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COMPACT SPEZIAL 9 "Zensur in der BRD"

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<strong>COMPACT</strong>Spezial<br />

_ <strong>Zensur</strong> im TV<br />

2000 schrieb die Presse über das Balkan-Syndrom,<br />

als es auch bei den im Kosovo stationierten Soldaten<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Schutztruppe KFOR zu<br />

aggressivem Krebs, Leukämie und zu Todesfällen<br />

kam. Verteidigungsm<strong>in</strong>ister Rudolf Scharp<strong>in</strong>g<br />

(SPD) geriet unter Druck.<br />

«E<strong>in</strong> solches Thema werden Sie <strong>in</strong><br />

ke<strong>in</strong>er Zeitung unterbekommen.»<br />

Geschosse mit abgereichertem Uran brennen<br />

sich durch Stahl und Gebäudewände. Sie h<strong>in</strong>terlassen<br />

radioaktive Rückstände, die Krankheit und<br />

Tod verbreiten – Todesstaub, so <strong>der</strong> aussagekräftige<br />

Titel von Wagners späterem Film (siehe unten).<br />

Depleted uranium (DU) ist e<strong>in</strong> Abfallprodukt<br />

<strong>der</strong> Atom<strong>in</strong>dustrie und kommt <strong>in</strong> panzerbrechen<strong>der</strong><br />

Munition zum E<strong>in</strong>satz. Ihre Produktion rechnete<br />

sich für m<strong>in</strong>destens zwei Interessengruppen: Zum<br />

e<strong>in</strong>en für die Atom<strong>in</strong>dustrie, die auf diese Weise<br />

den radioaktiven Son<strong>der</strong>müll nicht mehr kosten<strong>in</strong>tensiv<br />

entsorgen muss; und zum an<strong>der</strong>en für die<br />

US-amerikanische Rüstungs<strong>in</strong>dustrie, weil sie den<br />

Rohstoff für e<strong>in</strong>e äußerst effektive Waffe praktisch<br />

geschenkt bekommt.<br />

In Deutschland bildete man nach den ersten<br />

Schlagzeilen über DU e<strong>in</strong>e Kommission zur Prüfung<br />

<strong>der</strong> Gefährdungslage. Respektable Namen<br />

mussten sicherstellen, dass man zu den richtigen<br />

Ergebnisse kam. Man fand sie mit Theo Sommer<br />

und Gero von Randow, e<strong>in</strong>em ehemaligen Chefredakteur<br />

und dem damaligen Politikredakteur <strong>der</strong><br />

Zeit. Die beiden machten ihre Sache gut. Das große<br />

Schlachtschiff Die Zeit spielte Schiffchenversenken<br />

mit kritischen Artikeln, beschimpfte <strong>der</strong>en Autoren<br />

als «Alarmisten» und «Panikmacher» und behauptete<br />

frech, die Radartechnik stelle e<strong>in</strong> wesentlich<br />

höheres Gesundheitsrisiko für die Soldaten dar<br />

als die verme<strong>in</strong>tlich harmlose Uranmunition. Theo<br />

Sommer erhielt später vom Verteidigungsm<strong>in</strong>isterium<br />

das Ehrenkreuz <strong>der</strong> Bundeswehr <strong>in</strong> Gold.<br />

E<strong>in</strong> gefeierter Filmemacher<br />

Wagner war e<strong>in</strong> renommierter Regisseur: 1942<br />

<strong>in</strong> Benesow, im heutigen Tschechien, geboren, f<strong>in</strong>g<br />

er <strong>in</strong> den 1960er Jahren als Aufnahmeassistent an<br />

und arbeitete schon <strong>in</strong> den 1970ern als selbständiger<br />

Kameramann und Dokumentarfilmer. Ab 1982<br />

erstellte er <strong>in</strong> eigener Regie Dokumentationen<br />

und erhielt den Adolf-Grimme-Preis <strong>in</strong> Silber und<br />

<strong>in</strong> Gold. Ab 1992 produzierte er größere, auch kritisch-<strong>in</strong>vestigative<br />

