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Rüdiger Grimkowski Michael Willmann Barockmaler im Dienst der ...

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<strong>Rüdiger</strong> <strong>Gr<strong>im</strong>kowski</strong><br />

<strong>Michael</strong> <strong>Willmann</strong><br />

<strong>Barockmaler</strong> <strong>im</strong> <strong>Dienst</strong> <strong>der</strong> katholischen Konfessionalisierung<br />

Der Grüssauer Josephszyklus


<strong>Rüdiger</strong> <strong>Gr<strong>im</strong>kowski</strong><br />

<strong>Michael</strong> <strong>Willmann</strong><br />

<strong>Barockmaler</strong> <strong>im</strong> <strong>Dienst</strong> <strong>der</strong> katholischen Konfessionalisierung<br />

Der Grüssauer Josephszyklus


Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in <strong>der</strong> Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind <strong>im</strong> Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

Zugleich Berlin, FU, Diss. 2001<br />

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung <strong>der</strong> ERIKA-SIMON-STIFTUNG<br />

und des GERHARD-MÖBUS-INSTITUTS FÜR SCHLESIENFORSCHUNG<br />

an <strong>der</strong> Universität Würzburg (G. Keil)<br />

Gedruckt auf holz- und säurefreiem Papier, 100 % chlorfrei gebleicht.<br />

D 188<br />

© Weißensee Verlag, Berlin 2005<br />

Kreuzbergstraße 30, 10965 Berlin<br />

Tel. 0 30 / 91 20 7-100<br />

www.weissensee-verlag.de<br />

mail@weissensee-verlag.de<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Printed in Germany<br />

ISBN 3-89998-050-6


MEINEN ELTERN


INHALT<br />

VORWORT 11<br />

EINLEITUNG 13<br />

1 MICHAEL WILLMANN –EINE BIOGRAPHISCHE SKIZZE 26<br />

1.1 AUSBILDUNG UND WANDERJAHRE 30<br />

1.2 WILLMANNS NIEDERLASSUNG BEI DEN ZISTERZIENSERN IN LEUBUS 41<br />

1.3 KÜNSTLERSELBSTVERSTÄNDNIS UND DIE BILDERTHEOLOGIE DER<br />

KATHOLISCHEN KONFESSIONALISIERUNG 46<br />

2 KLOSTER GRÜSSAU UNTER ABT BERNARDUS ROSA 55<br />

2.1 DIE GRÜSSAUER KONFESSIONALISIERUNGSPOLITIK 57<br />

2.2 DIE GRÜSSAUER JOSEPHSVEREHRUNG 63<br />

2.3 DIE GRÜSSAUER JOSEPHSBRUDERSCHAFT 67<br />

2.4 DIE ANDACHTSLITERATUR DER GRÜSSAUER JOSEPHSBRUDERSCHAFT 69<br />

2.4.1 DIE VITA JOSEPHS 74<br />

2.4.2 JOSEPHS MACHT DER FÜRBITTE 86<br />

2.4.3 EKKLESIOLOGISCHE ASPEKTE JOSEPHOLOGISCHER THEOLOGIE 89<br />

2.5 DIE GRÜSSAUISCHE JOSEPHSVEREHRUNG UND DIE KATHOLISCHE<br />

KONFESSIONALISIERUNG 95<br />

3 DIE GRÜSSAUER JOSEPHSKIRCHE 99<br />

3.1 ABT BERNARDUS ROSA ALS BAUHERR 99<br />

3.2 ZUR BAUGESCHICHTE DER JOSEPHSKIRCHE 102<br />

3.3 BAUTYPUS UND RAUMGESTALTUNG 105<br />

4 DIE AUSMALUNG DER JOSEPHSKIRCHE 117<br />

4.1 MICHAEL WILLMANN UND DIE FRESKOMALEREI 117<br />

4.2 DIE AUSMALUNG DER JOSEPHSKIRCHE 121<br />

4.2.1 DER BETEILIGTE SCHÜLERKREIS 124<br />

4.2.1.1 JOHANN CHRISTOPH LISCHKA 124<br />

4.2.1.2 DIE ÜBRIGEN SCHÜLER 129<br />

7


5 DAS AUSMALUNGSSYSTEM DER GRÜSSAUER JOSEPHSKIRCHE 136<br />

8<br />

5.1 DIE AUSMALUNG DER KIRCHENSCHIFFSDECKE 136<br />

5.2 DIE AUSMALUNG DER KAPELLENNISCHEN 143<br />

5.3 DIE ORNAMENTALE AUSSCHMÜCKUNG DES KIRCHENSCHIFFS 146<br />

5.4 DIE CHORAUSMALUNG 149<br />

6 IKONOGRAPHIE UND IKONOLOGIE 152<br />

6.1 DIE DECKENFRESKEN DES KIRCHENSCHIFFS 152<br />

6.2 DAS FRESKENPROGRAMM IN DEN KAPELLENNISCHEN 169<br />

6.2.1 DIE FOLGE DER SCHMERZEN JOSEPHS UND ZUGEORDNETE SZENEN 173<br />

6.2.1.1 DIE VITA CONTEMPLATIVA S. JOSEPHI – JOSEPH DER GERECHTE 173<br />

6.2.1.2 DIE HERBERGSSUCHE – DIE BEZAHLUNG DER STEUERN IN BETHLEHEM –<br />

DIE EINKEHR IN DEN STALL 177<br />

6.2.1.3 DIE NAMENGEBUNG (BESCHNEIDUNG) –JOSEPH BRINGT DAS KIND ZUR<br />

BESCHNEIDUNG – JOSEPH UND MARIA HEILEN DIE WUNDEN JESU 180<br />

6.2.1.4 DIE FLUCHT NACH ÄGYPTEN – DER BETHLEHEMITISCHE KINDERMORD –<br />

DIE RUHE AUF DER FLUCHT NACH ÄGYPTEN 185<br />

6.2.1.5 JOSEPHS BETRÜBNIS ÜBER DEN BETHLEHEMITISCHEN KINDERMORD –<br />

JOSEPH FÜRCHTET SICH, NACH JUDÄA ZURÜCKZUKEHREN – JOSEPH TRÖSTET<br />

DAS WEINENDE KIND 189<br />

6.2.1.6 DIE DREITÄGIGE SUCHE NACH JESUS – JESUS BLEIBT IM TEMPEL ZURÜCK 194<br />

6.2.2 DIE FOLGE DER FREUDEN JOSEPHS UND ZUGEORDNETE SZENEN 196<br />

6.2.2.1 DIE VERMÄHLUNG – JOSEPHS KEUSCHHEITSGELÜBDE 196<br />

6.2.2.2 DER ENGEL UNTERRICHTET JOSEPH ÜBER DIE INKARNATION (DIE SORGEN<br />

JOSEPHS) –JOSEPH NIMMT MARIA IN SEINEN SCHUTZ – DIE HEIMSUCHUNG 203<br />

EXKURS: DIE SORGEN JOSEPHS 206<br />

6.2.2.3 JOSEPH BETET DEN NEUGEBORENEN AN – DIE VERKÜNDIGUNG AN DIE HIRTEN –<br />

DIE NÄCHTLICHE RUHE DER HL. FAMILIE 218<br />

6.2.2.4 DIE ANBETUNG DER HIRTEN – AUGUSTUS UND DIE SIBYLLE VON TIBUR –<br />

DIE VERPFLEGUNG DES KINDES 221<br />

6.2.2.5 DIE DARBRINGUNG JESU IM TEMPEL – JOSEPH BRINGT DAS KIND ZUM TEMPEL –<br />

DIE HL. FAMILIE IN IHRER WOHNUNG IN NAZARETH 226<br />

6.2.2.6 JOSEPH FINDET DEN ZWÖLFJÄHRIGEN JESUS UNTER DEN GELEHRTEN IM TEMPEL –<br />

DIE RÜCKKEHR NACH NAZARETH 230<br />

6.2.3 JOSEPHS TOD UND HIMMELFAHRT UND ZUGEORDNETE SZENEN 233<br />

6.2.3.1 JOSEPHS TOD 233<br />

6.2.3.2 JOSEPHS HIMMELFAHRT 242<br />

6.2.3.3 DIE DARSTELLUNGEN IN DEN MEDAILLONS 246


6.3 DIE FRESKEN IM VERHÄLTNIS ZUR GRÜSSAUER ANDACHT, ZUM<br />

LILIENFELDER JOSEPHSZYKLUS UND ZU DEN ILLUSTRATIONEN DER<br />

AMORES JOSEPHINI 249<br />

6.4 DIE DARSTELLUNG JOSEPHS 252<br />

6.5 DIE SCHMERZEN UND FREUDEN JOSEPHS UND DIE BAROCKE<br />

JOSEPHSIKONOGRAPHIE 259<br />

6.6 DIE WAND- UND DECKENGEMÄLDE DES CHORES 274<br />

6.6.1 DIE ANBETUNG DER HL. DREI KÖNIGE 274<br />

6.6.2 DIE GLORIA CAELESTIS 282<br />

7 STILKRITIK 292<br />

7.1 RESTAURIERUNGEN UND ERHALTUNGSZUSTAND 292<br />

7.2 TECHNIK 296<br />

7.3 FARBGEBUNG 297<br />

7.4 MALWEISE 299<br />

7.5 KOMPOSITION UND LICHT 302<br />

7.6 AUSDRUCK UND GEBÄRDENSPRACHE 307<br />

7.7 DER ANTEIL DER WERKSTATT 309<br />

7.8 WILLMANNS KÜNSTLERISCHE PRAXIS 315<br />

8 RESÜMEE UND ERGÄNZUNG: WERK UND KÜNSTLER IN<br />

ZEITGENÖSSISCHEM ZUSAMMENHANG 332<br />

ANHANG 347<br />

ANHANG A: ARBEITEN WILLMANNS FÜR GRÜSSAU VOR AUSMALUNG DER<br />

JOSEPHSKIRCHE 347<br />

ANHANG B: DIE ZIELE DER JOSEPHSBRUDERSCHAFT 351<br />

ANHANG C: DIE GRÜSSAUER ANDACHT ZU DEN SIEBEN SCHMERZEN UND<br />

SIEBEN FREUDEN JOSEPHS 352<br />

SIGLEN 356<br />

VERZEICHNIS DER GEDRUCKTEN UND UNGEDRUCKTEN QUELLEN 357<br />

LITERATURVERZEICHNIS 363<br />

ORTSNAMEN-KONKORDANZ 391<br />

NAMENSINDEX 392<br />

ORTSINDEX 399<br />

ABBILDUNGSNACHWEIS 405<br />

ABBILDUNGEN 407<br />

BEIHEFT<br />

KAPITEL 8 IN POLNISCHER SPRACHE (PODSUMOWANIE I UZUPE�NIENIE)<br />

9


Vorwort<br />

<strong>Michael</strong> <strong>Willmann</strong> n<strong>im</strong>mt unter den Malern des deutschen Sprachraums in <strong>der</strong><br />

Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg eine vorrangige Stellung ein. Der Grüssauer<br />

Freskenzyklus, auf dem Höhepunkt seines Schaffens ausgeführt, gilt als sein<br />

Hauptwerk und als eine <strong>der</strong> großen Leistungen <strong>der</strong> frühen barocken Freskomalerei<br />

nördlich <strong>der</strong> Alpen. Daß <strong>Willmann</strong> in <strong>der</strong> deutschen Kunstgeschichtsschreibung<br />

dennoch in Vergessenheit zu geraten drohte und erst seit den neunziger Jahren des<br />

vorigen Jahrhun<strong>der</strong>ts wie<strong>der</strong> größere Beachtung fand, lag nicht an einer Fehleinschätzung<br />

seiner Stellung in <strong>der</strong> Kunst des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Vielmehr waren es die<br />

verän<strong>der</strong>te geopolitische Situation und die Unversöhnlichkeit <strong>der</strong> politischen Blökke,<br />

die es nach dem Zweiten Weltkrieg um den vor allem in Schlesien tätigen Maler<br />

haben still werden lassen. Das Jahr 1989 eröffnete neue Perspektiven <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

und schuf die Voraussetzungen, daß Polen und Deutschland in <strong>der</strong><br />

Europäischen Union heute an gemeinsamen Zielen arbeiten und Geschichte nicht<br />

länger gegeneinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n miteinan<strong>der</strong> gestalten. Die vorgelegte Arbeit, die<br />

sich einem bedeutenden kulturellen Erbe <strong>im</strong> Schnittfeld deutsch-polnischer Geschichte<br />

widmet, versteht sich als ein kleiner Beitrag auf dem gemeinsamen Weg.<br />

Die Untersuchung zu den Grüssauer Fresken kann hier in umfänglicher Form<br />

vorgelegt werden, weil ihr seitens polnischer und tschechischer Institutionen und<br />

Behörden bereitwillige Unterstützung zuteil wurde. Mein herzliches Dankeschön<br />

geht zu allererst an die Benediktinerinnen von Kloster Grüssau, die mir bei meinen<br />

Aufenthalten in liebenswürdiger Weise mit Rat und Tat zur Seite standen. Der<br />

Kuria Metropolitalna Wroc�awska danke ich für die Erlaubnis in <strong>der</strong> Josephskirche<br />

arbeiten und fotografieren zu dürfen. Für Hinweise, Ratschläge und die Bereitstellung<br />

von Material und Fotos danke ich: Zofia Bandurska M. A., Romuald Nowak<br />

M. A., Marek Pierzcha�a, M. A., Muzeum Narodowe w Wroc�awiu, Breslau; P.<br />

Joseph Pater, Archiwum Archidiecezjalne, Breslau; Prof. Dr. Mieczys�aw Zlat, Dr.<br />

Jacek Witkowski, Katedra Historii Sztuki, Uniwersytetu Wroc�awskiego; Prof. Dr.<br />

Krzysztof Migo�, Dr. Konstaty Jazdiewski, Biblioteka Uniwersytecka, Breslau;<br />

Maria Gilewska, M. A., Biblioteka Zak�ad Narodowy <strong>im</strong>. Ossoli�skich, Breslau;<br />

Iwona B�aszczyk, Jadwiga Skibi�ska, Wojciech Kapa�czy�ski, M. A., Wojewódzki<br />

Konserwator Zabytków, Jelenia Góra; Dr. Bo�ena Steinborn, Warschau; Katarzyna<br />

Murawska, Maria Kluk, Muzeum Narodowe w Warszawie, Warschau; Dr. Gradowski,<br />

Boles�aw Bielawski, M. A., Ur�zula Zielinska, M. A., O�rodek Dokumentacji<br />

Zabytków, Warschau; Bronis�awa Witkowska, M. A., Naczelna Dyrekcja Archiwów<br />

Pa�stwowych, Warschau; Tomasz Szablowski, Instytut Sztuki, Polska<br />

Akademia Nauk, Warschau; Maria Kowalinska, Konserwator Zabytków, Breslau;<br />

P. Dr. Tadeusz Fitych, Breslau; Prof. Dr. Pavel Preiss, ehemals Národní Galerie v<br />

Praze, Prag; Dr. Ji�í Kotouc, Dr. Lubomír Slaví�ek, Národní Galerie v Praze, Prag;<br />

Dr. Milan Klástersky und Dr. Pavel Klaban, Strahovská knihovna Kláštera premonstrátù,<br />

Prag; Dr. Coupek, Státní oblastní archiv, Brünn; Dr. J. Kobzová, Ar-<br />

11


chivní správa, Prag; Dr. Gerd Bartoschek, Bil<strong>der</strong>galerie Park Sanssouci, Potsdam;<br />

Dr. Thomas Jahn, Bayerische Staatsbibliothek München; Prof. Dr. Werner Schnell,<br />

Kunsthistorisches Seminar und Kunstsammlung, Georg-August-Universität, Göttingen;<br />

Gerhard Schlaff, Historisches Archiv des Schottenstifts, Wien; P. Stephan<br />

Sommer, OZ, Bibliothek und Archiv Stift Lilienfeld; Dr. Beate Störtkuhl, Bundesinstitut<br />

für Kultur und Geschichte <strong>der</strong> Deutschen <strong>im</strong> östlichen Europa, Oldenburg;<br />

P. Dr. Ambrosius Rose, OSB, Kellenried.<br />

Wies�awa Moniak, M. A., Muzeum Architektury we Wroc�awiu, danke ich für die<br />

Übersetzung des letzten Kapitels ins Polnische sowie Maria Kapfer be<strong>im</strong> Weißensee<br />

Verlag für die gute redaktionelle Zusammenarbeit.<br />

Für Hilfe bei <strong>der</strong> Einsichtnahme in Quellen und <strong>der</strong> Anfertigung von Kopien,<br />

Fotos und Mikrofilmen danke ich zudem: <strong>der</strong> Graphischen Sammlung Albertina,<br />

Wien; <strong>der</strong> Staatlichen Graphischen Sammlung, München; den Kunstsammlungen<br />

und Museen Augsburg, Graphische Sammlung; <strong>der</strong> Staats- und Stadtbibliothek<br />

Augsburg; dem Kupferstichkabinett, Berlin; <strong>der</strong> Staatsbibliothek zu Berlin; dem<br />

Metropolitankapitel <strong>der</strong> Erzdiözese München und Freising; <strong>der</strong> Dombibliothek<br />

Freising; <strong>der</strong> Universitätsbibliothek Tübingen und <strong>der</strong> Erzbischöflichen Akademischen<br />

Bibliothek Pa<strong>der</strong>born.<br />

Dem Senat von Berlin danke ich für die Unterstützung durch ein Nafög-<br />

Stipendium; <strong>der</strong> Erika-S<strong>im</strong>on-Stiftung sowie dem Gerhard-Möbus-Institut für<br />

Schlesienforschung an <strong>der</strong> Universität Würzburg und Prof. Dr. Dr. Dr. Gundolf<br />

Keil danke ich für ihre großzügige Unterstützung <strong>der</strong> Drucklegung, <strong>der</strong> BLN<br />

GmbH, Berlin, für die Finanzierung <strong>der</strong> Beilage.<br />

Der vorgelegte Text ist die gekürzte und um aktuelle Literatur ergänzte Fassung<br />

meiner 2001 von <strong>der</strong> Freien Universität Berlin angenommenen Dissertation. Für<br />

ihre Betreuung am Kunsthistorischen Institut <strong>der</strong> FU danke ich Prof. Dr. Reiner<br />

Haussherr, em., und Prof. Dr. Victor H. Elbern, em., <strong>der</strong> das Korreferat übernahm.<br />

12


Einleitung<br />

In Schlesien, Böhmen und Mähren war <strong>Michael</strong> <strong>Willmann</strong> zu seiner Zeit einer <strong>der</strong><br />

begehrtesten Maler. Die Auftraggeber überhäuften ihn mit Aufträgen und bezeichneten<br />

ihn respektvoll als „temporum nostrorum Apelles“. 1 Nachfolgend ist<br />

<strong>Willmann</strong> lange Zeit nur noch sporadisch Bewun<strong>der</strong>ung entgegengebracht worden.<br />

Nahezu emphatisch äußerte sich Johann Georg Meusel 1808 <strong>im</strong> zweiten Band<br />

seines Archivs für Künstler und Kunstfreunde. Er bezeichnet <strong>Willmann</strong> als „deutschen<br />

Raffael“ und hebt hinsichtlich <strong>der</strong> Grüssauer Fresken hervor, daß sie „mit eben so<br />

vieler Erfindungskraft als Schönheit des Ausdrucks und Kolorits vorgestellt (seien)“.<br />

Bedauernd konstatiert er, daß „dieses ausserordentlich fruchtbare Genie“ nur<br />

wenig bekannt sei. 2 Die ablehnende Haltung, die man dem Barock bis gegen Ende<br />

des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts entgegenbrachte, dürfte dazu beigetragen haben, daß sich an<br />

<strong>der</strong> von ihm beklagten Situation so rasch nichts än<strong>der</strong>te. 3 Eine breitere Rezeption<br />

wird auch erschwert haben, daß sich <strong>Willmann</strong>s Gemälde zumeist an den ursprünglichen<br />

Aufbewahrungsorten befanden und kaum in öffentlichen Sammlungen<br />

zugänglich waren.<br />

Einen umfassenden Überblick über die <strong>im</strong> Besitz <strong>der</strong> schlesischen Klöster befindlichen<br />

Werke verschaffte sich erstmals <strong>der</strong> Archivar Johann Gustav Büsching. Mit<br />

<strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Säkularisationsverordnungen betraut, hatte er neben Bibliotheken<br />

und Archiven die vorhandenen Kunstgegenstände zu inventarisieren und<br />

zu Sammlungen zusammenzufassen. Er war es, <strong>der</strong> in einem Brief an Friedrich<br />

Schlegel 1812 für das damals noch nicht realisierte Projekt <strong>der</strong> Breslauer Gemäldegalerie<br />

die Einrichtung eines <strong>Willmann</strong>saales anregte. In Büschings 1813 erschienener<br />

Schrift Bruchstücke einer Geschäftsreise durch Schlesien ..., dem gewissermaßen<br />

publizistischen Nebenprodukt seiner Tätigkeit als „Kommissar für die Sammlung<br />

und Erhaltung <strong>der</strong> Kunstwerke und Bibliotheken in den aufgehobenen schlesi-<br />

