Neue Medien, <strong>2017</strong>, 1 CD mit 50 Minuten, ca. 13 Franken.<br />

Bilder: ZVG<br />

Der kleine Gnom findet eine Zauberflöte, mit deren Kraft er<br />

seinen Kosmos bereist und das Universum von Monstern<br />

befreit. In neun Welten trifft er auf Käfer, Affen, Pilzsammler<br />

oder Mönche und muss Aufgaben lösen. Logische Rätsel<br />

oder (musikalische) Merkspiele sind nur ein Teil der vielen<br />

Abenteuer, die der Protagonist in «Samorost 3» bestreiten<br />

muss. Durch die Flöte, die an Objekten eingesetzt wird, wird<br />

die Geschichte erzählt, und durch Gedankenblasen erfährt<br />

man, was zu tun ist. Hin und wieder muss man Dinge<br />

einsammeln und sie an richtiger Stelle einsetzen. Durch<br />

Tippen und Ziehen werden Sachen bewegt. Kleine, geheime<br />

Gimmicks schalten sogenannte Errungenschaften frei. Die<br />

App bietet tagelangen Spielspass, realistische HD-Grafiken<br />

und einen aussergewöhnlichen Soundtrack. Sie ist zudem<br />

kinder sicher, sollte anfangs aber mit einem Elternteil<br />

gemeinsam gespielt werden, um das Prinzip zu verstehen.<br />

Kinder ab 10 Jahren werden schnell Spass mit dem putzigen<br />

weissen Gnom haben.<br />

«Samorost 3» kostet<br />

5 Franken im Apple- und<br />

im Android-App-Store.<br />

samorost3.net<br />

Diese Kritik wird veröffentlicht mit<br />

freundlicher Genehmigung von<br />

ene-mene-mobile.de, der Website<br />

für Kinder-App-Rezensionen von<br />

zwei Frauen aus Berlin.<br />

ar<br />

Fritz+Fränzi-App laden,<br />

starten, Seite scannen<br />

und Spielszenen aus<br />

Samorost 3 ansehen.<br />

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für Jugendliche<br />

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BERATUNG<br />

VEREINBAREN<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>


erinnern,<br />

Lehrer und<br />

Schüler sind<br />

der Schule bringt.<br />

Do sier<br />

Leserbriefe<br />

«Abend für Abend<br />

ist die Qual der Hausaufgaben<br />

das Thema»<br />

Nie mehr<br />

Hausaufgaben?<br />

Sie sorgen in vielen Familien regelmässig für Frust und Ärger:<br />

Hausaufgaben. Sind Hausaufgaben wirklich nötig? Warum schafft<br />

man sie nicht einfach ab? Und mit welchen Tricks geht das Lernen<br />

leichter? Eine Annäherung an ein hoch emotionales Thema.<br />

Text: Claudia Landolt Bilder: Désirée Good / 13 Photo<br />

Ein gefährliches Vorbild für Populisten<br />

Stiftung Elternsein<br />

«Ich bin für Hausaufgaben<br />

ganz anderer Art»<br />

uneins, wie viel<br />

das Bü feln nach<br />

10 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April <strong>2017</strong> 1<br />

E len Ringier über US-Präsident Donald Trump und die Folgen seiner Politik.<br />

Dr. E len Ringier präsidiert<br />

die Stiftung Elternsein.<br />

Sie ist Mutter zweier Töchter.<br />

Hä te ich Kinder im «erziehungsfähigen<br />

sichts mancher gro smundiger Wahlversprechen reich-<br />

Alter» (meine sind bald 24 und 26 Jahre<br />

alt), glauben Sie mir, ich hä te die grö ste<br />

lich antiquiert vor …<br />

Mühe, ihnen zu erklären, warum ein<br />

Mann, der nicht nur a le gängigen Regeln<br />

eines friedlichen Zusammenlebens mit<br />

gen auf Kosten von Minderheiten, wie Grenzschlie sungen,<br />

Feindbilder zum Abschu s freigeben. Blo s keine<br />

differenzierten Angebote, die der Gese lschaft etwas<br />

abverlangen könnten! Die Erziehungsmaxime, da s man<br />

etwas leisten mu s, um etwas zu bekommen («Es gibt<br />

nichts Gutes, au ser man tut es!»), kommt mir ange-<br />

(Dossier «Hausaufgaben», Heft 4/<strong>2017</strong>)<br />

Bedacht verletzt, sondern dem freien Handel,<br />

dem freien Personenverkehr eine<br />

Ende machen wi l, Präsident des mächtigsten<br />

Landes der Welt werden konnte!<br />

Unsere jungen Erwachsenen werden im angebrochenen<br />

Jahr in wichtigen, richtungsweisenden politischen<br />

Donald Trump hat Frauen, Behinderte,<br />

Mexikaner, Muslime und Journalisten beleidigt und ist<br />

Fragen zur Urne gerufen.Werden sie sich dann daran<br />

dennoch oder gerade deswegen Präsident der USA<br />

geworden! Nie im Leben hä te ich gedacht, dass er mit<br />

diesen Pauschalverunglimpfungen, mit dem Schüren<br />

• da s unser Wohlstand auf offenen Grenzen beruht und<br />

da s eine wachsende Wirtschaft auf freien Personenund<br />

Warenverkehr angewiesen ist,<br />

von Ängsten, mit der Emotionalisierung eines jeden<br />

Sachverhalts, mit reinem Populismus ungestraft davon-<br />

• da s unsere Vorfahren jahrhundertelang für die Freiheiten<br />

von heute gekämpft haben, da s Hektoliter von<br />

«Danke für die<br />

klaren Worte!»<br />

(«Ein gefährliches Vorbild<br />

für Populisten», Heft 2/<strong>2017</strong>)<br />

Sehr geehrte Frau Ringier<br />

Bild: Vera Hartma n / 13 Photo<br />

Blut junger Männer auf den Schlachtfeldern Europas<br />

vergossen wurden, um religiöse und politische Diktate<br />

zu beseitigen,<br />

• da s die multilateralen Verträge, mithin die garantierte<br />

Handels-, die Niederlassungsfreiheit unserem Kontinent<br />

mit einigen wenigen Ausnahmen immerhin 70<br />

kommen, geschweige denn gewählt würde!<br />

Jahre Frieden gebracht haben und vor allem<br />

Gewalt und in letzter Konsequenz gar zu Vernichtung<br />

feindlichkeit. Eine der beliebten politischen Forderun-<br />

führen kann?<br />

Haben wir Eltern, die wir eine Generation des ungebro-<br />

sind Ausländer aus dem Land auszuweisen. Damit lassen<br />

sich alle die Menschen mobilisieren, die – aus wel-<br />

wie sie unsere Eltern und Grosseltern kannten, vorbereitet?<br />

Oder wird die junge Generation, auf einen ungechen<br />

Gründen auch immer – um ihre Arbeit fürchten.<br />

chen der Populisten erliegen mü sen?<br />

«Grenze zu, Ausländer raus = Arbeitsplatzsicherung<br />

nen! «Wi lkürlich ausgewählte Feindbilder für aktue le<br />

und sorgt für politisch gewo lte Radikalisierungen. Die<br />

in einer Kolumne eines Freundes aus Öste reich.<br />

und es machen sich in zahlreichen Ländern Populisten<br />

ans Werk, die ihrem Volk mit radikal einfachen Lösun-<br />

Populistisch, so die Definition, ist eine Politik, die<br />

mit scheinbar einfachen Lösungen die Gunst der Bevölkerung<br />

zu gewinnen versucht. Dabei stützt sich der<br />

Populismus auf Re sentiments, häufig auf Fremden-<br />

gen von Populisten lautet: Um Arbeitslosigkeit abzuwehren,<br />

dürfen keine Ausländer mehr ins Land oder<br />

Dabei spielt es dem Populisten keine Ro le, da s die<br />

Wirtschaft ohne Ausländer zusammenbrechen würde …<br />

des Inländers!» Als ob es Globalisierung, Digitalisierung<br />

und andere Entwicklunge nicht gäbe, die für die<br />

Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden kön-<br />

Situationen und gese lschaftliche Probleme verantwortlich<br />

zu machen, verschafft ein ste lvertretendes Ventil<br />

Folgen sind Ha s, Gewalt und Vernichtung», so zu lesen<br />

In Europa stehen in diesem Jahr wichtige Wahlen an,<br />

• da s das Schüren von Emotionen und Angst, den<br />

schlechtesten Ratgebern überhaupt, zu Ha s und<br />

chenen Konsums sind, unsere Jugend auf härtere Zeiten,<br />

brochenen Konsum fixiert, zwangsweise den Verspre-<br />

STIFTUNG ELTERNSEIN<br />

«Eltern werden ist nicht schwer,<br />

Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch<br />

Oft fühlen sich Eltern a leingela sen in ihren Unsicherheiten,<br />

Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein an. Sie<br />

richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern und<br />

Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen Eltern,<br />

Kindern, Lehrern und die Vernetzung der eltern- und<br />

erziehungsrelevanten Organisationen in der deutschsprachigen<br />

Schweiz. Die Stiftung Elternsein gibt das Schweizer<br />

ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus. www.elternsein.ch<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Februar <strong>2017</strong> 49<br />

