VSAO JOURNAL Nr. 5 - Oktober 2015
Spiel - Gynäkologie/Schmerz 24000 Unterschriften
Spiel - Gynäkologie/Schmerz 24000 Unterschriften
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Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte<br />
Association suisse des médecins-assistant(e)s et chef(fe)s de clinique<br />
Associazione svizzera dei medici assistenti e capiclinica<br />
INHALT<br />
Titelbild: aebi, grafik & illustration, bern<br />
EDITORIAL<br />
5 Homo faber, homo ludens<br />
POLITIK<br />
6 Gesundheitspolitik –<br />
24 198 Unterschriften sagen alles<br />
WEITERBILDUNG /<br />
ARBEITSBEDINGUNGEN<br />
10 Wandel der Lehr- und Lernkultur<br />
13 Auf den Punkt gebracht:<br />
Vom Kühlschrank zum E-Logbuch<br />
14 Lesen lernen: Eine Frage des Vertrauens<br />
15 Eine Rose für Genf<br />
16 Chaos ordnen und Rücken stärken<br />
FOKUS ▶ SPIEL<br />
22 Spiel und blutiger Ernst<br />
25 Mehr als ein Kinderspiel<br />
27 Das ist ja wie im Film ...<br />
30 Spiel und Therapie zugleich<br />
32 Ohne «Spiel» keine Entwicklung<br />
PERSPEKTIVEN<br />
38 Fachserie – Aktuelles aus der Gynäkologie<br />
– Postmenopausale Hormontherapie:<br />
Entlastung in wechselhaften Zeiten<br />
41 Aus der «Therapeutischen Umschau»:<br />
Der nichtkardiale Thoraxschmerz<br />
44 Das erlesene Objekt:<br />
Berauschender Rauch<br />
<strong>VSAO</strong><br />
18 Sektion Bern<br />
19 <strong>VSAO</strong>-Rechtsberatung<br />
21 <strong>VSAO</strong>-Inside<br />
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
45 Versicherungen verstehen:<br />
die Berufshaftpflicht<br />
47 Briefkasten<br />
48 Marderschäden lassen sich verhindern<br />
49 Besteuerungsregeln im<br />
Vorsorgedschungel<br />
50 Impressum<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
3
EDITORIAL<br />
Foto: Severin Novacki<br />
Catherine Aeschbacher<br />
Chefredaktorin <strong>VSAO</strong>-Journal<br />
Homo faber, homo ludens<br />
24 198 Menschen fordern mit ihrer Unterschrift die Einhaltung<br />
des Arbeitsgesetzes in den Spitälern und damit bessere Arbeitsbedingungen<br />
für Assistenzärztinnen und -ärzte. Die Unterzeichnenden<br />
stammen aus der breiten Bevölkerung und zeigen<br />
sich solidarisch mit den Anliegen unserer Mitglieder. Bleibt<br />
zu hoffen, dass dieser Appell nicht ungehört verhallt, sondern<br />
endlich die überfälligen Verbesserungen bringt. Mehr zu dieser<br />
Aktion und zur Übergabe der Unterschriften ist im Politikteil<br />
nachzulesen. An dieser Stelle sei allen Unterzeichnenden und<br />
jenen, welche die Unterschriften gesammelt haben, herzlich<br />
gedankt.<br />
Selbst wenn es angesichts der Missstände beim Arbeitsgesetz<br />
ironisch anmuten mag: Noch nie hatten so viele Menschen so<br />
viel freie Zeit wie heute. Aufgrund der arbeitsteiligen Gesellschaft<br />
und des Zusammenlebens in grossen Staatsgebilden<br />
haben wir uns vieler Pflichten unserer Urahnen entledigt.<br />
«Modern humans may be the only species that have some form<br />
of leisure time. We spend large amounts of time in the pursuit<br />
of pleasure; pastimes, games and activities that we find fun»,<br />
stellen die britischen Wissenschafter Nathan J. Emery und Nicola<br />
S. Clayton fest. Eine der ältesten Formen des Zeitvertreibs<br />
rücken wir diesmal in den Fokus, das Spiel. Während Erwachsene<br />
– von Spielsüchtigen abgesehen – meist aus purer Freude<br />
spielen, dient das kindliche Spielen vielen unterschiedlichen<br />
Zwecken. Wie vielschichtig Kinderspiele sind, zeigt die Psychologin<br />
Carine Burkhardt Bossi anhand zweier Spielformen auf.<br />
Dass die Spieltheorie nur bedingt mit Spiel zu tun hat, aber<br />
unsern Alltag ziemlich mitbestimmt und sogar physische Prozesse<br />
erklären kann, belegt ein Beitrag des Soziologen Andreas<br />
Diekmann. Während traditionelle Spiele etwas in den Hintergrund<br />
rücken, boomen Games unvermindert. Waren frühere<br />
Games zuweilen von Spielfilmen inspiriert, hält heute umgekehrt<br />
Pac-Man auf der Breitleinwand Einzug. Selbst wenn das<br />
gelbe Was-auch-Immer 35 Jahre auf sein Hollywood-Debüt<br />
warten musste, ist die Konvergenz der Medien nicht zu übersehen.<br />
Der Frage, wer hier wen wie beeinflusst, geht der Journalist<br />
und Cyberculturist Marc Bodmer nach. Zeitlich sehr viel<br />
weiter zurück begibt sich die Archäologin Beate Maria Pomberger<br />
bei ihrer Suche nach urzeitlichen Spielsachen und andern<br />
Zeugen von Freizeitaktivitäten. Schliesslich berichtet der<br />
Theaterschaffende Fidelio Lippuner von einem ungewöhnlichen<br />
Theaterprojekt.<br />
Wenig mit Spiel und Vergnügen haben Versicherungen zu tun.<br />
Wer liest schon gerne seitenlange Vertragsbestimmungen? Im<br />
MEDISERVICE-Teil beginnen wir mit einer Serie; unter dem<br />
Titel «Versicherungen verstehen» werden die wichtigsten Versicherungen<br />
kurz und verständlich erklärt.<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
5
POLITIK<br />
Gute Laune bei der nächtlichen Mahnwache<br />
GESUNDHEITSPOLITIK<br />
24 198 Unterschriften sagen alles<br />
Die Einhaltung des Arbeitsgesetzes ist nicht nur ein Anliegen der Assistenzärztinnen und<br />
-ärzte. Mehr als 24 000 Unterschriften konnten Anfang September an das Staatssekretariat für<br />
Wirtschaft (Seco) übergeben werden. Die Unterschreibenden waren meist Männer und<br />
Frauen aus der Bevölkerung. Nach zehn langen Jahren einer harzigen Umsetzung und vielen<br />
Beteuerungen müssen nun endlich Taten folgen.<br />