_______________<br />

1 HDL, p. 106; GvH, Kap. 19, 8.<br />

2 J. G. Meusel Bd. 2, H. 4, 1808, S. 54 u. S. 55; J. R. Füssli Teil 2.11, 1820, S. 6003 u. S. 6004<br />

Anm. *), übern<strong>im</strong>mt Äußerungen Meusels fast wörtlich.<br />

3 Noch Jacob Burckhardt nannte die Kunst des Barock in seinem „Cicerone“ (1855) einen<br />

„verwil<strong>der</strong>ten Dialekt“ <strong>der</strong> Renaissance. Er fand zwar auch Kriterien, die einer neuen Bewertung<br />

des Barock den Weg bereiteten, doch allmählich zu wandeln begann sich die bis dahin tradierte<br />

Auffassung erst mit Cornelius Gurlitts erstem Band zur Kunstgeschichte des Barock, <strong>der</strong> „Geschichte<br />

des Barockstils in Italien“ (1887), mit Carl Justis Velasquez-Monographie (1888) und<br />

mit Heinrich Wölfflins „Renaissance und Barock“ (1888). Dazu: Heinrich Lützeler, Der Wandel<br />

<strong>der</strong> Barockauffassung, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte<br />

11, 1933, S. 618–636; H. Tintelnot 1956, S. 13–91. Martin Warnke 1991, S. 1214 ff., betont,<br />

daß bei Gurlitt und mehr noch bei Wölfflin die kritische Haltung gegenüber dem Barock<br />

noch nachwirke. Zu einer positiveren Bewertung fand Wölfflin erst sehr viel später („Kunstgeschichtliche<br />

Grundbegriffe“, 1915). – Vgl. auch Hans-Harald Müller, Barockforschung: Ideologie<br />

und Methode. Ein Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte 1870–1930, Darmstadt 1973, S.<br />

29; J. Bia�ostocki 2 1981, S. 108 f.; Werner Oechslin 1991, S. 1226 ff.; S. Appuhn-Radtke 2000, S. 11 ff.<br />

13


schen Klöstern“, findet sich erstmals eine ausführlichere Beschreibung <strong>der</strong> Grüssauer<br />

Malereien. 4<br />

Nach Büsching fand <strong>der</strong> Freskenzyklus lange Zeit kaum noch Beachtung. Die<br />

Künstlerlexika von Gottfried Johann Dlabacz und Georg Kaspar Nagler führen<br />

ihn lediglich unter den Werken <strong>Willmann</strong>s auf, und Joseph Effner, <strong>der</strong> 1864 einen<br />

Aufsatz über <strong>Willmann</strong> publizierte, hebt ihn nur kurz als eine seiner großen Leistungen<br />

hervor. 5 Umfassen<strong>der</strong> beschäftigte sich 1868 Augustin Knoblich mit dem<br />

Oeuvre <strong>Willmann</strong>s, auf die Grüssauer Malereien ging aber auch er nicht näher ein.<br />

Als künstlerisch nicht sehr bedeutend bewertete dann Hans Lutsch die Fresken in<br />

seinem 1891 erschienenen dritten Inventarband <strong>der</strong> Kunstdenkmäler Schlesiens.<br />

Wenn er bemängelt, daß sie „sich von den weiß belassenen Architekturteilen grell<br />

abheben“, 6 wird allerdings deutlich, wie sehr er sich von <strong>der</strong> damals noch vorhandenen<br />

Übertünchung <strong>der</strong> Ornamentik hat beeinflussen lassen. Wenige Jahre später<br />

befaßte sich Wilhelm Patschovsky (1896) mit den Bauten des Grüssauer Klosters<br />

und in diesem Zusammenhang mit <strong>Willmann</strong>. Bei seinen Ausführungen zur Josephskirche<br />

erläuterte er als erster etwas genauer das Beziehungsgeflecht <strong>der</strong> in<br />

den Deckenmalereien dargestellten consanguinitas Christi. Dagegen beschränkte sich<br />

Erich Klossowski 1902 in seiner Dissertation über <strong>Willmann</strong> wie<strong>der</strong> nur auf eine<br />

kurze Erwähnung <strong>der</strong> Fresken. Zu einer beson<strong>der</strong>en, wenngleich überzogenen<br />

Würdigung ihres künstlerischen Ranges fand erst Dietrich Maul in seiner 1914<br />

publizierten <strong>Willmann</strong>-Monographie: „Die spielende Leichtigkeit aber, die große<br />

Routine, die nirgends Ermüdung, nirgends platte Nachahmung verrät, (…) läßt<br />

<strong>Willmann</strong> <strong>im</strong> Fresko würdig an die Seite des größeren Heroen Tiepolo treten.“ 7<br />

Den künstlerischen Wert <strong>der</strong> Fresken versuchte auch Willi Drost in seiner Arbeit<br />

über die „<strong>Barockmaler</strong>ei in den Germanischen Län<strong>der</strong>n“ (1926) hervorzuheben.<br />

Ohne emphatischen Überschwang bezeichnete er sie als das größte und bedeutendste<br />

Werk <strong>Willmann</strong>s 8 – ein Urteil, das nachfolgend <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> bekräftigt<br />

wurde.<br />

Der Würdigung <strong>Willmann</strong>s auf <strong>der</strong> Jubiläumsausstellung 1930 in Breslau folgte<br />

1934 die umfassende <strong>Willmann</strong>-Monographie von Ernst Kloss. <strong>Willmann</strong>s Fresken<br />

in <strong>der</strong> Josephskirche nennt er „jenes Hauptwerk seines Lebens, das seinen<br />

Ruhm weit über Schlesiens Grenzen hinausgetragen hat.“ 9 Er betont die Bedeutung<br />

des Grüssauer Abtes für die Konzeption, vermag <strong>im</strong> Programm aber lediglich<br />

ein „ganz persönliches Bekenntnis“ des Auftraggebers zu sehen. Ausgeblendet<br />

bleiben die historischen Rahmenbedingungen, vor <strong>der</strong>en Hintergrund die Ausmalung<br />

erst verständlich wird. Kloss interessieren weniger die ikonographischen als<br />

die stilistischen Fragestellungen. Wenngleich seine Darlegungen nicht selten von<br />

einem subjektiven Tenor geprägt sind, weiß er den maltechnischen Aspekten<br />

sprachlich durchaus überzeugenden Ausdruck zu geben, nicht folgen mag man<br />

ihm jedoch, wenn er von einem volkstümlichen Charakter beziehungsweise einer<br />

_______________<br />

14<br />

4 D. J. G. Büsching 1813, S. 356–369.<br />

5 G. J. Dlabacz 1815, S. 381; G. K. Nagler Bd. 24, 1924 3, S. 409; J. Effner 1864, S. 387.<br />

6 H. Lutsch Bd. 3, 1891, S. 382.<br />

7 D. Maul 1914, S. 74 f.<br />

8 W. Drost 1926, S. 284.<br />

9 E. Kloss 1934, S. 117.


volkstümlichen Erzählweise <strong>der</strong> Grüssauer Wandfresken spricht. Dies ist ein Urteil,<br />

das sich nur vor dem Hintergrund <strong>der</strong> zeitgenössischen Forschungslage verstehen<br />

läßt; es verkennt den Charakter barocker Bildprogramme und läßt gewichtige<br />

Aspekte <strong>der</strong> barocken Josephsikonographie außer acht.<br />

Das große Verdienst von Kloss ist es, die eigenhändigen Werke aus <strong>der</strong> großen<br />

Fülle <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Werkstatt <strong>Willmann</strong>s stammenden Arbeiten geschieden und,<br />

ausgehend von den datierten o<strong>der</strong> aufgrund <strong>der</strong> Quellen eindeutig zu best<strong>im</strong>menden<br />

Gemälden, nach stilistischen Merkmalen geordnet zu haben. Zudem versuchte<br />

Kloss aufzuzeigen, daß <strong>Willmann</strong> zu Unrecht <strong>der</strong> Ruf eines „van Dyck-Nachahmers“<br />

anhafte und daß er „aus den Anregungen <strong>der</strong> flämischen und holländischen<br />

Malerschule die Kraft zu einem persönlichen Stil von hohem malerischen<br />

Reiz zog.“ 10 Das Bild, das Kloss von <strong>Willmann</strong> und seiner Kunst vermittelt, ist<br />

jedoch in nicht unerheblichem Maße von seinem Kunstverständnis und seiner<br />

Methodik geprägt. Er zeigt sich stark beeinflußt von den kunsttheoretischen Vorstellungen<br />

Heinrich Wölfflins, dem er seine <strong>Willmann</strong>-Monographie auch widmete.<br />

Jacob Burckhardt zitierend, bekräftigte Wölfflin 1933 <strong>im</strong> Nachwort <strong>der</strong><br />

„Kunstgeschichtlichen Grundbegriffe“: „Im ganzen ist also <strong>der</strong> Zusammenhang<br />

<strong>der</strong> Kunst mit <strong>der</strong> allgemeinen Kultur nur lose und leicht zu fassen, die Kunst hat<br />

ihr eigenes Leben und ihre eigene Geschichte.“ 11 Dabei sieht er künstlerische Individualität<br />

und eigengesetzliche Entwicklung <strong>der</strong> Kunst nicht als <strong>im</strong> Wi<strong>der</strong>spruch<br />

zueinan<strong>der</strong> stehend. 12 Es scheint wie <strong>der</strong> Versuch einer Verifikation Wölfflinscher<br />

Grundannahmen, wenn Kloss die stilistische Entwicklung <strong>Willmann</strong>s allein den<br />

Eingebungen des schöpferischen Subjekts folgen läßt und den Künstler dabei<br />

einen Reifungsprozeß vollziehen sieht, <strong>der</strong> ihn wie selbstverständlich vom Hochbarock<br />

bis an die Schwelle des Rokoko führt. 13 Sichtlich liegt dem das Bemühen zu<br />

Grunde, den künstlerischen Rang <strong>Willmann</strong>s zu unterstreichen, denn es sind nach<br />

Wölfflin gerade die großen Künstler, die sich <strong>der</strong> allgemeinen Kunstentwicklung<br />

am besten einfügen. 14 Der Versuch, individuelle und kunsthistorische Entwicklung<br />

zur Deckung zu bringen, verleitet Kloss zu einer allzu schematischen Periodisierung<br />

<strong>der</strong> künstlerischen Entwicklung <strong>Willmann</strong>s. 15 Zudem läßt die Vorstellung des<br />

autonom schaffenden Künstlers die These als folgerichtig erscheinen, <strong>Willmann</strong><br />