Ich möchte Ihnen für die klaren Worten danken, die Sie im<br />

Hinblick auf die Präsidentschaft von Trump und den damit<br />

in Zusammenhang stehenden Bewegungen in Europa<br />

geäussert haben. Sie haben mir damit aus der Seele<br />

gesprochen. Meine beiden Töchter sind 9 und 7 Jahre alt.<br />

Während die kleinere noch kein unmittelbares Interesse an<br />

Politik hegt, hat die grosse Tochter die Wahl in den USA<br />

bereits mittels Zeitungsberichten verfolgt. Ich kann mich<br />

noch sehr genau erinnern, als sie mich fragte, ob der gewählte<br />

Präsident nicht derjenige sei, der im Wahlkampf derartig<br />

menschenverachtende Äusserungen getätigt und gelogen<br />

habe. Das «Warum» der Wahl konnte ich ihr nicht erklären,<br />

da ich es selber nicht verstand. Ich habe zwar nie selber für<br />

unsere Freiheiten «gekämpft», aber dennoch «kämpfe» ich<br />

fast täglich, diese in den kleinen Dingen zu bewahren.<br />

Ihre Worte waren daher fast schon tröstlich, und ich hoffe,<br />

dass viele Personen diese verinnerlichen werden.<br />

Birgit Weil (per Mail)<br />

Ich bin 39 Jahre alt, Primarlehrerin und habe vier Kinder<br />

zwischen fünf und zehn Jahren. Meine Schullaufbahn verlief<br />

reibungslos; die Hausaufgaben waren schnell erledigt und<br />

Prüfungen im Eiltempo ins Kurzzeitgedächtnis gestopft.<br />

Ein klarer Fall von Hausaufgaben-Befürworterin also? Weit<br />

gefehlt! Hausaufgaben im klassischen Sinne sollten komplett<br />

gestrichen werden. Wir reden von Chancengleichheit,<br />

individuellem Lernen, Motivation, Freude. Doch wo bleibt das<br />

alles? Wieso kann ich es beim besten Willen nirgends sehen?<br />

Kann es sein, dass die Schwächsten zu Hause wieder am<br />

längsten an den Hausaufgaben sitzen? Dass Eltern wie Kinder<br />

organisatorisch wie auch inhaltlich oft überfordert sind? Dass<br />

Streit und Unruhe in die Familie kommen und das ganze<br />

Wochenende ruinieren? Dass die Freude an der Schule Jahr<br />

für Jahr schwindet? Das Leben birgt unendlich viel Spannendes,<br />

das zu entdecken sich lohnt. Wenn Platz für eigene<br />

Gedanken da ist und eine gute Atmosphäre zu Hause wie auch<br />

in der Schule herrscht, können Energien erst aufkommen und<br />

genutzt werden. Wie soll das gehen, wenn Abend für Abend die<br />

Qual der Hausaufgaben zum Thema wird?<br />

Ich befürworte Hausaufgaben ganz anderer Art. Die Eltern<br />

sorgen dafür, dass sie jeden Tag zehn Minuten intensiv mit<br />

ihrem Kind diskutieren, es ausreden lassen, ihm aktiv zuhören<br />

und es bei Anliegen unterstützen. Sie lassen ihm unverplante<br />

Zeitfenster, in denen es spielen darf, was es will. Die Kinder<br />

halten sich jeden Tag im Freien auf und schlafen genügend.<br />

Ämtli im Haushalt müssen täglich strikt gemacht werden.<br />

Wenn sich ein Kind für ein Thema interessiert, wird es dabei<br />

unterstützt. Auf diese Art und Weise fühlt sich das Kind ernst<br />

genommen und entwickelt Fähigkeiten ganz von alleine. So<br />

bleibt sogar Zeit fürs tägliche Lesen. Die ganze Familie sitzt<br />

bequem im Pyjama auf der Couch und liest, was immer sie will<br />

– und das alles ohne Druck. So wird Lesen nicht zu einer<br />

lästigen Hausaufgabe, sondern zur Kuschelzeit.<br />

Nicole Schlegel, Gossau SG (per Mail)<br />

62 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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«Wir passen alles nach unten an»<br />

Hausaufgaben sind sehr wichtig und gehören unter keinen<br />

Umständen abgeschafft. Mit einer allfälligen Abschaffung<br />

gehen wir wieder einmal in die falsche Richtung. Wir nehmen<br />

den Kindern die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, denn<br />

heute gehört es zum guten Ton, dass alles abgeschafft wird,<br />

um den Kleinen das Leben zu erleichtern. Ich glaube, es hat<br />

niemand von uns gerne Hausaufgaben gemacht, aber im<br />

Leben wird man immer wieder in Situationen kommen, dass<br />

man Sachen nicht gerne macht, aber einfach machen muss.<br />

Mit Hausaufgaben lernen die Kinder, nebst Ämtli (welche<br />

die Kinder hoffentlich zu Hause haben) ebenfalls die Verantwortung<br />

zu übernehmen. Dies ist genauso wichtig, wie den<br />

Schulweg alleine oder mit Gspändli zu bestreiten.<br />

Es sind die Hausaufgaben der Kinder und nicht der Eltern.<br />

Viele Eltern projizieren heute den Erfolg bzw. Misserfolg Ihrer<br />

Kinder als Ihr eigenes Versagen. Viele Eltern machen ja die<br />

Hausaufgaben für die Kinder, und das kann es nicht sein. Auch<br />

Tadel von der Lehrperson, wenn die Hausaufgaben nicht<br />

erledigt sind, schwächen ein Kind nicht, im Gegenteil, es lernt<br />

daraus und hat einen weiteren Schritt in der Entwicklung<br />

gemacht. Das Lob der Lehrperson stärkt ebenfalls, wenn ein<br />

Kind die Aufgaben prompt erledigt hat oder sogar noch mehr<br />

gemacht hat. Es sind Lernfelder, die auf keinen Fall abgeschafft<br />

gehören.<br />

Die Diskussionen, welche heute geführt werden, gehen<br />

immer in die gleiche Richtung. Möglichst alles abschaffen,<br />

dass es ja keine Belastung gibt für die Kinder und oft auch für<br />

die Eltern. Must have just fun … Aber das Leben und später<br />

das Berufsleben sind eben nicht nur Fun. Man muss auch mit<br />

Erfolgen und Misserfolgen umgehen können. Auch Hausaufgaben<br />

gehören zu diesen Übungsfeldern.<br />

Wir passen alles nach unten an, auch bei den Lernzielen<br />

usw. Bereits wird darüber diskutiert, wie man nach der Schule<br />

die Niveaus dem heutigen Stand anpasst, zum Beispiel bei<br />

Berufslehren oder beim Eignungstest fürs Militär. Wir müssen<br />

und dürfen den Kindern auch etwas zutrauen und nicht alle<br />

und alles in Watte packen.<br />

Sandra Allemann Kleinschmager, Stans (per Mail)<br />

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Mai <strong>2017</strong>63


Lehrer und<br />

Schüler sind<br />

uneins, wie viel<br />

das Bü feln nach<br />

der Schule bringt.<br />

Do sier<br />

Leserbriefe<br />

Nie mehr<br />

Hausaufgaben?<br />

Sie sorgen in vielen Familien regelmässig für Frust und Ärger:<br />

Hausaufgaben. Sind Hausaufgaben wirklich nötig? Warum schafft<br />

man sie nicht einfach ab? Und mit welchen Tricks geht das Lernen<br />

leichter? Eine Annäherung an ein hoch emotionales Thema.<br />

Text: Claudia Landolt Bilder: Désirée Good / 13 Photo<br />

«Leichtigkeiten erleben»<br />

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10 April <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi April <strong>2017</strong> 1<br />

«Bindeglied zwischen Eltern<br />

und Schule»<br />

(Dossier «Hausaufgaben», Heft 4/<strong>2017</strong>)<br />

Schule ohne Hausaufgaben geht nicht. Hausaufgaben sind<br />

wirklich ein wichtiges Bindeglied zwischen Eltern und Schule.<br />

Unser Sohn hatte drei Viertel Jahre keine Hausaufgaben in<br />

der 5./6. Klasse. Da kamen bei den Eltern einige Unsicherheiten<br />

und Zweifel auf. Entweder verzichten dann alle Klassenstufen<br />

auf Hausaufgaben, oder alle Lehrer geben welche. Es funktioniert<br />

absolut nicht, wenn dies nur ein Lehrer macht.<br />

Monika Treier (per Mail)<br />

Schreiben Sie uns!<br />

Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />

Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns<br />

wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch<br />

oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich.<br />

Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi<br />

oder Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />

Kürzungen behält sich die Redaktion vor.<br />

FOKUS MOBILITÄT UND ENERGIE<br />

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Infos gibt’s auf muba.ch<br />

