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KARIN<br />
KNEISSL<br />
„Saudi-Arabien hat viele Gründe<br />
zur Sorge vor einer zornigen<br />
Bevölkerung“<br />
MAGAZIN FÜR POLITIK, WIRTSCHAFT UND LEBENSSTIL<br />
Wir werden<br />
immer angelogen<br />
Interview mit<br />
Dr. Daniele Ganser<br />
A, D: € 8,50<br />
CHRISTIAN<br />
GÜNTHER<br />
KLAUS<br />
KELLE<br />
MICHAEL<br />
HÖRL<br />
ANDREAS<br />
UNTERBERGER<br />
„Die Bundesverfassung<br />
ist quasi zum Hedgefonds<br />
der Berufspolitik<br />
geworden“<br />
„Es gibt in Deutschland<br />
inzwischen eine regelrechte<br />
Industrie linker<br />
Netzwerke“<br />
„Zu viele haben in<br />
Österreich ein Interesse<br />
an künstlich aufgebauschten<br />
Armutszahlen“<br />
„Selbst gute Lehrerinnen<br />
glauben, die österreichische<br />
Hochsprache soll<br />
nicht verwendet werden“
NEU bei<br />
Die Vertrauenskrise der<br />
Medien und ihre Ursachen<br />
analysiert von einem der besten Journalisten des Landes<br />
140 Seiten<br />
€ 9, 90<br />
„Wahrheitsgetreue, objektive Berichterstattung<br />
in Medien ist in einer Demokratie nie durch die<br />
Obrigkeit durchsetzbar. Entscheidend kann immer nur das Vertrauen der Bürger<br />
in die Verlässlichkeit und Sorgfalt jedes einzelnen Mediums sein. Dieses aber<br />
haben viele alte wie neue Medien in einem sehr hohen Ausmaß verspielt.“<br />
ISBN: 978-3-9504348-1-1<br />
Dr. Andreas Unterberger<br />
Im Buchhandel oder direkt bei www.verlagfrankundfrei.at
BRIEF DES HERAUSGEBERS<br />
Die Europäische Union ist tot,<br />
es lebe das neue Europa?<br />
Europa, wenn nicht die ganze Welt, steht<br />
an einer Zeitenschwelle. Noch ist nicht<br />
entschieden, wohin die Reise gehen wird.<br />
Die USA haben wie immer in den letzten 70<br />
Jahren einen Vorsprung herausgearbeitet.<br />
Der neue US-Präsident gehört dem Typus<br />
„Nicht-Politiker“ an, und das mit allen positiven<br />
wie negativen Begleiterscheinungen.<br />
Er wird einschneidende Änderungen auf<br />
allen Ebenen verursachen, ob diese gut oder schlecht sein werden,<br />
ist eine Frage der Position der Betroffenen. Jedenfalls wird die alte<br />
US-Oligarchie in ihrer bisherigen Form nicht mehr aktiv bleiben<br />
können, sie wird mit den neuen, starken Oligarchen kooperieren<br />
müssen. Bis es soweit ist, wird Trump noch einiges an Machtkämpfen<br />
auszufechten haben. Europa dagegen stehen die massiven Umbrüche<br />
noch bevor.<br />
Was seit Jahren gesellschaftspolitisch unter der Oberfläche brodelt,<br />
bahnt sich seinen Weg nach oben. Die Eliten des alten Kontinents<br />
wanken und taumeln von einem politischen Desaster ins nächste.<br />
Kaum wurden Finanz- und Wirtschaftskrise von den Systemmedien<br />
weggeschrieben, aus dem Blickfeld der Menschen geräumt, tut<br />
sich auch schon die nächste Bedrohung von – man möchte sagen<br />
– biblischen Ausmaßen auf: Der seit 2<strong>01</strong>5 nicht mehr abreißende<br />
Migrationsstrom aus völlig kulturfremden Regionen der Welt nach<br />
Europa drängt den alten Kontinent an den Rand des Abgrunds.<br />
Der beginnende Zusammenbruch der sozialen Systeme und die<br />
Auflösung der öffentlichen Ordnung sind an den weniger gut<br />
versorgten Rändern bereits deutlich erkennbar. Das für arbeitende<br />
und nettoeinzahlende Menschen konzipierte Sozialsystem<br />
ist in der derzeitigen Form nicht mehr aufrechtzuerhalten. Konsequenterweise<br />
müsste entweder eine massive Anhebung der<br />
Beitragsleistungen für die (noch) zahlenden Menschen oder die<br />
Reduktion der aus dem Sozialsystem bezogenen Leistungen erfolgen.<br />
Da Ersteres nicht ohne massiven politischen Widerstand<br />
bis hin zur völligen Zertrümmerung der regierenden Parteien<br />
einherginge, wird sich Zweiteres seinen Weg bahnen. Das wiederum<br />
wird die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit an<br />
ihre Grenzen bringen: Migranten, Asylwerber und Illegale, die<br />
keinerlei Subvention und bedingungslose Zahlungen mehr erhalten,<br />
werden auf die Straße gehen, um sich ihren Lebensunterhalt<br />
entweder zu „erdemonstrieren“ oder einfach von den (noch) Habenden<br />
zu nehmen. Wirtschafts- und Migrationskrise aber sind,<br />
wie die Geschichte zeigt, Katalysatoren des Zerfalls von elitengesteuerten<br />
Systemen. Der Brexit, das Scheitern Griechenlands,<br />
Christian Günther, Herausgeber<br />
der Ausnahmezustand in Frankreich, die<br />
Entwicklung Schwedens zu einer einzigen<br />
„No-Go-Area“, die Auflehnung der<br />
so genannten Visegrád-Staaten gegen die<br />
Bevormundung durch Brüssel, das Erstarken<br />
rechts-konservativer Parteien, die<br />
wachsende Widerspruchslust der Bürger<br />
via Internet samt der Reaktion des Staates<br />
mittels Zensur und „Hate Speech“-Vorwürfen,<br />
um die Meinungsfreiheit einzugrenzen, sind deutliche<br />
Zeichen von Stagnation und Zerfall. Niemand außer den herrschenden<br />
Machteliten und ihren medialen Adepten will noch dieses<br />
Reißbrettkonstrukt samt seiner Währungs-Totgeburt „Euro“.<br />
Die Funktionseliten der Europäische Union brechen ohne Scham<br />
in Permanenz ihre eigenen Regelungen („No-Bail-Out“), versagen<br />
bei allen Herausforderungen, deren Bewältigung ein großes Staatengebilde<br />
rechtfertigen würde („Migrationskrise“, gemeinsame,<br />
koordinierte Außenpolitik), ja schaffen es nicht einmal, einem<br />
selbsternannten Neo-Sultan klar und deutlich zu erklären, dass<br />
er und seine Gefolgsleute keine politische Propaganda auf europäischem<br />
Boden zu verbreiten haben. Die heutige Europäische<br />
Union ist tatsächlich auch kein „Friedensprojekt“ mehr, denn der<br />
Friede währt tatsächlich nur so lange, wie es eine Macht gibt,<br />
