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Lesen - Golf Dornseif

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Deutschlands Fehlgriff nach den Salomonen<br />

von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />

In der deutschen Südsee-Kolonialhistorie nehmen die Salomonen (Solomo Islands) bzw. Teile dieser<br />

vornehmlich britischen Inselgruppe oft eine seltsame "Zwitterrolle" ein mit Verlegenheitslösungen<br />

unterschiedlicher Natur in einem weit gespannten Bogen bis nach Samoa (quasi als "Gegenpol"). Alle<br />

begehrenswerten pazifischen Besitzungen waren seinerzeit längst in den festen Händen der<br />

Grossmächte, während das Deutsche Kaiserreich mit reichlicher Verspätung ein paar "Leckerbissen"<br />

abhaben wollte und jetzt nur noch Brosamen vom Tisch der Konkurrenz vorfand.<br />

Um 1884 liess die in Berlin gegründete Neuguinea Compagnie durch Dr. Otto Finsch auf der SAMOA mit<br />

Kapitän Dallmann zunächst das westliche Melanesien erkunden, eskortiert von den Kriegsschiffen<br />

("Dampf-Seglern") ELISABETH sowie HYÄNE. Die in der Südsee tätigen deutschen Plantagen-<br />

Gesellschaften beharrten in der Reichshauptstadt auf eine Ausdehnung des deutschen Einflusses in<br />

Richtung Nördliche Salomonen. Vor allem vom nahe gelegenen Eiland Buka stammten zahlreiche<br />

Pflanzungsarbeiter, die man im nordöstlichen Deutsch-Neuguinea und im Bismarck Archipel dringend<br />

benötigte. Seit dem 17. Mai 1885 stand diese Region unter deutschem Schutz und beschäftigte da die


ersten 200 Melanesier von den Salomonen. Auch die deutschen Pflanzer auf Samoa holten in dieser Zeit<br />

ihre Erntehelfer aus der gleichen Volksgruppe. Die Abgrenzung der Einfluss-Sphären zwischen dem<br />

Kaiserreich und Grossbritannien innerhalb der Salomo Islands regelte ein am 6. April 1886<br />

unterzeichneter Vertrag, der die Grenze zwischen Bougainville und den Treasury Islands in südöstlicher<br />

Richtung zwischen dieser Inselkette festlegte und die Inseln Choiseul und Ysabel dem deutschen<br />

Hoheitsgebiet einverleibte. Die Trennungslinie verlief südlich von Ysabel in nordöstlicher Richtung<br />

zwischen den Anuda Islands (britisch), Malaita (britisch) sowie Gower Island (deutsch).<br />

Am 30. Juni 1886 erhielt der Kaiserliche Korvetten-Kapitän und Kommandant des Kreuzers ADLER vom<br />

Chef der Admiralität, Vize-Admiral von Caprivi, den Auftrag die Salomonen anzusteuern und dort auf den<br />

Inseln Bougainville, Choiseul und Ysabel die deutsche Schutzherrschaft mit Flaggen-Hissung zu<br />

proklamieren. Kommandant von Wietersheim verlas ein Dokument (ohne Publikumsinteresse vor Ort),<br />

demzufolge neue Landerwerbungen der Eingeborenen verboten wurden. Waffen, Munition und<br />

Spirituosen sollten nicht in die Hände der Bevölkerung geraten.<br />

Tatsächlich erledigte Korvetten-Kapitän von Wietersheim seine reichlich absurde Aufgabe mit Bravour,<br />

ohne viel darüber nachzudenken am 28. sowie 29. und 30. Oktober 1886 auf Choiseul, den Shortland<br />

Islands und Bougainville. Das Dokument drückte man "König Gorei" zwischen die Finger, dem<br />

ranghöchsten und mächtigsten Häuptling, der sich geehrt fühlte, ohne dem Inhalt weitere Beachtung zu<br />

schenken.<br />

Nach der Flaggen-Hissung holten die Matrosen die Reichs-Insignien wieder ein und ersetzten sie durch<br />

Pfähle im Boden, lackiert mit den deutschen Farben schwarz-weiss-rot. Eine Schrift-Tafel, die niemand<br />

lesen konnte, gehörte dazu. Dann lichteten die Deutschen wieder ihre Anker. Aus Mangel an<br />

Bunkerkohle konnte die ADLER allerdings Ysabel nicht anlaufen und musste "symbolisch annektieren".<br />

Erst drei Jahre später im Oktober 1889 liess sich die Zeremonie nachholen durch die Kreuzer-Korvette<br />

ALEXANDRINE unter dem Kommando des Korvetten-Kapitäns von Prittwitz und Gaffron. Einige lokale<br />

Häuptlinge bekamen Kopien (in deutscher Sprache) des ursprünglichen Dokuments und wussten nichts<br />

damit anzufangen. Als Präsente empfingen die Chiefs Tabak, Pfeifen, Schiffszwieback und Pökelfleisch<br />

vom Kreuzer-Proviant.<br />

Am 22. Oktober 1889 notierte der Kommandant im Logbuch unter anderem: "Die Eingeborenen wirkten<br />

wieder sichtlich erleichtert, als wir wegfuhren. Beim Präsentieren der Gewehre bekamen sie es mit der<br />

Angst zu tun und liefen davon, doch wir konnten sie von unserer Friedfertigkeit überzeugen ..."<br />

An eine Befriedung oder gar Erschliessung des neu gewonnenen Schutzgebiets war in absehbarer Zeit<br />

nicht zu denken, weil nur wenige Schiffe zur Verfügung standen und eingeborene Polizisten fehlten<br />

neben qualifiziertem Verwaltungspersonal.


