Egelner Mulde Nachrichten Winterzeit - Druckerei Lohmann
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Carpe diem ( zu deutsch: „nutze / pflücke den Tag“ )<br />
ist eine lateinische Redewendung, die aus der Ode des<br />
römischen Dichters Horaz ( * 65 v. Chr.; + 8 v. Chr. )<br />
stammt.<br />
Horaz war zur damaligen Zeit ein sehr fleißiger Dichter.<br />
Er schrieb vier Lyrikbücher, die „Carmina“, die insgesamt<br />
104 Gedichte enthalten. Die ersten drei verfasste er um<br />
23 v.Chr. und das vierte um 13 v. Chr. Seine beliebtesten<br />
Themen waren zur damaligen Zeit die Liebe, die Politik,<br />
Freundschaft, Fragen der Philosophie und die Alltäglichkeiten<br />
des Lebens.<br />
Im Unterschied zu seinen griechischen Vorgängern war<br />
Horaz nur Dichter und kein Musiker. Deshalb waren seine<br />
„Oden“ auch nicht vertont. Er liebte es, in einem Gedicht<br />
die verschiedensten Themen zusammenzufügen. Dabei<br />
verwendete er verhaltene, hintergründigeAussagen. Viele<br />
seiner Gedichte beginnen wuchtig und klingen leicht und<br />
heiter aus.<br />
„Carpe diem“ stammt aus dem elften Gedicht des ersten<br />
Lyrikbuches ( Carmen 1,11 ). Ich möchte sie nicht mit<br />
dem Original in lateinischer Schrift langweilen, deshalb<br />
beginne ich gleich mit der Übersetzung, sie lautet folgendermaßen:<br />
Frag nicht ( das darf der Mensch nicht wissen ),<br />
welches Ende die Götter mir, welches sie dir, Leukonoe,<br />
zugedacht haben, und lass die Finger von babylonischer<br />
Astrologie! Wie viel besser doch was immer sein mag, zu<br />
ertragen! Ob Jupiter noch viele Winter uns zugeteilt hat<br />
oder den letzten, der jetzt an entgegenstehenden Klippen<br />
das Tyrrhenische Meer bricht – lebe mit Verstand, kläre<br />
den Wein und beschränke ferne Hoffnung auf kurze Dauer!<br />
Noch während wir reden, ist die missgünstige Zeit schon<br />
entflohen: Pflücke dir den Tag, und glaube so wenig wie<br />
möglich an den nächsten!<br />
Die Schlusszeile des Gedichtes ist eine Aufforderung,<br />
die knappe Lebenszeit heute zu nutzen und nicht auf den<br />
nächsten Tag zu vertrauen.<br />
Der deutsche Dichter Christian Morgenstern hat 1896<br />
dieses berühmte Lied als „Studentenscherz“ parodiert. Er<br />
<strong>Egelner</strong> <strong>Mulde</strong> <strong>Nachrichten</strong><br />
Carpe diem<br />
griff dabei nicht nur den Inhalt des Vorbildes auf, sondern<br />
ahmte auch das Mentrum nach:<br />
Horatius travestitus<br />
Lass das Fragen doch sein!<br />
Sorg dich doch nicht über den Tag hinaus!<br />
Martha! Geh nicht mehr hin, bitte,<br />
zu der dummen Zigeunerin!<br />
Nimm dein Los, wie es fällt!<br />
Lieber Gott, ob dies Jahr das letzte ist,<br />
das beisammen uns sieht,<br />
oder ob wir alt wie Methusalem<br />
werden: sieh’s doch nur ein:<br />
das, lieber Schatz, steht nicht in unsrer Macht.<br />
Amüsier dich, und lass Wein und Konfekt schmecken<br />
dir wie bisher!<br />
Seufzen macht mich nervös. Nun aber Schluss!<br />
All das ist Zeitverlust!<br />
Küssen Sie mich, mon amie!<br />
Heute ist heut! Apres nous le deluge!<br />
Im Barock wurde Carpe diem zu einem Schlüsselzitat.<br />
Durch die Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges<br />
geprägt, bildete sich im 17. Jahrhundert ein starkes Vergänglichkeitsgefühl.<br />
(Vanitas – Alles ist eitel oder Memento mori – Bedenke,<br />
dass du sterben musst).<br />
Diese zwei Worte begleiten mich seit meiner Oberschulzeit<br />
in meinem Leben. Immer wieder sind sie in meinem<br />
Unterbewusstsein eine Triebfeder meines Handelns gewesen.<br />
Je älter man wird desto mehr denkt man über diese<br />
schicksalhaften Worte nach. Man soll und muss an den Tag<br />
glauben und nicht auf den nächsten Tag vertrauen.<br />
Mit einer ägyptologischen Aussprache möchte ich aufhören:<br />
Folge den schönen Tagen und vergiss die Sorgen!<br />
D. Gernegroß<br />
Text wurde auf CD geliefert.