Hausaufgaben wirken – wie alles auf der Welt – immer<br />

in dem Geiste, in dem sie gegeben und gemacht<br />

werden. Da wir Geist grundsätzlich nicht beachten,<br />

haben wir verdienter massen Schwierigkeiten damit.<br />

Die praktischen Beispiele der neuen Ich-kann-Schule<br />

zeigen, dass wir ebenso gut Leichtigkeiten damit<br />

erleben könnten.<br />

Franz Josef Neffe, Deutsches COUÉ-Institut,<br />

D-Wittibreut (per Mail)<br />

«Nun bleibt Zeit zum Lernen»<br />

Als unser Sohn, 11, in die Schule kam, ging er in<br />

seinen Hausaufgaben buchstäblich unter. Wochenplan<br />

war an unserer Schule grossgeschrieben. In der<br />

1. und 2. Klasse musste er regelmässig an den<br />

Wochenenden arbeiten. Da ja alles fertig sein musste.<br />

Ob die Kinder es verstanden haben, war egal. In der<br />

3. und 4. Klasse mussten die Kinder ihre Arbeiten<br />

sogar selber korrigieren. Mit Hilfe eines Lösungsordners.<br />

Unser Sohn und auch andere Kinder waren<br />

damit total überfordert. Mit Korrigieren alleine<br />

verbrauchte er so viel Zeit, dass zum Arbeiten nicht<br />

viel übrig blieb. Gespräche und Vereinbarungen mit<br />

Lehrpersonen brachten nichts.<br />

Heute geht er in die 5. Klasse. In derselben Schule,<br />

aber bei einem anderen Lehrer. Wochenplan ist kein<br />

Thema mehr, dafür hat er einen gut überschaubaren<br />

Arbeitsplan. Themen werden in einem Tempo<br />

erarbeitet, in dem alle Kinder folgen können. Für<br />

Schnelle gibts Zusatzfutter. Tests können mit guten<br />

Noten gelöst werden, weil nun Zeit zum Lernen bleibt.<br />

Hausaufgaben gibt es nicht mehr jeden Tag. Nun hat<br />

unser Sohn Zeit, «Kind zu sein», mit allem, was<br />

dazugehört. Seitdem schläft er ruhig ein, nässt das<br />

Bett nicht mehr und ist nicht mehr aggressiv! Unser<br />

Familienfriede wäre eigentlich wiederhergestellt,<br />

hätten wir nicht noch unseren zweiten Sohn – die<br />

Geschichte können Sie oben von vorne lesen …<br />

Barbara Christen (per Mail)<br />

Basel, 12. bis 21. Mai <strong>2017</strong><br />

Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


WENN WORTE WEH TUN. 14:37<br />

Jedes vierte Kind in der Schweiz erlebt<br />

Cybermobbing am eigenen Leib. Bitte<br />

unterstützen Sie unsere vielfältigen<br />

Anti-Mobbing-Massnahmen mit einer<br />

Spende: elternsein.ch 14:41<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>65


Ernährung & Gesundheit<br />

Medikamente für kleine Patienten –<br />

das sollten Eltern beachten!<br />

Ein Zäpfchen wird so schnell nicht schlecht, der Hustensaft der grossen Schwester schadet auch<br />

dem kleinen Bruder nicht. Oder etwa doch? Experten raten bei der Gabe von Medikamenten<br />

an Kinder zu äusserster Vorsicht. Text: Claudia Füssler<br />

Bild: iStockphoto<br />

66 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Es ist später Sonntagabend,<br />