die auch bereit ist, diesen zu verteidigen. Bis jetzt war dies lediglich<br />
die NATO, sprich die USA. Mangels einer europäischen<br />
Armee bedürfte die Abwehr eines Angriff auf ein EU-Mitglied<br />
immer noch der NATO. Der amtierende US-Präsident scheint jedoch<br />
nicht der Mann zu sein, der die NATO bedingungslos zur<br />
Verteidigung der EU einsetzen wird. Ein solches Europa schützt<br />
seine Bürger nicht, ein solches Europa bietet seinen Bürgern<br />
keine prosperierende Zukunft, ein solches Europa ist genau das<br />
geworden, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Gegnern<br />
der Habsburgmonarchie als „Völkerkerker“ bezeichnet wurde.<br />
Das System-Europa der Europäischen Union ist tot. Multikulturalismus<br />
und Globalismus sind gescheitert. Unser Kontinent,<br />
unser neues Europa, braucht eine neue politische Ordnung, die<br />
sich an den Bedürfnissen der europäischen Völker, am Wert von<br />
Grenzen, an der Achtung und Wertschätzung gegenüber den<br />
historischen Leistungen des christlichen Abendlandes sowie am<br />
respektvollen, aber selbstbewussten Umgang mit fremden Kulturen<br />
orientiert. Für die im alten System verhafteten herrschenden<br />
EU-Macht- und Funktionseliten wird dagegen wohl bald wieder<br />
ein Satz an fataler Bedeutung gewinnen: „Wer zu spät kommt,<br />
den bestraft das Leben.“<br />
Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17<br />
3
EDITORIAL<br />
Ein Magazin-Start in Zeiten von<br />
„Fake-News“ und „Lügenpresse“<br />
Egal ob in Österreich, Deutschland<br />
oder anderswo, den Printmedien<br />
geht es schlecht. Auflagen und Reichweiten<br />
sinken von Quartal zu Quartal. Es ist<br />
eine rasante Talfahrt. Der Spiegel, das<br />
wichtigste Nachrichtenmagazin Deutschlands,<br />
fährt einen rigorosen Sparkurs<br />
und muss Dutzende Mitarbeiter kündigen.<br />
In Österreich will SPÖ-Medienminister<br />
Thomas Drozda die Presseförderung verdoppeln. Die millionenschwere<br />
Steuergeldspritze wird dringend benötigt, um die<br />
vielen maroden Zeitungen und Zeitschriften weiter künstlich<br />
am Leben zu erhalten. Keine Frage, die Printbranche steckt in<br />
einer tiefen Krise.<br />
Werner Reichel, Chefredakteur<br />
Warum startet man in einer solchen Situation ein neues Magazin?<br />
Die Antwort ist simpel. Die Krise ist zu einem großen<br />
Teil hausgemacht. Es sind weniger die bei den Journalisten<br />
so beliebten Sündenböcke wie Internet, Smartphones, Social<br />
Media und Politikverdrossenheit, die den alten Medien das<br />
Leben schwer machen, es sind die Herausgeber und Journalisten<br />
selbst. Seit vielen Jahren schreiben sie konsequent an den<br />
Einstellungen und der schlechten Stimmung der Bevölkerungsmehrheit<br />
vorbei. Der Großteil der schreibenden Zunft steht politisch<br />
links. Weit links. Das ist nicht die Unterstellung eines<br />
„Schlechtmenschen“, das belegen die mittlerweile zahlreich<br />
vorliegenden empirischen Daten. Herausgegriffen sei hier nur<br />
der „Der Journalisten-Report III“ von Kaltenbrunner, Karmasin<br />
und Kraus. Zudem kann man sich davon jeden Tag selbst überzeugen.<br />
Man muss nur die handelsüblichen Printtitel lesen.<br />
Das Journalistenmilieu ist kein Spiegel-, sondern ein linkes<br />
Zerrbild der rezenten Gesellschaft. Je erfolgreicher „rechtspopulistische“<br />
Parteien werden, desto verbissener unterstützen<br />
die großen Medien das wankende Establishment. Man orientiert<br />
sich nicht mehr am Leser, sondern an den politischen Vorgaben<br />
und Zielen der Machthaber. Besserung ist nicht in Sicht.<br />
Auch der journalistische Nachwuchs steht politisch weit links,<br />
wie ich aus meiner Zeit als Lektor an einer Journalismus-Fachhochschule<br />
nur allzu gut weiß. Der Gruppendruck der linken<br />
Weltverbesserer in den journalistischen Ausbildungsstätten ist<br />
enorm. Die politische Einstellung der Journalisten ist deshalb<br />
so fatal, weil sie sich nicht mehr als Berichterstatter, sondern<br />
als Volkspädagogen verstehen. Erziehung und ideologische<br />
Steuerung des Lesers stehen im Vordergrund. Wichtig ist nicht<br />
mehr eine möglichst objektive Berichterstattung, sondern welche<br />
politische Einstellung der Konsument zu haben hat. Halbwüchsige<br />
Journalisten frisch aus dem<br />
staatlichen Hochschulsystem belehren<br />
und maßregeln jene Bürger, die sich<br />
das – aus welchen Gründen auch immer<br />
– noch gefallen lassen. Zwischen Nachricht<br />
und Meinung gibt es keine Trennung<br />
mehr. Meldung, Bericht, Kommentar<br />
oder Glosse, in der journalistischen<br />
Praxis macht das längst keinen Unterschied<br />
mehr. Man orientiert sich nicht mehr am Leser, sondern<br />
an der Obrigkeit, weshalb die Regierung linientreue Printtitel<br />
mit Förderungen be- und entlohnt. Weil aber die Bürger nicht<br />
halb so dumm sind, wie viele Medienmacher glauben, haben<br />
sie diese Bevormundung, dieses Nudging schnell durchschaut<br />
und sich von den alten Medien ab- und den neuen Medien zugewandt.<br />
Diese Abwanderung hat im Herbst 2<strong>01</strong>5 ganz massiv<br />
eingesetzt, als Zeitungen und Magazine formatfüllende Bilder<br />
von zerlumpten Frauen und verängstigten Kindern mit großen<br />
Augen abdruckten. Doch die herzzerreißenden Bilder waren<br />
kein Abbild der Realität. Sie sollten nur für die richtige Welcome-Stimmung<br />
sorgen. Vielen Medienkonsumenten ist die von<br />
oben verordnete gute Laune aber schnell vergangen. Statt der<br />
gezeigten Frauen und Kinder strömten vor allem junge Männer<br />
ins Land. Der Begriff „Lügenpresse“ wurde populär. Immer<br />
mehr Menschen fühlten sich von den klassischen Medien nicht<br />
