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COMPACT-Magazin 05-2017

Der Osten leuchtet. Was der Westen lernen kann

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<strong>COMPACT</strong> Titelthema<br />

turpolitik eins ausgewischt. «Das ganze Deutschland<br />

soll es sein», stand etwa auf einer Medaille,<br />

die die DDR vor allem an Kulturschaffende verlieh –<br />

bekanntester Preisträger war Johannes R. Becher,<br />

Dichter der Hymne des «Arbeiter- und Bauernstaates».<br />

Schon im Zweiten Weltkrieg waren die Radiosendungen<br />

des Nationalkomitees Freies Deutschland<br />

– einem Zusammenschluss von NS-Generälen,<br />

die nach Stalingrad zu den Sowjets übergelaufen<br />

waren und mit KPD-Funktionären zusammenarbeiteten<br />

– mit einer Arndt-Melodie eingeleitet worden:<br />

den ersten Takten des Liedes »Der Gott, der Eisen<br />

wachsen ließ«. Dieser, so der Text, »wollte keine<br />

Knechte«. Der von den Kommunisten verehrte Arndt<br />

hatte geschrieben, dass Soldaten ihre Eide brechen<br />

dürften, wenn ihre Führer befählen, Gewalt zu üben<br />

»wider die Unschuld und das Recht«.<br />

Die Sieger schreiben Geschichte<br />

18<br />

Viele Greifswalder wollen am<br />

Namen Arndt festhalten. Foto: picture<br />

alliance / Stefan Sauer/dpa-<br />

Zentralbild/dpa<br />

Mit der Ernst-Moritz-Arndt-<br />

Medaille wurden in der DDR ab<br />

1955 besonders Leistungen zur<br />

Sicherung des Friedens gewürdigt.<br />

Verliehen wurde sie vor allem<br />

an Kulturschaffende. Foto: Stadtgeschichtliches<br />

Museum Leipzig<br />

«Spezialfall der<br />

Geschichtsexorzisten».<br />

Götz Aly<br />

Kommunisten für Arndt<br />

Gegen diese grobschlächtige Einordnung spricht<br />

ein von der Universität selbst eingefordertes Gutachten:<br />

Grundlage der Kampagne sei «nicht die<br />

Kenntnisnahme der Breite des Arndtschen Werkes<br />

und seiner vielschichtigen Rezeption, sondern das<br />

Datum der Namensverleihung im April/Mai 1933».<br />

Zu Recht wird hervorgehoben, dass es sich hier nur<br />

um die «umgepolte Wiederaufnahme des nationalsozialistischen<br />

Arndt-Bildes» handelt, ausgerechnet<br />

von umbenennungswütigen Gutmenschen.<br />

All das heißt im Klartext: Die Entscheidung galt<br />

nicht dem Lebenswerk des (naturgemäß zeitgebundenen)<br />

Freiheitskämpfers und Demokraten, sondern<br />

seiner Indienstnahme durch die NSDAP. Die<br />

Befürworter der Umbenennung interessiert nicht die<br />

Bohne, was Arndt wirklich geschrieben und geleistet<br />

hat, sie reagieren wie der berühmte Pawlowsche<br />

Hund auf die Nazi-Assoziation – und auf sonst<br />

nichts. Deshalb ignorieren sie auch, dass der Name<br />

1954 in der DDR ausgerechnet unter «antifaschistischem»<br />

Gesichtspunkt übernommen wurde.<br />

Mit der Streichung des Namens wird also nebenbei<br />

und unter der Hand auch der DDR mit ihrer relativ<br />

konservativen und patriotisch orientierten Kul-<br />

Selbst der vielfach ausgezeichnete und jeglicher<br />

«rechter» Tendenzen unverdächtige Publizist und<br />

Historiker Götz Aly kritisierte diese Säuberung in<br />

der Stuttgarter Zeitung scharf: «Als Historiker habe<br />

ich häufig mit dem Spezialfall der Geschichtsexorzisten<br />

zu tun. Sie verstehen sich als Teufelsaustreiber<br />

und finden in unserer Nationalgeschichte reichlich<br />

Futter. Meist pflegen sie verbissen und auf sehr<br />

deutsche Art humorlos vorzugehen. Sobald sie die<br />

Umbenennung irgendeiner Straße oder Universität<br />

durchgesetzt haben, bilden sie sich ein, sie könnten<br />

jetzt dauerhaft von sich behaupten: Wir gehören<br />

zum besseren Teil der Menschheit.» Arndt zähle<br />

mit Turnvater Jahn, Hoffmann von Fallersleben und<br />

anderen zu den «Urvätern der deutschen Demokratie».<br />

Aly hält «solche Umbenennungen für selbstherrliche<br />

Siegergeschichte».<br />

Im konkreten Fall dürfte es sich um eine spezielle<br />

Variante von «Siegergeschichte» handeln, nämlich<br />

West schlägt Ost. Der Begriff der Ostkolonisation,<br />

der historisch die Besiedelung slawisch geprägter<br />

Gebiete durch Deutsche im Mittelalter bezeichnet,<br />

bekommt damit einen ganz neuen Sinn, denn die<br />

Hochschulen in den neuen Bundesländern sind, so<br />

weiß Zeit Online, «fest in westlicher Hand». Dies betrifft<br />

besonders die für den weltanschaulichen Kurs<br />

maßgeblichen Geistes- und Sozialwissenschaften.<br />

Weniger als fünf Prozent der Soziologie-Professoren<br />

sind aus dem Osten.<br />

Solche Verhältnisse herrschen auch an der Universität<br />

Greifswald. So stammt die gesamte Universitätsleitung,<br />

die Rektorin wie beide Prorektoren und<br />

der Kanzler, aus dem Westen. Von den zwölf Professoren<br />

im wichtigen Senat der Lehranstalt kommen<br />

mindestens neun aus den alten Bundesländern,<br />

bei den weiteren drei war der Lebenslauf nicht im<br />

Netz zugänglich.

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