der Fünfjährige<br />

fiebert, die Packung mit<br />

den Zäpfchen ist aufgebraucht<br />

und die diensthabende<br />

Apotheke ausgerechnet am<br />

anderen Ende der Stadt. Zum Glück<br />

liegen im Medikamentenschrank<br />

noch ein paar Fieberzäpfchen der<br />

grossen Schwester. Die ist erst elf,<br />

was soll da schon schief gehen?<br />

Eine ganze Menge, sagen Experten,<br />

und raten dringend davon ab,<br />

Kindern Medikamente zu geben, die<br />

nicht für ihr Alter zugelassen sind.<br />

Der kindliche Organismus ist im<br />

Wachstum. Organe entwickeln sich:<br />

Die Leber muss sich erst auf ihre<br />

lebenslange Aufgabe einstellen, auch<br />

die Niere ist in den ersten Jahren<br />

noch mit Feinjustierung beschäftigt.<br />

Immunsystem und Stoffwechselkreisläufe<br />

funktionieren noch nicht<br />

wie bei einem Erwachsenen. Und in<br />

der Pubertät kommt ein chaotischer<br />

Mix aus Hormonen hinzu. All das,<br />

betont Dirk Mentzer vom Paul-Ehrlich-Institut,<br />

dem deutschen Bundesinstitut<br />

für Impfstoffe und biomedizinische<br />

Arzneimittel, spielt<br />

eine Rolle dabei, wie eine Substanz<br />

auf den Körper wirkt.<br />

«Erst seit etwa zwanzig Jahren<br />

gibt es umfangreichere Untersuchungen<br />

dazu, welchen Einfluss<br />

Medikamente auf den kindlichen<br />

Organismus haben», sagt der Kinderarzt.<br />

So habe man zum Beispiel<br />

herausgefunden, dass die Menge<br />

bestimmter Enzyme, die in der<br />

Leber für den Abbau der Arzneimittel<br />

zuständig sind, altersabhängig<br />

stark schwankt. Das hat mitunter<br />

zur Konsequenz, dass Kinder unter<br />

zwei Jahren die doppelte Dosis dessen<br />

nehmen müssen, was für<br />

Erwachsene empfohlen wird. In<br />

anderen Fällen wiederum wäre das<br />

hochgefährlich.<br />

Eine einfache Faustregel, wie<br />

Dosen von Erwachsenen auf Kinder<br />

heruntergerechnet werden können,<br />

gibt es nicht. «Im Alter zwischen<br />

drei und zehn Jahren wachsen Kin­<br />

der, werden aber nicht dicker. Hier<br />

kann ich also nicht exponenziell<br />

rechnen, sondern muss das sich verändernde<br />

Verhältnis von Körpergrösse<br />

zu Gewicht beachten», erklärt<br />

Mentzer. Und das für jede Substanz<br />

individuell.<br />

Fünf Zulassungsgruppen<br />

Damit Eltern sicher sein können,<br />

dass ein Medikament ihrem Kind<br />

nicht schadet, verpflichten die europäischen<br />

Arzneimittelbehörden die<br />

Hersteller von Medikamenten seit<br />

zehn Jahren dazu, die Wirkstoffe<br />

auch für die Verwendung bei Kindern<br />

zu untersuchen. Dabei wird in<br />

fünf Subgruppen unterschieden:<br />

• Neugeborene<br />

• Säugling (0 bis 2 Jahre)<br />

• Kleinkind (2 bis 6 Jahre)<br />

• Kind (6 bis 11 Jahre)<br />

• Jugendliche (11 bis 18 Jahre)<br />

Ob diese Untersuchung stattgefunden<br />

hat und das Medikament für<br />

Kinder zugelassen ist, steht im Beipackzettel<br />

unter Indikationen und<br />

Anwendungsgebiete.<br />

«Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen,<br />

es kann also durchaus<br />

sein, dass sich bei manchen Medikamenten<br />

noch kein Hinweis auf die<br />

Zulassung für Kinder findet», sagt<br />

Mentzer. Das bedeute dann nicht<br />

automatisch, dass das Medikament<br />

ungeeignet sei, doch hier empfiehlt<br />

sich auf jeden Fall, mit dem Arzt<br />

Rücksprache zu halten.<br />

Ein Fünftel nicht zugelassen<br />

Etwa zwanzig Prozent der Arzneimittel,<br />

die niedergelassene Ärzte<br />

regelmässig verwenden, sind nicht<br />

für Kinder zugelassen, schätzt Mentzer.<br />

Dazu zählen blutdrucksenkende<br />

Mittel und solche gegen Krampfleiden<br />

sowie bestimmte Antibiotika.<br />

Unter ärztlicher Kontrolle im Spital<br />

werden solche Stoffe im Notfall aber<br />

auch Kindern gegeben.<br />

Dirk Mentzer warnt vor gut ge ­<br />

meinten Medikamentengaben, die<br />

schnell zu einer Überdosierung führen<br />

können. Ein Klassiker sind Heu­<br />

Heuschnupfenpräparate und<br />

solche gegen Asthma sind<br />

für Kinder besonders heikel.<br />

schnupfentropfen, sogenannte Antihistaminika.<br />

«Das Kind leidet an der<br />

Allergie, die Eltern haben die frei<br />

verkäuflichen Tropfen zu Hause<br />

rumstehen und geben sie ihm. Das<br />

ist eigentlich ungefährlich. Doch<br />

dann geben die Eltern die Tropfen<br />

nochmals, weil sie irgendwie nicht<br />

zu wirken scheinen – so wird rasch<br />

eine Überdosierung erreicht, die<br />

zum Atemstillstand führen kann»,<br />

erklärt Mentzer. Es hat bereits<br />

Todesfälle nach solchen versehentlichen<br />

Überdosierungen gegeben.<br />

Das Gleiche gilt für Sprays, die<br />

viele Kinder gegen Asthma verschrieben<br />

bekommen, sogenannte<br />

Betamimetika. Wenn die einmalige<br />

Anwendung keine Wirkung zeigt,<br />

wird gerne wiederholt gesprüht –<br />

das kann zu Herzrasen und Herzrhythmusstörungen<br />

und da ­ >>><br />

Das können Sie tun<br />

Bereiten Sie sich auf den Notfall vor. Nutzen<br />

Sie einen regulären Besuchstermin beim<br />

Kinderarzt, um mit ihm wichtige «Was,<br />

wenn ...»-Fälle zu besprechen. Was, wenn das<br />

Kind nach dem Impfen hohes Fieber kriegt?<br />

Wenn ein Zäpfchen nicht wirkt? Wenn der<br />

Husten trotzdem immer schlimmer wird? So<br />

wissen Sie im Ernstfall, wie und mit welchen<br />

Medikamenten Sie reagieren können. Wenn<br />

Sie Ihrem Kind versehentlich eine Überdosis<br />

gegeben haben, rufen Sie die Notfallnummer<br />

145 der Tox Info Suisse an. Dort gibt es rund<br />

um die Uhr unentgeltlich ärztliche Auskunft<br />

bei Vergiftungen oder Verdacht auf<br />

Vergiftungen.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>67


Ernährung & Gesundheit<br />

Die bei Säften mitgelieferten<br />

Löffel führen zu einer<br />

ungenauen Dosierung.<br />

>>> mit zum Tod führen. «Die<br />

wichtigste Regel lautet hier, keine<br />

Versuche mit einer Selbstmedikation<br />

zu unternehmen, sondern sich<br />

genau daran zu halten, was der Arzt<br />

gesagt hat, und im Zweifel Rücksprache<br />

mit ihm oder einem Apotheker<br />

zu halten», sagt Mentzer.<br />

Dass die Pädiatrie in Sachen wissenschaftlicher<br />

Untersuchungen ein<br />

Stiefkind ist, findet auch Angela<br />

Caduff Good. «Da sind einfach<br />

immer noch viele Informationslücken<br />

vorhanden, die dazu führen,<br />

dass wir nicht immer wissen, ob ein<br />

Medikament für ein Kind sicher ist<br />

oder nicht», sagt die Fachapothekerin<br />

in Spitalpharmazie vom Kinderspital<br />

Zürich. Sie weist darauf hin,<br />

Links<br />

• compendium.ch<br />

Die Internetseite des Arzneimittel-Kompendiums<br />

ist eigentlich für Fachleute gedacht, gibt jedoch<br />

auch Laien einen schnellen Überblick darüber,<br />

ab welchem Alter ein bestimmter Wirkstoff für<br />

Kinder zugelassen ist.<br />

• toxinfo.ch<br />

Die gemeinnützige Stiftung Tox Info Suisse<br />

hat auf ihrer Internetseite Informationen zur<br />

Prävention von Vergiftungen und einzelnen<br />

Giftstoffen zusammengefasst.<br />

• embryotox.de<br />

Die Internetseite des Pharmakovigilanz- und<br />

Beratungszentrums der Berliner Charité<br />

informiert über die Sicherheit von Arznei mitteln<br />

in Schwangerschaft und Stillzeit.<br />

dass die in einem Beipackzettel aufgeführten<br />

Nebenwirkungen eines<br />

Arzneimittels oft Studien mit Er ­<br />

wachsenen entnommen sind. «Es<br />

kann sein, dass die Substanz auf<br />

einen kindlichen Körper ganz<br />

anders wirkt und vielleicht Nebenwirkungen<br />

verursacht, die man<br />

nicht erwartet oder die beim Er ­<br />

wachsenen in dieser Art gar nicht<br />

beschrieben sind», sagt Caduff<br />

Good.<br />

Sie empfiehlt daher, ein Kind,<br />

dem man ein Medikament gibt,<br />

immer etwas im Auge zu behalten<br />

und eventuelle Auffälligkeiten dem<br />

Arzt oder Apotheker zu berichten.<br />

So sei es auch immer möglich, dass<br />

Kinder oder Jugendliche – wie Er ­<br />

wachsene auch – allergisch auf ein<br />

Mittel reagierten, unabhängig da ­<br />

von, ob es richtig dosiert ist oder<br />

nicht. Oder ein Medikament wird<br />

versehentlich überdosiert, wenn<br />

Eltern zum Beispiel zum gleichnamigen,<br />

aber höher dosierten Fieberzäpfchen<br />

der grossen Schwester greifen.<br />

«Es ist für Laien oft schwierig,<br />

eine Überdosierung zu erkennen.<br />

Dafür braucht es einen guten Indikator.<br />

Wenn ein Medikament zum<br />

Beispiel laut dem Beipackzettel als<br />

Nebenwirkung müde macht, mein<br />

Kind aber wirklich extrem müde<br />

wird, dann würde ich schon stutzig<br />

werden», sagt Caduff Good. Sie ist<br />

selbst Mutter und weiss, wie schnell<br />

Eltern unsicher sind und sich Sorgen<br />

machen. «In einem solchen Fall<br />

kann die Tox Info Suisse kontaktiert<br />

werden» (24­Stunden-Notfalltelefon ,<br />

Nummer 145). Dort erhalte man<br />

sehr kompetente Auskunft, sagt die<br />

Expertin.<br />

Spritzen sind besser als Löffel für<br />

eine genaue Dosierung<br />

Um beispielsweise Über- oder Unterdosierungen<br />

bei der Verabreichung<br />

von in der Pädiatrie oft eingesetzten<br />

Lösungen und Sirupen möglichst zu<br />

vermeiden, sollte die nötige Medikamentenmenge<br />

so genau wie möglich<br />

abgemessen werden. Die gerade bei<br />

Säften mitgelieferten Löffel führten<br />

zu einer ungenauen Dosierung, sagt<br />

Caduff Good. «Besser sind Oralspritzen,<br />

mit denen das Mittel exakt aufgezogen<br />

werden kann.» Einige Apotheken<br />

tauschen bei Medikamenten<br />

die zugehörigen Löffel daher gegen<br />

eine solche Spritze aus.<br />

Im Zusammenhang mit einer<br />

korrekten Medikamentenanwendung<br />

ist es zudem wichtig, zu wissen,<br />

wie es sich mit dem Verfallsdatum<br />

verhält. Auf jedem Arzneimittel<br />

ist vom Hersteller ein Verfallsdatum<br />

aufgedruckt. Das ist vor allem bei<br />

Flüssigkeiten jedoch nur so lange<br />

verbindlich, wie das Medikament<br />

nicht angebrochen ist. «Sobald Sie<br />

68 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Tropfen oder einen Saft öffnen, sind<br />

diese häufig kürzer haltbar, als auf<br />

der Verpackung angegeben ist»,<br />

erklärt Angela Caduff Good. Sie rät,<br />

sich auf der Flasche das jeweilige<br />

Anbruchdatum zu notieren.<br />

Falls im Beipackzettel die Haltbarkeit<br />

nach dem ersten Öffnen<br />

nicht vermerkt ist, kann die Apotheke<br />

Auskunft darüber geben. Wenn<br />

man sich nicht sicher ist, wann eine<br />

Flasche geöffnet worden oder ob das<br />

Medikament noch gut ist, gilt: Im<br />

Zweifel ist der Abfalleimer die bessere<br />

Entscheidung. «Wichtig ist<br />

auch, darauf zu achten, wie ein<br />

Medikament gelagert werden muss.<br />

Es kann sein, dass ein Medikament<br />

vor Anbruch bei Raumtemperatur,<br />

nach Anbruch aber im Kühlschrank<br />

gelagert werden muss», sagt Caduff<br />

Good. Sie empfiehlt generell einen<br />

bedachten Umgang mit Medikamenten<br />

und rät Eltern, sich gerade<br />

in diesem Zusammenhang immer<br />

wieder zu sagen: Kinder sind keine<br />

kleinen Erwachsenen.<br />

>>><br />

Claudia Füssler<br />

ist als Kind mit Schnupfen immer in eine<br />

heisse Badewanne mit etwas Eukalyptusöl<br />

gesteckt worden. Dieses Ritual liebt sie noch<br />

heute – auch wenn die Nase gar nicht läuft.<br />

Altersgerechte Dosierung<br />

Dass viele Medikamente für Erwachsene für<br />

Kinder ungeeignet sind, zeigt sich oft schon<br />

in ihrer Form: Tabletten, Zäpfchen, Kapseln<br />

sind zu gross. Arzneimittel, die hauptsächlich<br />

für Kinder gedacht sind, liegen daher meist<br />

in einer entsprechenden Darreichungsform<br />

vor, solche, die für Kinder und Erwachsene<br />

gleichermassen geeignet sind, gibt es meist<br />

in mehreren Varianten. Als Faustregel sollte<br />

man sich daran orientieren, dass Kinder<br />

unter sechs Jahren Flüssigkeiten bekommen,<br />

danach sind die meisten in der Lage, auch<br />

eine Tablette zu schlucken. Achten Sie beim<br />

Arzt darauf, welche Darreichungsform er<br />

verschreibt. Wenn Sie beispielsweise wissen,<br />

dass Ihr Zehnjähriger Probleme damit hat,<br />

eine Tablette zu nehmen, fragen Sie direkt<br />

nach einem Saft.<br />

Meine<br />

Impfung<br />

Dein<br />

Schutz<br />

Eltern und Bezugspersonen<br />

von Säuglingen impfen sich –<br />

und schützen damit die Kleinsten<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>69<br />