mehr richtig informiert, begannen ihnen zu misstrauen. Die<br />
alten Medien bekamen ein massives Image- und Glaubwürdigkeitsproblem.<br />
Sie schlitterten noch tiefer in die Krise.<br />
Zu dieser Zeit begann auch der rasante Aufstieg der alternativen<br />
Medien im Internet. Vor allem die mediale Berichterstattung –<br />
oder besser die Nichtberichterstattung – über die Ereignisse zu<br />
Silvester 2<strong>01</strong>5 gab ihnen enormen Auftrieb. Mehrere Hundert<br />
Frauen sind in dieser Nacht in Köln von vorwiegend nordafrikanischen<br />
Männern sexuell belästigt worden. Politik, Polizei und<br />
die großen Medien wollten die Vorfälle einfach ignorieren. Doch<br />
die Geschehnisse verbreiteten sich via Social Media vorbei an<br />
den traditionellen Massenkommunikationskanälen. Die alten<br />
Medien zogen nach mehrtägigem Schweigen widerwillig nach.<br />
Sie hatten keine andere Wahl. Es entstand eine neue Gegenöffentlichkeit,<br />
das Informationsmonopol der klassischen Medien<br />
war endgültig Geschichte. Blogs, Nachrichtenportale und Social-Media-Kanäle<br />
verbreiteten Informationen, die man von den<br />
großen Zeitungen und den Staatssendern nicht bekam. Als Gegenbegriff<br />
zur Lügenpresse ersann das in Bedrängnis geratene<br />
Establishment die „Fake-News“. Es war vor allem der Versuch,<br />
4 Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17
EDITORIAL<br />
von den eigenen Fehlern und der Inkompetenz abzulenken, eine<br />
Strategie, die nicht funktionierte. Es ist weniger das altmodische<br />
Papier, warum Zeitungen und Magazine immer mehr an Boden<br />
verlieren, es sind der Inhalt und die Ignoranz der Macher dieser<br />
Medien, die für diese Krise mitverantwortlich sind. Die Unzahl<br />
an bunten Covern und Titeln täuscht die in Sonntagsreden so<br />
gerne gepriesene Meinungsvielfalt nur vor, weil fast alle dieser<br />
Titel im selben politischen Biotop angesiedelt sind. Rechts der<br />
politischen Mitte beginnt die große Meinungswüste, mit einigen<br />
wenigen kleinen Oasen. Dazu gehören etwa die Schweizer<br />
Weltwoche, die Junge <strong>Frei</strong>heit und Tichys Einblick aus Deutschland.<br />
Wer in Österreich nach solchen Meinungsoasen sucht,<br />
verdurstet. Frank&<strong>Frei</strong> ist angetreten, diese Einöde etwas zu beleben,<br />
um die linkslastige Medienlandschaft mit konservativen,<br />
liberalen, libertären und rechten – ja, richtig gelesen – auch mit<br />
rechten Inhalten, Meinungen und Ansätzen anzureichern oder,<br />
wie es Linke wohl sehen, zu kontaminieren. Frank&<strong>Frei</strong> bietet<br />
Autoren, Journalisten, Querdenkern, Wissenschafter und Künstlern,<br />
die nicht im linken Meinungshauptstrom mitschwimmen,<br />
die sich geistig und weltanschaulich außerhalb des politisch<br />
korrekten Schrebergartens bewegen, eine attraktive Plattform.<br />
Neben den Schwerpunkten Politik und Wirtschaft spielt auch<br />
der Lebensstil in unserem Magazin eine wichtige Rolle. Liest<br />
man sich einschlägige Magazine durch, könnte man annehmen,<br />
die Linke habe ein Monopol auf Kunst, Literatur, Mode, Genuss,<br />
Lebensart etc.<br />
Dieses Bild könnte nicht falscher sein. Auch wenn von den<br />
Mainstreammedien ignoriert und marginalisiert, existiert abseits<br />
des linken Kulturbetriebes und des linken Lifestyles ein<br />
reges, spannendes und widerständiges Treiben. Man muss<br />
den Scheinwerfer nur anders ausrichten. Genau das macht<br />
Frank&<strong>Frei</strong>.<br />
Werner Reichel<br />
Chefredakteur<br />
Nur für mündige Bürger<br />
Täglich aktuelle und unabhängige Nachrichten<br />
aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.<br />
Von Lesern für Leser –<br />
recherchiert und kommentiert.
INHALT<br />
TITEL<br />
POLITIK<br />
MEDIEN<br />
14 CHRISTIAN GÜNTHER UND<br />
WERNER REICHEL<br />
Im Gespräch mit Dr. Daniele Ganser<br />
18<br />
CHRISTIAN GÜNTHER<br />
Ohne die Partei bin ich nichts!<br />
36<br />
EVA MARIA MICHELS<br />
„Es kann nicht sein, was nicht sein<br />
darf“ – Medienmacht in Frankreich<br />
RUBRIKEN<br />
22<br />
MARKUS M. GORITSCHNIG<br />
Rapide Bevölkerungsverwandlung<br />
unter der jüngeren Generation<br />
42<br />
WERNER REICHEL<br />
Im Gespräch mit André F. Lichtschlag<br />
3<br />
BRIEF DES HERAUSGEBERS<br />
Die Europäische Union ist tot,<br />
es lebe das neue Europa!<br />
25<br />
ANDREAS TÖGEL<br />
Willkommen in der Gesinnungsdiktatur!<br />
44<br />
GEORG ZAKRAJSEK<br />
Von den Medien, von der Wahrheit<br />
und von der Kultur<br />
4<br />
EDITORIAL<br />
Ein Magazin-Start in Zeiten von<br />
„Fake-News“ und „Lügenpresse“<br />
28<br />
KLAUS KELLE<br />
Wie der Staat linkspopulistische<br />
Netzwerke in Deutschland großzügig<br />
alimentiert<br />
92<br />
94<br />
AUTOREN<br />
BILDNACHWEIS,<br />
IMPRESSUM<br />
32<br />
34<br />
MARGIT EISEN<br />
Der Deep State und seine Feinde<br />
MARCUS FRANZ<br />
Die tödliche Umarmung –<br />
und wie man ihr entkommt<br />
6 Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17
INHALT<br />
WIRTSCHAFT<br />
GESELLSCHAFT<br />
LEBENSSTIL<br />
48 KARIN KNEISSL<br />
62<br />
Der Erdölmarkt zwischen Marktkräften<br />
und geopolitischen Konstanten<br />
ANDREAS ZEPPELZAUER<br />
Reportage: Brennpunkt Bahnhof<br />
72<br />
SONJA STILLER<br />
Wenn das Licht ausgeht …<br />
52<br />
MICHAEL HÖRL<br />
Stoppt den Armuts-Schwindel!<br />
70<br />
ANDREAS UNTERBERGER<br />
Die Leiden des Österreichers<br />
an Kita, Tschüs und Bullen<br />
77<br />
ULLA WEIGERSTORFER<br />
Natürliche Alternativen zu Chemiekeulen<br />
54<br />
56<br />
THOMAS BACHHEIMER<br />
Die wahren Gründe für das drohende<br />
Bargeldverbot<br />