Nico van der Heiden, stv. Geschäftsführer/Leiter Politik und Kommunikation <strong>VSAO</strong>, Lisa Loretan, Projektassistentin Politik<br />
und Kommunikation <strong>VSAO</strong>. Bilder: Riechsteiner Fotografie.<br />
Die Ausgangslage ist denkbar einfach: Seit<br />
2005 gilt das eidgenössische Arbeitsgesetz<br />
für alle Assistenzärzte (und auch für fast<br />
alle Oberärzte). Bei einem nationalen Gesetz<br />
würde man vermuten, dass es in der<br />
ganzen Schweiz eingehalten werde. Leider<br />
weit gefehlt! Die Mitgliederbefragung des<br />
<strong>VSAO</strong> hat aufgezeigt, dass das Arbeitsgesetz<br />
in den Schweizer Spitälern vielfach<br />
missachtet wird. Deshalb engagiert sich<br />
der <strong>VSAO</strong> seit mehreren Jahren noch stärker<br />
für die Einhaltung des Arbeitsgesetzes,<br />
beispielsweise im Jahre 2013 mit einer<br />
breit angelegten Informationskampagne<br />
in der Öffentlichkeit.<br />
Protestkarten<br />
Was kann man tun, wenn Gesetze nicht<br />
eingehalten werden? Leider ist es so, dass<br />
ohne Kontrollen die Wahrscheinlichkeit<br />
sinkt, dass man sich an die Regeln hält<br />
(man denke nur an die Geschwindigkeitslimite<br />
auf der Autobahn). Deshalb verlangt<br />
der <strong>VSAO</strong> seit Jahren, dass die kantonalen<br />
Arbeitsinspektorate die Spitäler<br />
flächendeckend und regelmässig kontrollieren.<br />
Der <strong>VSAO</strong> lancierte denn auch Ende April<br />
die Folgekampagne zu «spital.illegal.legal!».<br />
Anlass bot ein unrühmliches Jubiläum:<br />
Zehn Jahre Arbeitsgesetz für alle<br />
Assistenzärztinnen und -ärzte – zehn<br />
6 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
POLITIK<br />
Aufkleber auf den Spitzbuben, welche an die<br />
Seco-Mitarbeitenden verteilt wurden<br />
Jahre Gesetzesverstösse auf breiter Ebene.<br />
Aus diesem Grund hat der <strong>VSAO</strong> eine Protestkartenaktion<br />
lanciert, mit der die Bevölkerung<br />
zum Ausdruck bringen konnte,<br />
dass sie ebenfalls die Einhaltung des Arbeitsgesetzes<br />
in den Spitälern verlangt. Als<br />
(potenzielle) Patienten haben alle ein<br />
Interesse an Spitalmitarbeitenden, die<br />
nicht übermüdet und ausgebrannt sind.<br />
Zu unserer grossen Freude war die Aktion<br />
ein voller Erfolg: Mehr als 24000 Personen<br />
haben die Protestpostkarte unterschrieben<br />
und fordern somit Bundesrat Johann<br />
Schneider-Ammann zum Handeln auf. Er<br />
ist als Vorsteher des Seco oberster Verantwortlicher<br />
in der Schweiz für die Einhaltung<br />
des Arbeitsgesetzes. Eine eindrückliche<br />
Zahl an Unterschriften, welche in<br />
etwas mehr als drei Monaten gesammelt<br />
werden konnten. Damit wird deutlich,<br />
dass unsere Forderungen auch seitens der<br />
Bevölkerung breit unterstützt werden.<br />
Nächtliche Mahnwache<br />
Natürlich liess es sich der <strong>VSAO</strong> nicht nehmen,<br />
die stolze Zahl von Unterschriften<br />
mit einer symbolträchtigen Aktion zu<br />
verbinden. So starteten Mitarbeitende des<br />
Zentralsekretariats und engagierte Ärzte<br />
am 1. September nachmittags eine Mahnwache<br />
in der Nähe des Seco. Wir wollten<br />
die Seco-Mitarbeitenden am nächsten<br />
Morgen nach einer «erlebten» Nachtschicht<br />
ordentlich müde begrüssen. Während<br />
der Nachtschicht trafen wir unter<br />
anderem morgens um 3 Uhr auf ein<br />
<strong>VSAO</strong>-Mitglied, das gerade von einem<br />
Notfall-Kaiserschnitt im Spital auf dem<br />
Nachhauseweg war, bei uns noch einen<br />
Kaffee trank und von seinen Überstunden<br />
erzählte.<br />
Tatkräftige<br />
Übergabeaktion<br />
Total unausgeschlafen starteten wir dann<br />
morgens gegen 6.30 Uhr mit dem Verteilen<br />
von Spitzbuben an die Mitarbeitenden<br />
des Seco. Die Spitzbuben waren mit der<br />
klaren Botschaft unserer Kampagne «spital.<br />
illegal. seit 10 Jahren!» versehen und<br />
es entstanden spontan einige spannende<br />
Diskussionen.<br />
Die einzelnen Unterschriften wurden,<br />
verpackt in Kartons, am frühen Morgen<br />
in Form einer «ungeniessbaren» Torte<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
7
POLITIK<br />
geknüpften Kontakt werden wir in Zukunft<br />
bestimmt nutzen können. In der<br />
Feststellung ist es sicherlich richtig: Gefordert<br />
sind die kantonalen Arbeitsinspektorate,<br />
die den Spitälern sehr unterschiedlich<br />
ihre Aufmerksamkeit widmen …<br />
Formelle Übergabe der Unterschriften (v. l. n. r.: Valentin Lagger, Leiter Eidgenössische<br />
Arbeitsinspektion; Daniel Schröpfer, Präsident <strong>VSAO</strong>; Pascal Richoz, Leiter Arbeitsbedingungen<br />
Seco; Rosmarie Glauser, Geschäftsführerin <strong>VSAO</strong> Bern; Nationalrätin Marianne Streiff-<br />
Feller; Nico van der Heiden, Leiter Politik und Kommunikation <strong>VSAO</strong><br />
Eine medienwirksame<br />
Aktion<br />
Dass die Übergabeaktion eine hohe Medienwirksamkeit<br />
erzielen wird, stellten wir<br />
bereits im Laufe des Nachmittags fest, als<br />
der Westschweizer Radiosender TSR auf die<br />
Schnelle noch einen Assistenzarzt für die<br />
abendliche Livesendung suchte (und in der<br />
Person von Anja Zyska dann glücklicherweise<br />
auch fand). Verschiedene Newsplattformen,<br />
darunter auch «blick.ch», stellten<br />
unsere Medienmitteilung sofort online. Am<br />
Abend wurde dann noch eine 11-minütige<br />
Reportage in der Sendung «Rundschau»<br />
des Deutschschweizer Fernsehens ausgestrahlt,<br />
welche sich dem Thema «Assistenzärzte<br />
am Limit: Kampf gegen illegale<br />
Überstunden» widmete (und die online<br />