_______________<br />

10 E. Kloss 1930, S. 5.<br />

11 Aus einer Kollegheftnotiz J. Burckhardts, zitiert nach H. Wölfflin 1970, S. 282.<br />

12 H. Wölfflin 1970, S. 6, (aus dem Vorwort zur sechsten Auflage 1922, S. X): „Der Einwand,<br />

daß durch die Annahme einer ‚gesetzmäßigen’ Entwicklung des Vorstellens die Bedeutung <strong>der</strong><br />

künstlerischen Individualität aufgehoben werde, ist ein läppischer Einwand. So gut <strong>der</strong> Körper<br />

nach durchgehenden Gesetzen gebaut ist, ohne daß <strong>der</strong> individuellen Form Abbruch geschähe,<br />

so gut steht die Gesetzmäßigkeit <strong>der</strong> geistigen Struktur des Menschen mit Freiheit nicht <strong>im</strong><br />

Wi<strong>der</strong>spruch.“ – Wölfflin versuchte mit dieser Äußerung <strong>der</strong> Kritik entgegenzutreten, daß das<br />

künstlerische Individuum in seiner Kunstgeschichte nicht mehr den ihm gebührenden Platz<br />

erhalte. Vgl. M. Lurz 1981, S. 21.<br />

13 E. Kloss 1934, S. 26.<br />

14 M. Lurz 1981, S. 20.<br />

15 Daß es nicht <strong>im</strong>mer verläßliche Kriterien waren, nach denen Kloss das Oeuvre zu ordnen<br />

suchte, klang schon in <strong>der</strong> Rezension von G. Grundmann 1935, S. 168, an. – Hinsichtlich des<br />

sogenannten Feinstils bemerkte C. Müller Hofstede 1965, S. 196, daß er weniger eine eingrenzbare<br />

Periode in <strong>Willmann</strong>s Schaffen sei, als ein Charakteristikum, das in unterschiedlichen Stilphasen<br />

einmal mehr, einmal weniger ausgeprägt hervortreten kann.<br />

15


habe mit seiner Kunst den in <strong>der</strong> deutschen Malerei des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts vorherrschenden<br />

Eklektizismus überwinden wollen. 16 Inwiefern dies eine Fehleinschätzung<br />

<strong>der</strong> künstlerischen Praxis <strong>Michael</strong> <strong>Willmann</strong>s ist, wird <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

den Grüssauer Fresken zu erörtern sein. Trotz <strong>der</strong> hier geäußerten Vorbehalte<br />

verdient die Monographie von E. Kloss Anerkennung. Sie bildet trotz ihrer Zeitgebundenheit<br />

noch heute die Grundlage je<strong>der</strong> Beschäftigung mit <strong>der</strong> Malerei <strong>Michael</strong><br />

<strong>Willmann</strong>s. Da nicht alle Werke des schlesischen Meisters den Zweiten<br />

Weltkrieg überdauert haben, wird seine Werkkenntnis heute nicht mehr zu übertreffen<br />

sein.<br />

In den Jahren nach Erscheinen <strong>der</strong> <strong>Willmann</strong>-Monographie folgten neben einer<br />

Reihe von Rezensionen einige kleinere Veröffentlichungen, die sich mit Einzelfragen<br />

<strong>der</strong> Kunst <strong>Willmann</strong>s auseinan<strong>der</strong>setzten. Unter ihnen 1939 ein Aufsatz, in<br />

dem sich <strong>der</strong> Restaurator Johann Drobek und <strong>der</strong> damalige Provinzialkonservator<br />

Günther Grundmann mit <strong>der</strong> Instandsetzung <strong>der</strong> schlesischen Barockfresken<br />

befaßten. Ihre Untersuchungen geben unter an<strong>der</strong>em darüber Aufschluß, welche<br />

Farben <strong>Willmann</strong> in <strong>der</strong> Freskomalerei bevorzugte und inwiefern er sich in <strong>der</strong><br />

Farbwahl von den nördlich <strong>der</strong> Alpen tätigen Italienern unterscheidet.<br />

Die polnische Forschung brachte den Werken <strong>Willmann</strong>s nach Kriegsende zunächst<br />

nur zurückhaltendes Interesse entgegen. Vornehmlich galt es, ihren aktuellen<br />

Bestand zu lokalisieren und zu erfassen. Die Objekte des ehemaligen „Schlesischen<br />

Museums <strong>der</strong> Bildenden Künste“ und des „Schlesischen Museums für<br />

Kunstgewerbe und Altertümer“ wurden in den Jahren 1942/43 ausgelagert und an<br />

verschiedene Orte in Nie<strong>der</strong>schlesien verbracht. Darunter befand sich die umfangreiche<br />

<strong>Willmann</strong>-Sammlung, die das „Schlesische Museum <strong>der</strong> Bildenden Künste“<br />

<strong>im</strong> sogenannten <strong>Willmann</strong>saal ausgestellt hatte. Es ist insbeson<strong>der</strong>e Bo�ena Steinborn<br />

zu danken, daß ein Teil <strong>der</strong> nach dem Krieg noch vorhandenen Gemälde<br />

wie<strong>der</strong> zusammengetragen und in einer neuen Sammlung vereinigt wurde, die man<br />

1959 gleichsam als Bestandsaufnahme <strong>im</strong> Schlesischen Museum in Breslau präsentierte.<br />

17<br />

Viele <strong>der</strong> Werke, die den Krieg überdauerten, befinden sich heute nicht mehr an<br />

ihrem ursprünglichen Ort. Neben den <strong>im</strong> Nationalmuseum in Breslau wie<strong>der</strong> zusammengeführten<br />

Bil<strong>der</strong>n werden heute eine Reihe von Werken <strong>im</strong> Nationalmuseum<br />

in Warschau gezeigt, einige wenige in <strong>der</strong> Prälatur des ehemaligen Zisterzienserklosters<br />

in Leubus, an<strong>der</strong>e wurden auf Schloß Brieg zu einer neuen Sammlung<br />

zusammengetragen. Um die Erfassung <strong>der</strong> nicht in musealem Besitz befindlichen<br />

Werke bemühte sich das „Osrodek Dokumentacji Zabytkow“ in Warschau. 18<br />

Mit den Grüssauer Fresken befaßte sich Henryk Dziurla, als er 1974 unter umfänglicher<br />

Berücksichtigung des in Breslau noch vorhandenen Quellenmaterials<br />

eine Arbeit über die Bau- und Kunstdenkmäler des Grüssauer Klosters verfaßte.<br />

_______________<br />

16 E. Kloss 1934, S. 37. – Die Vorgehensweise führt bei Kloss in Konsequenz zu einer Überbewertung<br />

<strong>der</strong> künstlerischen Bedeutung <strong>Willmann</strong>s. Entsprechend kritisierte C. Müller Hofstede<br />

1965, S. 195, daß Kloss seinem „Helden“ zu wenig distanziert gegenüberstehe.<br />

17 B. Steinborn 1982, S. 6 f.<br />

18 Man erarbeitete dort eine nach Orten geglie<strong>der</strong>te Werkliste, in die alle Gemälde aufgenommen<br />

wurden, die sich stilistisch mit <strong>Willmann</strong> in Zusammenhang bringen ließen. Eine<br />

Kopie <strong>der</strong> Liste stellte mir U. Zielinske freundlicherweise zur Verfügung.<br />

16


Entgegen herkömmlicher Meinung vertritt er die Ansicht, daß <strong>Willmann</strong> seine<br />

Arbeiten in <strong>der</strong> Josephskirche nicht 1695, son<strong>der</strong>n erst <strong>im</strong> Jahre 1698 beendet<br />

habe. 19<br />

Die Fresken <strong>Willmann</strong>s <strong>im</strong> Sommerrefektorium <strong>der</strong> Leubuser Prälatur waren 1985<br />

Thema <strong>der</strong> Magisterarbeit von Romuald Nowak. Er widmete sich den in den Jahren<br />

1972 bis 1974 freigelegten und restaurierten Malereien vor allem unter ikonographischen<br />

und ikonologischen Gesichtspunkten und machte exemplarisch die<br />

Bedeutung von Vorlagen und Vorbil<strong>der</strong>n für <strong>Willmann</strong>s Bildkompositionen deutlich.<br />

Für die Abfolge <strong>der</strong> von <strong>Willmann</strong> ausgeführten Freskomalereien schlug er<br />

eine etwas von Ernst Kloss abweichende Chronologie vor.<br />

Studien zur böhmischen <strong>Barockmaler</strong>ei lenkten in <strong>der</strong> ehemaligen Tschechoslowakei<br />

das Interesse auf <strong>Willmann</strong> und auf seinen Stiefsohn und Schüler Johann Christoph<br />

Lischka. Vor allem Pavel Preiss, Jaromír Neumann und Old�ich J. Blaží�ek<br />

bemühten sich darum, Kriterien für eine Scheidung <strong>der</strong> stilistisch einan<strong>der</strong> nahestehenden<br />

Künstler zu entwickeln und den Bestand ihrer Werke in Böhmen und<br />

Mähren zu erfassen. 20 Dies verschaffte die Grundlage, ihren Anteil an <strong>der</strong> Entwicklung<br />

<strong>der</strong> barocken Malerei in Böhmen neu zu best<strong>im</strong>men. Johann Christoph<br />

Lischka, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> deutschen Forschung bislang kaum zur Geltung kam und dessen<br />

Leistung auch von Kloss verkannt wurde, gewann dabei als Malerpersönlichkeit<br />

durchaus eigenständiges künstlerisches Profil. Die Ergebnisse <strong>der</strong> tschechischen<br />

Forschung waren für die hier vorgelegte Untersuchung insofern von beson<strong>der</strong>em<br />

Interesse, als Lischka in Böhmen auch als Freskomaler hervortrat und<br />

<strong>Willmann</strong> mit <strong>der</strong> Technik <strong>der</strong> Freskomalerei erst über seinen Stiefsohn in Berührung<br />

kam.<br />

In <strong>der</strong> deutschen Forschung <strong>der</strong> Nachkriegszeit för<strong>der</strong>ten Untersuchungen zur<br />

Freskomalerei einige neue Aspekte zutage. Ins Blickfeld des fachlichen Interesses<br />

gelangte <strong>Willmann</strong>s Grüssauer Zyklus 1951 mit Hans Tintelnots grundlegen<strong>der</strong><br />

Arbeit über die barocke Freskomalerei in Deutschland. Zwar vermehrte <strong>der</strong> Autor<br />

nicht unser Detailwissen über die Grüssauer Fresken, doch hat ihn seine umfassende<br />

Kenntnis <strong>der</strong> barocken Freskomalerei in Deutschland <strong>der</strong>en beson<strong>der</strong>en<br />

Stellenwert erkennen lassen. Er sieht in <strong>Willmann</strong> einen Freskanten höchster Qualität,<br />

<strong>der</strong> Charakteristika des Leinwandbildes auf die Wand- und Deckenmalerei<br />

