COMPACT SPEZIAL 8 "Asyl das Chaos"
So kommt der Bürgerkrieg nach Deutschland
So kommt der Bürgerkrieg nach Deutschland
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<strong>COMPACT</strong> Spezial<br />
_ Der Bürgerkrieg<br />
Heilbronn war. Die Agenten beobachteten einen<br />
«Contact» mit der Abkürzung M. K. und einen nicht<br />
identifizierten weiteren Verdächtigen bei der Einzahlung<br />
von 2,3 Millionen Euro in einer Filiale der<br />
Santander Bank. Um 13.50 Uhr bewegten sich die<br />
Zielpersonen zur Theresienwiese, wo die Observation<br />
endete, als es zu einer Schießerei kam – dem<br />
Mord an Michèle Kiesewetter.<br />
«Welche Kontakte unterhält der<br />
türkische Geheimdienst zu<br />
deutschen Neonazis?»<br />
<br />
Gerhard Piper<br />
Der bei der Bankeinzahlung beobachtete M. K.<br />
ist ein gewisser Mevlüt Kar. Er wurde im August<br />
2002 in der Türkei verhaftet und spätestens dann<br />
vom dortigen Geheimdienst Millî stihbarat Tekilât<br />
(MIT) unter dem Decknamen «Ubeyde» angeworben.<br />
«Der (türkische) Geheimdienst habe den Informanten<br />
in Kooperation mit der CIA geführt. Die<br />
deutschen Behörden seien über <strong>das</strong> Projekt schon<br />
früh informiert gewesen», berichtete Bild im Juli<br />
2009. Im Jahre 2004 stieg Kar in eine Operation<br />
ein, die Schlagzeilen machen sollte: Er machte sich<br />
in Istanbul an den Chef der späteren «Sauerland-<br />
Gruppe», den Ulmer Konvertiten Fritz Gelowicz, heran<br />
und überzeugte den prospektiven Dschihadisten,<br />
nicht nach Tschetschenien zu gehen, sondern<br />
nach Afghanistan. Kar schleuste den Novizen an<br />
den Hindukusch, wo er – anstatt seinem ursprünglichen<br />
Wunsch gemäß vor Ort gegen die US-Amerikaner<br />
zu kämpfen – von Instrukteuren der ebenfalls<br />
Geheimdienst-kontrollierten Splittergruppe Islamische<br />
Dschihad Union (IJU) zum Bombenlegen<br />
in Deutschland animiert wurde. Zurückgekehrt nach<br />
Ulm, bekam Gelowicz wiederum von Kar die dafür<br />
notwendige Hardware: Im Sommer 2007 übergab<br />
er insgesamt 26 Zünder, die er im Kosovo und der<br />
Türkei beschafft hatte, an die «Sauerland-Gruppe».<br />
Bevor diese zum Jahrestag des 11. September ein<br />
«deutsches 9/11» inszenieren konnte, schlug die<br />
Polizei zu und brachte Gelowicz und seine Helfer<br />
hinter Gitter. Gegen Kar selbst erließ die Bundesanwaltschaft<br />
im August 2009 Haftbefehl und stellte<br />
ein Auslieferungsersuchen an die Türkei, die diesem<br />
aber bis jetzt nicht nachgekommen ist. Kar lebt<br />
heute unbeschwert in Istanbul.<br />
Zurück zum Heilbronner Polizistenmord. War Kar<br />
an der Schießerei auf der Theresienwiese beteiligt?<br />
In der Nähe des Tatorts wurden jedenfalls zwei Araber<br />
kontrolliert, von denen nach Stern-Informationen<br />
mindestens einer Bezüge zu Mevlüt Kar hatte.<br />
Und etwa dreißig Minuten nach dem Mord wurde<br />
ein blutverschmierter Verletzter in den etwa 1.500<br />
Meter entfernten Neckarwiesen beobachtet, der<br />
sich in einen blauen Audi 80 schleppte. Ein Mann<br />
im Wagen rief ihm auf Russisch etwas zu. Kar, der<br />
laut Stern viel mit Tschetschenen und Serben zu<br />
tun hat, spricht diese Sprache.<br />
Gerhard Piper, der für <strong>das</strong> Berliner Institut für<br />
