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COMPACT-Magazin 05-2017

Der Osten leuchtet. Was der Westen lernen kann

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<strong>COMPACT</strong> Thema NRW<br />

Chronologie<br />

des Grauens<br />

Der Buchautor Jürgen Cain Külbel<br />

hat für den Fernsehsender<br />

RTdeutsch die Stationen des<br />

Staatsversagens im Falle Anis<br />

Amri zusammengestellt:<br />

28. Juli 2015: Anis Amri boxt auf<br />

dem Gelände des Berliner Landesamts<br />

für Gesundheit und<br />

Soziales (Lageso) einem Wachmann<br />

mit der Faust ins Gesicht.<br />

Sommer 2015: Ein Informant des<br />

Landeskriminalamtes Nordrhein-<br />

Westfalen (LKA NRW) erklärt,<br />

Amri habe von Attentaten<br />

gesprochen. Einen V-Mann habe<br />

er gefragt, ob der Schusswaffen<br />

besorgen könne.<br />

30<br />

November 2015: Amri erkundigt<br />

sich bei einem V-Mann, ob<br />

der eine Kalaschnikow für einen<br />

Anschlag besorgen könnte; er<br />

wolle «etwas in Deutschland<br />

unternehmen».<br />

25. November 2015: LKA NRW:<br />

«Anis» habe gegenüber einem<br />

V-Mann behauptet, er könne<br />

«problemlos eine Kalaschnikow<br />

in Napoli besorgen».<br />

3. Dezember 2015: Ein V-Mann<br />

sagt, «Anis» wolle in Paris<br />

Kalaschnikows kaufen, um in<br />

Deutschland Anschläge durchzuführen.<br />

26. Januar 2016: Zeugnis des<br />

BfV mit Hinweis auf mögliches<br />

Eigentumsdelikt in Berlin durch<br />

Amri zur Erlangung von Geldmitteln<br />

zwecks Vorbereitung<br />

eines Anschlages mit Schnellfeuergewehren.<br />

Generalstaatsanwaltschaft<br />

(GStA) Berlin lehnt<br />

am 29. Januar 2016 Einleitung<br />

eines Strafverfahrens ab.<br />

2. Februar 2016 Amri kontaktiert<br />

über den Instant-Messaging-Dienst<br />

Telegram Mitglieder<br />

des Islamischen Staates (IS),<br />

bietet sich als Selbstmordattentäter<br />

an.<br />

17. Februar 2016: Verdacht, dass<br />

Amri einen Mann in Falkensee<br />

töten will, um so Geld zum Einkauf<br />

von Waffen und Sprengstoffen<br />

zu besorgen.<br />

18. Februar 2016: Ergebnis der<br />

Auswertung von Amris Handy<br />

durch das LKA Berlin: Er hat sich<br />

im Internet nach Anleitungen<br />

zum Bau von Rohrbomben und<br />

chemischen Formeln zur Sprengstoffherstellung<br />

erkundigt.<br />

24. Februar 2016: Verdeckte<br />

Maßnahmen ergeben, Amri will<br />

«im Auftrag Allahs töten».<br />

nesier für so gefährlich, dass man beim Generalbundesanwalt<br />

ein Verfahren wegen «Vorbereitung einer<br />

schweren staatsgefährdenden Straftat» und – siehe<br />

oben – die Abschiebehaft beantragte. Doch man ließ<br />

es dabei bewenden, die Observation zu verstärken –<br />

obwohl allein die Tatsache, dass Amri den ihm zugewiesenen<br />

Wohnsitz in NRW verlassen hatte und sich<br />

häufiger in Berlin aufhielt, also sein fortwährender<br />

Verstoß gegen die sogenannte Residenzpflicht, Handhabe<br />

zur Verhaftung geboten hätte. Der Tunesier benutzte<br />

mindestens 14 Alias-Identitäten, um seine Reisen<br />

zu verschleiern und um sich staatliche Stütze zu<br />

erschleichen. Auch nachdem Amri wegen der letztinstanzlichen<br />

Ablehnung seines Asylantrages seit<br />