übertrug, und urteilt über die Malereien in <strong>der</strong> Josephskirche: „Als Programm und<br />

malerische Leistung stellen sie das Bedeutendste dar, was die deutsche Freskomalerei<br />

in ihrer ersten barocken Entwicklungsstufe überhaupt geleistet hat.“ 21 Ein Urteil,<br />

das er 1954 in einem Aufsatz über barocke Freskomaler in Schlesien bekräftigte.<br />

22 Auf einen partiellen Aspekt kam Ernst Guldan <strong>im</strong> gleichen Jahr in seiner<br />

Dissertation über jochverschleifende Gewölbedekorationen zu sprechen. Will-<br />

_______________<br />

19 H. Dziurla 1 1974, S. 53, u. Anm. 130 (S. 123).<br />

20 Ein Problem <strong>der</strong> tschechischen Barockforschung <strong>der</strong> Nachkriegszeit war mitunter ihre<br />

ideologische Befangenheit. In den sonst so aufschlußreichen Arbeiten J. Neumanns tritt sie<br />

deutlich zutage. Vgl. A. Angyal, Das Problem des slawischen Barocks, in: Wissenschaftliche<br />

Zeitschrift <strong>der</strong> Ernst Moritz Arndt-Universität Greifswald. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche<br />

Reihe 6, 1956/57, S. 69; E. Hubala 1964, Anm. 1, S. 339 f.<br />

21 H. Tintelnot 1951, S. 51.<br />

22 Ders. 1954, S. 176 f.<br />

17


manns Grüssauer Chorfresken bilden seiner Ansicht nach einen Ausgangspunkt<br />

für die gesamte weitere Entwicklung <strong>der</strong> Deckenmalerei <strong>im</strong> mitteleuropäischen<br />

Raum. 23<br />

In den folgenden Jahrzehnten fand das Werk <strong>Willmann</strong>s in <strong>der</strong> deutschen Kunstgeschichte<br />

nur noch sporadisch Beachtung. Man präzisierte einige Teilaspekte,<br />

faßte Bekanntes zusammen o<strong>der</strong> begnügte sich in größerem Zusammenhang mit<br />

einigen allgemeinen Charakterisierungen. 24 Die Beschäftigung mit <strong>der</strong> barocken<br />

Josephsikonographie lenkte 1985 die Aufmerksamkeit von Barbara Mikuda auf<br />

den Grüssauer Freskenzyklus. Sie faßte die bis dahin bekannten ikonographischen<br />

und programmatischen Befunde zusammen und versuchte die Fresken mit dem<br />

Josephszyklus <strong>im</strong> nie<strong>der</strong>österreichischen Lilienfeld in Verbindung zu bringen. Die<br />

Grüssauer Josephsverehrung führte sie letztlich auf die beson<strong>der</strong>e Verehrung des<br />

Heiligen durch die Habsburger zurück – ein Aspekt, den sie 1986 in einem Aufsatz<br />

über den Josephskult <strong>im</strong> österreichisch-schlesischen Gebiet erneut aufgriff, ebenso<br />

in ihrer Dissertation über die barocke Josephsikonographie in Österreich. 25<br />

Die <strong>Willmann</strong>-Ausstellung, die 1994 in Salzburg und in Breslau präsentiert wurde,<br />

gab Gelegenheit, die Forschungslage einer kritischen Prüfung zu unterziehen und<br />

zu aktualisieren. Dabei führte die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>Willmann</strong>s künstlerischer<br />

Entwicklung erneut die methodischen Probleme <strong>der</strong> Untersuchung von E.<br />

Kloss vor Augen. Diskutiert wurden zudem die nie<strong>der</strong>ländischen Einflüsse, das<br />

Verhältnis <strong>Willmann</strong>s zu den Zisterziensern und Probleme seines zeichnerischen<br />

Oeuvres. Hinsichtlich <strong>der</strong> Grüssauer Fresken ergaben sich keine neuen Erkenntnisse.<br />

26 Im gleichen Jahr legte Hubert Lossow eine neue <strong>Willmann</strong>-Monographie<br />

vor. Auch er übte Kritik an Kloss, übernahm aber lei<strong>der</strong> <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> dessen<br />

Erklärungsmuster. 27 Einen wesentlichen Beitrag zur <strong>Willmann</strong>-Forschung leistete<br />

dann wie<strong>der</strong> Andrzej Kozie�, <strong>der</strong> das zeichnerische Oeuvre <strong>Willmann</strong>s in seiner<br />

Dissertation und in einer Reihe weiterer Beiträge einer eingehenden Untersuchung<br />

unterzog und neu ordnete. – Wichtige Erkenntnisse zum Verbleib <strong>Willmann</strong>scher<br />

_______________<br />

23 E. Guldan 1954, S. 128 f.<br />

24 Dort, wo man auf die Grüssauer Fresken zu sprechen kam, konzentrierte man sich auf einzelne<br />

Aspekte o<strong>der</strong> betonte die beson<strong>der</strong>e Bedeutung <strong>der</strong> Malereien. G. Adriani 1977, S. 143 f.,<br />

brachte den Josephszyklus mit <strong>der</strong> Geburt des gleichnamigen habsburgischen Thronfolgers in<br />

Zusammenhang und hob, auf ältere Forschungsergebnisse zurückgreifend, den für das 17. Jh.<br />

noch typischen Tafelbildcharakter <strong>der</strong> Fresken hervor. W. Braunfels Bd. 5, 1985, S. 226 f., urteilte<br />

über die Grüssauer Fresken: „Es entstand ein Zusammenwirken von Raumfolgen und Bil<strong>der</strong>n,<br />

wie sie nach Rang und Umfang seit Tintorettos Scuola di San Rocco für einen kirchlichen Raum<br />

nicht gemalt worden waren.“ K. Kalinowski 1990, behielt <strong>Willmann</strong> in einer Arbeit über den<br />

schlesischen Barock ein eigenes Kapitel vor, in dem er bis dahin Bekanntes zusammenfaßte (S.<br />

69–74). Der Katalogteil enthält eine kurze, zusammenfassende Beschreibung <strong>der</strong> Grüssauer<br />

Josephskirche und ihrer Ausmalung (S. 106).<br />

25 B. Mikuda-Hüttel 1997, S. 37 ff.<br />

26 Ausst. Kat. Salzburg/Breslau 1994, darin die Beiträge: B. Steinborn, Zu Leben und Werk <strong>Michael</strong><br />

<strong>Willmann</strong>s, S. 9–30, (eine von <strong>der</strong> Autorin redigierte <strong>Willmann</strong>-Bibliographie auf S. 204–<br />

207); R. <strong>Gr<strong>im</strong>kowski</strong>, <strong>Willmann</strong> und die Zisterzienser, S. 31–42; R. Nowak, <strong>Willmann</strong>s Fresken in<br />

Schlesien, S. 43–54; R. Klessmann, <strong>Willmann</strong> und die Nie<strong>der</strong>lande, S. 55–76; V. Manuth Aspekte<br />

<strong>der</strong> Zeichenkunst des <strong>Michael</strong> <strong>Willmann</strong>, S. 143–160. – Besprechungen u. a. bei: S. Appuhn-<br />

Radtke 1995; J. Foucart 1995; A. Kozak 1994; J. Zahlten 1 1995.<br />

27 Vgl. die Besprechung bei J. Zahlten 1 1995, S. 132 ff.<br />

18


Werke in preußischen Schlössern konnte zuletzt Gerd Bartoschek zur <strong>Willmann</strong>-<br />

Forschung beisteuern. 28<br />

Die hier vorgelegte Dissertation will sich umfassen<strong>der</strong> als bisher geschehen mit<br />

<strong>Willmann</strong>s Fresken in Grüssau auseinan<strong>der</strong>setzen, alte Fragen wie<strong>der</strong> aufgreifen<br />

und neue stellen, Fragen, die bisher nicht o<strong>der</strong> nur unzureichend verfolgt werden<br />

konnten. – Eine Untersuchung <strong>der</strong> Grüssauer Malereien kann nicht unberücksichtigt<br />

lassen, daß barocke Kirchenausstattungen in hohem Maße auf eine ästhetische<br />

Vereinheitlichung des Raumes hin konzipiert sind und daß <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong><br />

Kunstgattungen zu einer Gesamtwirkung häufig ein geschlossenes, programmatisches<br />

Konzept zugrunde liegt. Die Fresken sind in beson<strong>der</strong>em Maße ortsgebunden<br />

und nicht als „autonome“ Bil<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n als „gemalte Ausstattungselemente<br />

innerhalb des barocken Gesamtkunstwerkes“ zu verstehen. 29 Obgleich die Idee<br />

vom Gesamtkunstwerk erst den ästhetischen Vorstellungen des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

entsprang und zunächst eng an Richard Wagners Konzeption des Musikdramas<br />

gebunden war, begegnet man dem Begriff sehr häufig, wenn von barocken Raumgestaltungen<br />

die Rede ist. 30 Die Ausweitung des Begriffs ist zu Recht problematisiert<br />

worden, denn historische Prägnanz besitzt er allein in bezug auf die künstlerischen<br />

Vorstellungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Weil<br />

er das Bezeichnete semantisch als komplex ausweist, haben sich Kunsthistoriker<br />

seiner jedoch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> bedient, um das Zusammenklingen von barocker<br />

Architektur, Malerei und Plastik begrifflich zum Ausdruck zu bringen. Die häufige<br />

Rede vom barocken „Gesamtkunstwerk“ indiziert, die Untersuchung <strong>der</strong> Grüssauer<br />

Fresken so zu führen, daß zugleich auch ihr Verhältnis zu plastischen Schmuckformen<br />

und zur Architektur deutlich wird. 31<br />

_______________<br />

28 Siehe Literaturliste.<br />

29 B. Bushart2 1967, S. 151.<br />

30 R. Wagner, Das Kunstwerk <strong>der</strong> Zukunft, Leipzig 1850, S. 197. Die Opernästhetik neigte<br />

schon vor Wagner einem „integrativen Kunstverständnis“ zu. Anknüpfungspunkte für Wagners<br />

ästhetisches Konzept bilden insbeson<strong>der</strong>e die Einheitsvorstellungen des deutschen Idealismus<br />

und <strong>der</strong> Romantik, wie sie bei Friedrich Schelling, Friedrich Schlegel, Novalis, bei Philipp Otto<br />

Runge und an<strong>der</strong>en zum Ausdruck kommen. Stefan Kunze, Der Kunstbegriff Richard Wagners.<br />

Voraussetzungen und Folgerungen, Regensburg 1993, S. 98 ff.; Udo Bermbach, Der Wahn des<br />

Gesamtkunstwerks, Frankfurt a. M. 1994, S. 225 ff. Die Idee des Gesamtkunstwerks bleibt in<br />

den Kunstvorstellungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh. lebendig (Max Klinger<br />

„Malerei und Zeichnung“, Leipzig 1891, in: Max Klinger, Wege zum Gesamtkunstwerk, Ausst.<br />