angeschaut werden kann). Eine Sendung,<br />
an welcher der <strong>VSAO</strong> in der Vorbereitung<br />
nicht ganz unbeteiligt war und die anhand<br />
einzelner krasser und eindrücklicher Beispiele<br />
zeigt, dass wir nicht einfach nur<br />
Behauptungen aufstellen, sondern dass die<br />
Verstösse gegen das Arbeitsgesetz ganz real<br />
(und mit realen Folgen) sind.<br />
Die Unterschriften werden ins Seco transportiert.<br />
zum unrühmlichen 10-Jahres-Jubiläum<br />
vor dem Seco aufgebaut. Für die anschliessende<br />
Übergabe gesellte sich auch die<br />
Berner Nationalrätin Marianne Streiff-<br />
Feller dazu, welche den <strong>VSAO</strong> schon seit<br />
mehreren Jahren in seinem Engagement<br />
für die Einhaltung des Arbeitsgesetzes in<br />
den Schweizer Spitälern unterstützt. Entgegennehmen<br />
mussten die ungeniessbare<br />
Torte der Leiter Arbeitsbedingungen des<br />
Seco sowie der Leiter der Eidgenössischen<br />
Arbeitsinspektion, welche uns im Anschluss<br />
zu einem konstruktiven Gespräch<br />
empfingen. Inhalt des Gesprächs waren<br />
die beschränkten Möglichkeiten des Bundes,<br />
auf die kantonalen Arbeitsinspektorate<br />
einzuwirken. Auch wenn diese ausweichende<br />
respektive abschiebende Antwort<br />
uns nicht befriedigt, so war es doch<br />
gut, das Gespräch mit den Verantwortlichen<br />
im Seco führen zu können. Den nun<br />
Fazit<br />
Der <strong>VSAO</strong> bleibt an allen Fronten dran:<br />
national, kantonal, politisch und praktisch.<br />
Nur so erreichen wir, dass das Arbeitsgesetz<br />
endlich bei allen Assistenzund<br />
Oberärztinnen und -ärzten eingehalten<br />
wird. Dies nicht nur zum Schutz der<br />
Gesundheit der Ärzte und Ärztinnen,<br />
sondern auch für die Gesundheit der Patienten.<br />
■<br />
Zulassungs steuerung auf gutem Kurs<br />
Der Nationalrat hat am 7. September erfreulicherweise mit deutlicher Mehrheit beschlossen,<br />
die bisherige Zulassungssteuerung weiterzuführen. Dies entsprach auch<br />
dem Antrag von FMH und <strong>VSAO</strong>. Das komplizierte Projekt kantonaler Zulassungssteuerungen<br />
des Bundesrates versenkte der Nationalrat diskussionslos. Ebenfalls<br />
chancenlos war ein Antrag von SVP und FDP, anstelle der Zulassungssteuerung den<br />
Vertragszwang aufzuheben. Nun ist noch der Ständerat gefragt, den Kompromiss zu<br />
bestätigen, bevor unsere Mitglieder endgültige Sicherheit haben über das Zulassungsregime,<br />
das ab Juli 2016 gelten soll.<br />
8 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
WEITERBILDUNG / ARBEITSBEDINGUNGEN<br />
Wandel der Lehr- und Lernkultur<br />
Arbeitsplatzbasierte Assessments sind ein Mittel, dank gezielter Beobachtungen einzelner<br />
Tätigkeiten ein Feedback zu geben. Weiterbildner und Weiterzubildende erhalten dadurch<br />
Angaben zum jeweiligen Stand von Wissen und Fertigkeiten. Um dieses Instrument erfolgreich<br />
einzusetzen, müssen jedoch gewisse Vorgaben beachtet werden.<br />
Reto A. Thomasin, Leitender Arzt, Weiterbildungsverantwortlicher; Hannes Rich, Assistenzarzt; Michael T. Ganter, Chefarzt,<br />
Weiterbildungsstättenleiter Institut für Anästhesiologie und Schmerztherapie Kantonsspital Winterthur<br />
Arbeitsplatzbasierte Assessments (AbA)<br />
sind strukturierte Feedbackinstrumente 1 ,<br />
die im angelsächsischen Raum schon lange<br />
im Einsatz stehen. Sie helfen, die Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte bei ihren klinischen<br />
Tätigkeiten gezielter zu beobachten<br />
und ihnen eine strukturierte Rückmeldung<br />
zu geben. AbA sind nicht als eigentliche<br />
Prüfungen gedacht, können aber<br />
eine wichtige Diskussionsgrundlage bei<br />
den wiederkehrenden Qualifikations- bzw.<br />
Evaluationsgesprächen darstellen. Ausserdem<br />
wird durch die AbA der Weiterbildungsstand<br />
der einzelnen Assistenten von<br />
mehreren verschiedenen Weiterbildnern<br />
dokumentiert und es wird ermöglicht,<br />
neue Weiterbildungsziele zu definieren.<br />
Es kommen unterschiedliche AbA-Instrumente,<br />
wie die «Mini Clinical Evaluation<br />
Exercise (Mini-CEx)» oder die «Direct<br />
Observation of Procedural Skills (DOPS)»<br />
bzw. die «Direct Observation of Clinical<br />
Encounter (DOCE)» zum Einsatz. Die<br />
Mini-CEx dienen eher der Beurteilung der<br />
Kommunikation mit dem Patienten, während<br />
die DOPS bzw. DOCE zur Beurteilung<br />
von Fertigkeiten dienen. Das Schweizerische<br />
Institut für ärztliche Weiter- und<br />
Fortbildung SIWF sieht vor, dass vier AbA<br />
pro Kalenderjahr durchgeführt werden. 2<br />
Wie eine nicht repräsentative Umfrage<br />
unter den an unserem Institut neu eingetretenen<br />
Assistenzärzten ergab, wird diese<br />
Vorgabe noch nicht flächendeckend umgesetzt.<br />
Einige Fachgesellschaften wie<br />
auch einige Weiterbildungsstätten sind<br />
dabei weiter fortgeschritten als andere<br />
und führen die AbA bereits seit längerem<br />
erfolgreich durch. Andere beginnen sich<br />
erst mit dem Thema auseinanderzusetzen.<br />
Dieser Artikel soll über unsere Erfahrungen<br />
bei der Einführung an unserer<br />
Weiterbildungsstätte berichten. Dabei<br />
möchten wir auf mögliche Schwierigkeiten<br />
bei der Durchführung, aber auch auf<br />
die unschätzbaren Vorteile beim Einsatz<br />
dieser Evaluationswerkzeuge hinweisen.<br />
Durchführung eines AbA<br />
Für die Durchführung eines AbA wendet<br />
sich der Assistenzarzt an einen Kaderarzt<br />
und schlägt eine zu beurteilende Tätigkeit<br />
3 vor. Alternativ kann die Beurteilung<br />