AARON KOENIG<br />
Der Honigdachs des Geldes – über<br />
Bitcoin und andere digitale Währungen<br />
78<br />
80<br />
83<br />
WERNER REICHEL<br />
Leise Selbstzweifel<br />
MAGDALENA STROBL<br />
Große Oper im Kino! Einfach klassisch!<br />
WERNER REICHEL<br />
Die letzten Europäer<br />
60<br />
CHRISTIAN FREILINGER<br />
Digitalisierung und Arbeitsmarkt<br />
84<br />
HERIBERT NEUMANN<br />
9½ Jahre Jazz – tuesday microgrooves<br />
86<br />
FRANZ JOSEF TOPOREK<br />
Briefe aus Altösterreich<br />
Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17<br />
7
»Wir werden<br />
immer angelogen «<br />
Interview: Christian Günther und Werner Reichel<br />
Fotos: Andreas Zeppelzauer<br />
Interview mit dem Schweizer Historiker,<br />
Bestsellerautor und Youtube-Star<br />
Dr. Daniele Ganser<br />
8 Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17
Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17<br />
9
Daniele Ganser ist der Popstar<br />
unter den Historikern. Seine Vorträge<br />
sind ausverkauft, seine<br />
Youtube-Videos erreichen hunderttausende<br />
Menschen und sein<br />
aktuelles Buch „Illegale Kriege“<br />
ist ein Bestseller in der bereits<br />
5. Auflage. Gansers Themen: verdeckte<br />
Kriegsführung, Geheimarmeen,<br />
der Kampf um Ressourcen<br />
und der Krieg gegen den Terror.<br />
Vor allem seine Forschungsarbeit<br />
zu 9/11 hat ihm viele Bewunderer,<br />
aber auch viel Kritik eingebracht<br />
und unter anderem seine<br />
akademische Karriere an der ETH<br />
Zürich beendet. In die Verschwörungsecke<br />
lässt sich der Historiker<br />
aber nicht drängen. Er legt<br />
großen Wert darauf, stets wissenschaftlich<br />
und methodisch korrekt<br />
vorzugehen. Frank&<strong>Frei</strong> hat<br />
Daniele Ganser in Wien getroffen.<br />
Frank&<strong>Frei</strong>: Der Zugang zu Informationen<br />
ist für alle Historiker mehr oder<br />
weniger gleich. Trotzdem gibt es große Unterschiede,<br />
wie Wissenschaftler oder Journalisten<br />
mit diesen Informationsquellen<br />
umgehen. Warum kommen Sie oftmals zu<br />
ganz anderen Forschungsergebnissen als<br />
Ihre Kollegen?<br />
Daniele Ganser: Bei mir war's so, dass<br />
ich in der Schweiz meine Ausbildung zum<br />
Historiker gemacht habe. Wir haben natürlich<br />
das Dritte Reich gemacht, wir haben<br />
die Französische Revolution gemacht,<br />
die alten Römer vorwärts, rückwärts, das<br />
Mittelalter. Dann habe ich irgendwann gesagt:<br />
Aber in Chile wurde doch Salvador<br />
Allende gestürzt und das hat doch die<br />
CIA gemacht. Gibt’s da keine Vorlesung<br />
dazu? Die Antwort meiner Professoren<br />
war immer, die Quellenlage sei zu dürftig,<br />
da die verdeckte Kriegsführung von<br />
den Geheimdiensten gemacht wird, von<br />
Spezialeinheiten des Militärs, und da gibt<br />
es eben nur ganz wenige Quellen. Das bedeutet,<br />
es wurde zu diesem Thema überhaupt<br />
nichts angeboten. Null. Nicht ein<br />
Kurs, wo man gesagt hätte: Ja das gibt es,<br />
aber wir wissen nicht genau, ob wir das<br />
richtig beschreiben. Wir Studenten hatten<br />
das Gefühl, verdeckte Kriegsführung existiert<br />
gar nicht. Schon damals hätte ich es<br />
besser gefunden, wenn man die verdeckte<br />
Kriegsführung trotzdem wissenschaftlich<br />
ausleuchtet und bei der Quellenkritik<br />
eben sagt, wie weit man sicher ist und wo<br />
man nicht mehr sicher ist. Das muss man<br />
ganz spezifisch unterscheiden. Meine<br />
erste Arbeit war zur Rolle der UNO in der<br />
Kubakrise. Ich habe zuerst amerikanische<br />
Bücher gelesen, deren Inhalt war: Nikita<br />
Chruschtschow ist ein Verrückter aus dem<br />
Kreml, der tatsächlich Raketen nach Kuba<br />
gebracht und sie atomar bestückt hat. Da<br />
konnten wir Amerikaner gar nicht anders<br />
als eine Blockade zu machen, sonst wär's<br />
zum Dritten Weltkrieg gekommen. Ich<br />
kann mich noch gut erinnern, weil ich<br />
sicher fünf oder zehn solcher Bücher gelesen<br />
habe, immer alles mit Quellenkritik.<br />
Ich habe gemerkt,<br />
dass man sehr gerne ein<br />
Feindbild hat, weil das<br />
identitätsstiftend ist.<br />
Ich dachte mir damals, die Russen sind<br />
wirklich bescheuert und treiben die Welt<br />
an den Abgrund. Dann habe ich russische<br />
Bücher gelesen und auch Dissidentenbücher<br />
aus den USA, die gesagt haben, bevor<br />
Chruschtschow diese Raketen nach Kuba<br />
brachte, hat die CIA versucht, Fidel Castro<br />
zu stürzen, Stichwort Schweinebucht. Und<br />
das Ziel der Russen war eben, dass Castro<br />
nicht gestürzt wird. Im Übrigen haben<br />
die Amerikaner zuvor in der Türkei selbst<br />
Raketen an die russische Grenze gestellt.<br />
Da hat sich bei mir im Kopf das völlig gedreht<br />
und ich bin immer wieder hin- und<br />
heroszilliert. So eine typische Schweizer<br />
Position: Ich wusste nicht genau, ist jetzt<br />
Moskau böse oder Washington und ist<br />
überhaupt jemand böse. Ich habe nämlich<br />
gemerkt, dass man sehr gerne ein Feindbild<br />
hat, weil das identitätsstiftend ist. Da<br />
habe ich mir gesagt: Gut, ich schau mir<br />
die Protokolle des UNO-Sicherheitsrates<br />
an. Ich gehe bei meiner Arbeit zuerst in<br />
die gut dokumentierte Ebene. Im Sicherheitsrat<br />
und in der Generalversammlung<br />
sind die Wortprotokolle von amerikanischen,<br />
von russischen, von kubanischen<br />
Botschaftern, und die bin ich alle durchgegangen.<br />
Das ist eine Schatzgrube. Das<br />
liegt irgendwo und keinen interessiert's.<br />
10 Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17
Dr. phil. Daniele Ganser, geb. 1972<br />
in Lugano, ist Historiker. Er ist spezialisiert<br />
auf Zeitgeschichte seit<br />
1945 und Internationale Politik.<br />
