slavolinguistica 5 grammatik des polnischen - Das slavische Verb

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122 1.5. Kategorien 1.5.1. Zur Beschreibung von Kategorien der Morphologie Lexikalischer und grammatischer Status 1. Grundlagen Während die lexikalischen Morpheme, Stämme, Bedeutungen einmalige oder zumindest eher individuelle Einheiten darstellen, wird Grammatisches vor allem unter dem Gesichtspunkt sprachlicher Regelmäßigkeit betrachtet. Die Grenzziehung zwischen Beiden ist aber problematisch. Das Problem, was eigentlich als grammatisch regelmäßig angesehen werden kann, ist die sichtbare Folge der sprachlichen Entwicklungsprozesse, die von Lexikalischem zu Grammatischem verlaufen. Die daraus resultierenden Übergangsphänomene manifestieren sich in den Schwierigkeiten bei der Anwendung des Begriffs der Regelmäßigkeit bzw. der Grammatizität, was sich auch daran erkennen lässt, dass sich lexikographische Beschreibungen (Wörterbücher und Vorarbeiten dazu) mit grammatographischen großflächig überschneiden. Grammatische Einheiten entstehen in der Regel in einem kontinuierlichen Übergang aus lexikalischen Einheiten. Dieser Prozess wird als Grammatikalisierung bezeichnet (vgl. einen Überblick bei Diewald 1997; Lehmann 1995 ist ein Standardwerk). Daher gibt es in jeder lebenden Sprache neben Einheiten mit einem deutlich ausgeprägten lexikalischen oder grammatischen Charakter eine große Anzahl von Einheiten, in denen grammatische bzw. lexikalische Eigenschaften eher schwach ausgebildet sind. Der Übergang von Lexikalischem zu Grammatischem zeigt sich z.B. in transparenten Funktionswörtern wie jednym sΩowem ‚mit einem Wort’, w rezultacie ‚schließlich’ oder auch in Morphemen, die als Bestandteil eines Wortes lexikalische, als Bestandteil eines anderen grammatische Funktion haben können, z.B. prze- in przepisac´ ‚abschreiben’ (lexikalisch) und in przeczytac´ ‚lesen’ (grammatisch, Aspekt-Präfix). Ähnliche Zwischeneffekte ergeben die (selteneren) Degrammatikalisierungen, bei denen der sprachlichen Einheit nicht problemlos der lexikalische oder der grammatische Status zugeschrieben werden kann. Mit der Unterscheidung von Affixen in solche, die zur (lexikalischen) Wortbildung und solche, die zur (grammatischen) Flexion bzw. Formenbildung gehören, wird der Eindruck erweckt, als seien die Morpheme eindeutig in lexikalische (Wurzeln, lexikalische Wortbildung) und grammatische (Flexion, Formenbildung) aufzuteilen. Dem ist jedoch keineswegs so. Zwar sind Flexionsaffixe eindeutig grammatische Affixe, und ebenso eindeutig gehört die Ableitung von smaz˙-alnia ‚Grillstube’ aus smaz˙yc´ ‚braten’ zur Wortbildung. Aber aus der traditionellen Grammatik ist lange bekannt, dass ein Affixparadigma zugleich der Wortbildung und der Formenbildung dienen kann. Wenn man sagt, dass per Wortbildung aus logika ‚Logik’ das Wort logik ‚Logiker(in)’ abgeleitet wird, analog zur Ableitung (Derivation) des Wortes studentka ‚Studentin’ von student ‚Student’, dann besteht der Ableitungsvorgang in folgendem: Ersetzt wird das Flexionsparadigma einer Deklination, also (logik)-a, (logik)-i, (logic)-e, … durch ein