Das Bindeglied Samoa 1899<br />

Auf Grund der Samoa-Verhandlungen zwischen Deutschland, Grossbritannien und den USA, die mit<br />

einem Vertrag vom 14. November 1899 abgeschlossen wurden, mussten ab März 1900 die Inseln<br />

Ysabel, Choiseul, Ongtong Java sowie die Shortlands an Grossbritannien abgetreten werden. Die<br />

Tasman Gruppe (Nukumanu) erhielt Deutschland 1902 nach einem Protest von den Engländern zurück.<br />

Am 20. September 1905 entstand in Kieta an der Ostküste Bougainvilles die erste deutsche<br />

Regierungsstation, geleitet vom ehemaligen Kapitän August Doellinger, der mit einer Samoanerin<br />

verheiratet war.<br />

Doellinger nutzte Weihnachten 1907, um während eines Festes mit 1500 Einheimischen auf deren<br />

Rechte und Pflichten hinzuweisen. Sie nahmen die Befriedung der Region dankbar auf. Eine 70<br />

Kilometer lange Strasse kam zustande, verbunden mit einer Kautschuk-Plantage. Als erste deutsche<br />

Firma pachtete Hernsheim & Co vom Fiskus Land und gründete eine Handelsniederlassung.<br />

Im Februar 1908 liess sich der erste sozial-wissenschaftlich ausgebildete Völkerkundler auf Bougainville<br />

nieder, ausgesandt vom Berliner Museum für Völkerkunde. Richard Thurnwald (1869 - 1954) blieb acht<br />

Monate, obwohl er nur vier Wochen im Sinn hatte, überwältigt von zahllosen Eindrücken. Spätere<br />

Aufenthalte folgten, zuletzt 1932. Im Januar 1914 lebten im Kieta-Bezirk 74 Europäer, darunter ein Drittel<br />

König Gorei zählte zu den<br />

wichtigsten Herrschern im Gebiet<br />

der Salomonen:<br />

er war deutsch-freundlich,<br />

zivilisiert und verabscheute stets<br />

den Kannibalismus seiner<br />

Untertanen, ohne etwas daran<br />

ändern zu können ...<br />

Als Exporteur zahlreicher<br />

Produkte des Landes machte er<br />

sich einen Namen und kam zu<br />

Wohlstand.


katholische Missionare. 40 Deutsche, 17 Briten und Australier gingen ihrer Arbeit nach. Etwa 1000<br />

Eingeborene waren in den Plantagen tätig. Stammesfehden, Blutrache und Kannibalismus konnten kaum<br />

unterdrückt werden.<br />

Im Mai 1912 berichtete die Kaiserliche Station Kieta im "Nichtamtlichen Teil" des Amtsblattes für<br />

Deutsch-Neuguinea unter anderem: " Ende März haben die Eingeborenen von Kobakoko an der Ostküste<br />

von Bougainville das Dorf Onowe zweimal überfallen und dabei zwei Frauen sowie drei Männer<br />

erschlagen. Zur Ergreifung der Mörder wurde Polizeimeister Fritsch mit 20 Soldaten nach Kohakoko am<br />

10. April abgesandt. Er wurde bereits vor dem Dorf mit Pfeilschüssen überschüttet, sodass die Truppe<br />

schiessen musste. Der Häuptling hieb einem Soldaten mit einem grossen Messer über den Kopf, doch<br />

wurde der Schlag durch den Mützenschirm abgeschwächt und es entstand nur eine kleine Schnittwunde<br />

am Kopf. Das Dorf wurde zur Strafe in Asche gelegt, und auf dem Rückweg folgte erneut ein Pfeilregen<br />

aus einem Hinterhalt ..."<br />

Eine Volkszählung an der Ostküste Bukas registrierte 2007 Seelen, darunter 769 Männer und 648 Frauen<br />

sowie 630 Kinder unter 12 Jahren. 31 Männer hatten mehr als eine Ehefrau, manche Männer besassen<br />

bis zu fünf Frauen. Nur in wenigen Fällen kamen mehr als zwei Kinder auf eine Ehegemeinschaft,<br />

maximal vier Jungen und Mädchen. Die Eingeborenen empfanden diese Volkszählung als "fröhliche<br />

Abwechslung" und machten begeistert mit. Einige Männer, die während der Zählung vergessen worden<br />

waren, liefen hinter den deutschen Zählern her und legten grossen Wert darauf unbedingt registriert zu<br />

werden ...<br />

Wie überall auf den Salomonen ist die Häuptlingswürde erblich, aber nicht immer wird der älteste Sohn<br />

des Herrschers zum Nachfolger bestellt. Häuptling Gorai auf der Shortland Insel schuf ein ausgedehntes<br />

Vasallenreich, ein Netzwerk schwächerer Chiefs im Verbund, das sich über die Südhälfte von<br />

Bougainville und den Norden von Choiseul weit ausdehnte und ausgezeichnet funktionierte.<br />

Buka Passage verbindet und trennt zugleich die bedeutenden Inseln Buka und Bougainville.<br />

Eine schnelle und tiefe Strömung hat ihre Tücken für ahnungslose Schiffsführer in dieser<br />

tropischen Idylle. Gezeiten-Einflüsse erfordern geschicktes Navigieren.