auch durch den Kaderarzt angeregt werden.<br />
Die Handlung soll wie gewohnt<br />
durchgeführt werden. Es wird empfohlen,<br />
dass sich der Beobachtende Notizen<br />
macht, um für das Feedback konkrete<br />
Beispiele zur Hand zu haben. Nach Abschluss<br />
soll eine möglichst zeitnahe Besprechung<br />
an einem ungestörten Ort erfolgen.<br />
Dies kann im klinischen Regelbetrieb<br />
mit dem entsprechenden Zeitdruck<br />
Schwierigkeiten bereiten. Eine Lösungsmöglichkeit<br />
besteht darin, die Besprechung<br />
erst nach Abschluss des Arbeitstages<br />
durchzuführen. Umso wichtiger ist,<br />
sich bei diesem Vorgehen relevante Punkte<br />
zu notieren.<br />
Der erste Schritt besteht in einer Selbstbeurteilung<br />
durch den Assistenzarzt. Anschliessend<br />
erfolgt das strukturierte Feedback<br />
durch den beurteilenden Kaderarzt,<br />
entsprechend den gängigen Feedbackregeln.<br />
Dabei kann bereits auf Diskrepanzen<br />
zwischen der Selbst- und der Fremdwahrnehmung<br />
eingegangen werden.<br />
Beide Beurteilungen werden auf dem<br />
Formular zusammengefasst festgehalten.<br />
Im letzten Schritt werden gemeinsam die<br />
nächsten Weiterbildungsziele festgelegt.<br />
Wichtig ist, dass die Ziele realistisch zu<br />
erreichen sind und möglichst konkret formuliert<br />
werden. Ausserdem soll eine Frist<br />
bis zur Zielerreichung bzw. bis zur nächsten<br />
Beurteilung vereinbart werden. Das ist<br />
speziell bei Assistenzärzten mit flacher<br />
Lernkurve («underperforming trainees»)<br />
für beide Seiten wichtig. So können diese<br />
verbindlicher begleitet und betreut werden.<br />
Obwohl die Beurteilung durch einen Vorgesetzten<br />
erfolgt, soll grundsätzlich im<br />
Dialog auf Probleme und deren mögliche<br />
Ursachen sowie entsprechende Lösungsansätze<br />
eingegangen werden. Wichtig erscheint<br />
uns, dass nicht nur auf Defizite<br />
fokussiert wird. Besonders gutes Verhalten<br />
soll ebenfalls gewürdigt und damit gefestigt<br />
werden.<br />
AbA an unserem Institut<br />
Wir verwenden an unserer Weiterbildungsstätte<br />
das DOCE auf Basis der Vorlage<br />
unserer Fachgesellschaft für Anästhesiologie<br />
und Reanimation SGAR 4 .<br />
Zwischenzeitlich haben wir das allgemein<br />
gehaltene Formular für einzelne klinische<br />
Tätigkeiten bzw. Fertigkeiten angepasst.<br />
Parallel zu der Einführung der AbA fand<br />
an unserem Institut ein Kurs zu den Themen<br />
«Clinical Teaching» und Erteilung<br />
von strukturiertem Feedback 5 statt. Des<br />
Weiteren besuchen jedes Jahr zwei unserer<br />
Kaderärzte einen der vom SIWF empfohlenen<br />
Workshops des «Royal College of<br />
Physicians» 6 zu den vorgenannten Themen.<br />
Bei der Einführung ergaben sich Fragen<br />
zu den Rahmenbedingungen: Wer soll das<br />
DOCE initiieren? Muss das DOCE angekündigt<br />
werden? In der Anfangsphase<br />
musste regelmässig an die Durchführung<br />
erinnert werden, was zu einer unregelmässigen<br />
zeitlichen Verteilung der DOCE führte.<br />
Inzwischen hat sich jedoch eine gewisse<br />
Regelmässigkeit etabliert. Da alle<br />
Kaderärzte unseres Instituts an der Weiterbildung<br />
der Assistenzärzte beteiligt<br />
sind, führen auch alle Kaderärzte AbA<br />
durch.<br />
An unserem Institut werden die DOCE in<br />
der Regel spontan und unvorbereitet im<br />
normalen Klinikbetrieb durchgeführt. Sie<br />
sind nicht als Prüfung zu verstehen und<br />
werden auch nicht als solche wahrgenommen.<br />
Vielmehr ist ihr Ziel eine realistische<br />
Bestandsaufnahme der klinischen Performance<br />
des Assistenzarztes. Die Durchführung<br />
soll grundsätzlich von den Assistenzärzten<br />
initiiert werden. Diese sind angehal-<br />
10 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
WEITERBILDUNG / ARBEITSBEDINGUNGEN<br />
ten, pro halbjährliche Beurteilungsperiode<br />
mindestens zwei DOCE durchzuführen.<br />
Die Resultate der AbA fliessen in die<br />
halbjährlichen Evaluationsgespräche ein.<br />
Um die Fortschritte in der Weiterbildung<br />
und die korrekte Anwendung einzelner<br />
anästhesiologischer Techniken und Fertigkeiten<br />
überprüfen zu können, kommen<br />
neben den DOCE noch weitere Evaluationsinstrumente<br />
zum Einsatz: Die Assistenzärzte<br />
führen ein Testatheft, in dem sie<br />
Art und Anzahl der durchgeführten Massnahmen<br />
dokumentieren. Sind Assistenzarzt<br />
oder weiterbildender Kaderarzt der<br />
Meinung, dass der Assistenzarzt ein ausreichendes<br />
Mass an Sicherheit und Selbständigkeit<br />
in der entsprechenden Tätigkeit<br />
aufweist, wird eine sogenannte Freigabeprüfung<br />
durchgeführt. Dabei werden<br />
neben der eigentlichen manuellen Tätigkeit<br />
auch Hintergrundwissen zu Anatomie,<br />
Physiologie und Pharmakologie<br />
sowie Patientenführung und Teaminteraktion<br />
beurteilt. Neben dem Nachweis<br />
einer festgelegten Mindestzahl von Durchführungen<br />
einer Technik ist das Bestehen<br />
dieser Prüfung Voraussetzung für die<br />
selbständige Tätigkeit ohne unmittelbare<br />
Supervision durch einen Kaderarzt (z.B.<br />
in einer Aussenklinik).<br />
AbA bieten die Möglichkeit einer regelmässigen,<br />
formalisierten und strukturierten<br />
Rückmeldung zu beobachteten Tätigkeiten<br />
des Assistenzarztes. Dabei werden<br />
konkrete, weiterführende Lernziele erarbeitet<br />
und festgelegt, was die Weiterbildung<br />
für beide Seiten verbindlicher gestaltet.<br />
Der Vorteil für den Assistenzarzt besteht<br />
darin, dass sich der Weiterbildner für<br />