Mitte Juni 2016 «vollziehbar ausreisepflichtig» gewesen<br />

war, unternahmen die NRW-Behörden nichts.<br />

Immerhin war die Bundespolizei auf Zack, als sie<br />

den Gefährder Ende Juli 2016 in Friedrichshafen am<br />

Bodensee aufgriff: Er hatte gefälschte italienische<br />

Papiere und Drogen bei sich, und das reichte für die<br />

Einweisung in die Justizvollzugsanstalt Ravensburg.<br />

Doch nun kamen ihm wieder seine Schutzengel aus<br />

NRW zu Hilfe: In Absprache mit Innenminister Jäger<br />

wies die Ausländerbehörde Kleve die baden-württembergische<br />

Justiz darauf hin, dass die Haft unzulässig<br />

sei, weil Amris Abschiebung «aus Gründen,<br />

die der Ausländer nicht zu verantworten hat, nicht<br />

innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt<br />

werden kann».<br />

Bleiberecht für einen Terroristen<br />

Der SPD-Politker Ralf Jäger ist seit 2010 Innenminister von<br />

Nordrhein-Westfalen. Foto: picture alliance / Federico Gambarini/dpa<br />

Das Argument, ein Gefährder könne nicht hinter<br />

Schloss und Riegel festgehalten werden, wenn man<br />

ihn kurzfristig nicht in sein Herkunftsland abschieben<br />

kann, ist freilich ebenso idiotisch wie nach der<br />

Gesetzeslage falsch: Paragraf 58a des Aufenthaltsgesetzes<br />

bietet die Möglichkeit, «zur Abwehr einer<br />

besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik<br />

Deutschland oder einer terroristischen Gefahr<br />

ohne vorhergehende Ausweisung (!) eine Abschiebungsanordnung»<br />

zu erlassen. Dies erlaubt<br />

eine Inhaftierung von gefährlichen Ausländern von<br />

bis zu 18 Monaten. Jäger nahm bei seiner Aussage<br />

im Untersuchungsausschuss am 5. Januar <strong>2017</strong> auf<br />

diese Gesetzeslage Bezug, verteidigte die Nichtabschiebung<br />

Amris trotz des Drängens seines eigenen<br />

LKAs aber dennoch: «Die rechtliche Hürde ist<br />

übrigens so hoch, dass dieser Paragraf 58a noch nie<br />

in der Bundesrepublik Deutschland zur Anwendung<br />

kommen konnte, weil eben die Hürde so hoch ist.»<br />

In NRW erfreute sich Amri besonderer<br />

Förderung.<br />

Dem widersprach sogar der von Jäger selbst bestellte<br />

Gutachter Kretschmer: Auf Seite 73 heißt es<br />

in seiner Expertise: «Bei voller Kenntnis und Verwertbarkeit<br />

aller gesammelten Verdachtsmomente hätte<br />

im Frühjahr 2016 – zumal angesichts der seinerzeit<br />

festen Verwurzelung Amris in der extremistischen<br />

Szene – eine Abschiebungsanordnung nach Paragraf<br />

58a Aufenthaltsgesetz durchaus erfolgreich sein<br />

können.» Kretschmer schränkte allerdings ein, wesentliche<br />

Verdachtsmomente hätten «mangels Freigabe»<br />

des ermittlungsführenden Generalbundesanwalts<br />

(GBA) in Karlsruhe nicht verwertet werden<br />

können. Aber selbst das stimmt nicht, wie die Befragung<br />

von GBA Peter Frank im Untersuchungsausschuss<br />

ergab: Demnach hatte Nordrhein-Westfalen<br />

eine förmliche Anfrage zur Aktenfreigabe an seine<br />

Behörde gar nicht gestellt. Karlsruhe hätte ansonsten<br />

eine «wohlwollende Prüfung» vorgenommen und<br />

sich diesem Ansinnen «nicht verschließen» können.

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