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COMPACT-Magazin 05-2017

Der Osten leuchtet. Was der Westen lernen kann

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<strong>COMPACT</strong> Titelthema<br />

«Dass ein gutes Deuschland blühe»<br />

_ von Martin Müller-Mertens<br />

Von wegen Umerziehung: In der DDR blieben Heimatliebe und<br />

Nation stets Teil der Alltagskultur. Bis heute ist der Osten deshalb<br />

patriotischer.<br />

te. Doch tatsächlich war – neben der Systemkonkurrenz<br />

und dem zum Mantra erhobenen Friedensbegriff<br />

– die nationale Frage dessen dritter großer<br />

Legitimationsversuch. Insbesondere in der Frühzeit<br />

standen dabei gesamtdeutsche Ambitionen auf der<br />

Tagesordnung. «Nicht eher werden wir ruhen, bis<br />

die widerrechtlich von Deutschland losgerissenen<br />

Kerngebiete mit der DDR in einem einheitlichen<br />

demokratischen Deutschland vereinigt sind», verkündete<br />

Präsident Wilhelm Pieck am 11. Oktober<br />

1949 einen allerdings nur wenige Jahre aufrechterhaltenen<br />

Alleinvertretungsanspruch. «Amerikaner<br />

nach Amerika, Deutschland den Deutschen», forderte<br />

die Blockpartei NDPD (National-Demokratische<br />

Partei Deutschlands) in ihrem Wahlaufruf 1951. Es<br />

sei falsch, die Vergangenheit als «Geschichte der<br />

deutschen Misere» umzuschreiben, proklamierte<br />

SED-Chef Walter Ulbricht 1952. «Es können noch<br />

soviel Besatzungsmächte in Deutschland sein, die<br />

historische Entwicklung der Deutschen zu einer Nation<br />

kann niemand aus der Welt wischen», beschwor<br />

Ministerpräsident Otto Grotewohl 1955.<br />

Nationale Traditionen<br />

20<br />

Das hier abgebildete Hochhaus an<br />

der Weberwiese in Berlin Mitte<br />

sollte als Prototyp für den sozialistischen<br />

Wohnungsbau dienen. Es<br />

blieb jedoch ein Unikat – wohl auch,<br />

weil die Kosten das Neunfache des<br />

Veranschlagten betrugen. Foto: Bundesarchiv,<br />

Plak 100-033-025<br />

Der Wind des Patriotismus wehte durch den Ost-<br />

Berliner Friedrichstadtpalast. Februar 1981: Auf einer<br />

Tagung regionaler SED-Kader trat der Generalsekretär<br />

höchstselbst ans Rednerpult. Was Erich Honecker<br />

an diesem Tag zu sagen hatte, ließ seine Genossen<br />

aufhorchen. «Wenn der Tag kommt, an dem die Werktätigen<br />

der Bundesrepublik an die sozialistische Umgestaltung<br />

gehen, dann steht die Frage der Vereinigung<br />

beider deutscher Staaten vollkommen neu. Wie<br />

wir uns dann entscheiden, daran dürfte wohl kein<br />

Zweifel bestehen.» Das Protokoll vermerkte die Reaktion<br />

der Delegierten: «Anhaltender starker Beifall.»<br />

Deutscher Patriotismus in der DDR? Zumindest<br />

in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik ist<br />

der «Arbeiter-und-Bauern-Staat» längst zur fehlgeleiteten<br />

Fußnote umgedeutet worden, dessen<br />

Gebiet 1990 quasi nach Deutschland zurückkehr-<br />

Dabei setzte die DDR auf Pathos. «Deutsch unsre<br />

Fluren und Auen, bald strömt der Rhein wieder<br />

frei», hieß es in der später aufgegebenen 4. Strophe<br />

eines Liedes über den KPD-Vorsitzenden Ernst<br />

Thälmann. Wie weit die DDR-Führung dabei zu gehen<br />

bereit war, erfuhr die erstaunte Öffentlichkeit ab<br />

März 1956. Die Einheiten der gerade gegründeten<br />

Nationalen Volksarmee paradierten in einem Waffenrock,<br />

der jenem der Wehrmacht zum verwechseln<br />

ähnlich sah. Die feldgrauen Uniformen, so erläuterte<br />

es die Wochenschau, «entsprechen im Gegensatz zu<br />

den amerikanischen Uniformen der westdeutschen<br />

Söldner den nationalen Traditionen unseres Volkes».<br />

Tatsächlich lief das geschichtspolitische Selbstverständnis<br />

der SED auf eine Teilung des nationalen<br />

Erbes hinaus: Progressive Ansätze der deutschen<br />

Geschichte fanden ihr Vermächtnis in der DDR. Betraf<br />

dies zunächst vor allem revolutionäre Traditionen<br />

insbesondere der Arbeiterbewegung, so erhielten<br />

in den 1980er Jahren auch Martin Luther und der<br />

Eiserne Kanzler Otto von Bismarck ihren Platz in der<br />

Ahnengalerie. Unter den Rehabilitierten war auch<br />

Preußenkönig Friedrich II., den Honecker in einem Interview<br />

1980 nach entsprechendem Wink von Sowjetbotschafter<br />

Pjotr Abrassimow als «der Große» bezeichnete<br />

und dessen Reiterstandbild er kurz darauf<br />

wieder auf dem Berliner Prachtboulevard Unter den<br />

Linden aufstellen ließ.

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