eine persönliche Beurteilung und eine<br />
ausführliche Rückmeldung Zeit nimmt.<br />
Ein entscheidender Punkt betrifft die<br />
Möglichkeit der Selbstbeurteilung durch<br />
den Assistenzarzt und die Diskussion von<br />
Unterschieden zur Wahrnehmung seitens<br />
des Beobachters. Ziel ist eine zunehmende<br />
Angleichung der Selbst- und der Fremdwahrnehmung<br />
(realistische Selbstbeurteilung<br />
in unterschiedlichen Situationen).<br />
Auch erfahrene Assistenzärzte profitieren<br />
bei der Beurteilung ihnen geläufiger<br />
Techniken, da sich hilfreiche Inputs und<br />
Tipps zur Optimierung ergeben können.<br />
Ausserdem kann ein Austausch über unterschiedliche<br />
Vorgehensweisen stattfinden.<br />
Des Weiteren sollen auch fortgeschrittene<br />
Assistenzärzte ihre Handlungen<br />
regelmässig kritisch reflektieren.<br />
Die AbA stellen wie oben genannt eine<br />
Standortbestimmung und keine Evaluation<br />
im Sinne einer Prüfung dar. Aus<br />
diesem Grund können und sollen sie unangemeldet<br />
und unvorbereitet im normalen<br />
Klinikbetrieb durchgeführt werden.<br />
Das bedeutet auch, dass sie im Prinzip<br />
durch jeden Weiterbildner durchgeführt<br />
werden können und keiner zusätzlichen<br />
Vorbereitung bedürfen. Sie bieten dem<br />
Assistenzarzt so auch eine gute Möglichkeit<br />
zu einer realistischen Beurteilung der<br />
eigenen Stärken und Schwächen sowie<br />
zum Erkennen von Verbesserungsmöglichkeiten.<br />
Die Beurteilungen müssen und sollen sich<br />
nicht nur auf die zu beurteilende Fertigkeit<br />
beschränken, sondern können auch<br />
genutzt werden, um theoretische Grundlagen<br />
und Zusammenhänge zu erfragen.<br />
Ebenso bietet sich die Gelegenheit, die<br />
Interaktion mit dem Patienten zu evaluieren.<br />
Die Beurteilung durch verschiedene<br />
Weiterbildner generiert ein breit abgestütztes<br />
Bild der Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />
des Assistenzarztes. Voraussetzung<br />
ist, dass ein gewisser Konsens besteht, wie<br />
eine definierte klinische Tätigkeit korrekt<br />
durchgeführt werden soll.<br />
Die AbA können zu einer verbesserten Zusammenarbeit<br />
zwischen Kaderarzt und<br />
Assistenzarzt führen, indem Teachingsituationen<br />
bewusster wahrgenommen<br />
und besser genutzt werden.<br />
Für den Weiterbildungsstättenleiter ergibt<br />
die Summe der Beobachtungen ein Gesamtbild<br />
mit verschiedenen Facetten,<br />
welche den Vorteil haben, dass die Beurteilungen<br />
durch unterschiedliche Weiterbildner<br />
erfolgen. Ausserdem wird der<br />
Weiterbildungsstand für beide Seiten verbindlich<br />
notiert: Der Assistenzarzt erfährt<br />
schwarz auf weiss, wo er steht.<br />
Möglichkeiten und<br />
Stärken<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
11
WEITERBILDUNG / ARBEITSBEDINGUNGEN<br />
Risiken und Schwächen<br />
Ein mögliches Risiko besteht in der fehlenden<br />
Akzeptanz durch die Beteiligten.<br />
Das Formular könnte lediglich als weiteres<br />
Element einer zunehmenden Bürokratisierung<br />
und Formalisierung unseres Berufs<br />
wahrgenommen und mit möglichst<br />
geringem Aufwand abgearbeitet werden.<br />
Dann würde keine echte Auseinandersetzung<br />
mit den Lernzielen und den Fortschritten<br />
des Assistenzarztes stattfinden.<br />
Dies scheint aus Sicht der Assistenzärzte<br />
an unserem Institut jedoch eine geringe<br />
Gefahr darzustellen, da sich der administrative<br />
Aufwand in engen Grenzen hält.<br />
Je nach Ausgestaltung des Formulars werden<br />
die technischen Fertigkeiten überbewertet,<br />
da diese in der Regel mit geringerem<br />
Zeitaufwand einfacher beobachtet<br />
und beurteilt werden können. Gerade bei<br />
komplexen Situationen oder Tätigkeiten<br />
ist aber der Lerneffekt häufig grösser.<br />
Ein AbA stellt eine Momentaufnahme dar,<br />
bei der die Performance durch verschiedene<br />
Faktoren beeinflusst sein kann.<br />
Möglicherweise kann das dazu führen,<br />
dass nicht die maximale Leistung widerspiegelt<br />
wird.<br />
Da die Themen zufällig ausgewählt werden,<br />
besteht kein eigentliches Curriculum<br />
mit klar definierten Zielen, welche in der<br />
Folge überprüft werden. Eine klare Lernkurve<br />
ist somit nicht direkt ersichtlich.<br />
Die beurteilten Fähigkeiten können durch<br />
den Assistenzarzt teilweise selektiv beeinflusst<br />
werden, indem er sich durch einen<br />
ihm genehmen Kaderarzt beurteilen lässt.<br />
Dies kann dadurch umgangen werden,<br />
dass die AbA auch von Seiten der Kaderärzte<br />
initiiert werden.<br />
AbA durch verschiedene Weiterbildner<br />
können beim gleichen Assistenzarzt unterschiedlich<br />
ausfallen, falls nicht klar<br />
festgelegt ist, nach welchen Kriterien beurteilt<br />
wird bzw. was stufenentsprechend<br />
vom Assistenzarzt erwartet werden kann.<br />
Fehlende Erfahrungen im Erteilen von<br />
strukturierten Feedbacks durch die Weiterbildner<br />
können ebenfalls eine Schwierigkeit<br />
darstellen. Dieses Problem stellt<br />
sich nicht nur bei den arbeitsplatzbasierten<br />
Assessments, dürfte aber bei Anwendung<br />
derselben eher zutage treten. Abhilfe<br />
geschaffen wird diesem Umstand dadurch,<br />
dass sich zunehmend mehr in der<br />
Weiterbildung tätige Kaderärzte in klinischem<br />
Teaching weiterbilden.<br />
Der Zwang zur Einhaltung des zeitlichen<br />
Rahmens (z.B. eines Operationsprogramms)<br />
kann die Durchführung eines<br />
AbA erschweren, indem beispielsweise die<br />
Wiederholung einer misslungenen Intervention<br />