Filme für ARD, ZDF und WDR.<br />

Kurz und gut: Er war gern gesehen <strong>in</strong> den großen<br />

Sendehäusern, man schmückte sich mit se<strong>in</strong>em<br />

Namen.<br />

Alles än<strong>der</strong>te sich 2003, als er sich dem Thema<br />

Uranmunition zuwandte. Se<strong>in</strong> Film Der Arzt und die<br />

verstrahlten K<strong>in</strong><strong>der</strong> von Basra wurde 2004 <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

WDR-Reihe Die Story ausgestrahlt und brachte ihm<br />

den Europäischen Fernsehpreis e<strong>in</strong>. Der Film schien<br />

schon damals quasi aus Versehen durchgerutscht<br />

zu se<strong>in</strong> – nach <strong>der</strong> Erstausstrahlung verschwand er<br />

auf Nimmerwie<strong>der</strong>sehen <strong>in</strong> den Archiven.<br />

Doch Wagner gab nicht auf. 2007 legte er nach:<br />

Die e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halbstündige K<strong>in</strong>odokumentation Deadly<br />

Dust – Todesstaub ist das bis heute gründlichste<br />

Filmdokument zum E<strong>in</strong>satz von Uranmunition und<br />

ihren grausamen Folgen. Es gelang dem Regisseur,<br />

das Schweigekartell rund um DU zu brechen. Er<br />

reiste überallh<strong>in</strong> zu Vorträgen und Filmvorführungen,<br />

und <strong>der</strong> Film war sogar auf <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>ale 2007<br />

für den Preis «C<strong>in</strong>ema for Peace» nom<strong>in</strong>iert.<br />

Was war die Botschaft des Films? Wagner<br />

drückte es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview so aus: »Die Kernaussage<br />

des Films ist e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige, aber e<strong>in</strong>e furchtbare:<br />

Nämlich, dass <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz von Uranmunition und<br />

Uranbomben e<strong>in</strong> Kriegsverbrechen ist. Uranwaffen<br />

E<strong>in</strong>e halbe Million<br />

Krebstote<br />

Im Irak soll sich die Zahl <strong>der</strong><br />

Krebserkrankungen und <strong>der</strong><br />

Missbildungen bei Neugeborenen<br />

verzehnfacht haben. E<strong>in</strong>e<br />

Studie <strong>der</strong> britischen Atomenergiebehörde,<br />

im November<br />

1991 zum Independent durchgesickert,<br />

geht von 500.000 zusätzlichen<br />

Krebstoten im Irak<br />

aus. Dieser Hochrechnung wurde<br />

e<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>terlassenschaft von<br />

40 Tonnen DU-Munition zugrunde<br />

gelegt. In <strong>der</strong> Realität setzten<br />

die US-Streitkräfte im Irak<br />

(1991) zwischen 260 und 400<br />

Tonnen, im Kosovo (1999) 10,5<br />

Tonnen, <strong>in</strong> Bosnien (1995) mehr<br />

als drei Tonnen e<strong>in</strong>.<br />

US-Soldaten im Irak. Foto: U.S.<br />

Mar<strong>in</strong>e Corps<br />

Deutsche Behörden beschlagnahmen<br />

das von Siegwart-Horst<br />

Günther nach Berl<strong>in</strong> geschmuggelte<br />

Beweismaterial. Foto: Filmausschnitt<br />

«Deadly Dust»<br />

Frie<strong>der</strong> Wagner nahm sich des Themas zu e<strong>in</strong>er<br />

Zeit an, als es eigentlich schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Versenkung<br />

verschwunden war. Es war gelungen, die entsetzlichen<br />

Auswirkungen des tödlichen Uranstaubs als<br />

Golfkriegssyndrom <strong>in</strong> den Bereich <strong>der</strong> obskuren<br />

Phänomene zu verschieben. Die missgebildeten<br />

Babies und K<strong>in</strong><strong>der</strong>, das Explodieren <strong>der</strong> Krebsraten,<br />

die fürchterlichen Organschäden – all das<br />

hatte mit Uranmunition angeblich nichts zu tun und<br />

galt schlicht als ungeklärt.<br />

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