Um den Frieden zwischen den Grossmächten war es 1889 im Pazifik nicht so gut bestellt, denn<br />

Deutsche, Briten und Nordamerikaner zankten sich endlos um die Aufteilung der samoanischen<br />

Inselgruppen. Naturgewalt brachte sie plötzlich zur Vernunft: Im März 1889 ankerten im Hafen zu Apia<br />

(später Deutsch-Samoa) sieben Kriegsschiffe dieser Grossmächte, von denen sechs einem Hurricane<br />

zum Opfer fielen und rettungslos versanken. Sie hatten eine zeitige Sturmwarnung starrsinnig missachtet<br />

und wollten aus Prestige-Gründen nicht vorher zur eigenen Sicherheit auslaufen. Vier dieser Schiffe<br />

liegen noch heute auf dem Meeresgrund. 92 Deutsche und 63 Amerikaner ertranken.<br />

Die Katastrophe trieb die betroffenen Mächte endlich wieder an den Konferenztisch, schmerzhaft<br />

ernüchtert. Die Samoa-Frage sollte nun in Berlin beantwortet werden: mit der Samoa-Akte vom 14. Juni<br />

besiegelt. Trotzdem brachen nochmals Streitigkeiten aus, auch mit den Chiefs und unterschiedlichen<br />

Bevölkerungsgruppen samt ihrer Anführer. Erneut geriet "höhere Gewalt" ins Spiel: Grossbritannien<br />

erwartete in Südafrika den Ausbruch des Burenkriegs und hatte über Nacht andere Sorgen. Zermürbt<br />

stoppten die Engländer 1899 im Dezember ihre Ansprüche auf Upolu, Sawaii, Manono und Apolima<br />

zugunsten des Kaiserreichs und überliessen Tutuila (Amerikanisch-Samoa) den USA als<br />

Flottenstützpunkt. Deutschland wiederum übergab Grossbritannien zum Ausgleich die Salomon Islands<br />

Choiseul und Ysabel und bot als "Zugabe" den Rückzug von den Tonga Inseln an sowie<br />

Grenzkorrekturen in Deutsch-Togoland. Am 2. Dezember 1899 gaben die Amerikaner zu allem ihren<br />

Segen im Samoa-Vertrag.<br />

Eine abenteuerliche Vorgeschichte<br />

Im Jahr 1813 liess sich ein deutscher "Aussteiger", der Mediziner Doktor Burckhardt, begleitet von der<br />

Fidji-Ehefrau und. einem eingeborenen Diener, mit dem Segelschiff HUNTER zu den Salomonen<br />

befördern und dort aussetzen, genauer gesagt auf dem Eiland Tikopia. Sie erreichten ihr Ziel an Bord des<br />

Sandelholz-Transporters unter Kapitän Peter Dillon, der 13 Jahre später zu Besuch kam, um nach dem<br />

Verbleib seiner ehemaligen Passagiere zu forschen. Er traf sie bei bester Gesundheit an, rundum<br />

glücklich. Uber ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt geworden.<br />

Diese eigenartigen "Ballon-Mützen"<br />

junger Männer werden auf den<br />

Salomonen seit Jahrhunderten<br />

getragen und dürfen erst<br />

abgenommen werden, nachdem<br />

der Haarwuchs den Kopfputz völlig<br />

ausgefüllt hat zum festlichen<br />

Termin der Mannesreife mit<br />

Schädelrasur.


Um 1830 jagten Walfänger aus den USA, aus Europa und Australien in den Gewässern der Solomon<br />

Islands und gingen häufig an Land, um Trinkwasser und Lebensmittel bei den Ureinwohnern zu tauschen<br />

gegen Werkzeuge. Reparaturen mussten ebenfalls in sicheren Buchten erledigt werden, denn die<br />

Korallenriffe hatten ihre Tücken. Das ging meistens gut, aber Schiffbrüchige konnten damit rechnen, von<br />

Kannibalen abgeschlachtet zu werden. 1829 verschwanden auf solche Weise 20 Seeleute spurlos. Es<br />

kam aber auch vor, dass weisse Landgänger freundlich aufgenommen wurden und sich niederlassen<br />

durften: als Geschenk gab man ihnen Land zum Bewirtschaften und ... eine Frau!<br />

Ab 1840 fanden sich Insulaner immer häufiger bereit, auf den europäischen Schiffen anzuheuern oder<br />

sogar als Plantagenarbeiter Australien kennen zu lernen. Es hob ihr Ansehen im Stamm nach Ablauf der<br />

Verträge über drei Jahre mit gutem Lohn in New South Wales und Sydney. Während die Walfänger mit<br />

den Eingeborenen im allgemeinen friedliche Beziehungen pflegten, waren die Sandelholz-Schoner bald<br />

verrufen als Killer-Kommandos und Edelholzräuber im chinesischen Auftrag.<br />

Es blieb nicht aus, dass Missionare und Händler immer wieder ermordet wurden, weil sie sich<br />

ungeschickt verhielten oder in Angelegenheiten der Clans einmischten. Unterdessen hielt die<br />

unglückselige Anwerbung (oder Verschleppung) von Plantagen-Arbeitern für Australien an, denn aus<br />

England trafen keine Ketten-Sträflinge mehr ein und die Farmer brauchten dringend Hilfskräfte jeder<br />

Hautfarbe. Die Insulaner bewährten sich als Schafscherer und Schafwolle-Wäscher mit niedrigem Lohn<br />

und erregten so den Zorn der zuvor hoch bezahlten weissen Kräfte, der sogenannten "0ld Hands".<br />

