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COMPACT-Magazin 05-2017

Der Osten leuchtet. Was der Westen lernen kann

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<strong>COMPACT</strong> Dossier<br />

sein Geruch, seine Art, sich zu kleiden und stets<br />

frisch rasiert und gepflegt aufzutreten. Ich genoss<br />

es so sehr, wenn er mich in die Arme nahm und mich<br />

liebte. Und ich genoss seine Aufmerksamkeit. Nicht<br />

bloß, weil er mir gern kleine Geschenke machte, er<br />

merkte sich alles, was ich sagte.»<br />

Die beiden heirateten in der Botschaft Ägyptens.<br />

Seyams Heimatland hatte die erforderlichen<br />

Personaldokumente geschickt – unter anderem ein<br />

polizeiliches Führungszeugnis ohne negative Einträge.<br />

Er war zu dieser Zeit offensichtlich ein Mann,<br />

der nicht im Verdacht stand, in kriminellen oder<br />

fundamentalistischen Kreisen zu verkehren. Überdies<br />

rauchte er wie ein Schlot, trank gerne Alkohol<br />

und machte einen großen Bogen um Moscheen aller<br />

Art. Für sie schien ein Traum in Erfüllung zu gehen:<br />

Die orientalische Aufmerksamkeit und Leidenschaft<br />

waren wohltuender Kontrast zu der Kälte, die<br />

Frau Glück bei ihrem ersten Ehemann erfahren hatte:<br />

einem Deutschen, einem Jugendfreund, der so<br />

unerfahren wie sie selbst war und sie schließlich<br />

schändlich betrog.<br />

Der Weg in den Dschihad<br />

Erst Anfang 1992 radikalisierte sich Seyam, verzichtete<br />

auf Alkohol und Schweinefleisch, ließ sich<br />

einen Bart wachsen. Andere Islamisten überzeugen<br />

ihn, nach Bosnien in den Dschihad gegen die Ungläubigen<br />

zu ziehen. In der jugoslawischen Teilrepublik<br />

tobte seit Frühjahr 1992 ein Bürgerkrieg zwischen<br />

den Volksgruppen der Serben, der Kroaten<br />

und der Muslime – das blutigste Stadium im Auflösungsprozess<br />

des alten Jugoslawien.<br />

Hochburg der arabischen Freiwilligenverbände<br />

war Mittelbosnien mit der Stadt Zenica. Dort kam<br />

das Ehepaar Seyam Ende 1994 an. Ein Reporter der<br />

Londoner Times war dort 1992 in einem Camp der<br />

Mudschaheddin. «Eine schwarze islamische Fahne<br />

flatterte (…). Man sah Araber und Leute aus dem<br />

Kaukasus und aus Afrika. Die meisten trugen Bärte,<br />

einige hatten sich die Köpfe rasiert, alle trugen<br />

ausgewaschene Uniformen und waren gut bewaffnet<br />

– Leute mit scharfen Augen, Leute, die nicht<br />

vergessen.» Seyam war ein wichtiger Mann für die<br />

Gotteskrieger – nicht als Kämpfer, sondern als Kameramann<br />

und Kurier. Er drehte Propagandavideos<br />

von den Schlachtereien der Gotteskrieger, die in die<br />

ganze Welt vertrieben wurden – vor allem in den<br />

arabischen Raum, wo sie Sponsoren zu Spenden<br />

für den Fortgang des Dschihads motivieren sollten.<br />

Seine Ehefrau kann bestätigen, welche furchtbaren<br />

Dinge sich insbesondere während der Kämpfe<br />

im Spätsommer und Herbst 1995 abspielten, als die<br />

Muslime den serbischen Artilleriegürtel um Sarajevo<br />

sprengten. Sie war Augenzeugin einer Massenexekution<br />

im Dorf Guca Gora in der Nähe von Tuzla.<br />

«Neben dem knienden Mann erkannte ich Scheich<br />

Abu Abdul Ahmed al Masri, den Führer der Muschaheddin<br />

(…). Auf eine schnelle Bewegung hin sackte<br />

der kniende Mann zusammen, etwas flog durch<br />

die Luft. Es war sein Kopf.» Besonders furchtbar für<br />

die Frau war, dass ihr eigener Ehemann das Köpfen<br />

filmte und das entsprechende Video als Werbung für<br />

den Heiligen Krieg vertrieb. Einige Propagandaclips<br />

von Seyam hat sich die Spiegel-Redaktion besorgt:<br />

«Zu sehen sind mehrere Mudschaheddin, die drei<br />

Serben den Kopf abschlagen und damit Fußball spielen.»<br />

Gegenüber Focus behauptete Frau Glück sogar,<br />

Seyam habe mitgemordet: «Jeder der etwa 50 Mudschaheddin<br />

gab einen Schuss auf einen gefesselten<br />

Serben ab. Auch mein Mann hat geschossen.»<br />

Schließlich zog das Ehepaar von Zenica in das<br />

nahe Dorf Bocinja, wo «300 Mudschaheddin und<br />

ihre 900 Frauen» lebten (so die kroatische Zeitung<br />

Slobodna Dalmacija). Für Frau Glück wurde die Situation<br />

immer schlimmer: «In Zenica musste ich<br />

zwar von Kopf bis Fuss verschleiert vor die Tür gehen,<br />

durfte aber immer noch die Nachbarn besuchen,<br />

in den Supermarkt gehen und selbst die Lebensmittel<br />

aussuchen. (…) Eine Zigarette rauchen, an einer<br />

Seife riechen, ein neues Lied im Radio hören, Söckchen<br />

und Höschen für die Kinder, ein Päckchen Kaffee,<br />

eine Flasche Shampoo, diese einfachen Sachen<br />

machten die Frauen glücklich. In Bocinja galt das als<br />

überflüssiger oder gar schädlicher Luxus. Wenn es<br />

nach Omar [das Pseudonym ihres Mannes] und sei-<br />

Im Bosnienkrieg 1992–1995 präsentierten<br />

die auf Seiten der Bosniaken<br />

kämpfenden Mudschaheddin<br />

stolz die Köpfe ermordeter<br />

Serben. Foto: balkanblog.org<br />

Seyam wollte seinen<br />

Sohn Dschihad<br />

nennen.<br />

_ Die Zitate von Doris Glück<br />

stammen aus ihrem Buch Mundtot<br />

– Ich war die Frau eines Gotteskriegers.<br />

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