verheerende Katastrophen Aktuelle Meldungen ... - Kindernothilfe
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Foto: Petra Liedtke<br />
22<br />
Patenschaft<br />
Gisela Fiebig mit ihrem ehemaligen Patenkind, der inzwischen 27-jährigen Marisol Carvajal Navarro.<br />
Aus Patenschaft<br />
wurde Freundschaft<br />
Vor 22 Jahren übernahm Gisela Fiebig aus Hagen/NRW die Patenschaft für ein fünfjähriges<br />
Mädchen aus Chile. 1998 besuchte sie die Familie des Kindes zum vierten Mal und ver-<br />
sprach der sterbenden Mutter, Marisols Studium mitzufinanzieren. Jetzt kam die inzwischen<br />
27-jährige studierte Pharmazeutin zum ersten Mal nach Deutschland.<br />
<strong>Kindernothilfe</strong> Magazin 4/2007<br />
Foto: privat<br />
„Muy preciosa“, schwärmt Marisol und<br />
zeigt auf Fotos in ihrer Mappe. „Sehr<br />
schön!“ Potsdam, Berlin, Dresden, Weimar,<br />
die Wartburg, Heidelberg, Rothenburg o. d.<br />
Tauber, Kloster Maulbronn, München, Neuschwanstein,<br />
Köln – die 27-jährige Chilenin,<br />
die zum ersten Mal in ihrem Leben ins<br />
Ausland gereist ist, hat während ihres<br />
Deutschlandbesuchs eine Menge gesehen.<br />
Von der Insel Mainau wollte sie gar nicht<br />
mehr weg, und der Ausblick von der Zugspitze<br />
hat sie vollends überwältigt.<br />
Ihre ehemalige Patin Gisela Fiebig hatte<br />
über alle Orte, die sie besuchen würden,<br />
Informationen zusammengetragen, auf<br />
Spanisch übersetzt und mit eigenen Fotos<br />
illustriert. Krönender Abschluss der<br />
Reise war allerdings keine landschaftliche<br />
oder bauliche Sehenswürdigkeit, sondern<br />
eine Führung durch das Kommunikationszentrum<br />
von Bayer Leverkusen. Die studierte<br />
Pharmazeutin hatte extra darum<br />
gebeten. „Ich habe im Studium viel von<br />
Bayer gehört und verkaufe in unserer<br />
Apotheke auch die Medikamente dieses<br />
Unternehmens, deshalb wollte ich es unbedingt<br />
mal besichtigen.“<br />
Organisiert hatte diese Besichtigungstour<br />
Gisela Fiebig, mit der sie eine langjährige<br />
Freundschaft verbindet. Marisol und ihre<br />
Zwillingsschwester Andrea kamen mit<br />
fünf Jahren in die Tagesstätte Hogar Luterano<br />
in ihrer Heimatstadt Valdivia und<br />
damit ins Patenschaftsprogramm der <strong>Kindernothilfe</strong>.<br />
Ihre krebskranke Mutter musste<br />
ins Krankenhaus, der Vater war arbeitslos,<br />
und das Geld reichte vorne und hinten<br />
Frau Fiebig 1986 mit Marisol und Andrea in Chile.<br />
nicht für die ganze Familie. Gisela Fiebig<br />
übernahm die Patenschaft für Marisol,<br />
für Andrea wurde zwei Jahre später<br />
ebenfalls eine Patin gefunden.<br />
Gisela Fiebigs Vetter hatte jahrelang in<br />
Marisols Heimatstadt Valdivia gearbeitet,<br />
und sie freute sich riesig, als ihr die <strong>Kindernothilfe</strong><br />
ausgerechnet dort ein Patenkind<br />
vermittelte! Fleißig schickte sie Briefe<br />
an die Fünfjährige. „Marisol war schon<br />
privilegiert“, meint auch <strong>Kindernothilfe</strong>-<br />
Mitarbeiterin Eva Böckel, die für die Projekte<br />
in Chile zuständig ist. „Nicht alle<br />
Paten schreiben so viel wie Frau Fiebig.<br />
Wenn im Hogar Luterano Post ankam und<br />
alle Kinder aufgeregt fragten, für wen,<br />
dann waren die Briefe und Karten immer<br />
für Marisol.“<br />
„Ich habe anfangs überhaupt nicht verstanden,<br />
was eine Patin ist“, erinnert sich<br />
Marisol. „Und dann kam auf einmal ein<br />
