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COMPACT-Magazin 05-2017

Der Osten leuchtet. Was der Westen lernen kann

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<strong>COMPACT</strong> Politik<br />

Ein renommierter<br />

Buchautor<br />

Viktor Timtschenko, geboren<br />

1953, studierte in Kiew Journalistik.<br />

1990 siedelte er nach<br />

Deutschland über. Von 2000<br />

bis 20<strong>05</strong> war er Redakteur der<br />

Deutschen Welle in Köln. Seine<br />

Bibliographie:<br />

Ich erwecke Russland mit Blut.<br />

Wladimir Wolfowitsch Shirinowski.<br />

Aufbau-Verlag, Berlin 1994.<br />

Russland nach Jelzin. Rasch und<br />

Röhring, Hamburg 1998.<br />

Putin und das neue Russland.<br />

Hugendubel, Kreuzlingen/München<br />

2003.<br />

Ukraine. Einblicke in den neuen<br />

Osten Europas. Chr. Links Verlag,<br />

Berlin 2009.<br />

Chodorkowskij. Legenden,<br />

Mythen und andere Wahrheiten.<br />

Herbig, München 2012.<br />

Der einstige Ölmilliardär Michail<br />

Chodorkowski saß von 2003 bis<br />

2013 wegen Steuerhinterziehung<br />

in Haft. Foto: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung<br />

GmbH<br />

Anzeige<br />

Ethnie, so begründete er seine Thesen mit dem rasanten<br />

Anstieg der Bevölkerung. Die weißen Völker<br />

der Erdkugel wuchsen zum Beispiel von 150 Millionen<br />

Anfang des 18. Jahrhunderts auf schwindelerregende<br />

850 Millionen im Jahre 1925. Deshalb sah Ratzel<br />

die biosoziale Notwendigkeit eines Volkes, sich<br />

neue Gebiete zu erobern – auf Kosten der anderen.<br />

Da Sozialdarwinismus damals eine gängige Lehre<br />

war, wurde das als naturgegeben und nicht verwerflich<br />

verstanden. Der Nationalismus saugte diese Thesen<br />

ein, er wurde aggressiv und expansionistisch.<br />

Heute sind die Geburtenraten in Europa im Minus.<br />

Deshalb kann von Expansion keine Rede mehr<br />

sein. Die Nationalisten verstehen sich heute lediglich<br />

als Verteidiger ihrer angestammten Territorien,<br />

ihrer Identität und Souveränität. Deshalb lehnen sie<br />

Multikulturalismus und «Genderwahn» ab.<br />

Die Genderproblematik interessiert moderne Nationalisten<br />

nicht als solches, sie erklären die sexuellen<br />

Vorlieben jedes Menschen zur Privatsache. Sie<br />

sehen aber in der Werbung für Regenbogenansichten,<br />

aber auch zum Beispiel für die childfree-Bewegung<br />

– also diejenigen, die Kinder für überflüssig<br />

halten – einen Frontalangriff auf den Fortbestand<br />

der Nation. Die Denke der Nationalisten ist: Wenn<br />

wir schon Jahr für Jahr Millionen von Menschen<br />

verlieren, dann ist es suizidal, dem Wunsch zu frönen,<br />

keine Kinder zu haben. Sie gehen davon aus,<br />

dass eine Nation es wert ist, mit ihrer Kultur, Sprache,<br />

Tradition zu überleben.<br />

Es gibt auch eine entgegengesetzte Sicht –<br />

«Deutschland verrecke!». Für die, die sich das als<br />

Ziel gesetzt haben, sind gewollte Kinderlosigkeit,<br />

aufgeschobene Schwangerschaften und Masseneinwanderung<br />

willkommen. So gesehen, sollte die<br />

politische Trennlinie, wie auch die gesellschaftliche,<br />

heute nicht zwischen rechts und links verlaufen,<br />

sondern zwischen multikulturell und national.<br />

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Nicht nur bei der «Erweiterung des Lebensraumes»,<br />

sondern auch bei vielen anderen Grundsteinen<br />

des alten Nationalismus ist es zu heftigen Bewegungen<br />

gekommen. Moderne Nationalisten (im<br />

Unterschied zu Saurier-Nationalisten, die es weltweit<br />

durchaus noch gibt) lehnen Chauvinismus, Rassismus<br />

und Antisemitismus aus verschiedenen Motiven<br />

ab, vor allem wegen ihrer Kontraproduktivität.<br />

Sie haben sich längst vom ethnischen Nationalismus<br />

verabschiedet und definieren Ethnie nicht mehr<br />

durch die Länge der Nase und die Welligkeit der<br />

Haare. Doch das wollen die Liberalen nicht glauben:<br />

Sie sind in den alten Nationalisten-Klischees<br />

der Historie gefangen. Die Zeiten haben sich aber<br />

geändert: Nicht nur der Nationalismus muss sich<br />

dem Gesellschaftswandel anpassen.<br />

Ein Abschiedsgruß<br />

Nach der Ablehnung meines Artikels blieb mir<br />

nur noch, der guten Ordnung halber einen Abschlussbrief<br />

an Herrn Joffe zu schreiben. Ich erzählte<br />

ihm kurz und schmerzlos die Story und zitierte<br />

am Ende die Mail der Redakteurin – mit ihrer Bitte<br />

«um Verständnis».<br />

Die Zeit ist eine dicke deutsche<br />

Prawda auf besserem Papier.<br />

«Sehr geehrter Herr Joffe», schrieb ich, «ich habe<br />

Verständnis. Ein Verständnis, dass Die Zeit genau<br />

so ein unfreies parteiisches Medium ist, wie ich sie<br />

zur Genüge aus meiner sozialistischen Vergangenheit<br />

kenne, eine dicke deutsche Prawda auf besserem<br />

Papier. Ich habe Verständnis, dass Die Zeit<br />

ein ”Sturmgeschütz des Liberalismus” ist und alles,<br />

was nicht handfest liberalistisch ist (liberal ist etwas<br />

anderes!), niederstreckt. Ich habe Verständnis,<br />

dass für einige Ihrer (hoch sitzenden) Kollegen Gedanken<br />

zwar frei sind, aber nur die im Kopf, nicht<br />

auf dem Papier und dass «Ich mag verdammen, was<br />

Du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen,<br />

dass Du es sagen darfst» kein Motto Ihrer Zeitung<br />

ist. Aber wenn in ihr nur ein Standpunkt vertreten<br />

ist, ist sie keine Zeitung mehr, sondern ein<br />

Propagandablatt. Was auch nicht weiter schlimm<br />

ist, man muss es halt nur wissen… Ich bin nicht<br />

deshalb enttäuscht, weil mein Text bei Ihnen nicht<br />

erschienen ist, sondern weil ich den letzten Glauben<br />

an die Glaubwürdigkeit noch einer Systemstütze<br />

verlor. Seien Sie aber gewarnt: Ihre Kollegen von<br />

Prawda waren auch lange Zeit sicher, dass durch<br />

Kampfparolen und das Niederringen Andersdenkender<br />

der Kommunismus unbedingt siegen wird.<br />

Designhaus Bauconsult · Stefan Kroisandt<br />

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Mit freundlichen Grüßen…»

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