gegen Masern und Keuchhusten


Erziehung & Schule<br />

Herzenswarm<br />

Die Welt scheint immer kälter zu werden. Umso wichtiger ist es<br />

gerade jetzt, Kindern Empathie gegenüber anderen mitzugeben.<br />

Und dieses Mitgefühl lässt sich auch beibringen.<br />

Text: Julia Meyer-Hermann Bilder: Carla Kogelmann / De Beeldunie


Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Mai <strong>2017</strong>71


Erziehung & Schule<br />

Es ist die Empathie, die uns<br />

überhaupt zu sozialen Wesen<br />

macht.<br />

Vor Kurzem hörte ich<br />

meine Tochter Fanny<br />

in ihrem Zimmer<br />

leise weinen. Schon<br />

beim Abendessen<br />

war sie auffällig ruhig gewesen, hatte<br />

aber auf meine Fragen nur brüsk<br />

«Es ist nichts!» geantwortet. Als ich<br />

den Kopf durch die geöffnete Tür<br />

hineinsteckte, sah ich meine Neunjährige<br />

auf ihrem Bett sitzen. Ihre<br />

Augen waren leicht gerötet, die Nase<br />

zog sie immer wieder lautstark hoch.<br />

«Ich schäme mich so», schluchzte<br />

sie. «Ich habe heute ganz laut über<br />

Nina gelacht.» Dann erzählte sie,<br />

dass sie in der Nachmittagsbetreuung<br />

über Kästen gesprungen seien.<br />

Nina habe es als Einzige nicht ge ­<br />

schafft. «Sie ist ja nicht so sportlich,<br />

weil sie so dick ist», sagte Fanny. Es<br />

habe wahnsinnig komisch ausgesehen,<br />

wie Nina einfach auf dem Kasten<br />

liegen geblieben sei. Einer habe<br />

gerufen: «Wie ein Sack!» Ein paar<br />

Kinder hätten gekichert, Fanny<br />

auch. «Ich habe erst aufgehört, als<br />

ich gesehen habe, dass Nina beinahe<br />

geweint hätte», flüsterte meine<br />

Tochter und warf sich in meine<br />

Arme.<br />

Mir stiegen ebenfalls Tränen in<br />

die Augen. Ich litt mit meiner Tochter.<br />

Ich schämte mich für sie. Und<br />

ich konnte auch den Kummer des<br />

anderen Mädchens fühlen. «Was ist,<br />

Mama?», wollte meine Tochter wissen,<br />

die natürlich merkte, wie mitgenommen<br />

ich war. «Bist du mir<br />

böse?» War ich das? «Ich finde nicht<br />

gut, dass du gelacht hast», sagte ich.<br />

«Aber es ist gut, dass du jetzt verstehst,<br />

wie es deiner Freundin ging.»<br />

Und dann erzählte ich meiner<br />

Tochter von einer Spezialeigenschaft<br />

unseres Gehirns, die mich seit je fasziniert.<br />

Von dieser Fähigkeit, empathisch<br />

mitzuerleben, also tatsächlich<br />

zu empfinden, was einem anderen<br />

Menschen gerade widerfährt. «Lä ­<br />

gen wir beide jetzt in einer Maschine,<br />

mit der man in unseren Kopf<br />

sehen kann, dann würden bei uns<br />

im Gehirn die gleichen Punkte<br />

leuchten», sagte ich. «Läge ich mit<br />

Nina jetzt in so einer Gehirndurchleuchtungsmaschine,<br />

wäre das auch<br />

so», schlussfolgerte Fanny. Weil sie<br />

den Kummer ihrer Freundin auch<br />

fühlen würde – so als wäre es ihr<br />

eigener. «Krass!», fasste meine Tochter<br />

zusammen. Und so sehr mir dieses<br />

Wort manchmal missfällt, so<br />

passend fand ich es diesmal.<br />

Empathische Zivilisation nötig<br />

Empathie stammt ab vom griechischen<br />

Wort «empatheia»: «em»<br />

bedeutet «hinein», «pathos» heisst<br />

«Leiden». Die Zusammensetzung<br />

beschreibt das Hineinfühlen in die<br />

Gemütszustände anderer. Früher<br />

dachte man, dass Menschen nur aufgrund<br />

ihrer Lebenserfahrung rational<br />

erfassen können, wie ihr Gegenüber<br />

sich fühlt. Dann entdeckten<br />

Neurologen Mitte der Neunzigerjahre,<br />

dass bestimmte Zellen im Gehirn,<br />

die sogenannten «Spiegelzellen», das<br />

Erleben und die Emotionen von<br />

anderen widerspiegeln. Das gilt nicht<br />

nur für offensichtliche Zustände wie<br />

Trauer, Zorn oder Ekel, sondern<br />

sogar für weniger deutliche Regungen<br />

wie Verlegenheit oder Einsamkeit.<br />

Seitdem klar ist, dass es nicht um<br />

vermeintliche Gefühlsduselei geht,<br />

sondern um messbare Vorgänge,<br />

wollen Neurologen, Biologen, Psychologen<br />

und Pädagogen erkunden,<br />

wie Empathie entsteht: Woher kennt<br />

der Körper bestimmte Sachverhalte,<br />

bevor sie angesprochen werden?<br />

Wie funktioniert diese Verbindung<br />

zwischen zwei Menschen, die über<br />

eine rein rationale Ebene hinausgeht?<br />

Alle sind sich einig: Es ist die<br />

Empathie, die uns überhaupt zu<br />

sozialen Wesen macht. Der Soziologe<br />

und Ökonom Jeremy Rifkin<br />

glaubt sogar, dass es gerade diese<br />

menschliche Eigenschaft ist, die<br />

unsere Zeit am meisten braucht. Er<br />

72 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


fordert eine «empathische Zivilisation»,<br />

weil die menschliche Fähigkeit,<br />

sich in andere hineinversetzen<br />

zu können, den natürlichen Gegenpol<br />

zum Eigennutz und Narzissmus<br />

unserer Gesellschaft bildet. Weil sie<br />

uns bei dem helfen kann, was der<br />

deutsche Ex-Bundespräsident<br />

Johannes Rau zu seinem Motto<br />

machte: Versöhnen statt spalten.<br />

Die Begabung dazu tragen wir in<br />

uns. «Wir werden vermutlich mit der<br />

Voraussetzung zur Empathie geboren»,<br />

sagt der Neuropsychologe Matthias<br />

Bolz, der am Leipziger Max-<br />

Planck-Institut für Kognitions- und<br />

Neurowissenschaften die kognitiven<br />

Fähigkeiten und Gehirnprozesse bei<br />

Menschen untersucht. «Jedenfalls ist<br />

diese Fähigkeit schon sehr früh in<br />

irgendeiner Art und Weise im Ge ­<br />

hirn angelegt.»<br />

Wie Kinder und Jugendliche<br />

emotionale Kompetenz entwickeln<br />

und lernen, Gefühle bei sich und<br />

anderen zu erkennen, erforscht die<br />

Psychologin Maria von Salisch von<br />

der Universität Lüneburg. Die ersten<br />

Trainingseinheiten dazu hat man ab<br />

dem Tag null: Schon Babys eignen<br />

sich Wissen über verschiedene Emotionen<br />

an. «Das vorsprachliche Lernen<br />

konzentriert sich darauf, be ­<br />

stimmte Merkmale und Muster<br />

wiederzuerkennen. Immer wenn<br />

Mama mich auf den Arm nimmt,<br />

lächelt sie. Immer wenn Papa mich<br />

wickelt, macht er ein ganz bestimmtes<br />

Gesicht.» Ein Grossteil der Kommunikation<br />

zwischen Eltern und<br />

Kleinkindern beschäftigt sich damit,<br />

grundlegende Gefühle ken­ >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>73