Kat. Hildeshe<strong>im</strong> 1984, S. 207–252) und sie schlägt sich auch in <strong>der</strong> Kunstgeschichtsschreibung<br />

nie<strong>der</strong>. Umfassend dazu: B. Euler-Rolle 1985, S. 55–61; <strong>der</strong>s. 1993, S. 365–374; <strong>der</strong>s. 1987, S. 71 f.<br />

31 Wird <strong>der</strong> Begriff „Gesamtkunstwerk“ überhaupt als brauchbar angesehen, so besteht doch<br />

keine Einigkeit darüber, wie er zu verwenden ist. G. Kapner 1978, S. 83, urteilt, daß formal „ein<br />

Gemeinsames da ist zwischen Barock und dem Gesamtkunstwerk des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts” und<br />

akzeptiert den Begriff unter <strong>der</strong> Voraussetzung, daß er nicht inhaltsgleich auf barocke Kunstwerke<br />

angewandt wird. Um Mißverständnisse auszuschließen hält es B. Rupprecht 1986, S. 11, für<br />

angemessener, vom Gesamtbildwerk des Barock zu sprechen. K. Noehles 1995, Anm. 6 (S. 332<br />

f.), akzeptiert den Begriff „Gesamtkunstwerk“ nur dann, wenn „Architekt und ‚Ausstatter’<br />

konzeptuell entwe<strong>der</strong> in <strong>der</strong>selben Werkstatt zusammenarbeiten (...) o<strong>der</strong> doch die völlige Harmonie<br />

ihrer Intentionen erweisbar ist.“ – Grundlegende Kritik hat B. Euler-Rolle (Lit. wie in<br />

vorangegangener Anm.) an dem Begriff geübt. Er betont, daß es eine barocke Theorie des „Gesamtkunstwerkes“<br />

nicht gebe und kritisiert, daß das „Gesamtkunstwerk“ als For<strong>der</strong>ung nach<br />

einem einzulösenden Ideal schon bei Hans Tietze, Werner Weisbach, Georg Dehio und Hans<br />

19


Die auf Vereinheitlichung zielende Konzeption macht sich nicht nur phänomenologisch,<br />

son<strong>der</strong>n auch programmatisch bemerkbar. In Grüssau schließen sich die<br />

Fresken zu einem Josephszyklus zusammen, für den es in <strong>der</strong> Malerei keinerlei<br />

Vergleichsbeispiele gibt. Fraglos ist das Programm integrieren<strong>der</strong> Bestandteil <strong>der</strong><br />

Ausstattung, doch wurde auch darauf hingewiesen, daß es eigentlich „außerkünstlerischen<br />

Charakters“ sei und daß darin die Schwierigkeit einer „vollkommen ästhetischen<br />

Apperzeption des schließlichen komplexen Gesamtkunstwerks“ liege. 32<br />

Die Rede vom außerkünstlerischen Charakter des Programms mag, sofern <strong>der</strong><br />

Eindruck einer zu starken Trennung von Idee und Ausführung entstehen kann,<br />

eine etwas unscharfe Formulierung sein, sie trifft aber insofern zu, als Ausstattungsprogramme<br />

dieser Art häufig nicht vom Künstler selbst, son<strong>der</strong>n vom Auftraggeber<br />

o<strong>der</strong> von geson<strong>der</strong>t damit beauftragten Gelehrten konzipiert wurden.<br />

Bei einem so außergewöhnlichen und komplizierten Programm wie dem <strong>der</strong> Grüssauer<br />

Josephskirche scheint dies von vornherein evident zu sein. 33 Es wird also<br />

Sedlmayr zu einem Wertmaßstab geworden sei. Euler-Rolle stellt in Frage, daß mit dem Begriff<br />

in <strong>der</strong> Barockforschung überhaupt etwas zu gewinnen sei und bezweifelt, daß „<strong>der</strong> Begriff ein<br />

erkenntnistechnisches Mittel zur Entdeckung des Werkes“ sein könne (B. Euler-Rolle 1985, S.<br />

60). Einzuwenden ist gegen Euler-Rolle nur, daß er, indem er die Verwendung des Begriffs in<br />

<strong>der</strong> Barockforschung problematisiert, das barocke Bemühen um ästhetische Geschlossenheit<br />

marginalisiert. In seinen Augen ist das barocke „Gesamtkunstwerk“ nicht die „Vergegenständlichung<br />

eines a priori gesetzten programmatischen Ideals”, son<strong>der</strong>n lediglich Resultat “einzelner<br />

Entscheidungen“ (ebd.). Aber selbst wenn ein Bau keinem von vornherein feststehenden Gesamtkonzept<br />

folgt, lassen die Schritte zu seiner Verwirklichung in <strong>der</strong> Regel doch eine Gerichtetheit<br />

erkennen, die auf eine Angleichung und Vereinheitlichung aller Elemente <strong>der</strong> Raumgestaltung<br />

abzielt. Die ästhetische Homogenität <strong>der</strong> Gesamterscheinung stellt sich dem Barock<br />

unzweifelhaft als eine wichtige Aufgabe dar. In diese Richtung geht die Kritik von S. Kummer<br />

1989, S. 391 ff. Er hält an dem Begriff „Gesamtkunstwerk“ fest und entgegnet Euler-Rolle, es<br />

gebe Hinweise, daß die Vereinigung <strong>der</strong> Künste <strong>im</strong> Barock tatsächlich ein künstlerisches Anliegen<br />

gewesen sei. Er verweist auf die auch von Euler-Rolle zitierte Äußerung Filippo Baldinuccis<br />

über Giovanni Lorenzo Bernini, <strong>der</strong> seiner Meinung nach „<strong>der</strong> erste gewesen sei, <strong>der</strong> versuchte,<br />

die Architektur mit <strong>der</strong> Skulptur und <strong>der</strong> Malerei zu vereinigen“ [Vita del Cavaliere Gio. Lorenzo<br />

Bernino, Florenz 1682, ed. Sergio Samek Ludovici, Mailand 1948, S. 140]. Zudem nennt er eine<br />

Textstelle bei Giovanni Baglione, an <strong>der</strong> es heißt, daß „die Malerei, Skulptur und Architektur<br />

drei Schwestern sind, die nicht getrennt sein können und eine Trennung nicht lieben.“ [Le vite<br />

de’ pittori scvltori et architetti, dal Pontificato di Gregorio XIII, sino à tutto quello d’Vrbano<br />

Ottauo, 2. Aufl. Rom 1649, S. 2]. Die Zitate nach S. Kummer 1989, S. 399 f. Das mit diesen<br />

Textstellen verteidigte „Gesamtkunstwerk“ gerät dem Autor lei<strong>der</strong> aber zu einem normativen<br />

künstlerischen Ideal, dem nur ein Teil <strong>der</strong> barocken Bauten gerecht wird. Bei einem an<strong>der</strong>en Teil<br />

ist in seinen Augen „jene Einheitlichkeit verfehlt, die man eigentlich angestrebt hatte.“ Ebd., S.<br />

400. In einem Raum wie dem <strong>der</strong> Abteikirche von Zwiefalten sieht er dieses Ideal nicht erreicht<br />

und will ihn deshalb lediglich als ein räumliches Ensemble verstanden wissen. Das Bemühen um<br />

eine ästhetische Vereinheitlichung des Raumes ist aber auch in Zwiefalten deutlich ablesbar, nur<br />

ist dieses Ziel nicht in gleicher Weise verwirklicht, wie es beispielsweise in <strong>der</strong> Klosterkirche von<br />

Weltenburg und in <strong>der</strong> Wies bei Steingaden <strong>der</strong> Fall ist. Aufgabe kann es nur sein zu analysieren,<br />

was die Bedingungsfaktoren für die je spezifische Raumvereinheitlichung sind, nicht jedoch<br />

best<strong>im</strong>men zu wollen, in welchem Ausmaß barocke Raumschöpfungen einem fiktiven, Norm<br />

setzenden Ideal nahekommen, und sie je nach Erreichen dieses Ideals als „Gesamtkunstwerk“<br />

o<strong>der</strong> als „Ensemble“ zu klassifizieren.<br />

32 K. L. Schwarz 1937, S. 86.<br />

33 Man erachtete den Aspekt denn auch als wichtig genug, ihn in die Beurteilung <strong>der</strong> Malereien<br />

mit einfließen zu lassen: Die Fresken stellen – so schrieb G. Grundmann 1 1944, S. 4, die „vielleicht<br />

bedeutendste Leistung dieser Art in <strong>der</strong> deutschen barocken Freskomalerei des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

dar, in <strong>der</strong> sich das Können eines auf <strong>der</strong> Höhe stehenden Malers mit <strong>der</strong> geistigen<br />

20


unumgänglich sein, den Auftraggeber, den damaligen Abt Bernardus Rosa, in die<br />

Betrachtung mit einzubeziehen.<br />

Die Freskenfolge hängt aufs engste mit <strong>der</strong> vom Grüssauer Abt geför<strong>der</strong>ten Josephsverehrung<br />

zusammen. Doch wäre es keine befriedigende Erklärung, wollte<br />

man die Ausmalung allein auf eine persönliche Vorliebe des Abtes für den hl.<br />

Joseph zurückführen. Berücksichtigt man die historischen Rahmenbedingungen<br />

und die ekklesiologischen Implikationen <strong>der</strong> Josephsverehrung, dann lassen sich<br />

über die ganz persönlichen Motive hinaus auch die religionspolitischen Intentionen<br />

des Abtes verdeutlichen. In diesem Zusammenhang wird hier – <strong>der</strong> historischen<br />

Forschung <strong>der</strong> letzten Jahre Rechnung tragend – nicht, wie in <strong>der</strong> Kunstgeschichte<br />

<strong>im</strong>mer noch verbreitet üblich, von Gegenreformation, son<strong>der</strong>n von katholischer<br />

Konfessionalisierung die Rede sein. 34<br />

In Grüssau weist das vehemente Bemühen Bernardus Rosas um die Restitution<br />

des katholischen Glaubens auf die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen<br />

den religionspolitischen Zielsetzungen und <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong> Josephsverehrung.<br />

Zu fragen wird also sein, inwieweit die Ausmalung <strong>der</strong> Josephskirche vor dem<br />

Hintergrund <strong>der</strong> Konfessionalisierungspolitik des Abtes gesehen werden muß.<br />

Aufschluß darüber gibt die josephologische Theologie. Mit ihrer Erörterung werden<br />

zugleich die Voraussetzungen für die Klärung <strong>der</strong> ikonographischen Probleme<br />

geschaffen.<br />

Der letzte Fragenkomplex gilt den stilistischen Problemen. Untersuchungen zu<br />

Malweise und Farbgebung, Komposition und Lichtführung sollen die charakteristischen<br />

Eigenheiten <strong>der</strong> Freskomalerei <strong>Willmann</strong>s hervortreten lassen und Fragen<br />