Forschungsschwerpunkte: Friedensforschung,<br />
Geostrategie, verdeckte<br />
Kriegsführung, Ressourcenkämpfe<br />
und Wirtschaftspolitik.<br />
Er unterrichtet an der Universität<br />
St. Gallen (HSG) zur Geschichte und<br />
Zukunft von Energiesystemen. Ganser<br />
war Dozent für Zeitgeschichte an<br />
der Universität Basel, der Universität<br />
Zürich und der Universität Luzern, Senior<br />
Researcher beim Think Tank Avenir<br />
Suisse in Zürich, Senior Researcher<br />
am Center for Security Studies (CSS)<br />
der Eidgenössischen Technischen<br />
Hochschule (ETH) Zürich.<br />
Er ist Gründer und Leiter des Swiss Institute<br />
for Peace and Energy Research<br />
(SIPER) in Basel. Das SIPER untersucht,<br />
ob es möglich wäre, die Energieversorgung<br />
zu 100 % auf erneuerbare Energien<br />
umzustellen und Konflikte friedlich<br />
zu lösen.<br />
Daniele Ganser hat eine Tochter und einen<br />
Sohn und lebt mit seiner Familie in<br />
der Schweiz.<br />
Ich bin nach Genf, nach New York, früher<br />
war ja alles analog. Die eine Ebene der<br />
Analyse waren die Wortprotokolle der<br />
UNO, mit verschiedenen Nationen, die<br />
zum gleichen Thema sprechen. Die Kubaner<br />
haben gesagt, sie werden gerade bombardiert.<br />
Die Amerikaner sagten, damit<br />
haben sie nichts zu tun. Das sind Bomberpiloten<br />
von Fidel Castro. Die fliehen<br />
vor der kommunistischen Diktatur und<br />
decken das Land zuvor noch mit Bomben<br />
ein. Aber auch die Russen haben gesagt,<br />
sie schicken da keine Raketen hin. Aber<br />
ich wusste, sie schicken doch Raketen.<br />
Dann gleiche ich die UNO-Protokolle mit<br />
dem, was aus den Geheimdiensten und<br />
vom Militär vorliegt, ab. Und da muss ich<br />
meinen Professoren bezüglich der Quellenlage<br />
Recht geben, verdeckte Kriegsführung<br />
ist ein Stückwerk. Aber es gibt eine<br />
Annäherung an das Feld und ich stecke immer<br />
genau ab, was bewiesen ist und was<br />
nicht. Dass zum Beispiel die CIA versucht<br />
hat, Fidel Castro zu töten, wurde durch den<br />
amerikanischen Senat untersucht. Frank<br />
Church hat die Untersuchung gemacht. Da<br />
weiß ich, die Quelle ist sicher. Ich habe an<br />
Kuba geübt und danach ging's weiter mit<br />
NATO-Geheimarmeen, 9/11, dem Putsch<br />
in der Ukraine, dem Syrien- und dem Libyenkrieg.<br />
In jedem internationalen Konflikt<br />
gibt es heute diese Dimension der<br />
verdeckten Kriegsführung. Wenn man<br />
das ausblendet, hat man meiner Meinung<br />
nach keine realistische Einschätzung, was<br />
tatsächlich passiert. Ich versuche, meine<br />
Quellenarbeit so gut wie möglich zu<br />
machen. Natürlich hätte ich manchmal<br />
gerne bessere Quellen, aber es ist schon<br />
sehr viel da. Nach der Arbeit zur Kubakrise<br />
wollte ich das vertiefen, weiterarbeiten<br />
zur internationalen Politik, Zeitgeschichte,<br />
und habe dann ein Doktoratsstudium<br />
angefangen. Ich habe mich gefragt: Gibt<br />
es eigentlich etwas in Europa über verdeckte<br />
Kriegsführung. Da bin ich auf<br />
die Operation Gladio gestoßen. Das war<br />
eine Geheimarmee der NATO, die 1990 in<br />
Italien aufgedeckt worden ist. Das heißt,<br />
die Dokumente waren auf Italienisch. Ich<br />
bin in Lugano geboren, ich spreche italienisch<br />
deutsch, englisch und französisch.<br />
Das ist mein Vorteil. Es hatten schon<br />
verschiedene Forscher sich dem Thema<br />
angenähert und gesagt: Ja, es gibt einige<br />
Dokumente auf Italienisch, können wir<br />
aber nicht. Es gibt Dokumente auf Englisch,<br />
ginge noch. Auf Deutsch ist nicht<br />
viel da. Französisch wäre noch spannend.<br />
Die Sprachlage war mühsam. Und ich<br />
habe gesagt: Okay, das ist mein Ding. Ich<br />
habe mich vier Jahre reingehängt, habe<br />
die italienischen Berichte vom Senat gelesen,<br />
Biografien von Generälen, die in<br />
diesen Geheimarmeen gearbeitet haben,<br />
und dann habe ich damals als neues Instrument<br />
die digitale Recherche eingesetzt.<br />
20<strong>01</strong> habe ich meine Doktorarbeit an der<br />
Uni Basel abgeschlossen.<br />
Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17<br />
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F&F: Dann kam 9/11. Sie waren damals<br />
an der ETH Zürich. Die kritische Auseinandersetzung<br />
mit diesem Thema hat<br />
mehr oder weniger Ihre Karriere dort beendet.<br />
Wie ist es dazu gekommen?<br />
Ganser: Das lief so: Ich habe zu den<br />
NATO-Geheimarmeen gearbeitet. Ein<br />
Hauptresultat meiner Forschungsarbeit<br />
über verdeckte Kriegsführung war, dass<br />
die Geheimarmeen existiert haben, dass<br />
sie Waffenlager hatten und dass sie auf<br />
die sowjetische Invasion gewartet haben,<br />
die aber nicht kam. Da sie antikommunistisch<br />
ausgerichtet waren, hatten sie<br />
zum Beispiel in Deutschland ehemalige<br />
SS-Leute und Rechtsextreme in ihren<br />
Strukturen, auch in Italien gab es Kontakte<br />
zu rechtsextremen Gruppen. Man verübte<br />
Terroranschläge, um sie den Linken<br />
in die Schuhe zu schieben, um diese zu<br />
diskreditieren und das Volk im Sinne der<br />
Strategie der Spannung einzuschüchtern.<br />
Dann kommt der 11. September 20<strong>01</strong>.<br />
Und die Leute fragen mich immer wieder:<br />
CIA-Terrorismus, gibt es den? Was ist mit<br />
9/11? Und da habe ich gesagt: Weiß ich<br />
nicht, kann ich nicht sagen. Das ging eine<br />
Zeit lang so. Und dann kam 2004, der<br />
9/11-Commission-Report, da war ich noch<br />
an der Uni Zürich am historischen Seminar,<br />
und da mussten meine Studenten den<br />
lesen. 600 Seiten! In diesem Bericht kam<br />
das WTC7, das Gebäude Nr. 7 des World<br />