Erziehung & Schule<br />

>>> nenzulernen und benennen<br />

zu können: Bist du traurig? Ärgerst<br />

du dich gerade? Mama ist gerade<br />

sehr müde. Du musst keine Angst<br />

haben.<br />

Können also schon Säuglinge<br />

fühlen, wie es anderen geht? Ich<br />

erinnere mich an das kollektive Weinen<br />

in den Krabbelgruppen, das<br />

immer ausbrach, sobald ein Baby<br />

angefangen hatte zu schreien. Wie<br />

verzweifelt sich meine Kinder an ­<br />

hörten, wenn ein anderes unglücklich<br />

klang, obwohl es ihnen selbst<br />

gut ging. «Das ist keine erste empathische<br />

Reaktion, sondern eine Ge ­<br />

fühlsansteckung», sagt die Entwicklungspsychologin<br />

Doris Bischof-<br />

Köhler. «Den Kindern in diesem<br />

Alter ist noch gar nicht bewusst,<br />

dass es um den anderen geht. Sie<br />

können noch nicht zwischen der<br />

eigenen Trauer und dem Kummer<br />

eines Freundes unterscheiden.»<br />

Das Bewusstsein für die eigenen Gefühle<br />

ist aber ganz entscheidend, um<br />

überhaupt mitfühlen zu können. Erst<br />

wenn ein Kind etwa achtzehn Monate<br />

alt ist und anfängt, sich selbst im<br />

Spiegel zu erkennen, entwickelt es<br />

mit dem Gefühl für das eigene Selbst<br />

ein Empfinden dafür, wie es einem<br />

anderen geht. Diese Entwicklungsprozesse<br />

zu erforschen, ist nicht einfach.<br />

Immerhin müssen dafür Kleinkinder<br />

in einer möglichst natürlichen<br />

74 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

Alltagssituation beobachtet werden.<br />

In einer der Versuchsreihen von<br />

Doris Bischof-Köhler täuschte eine<br />

erwachsene Spielpartnerin einem<br />

Kind Trauer vor, weil ihr Teddy<br />

kaputtgegangen war. «Die Kinder,<br />

die sich noch nicht selbst im Spiegel<br />

erkennen konnten, verstanden die<br />

Situation nicht und reagierten entweder<br />

unbeteiligt oder wollten selbst<br />

getröstet werden.» Die anderen Kinder<br />

hingegen spiegelten die Emotion<br />

der «Freundin», versuchten zu trösten<br />

und boten ein anderes Stofftier<br />

an.<br />

Empathie-Lücken zugestehen<br />

Es gibt im Alltag immer wieder Szenen,<br />

bei denen Eltern warm ums<br />

Herz wird, weil ihre Kinder «so lieb»<br />

sind. Mein dreijähriger Sohn Carl,<br />

der seine grosse Schwester umarmt,<br />

weil er sie nach einem Sturz trösten<br />

möchte. Der friedlich das Sandspielzeug<br />

teilt, weil sein Freund seine<br />

Sachen vergessen hat. Meine Tochter<br />

Fanny, die ruft, «Lassen Sie mich das<br />

machen», und dann einer alten Frau<br />

im Supermarkt beim Aufsammeln<br />

des heruntergefallenen Einkaufs<br />

hilft.<br />

Wenn mein Mann und ich uns<br />

darüber unterhalten, welche Charaktereigenschaften<br />

uns bei unseren<br />

Kindern besonders wichtig sind,<br />

steht auf meiner Liste das Einfühlungsvermögen<br />

ganz weit oben. Wie<br />

wunderbar wäre es, wenn die beiden<br />

ein besonderes Gespür dafür hätten,<br />

wer Trost und Unterstützung<br />

braucht, und entsprechend mitfühlend<br />

handeln. Mein Mann weist<br />

dann meistens darauf hin, dass auch<br />

Fanny und Carl mal schadenfroh,<br />

unaufmerksam oder ruppig sein<br />

dürften, dass ich ihnen Empathie-<br />

Lücken zugestehen müsse.<br />

«Als ob ich ihnen die überhaupt<br />

absprechen könnte», erwidere ich<br />

dann – und merke an, dass unser<br />

Sohn mit dreieinhalb Jahren trotzdem<br />

langsam mal verstehen könnte,<br />

wann seine Mutter ein kleines bisschen<br />

Unterstützung braucht. Dass<br />

ich Carl noch so eindringlich erklären<br />

kann, warum ich ihn nicht<br />

zusammen mit den Einkäufen fünf<br />

Stockwerke hochtragen kann und er<br />

bitte, bitte selbst laufen möge. Er<br />

brüllt dann trotzdem: «Doofe<br />

Mama!», und bleibt schreiend im<br />

Treppenhaus liegen. Und Fanny,<br />

statt ihren Bruder an die Hand oder<br />

eine Einkaufstüte zu nehmen, sprintet<br />

die Treppen hoch und empfängt<br />

mich oben mit: «Du bist aber nicht<br />

mehr so fit, Mama. Du schnaufst ja<br />

wie eine alte Frau.»<br />

Eine gängige Redensart lautet:<br />

Kinder sind grausam. So möchte das<br />

Andreas Schick, Leiter des Heidelberger<br />

Präventionszentrums nicht<br />

stehen lassen. «Ich würde sagen,<br />

dass Kinder grosse Experimentatoren<br />

sind», sagt er. «Sie entdecken<br />

noch den Umgang mit sich und mit<br />

anderen. Das kann immer wieder<br />

einmal dazu führen, dass sie die<br />

Grenzen anderer deutlich überschreiten.»<br />

Eine Freundin erzählte mir kürzlich,<br />

dass ihre Tochter einen Verweis<br />

bekommen habe. Ich war zunächst<br />

eher erfreut als schockiert, weil ich<br />

die Achtjährige bislang als mustergültig<br />

angepasst erlebt hatte. Umso<br />

mehr überraschte mich, dass dieses<br />

Mädchen zusammen mit drei<br />

Freundinnen eine Klassenkameradin<br />

schikaniert hatte. Sie hatten<br />

deren Schal in eine Toilette gestopft<br />

und nacheinander draufgepinkelt,<br />

während das Opfer weinend vor der<br />

Tür stand. Ich konnte meiner Freundin<br />

ansehen, dass sie das genauso<br />

schockierte wie mich. «Ganz schön<br />

gefühlskalt, was?», sagte sie.<br />

Doch zum Glück sind Einfühlungsvermögen<br />

und Mitgefühl nicht<br />

einfach nur Veranlagungssa- >>><br />

Einfühlungsvermögen und<br />

Mitgefühl sind nicht nur<br />

Veranlagungssache, sondern<br />

können auch trainiert werden.<br />

75


che, man kann sie trainieren. «Emotionen-Coaching» nennt das ten Tag an Mitschüler und Lehrer<br />

«Das ist ein Potenzial wie Intelligenz,<br />

das man gezielt fördern oder<br />

brachliegen lassen kann», sagt Psychologe<br />

Andreas Schick. «Wenn<br />

man die Achtsamkeit trainiert, also<br />

die eigenen Körperempfindungen<br />

und Emotionen besser bemerken<br />

und einordnen kann, dann kann<br />

man auch achtsamer und offener auf<br />

andere reagieren», sagt Matthias<br />

Bolz, der unter der Leitung der Neurowissenschaftlerin<br />

Tania Singer am<br />

Leipziger Max-Planck-Institut für<br />

Kognitions- und Neurowissenschaften<br />

ein mentales Training für Er -<br />

wachsene durchgeführt hat. Kinder<br />

brauchen bei diesem Prozess die<br />

Begleitung durch Erwachsene.<br />

Andreas Schick. Der Therapeut hat<br />

die Programme «Faustlos» und<br />

«Fäustling» mitentwickelt, um die<br />

sozialen Kompetenzen von Kindergartenkindern<br />

und Grundschülern<br />

zu fördern – und auch das Gruppengefühl<br />

zu stärken. In diesen Trainings<br />

lernen die Kinder, sich in<br />

andere hineinzuversetzen, und üben,<br />

was dem anderen gut tun könnte. Sie<br />

durchleben spielerisch verschiedene<br />

Situationen und sprechen anschliessend<br />

mit Erwachsenen darüber, wie<br />

man sich in der anderen Rolle gefühlt<br />

hat.<br />

In der Schule meiner Tochter ist<br />

dieses Konzept aufgegangen. In ihre<br />

Klasse geht ein Junge, der vom erstyrannisierte.<br />

Die Mädchen nannte<br />

er «blöde Schlampen», etlichen Jungen<br />

hat Tom (der in Realität anders<br />

heisst) die Nase blutig geschlagen.<br />

Er bespuckte Erwachsene, zerstörte<br />

Tische und Stühle. Es verging monatelang<br />

kein Tag, an dem Fanny nicht<br />

mit einer neuen Horror-Story nach<br />

Hause kam – bis der Klassenlehrer<br />

mit seinen Schülern ein Empathie-<br />

Training absolvierte.<br />

In Abwesenheit von Tom erzählte<br />

er zunächst dessen Geschichte:<br />

Der Junge war vor der Einschulung<br />

zwei Jahre lang im Krankenhaus<br />

gewesen, weil er Krebs gehabt hatte.<br />

In dieser Zeit hatte er überhaupt keinen<br />

Kontakt zu anderen Kindern<br />

gehabt, «Wir haben gespielt, wie<br />

Tom sich wohl fühlt», erzählte meine<br />

Tochter. «Ich glaube, er ist vor<br />

Angst ganz ausser sich.»<br />

Mit unterschiedlichen Rollen<br />

probte die Klasse, was eigentlich<br />

passiert, wenn einer ausrastet,<br />

wochenlang, immer wieder. Auch<br />

Tom lernte die Perspektive des<br />

Kinder lernen sich noch selbst<br />

kennen. Das kann dazu führen,<br />

dass sie die Grenzen anderer<br />

deutlich überschreiten.<br />

76 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

Opfers kennen. Seitdem ist nicht<br />

alles gut. «Aber Tom ist schon viel<br />

ruhiger geworden, seit er zu uns da ­<br />

zugehört», sagt Fanny.<br />

Elternhaus als wichtigste Schule<br />

Psychologe Andreas Schick ist davon<br />

überzeugt, dass man mit solchen<br />

Massnahmen Mobbing und Gewalt<br />

an Schulen reduzieren und die<br />

Offenheit gegenüber anderen fördern<br />

kann. Auch zu Hause muss das<br />

passieren, die wichtigste Schule fürs<br />

Einfühlungsvermögen ist das Elternhaus.<br />

Also darf ich als Mutter nie<br />

ausrasten, weil ich dann ein schlechtes<br />

Vorbild bin? Ich denke an die<br />

vielen Male, bei denen ich deutlich<br />

lauter geworden bin, als ich es selbst<br />

gut finde. Wo ich gesehen habe, dass<br />

meine Kinder schon verschüchtert<br />

waren und trotzdem rumgebrüllt<br />

habe. «Wenn man das Gefühl hat,<br />

über das Ziel hinausgeschossen zu<br />

sein, ist das kein Drama, sondern<br />

zutiefst menschlich. Wichtig ist<br />

dann, dass man später das Gespräch<br />

sucht.» Dass man erklärt, warum<br />

man wütend war, und vielleicht sogar<br />

bespricht, wie sich die Wut anfühlt.<br />

Der Knackpunkt ist letztendlich<br />

der Schritt vom blossen Mitfühlen<br />

zum Handeln: Es reicht schliesslich<br />

nicht aus, die Empfindungen zu teilen<br />

und mitzuleiden, wenn daraus<br />

keine Hilfe erwächst für den, der sie<br />

benötigt. Das erfordert aber manchmal<br />

mehr Mut, als man hat. Auch<br />

meine Tochter wollte sich gerne bei<br />

Nina entschuldigen, über die sie<br />

gekichert hatte, wusste aber nicht so<br />

recht wie. Sie lachte nicht mehr,<br />

wenn wieder ein Witz über das Mädchen<br />

gemacht wurde. «Aber ich<br />

traue mich auch nicht, zu sagen, dass<br />

ich das falsch finde», sagte sie. Ein<br />

paar Tage später hatte sie eine<br />

Lösung gefunden. Zusammen mit<br />

ihrer besten Freundin stellte sie sich<br />

neben Nina, als die wieder gepiesackt<br />

wurde, und erzählte, wie ihr<br />

beim Rollschuhfahren am letzten<br />

Wochenende die Hose am Po gerissen<br />

sei. Und wie schlimm der Nachhauseweg<br />

gewesen sei. Nina habe<br />

sich gefreut, sagt Fanny. «Das konnte<br />

ich fühlen. Und es hat sich gut<br />

angefühlt.»