Brief an, für mich quasi ‚aus dem Nichts‘.<br />
Und dann noch einer und noch einer. Dadurch<br />
wurde der Kontakt langsam enger,<br />
persönlicher. Aber was eine Patenschaft<br />
bedeutet, habe ich erst richtig verstanden,<br />
als meine Patin 1986 zu Besuch kam:<br />
Ich habe gesehen, dass sie sich für unsere<br />
Familie interessiert, ganz viel Anteil an<br />
unserem Schicksal nimmt und helfen<br />
möchte – und dass es nicht nur ein ökonomisches<br />
Band ist, sondern eine persönliche<br />
Beziehung.“<br />
Gisela Fiebigs Kontakt zu Marisol sollte<br />
durch ein tragisches Ereignis enger werden<br />
als zu ihren anderen Patenkindern.<br />
Als sie 1998 erneut nach Chile kam, lag die<br />
Mutter der Zwillinge im Sterben. 13 Jahre<br />
lang hatte sie gegen den Krebs gekämpft.<br />
„Sie lag im Wohnzimmer“, erinnert sich<br />
Frau Fiebig. „Die Familie saß am Tisch,<br />
und über uns hing ein Bild von Leonardo<br />
da Vinci, das letzte Abendmahl. Ich knabberte<br />
an meinem Brötchen und bekam es<br />
vor Tränen nicht herunter, weil ich dachte:<br />
Dies ist jetzt die letzte Mahlzeit im<br />
Beisein der Mutter.“ Frau Fiebig versprach<br />
der Mutter in die Hand, Marisols Studium<br />
mitzufinanzieren. Das Mädchen wollte<br />
gern Pharmazie studieren, doch ihre Familie<br />
hatte noch nicht einmal Geld für<br />
das Allernötigste. „Die Mutter hat mein<br />
Versprechen verstanden und starb drei<br />
Tage später in Frieden.“<br />
Eigentlich sollten beide Schwestern jetzt<br />
nach Deutschland kommen. Andrea hat<br />
jedoch gerade eine Anstellung in einem<br />
Reisebüro gefunden und konnte nicht<br />
sofort Urlaub einreichen. So kam Marisol<br />
allein und wird nun mit vielen Eindrücken<br />
und Fotos nach Chile zurückkehren<br />
– und mit Briefen und kleinen Päckchen<br />
für mehrere Paten- und ehemalige Patenkinder.<br />
Gisela Fiebig, die 2003 für ihr<br />
Engagement für die <strong>Kindernothilfe</strong> das<br />
Bundesverdienstkreuz bekam, hält zu allen<br />
Kontakt. Sie hat ihre Geburtstage im<br />
Kopf, korrespondiert alle sechs bis acht<br />
Wochen mit den jungen Leuten und<br />
führt genau Buch, wem sie wann was<br />
geschrieben hat.<br />
Marisols Besuch in Deutschland wird für<br />
beide Frauen unvergesslich bleiben. „Ich<br />
habe so viel gesehen, und ich bin meiner<br />
Patin sehr dankbar, dass sie das möglich<br />
gemacht hat“, erklärt Marisol. Was ist<br />
aus ihrer Sicht das Wichtigste an einer<br />
Patenschaft? „Eine ganzheitliche Unterstützung!<br />
Natürlich ist der ökonomische<br />
Für Patenkinder zählt nicht nur das Geld,<br />
sondern auch der persönliche Kontakt<br />
Faktor wichtig, aber genauso die Kommunikation,<br />
dass sich die Familien der<br />
Paten und Patenkinder kennen lernen.<br />
Sicherlich können nicht alle Paten reisen,<br />
aber man kann auch durch Briefe versuchen,<br />
einen Kontakt herzustellen.“<br />
Die junge Chilenin möchte die Hilfe, die<br />
sie erhalten hat, weitergeben. Gemeinsam<br />
mit anderen ehemaligen Patenkindern<br />
aus dem Hogar Luterano, die inzwischen<br />
ein eigenes Einkommen haben, will sie<br />
jetzt eine Patenschaft übernehmen.<br />
Gunhild Aiyub, Redakteurin<br />
Gunhild.Aiyub@knh.de<br />
Projekt: 92009/AA/12<br />
Informationen zur Patenschaft:<br />
www.kindernothilfe.de/Erleben_Sie_<br />
Ihr_Patenkind.html<br />
<strong>Kindernothilfe</strong> Magazin 4/2007