Trade Centers, aber nicht vor. Da war für<br />
mich klar, das geht nicht. Man kann nicht<br />
einen Terroranschlag nutzen für Kriege<br />
in Afghanistan, Irak, für Bürgerüberwachung,<br />
Militärausgaben und ein Gebäude<br />
einfach nicht erwähnen. Da war wirklich<br />
so eine Unredlichkeit für mich erreicht,<br />
wo ich sagte, jetzt melde ich mich zu<br />
Es wird nicht toleriert,<br />
dass ich als wirklich<br />
unabhängiger Schweizer<br />
Spezialist für verdeckte<br />
Kriegsführung, Terror,<br />
Geostrategie und Friedensforschung<br />
mich<br />
dieses Themas<br />
annehme.<br />
Wort. 2006 habe ich einen Artikel im Tagesanzeiger<br />
geschrieben. Dabei ist es um<br />
WTC7 gegangen. Ich habe zwei emeritierte<br />
Baustatiker, zwei führende Männer in<br />
der Schweiz, gefragt: Wie geht WTC7 so<br />
runter. Und die haben mir klar gesagt,<br />
mit größter Wahrscheinlichkeit wurde<br />
es gesprengt. Das stand in dem Artikel<br />
im Tagesanzeiger, und seither werde ich<br />
dafür kritisiert. Es hat zuerst der amerikanische<br />
Botschafter interveniert, und das<br />
hat nicht mehr aufgehört. Es wird nicht<br />
toleriert, dass ich als wirklich unabhängiger<br />
Schweizer Spezialist für verdeckte<br />
Kriegsführung, Terror, Geostrategie und<br />
Friedensforschung mich dieses Themas<br />
annehme.<br />
F&F: Was bedeutet das für Ihre Arbeit, wie<br />
wirkt sich das in der Praxis aus? Sie unterrichten<br />
ja in St. Gallen.<br />
Ganser: Ich unterrichte zusammen<br />
mit Professor Rolf Wüstenhagen an der<br />
Uni St. Gallen. Er ist ein Ökonom und<br />
er sagt: Hör zu, ich weiß nicht, was am<br />
11. September passiert ist. Solange du<br />
so arbeitest, wie du's eben tust, nämlich<br />
sachlich, immer mit Fakten, finde ich es<br />
super mit dir zu unterrichten, weil die<br />
Studenten das wissen wollen. Man muss<br />
12 Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17
Ich sage ja explizit, George<br />
W. Bush ist ein Kriegsverbrecher,<br />
ich sage, Tony<br />
Blair ist ein Kriegsverbrecher,<br />
weil sie gegen die<br />
UNO-Charta verstoßen<br />
haben.<br />
verstehen, die Studenten sind so 20 Jahre<br />
alt. Der Anschlag ist 16 Jahre her. Die<br />
haben also kein aktives Erinnern an den<br />
Anschlag. Aber sie wissen, dass sie im<br />
sogenannten Krieg gegen den Terror leben,<br />
und wollen verstehen, wie das angefangen<br />
hat. Das Hinterfragen dieses<br />
Krieges gegen den Terror, das werde ich<br />
machen, bis er aufhört. Und da er nicht<br />
aufhört, werde ich ihn vermutlich bis zu<br />
meiner Pension kritisieren. Wir werden<br />
immer angelogen, nochmal und nochmal<br />
angelogen. Es ist eine Vermischung von<br />
Lüge und Gewalt. Der Intellektuelle muss<br />
seine Kritik daran einfach anbringen. Es<br />
ist nicht die Aufgabe des Historikers, das<br />
fünfte Buch über Burgen im Schweizer<br />
Jura herauszugeben. Es interessiert niemanden,<br />
es ist dokumentiert, untersucht.<br />
Natürlich, man kann eine ruhige Professur<br />
haben, niemand liest die Bücher, die<br />
man schreibt, aber man wird auch nicht<br />
kritisiert, weil's niemand zur Kenntnis<br />
nimmt. Wenn man als Historiker den<br />
schwierigeren Weg geht, sich mit internationaler<br />
Zeitgeschichte seit 1945, also der<br />
letzten 70 Jahre, beschäftigt, dann ist es<br />
insofern schwieriger, weil die Menschen,<br />
die man kritisiert, noch am Leben sind.<br />
Ich sage ja explizit, George W. Bush ist ein<br />
Kriegsverbrecher, ich sage, Tony Blair ist<br />
ein Kriegsverbrecher, weil sie gegen die<br />
UNO-Charta verstoßen haben. Das wissen<br />
zwar alle, aber ich spreche das aus. Und<br />
deshalb werde ich angegriffen.<br />
Diese Differenz zwischen<br />
Demokraten und Republikanern,<br />
die oft, ich sag<br />
mal in linksliberalen Kreisen,<br />
so betont wird, das<br />
heißt im Sinn von ‚Demokraten<br />
sind friedliebend<br />
und Republikaner sind<br />
böse‘, die seh' ich einfach<br />
in den Fakten nicht.<br />
F&F: Jetzt gibt es mit Donald Trump einen<br />
neuen und höchst umstrittenen US-Präsidenten.<br />
Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für<br />
die Zukunft der USA, Europas und der Welt?<br />
Ganser: Ich sehe Amerika als Imperium.<br />
Es hat immer in der Menschheitsgeschichte<br />
einen Staat gegeben, der stärker<br />
als die anderen ist, immer. Römisches<br />
Imperium, aber auch das Britische Imperium,<br />
und seit 1945 sind die USA das<br />
Imperium. Meiner Meinung nach hat ein<br />
Imperium eine Natur, so wie der Löwe<br />
eine Natur hat. Der Löwe wird nie zum<br />
Vegetarier. Und ein Imperium hat immer<br />
das Ziel, sich entweder auszudehnen oder<br />
zumindest die Position zu halten, die es<br />
hat. Und es löst sich nie durch Einsicht<br />
auf, sondern es zerbricht an Dekadenz<br />
oder finanziellem Chaos. Und für mich<br />
ist es so, und zwar wieder im Gegensatz<br />
zu vielen anderen Historikern, dass auch<br />
Obama ein Kriegsverbrecher ist. In der<br />
heutigen Diskussion ist es so, dass man<br />
sagt: Obama war gut, Trump ist schlecht.<br />
Und ich sage: Ja Moment, Obama hat Libyen<br />
bombardiert, Obama hat Syrien bombardiert<br />
– beide Male illegal, weil ohne<br />
UNO-Mandat. Zudem haben die USA eine<br />
Rolle gespielt beim Putsch in der Ukraine<br />
2<strong>01</strong>4. Das sind schon drei Länder. Parallel<br />
dazu hat er in Afghanistan und im Irak<br />
weiterbombardiert, das hat er von seinem<br />
Vorgänger Bush übernommen. Er war<br />
acht Jahre im Amt, und in diesen acht Jahren<br />
war ununterbrochen Kriegszustand.<br />
Das heißt, diese Differenz zwischen Demokraten<br />
und Republikanern, die oft,<br />
ich sag mal in linksliberalen Kreisen, so<br />
