COMPACT SPEZIAL 9 "Zensur in der BRD"
Die Liste der verbotenen Autoren
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<strong>COMPACT</strong>Spezial<br />
_ <strong>Zensur</strong> im Radio<br />
gen Seesen<strong>der</strong>n Radio Veronica und Radio Nordsee<br />
International den Garaus. Doch die Stimmung<br />
<strong>der</strong> anarchistischen Wellen war im London <strong>der</strong><br />
1970er Jahre wohl noch spürbar. Der von Hörig<br />
verehrte Everett mo<strong>der</strong>ierte <strong>in</strong>zwischen bei Capital<br />
Radio, e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> ersten britischen Privatsen<strong>der</strong>.<br />
Dieses Milieu hat Hörig geprägt. Später würde<br />
sich <strong>der</strong> deutsche Fan dessen Studio detailgetreu<br />
nachbauen lassen. Nicht je<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er Witze war<br />
gelungen. Doch Radio hieß Rebellion – auch gegen<br />
die Enge <strong>der</strong> politischen Korrektheit. Frei nach Kurt<br />
Tucholsky: «Satire darf alles».<br />
Anarchie <strong>in</strong> Baden-Baden<br />
Hörig hatte Glück. Beim Südwestfunk im heimatlichen<br />
Baden-Baden schw<strong>in</strong>delte er e<strong>in</strong> Engagement<br />
bei Capital Radio vor. Nach e<strong>in</strong> paar M<strong>in</strong>uten<br />
Probemo<strong>der</strong>ation nahm ihn die ARD-Anstalt unter<br />
Vertrag. Seit 1975 dröhnte im Südwesten mit SWF3<br />
e<strong>in</strong>e Jugendwelle aus den Transistorradios, <strong>der</strong>en<br />
Machern ihr Chef Peter Stock<strong>in</strong>ger den Rücken freihielt.<br />
Fünf Jahre später bekam Hörig die nach ihm<br />
benannte Elmi-Show – e<strong>in</strong>e Ausnahme im damaligen<br />
deutschen Hörfunk. Er war nun <strong>der</strong> e<strong>in</strong>same DJ.<br />
So etwas wie e<strong>in</strong> Cowboy des Äthers. Se<strong>in</strong>e Sendungen<br />
plante er penibel. Ke<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er flapsig-provokativen<br />
Sprüche war spontan. Vor dem Mikrofon<br />
teilte er aus. Niemand war vor se<strong>in</strong>en Witzen<br />
sicher. Doch <strong>in</strong> den meisten Fällen blieb Hörig dabei<br />
weit oberhalb je<strong>der</strong> Gürtell<strong>in</strong>ie. «Querflöte hätte ich<br />
auch gerne gelernt, aber ich hab‘ mir sagen lassen,<br />
dass e<strong>in</strong>em die Unterlippe dabei ausleiert und<br />
man h<strong>in</strong>terher so aussieht wie Harry Belafonte.<br />
Ich hab dann Mundharmonika gelernt, dabei sieht<br />
man eher aus wie Günther Strack», sagte er etwa.<br />
O<strong>der</strong>: «Denke daran: E<strong>in</strong> Ja vor dem Altar bedeutet<br />
lebenslänglich. E<strong>in</strong> Ne<strong>in</strong> gibt nur Dresche von <strong>der</strong><br />
Schwiegermutter.»<br />
1995 holte Sat.1 Hörig auf den Bildschirm. Mit<br />
zeitweise vier Sen<strong>der</strong>eihen sollte er den vom Konkurrenten<br />
RTL abgehängten Privatfernsehpionier<br />
wie<strong>der</strong> auf die Überholspur br<strong>in</strong>gen. Doch tatsächlich<br />
war es <strong>der</strong> Anfang vom Ende. Nicht nur, weil<br />
dem Radiomann das Fernsehen schlicht nicht lag.<br />
Vor allem jedoch, weil sich <strong>der</strong> Mehltau <strong>der</strong> politischen<br />
Korrektheit zuerst auf den Bildschirmen<br />
ausbreitete. Und Humor ist den Tugendwächtern<br />
fremd. Irgendwann ließ sich Hörig während e<strong>in</strong>er<br />
Quizshow lobend über Männer zwischen 40<br />
und 50 aus, die genug Geld, «noch Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Hose» hätten. E<strong>in</strong>e 17-Jährige skandierte «Zeigen,<br />
zeigen!» und Hörig bot ihr an: «Komm runter,<br />
du kle<strong>in</strong>e Ische, ich zeig’s dir.» Zugegeben: Geschmackvoll<br />
ist an<strong>der</strong>s – von beiden Beteiligten.<br />
Doch für den Zotenreißer Hörig s<strong>in</strong>d solche Sätze<br />
nichts Beson<strong>der</strong>es – genau deshalb liebte ihn se<strong>in</strong><br />
Publikum, genau deshalb hatte ihn <strong>der</strong> Sen<strong>der</strong> engagiert.<br />
Doch die Zeiten hatten sich geän<strong>der</strong>t: In<br />
<strong>der</strong> Boulevardpresse hyperventilierte die 17-Jährige<br />
über angeblich «massive sexuelle Belästigung».<br />
Kurz darauf war se<strong>in</strong>e Karriere bei Sat.1 beendet.<br />
Kalte Wochen beim SWR<br />
Noch hielt sich Hörig wegen se<strong>in</strong>es Erfolges für<br />
unangreifbar, trat denkbar arrogant auf. «Ich war<br />
damals e<strong>in</strong> Arschloch», sagt er heute selber. Er unterschätzte,<br />
wie eng die Korridore <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ungsfreiheit<br />
geworden waren – schon vor 20 Jahren.<br />
Radio sei <strong>der</strong> «letzte Ort, wo man – noch – sagen<br />
kann, was man will», glaubte er. Doch se<strong>in</strong> Heimatsen<strong>der</strong><br />
stand vor dem Aus. 1998 mussten Südwestfunk<br />
und Süddeutscher Rundfunk fusionieren,<br />
nicht zuletzt auf politischen Druck. Hörig bezeichnete<br />
den Zusammenschluss als «Blöds<strong>in</strong>n», nannte<br />
die Verantwortlichen «Sesselfurzer». Damit sprach<br />
er aus, was viele Mitarbeiter dachten. De facto<br />
machte SWF3 als SWR3 e<strong>in</strong>fach weiter. Aber die<br />
Jahre unbeschwerten Plau<strong>der</strong>ns waren vorbei –<br />
Hörigs Videos s<strong>in</strong>d unter Youtube.<br />
com/user/Bimboberg abrufbar.<br />
Fotos: «YouTube»<br />
Auch im Radio geht bei Abweichungen<br />
ganz schnell <strong>der</strong> Regler runter.<br />
Foto: splitshire.com<br />
Das Radio ist <strong>der</strong> «letzte Ort, wo<br />
man – noch – sagen kann, was<br />
man will».<br />
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