Einäscherung eines Toten<br />

in Kieta auf der Insel<br />

Bougainville, plaziert auf<br />

dem Scheiterhaufen im<br />

Zentrum des Dorfes.<br />

Abgesehen von den "Arbeiter-Anwerbe-Schiffen" machten sich anschliessend weisse Waffenhändler<br />

breit, die jeden zahlungsfähigen Häuptling mit Musketen und Munition belieferten, dazu noch mit Rum,<br />

Werkzeug, Stahlwaren jeder Art usw. Allerdings büsste mancher gewissenlose Händler mit seinem<br />

eigenen Leben, sobald die Kunden merkten, dass er wahllos Freunde und Feinde (je nach Perspektive)<br />

mit tödlichem Gerät versorgte. Als der Walfang zu wünschen übrig liess, richtete sich das Augenmerk der<br />

Weissen auf Kopra und Kokosöl als Objekte der Begierde. Überall entstanden Händler-Stützpunkte für<br />

sämtliche Bedürfnisse der Bevölkerung.<br />

Während die Zuckerrohr-Plantagen in Queensland und auf den Fidji Islands sich ausweiteten, benötigte<br />

man immer mehr Arbeiter. Insulaner einzufangen (auf den Salomonen) und an die Pflanzer zu verkaufen<br />

(in der Ferne) hiess damals "blackbirding". Es war ein Kidnapping Business, ungestört von jeglicher<br />

Obrigkeit ab etwa 1860 über Jahrzehnte hinweg. Häuptlinge wurden mit grosszügigen Geschenken<br />

bestochen, ihre eigenen Stammesangehörigen als menschliche Fracht zu verkaufen. Den Kapitänen war<br />

jedes Mittel recht. Sie traten sogar als angebliche Missionare auf, um das Vertrauen ihrer Opfer zu<br />

gewinnen.


1872 raffte sich Great Britain endlich auf, etwas mehr Ordnung in die Kolonie zu bringen, nachdem<br />

englische Missionare ermordet worden waren, unter ihnen ein Bischof. Die Regierung Ihrer Majestät<br />

verkündete ein Gesetz zum Schutz Eingeborener (Imperial Pacific Islanders Protection Act) mit drei<br />

Jahren Verspätung. Die Anwerbung von Insulanern für australische Pflanzer dauerte noch 30 Jahre. Erst<br />

1906 kehrten die letzten Migranten in ihre Dörfer heim, 2000 Männer aus Queensland.<br />

Nach und nach fassten Europäer guter Gesinnung Fuss auf den Salomonen und gewannen die<br />

Sympathien der Insulaner Schritt für Schritt. Lars Nielsen, Frank Wickham und Stanley Bateman<br />

befassten sich vornehmlich mit dem Kopra-Handel: Sie boten 40 Pfund Tabak im Wert von drei Pfund<br />

Sterling im Tausch gegen jeweils eine Tonne Kopra. Messer und Äxte waren ebenso willkommen statt<br />

Tabak. Die Morde an Händlern und Seefahrern hörten indessen nicht auf, unter ihnen Lieutenant Bower<br />

und drei Besatzungsmitglieder der HMS SANDFLY (bei Vermessungsarbeiten an der Küste).<br />

Der Deutsch-Däne britischer<br />

Abstammung Richard Parkinson<br />

(1844 bis 1909) war ein<br />

sagenhafter Abenteurer<br />

seiner Epoche, der in die<br />

Kolonialgeschichte einging und<br />

den Mediziner Robert Koch bei<br />

der Malaria-Forschung beriet.<br />

Der sagenhafte Richard Parkinson<br />

Am 13. November 1844 kam in Augustenburg auf der dänischen Insel Alsen ein Junge zur Welt. von dem<br />

niemand erwarten konnte, dass er einmal deutsche Kolonialgeschichte in der Südsee schreiben würde<br />

dank seiner vielseitigen Qualifikationen als Ethnologe und Landwirtschafts-Experte. Der Vater Richard<br />

Parkinsons (gleicher Vor- und. Familienname) arbeitete (ein gebürtiger Brite) als Gestütsleiter des<br />

Herzogs von Augustenburg. Die Kindesmutter namens Luise Brüning, Tochter eines Schuhmachers,<br />

verwickelte sich in eine arrangierte Eheschliessung voller Komplikationen: Der Knabe Richard war<br />

(angeblich) ein uneheliches Kind des Herzogs, welcher wiederum - so wird berichtet - den Gestütsleiter<br />

zur Heirat mit Luise überredete, da sie ein Kind vom adligen Erzeuger erwartete.<br />

Als 1848 der Erste Deutsch-Dänische Krieg ausbrach, büsste der Herzog sein Vermögen ein, und der<br />

Engländer Richard Parkinson liess die Schwangere sitzen, um in seine Heimat zurück zu kehren. In<br />

dieser Not sprang die Prinzessin zu Augustenburg als rettender Engel ein und ermöglichte dem Jungen<br />

eine gute Schulausbildung mit anschliessendem Studium für das Lehramt. Acht Jahre Tätigkeit auf<br />

Helgoland folgten (seinerzeit britisch).