zu nicht mehr tolerierbaren Verspätungen<br />
führen würde und deshalb<br />
vom beobachtenden Kaderarzt übernommen<br />
werden muss. Auch die unmittelbar<br />
anschliessende Rückmeldung ist im laufenden<br />
Betrieb nicht immer möglich.<br />
Speziell bei fortgeschrittenen Assistenzärzten<br />
bietet sich die Möglichkeit, die Bewertungsperiode<br />
auf einen grösseren<br />
Zeitraum auszudehnen (z.B. mehrere<br />
Interventionen am gleichen Tag oder Abfolge<br />
von mehreren Nachtdiensten). Bewertet<br />
wird dann neben den technischen<br />
Fertigkeiten die Gesamtleistung mit Patienteninteraktion,<br />
Arbeitsorganisation<br />
und Teamarbeit. Insbesondere für die<br />
«Non Technical Skills» wäre dieses Vorgehen<br />
besser geeignet als z.B. die Begleitung<br />
eines einzelnen Aufklärungsgesprächs.<br />
Fazit<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden,<br />
dass die Vorteile der AbA unbestritten sind,<br />
was auch die hohe Akzeptanz sowohl bei<br />
den Weiterbildnern als auch bei den Weiterzubildenden<br />
erklärt. Die AbA helfen<br />
eine Lernkultur zu etablieren, bei der die<br />
klinische Tätigkeit der Weiterzubildenden<br />
nicht nur beobachtet wird, sondern bei der<br />
auch eine gezielte Rückmeldung erfolgt.<br />
Gleichzeitig wird durch die geforderte<br />
Selbstbeurteilung die Wahrnehmung des<br />
Assistenzarztes in die Beurteilung einbezogen<br />
und es werden nächste Weiterbildungsziele<br />
definiert. Es ist wichtig, mithilfe<br />
der AbA die Beobachtungen (Selbst- und<br />
Fremdbeurteilung), das Potential des<br />
Weiterzubildenden sowie die zukünftigen<br />
Lernziele strukturiert und schriftlich festzuhalten.<br />
So behält das Instrument den<br />
Stellenwert und die nötige Akzeptanz.<br />
Obwohl die strukturierte Durchführung<br />
und die schriftliche Dokumentation der<br />
AbA aus heutiger Perspektive einen wichtigen<br />
Beitrag für die Mitarbeiterbeurteilung<br />
durch den Weiterbildungsstättenleiter<br />
darstellt, wäre es langfristig wünschenswert,<br />
dass die Bedeutung der AbA<br />
als formales Beurteilungsinstrument in<br />
den Hintergrund treten könnte. Vielmehr<br />
sollte es das Ziel sein, durch die Implementierung<br />
dieses regelmässigen konstruktiven<br />
Austausches zwischen Kaderund<br />
Assistenzärzten zu einem Wandel der<br />
Lehr- und Lernkultur an Schweizer Spitälern<br />
beizutragen.<br />
■<br />
1 http://www.jrcptb.org.uk/assessment/workplace-based-assessment<br />
2 http://www.fmh.ch/bildung-siwf/weiterbildung/fuer-facharztanwaerter/arbeitsplatzbasiertes_assement.html<br />
3 In unserem Fachgebiet z.B. Durchführung<br />
einer Spinalanästhesie, Einleitung einer Allgemeinanästhesie,<br />
Einlage eines zentralvenösen<br />
Katheters, aber auch Führen eines<br />
Aufklärungsgespräches oder Halten einer<br />
internen Fortbildung<br />
4 http://www.sgar-ssar.ch/fileadmin/user_upload/Dokumente/Weiterbildung/DOCE_<br />
V2.4.2014.pdf<br />
5 http://sfdc.stanford.edu/clinical_teaching.<br />
html<br />
6 http://www.fmh.ch/files/pdf16/Workshop-<br />
Broschuere_Apr-Sep_<strong>2015</strong>.pdf (Beispiel)<br />
12 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
WEITERBILDUNG / ARBEITSBEDINGUNGEN<br />
Auf den PUNKT gebracht<br />
Vom Kühlschrank zum E-Logbuch<br />
Die Frau eines Cousins hat kürzlich auf<br />
Sulawesi (Indonesien) ihre ärztliche Weiterbildung<br />
begonnen. Um an eine Assistenzarztstelle<br />
in der Dermatologie zu gelangen,<br />
hat sie das heimatliche Surabaya<br />
verlassen und arbeitet nun 800 Kilometer<br />
von zu Hause entfernt in XY. Auch in Indonesien<br />
erfreuen sich Stellen in der Dermatologie<br />
offenbar grösster Beliebtheit.<br />
Soweit die Gemeinsamkeiten zwischen<br />
Indonesien und der Schweiz. Die Arbeitsbedingungen<br />
könnten jedoch unterschiedlicher<br />
nicht sein. Für ihre Arbeit<br />
bezieht sie keinen Lohn. Ganz im Gegenteil:<br />
Für die Möglichkeit, in der Klinik<br />
arbeiten zu dürfen, bezahlt sie einen stattlichen<br />
Betrag. Ihre Kernaufgaben bestehen<br />
darin, dafür zu sorgen, dass der Kühlschrank<br />
stets mit genügend Lebensmitteln<br />
gefüllt ist, die Mobilfunkabonnements der<br />
älteren Ärztinnen und Ärzte bezahlt sind<br />
und die kleinen Besorgungen (von Kopien<br />
bis Geschenke für Verwandte) erledigt<br />
werden. Die Präsenzzeit ist hoch und Ferien<br />
sind nicht vorgesehen.<br />
Wer für solch abstruse Bedingungen im<br />
ersten Assistenzjahr nun eine gute klinische<br />
Tätigkeit, viel Patientenkontakt oder<br />
gar eine gutes Teaching erwartet, wird<br />
leider enttäuscht. Von einem E-Logbuch<br />
oder arbeitsplatzbasierten Assessments hat<br />
die junge Assistenzärztin auch noch nie<br />
etwas gehört.<br />
Gute Weiterbildung ist eine Investition in<br />
die Zukunft und erzielt keinen direkten<br />
Profit. Die Erfahrungen aus Indonesien<br />
zeigen, dass selbst dermassen unattraktive<br />
Assistenzarztstellen enorm begehrt<br />
sind. Nicht zuletzt die langfristig ökonomischen<br />
Aussichten – guter Lohn für die<br />
Ärzte, aber dadurch auch hohe Preise für<br />
die Patienten – übersteigen die Investitionskosten<br />
des einzelnen Arztes. Am Ende<br />
sind es also die Patienten, die für die sehr<br />
fragwürdigen Aufwände dieser «Weiterbildungsstelle»<br />
aufkommen werden – umso<br />
pikanter, dass die von Patienten hauptsächlich<br />
bezahlte Fachkompetenz während<br />
der ersten Jahre nicht geschult wird.<br />
Dieses sehr krasse Beispiel verdeutlicht vor<br />