1.5. Kategorien 123 Flexionsparadigma einer anderen Deklination, also (logik)-Ø, (logik)-a, (logik)-owi, … Mit der Ersetzung des einen Flexionsparadigmas durch das andere wird also ein neues Wort gebildet, das die Bedeutung ‚Logiker’ hat. Das dazu verwendete Mittel ist aber ein Paradigma von Flexionsaffixen, also von Morphemen mit grammatischer Funktion. Bei der Bildung von Aspektpartnern wird ein neues Wort abgeleitet, z.B. odkrywac´ von odkryc´ ‚entdecken’, zwiedzac´ von zwiedzic´ ‘besichtigen’, zbudowac´ von budowac´ ‘bauen’, dabei wird aber ein Affix mit grammatischer und nicht mit lexikalischer Funktion angefügt. Das Gleiche gilt für die Bildung des Passivs mit sie˛: budowac´ ‚bauen’ > buduje sie˛ ‚wird gebaut’, zbudowac´ > zbuduje sie˛ ‚wird gebaut werden’. Bei der Ableitung von Adverbien aus Adjektiven, vgl. Ωadny ‚schön’ > Ωadnie ‚schön’, polski ‚polnisch’ > po polsku ‚auf polnisch’ wird ebenfalls ein neues Wort gebildet, aber lexikalisch nichts geändert. Soweit die Bildung neuer Wörter ohne Änderung der lexikalischen Bedeutung. Es können aber auch neue Wörter mit geänderter lexikalischer Bedeutung gebildet werden und gleichzeitig die grammatische Funktion sich ändern, wie es bei der Derivation von ipf. budowac´ ‚bauen’ > pf. przebudowac´ ‚umbauen’ oder ipf. is´c´ ‚gehen’ > pf. przejs´c´ ‚über (etwas) hin übergehen, überqueren’ geschieht. Die Verschränkung von Wort- und Formbildung ist noch enger. Es ist nicht nur so, dass ein und dasselbe Präfix zur Bildung von grammatischen Aspektpartnern, vgl. pf. napisac´ zu ipf. pisac´ ‚schreiben’, und zur Bildung von Wörtern mit anderer lexikalischer Bedeutung wie in na-jechac´ ‚auf (etwas) auffahren’ verwendet werden kann. Immerhin könnte dann die affixale Veränderung bei napisac´ als Formbildung, bei najechac´ als lexikalische Wortbildung angesehen werden. Es gibt jedoch auch genügend Fälle, in denen ein Präfix in ein und demselben Wort, je nach Funktion und Kontext des Wortes, grammatische oder lexikalische Funktion hat. Das Präfix po- in podzielic´ ‚aufteilen’ kann einerseits eine grammatische ohne eine lexikalische Funktion haben und andererseits eine lexikalische, verbunden mit einer grammatischen. Vgl. das Beispiel podzielic´: Als Derivat von dzielic´ ‚teilen’ ist podzielic´ ‚aufteilen’ dessen Aspektpartner, mit der gemeinsamen Standardbedeutung ‚zer-, aufteilen’. Die Veränderung ist rein grammatisch. Dagegen führt die Präfigierung mit po- u.a. zur neuen lexikalische Bedeutung von podzielic´ ‚(die Meinung, Auffassung u.ä.) teilen’, in diesem Fall mit dem Aspektpartner podzielac´. Aus der geschilderten Situation können folgende Konsequenzen gezogen werden: 1. Bei der Affigierung können sich lexikalische und grammatische Prozesse Überschneiden. Wortbildung und Formenbildung sind daher keine komplementären Bereiche, sie überlappen sich vielmehr. 2. Da dem Unterschied zwischen lexikalischen und grammatischen Funktionen nicht immer formale Unterschiede entsprechen, ist die Unterscheidung zwischen lexikalischem und grammatischem Status anhand der Funktionen zu de-