Der Junglehrer lernt auf der Insel den britischen Geschäftsmann Godeffroy sowie dessen Agenten<br />

Kubary kennen und erhält einen Dienstvertrag als Plantagenleiter ab 1875 auf Samoa (damals quasi<br />

herrenlos ohne Kolonialmacht). 1879 heiratet Richard die sechzehnjährige Phoebe, ein samoanisches<br />

Mischlingsmädchen. Das Ehepaar liess sich bald für Neuguinea anwerben und legte dort Pflanzungen mit<br />

Kokospalmen und Baumwolle an auf der Insel New Britain. Es kam zu Reibereien mit den deutschen<br />

Kolonialbehörden, da Parkinson weit gespannte Ziele verfolgte und die schikanösen Vorschriften der<br />

Bürokraten missachtete. Man bezweifelte sogar seine deutsche Nationalität, und er musste die eigene<br />

Ehefrau am 21. Juni 1886 nochmals unter Aufsicht vor Reichskommissar von Oertzen ehelichen! Man<br />

warf ihm vor, eigentlich ein gebürtiger Däne zu sein bei näherer Betrachtung ...<br />

Ab Oktober 1891 hat Parkinson das Gezänk mit den Kolonialbeamten satt und. widmet sich lieber der<br />

Ethnologie als Forscher und Autor. Seine Frau ergänzt das dürftige Einkommen als Vermittlerin von<br />

Arbeitsverträgen für Eingeborene mit Prämien-Honorierung der Arbeitgeber eher schlecht als recht. 1893<br />

hielt sich Parkinson einige Monate in Deutschland auf, um Kontakte mit Museen und. wissenschaftlichen<br />

Einrichtungen anzuknüpfen. Er wollte unter anderem seine Sammelobjekte besser vermarkten als neue<br />

Existenzgrundlage. Zwischendurch besuchte er die (ehelichen) Kinder des Herzogs von Augustenburg in<br />

bester Laune.<br />

Robert Koch beschäftigte sich intensiv mit der Erforschung aller möglichen Ursachen<br />

zur Malaria-Erkrankung im Gebiet von Deutsch-Neuguinea und ist im Bild an Bord des<br />

deutschen Gouvernement-Schiffs SMS Möwe im Kreis der Offiziere zu sehen.<br />

Zurück in der Südsee begleitete Richard Parkinson den Mediziner Robert Koch auf Forschungsreisen,<br />

genauer gesagt auf Malaria-Touren. Er verschafft Professor Koch zahlreiche Fotografien von<br />

Eingeborenen, die an Frambösie tödlich erkrankten, fällt jedoch neun Jahre danach selbst dem<br />

furchtbaren Leiden zum Opfer (klinisch ähnlich der Syphilis, damals unerforscht und unbekannt). Am 25.<br />

Juli 1909 trug man Parkinson zu Grab. Wenige Jahre später konnte Frambösie durch das neuartige<br />

Medikament Salvarsan geheilt werden, ein Arsen-Präparat.<br />

Im August 1989 entdeckte ein Deutscher mit viel Mühe den Grabstein im Dschungel, umgefallen und von<br />

Laub verdeckt. Auch die Gräber der Söhne Max und Otto konnten freigelegt werden zur Dokumentation<br />

durch Fotografien.


Wie war das mit dem Kannibalismus?<br />

Richard Parkinson befasste sich intensiv mit der Anthropophagie, eher bekannt als Kannibalismus oder<br />

Menschenfresserei, und notierte seine Beobachtungen auf den Deutschen Salomonen mit selektiver<br />

Akribie:<br />

Kannibalismus ist hier nicht so weit verbreitet wie man allgemein annimmt. Auf den Shortland Islands<br />

geht es mittlerweile friedlich zu. Die Shortland-Insulaner schlagen auf ihren Kriegszügen jeden tot, der in<br />

ihre Hände fällt. Gefangene zur Sklaverei braucht man selten. In den Bergdörfern im südlichen<br />

Bougainville werden die erschlagenen Feinde zur eigenen Niederlassung getragen und einige Tage in<br />

der Umgebung des Tabu-Hauses aufgehängt. Dann nimmt man die Körper ab, entfernt und reinigt den<br />

Kopf. Der Schädel wird im Tabu-Haus aufbewahrt, der Leib im Boden verscharrt. Alle Totenköpfe in<br />

diesen Tabu-Häusern sind also Kriegstrophäen und keine Verwandten. Schädel der Verstorbenen<br />

bewahrt niemand auf.<br />

Zieht man eine gedachte Linie quer durch die Insel Bougainville, etwa von der Kaiserin Augusta Bucht an<br />

der Westküste bis zur gegenüber liegenden tiefen Bucht im Osten, so ergibt sich daraus ungefähr die<br />

Grenze des Kannibalismus. Nördlich davon fehlen in keinem Dorf die verstreuten Menschenknochen und<br />

zerschlagenen Schädel sowie in den Häusern die Unterkiefer der Verzehrten. Im südlichen Teil<br />

Bougainvilles konnte Parkinson keinerlei Zeichen von Kannibalismus aufspüren, wofür er keine Erklärung<br />

fand. Überall gab es nicht die geringste Neigung der Eingeborenen, den Kannibalismus zu leugnen.<br />

Im Verlauf der Kannibalen-Feste waren bestimmte Regeln zu beobachten. Der Leichnam des<br />

erschlagenen Feindes wird zu einem vorher bestimmten Platz gebracht, meist einer Lichtung, dort zerlegt<br />

wie Schlachtvieh und portioniert. Befreundete Stammes-Gesellschaften erhalten Teile zugetragen als<br />

Zeichen des Wohlwollens. Männer verzehren ihren Anteil sofort, während Frauen und Kinder ihre<br />

Eingeborenendorf am Ernst Günther Hafen im nördlichen Teil von Bougainville. Die<br />

Stimmung dieser Menschen konnte oft blitzartig umschlagen gegenüber ihresgleichen<br />

oder den Europäern: erst freundlich, plötzlich hasserfüllt aggressiv ohne erkennbaren<br />

Grund.