<strong>der</strong> Schülerbeteiligung klären helfen. Unter den Schülern gilt das beson<strong>der</strong>e<br />

Augenmerk Johann Christoph Lischka, vermochte er es doch, mit seinen in Italien<br />

gesammelten Erfahrungen auf die Kunst seines Lehrers zurückzuwirken. Beson<strong>der</strong>e<br />

Beachtung soll zudem <strong>der</strong> Arbeitsweise <strong>Willmann</strong>s geschenkt werden. Seine<br />

Praxis, Anregungen und Vorlagen unterschiedlicher Provenienz zu verarbeiten, ist<br />

nicht nur ikonographisch, son<strong>der</strong>n auch stilistisch bedeutungsvoll. Aus Angst, man<br />

könne <strong>Willmann</strong> seine künstlerische Praxis als schöpferische Uneigenständigkeit<br />

auslegen, wurde dem Phänomen in <strong>der</strong> Literatur zumeist keine beson<strong>der</strong>e Beachtung<br />

geschenkt. Noch in jüngerer Literatur sah man die gestalterische Freiheit, zu<br />

<strong>der</strong> <strong>Willmann</strong> in <strong>der</strong> Abgeschiedenheit seiner Werkstatt fand, als ein Kennzeichen<br />

seiner Kunst. Zu Unrecht habe die Kunstgeschichte von daher die Frage nach <strong>der</strong><br />

Herkunft <strong>der</strong> Stilhaltung und <strong>der</strong> Motive <strong>Willmann</strong>s gestellt. 35 Eine solche Position<br />

bedarf <strong>der</strong> Korrektur. Die Untersuchung <strong>der</strong> Grüssauer Fresken bietet die Möglichkeit,<br />

<strong>Willmann</strong>s individuelle künstlerische Leistung auch in ihren historischen<br />

Bezügen und in Wechselwirkung mit den Rahmenbedingungen seines Schaffens zu<br />

sehen.<br />

Die vorliegende Arbeit konnte sich auf noch reich vorhandenes Quellenmaterial<br />

stützen. Die Quellen, die von <strong>Willmann</strong>s Leben berichten, geben über die Grüs-<br />

Ideenwelt eines tiefreligiösen Kirchenfürsten zu schönster Harmonie vereinigen.“ Vgl. auch E.<br />

Kloss 1934, S. 117.<br />

34 Zur Verwendung des Terminus in <strong>der</strong> Kunstgeschichte bereitet <strong>der</strong> Autor <strong>der</strong>zeit einen<br />

Aufsatz vor („Das Konfessionalisierungsparadigma und die Kunstgeschichte“).<br />

35 W. Braunfels 1985, Bd. 5, S. 227.<br />

21


sauer Fresken allerdings kaum Auskunft. Die früheste Würdigung wurde <strong>Willmann</strong><br />

noch zu seinen Lebzeiten in <strong>der</strong> zweiten, lateinischen Ausgabe von Joach<strong>im</strong> von<br />

Sandrarts Teutscher Academie zuteil. 36 Die biographischen Daten Sandrarts darf man<br />

als verläßlich ansehen, denn ohne Zweifel hat er seine Informationen von <strong>Willmann</strong><br />

selbst bezogen. Ein Brief und eine Sandrart zugeeignete Zeichnung <strong>Willmann</strong>s<br />

in <strong>der</strong> Albertina in Wien bezeugen den Kontakt. 37 Die Teutsche Academie gibt<br />

uns in großen Zügen Nachricht über die Herkunft <strong>Willmann</strong>s, über seine Ausbildung<br />

in den Nie<strong>der</strong>landen und sein Leben und Schaffen in den Jahren bis kurz vor<br />

1683, dem Erscheinungsjahr <strong>der</strong> lateinischen Ausgabe <strong>der</strong> Teutschen Academie (Academia<br />

nobiliss<strong>im</strong>a Artis pictoriae).<br />

Als in manchen Punkten ungenau erweisen sich die Angaben, die in Arnold Houbrakens<br />

„Groote Schouburgh <strong>der</strong> ne<strong>der</strong>landsche Konstschil<strong>der</strong> en Schil<strong>der</strong>essen“<br />

über <strong>Willmann</strong> zu finden sind. 38 Sein Wissen bezog Houbraken fraglos aus<br />

Sandrarts Teutscher Academie, denn obwohl die Groote Schouburgh erst 1718, also<br />

lange nach <strong>Willmann</strong>s Tod erschien, gehen die darin gegebenen Informationen<br />

nicht über das hinaus, was Sandrart über <strong>Willmann</strong> mitteilt. Zudem verfälschen<br />

Flüchtigkeiten und fehlerhafte Übersetzung manche <strong>der</strong> von Sandrart gemachten<br />

Angaben.<br />

Eine wichtige historische Quelle ist mit <strong>der</strong> 1759 vom Leubuser Pater Arnold<br />

Teichert verfaßten Historia Domestica Lubensis erhalten geblieben. 39 Die in <strong>der</strong> Breslauer<br />

Universitätsbibliothek aufbewahrte Handschrift enthält eine Lebensbeschreibung<br />

<strong>Willmann</strong>s, die zwar wie<strong>der</strong> Sandrart zitiert, die dessen Angaben aber mit<br />

Daten aus <strong>der</strong> Zeit nach 1683 zu vervollständigen sucht. 40 Die Grüssauer Fresken<br />

werden darin nur kurz als Werke <strong>Willmann</strong>s erwähnt.<br />

Mit Jan Peter Cerronis handschriftlich verfaßter „Geschichte <strong>der</strong> bildenden Künste<br />

in Mähren“ (1807), die <strong>im</strong> Státní oblastní Archiv in Brünn aufbewahrt wird, ist<br />

eine sehr aufschlußreiche Quelle zur Kunstgeschichte <strong>im</strong> mährischen Raum überkommen.<br />

Cerroni stützte sich bei seinen Ausführungen zu <strong>Willmann</strong> auf ein Manuskript,<br />

das ihm 1799 <strong>der</strong> Leubuser Abt Gabriel Otto zusandte. Es ist unter den<br />

Akten Cerronis <strong>im</strong> Brünner Archiv zu finden und enthält die bekannten Daten <strong>der</strong><br />

Academie und <strong>der</strong> Historia Domestica Lubensis, gibt unter Berufung auf P. Arnold<br />

Teichert aber noch einige zusätzliche Informationen. Sie betreffen allerdings nicht<br />

den Grüssauer Freskenzyklus.<br />

Sehr viel aufschlußreicher ist das Grüssauer Quellenmaterial. Es enthält zwar nur<br />

wenige Angaben zur Ausmalung selbst, doch gibt es umfänglich Auskunft über<br />

den Auftraggeber Bernardus Rosa und die Grüssauer Josephsbru<strong>der</strong>schaft. Die<br />

internationale Forschung hat sich zeitweise sehr darum bemüht, den Aufbewahrungsort<br />

dieser Materialien ausfindig zu machen, nicht weil sie sich in beson<strong>der</strong>em<br />

Maße für Grüssau interessierte, son<strong>der</strong>n weil sie sich vom Verbleib <strong>der</strong> Quellen<br />

_______________<br />

36 J. von Sandrart 1683, Ed. A. R. Peltzer 1925, S. 369 f.<br />

37 Der Brief ist bei E. Kloss 1934, <strong>im</strong> Anhang (S. 149) abgedruckt; bei H. Lossow 1994, S. 131 f.<br />

38 A. Houbraken 1718, S. 233; A. von Wurzbach 1880, S. 252.<br />

39 P. A. Teichert verarbeitete dabei Quellenmaterial, das 1739 von P. Gabriel Peschel, dem<br />

Historiker des Leubuser Klosters, zusammengetragen wurde. Vgl. M. Semrau 1896, S. 268; E.<br />

Kloss 1934, S. 153, Anm. 3.<br />

40 HDL, p. 102–106.<br />

22


Aufschluß über das Schicksal wertvoller Bestände <strong>der</strong> ehemaligen Preußischen<br />

Staatsbibliothek erhoffte, die <strong>im</strong> Krieg ausgelagert und in Teilen auf den Emporen<br />

<strong>der</strong> Josephskirche deponiert wurden. 41 – Im Archiv und in <strong>der</strong> Bibliothek des 1946<br />

von Benediktinerinnen aus Lemberg neu besiedelten Klosters ist von den Grüssauer<br />

Quellen heute nur noch weniges zu finden. Erhalten hat sich eine Abschrift<br />

von Rosas Tagebuchaufzeichnungen aus <strong>der</strong> Zeit von 1651 bis 1687, <strong>der</strong> Auskünfte<br />

über die heftigen konfessionellen Auseinan<strong>der</strong>setzungen <strong>der</strong> Zeit zu entnehmen<br />

sind. Von <strong>der</strong> josephologischen Literatur und den in Grüssau verfaßten Andachtsbüchern<br />

ist ebenfalls nur noch wenig vorhanden.<br />

Der größte Teil <strong>der</strong> Grüssauer Archivalien befindet sich heute <strong>im</strong> Archiwum<br />

Pa�stwowe we Wroc�awiu, das nach dem Krieg Bestände des ehemaligen Breslauer<br />

Staatsarchivs übernahm. Die dort befindlichen Chroniken sind lei<strong>der</strong> lückenhaft<br />

und geben die Geschichte des Grüssauer Klosters nur bis 1658 und von 1734 bis<br />

1792 wie<strong>der</strong>. Erhalten geblieben sind aber die Rechnungsbücher aus <strong>der</strong> Zeit von<br />

1675 bis 1687 und von 1687 bis 1695. In letzterem finden sich Eintragungen, die<br />

Rückschlüsse auf den an <strong>der</strong> Ausmalung beteiligten Schülerkreis erlauben und die<br />

helfen, den Zeitraum zu best<strong>im</strong>men, in dem die Fresken ausgeführt wurden.<br />

Ein an<strong>der</strong>er Teil <strong>der</strong> Grüssauer Archivalien gelangte in das Breslauer Erzdiözesanarchiv.<br />

Einige Angaben zu Bernardus Rosa, zur Grüssauer Josephsverehrung und<br />

zum Bau <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaftskirche finden sich dort in <strong>der</strong> 1738 datierten Handschrift<br />

Grissovium in Dioecesi Vratislaviensi Filia Henrichovii, ferner in Gabriel Maliskes<br />

Historische Zusammenstellungen zur Grüssauer Stiftskirche, die zudem eine Beschreibung<br />

<strong>der</strong> Ausstattung <strong>der</strong> Josephskirche enthält.<br />

Die Universitätsbibliothek in Breslau ist <strong>im</strong> Besitz einer handschriftlich verfaßten<br />

Biographie des damaligen Abtes und Auftraggebers Bernardus Rosa. Die nur wenige<br />