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Flexionsparadigma einer anderen Deklination, also (logik)-Ø, (logik)-a, (logik)-owi, … Mit<br />

der Ersetzung <strong>des</strong> einen Flexionsparadigmas durch das andere wird also ein neues Wort<br />

gebildet, das die Bedeutung ‚Logiker’ hat. <strong>Das</strong> dazu verwendete Mittel ist aber ein Paradigma<br />

von Flexionsaffixen, also von Morphemen mit grammatischer Funktion.<br />

Bei der Bildung von Aspektpartnern wird ein neues Wort abgeleitet, z.B. odkrywac´<br />

von odkryc´ ‚entdecken’, zwiedzac´ von zwiedzic´ ‘besichtigen’, zbudowac´ von budowac´<br />

‘bauen’, dabei wird aber ein Affix mit grammatischer und nicht mit lexikalischer Funktion<br />

angefügt. <strong>Das</strong> Gleiche gilt für die Bildung <strong>des</strong> Passivs mit sie˛: budowac´ ‚bauen’ > buduje<br />

sie˛ ‚wird gebaut’, zbudowac´ > zbuduje sie˛ ‚wird gebaut werden’. Bei der Ableitung von<br />

Adverbien aus Adjektiven, vgl. Ωadny ‚schön’ > Ωadnie ‚schön’, polski ‚polnisch’ > po<br />

polsku ‚auf polnisch’ wird ebenfalls ein neues Wort gebildet, aber lexikalisch nichts geändert.<br />

Soweit die Bildung neuer Wörter ohne Änderung der lexikalischen Bedeutung. Es<br />

können aber auch neue Wörter mit geänderter lexikalischer Bedeutung gebildet werden und<br />

gleichzeitig die grammatische Funktion sich ändern, wie es bei der Derivation von ipf.<br />

budowac´ ‚bauen’ > pf. przebudowac´ ‚umbauen’ oder ipf. is´c´ ‚gehen’ > pf. przejs´c´ ‚über<br />

(etwas) hin übergehen, überqueren’ geschieht.<br />

Die Verschränkung von Wort- und Formbildung ist noch enger. Es ist nicht nur so,<br />

dass ein und dasselbe Präfix zur Bildung von grammatischen Aspektpartnern, vgl. pf. napisac´<br />

zu ipf. pisac´ ‚schreiben’, und zur Bildung von Wörtern mit anderer lexikalischer<br />

Bedeutung wie in na-jechac´ ‚auf (etwas) auffahren’ verwendet werden kann. Immerhin<br />

könnte dann die affixale Veränderung bei napisac´ als Formbildung, bei najechac´ als lexikalische<br />

Wortbildung angesehen werden. Es gibt jedoch auch genügend Fälle, in denen ein<br />

Präfix in ein und demselben Wort, je nach Funktion und Kontext <strong>des</strong> Wortes, grammatische<br />

oder lexikalische Funktion hat. <strong>Das</strong> Präfix po- in podzielic´ ‚aufteilen’ kann einerseits<br />

eine grammatische ohne eine lexikalische Funktion haben und andererseits eine lexikalische,<br />

verbunden mit einer grammatischen. Vgl. das Beispiel podzielic´: Als Derivat von<br />

dzielic´ ‚teilen’ ist podzielic´ ‚aufteilen’ <strong>des</strong>sen Aspektpartner, mit der gemeinsamen Standardbedeutung<br />

‚zer-, aufteilen’. Die Veränderung ist rein grammatisch. Dagegen führt die<br />

Präfigierung mit po- u.a. zur neuen lexikalische Bedeutung von podzielic´ ‚(die Meinung,<br />

Auffassung u.ä.) teilen’, in diesem Fall mit dem Aspektpartner podzielac´.<br />

Aus der geschilderten Situation können folgende Konsequenzen gezogen werden:<br />

1. Bei der Affigierung können sich lexikalische und grammatische Prozesse Überschneiden.<br />

Wortbildung und Formenbildung sind daher keine komplementären<br />

Bereiche, sie überlappen sich vielmehr.<br />

2. Da dem Unterschied zwischen lexikalischen und grammatischen Funktionen<br />

nicht immer formale Unterschiede entsprechen, ist die Unterscheidung zwischen<br />

lexikalischem und grammatischem Status anhand der Funktionen zu de-

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