Zuteilungen später gebracht bekommen. Sie dürfen beim Zerlegen niemals zuschauen. Arme und Beine<br />

der Opfer gelten als besonders schmackhaft: gekocht, in Blätter gewickelt und gewürzt. Häuptlinge<br />

bevorzugten Oberschenkel.<br />

Manche Eingeborene verweigerten den Verzehr von Menschenfleisch, weil ihnen der Geschmack nicht<br />

zusagte. Mit moralischen Bedenken hatte dieses Verhalten jedoch nichts zu tun. Kannibalismus war in<br />

den Augen der Insulaner grundsätzlich die "grösste Erniedrigung, die einem Feind zugefügt werden kann<br />

nach dessen Tod ..."<br />

Mount Bagana im Zentrum von Bougainville spuckt nach wie vor Feuer, Wasserdampf<br />

und giftige Gase in die Atmosphäre, 2000 Meter hoch gelegen. Ab und zu kommt es zu<br />

begrenzten Ausbrüchen ohne einschneidende Auswirkungen für die Insulaner.<br />

Lohnte sich die ganze Mühe?<br />

Über den kolonialen Wert der Deutschen Salomonen äusserten sich weit blickende Forscher<br />

zurückhaltend: "Der Hauptwert dieser Inseln für Deutschland ist eher ideell zu betrachten. Ihr Besitz in<br />

diesen fernen Regionen der Erde ist gewiss ein bedeutender Faktor für das äussere Ansehen<br />

Deutschlands im Rat der Völker. Es ist ebenfalls ein ideeller Wert, dass Deutschland hier in die Lage<br />

versetzt wird kleine Paradiese unserer Erde vor ihrer Vernichtung zu bewahren! ...<br />

Weil wir deutlich erkennen, dass die ökonomische Ausbeutung der Natur und Völker niemals reiche<br />

Beute einbringen wird, darf man die allmählich immer weitere Verbreitung des Gedankens erhoffen, dass<br />

es eine edle Aufgabe ist, die grossartige Natur dieser Solomon Islands vor nutzlosen, jedoch<br />

vernichtenden europäischen Kulturbestrebungen zu schützen, vor Sklaverei und sinnlosen Experimenten<br />

aller Art ...


Es ist vielleicht ein Luxus, dass wir diese Kolonien unterhalten, aber ein reicher und. vornehmer Herr<br />

sollte sich solchen Luxus leisten dürfen. Das gehört nicht nur zu seinen Verpflichtungen als Humanist,<br />

sondern es bringt auch der Allgemeinheit Nutzen. Solches Verhalten mehrt die Kreditwürdigkeit und<br />

Macht. Deutschland ist unter den Völkern reich und vornehm zu nennen und. sollte sich deswegen<br />

Luxusausgaben leisten, wenn sie einen ästhetischen oder idealen Wert haben!"<br />

Was hatte Bougainville zu bieten?<br />

Die Insel verdankt ihren Namen dem Franzosen Louis Antoine de Bougainville (1729 - 1811), der die<br />

gebirgige und mit dichtem Regenwald bedeckte "Eroberung" am 2. Juni 1768 entdeckte und. als die<br />

grösste Salomon Insel identifizierte, 8800 qkm umfassend. Zwei Vulkane sind noch aktiv: Mount Balbi mit<br />

2745 Meter Höhe sowie der Mount Bagana, 2000 Meter hoch. Seine ständige Dampfwolke ist<br />

unübersehbar. Fruchtbare vulkanische Erde gestattet den Anbau von Kaffee und Kakao. Der Nordwest-<br />

Monsun bringt von November bis März reichliche Niederschläge und fördert das Wachstum.<br />

Buka, die nördlichste der Salomonen Inseln, ist durch eine enge Passage von Bougainville getrennt und<br />

verfügt über knapp 500 qkm. Überall dichte Wälder, kleine Berge bis zu 430 Meter Höhe. Taro, Yams,<br />

Brotfrucht, verwilderte Schweine sorgen für die Ernährung neben Fischfang.<br />

Das Staatswappen der<br />

Salomonen trägt den<br />

edlen Wahlspruch<br />

HERRSCHEN HEISST<br />

DIENEN, dekoriert mit<br />

Tieren, Pflanzen und<br />

Sternen. Der moderne<br />

Staat ist UNO-Mitglied<br />

und formal unabhängig<br />

in einem bescheidenen<br />

Rahmen.<br />

Mord und Totschlag, Ehebruch und. Zauberei zählen unter den Insulanern als schwer wiegende<br />

Kriminalität, wobei zwischen Mord und Totschlag nicht im einzelnen unterschieden wird. Ehebruch kann<br />

nur von einer Ehefrau begangen werden nach der lokalen Rechtsauffassung (mit einer dritten Person).<br />

Meistens wird der Dritte von dem betroffenen Ehemann oder dessen Verwandten umgebracht und zuvor<br />

in eine Falle gelockt. Rache-Feldzüge schliessen sich über mehrere Generationen an.<br />

Andererseits wird wahlweise ein Zweikampf unter Aufsicht eines Häuptlings arrangiert. Erleidet einer der<br />

Teilnehmer erhebliche Verletzungen, bricht der Chief die Auseinandersetzung ab und stiftet Frieden.<br />

Schliesslich akzeptieren gekränkte Ehemänner auch Bussgeld zur Sühne und die Sache ist erledigt.