Jahre nach dem Tode des Abtes nie<strong>der</strong>geschriebene und mit Grüssauische volle<br />

Herbstrose betitelte Schrift ist die umfassendste Quelle zur Geschichte Grüssaus<br />

unter Abt Bernardus Rosa. 42 Sie enthält Informationen zur Josephsverehrung und<br />

zur Josephsbru<strong>der</strong>schaft, gibt einige Auskünfte zum Bau <strong>der</strong> Josephskirche und<br />

vermittelt ein sehr anschauliches Bild <strong>der</strong> in <strong>der</strong> zweiten Jahrhun<strong>der</strong>thälfte noch<br />

andauernden konfessionellen Auseinan<strong>der</strong>setzungen. Auskünfte über den Abt und<br />

den Bau <strong>der</strong> Josephskirche gibt ferner das als Mansiones bezeichnete Nekrologium.<br />

Die darin enthaltenen Informationen gehen jedoch nicht über das hinaus, was in<br />

<strong>der</strong> Biographie des Abtes mitgeteilt wird.<br />

Um Fragen <strong>der</strong> Ikonographie und des Ausmalungsprogramms zu klären und Kriterien<br />

für die Deutung des Zyklus zu erhalten, war es unumgänglich, die in Grüssau<br />

verfaßte Andachtsliteratur in die Untersuchung einzubeziehen. Im Zuge <strong>der</strong><br />

Säkularisation gelangten 1811 etwa 1500 des auf 12.000 bis 13.000 Bände geschätzten<br />

Bestandes <strong>der</strong> Grüssauer Bibliothek nach Breslau. 43 Darunter befanden sich<br />

_______________<br />

41 D. Henrich 1977, S. 165 ff.; A. Rose, Kloster Grüssau als Asyl deutscher Kulturschätze, in:<br />

Jahrbuch <strong>der</strong> Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 26, 1985, S. 312–315;<br />

Verlagert, Verschollen, vernichtet …: das Schicksal <strong>der</strong> <strong>im</strong> 2. Weltkrieg ausgelagerten Bestände<br />

<strong>der</strong> Preußischen Staatsbibliothek, Red. Ralf Breslau, Berlin 1995, S. 9.<br />

42 Die Handschrift ist in zwei etwas voneinan<strong>der</strong> abweichenden Exemplaren vorhanden.<br />

43 Von <strong>der</strong> ursprünglichen Sammlung ist in <strong>der</strong> Grüssauer Bibliothek heute nur noch weniges<br />

vorhanden. Die ältesten Bestände verbrannten am 4. Juni 1633 bei <strong>der</strong> Plün<strong>der</strong>ung des Klosters<br />

23


die bei dieser Arbeit benutzen Exemplare <strong>der</strong> Grüssauer Andachtsliteratur. Sie<br />

werden heute wie damals in <strong>der</strong> Breslauer Universitätsbibliothek aufbewahrt. Unter<br />

den hier in <strong>der</strong> Bibliographie aufgeführten Titeln war das Grüssauer Josephsbuch,<br />

das 1694 ein Jahr nach Beginn <strong>der</strong> Ausmalung erschien, von beson<strong>der</strong>em Nutzen.<br />

Es enthält neben dem Andachtsteil und einer Vita Josephs Angaben zur Geschichte<br />

<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft und zu ihren Regeln und Zielsetzungen.<br />

Bester Kenner <strong>der</strong> Archivalien und des Grüssauer Schrifttums war Pater Nikolaus<br />

von Lutterotti (1892–1955). Er gehörte dem Konvent <strong>der</strong> Prager Emmaus-<br />

Benediktiner an, die 1919 das Kloster in Grüssau neu besiedelten. Nikolaus von<br />

Lutterotti bemühte sich, die verstreute Bibliothek, so weit es möglich war, wie<strong>der</strong><br />

zu vereinen und Verlorenes zu ersetzen. 44 Seine aus den Grüssauer Quellen zusammengetragenen<br />

Kenntnisse hat er in zahlreichen Artikeln für schlesische Zeitschriften<br />

und Zeitungen veröffentlicht. 45 Unter seinen Publikationen sind vor<br />

allem die Auswertung <strong>der</strong> Grüssauer Rechnungsbücher (1930) hervorzuheben und<br />

das „Grüssauer <strong>Willmann</strong>buch“ (1931), in dem er die Malereien vor dem Hintergrund<br />

<strong>der</strong> Grüssauer Josephsverehrung bespricht – mehr jedoch aus dem Blickwinkel<br />

des Theologen als aus kunsthistorischer Sicht. Lutterotti war es auch, <strong>der</strong><br />

Ende <strong>der</strong> dreißiger Jahre die Restaurierung <strong>der</strong> Fresken anregte und mit Unterstüt-<br />

durch die Schweden, nur das Archiv konnte damals in Sicherheit gebracht und 1649 zurückgeführt<br />

werden. Die nachfolgend von den Äbten neu zusammengetragene Bibliothek beinhaltete<br />

vor allem Schriften des 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Bei <strong>der</strong> Säkularisation wurde <strong>der</strong> überwiegende<br />

Teil auf die katholischen Gymnasien in Gleiwitz, Glogau, Hirschberg, Schweidnitz und Neisse<br />

verteilt. Den verbliebenen Rest erfaßte Georg Hielscher 1812 <strong>im</strong> „Katalogus <strong>der</strong> sich in <strong>der</strong><br />

Bibliothek des aufgelösten Stiftes Grüssau noch befindlichen Bücher“. Nach dieser Liste wurden<br />

1814 nochmals 586 Bände nach Breslau geschickt. Der von Büsching vorgefundene alte Bibliothekskatalog<br />

ist verschollen. Vgl. C. H. Rother 1925, S. 88 f. – Ein ähnliches Schicksal erlitt die<br />

alte Leubuser Bibliothek, die von den Schweden nach Stettin verbracht wurde. Als Friedrich<br />

Wilhelm 1679 Stettin in seiner Gewalt hatte, soll er die Bibliothek zum Rückkauf angeboten<br />

haben. Wegen des schlechten Zustands <strong>der</strong> Sammlung habe Leubus jedoch verzichtet. Wenig<br />

später seien die Bestände durch Blitzschlag vernichtet worden. Vgl. L. Wintera 1904, S. 686; P.<br />

Wels 1909, S. 28. Zur Säkularisation in Leubus vgl. A. Bollmann 1932, S. 123–132.<br />

44 Die wie<strong>der</strong> über 40.000 Bände umfassende Bibliothek ist nach dem Zweiten Weltkrieg dem<br />

Ossolineum in Breslau eingeglie<strong>der</strong>t worden (D. Henrich 1977, Anm. 45, S. 196). Der Vorkriegsbestand<br />

ist in einem maschinenschriftlichen Katalog erfaßt, den das Ossolineum verwahrt (ohne<br />

Signatur). Nach Auskunft von M. Gilewska (Ossolineum) soll das meiste auf die Universitätsbibliothek<br />

in Breslau und das Ossolineum verteilt worden sein. Die wertvolleren Bände gingen an<br />

das Nationalmuseum in Breslau. Einiges ist in Grüssau verblieben, ein Rest sei an die Zisterzienser<br />

in Mogi�a bei Krakau gegeben worden.<br />

45 Zu Nikolaus von Lutterotti vgl. A. Rose 1957, Teil 1, dort insbeson<strong>der</strong>e G. Grundmann: Gelehrter<br />

<strong>der</strong> Kunstgeschichte und Helfer <strong>der</strong> Denkmalpflege in Schlesien, S. 42–52. Eine Würdigung<br />

findet sich zudem in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 43, 1985. Der Band enthält<br />

unter an<strong>der</strong>em Beiträge von Joach<strong>im</strong> Köhler (In memoriam P. Nikolaus von Lutterotti OSB, 1892–<br />

1955, S. 1–2), Günther Grundmann (Pater Nikolaus von Lutterotti. Eine Begabung für das Erfassen<br />

des Schönen, S. 4–8) und Hubert Jedin (Pater Nikolaus von Lutterotti. Ein wahrer Bekenner,<br />

S. 9–13). P. Ambrosius Rose hat dort eine Bibliographie <strong>der</strong> Schriften Lutterottis zusammengestellt<br />

(S. 20–25) und gibt auch eine Übersicht über die Literatur zu N. von Lutterotti (S. 26–28). – Die<br />

Artikel Lutterottis, die in schlesischen Zeitungen erschienen, werden hier nach einer Sammlung<br />

zitiert, die sich in zwei Aktenordnern <strong>im</strong> Grüssauer Archiv befindet (ohne Signatur).<br />

24


zung von Günther Grundmann, dem damaligen Provinzialkonservator in Breslau,<br />

durchsetzen konnte. 46<br />

Während <strong>der</strong> Konvent des Grüssauer Klosters bei Kriegsende nach Bad W<strong>im</strong>pfen<br />

übersiedelte, war es Lutterotti auf Grund seiner italienischen Staatsbürgerschaft<br />

erlaubt, in Grüssau zu verbleiben. Er folgte 1955 nach Bad W<strong>im</strong>pfen und verstarb<br />

dort <strong>im</strong> gleichen Jahr. Mit sich brachte er Exzerpte aus den Kirchenbüchern <strong>der</strong><br />

ehemaligen Zisterzienserpfarreien, die in <strong>der</strong> Nachfolge von seinem Ordensbru<strong>der</strong><br />

Ambrosius Rose in mehreren Publikationen, insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Biographie des<br />

Abtes Bernardus Rosa (1960) und dem Grüssau-Buch (1974), ausgewertet wurden.<br />

47 Nikolaus von Lutterotti hat sich um die Aufarbeitung <strong>der</strong> Grüssauer Kirchen-,<br />

Kultur- und Kunstgeschichte in beson<strong>der</strong>er Weise verdient gemacht und<br />

sich engagiert für die Erhaltung und Bewahrung <strong>der</strong> Grüssauer Kunstdenkmäler<br />

eingesetzt. Die Erinnerung an seine Verdienste sei dieser Untersuchung vorangestellt.<br />

_______________<br />

46 Wie sich herausstellte, haben die verlorengeglaubten Akten des Provinzialkonservators den<br />

Krieg überdauert und sind <strong>im</strong> Archiwum Pa�stwowe in Breslau einsehbar. Sie enthalten einigen<br />

Schriftverkehr, <strong>der</strong> Rückschlüsse auf die vorgenommenen Restaurierungsmaßnahmen in Grüssau<br />

zuläßt.<br />

47 Pater A. Rose erlaubte mir in Kellenried Einsicht in die Exzerpte. Ihnen konnten unter an<strong>der</strong>em<br />

einige ergänzende Angaben zur Baugeschichte <strong>der</strong> Josephskirche entnommen werden.<br />

25

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