allem, dass die Weiterbildung häufig anderen<br />
Interessen geopfert werden muss.<br />
Selbst wenn in der Schweiz derartige Zustände<br />
nicht (mehr) zum Alltag gehören,<br />
sind auch wir noch nicht so weit, dass eine<br />
gute ärztliche Weiterbildung selbstverständlich<br />
ist.<br />
Allzu oft steht auch bei uns die Weiterbildung<br />
in Konkurrenz zu anderen Interessen<br />
– wenn der leere Kühlschrank auch<br />
nicht den grössten Druck ausübt – so sind<br />
doch häufig die kurzfristig ökonomischen<br />
Zwänge grösser als die Einsicht, dass langfristig<br />
in eine gute Weiterbildung investiert<br />
werden müsste. Die hoffentlich bald flächendeckende<br />
Einführung von kantonalen<br />
Weiterbildungsbeiträgen vermag die<br />
Situation wohl zum Teil zu entschärfen.<br />
Die ärztliche Weiterbildung in der Schweiz<br />
darf im internationalen Vergleich als sehr<br />
gut bezeichnet werden. Dies befreit uns<br />
aber explizit nicht davon, die Qualität in<br />
der Weiterbildung zu sichern und auszubauen.<br />
Die Weiterbildung benötigt an den<br />
Spitälern genügend Raum. Dabei sind<br />
nicht nur die Weiterbildner in Pflicht, sondern<br />
auch die Weiterzubildenden haben<br />
ihren Anteil zu leisten, um die Weiterbildung<br />
auf hohem Niveau halten zu können.<br />
■<br />
Ryan Tandjung,<br />
Vizepräsident <strong>VSAO</strong>,<br />
Leiter Ressort Weiterbildung<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
13
WEITERBILDUNG / ARBEITSBEDINGUNGEN<br />
A B C D E F ...<br />
a b c d e f ...<br />
LESEN LERNEN<br />
Eine Frage des Vertrauens<br />
Lukas Staub, Redaktionsmitglied <strong>VSAO</strong>-Journal<br />
Das Hauptresultat von klinischen Studien<br />
ist üblicherweise die Punktschätzung<br />
des Effektes, z.B. der Therapieeffekt in<br />
einer klinischen Studie. Es ist die auf den<br />
Studiendaten beruhende bestmögliche<br />
Schätzung für die wahre Grösse des Effektes.<br />
Da es sich aber eben nur um eine<br />
Schätzung handelt, ist es unwahrscheinlich,<br />
dass die Punktschätzung exakt den<br />
wahren Wert des Effektes trifft. Wenn wir<br />
den Luxus hätten, die Studie mehrmals<br />
zu wiederholen, erhielten wir durch Zufallsschwankungen<br />
jedes Mal ein etwas<br />
anderes Ergebnis. Da wir die Studie aber<br />
meist nur einmal durchführen können,<br />
brauchen wir ein zusätzliches Mass, welches<br />
die statistische Genauigkeit der<br />
Punktschätzung angibt.<br />
Die Präzision der beobachteten Punktschätzung<br />
wird mit einem sogenannten<br />
Konfidenzintervall ausgedrückt. In<br />
der Regel ist dies ein 95-Prozent-Konfidenzintervall,<br />
welches folgendermassen<br />
interpretiert wird: Falls die Studie unverzerrt<br />
(frei von Bias) ist, besteht eine<br />
95-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass<br />
das Intervall den wahren Wert des Effektes<br />
einschliesst.<br />
Je schmaler das Konfidenzintervall ist,<br />
desto sicherer sind wir hinsichtlich der<br />
wahren Effektgrösse. Der wahre Wert liegt<br />
sehr wahrscheinlich in der Nähe der<br />
Punktschätzung, weniger wahrscheinlich<br />
an den Rändern des Intervalls. Nur<br />
in 5 von 100 Fällen wäre der wahre Effekt<br />
aus serhalb des Konfidenzintervalls zu<br />
erwarten.<br />
■<br />
14 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
WEITERBILDUNG / ARBEITSBEDINGUNGEN<br />
Eine Rose für Genf<br />
Der <strong>VSAO</strong> zeichnet den Service de médecine de premier recours des Universitätsspitals Genf<br />
mit der Spitalrose 2014 aus. Dies entschieden die Delegierten des Zentralvorstands im Frühling.<br />
Ende August fand nun im Beisein von Prof. Jean-Michel Gaspoz die feierliche Übergabe statt.<br />
Lisa Loretan Krummen, Projektassistentin Politik und Kommunikation <strong>VSAO</strong>. Bilder: Michel Perret, Perret Photos.<br />
chener Weiterbildungsgarantie für den<br />
Erwerb des FMH-Titels.<br />
• Ärztinnen und Ärzte haben die Möglichkeit,<br />
ein Coaching zur Vermeidung<br />
von Burnout in Anspruch zu nehmen:<br />
Diese vertrauliche Konsultation wird<br />
von einem Psychiater angeboten, der<br />
auf Verlangen des Chefarztes regelmässig<br />
in der Abteilung vorbeischaut.<br />
• Im Konsultationsterminplan werden<br />
vorgeschriebene Pausenzeiten geplant<br />
und eingetragen mit dem Ziel, den Tag<br />
durch Ruhepausen zu strukturieren<br />
und aufzulockern.<br />
• Es besteht eine Arbeitsgruppe «Abteilungsspirit»,<br />
deren explizites Ziel es ist,<br />
das Zusammengehörigkeitsgefühl in<br />
der Abteilung zu stärken und die gute<br />
Stimmung zu fördern.<br />
• Eine weitere Arbeitsgruppe bestehend<br />
aus Assistenzärzten, Oberärzten und<br />
Leitenden Ärzten arbeitet an den im<br />
Rahmen der SIWF-Beurteilung beanstandeten<br />
Punkten.<br />
• Damit es den Angestellten möglich ist,<br />
an internen Projekten im Bereich der<br />
Forschung, Lehre, Qualität etc. teilzunehmen,<br />
werden ihnen zusätzliche<br />
Stunden zur Verfügung gestellt und ein<br />
abteilungsinterner Fonds soll die Assistenzärzte,<br />
Oberärzte und Leitenden<br />
Ärzte für die Entwicklung von Forschungsprojekten<br />
motivieren.<br />
• Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe ist<br />
darum besorgt, dass die gemäss interner<br />
Zufriedenheitsumfrage identifizierten<br />
Probleme unter Einbezug der Personalabteilung<br />
gelöst werden.<br />
(v. l. n. r.) Christophe Fehlmann, Präsident <strong>VSAO</strong>-Sektion Genf, Prof. Jean-Michel Gaspoz<br />
