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Stahlreport 2016.12

Das Magazin des Bundesverbands Deutscher Stahlhandel für die Stahldistribution

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Lifesteel<br />

Bericht<br />

Binnenschifffahrt im 19. Jahrhundert<br />

Ketten schleppten Kähne<br />

Von Ferne muss es tatsächlich geklungen haben wie das Muhen einer Kuh: Wenn ein Kettenschleppschiff<br />

seine Sirene ertönen ließ, haben sich Unkundige wohl oft gefragt, was denn eine Kuh<br />

wohl auf dem Schiff verloren hat. Die Hessen in Frankfurt nannten sie Maakuh oder Määkuh und<br />

die Franken in Würzburg Meekuh: Kettenschleppschiffe. <strong>Stahlreport</strong>-Autor Dr. Günther Philipp<br />

zeichnet die Geschichte der Kettenschifffahrt nach.<br />

Ein Kettenschiffschleppverband<br />

auf der Seine<br />

(Frankreich, frühes<br />

20. Jahrhundert,<br />

französische Postkarte)<br />

Foto: Wikimedia/Alexandrin<br />

Kettenschleppschiffe beherrschten<br />

die deutsche Flussschifffahrt<br />

von 1866 bis ins 20. Jahrhundert<br />

hinein. Die letzten Kettenschleppschiffe<br />

wurden erst 1943 außer Dienst<br />

gestellt. Aber wie kam es überhaupt<br />

zur Kettenschifffahrt? Die einsetzende<br />

Industrialisierung in Deutschland<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts erforderte<br />

es, größere Mengen an Rohstoffe<br />

und die daraus entstandenen<br />

fertigen Produkte schneller und preisgünstiger<br />

zu transportieren.<br />

Dazu eigneten sich Wasserwege<br />

ganz besonders. Allerdings waren<br />

die Flüsse noch nicht reguliert und<br />

ihre Tiefe betrug deutlich weniger als<br />

1 m. Die bis dahin gebräuchliche<br />

Treidelschifffahrt (= Lastkähne wurden<br />

mit Pferden flussaufwärts<br />

geschleppt) war nicht mehr leistungsfähig<br />

genug. Selbst mit zehn<br />

Pferden waren selten mehr als 100<br />

t zu schleppen. Außerdem war das<br />

Treideln zu langsam.<br />

Lösung: Kettenschiffe<br />

Also sah man sich nach anderen<br />

Lösungen um. Die Kettenschifffahrt<br />

hatte ihren Ursprung in Frankreich;<br />

dort wurde sie seit 1839 mit Erfolg<br />

auf Flüssen und Kanälen betrieben.<br />

In Deutschland fuhren die ersten<br />

Kettenschiffe ab 1866 auf der unteren<br />

Elbe (hinterher auf der ganzen<br />

Elbe) und später auf der Donau, dem<br />

Neckar, der Saale, dem Main und<br />

auf der Spree und Havel sowie auf<br />

der Brahe (heute Polen).<br />

Das Antriebsprinzip war einfach:<br />

im Fluss wurde eine Kette verlegt,<br />

an der sich Schlepper mit einer<br />

Geschwindigkeit von etwa 4 bis 5<br />

km fortbewegten. Dabei zog die<br />

Dampfmaschine die Ketten über auf<br />

dem Deck angebrachten Zahntrommeln<br />

aus dem Wasser und am Heck<br />

des Schiffes wurde die Kette wieder<br />

in das Flussbett abgelegt. Der Vortrieb<br />

wurde über zwei dampfbetriebene,<br />

gleichläufig drehende Trommeln<br />

mit Rillenführungen für die<br />

Kette erzeugt.<br />

Die Kette wurde um beide Trommeln<br />

jeweils drei- bis viermal herumgeführt.<br />

So konnte durch Haftreibung<br />

die Kraft übertragen werden.<br />

Die Spannung in der auflaufenden<br />

Kette war etwa 500-mal größer als<br />

in der ablaufenden Kette. Die Ketten<br />

hatten eine Stärke zwischen 22 und<br />

26 mm. In der Regel waren die Kettenstränge<br />

etwa 400 m lang und<br />

durch Kettenschlösser verbunden.<br />

Kettenschlepper konnten sechs<br />

bis acht (manchmal auch bis zu zehn)<br />

Kähne mit einer Dampfmaschine<br />

schleppen und dabei 300 bis 400 t<br />

befördern. Die Strecke Hamburg-Böhmen<br />

konnte man nun sechs- bis achtmal<br />

pro Jahr zurücklegen. Brauchte<br />

man vorher mit den Treidelschiffen<br />

bis zu acht Mann Schiffsbesatzung<br />

und drei bis vier Reiter, waren es auf<br />

den Kettenschleppern nur ein Steuermann<br />

und zwei Matrosen.<br />

Im Jahr 1893 waren etwa 1.250<br />

km Ketten in deutschen Flüssen verlegt.<br />

Allein die Kette in der Elbe<br />

waren zwischen Hamburg und der<br />

böhmischen Grenze maß 629 km<br />

und insgesamt bis zur Moldaumündung<br />

in Melnik (Tschechien) 745<br />

km. Etwa 64 Mio. Reichsmark hatte<br />

man für die Verlegung von Schleppketten<br />

in deutschen Flüssen aufgewendet.<br />

Gemessen an dem, was ein<br />

Kettenschmied damals verdiente<br />

(rund 65 Reichsmark pro Monat)<br />

entspräche dies heute einem Wert<br />

von etwa 2,5 Mrd. €.<br />

Ausbau der Flüsse läutete Ende<br />

der Kettenschiffe ein<br />

Mit der Regulierung der Flüsse und<br />

dem Bau von Staustufen in den deutschen<br />

Flüssen verlor die Kettenschleppschiffart<br />

jedoch ihre Bedeutung.<br />

Die Schraubenschiffe konnten<br />

bei den nun größeren Wassertiefen<br />

ihre Überlegenheit ausspielen. 1943<br />

wurde schließlich die letzte noch<br />

verbliebene Kettenschleppschifffahrt<br />

auf der Elbe aufgegeben. In Frankreich<br />

ist heute noch ein Kettenschiff<br />

auf dem Canal de St. Quentin im<br />

Betrieb. Es ist 25 m lang, 5 m breit<br />

und hat 1 m Tiefgang. Angetrieben<br />

wird es von einem 600-Volt-Elektromotor.<br />

2<br />

50 <strong>Stahlreport</strong> 12|16

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