KURT 05/2017
KURT - Das Stadt-, Kultur- und Szenemagazin für die Region Gifhorn 05/2017
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05/2017
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Jede Box hat ihre eigene<br />
Geschichte<br />
Erinnerungen und Träumereien eines Kriegsheimkehrers im Mini-Format<br />
blaulicht & blitzlicht<br />
Eine Landschaft aus Zahnpasta, ein so<br />
winziges Karussell, dass es in die Hosentasche<br />
passt, und viele, kleine Illustrationen:<br />
Die liebevoll für seine Tochter<br />
Friederike gestalteten Werke des Weltkriegs-Überlebenden<br />
Albert Witt erzählen<br />
spannende Geschichten. Und diese Mini-<br />
Kunstwerke gibt‘s nun zu bestaunen: In<br />
der Sonderausstellung „For my Children –<br />
Aus dem Seesack eines Kriegsheimkehrers“<br />
im Schulmuseum in Steinhorst. Kuratorin<br />
Wiebke Manzke (37) schwärmt von<br />
Stil und Umfang der Sammlung: „Jede<br />
Box hat ihre eigene Geschichte!“<br />
Seine kleine Friederike war noch nicht geboren,<br />
als der 34-jährige Albert Witt sich im<br />
Mai 1941 freiwillig zum Kriegsdienst meldete.<br />
Im lothringischen Fentsch wurde er fortan<br />
als Grenzdienstreservist eingesetzt. Wann<br />
und wo immer Albert, der zuvor noch als Gewerbelehrer<br />
für Maler arbeitete, auf seinen<br />
täglichen Patrouillen Rast machen konnte,<br />
zeichnete er drauf los – so entstanden die<br />
ersten eindrucksvollen Bilder für seine Tochter.<br />
Denn trotz der räumlichen Distanz wollte<br />
er ihr die Welt erklären: Nur durch seine<br />
postkartengroßen Bilder in kleinen Briefen<br />
und spärlich gesäten Heimaturlaub lernte<br />
Friederike ihren Vater kennen. Doch beinahe<br />
täglich trudelte seine Post bei der Familie in<br />
Uelzen ein – bis er wie 371.000 weitere deutsche<br />
Soldaten im Juni 1944 in amerikanische<br />
Kriegsgefangenschaft geriet. Seine Kameraden<br />
wurden auf zahlreiche Lager innerhalb<br />
der USA verteilt – und Albert wurde als Erntehelfer<br />
im ganzen Land eingesetzt.<br />
„Am 9. August erreichte meine Mutter ein<br />
Brief von Oberstleutnant Schneider, der uns<br />
mitteilte, dass mein Vater als vermisst gilt“,<br />
erinnert sich Friederike Witt-Schiedung an<br />
jene Zeit. „Dass er zu diesem Zeitpunkt bereits<br />
über Neapel und Algier auf dem Transport<br />
nach Amerika war, erfuhren wir erst viel<br />
später. 1945 zeichnete mein Vater das Bilderbuch<br />
„Der neue Lederstrumpf“, in dem<br />
er seine Erlebnisse der Gefangennahme als<br />
Kampf zwischen Cowboy und Indianer verarbeitete<br />
– die Deutschen waren die Cowboys,<br />
die Amerikaner die Indianer“, erzählt die<br />
75-Jährige. „Erst aus dem Tagebuch meines<br />
Vaters erfuhr ich, dass diese Zeit für ihn ganz<br />
und gar nicht so lustig war, wie er es in seinen<br />
Zeichnungen immer darstellte.“<br />
Kuratorin Wiebke Manzke (37) führt die Besucher im<br />
Schulmuseum durch die Ausstellung „For my Child-<br />
ren – Aus dem Seesack eines Kriegsheimkehrers“.<br />
Fotos: Rüdiger Rodloff<br />
Der innere Drang, sich trotz seiner Lage<br />
künstlerisch auszudrücken, machte den Inhaftierten<br />
erfinderisch. Seiner Malmittel beraubt<br />
musste er anderes Material finden. So<br />
entstanden aus Pappe, Draht, Holz und Zahnpasta<br />
die ersten Spielzeugkästchen – mit einer<br />
Grundfläche von 6,5 mal 6,5 Zentimetern<br />
und ungefähr vier Zentimeter hoch. Nur so<br />
konnte er sie von Lager zu Lager mitnehmen.<br />
„Oft fertigte er seine Zeichnungen auf<br />
dünnstem Toilettenpapier an“, erzählt Kuratorin<br />
Wiebke Manzke. „Dem einzigen Papier,<br />
das offenbar immer zur Verfügung stand.“<br />
Mit dem offiziellen Kriegsende am 8. Mai<br />
1945 wurden die ersten Gefangenen dann<br />
endlich entlassen – Albert jedoch wurde mit<br />
einigen Tausend weiteren Gefangenen an<br />
Großbritannien übergeben. Für Farm-Arbeiten<br />
war er dann in Südengland untergebracht<br />
und schrieb dort regelmäßig Tagebuch. Dieses<br />
zeigt, wie seine Geduld schwand und die<br />
Verzweiflung aufkam, obwohl er immerhin<br />
wieder Briefkontakt zu seiner Familie hatte.<br />
Schließlich wurde der Freilassung wegen Lehrermangels<br />
im besetzten Deutschland stattgegeben<br />
und Ende Juli 1947 kam der Familienvater<br />
wieder nach Hause. Im Gepäck: all<br />
seine geretteten Kunstwerke.<br />
Die meisten dieser 28 Kästchen sind der<br />
Heimatkunde zuzuordnen, andere eher international<br />
oder auch kulturell angehaucht.<br />
Eine der für Tochter Friederike bedeutendsten<br />
Spielzeugschachteln ist bis heute die Box<br />
mit dem Namen „Marsch“: Diese bekam sie<br />
erst in Deutschland überreicht. Dafür hatte<br />
sich Albert etwas besonderes ausgedacht:<br />
eine Wanderung – also ein Marsch – als erstes<br />
gemeinsames Erlebnis der Familie.<br />
<strong>KURT</strong>s Tipp: Die Sonderausstellung „For my<br />
Children – Aus dem Seesack eines Kriegsheimkehrers“<br />
ist noch bis zum 13. August im<br />
Schulmuseum, Marktstraße 20, in Steinhorst<br />
zu sehen. Mittwochs bis samstags hat das<br />
Museum jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet,<br />
sonntags und an Feiertagen von 11 bis<br />
17 Uhr. Der Eintritt kostet 3 Euro, ermäßigt<br />
nur 1,50 Euro. Gruppen werden um Anmeldung<br />
gebeten – da sind auch andere Zeiten<br />
möglich: Tel. <strong>05</strong>148-4015 oder Mail an<br />
info@museen-gifhorn.de!