Transatlantische Beziehungen (BITS) ein Who is<br />
Who «Al-Qaida und ihr Umfeld in Deutschland»<br />
erstellt und über Kar für <strong>das</strong> Internetportal Telepolis<br />
detailgenau recherchiert hat, stellt die richtigen<br />
Fragen: «Gibt es eine zumindest geheimdienstliche<br />
Verbindung zwischen der islamistischen<br />
Sauerland-Gruppe und der neonazistischen Zwickauer-Gruppe?<br />
Und welche Kontakte unterhält eigentlich<br />
der türkische Geheimdienst Millî stihbarat<br />
Tekilât (MIT) zu deutschen Neonazis, die wiederum<br />
türkische Staatsbürger in Deutschland reihenweise<br />
umbringen?»<br />
Ein Kurde an drei Tatorten<br />
Am 9. Juni 2004 detonierte eine Nagelbombe<br />
in der Kölner Keupstraße, mitten im Herzen des<br />
Multikulti-Viertels der rheinischen Metropole. 22<br />
Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Mehrmals<br />
filmten Überwachungskameras am Gebäude<br />
des Musiksenders Viva in den Stunden vor der Explosion<br />
zwei Männer, die Fahrräder mit vollen Tüten<br />
in Richtung des Tatortes schoben. Doch während<br />
die meisten Medien entsprechend der Anklage des<br />
Generalbundesanwalts als Fakt darstellen, <strong>das</strong>s die<br />
Aufnahmen die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und<br />
Uwe Böhnhardt zeigen, ist eine definitive Identifizierung<br />
aufgrund der Qualität der Bilder sowie der<br />
Kopfbedeckungen kaum möglich.<br />
Eine Zeugin («B.») beschrieb dagegen den einen<br />
Fahrradfahrer als «einen hübschen Mann<br />
eher mediterranen Typs» (NSU-Abschlussbericht<br />
des Bundestages, Seite 672). Eine weitere Zeugin<br />
will einen der beiden Kölner Tatverdächtigen<br />
wiedererkannt haben, nachdem man ihr <strong>das</strong> Überwachungsvideo<br />
aus der Keupstraße vorgespielt<br />
hat – allerdings habe sie den Mann erst im Folgejahr<br />
persönlich gesehen, im Zusammenhang mit<br />
einem weiteren mutmaßlichen NSU-Mord, dem an<br />
Ismail Yasar 2005 in Nürnberg. Auf dem Phantombild,<br />
<strong>das</strong> die Polizei nach der Bluttat in der Frankenmetropole<br />
in der Bild-Zeitung veröffentlicht hatte,<br />
identifizierte ein weiterer Zeuge einen gewissen<br />
Veli A. Im Polizeiprotokoll heißt es zur Person: «Er<br />
ist Mitglied/Anhänger der PKK, hat hier in HH-Billstedt<br />
gewohnt.» Mit PKK ist die kurdische Arbeiterpartei<br />
gemeint, die sich seit 30 Jahren einen blutigen<br />
Kampf mit der türkischen Staatsmacht liefert.<br />
Sonder-Ausgabe Nr. 1 | 8,80 Euro<br />
www.compact-magazin.com<br />
Kai Voss<br />
<strong>SPEZIAL</strong><br />
Operation «Nationalsozialistischer Untergrund»<br />
Neonazis, V-Männer und Agenten<br />
Die größte Mordserie seit Gründung der<br />
Bundesrepublik ist nicht aufgeklärt. Aus dem Inhalt:<br />
Das Rätsel der Mordwaffe | CIA-Mann Mevlüt Kar | Ein Verfassungsschützer<br />
am Tatort | Die türkische Spur | Das Spukhaus in Zwickau.<br />
<strong>COMPACT</strong>-Spezial Nr. 1. Foto: COM-<br />
PACT<br />
Halit Yozgat. Foto: Archiv<br />
Phantombild des mutmaßlichen<br />
Bombenlegers von Köln.<br />
Foto: Archiv<br />
Tatort des angeblichen Doppelselbstmordes<br />
von Uwe Böhnhardt<br />
und Uwe Mundlos. Foto: Archiv<br />
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