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COMPACT-Magazin 05-2017

Der Osten leuchtet. Was der Westen lernen kann

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<strong>COMPACT</strong> Leben<br />

In seiner Antwort fragt Döblin nach der Rolle des<br />

Intellektuellen und lehnt dessen Vereinnahmung<br />

durch marxistischen Klassenkampf ab. Klar, der Kapitalismus<br />

müsse weg, aber Klassenkampf führe niemals<br />

zur Freiheit, zu einem wirklichen Kommunismus,<br />

sondern nur zu einem diktatorischen «Staatskapitalismus»,<br />

wie Döblin den russischen Sozialismus unter<br />

Lenin und Stalin bezeichnete. Auch Deutschlands<br />

Sozialisten hätten mit Freiheit wenig im Sinn, und<br />

das hatte für Döblin mit Luther zu tun, der «einen gefährlichen,<br />

für Deutschlands Entwicklung verhängnisvollen<br />

Zwiespalt» zu verantworten habe: Keine<br />

Frage, es «war viel, was er durchsetzte, aber es war<br />

nur der Anfang. Er beließ es bei einer Befreiungsaktion<br />

religiöser Art.» Nur, welche «Logik liegt darin,<br />

jemanden vor Gott mündig und frei zu machen, aber<br />

zugleich zu einem Sklaven vor dem Landesfürsten?»<br />

Freiheit, Sozialismus, Kapitalismus<br />

Diese Halbheit führte Luther zur Beschimpfung<br />

der Bauern, die die Freiheit – wie verwerflich! –<br />

«ganz weltlich machen wollten», und zur Distanzierung<br />

von Thomas Münzer, den er einen «Schwarmgeist»<br />

nannte (aber für Döblin war er «ein großer<br />

Realist»). In der Gegenwart, so Döblin, sei die Aristokratie<br />

zwar verschwunden, keineswegs aber der<br />

feudale Untertanengeist. Das Bürgertum habe sein<br />

Freiheitsstreben nach 1848 aufgegeben, das pulsiere<br />

jetzt im Proletariat. Deshalb müsse der moderne<br />

Intellektuelle der Arbeiterbewegung beistehen,<br />

aber stets den Freiheitsgedanken gegen sozialistische<br />

Orthodoxie verteidigen. Wie zu erwarten, kam<br />

Döblins Antwort an den Studenten, unter dem Titel<br />

Wissen und Verändern. Briefe an einen jungen<br />

Menschen (1931) in Buchform veröffentlicht, bei orthodoxen<br />

Klassenkämpfern nicht gut an: Vor allem<br />

Siegfried Kracauer und Walter Benjamin kritisierten<br />

ihn scharf.<br />

Seit Blochs Münzer-Monographie sind fast 100<br />

Jahre vergangen. Der Ausspruch des Philosophen,<br />

Tage wie zu Münzers Lebzeiten seien wiedergekehrt,<br />

«und sie werden nicht eher ruhen, bis ihre Tat getan<br />

ist», hat sich als falsch erwiesen. Aber wie steht es<br />

um Münzer im 21. Jahrhundert? Auch in der Gegenwart<br />

ist der «Theologe der Revolution» keineswegs<br />

überholt. Denn der Freiheitsbegriff im globalen Neoliberalismus<br />

ist überaus zwiespältig: Was nützt eine<br />

ökonomische Freiheit, die zunehmend Verlierer produziert?<br />

Eine, die Verarmung fördert und den Menschen<br />

mit permanenter Absturzangst im Zaum hält?<br />

Wäre die Forderung nach ganzer, nach ungeteilter<br />

Freiheit hier nicht berechtigt? Aber laut Münzer gibt<br />

nur Gottes Hilfe die Kraft zum Umsturz… Müssen<br />

wir also auf ihn warten? Auf seinen Feueratem, seinen<br />

Geist? Wird es noch einmal ein Pfingstwunder<br />

geben? Und wenn ja, in welcher Form?<br />

Was nützt eine<br />

ökonomische Freiheit,<br />

die zunehmend<br />

Verlierer<br />

produziert?<br />

Im Bauernkrieg wurden landwirtschaftliche<br />

Werkzeuge zu scharfen<br />

Waffen. Foto: Rudolf Schiestl,<br />

Public domain, Wikimedia Commons<br />

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