Die Zeichnungen<br />

demonstrieren<br />

kunstvolle<br />

"Tataurierungen"<br />

einer Frau in<br />

Nukumanu, auch<br />

"Scarifizierung"<br />

bzw. Narben-<br />

Zeichnung genannt<br />

in der Völkerkunde.<br />

Vor allem Frauen<br />

beherrschten diese<br />

feine Technik<br />

hervorragend vor<br />

hundert Jahren.<br />

Hatte der Verführer nur Geschlechtsverkehr mit der fraglichen Ehefrau, so sieht man dies als "einfachen<br />

Ehebruch" an und 50 Faden Muschelgeld sind zu entrichten als Geldbusse. Hat der Täter jedoch die Frau<br />

"weg geführt" (an einen anderen Ort) , muss er mindestens 100 Faden zahlen, weil es sich um<br />

"Verführung" handelt.<br />

Die Eingeborenen unterscheiden ebenfalls zwischen dem "reinen Zauber" und dem "Gift-Zauber".<br />

Beispielsweise lässt sich eine Fuss-Spur verzaubern: man holt Erde von diesem Fussabdruck, wickelt sie<br />

in Blätter, trägt sie ins eigene Haus und hängt sie über der Schlafstätte auf, um die Geister zu rufen und<br />

dem "Fuss-Gänger" die Pest an den Hals zu wünschen. Wesentlich "wirkungsvoller" ist dagegen die<br />

Giftmischerei zum Essen, teils symbolisch und teils "echt". Und die Blutrache? Sie nimmt nie ein Ende<br />

über viele Generationen hinweg ...<br />

Scarifizierung statt Tätowierung<br />

Völkerkundler sprechen von Scarifizierung, wenn sie (statt Tätowierung) eine Art "Narbenzeichnung" auf<br />

der menschlichen Haut umschreiben möchten wie dies häufig auf den Salomonen der Fall war. Auf der<br />

fast schwarzen Haut der Insulaner hätte eine Tätowierung keine sichtbaren Spuren hinterlassen wie bei


anderen hellhäutigen Südsee-Bewohnern. Männer und Frauen betätigten sich als Narben-Zeichner,<br />

wobei die Frauen grössere Kunstfertigkeit erkennen liessen nach den Beobachtungen der deutschen<br />

Ethnologen während ihrer Feldforschung.<br />

Knaben und Mädchen sind oft scarifiziert, meist zwischen sieben und elf Jahren alt, und als Werkzeug<br />

dient eine geschärfte Muschel. Parallel verlaufende Zickzack-Linien dekorieren die Gesichter, nach einem<br />

bestimmten Muster angeordnet. Männer bevorzugen ausserdem ähnlichen Narbenschmuck im Nacken<br />

und auf den Schulterblättern. Frauen und Mädchen schmücken ihre Lenden sowie beide Fussgelenke.<br />

Das Ausheilen der Narben und das Sichtbarwerden der Muster wird durch Einreiben der Wunden mit<br />

gebrannter Ockererde hervorgerufen.<br />

Ohne Zweifel ist die Prozedur sehr schmerzhaft und nicht jede Eingeborene begeistert sich an dem<br />

zweifelhaften Vergnügen (im Gegensatz zu den Männern). Allerdings steigen die Chancen einer "reichen<br />

Heirat" ...<br />

Bericht des Bezirksrichters Full<br />

Der Regierungsdampfer SEESTERN ging am 29. April um 10 Uhr abends auftragsgemäss Kurs<br />

Salomonen in See, um die Kaiserliche Station Kieta sowie die Missionsstationen Kieta und. Buin zu<br />

visitieren, der Regierungsstation Baumaterial, Lebensmittel und einen Kutter zu überbringen,<br />

Rückarbeiter abzusetzen, für die Polizeitruppe Nachwuchs zu rekrutieren und dem Kaiserlichen<br />

Stationsvorsteher in Kieta zur Bereisung seines Gebietes Gelegenheit zu geben.<br />

Sechs "unschuldige<br />

Knaben" spielen friedlich<br />

Flöte für den Fotografen um<br />

1900. Kannibalismus war für<br />

sie Alltagsgewohnheit, was<br />

die Europäer entsetzte ...


Am 30. April nachmittags wurden in Hanahan an der Ostküste Bukas Arbeiter und Urlauber gelandet. Am<br />

ersten März vormittags 10 Uhr und 20 Minuten ging SEESTERN im Hafen von Kieta vor Anker. Ich<br />

stattete der Regierungsstation alsbald einen Besuch ab. Das Wohngebäude des Chefs ist bis auf die<br />

Verschalung der Wände fertig gestellt. An der Landungsbrücke ist vom Land bis an die Tiefwassergrenze<br />

ein Steindamm von 82 Meter Länge und zwei Meter oberer Breite angelegt. Der Stationsleiter will diesen<br />

Damm durch einen auf Pfählen gelegten Landungssteg noch um fünf Meter verlängern. Die<br />

Landungsstelle wird dann auch bei Niedrigwasser noch acht Fuss (ca. 2,50 m) Wassertiefe aufweisen<br />

und das Anlegen der für die Station bestimmten Motorpinasse erleichtern.<br />

Der provisorische Exerzierplatz ist noch nicht vollständig planiert. An seinem westlichen Rand soll eine<br />

Markthalle errichtet werden und östlich davon eine Abstellhalle für die Pinasse. Daneben entsteht die<br />

Wohnung des Maschinisten. Neben dem provisorischen Kasernenbau für die eingeborene Polizeitruppe<br />

existiert nunmehr ein Lagerschuppen, aus dem Buschwerk geflochten. Hinzu kommt demnächst ein<br />