betont wird, das heißt im Sinn von ‚Demokraten<br />
sind friedliebend und Republikaner<br />
sind böse‘, die seh' ich einfach in<br />
den Fakten nicht. Also ich sehe eigentlich<br />
Obama als einen Diener des Imperiums.<br />
Ich sehe Bush jun. als Diener des Imperiums.<br />
Ich sehe aber auch Bill Clinton<br />
als Diener des Imperiums, er hat Serbien<br />
bombardiert – Serbien de facto ein Reststaat<br />
des jugoslawischen Reiches. Das ist<br />
imperial, zerschlage ein Land und mache<br />
eine Militär-Basis drauf. Mit Menschenrechten<br />
und Demokratie hat das nichts<br />
zu tun. Und natürlich Bush sen. mit der<br />
Panama-Invasion. Zuvor Ronald Reagan<br />
mit seinem illegalen Überfall auf Grenada<br />
und der Bombardierung von Libyen. Vor<br />
Reagan dann vor allem Jimmy Carter, der<br />
die Mudschahedin in Afghanistan unterstützt<br />
hat. Das heißt, ich sehe eigentlich<br />
immer eine systematische Bestrebung,<br />
das amerikanische Imperium auszudehnen,<br />
und für mich wird Trump das auch<br />
tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er<br />
sagt: Ich werde das Pentagon-Budget halbieren<br />
und ich werde unsere Militärstützpunkte<br />
wie Ramstein oder Guantanamo<br />
schließen. Ich beobachte natürlich<br />
Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17<br />
13
POLITIK<br />
Das Hinterfragen dieses<br />
Krieges gegen den Terror,<br />
das werde ich machen,<br />
bis er aufhört.<br />
Militärstützpunkte, Rüstungsausgaben,<br />
das sind zwei Hauptpunkte beim<br />
Imperium. Wenn Trump in den ersten vier<br />
Jahren seiner Amtszeit kein anderes Land<br />
bombardiert, würde mich das sehr freuen.<br />
Und da gebe ich ihm wirklich sozusagen<br />
den Kredit, den jeder verdient hat. Solange<br />
er kein Land bombardiert, werde ich<br />
ihn nicht kritisieren. Ich halte ihn aber für<br />
unberechenbar. Mal sagt er dies, mal sagt<br />
er das. Kann ich nicht abschätzen. Ich<br />
glaube, er wird weiterhin imperiale Interessen<br />
vertreten. Wie der Löwe weiterhin<br />
Gazellen jagen wird, werden die USA ein<br />
Imperium bleiben. Sie werden die Leute<br />
überwachen, Angela Merkels Handy abhören<br />
und auch unsere. Sie werden Drohnen<br />
über Afghanistan kreisen lassen, Leute in<br />
Guantanamo festhalten und ohne Prozess<br />
foltern. Dies ist ein Unrechtsimperium. Es<br />
hat keine moralische Autorität. Aber es<br />
hat eine wirtschaftliche und militärische<br />
Autorität. Sie haben zehn Flugzeugträger,<br />
die Russen haben einen.<br />
Obwohl ich kein<br />
Österreicher bin, bin<br />
ich überzeugt, dass<br />
der größte Schutz für<br />
die Schweiz und für<br />
Österreich das Völkerrecht<br />
ist.<br />
F&F: Was ist der Gegenentwurf bzw. der<br />
Wunsch eines Friedensforschers?<br />
Ganser: Das Völkerrecht. Also die<br />
UNO-Charta wurde ja 1945 unterschrieben,<br />
und das war ja nicht irgendwann,<br />
sondern auf den Ruinen des Zweiten<br />
Weltkriegs. Damals hat man meiner<br />
Meinung nach diese tiefe Einsicht gehabt,<br />
dass man gesagt hat: Wir legen als<br />
Gesetz fest, ein Land A darf ein Land B<br />
nicht bombardieren. Und das ist natürlich<br />
auch für kleine Länder wie die Schweiz<br />
entscheidend. Also für uns sind in erster<br />
Linie nicht unsere Armee, unser Geheimdienst<br />
oder unsere Polizei entscheidend,<br />
de facto ist das nicht der größte Schutz für<br />
die Schweiz und auch nicht für Österreich.<br />
Obwohl ich kein Österreicher bin, bin ich<br />
überzeugt, dass der größte Schutz für die<br />
Schweiz und für Österreich das Völkerrecht<br />
ist. Und das Völkerrecht heißt, uns<br />
darf niemand bombardieren. Wenn man<br />
es trotzdem tut, dann ist das richtig böse<br />
und illegal. Jetzt ist aber Folgendes passiert:<br />
In den letzten Jahren wurden viele<br />
Länder bombardiert, und die Europäer<br />
haben gedacht, es sind ohnehin nur sozusagen<br />
die Barbaren aus dem äußeren<br />
Gürtel betroffen. Aber da sage ich: Passt<br />
auf Leute, ihr müsst das Völkerrecht viel<br />
ernster nehmen, und wenn es verletzt<br />
wird, dann müsst ihr darauf hinweisen.<br />
Aber als Obama 2<strong>01</strong>4 Syrien bombardiert<br />
hat, haben viele Schweizer Medien<br />
gejubelt. Ja, das Völkerrecht ist eigentlich<br />
der Gegenentwurf der Friedensbewegung.<br />
Es ist erstens die Achtung vor<br />
dem Völkerrecht, das heißt jeder Nationalstaat<br />
soll souverän sein. Die Grenzen<br />
und die Hoheitsgebiete sind wichtig, es<br />
ist kein Detail, ob amerikanische Jets auf<br />
ihrem Weg, irgendein Land zu bombardieren,<br />
durch den Schweizer Luftraum<br />
fliegen. Das dürfen sie meiner Meinung<br />
nach nicht. Das heißt für mich, das sind<br />
die traditionellen Schweizer Werte, Völkerrecht<br />
und Neutralität. Neutralität ist<br />
jetzt weltweit nicht mehrheitsfähig, aber<br />
in der Schweiz und in Österreich schon.<br />
Neutralität bedeutet für mich ganz klar:<br />
Erstens wir bombardieren kein anderes<br />
Land. Zweitens, wir haben keine<br />
Truppen im Ausland. Jetzt ist aber das<br />
Problem, die Schweizer haben Soldaten<br />
im Kosovo. Das halte ich für falsch. Wir<br />
sollten sie abziehen. Wir sollten sie nach<br />
Hause holen. Es bringt überhaupt nichts,<br />
dass wir Soldaten im Ausland haben. Das<br />
ist kein Beitrag für den Frieden. Zudem<br />
ist die Schweiz, so wie auch Österreich,<br />
Mitglied im „Partnership for Peace“.<br />
Das halte ich für falsch. Das ist ein Partnership<br />
for War, das ist die NATO-Trainingseinheit.<br />
Und da sage ich, da müssen<br />
wir zurück zur Neutralität. Wenn<br />
auch die Deutschen neutral wären, das<br />