Unser Wochenende …<br />

Savognin Bivio Albula<br />

in der Region<br />

Chur<br />

Text: Leo Truniger<br />

Salouf<br />

Riom<br />

Lai Barnagn<br />

Savognin<br />

Piz Platta<br />

Tiefencastel<br />

Bivio<br />

Tinizong<br />

Rona<br />

Piz<br />

Calderas<br />

Alp Flix<br />

Piz Ela<br />

Parc Ela<br />

Bergün<br />

Pensa<br />

Marmorera<br />

Entdecken …<br />

Piz Üertsch<br />

Julierpass<br />

Silvaplana<br />

… In der Passlandschaft von Albula, Julier und Septimer in<br />

Mittelbünden befindet sich der Parc Ela. Der grösste<br />

regionale Naturpark der Schweiz umfasst rund 550 Quadratkilometer,<br />

200 davon sind unberührte Natur. Eine der<br />

schönsten Wanderungen im Park ist die Exploratour. Die<br />

Bergwanderung führt Sie vom Julierhospiz La Veduta durch<br />

das Val d’Agnel über die Fuorcla digl Leget nach Bivio.<br />

Dabei erleben Sie die Erdgeschichte hautnah: Sie wandern<br />

sozusagen vom Kontinent zum Ozean, der einst Afrika und<br />

Europa trennte, und sehen, wo sich der Urkontinent gespalten<br />

und wieder aufgetürmt hat. Hier ist der ehemalige Ozeanboden<br />

nun mit Gras und Moos überwachsen. Mit dem leihbaren<br />

Exploratour-Kit können Sie sich mit Ihren Kindern als Forscher<br />

betätigen. Es enthält Forschungswerkzeug und Anleitungen<br />

für Experimente und Beobachtungen.<br />

Länge: 11,4 Kilometer; Wanderzeit: ca. 5,5 Stunden; für Familien<br />

mit Kindern ab 12 Jahren; www.parc-ela.ch, www.savognin.ch.<br />

Die informative und hilfreiche App Parc Ela gibt es für Android<br />

oder iPhone. Exploratour-Kit-Miete: Fr. 18.–<br />

… Möchten Sie sich ganz dem Forschen widmen? Dann bietet<br />

sich Ihnen der Forscherparcours auf der Alp Flix an. Die Tour<br />

durch die Moore an den Seen führt zu sechs Posten, an denen<br />

Ihre Kinder auf spielerische Art mehr über die Natur erfahren<br />

und die Artenvielfalt erkunden können. Mit dem Forscherkit<br />

von Professor Fix bauen Sie ein Wasserrad, giessen Tierspuren<br />

aus Gips, saugen Spinnen ein und beobachten diese in der<br />

Becherlupe. Spannende Informationen erhalten Sie aus dem<br />

Forschertagebuch. Erfrischung finden Sie im Berghaus Piz<br />

Platta oder auf dem Agritourismo-Hof der Familie Cotti mit<br />

Jurtenhotel und Pferderanch.<br />

Forscherparcours für 7 bis 12 Jahre; www.savognin.ch ><br />

Aktivitäten & Erlebnisse. www.agrotour.ch, www.flix.ch.<br />

Forscherkit Fr. 38.– in den Tourismusbüros und Hotels vor Ort<br />

Erleben …<br />

… Eine Bikertour zum Aufwärmen, nicht allzu anstrengend, für<br />

Familien und Ungeübte geeignet, ist der «Römer Trail». Den<br />

Namen verdankt die Tour dem Römerweg und den Fundstätten.<br />

Von Savognin führt der Trail dem Fluss Julia entlang<br />

leicht ansteigend nach Tinizong. Dann wird es etwas steiler,<br />

aber der Römerweg nach Rona ist immer noch angenehm zu<br />

befahren. Weiter gehts zu den Maiensässen Plaz Beischen<br />

und nach Pensa mit Blick ins Val d’Err und nach Proschen<br />

und Rudnal, wo verschiedene Funde aus der Römer- und<br />

Bronzezeit gemacht wurden. Die Abfahrt durch den Wald nach<br />

Savognin schliesst die Tour ab.<br />

«Römer Trail» Savognin–Rona–Tinizong–Savognin. Start:<br />

Parkplatz Bergbahnen Savognin. Schwierigkeit: leicht; Länge:<br />

17 Kilometer; Dauer: 2 Stunden; Aufstieg/Abstieg: 640 Meter.<br />

Bikes können Sie in den Savogniner Sportgeschäften mieten<br />

… Oder ist Ihrer Familie eher nach einem Tag mit Spiel, Spass<br />

und Erholung? Dann gehen Sie an den Badesee Lai Barnagn.<br />

Er liegt mitten in Savognin und hat im Sommer eine angenehme<br />

Temperatur, die zum Verweilen lädt, aber auch Abkühlung<br />

verschafft. Kinder können da nicht nur schwimmen, sondern<br />

auch ein Badeparadies entdecken. Am Kiosk erhält man fast<br />

alles, was es für einen solchen Tag braucht.<br />

Badesee Lai Barnagn, Veia Barnagn, Savognin. Kiosk offen ab<br />

13. Mai, je nach Witterung, ohne Speisen; ab 25. Mai von 10 bis<br />

17 Uhr, mit Speisen; 8. Juli bis 20. August von 9 bis 19 Uhr, mit<br />

78 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Service<br />

In der Weite des<br />

Parc Ela, auf dem<br />

Forscherparcours<br />

auf der Alp Flix,<br />

am Ufer des<br />

Lai Barnagn.<br />

Bilder: Lorenz Andreas Fischer, ZVG<br />

Speisen. Saisonende: 22. Oktober <strong>2017</strong>. www.savognin.ch ><br />

Aktivitäten & Erlebnisse > Weitere Sommer-Erlebnisse<br />

Übernachten …<br />

… Auf 1300 m ü. M. oberhalb von Savognin, in Salouf,<br />

befindet sich das Aparthotel Ela an ruhiger Lage. Zu mieten<br />

sind Studios und Wohnungen mit Bad/WC, TV/Radio,<br />

Südbalkon oder Sitzplatz. Hallenbad- und Saunabenützung im<br />

Hotel. Das Restaurant bietet regionale Spezialitäten,<br />

Biofleisch, frische Gemüse und Salate und ein reichhaltiges<br />

Frühstücksbuffet. Kinder bis 5 Jahre gratis im Elternzimmer,<br />

6 bis 11 Jahre 50 Prozent, 12 bis 16 Jahre 30 Prozent.<br />

Hotel Ela, Salouf. Preisbeispiel: 2 Nächte für 2 Erwachsene und<br />

2 Kinder (9 und 13) inkl. Frühstück: Fr. 358.–. www.hotel-ela.ch<br />

… Wenn Sie’s lieber privat mögen, ist der Hof Collet in Riom<br />

ein Tipp. In der gemütlichen 2-Zimmer-Wohnung im Parterre<br />

finden 5 bis 6 Personen Unterschlupf. Die Wohnung besteht<br />

aus einem Schlafzimmer mit Doppelbett und Kajütenbett,<br />

einer Stube mit Bettsofa, TV/Radio und einer separaten<br />

Küche. Badezimmer mit Dusche/WC und Waschmaschine.<br />

Der Biobetrieb liegt an sonniger Lage nahe der Burg Rätia<br />

Ampla. Im Hofladen gibt es Fleisch von eigenen Natura-Beef-<br />

Kälbern, Wurstwaren von eigenen Kühen und Produkte von<br />

Gran Alpin, also aus ökologischem Bergackerbau.<br />

Hof Collet, Cadra 7, Riom. Preis pro Tag im Sommer: Fr. 60.–,<br />

im Winter: Fr. 80.– bis 100.–. www.collet-riom.ch<br />

Gut zu wissen …<br />

… mit der Ela Card von Savognin Bivio Albula kommen Sie in<br />

den Genuss verschiedener Preisermässigungen.<br />

Bedingungen und Leistungen: www.savognin.ch > Unterkünfte<br />

& Angebote<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>79


Service<br />

Vielen Dank<br />

Impressum<br />

Finanzpartner<br />

Dr. iur. Ellen Ringier<br />

Walter Haefner Stiftung<br />

an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />

Hauptsponsoren<br />

Credit Suisse AG<br />

Rozalia Stiftung<br />

UBS AG<br />

17. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />

Herausgeber<br />

Stiftung Elternsein,<br />

Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />

www.elternsein.ch<br />

Präsidentin des Stiftungsrates:<br />

Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />

Tel. 044 400 33 11<br />

(Stiftung Elternsein)<br />

Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />

ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01<br />

Redaktion<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

Chefredaktor: Nik Niethammer,<br />

n.niethammer@fritzundfraenzi.ch<br />

Verlag<br />

Fritz+Fränzi,<br />

Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />

Tel. 044 277 72 62,<br />

info@fritzundfraenzi.ch,<br />

verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />

www.fritzundfraenzi.ch<br />

Business Development & Marketing<br />

Leiter: Tobias Winterberg,<br />

t.winterberg@fritzundfraenzi.ch<br />

Anzeigen<br />

Administration: Dominique Binder,<br />

d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. 044 277 72 62<br />

Art Direction/Produktion<br />

Partner & Partner, Winterthur<br />

Bildredaktion<br />

13 Photo AG, Zürich<br />

Korrektorat<br />

Brunner Medien AG, Kriens<br />

Auflage<br />

(WEMF/SW-beglaubigt 2016)<br />

total verbreitet 101 725<br />

davon verkauft 18 572<br />

Preis<br />

Jahresabonnement Fr. 68.–<br />

Einzelausgabe Fr. 7.50<br />

iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />

Abo-Service<br />

Galledia Verlag AG Berneck<br />

Tel. 0800 814 813, Fax <strong>05</strong>8 344 92 54<br />

abo.fritzundfraenzi@galledia.ch<br />

Für Spenden<br />

Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />

Postkonto 87-447004-3<br />

IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />

Inhaltspartner<br />

Institut für Familienforschung und -beratung<br />

der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />

und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />

Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation /<br />

Elternnotruf / Pro Juventute / Interkantonale<br />

Hochschule für Heilpädagogik Zürich /<br />

Schweizerisches Institut für Kinder- und<br />

Jugendmedien<br />

Stiftungspartner<br />

Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />

Zürich / Elternbildung CH / Marie-Meierhofer-<br />

Institut für das Kind / Schule und Elternhaus<br />

Schweiz / Schweizerischer Verband<br />

alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV /<br />

Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />

Kinderbetreuung Schweiz<br />

BRICKLIVE –<br />

FÜR ALLE<br />

LEGO ® -FANS.<br />

Übernachtungsangebot ab CHF 61<br />

Vom 12. bis 21. Mai <strong>2017</strong> kommt die weltweit grösste Show für LEGO-Fans nach Basel. Während 10 Tagen können<br />