Gefängnisbau.<br />

Der Gesundheitszustand der Stations-Angehörigen war zufriedenstellend, abgesehen vom erkrankten<br />

Leiter Döllinger, der unter häufigen Fieber-Attacken und Magenbeschwerden leidet, die dringend<br />

ärztlicher Behandlung bedürfen. Unter den 51 Polizeisoldaten gab es nur zwei Kranke. Einer hat<br />

offensichtlich Schwindsucht und dies seit längerer Zeit. Die Küstenstrasse ist teilweise ausgebaut, etwa<br />

sieben Kilometer nach Norden und 12 Kilometer südwärts von der Station aus gerechnet. Die<br />

Eingeborenen haben sich freiwillig zum Wegebau gemeldet, ungefähr 40 Männer.<br />

Der Eingeborene Dwas, zu dessen Verhaftung wegen Mordversuchs am 14. und 16. März Expeditionen<br />

ins Hinterland organisiert worden waren, hat einen Tag vor dem Einlaufen des SEESTERN in Kieta eine<br />

Botschaft übermitteln lassen, dass er sich unterwerfen möchte. Deshalb ist zur Zeit nichts gegen ihn zu<br />

unternehmen.<br />

Am Nachmittag des 1. Mai erschienen die Patres Flaus und Scoller von der katholischen Maristen-<br />

Mission in Kieta, ausserdem Pater Forestier aus Poporang, Vorstand der Maristen-Mission für die<br />

Salomon Islands insgesamt. Sie berichteten an Bord, dass am 18. März dieses Jahres im Dorf Kiwili, eine<br />

Stunde ausserhalb der Mission Bui gelegen, bei einem nächtlichen Überfall drei Männer, eine Frau und<br />

zwei Kinder erschlagen und alle Häuser niedergebrannt worden seien.<br />

Am Morgen des 2. Mai wurden Pater Forestier, Chef Döllinger und 20 Polizeisoldaten an Bord<br />

genommen, und gegen zwei Uhr nachmittags ankerte SEESTERN vor der Missionsstation Buin, besetzt<br />

von den Patres Alotte und Gisswart.<br />

Über die Vorgänge in Kiwili liess sich in Buin durch Vernehmungen der Missionare und Einheimischen im<br />

einzelnen ermitteln:<br />

Am 24. September des vorigen Jahres war Kiwili bei einer Strafexpedition wegen zweier Mordtaten<br />

niedergebrannt worden. Einer der Hauptschuldigen war Häuptling Kaesi. Ein Teil der Bewohner Kiwilis<br />

stammte aus Lawelei, gehörte also zur Küstenbevölkerung. Der andere Teil kam aus Taqueroi, einem<br />

Dorf mehrere Stunden landeinwärts gelegen.<br />

In der Nacht zum 18. März dieses Jahres waren Leute aus Taqueroi in Kiwili aufgetaucht und machten<br />

bei Tagesanbruch im Verein mit ihren eigenen Stammesgenossen in Kiwili die aus Lawelei stammenden<br />

Insulaner nieder. Alle Leichen und Hütten gingen in Flammen auf. Die Kiwili-Männer unter Führung<br />

Kaesis, der persönlich mindestens einen Menschen getötet hatte, zogen dann mit den Taqueroi-Leuten<br />

ab und hofften unerkannt zu bleiben.<br />

Bezirksrichter Full sah sich zum Einschreiten gezwungen. Am Morgen des 3. März landete die<br />

Polizeitruppe um sechs Uhr nahe Kiwili, und gegen 11 Uhr war Taqueroi erreicht. Es gelang eine<br />

Überraschungsaktion, bei der 10 Personen gefangen genommen werden konnten. Ein Insulaner wurde<br />

im Kampf erschossen. Schliesslich verbrannten die Soldaten sämtliche Hütten, und gegen vier Uhr<br />

nachmittags wurde der SEESTERN wieder wohlbehalten erreicht. Unter den Gefangenen befand sich der<br />

Eingeborene Minai aus Kiwili, der einen der Ermordeten mit seiner Streitaxt umgebracht hatte.<br />

Ausserdem die Ehefrau des Häuptlings Kaesi. Das Stationsgericht in Kieta verurteilte Minai am 4. Mai zu<br />

drei Jahren Haft. Am 12. Mai morgens traf der SEESTERN wieder in Herbertshöhe, dem<br />

Gouvernementssitz für Deutsch-Neuguinea, ein.


Quellen<br />

R. Parkinson: Zur Ethnographie der nordwestlichen Salomo Inseln<br />

(Berlin 1899)<br />

J. Kent: The Solomon Islands<br />

(Harrisburg 1973)<br />

C. Ribbe: Zwei Jahre unter Kannibalen der Salomo Inseln<br />

(Dresden 1903)<br />

H.J. Hiery: Die deutsche Südsee 1884 bis 1914<br />

(Paderborn 2001)<br />

D. Harcombe: The Solomon Islands Travel SurvIval Kit<br />

(Hawthorne 1993)<br />

K. Baumann: Biographisches Handbuch DNGA 1882 bis 1922<br />

(Fassberg 2002)<br />

H. Wegener: Deutschland im Stillen Ozean<br />

(Bielefeld 1903)<br />

R. Parkinson: 30 Jahre in der Südsee<br />

(Stuttgart 1926)<br />

H. Seidel: Kleinere Besitzungen im Stillen Ozean<br />

(Privatdruck 1903)<br />

D. Craig: Historical Dictionary of Oceania<br />

(Westport 1981)<br />

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