würde ich mir wünschen. Deutschland<br />
hat 50 Jahre lang, von 1945 bis 1995,<br />
kein anderes Land bombardiert. Das fand<br />
ich super, Glückwunsch an Deutschland.<br />
Und dann fangen die unter Rot-Grün an,<br />
Serbien zu bombardieren.<br />
Und der nächste wichtige Punkt: ein<br />
Ende der Kriegspropaganda. Ich habe<br />
diese ganze Kriegspropaganda echt satt.<br />
Die Deutschen hatten eine starke Friedensbewegung.<br />
Dann war die Frage: Wie<br />
14 Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17
POLITIK<br />
Mit der Gründung der UNO gilt bis auf zwei Ausnahmen<br />
ein weltweites Kriegsverbot. Ganser zeigt anhand vieler<br />
Beispiel auf, wie die Regeln der UNO und das Kriegsverbot<br />
gezielt sabotiert wurden und welche Rolle hierbei die<br />
Länder der NATO spielen.<br />
Illegale Kriege: Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren.<br />
Eine Chronik von Kuba bis Syrien<br />
Orell Füssli, 2<strong>01</strong>6<br />
24,95 €, 374 Seiten<br />
ISBN: 978-3280056318<br />
Die erste Gesamtdarstellung zu Europas Erdöl-Abhängigkeit,<br />
von den Anfängen der Erdölindustrie bis zu den jüngsten<br />
Konflikten im Irak und in Libyen. Spitzt sich der globale<br />
Kampf ums Erdöl zu oder gelingt den Europäern die Wende<br />
hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien?<br />
Europa im Erdölrausch: Die Folgen einer gefährlichen<br />
Abhängigkeit<br />
Orell Füssli, 2<strong>01</strong>4<br />
24,95 €, 416 Seiten<br />
ISBN: 978-3280054741<br />
Ein durch die NATO und Geheimdienste koordiniertes Netzwerk<br />
von Geheimarmeen war bis zum Ende der UdSSR in<br />
Westeuropa in schwere Verbrechen verwickelt, darunter<br />
Mord und Terror. Daniele Ganser ist bei seiner jahrelangen<br />
Forschungsarbeit auf brisante Dokumente gestoßen.<br />
NATO-Geheimarmeen in Europa: Inszenierter Terror und<br />
verdeckte Kriegsführung<br />
Orell Füssli, 2009<br />
24,95 €, 446 Seiten<br />
ISBN: 978-3280061060<br />
hat man sie dazu gebracht, dass man<br />
Serbien bombardiert. Und das hat man<br />
mit einem Drama gemacht. Die Bild-Zeitung<br />
und viele andere Medien und Rudolf<br />
Scharping, der Verteidigungsminister<br />
(SPD) haben gesagt, dort gibt es<br />
Konzentrationslager. Die Leute haben's<br />
geglaubt. Und der Durchschnittsbürger<br />
hat gesagt: Das können wir ja nicht zulassen,<br />
wir brauchen einen humanitären<br />
Krieg. Das ist so bescheuert: Humanitäre<br />
Kriege gibt es nicht. Es gibt auch keine<br />
liebevolle Vergewaltigung. Es ist ein<br />
Krieg, ein PR-Krieg, es gab auch keine<br />
KZs. Und dann nach 1999 der erste Sündenfall<br />
für Deutschland: 20<strong>01</strong> Afghanistan-Einsatz.<br />
Ich frage, ja warum seid ihr<br />
in Afghanistan? Antwort: Wegen 9/11.<br />
Das sage ich, ja habt ihr 9/11 untersucht?<br />
Nein, Bush hat's untersucht. Wo sind die<br />
Fakten? Hat das FBI Osama Bin Laden<br />
angeklagt? Nichts, es gibt keine Fakten.<br />
Das Wichtigste ist der<br />
Mut. Wenn man mutig<br />
ist, kann man auch eine<br />
Minderheitsposition<br />
vertreten, sonst schmiegt<br />
man sich immer nur der<br />
Mehrheit an.<br />
Drittens ist da die Bombardierung von<br />
Syrien. Jetzt sagen die Deutschen: Wir<br />
bombardieren gar nicht, wir machen nur<br />
Luftaufklärung und geben die Daten denen,<br />
die bombardieren. Das ist einfach<br />
nur heuchlerisch. Wenn ich Vorträge in<br />
Deutschland halte, und ich halte viele<br />
Vorträge in Deutschland, die Bevölkerung<br />
wäre für die Neutralität. Die sind<br />
durchaus der Meinung, sie wollen diese<br />
Kriege nicht und sie wollen aus der<br />
NATO austreten, sie wollen neutral sein.<br />
Aber die politische Elite will in der NATO<br />
sein und sie wartet auf den nächsten Anruf<br />
aus Washington, welches Land sie<br />
jetzt mitbombardieren soll. Also es wird<br />
nicht aufhören.<br />
F&F: Zum Abschluss eine persönliche Frage<br />
an Sie als Familienvater. Welchen Rat<br />
geben Sie Ihren Kindern für ein selbstbestimmtes<br />
Leben mit auf den Weg?<br />
Ganser: Das Wichtigste ist der Mut.<br />
Wenn man mutig ist, kann man auch<br />
eine Minderheitsposition vertreten,<br />
sonst schmiegt man sich immer nur<br />
der Mehrheit an. Wenn man tatsächlich<br />
dieser Meinung ist, ist das auch richtig.<br />
Aber wenn man sich der Mehrheit anpasst,<br />
obwohl man anderer Meinung ist,<br />
und man hat nichts selbst recherchiert,<br />
dann verdreht man sich. Und mein Rat<br />
ist, man soll sich nicht verdrehen. Ich sag<br />
meinen Kindern ganz explizit: Schaut<br />
her, das Wichtigste ist die Wahrheit und<br />
die Liebe. Denn ich frage mich auch: Welche<br />
Ideologie kann ich überhaupt noch<br />
weitergeben, nachdem ich gesehen habe,<br />
dass jede Ideologie eigentlich dazu führt,<br />
dass die Gruppe, die sich um die Ideologie<br />
schart, dann die anderen auslöschen<br />
möchte. Ich habe das vorwärts und rückwärts<br />
dekliniert.<br />
Ideologie darf nicht dogmatisch, sie<br />
muss meiner Meinung nach offen sein,<br />
dass man sagt: Okay, du hast ein anderes<br />
Weltbild. Es gibt überhaupt keine Möglichkeit,<br />
dass alle Menschen das gleiche<br />
Weltbild haben. Aber ich finde, wenn<br />
Ideologien transparent gemacht werden,<br />
wenn jemand sagt: „Das ist meine<br />
Überzeugung, zu dem stehe ich und wir<br />
können darüber in Respekt sprechen”,<br />
dann finde ich das in Ordnung. Und das<br />
glaube ich, das kann ich in den Kindern<br />
sozusagen anlegen und auch verstärken,<br />
wenn ich sage: Bleib bei der Liebe, bleib<br />
bei der Wahrheit.<br />
Frank & <strong>Frei</strong> <strong>01</strong> / 17<br />
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