Kinder und Erwachsene in der Messe Basel auf über 15'000 m 2 ihrer Leidenschaft frönen und nach Herzenslust mit<br />

den berühmten Steinen spielen. Mit dem attraktiven Spezialangebot von Basel Tourismus können Sie die LEGO-Show<br />

voll auskosten und verbringen die Nacht entspannt in einem Hotel Ihrer Wahl. Weitere Informationen und Buchung<br />

unter Tel. +41 (0)61 268 68 68 oder auf www.basel.com/bricklive.<br />

BASEL.COM<br />

80 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Buchtipps<br />

Viola Rohner:<br />

Hier ist Minna!<br />

Illustrationen<br />

von Dorota<br />

Wünsch.<br />

Peter Hammer,<br />

2016, Fr. 17.90,<br />

ab 5 Jahren<br />

Nebenan die<br />

Wildnis<br />

Das Abenteuer<br />

wartet gleich im<br />

Nachbargarten!<br />

Petra Posterts<br />

«kleiner Roman»<br />

über zwei Kinder,<br />

die ein verlassenes Haus entdecken,<br />

hat schon etwas mehr Text pro Seite,<br />

aber auch viele Bilder und eine<br />

zumutbare Länge.<br />

Tulipan, 2016, Fr. 14.90, ab 7 Jahren<br />

Bilder: ZVG<br />

Wer den üblichen Erstlesereihen entwachsen<br />

ist und sich an ein erstes «richtiges» Buch<br />

wagen will, darf nicht gleich entmutigt<br />

werden. Zum Glück gibt es Kinderliteratur,<br />

die genau diese Zielgruppe bedient und<br />

die Freude am Lesen aufrechterhält.<br />

Was kommt nach den Erstlesebüchern?<br />

Hier ist Minna!<br />

Minna ist ein<br />

«strammer Kerl»,<br />

wie Opa Jan sie<br />

nennt. «Kleinigkeit»,<br />

sagt sie, als<br />

ihre Mutter sie bittet, kurz auf die<br />

Waschmaschine aufzupassen. Und<br />

den Coiffeursalon führen, wenn<br />

Opa kurz weg ist? Minna kann das!<br />

Was sie in ihrem Alltag in der Phase<br />

zwischen Kindergartenabschied und<br />

Schulbeginn erlebt, erzählt sie in<br />

unbestechlicher Kinderlogik konsequent<br />

aus ihrer Perspektive.<br />

Als Altersangabe schreibt der<br />

Verlag bei «Hier ist Minna!» ab fünf.<br />

Tatsächlich eignet sich das Buch gut<br />

zum Vorlesen und es ist keine Frage,<br />

dass Fünfjährige schon ihre Freude<br />

daran haben können. Doch das Kinderbuch<br />

der Zürcher Autorin Viola<br />

Rohner bringt Qualitäten mit sich,<br />

die zum Selberlesen einladen: Die<br />

Schrift ist gross und serifenlos, die<br />

Zeile endet mit dem Satz, was die<br />

Orientierung im Text erleichtert,<br />

und die vielen gros sen Illustrationen<br />

tragen zum Textverständnis bei und<br />

bieten Raum für eine kurze Pause.<br />

Viele Verlage haben in den letzten<br />

Jahren erkannt, dass es Fortsetzungslektüre<br />

für jene Kinder<br />

braucht, die die reinen pädagogischdidaktischen<br />

Erstlesebücher schon<br />

gut meistern. Dicke Kinderromane<br />

sind oft noch zu umfangreich und<br />

können – müssen aber nicht! – entmutigen.<br />

Unterhaltsame und gut<br />

geschriebene Kinderliteratur in kurzer<br />

Form mit hohem Bildanteil und<br />

gut lesbarer Schrift sind hier eine<br />

Alternative.<br />

Viele Grüsse,<br />

Deine Giraffe<br />

Als Giraffe sich<br />

langweilt,<br />

schreibt sie einen<br />

Brief – und<br />

bekommt Antwort<br />

vom Pinguin! Die<br />

Geschichte zweier ganz<br />

unterschiedlicher Brieffreunde von<br />

Megumi Iwasa eignet sich zum<br />

Vor- oder Selberlesen.<br />

Moritz, <strong>2017</strong>, Fr. 16.90, ab 6 Jahren<br />

Die<br />

supergeheime<br />

Körnchengang:<br />

Der Zwei-<br />

Millionen-<br />

Körnerschatz<br />

Serien sind<br />

bestes Lesefutter,<br />

auch schon für kleine Leserinnen<br />

und Leser. In der neuen Serie<br />

von Katja Alves sind unternehmungslustige<br />

Meerschweinchen die grossen<br />

Helden.<br />

Arena, <strong>2017</strong>, je Fr. 13.90, ab 7 Jahren<br />

Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />

Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />

Instituts für Kinder- und<br />

Jugendmedien SIKJM.<br />

Auf www.sikjm.ch/rezensionen sind<br />

weitere B uch empfehlungen zu finden.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Mai <strong>2017</strong>81


Eine Frage – drei Meinungen<br />

Unsere Tochter, 9, spielt seit Kurzem Klavier. Mit dem Üben nimmt sie es<br />

nicht so genau; sie meint, sie sei ein Naturtalent. Wie bringen wir ihr bei,<br />

dass tägliches Üben einfach dazugehört? Gisela, 45, und Tom, 39, Glarus<br />

Nicole Althaus<br />

Naturtalent oder nicht. Der<br />

Mensch hat eine natür liche<br />

Tendenz, das Vergnügen der<br />

Arbeit vorzuziehen. Wenn Sie<br />

wirklich wollen, dass Ihre<br />

Tochter übt, dann schreiben<br />

Sie es ihr vor. Freiwillig setzen<br />

sich nur die allerwenigsten<br />

Kinder ans Klavier. Und ein<br />

tiefes Verständnis für den Sinn täglichen Übens können<br />

Sie von einer Neunjährigen auch nicht erwarten. Erst<br />

Hausaufgaben, dann Üben, dann das Vergnügen. Wenn<br />

Sie sich daran halten, wird es Ihre Tochter auch tun.<br />

Tonia von Gunten<br />

Am besten lernt der Mensch,<br />

indem er sich für etwas<br />

begeistert. Mit Druck<br />

hingegen erreichen Sie auf<br />

Dauer gar nichts. Am<br />

allerwenigsten, dass Ihre<br />

Tochter dadurch ihre heutige<br />

Freude am Klavierspielen<br />

behält. Hören Sie ihr immer<br />

wieder beim Üben zu und erfreuen Sie sich an den<br />

kleinen Fortschritten. Es bleibt dabei zu hoffen, dass<br />

Ihre Tochter sich weiterhin fürs Klavierspielen<br />

interessiert – Naturtalent hin oder her!<br />

Peter Schneider<br />

Dass sie kein Naturtalent ist,<br />

dürfte sie bald schon selber<br />

merken. Ob es sie dazu<br />

bewegt, anzuerkennen, dass<br />

sie deshalb mehr üben muss,<br />

wird sich zeigen. Bis dahin<br />

bleibt Ihnen wohl nichts<br />

anderes übrig, als sie zum<br />

täglichen Üben anzuhalten.<br />

Und sich schon mal darauf einzustellen, dass sie<br />

vermutlich keine zukünftige Martha Argerich in der<br />

Familie haben, sondern eine Hobbypianistin, die Ihnen<br />

später einmal wahlweise vorwerfen wird, dass sie<br />

immer auf dem Klavier üben musste, oder aber, dass<br />

ihre Eltern sie nicht konsequent genug zum Üben<br />

angehalten haben.<br />

Nicole Althaus, 48, ist Kolumnistin, Autorin<br />

und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am<br />

Sonntag». Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir<br />

eltern» und hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.<br />

ch» initiiert und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter<br />

von zwei Kindern, 16 und 12.<br />

Tonia von Gunten, 43, ist Elterncoach, Pädagogin<br />

und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein<br />

Programm, das frische Energie in die Familien<br />

bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz<br />

stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet<br />

und Mutter von zwei Kindern, 10 und 7.<br />

Peter Schneider, 59, ist praktizierender<br />

Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die<br />

andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent<br />

für klinische Psychologie an der Uni Zürich und<br />

ist Professor für Entwicklungspsychologie an<br />

der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines<br />

erwachsenen Sohnes.<br />

Haben Sie auch eine Frage?<br />

Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />

82 Mai <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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