(Hôpitaux Universitaires de Genève), Nico van der Heiden, Stv. Geschäftsführer <strong>VSAO</strong>/Leiter<br />
Politik und Kommunikation<br />
Bereits zum zweiten Mal konnte der <strong>VSAO</strong><br />
ein Spital oder eine Klinik für herausragende<br />
Leistungen auszeichnen. Nachdem<br />
der Preis letztes Jahr an das Kantonsspital<br />
St. Gallen für seinen Einsatz im Bereich<br />
ärztlicher Weiterbildung ging, entschied<br />
der Zentralvorstand an seiner Frühjahrssitzung,<br />
dieses Jahr die Spitalrose dem<br />
Service de médecine de premier recours<br />
des Universitätsspitals Genf für seine Leistungen<br />
im Bereich Arbeitsbedingungen<br />
zukommen zu lassen.<br />
Unter der Leitung von Prof. Jean-Michel<br />
Gaspoz hat die Klinik zahlreiche Projekte<br />
zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />
der Assistenz- und Oberärztinnen und<br />
-ärzte initiiert und umgesetzt:<br />
• Eine Teilzeitanstellung wird explizit<br />
unterstützt, die Angestellten wählen ihr<br />
Pensum zwischen 50 und 100 Prozent.<br />
• Die wöchentliche Zeit für Weiterbildung<br />
wird bei reduziertem Pensum nicht<br />
gekürzt (und fix im Dienstplan eingetragen).<br />
• Teilzeitarbeit ist auch vor Erlangung<br />
des FMH-Titels möglich, mit ausgespro-<br />
Christophe Fehlmann, Präsident der<br />
<strong>VSAO</strong>-Sektion Genf, würdigte diese Punkte<br />
in seiner Ansprache. Der <strong>VSAO</strong> hofft,<br />
dass diese Beispiele auch andernorts<br />
Schule machen werden. Jean-Michel Gaspoz<br />
bedankte sich in seiner Ansprache<br />
sehr herzlich für die Anerkennung. Man<br />
spürte gut, wie wichtig ihm die Anliegen<br />
der jungen Ärzteschaft sind, beispielsweise<br />
macht er sich aktuell grosse Sorgen um<br />
die wieder angestiegene Quote von Burnouts<br />
bei den Assistenzärzten. Er zeigte sich<br />
im Weiteren davon überzeugt, dass eine<br />
gute Weiterbildung auch bei Teilzeitanstellungen<br />
möglich ist. ■<br />
Nomination für die<br />
<strong>VSAO</strong>-Spitalrose<br />
Die Spitalrose wird vom <strong>VSAO</strong> in der<br />
Regel jährlich an ein Spital, eine Klinik<br />
oder eine Weiterbildungsstätte vergeben,<br />
welches bzw. welche mit einem<br />
Projekt oder besonderen Leistungen<br />
zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />
der Ärzte oder der ärztlichen Weiterbildung<br />
beiträgt. Die <strong>VSAO</strong>-Sektionen<br />
sind laufend aufgefordert, ihnen<br />
bekannte und für würdig befundene<br />
Projekte oder Leistungen zu nominieren.<br />
Im Frühling entscheidet dann der<br />
Zentralvorstand über die Vergabe der<br />
Spitalrose.<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
15
WEITERBILDUNG / ARBEITSBEDINGUNGEN<br />
Chaos ordnen und Rücken stärken<br />
2013 führte der <strong>VSAO</strong> eine neue Dienstleistung ein: das Coaching. Die Fachstelle UND<br />
berät Ratsuchende in Fragen bezüglich Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Beraterin und<br />
Personal fachfrau Sandra Zurbuchen Eichenberger versucht mit Betroffenen, deren<br />
Situation zu klären und verloren geglaubte Kräfte zu mobilisieren. Sie zieht eine erste<br />
Bilanz und rät zum Überdenken des Berufsbildes.<br />
Mit Sandra Zurbuchen Eichenberger, Personalfachfrau und Beraterin der Fachstelle UND, sprach Simone Burkhard Schneider,<br />
Stabsjuristin/Stv. Geschäftsführerin <strong>VSAO</strong><br />
Seit rund zwei Jahren führen<br />
Sie im Auftrag des <strong>VSAO</strong><br />
Coachings durch. Wie sieht<br />
der oder die durchschnittliche<br />
Ratsuchende aus?<br />
Sandra Zurbuchen Eichenberger:<br />
Es wäre sicher eine Frau, wahrscheinlich<br />
im Alter zwischen 35 und 45 Jahren. Drei<br />
Viertel der Ratsuchenden sind nämlich<br />
Frauen. Und obgleich die Altersspanne<br />
von 28 bis zu 50 Jahren reicht, ist die<br />
Mehrheit zwischen 35 und 45 Jahre alt.<br />
Funktionsmässig lassen sich zwei ungefähr<br />
gleich grosse Gruppen bilden: Die<br />
eine Hälfte der Anrufenden sind Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte, die andere Hälfte<br />
Oberärztinnen bzw. Leitende Ärztinnen<br />
und Ärzte.<br />
Wie läuft ein solches Coaching<br />
in der Praxis ab?<br />
Interessierte können sich per Mail oder<br />
Telefon bei der Fachstelle UND melden.<br />
Die Beraterinnen und Berater erkundigen<br />
sich nach den konkreten Anliegen und<br />
vereinbaren anschliessend einen Termin<br />
für ein telefonisches Gespräch. Aufgrund<br />
der ersten Angaben bereiten sich die Beratenden<br />
auf ihre Aufgabe vor. Zusätzlich<br />
beantworten sie Fragen nach dem Ablauf<br />
des Coachings.<br />
Ausgehend von den genannten Anliegen<br />
bzw. der Problemstellung wird beim vereinbarten<br />
Gesprächstermin gemeinsam<br />
nach einem möglichen Vorgehen und<br />
gangbaren Lösungen gesucht. Hat sich die<br />
ratsuchende Person für die weiteren<br />
Schritte entschieden und sind die Fragen<br />
geklärt, ist die erste kostenlose Beratung<br />
abgeschlossen. Bei Bedarf können sich<br />
Interessierte für ein weiteres Coaching bei<br />
uns anmelden. Vier bis sechs Wochen<br />
nach der Beratung richten wir eine Feedbackanfrage<br />
an die gecoachten Personen.<br />
Welche Themen kommen<br />
beim Coaching hauptsächlich<br />
zur Sprache?<br />
Der Arbeitsalltag im Spital ist für Ärztinnen<br />
und Ärzte mit Kindern oder pflegebedürftigen<br />
Angehörigen sehr herausfordernd.<br />
Dementsprechend oft wird gefragt,<br />
wie sich die vom Arbeitgeber geforderte<br />
Flexibilität bezüglich Dienstplänen, Ferien<br />
vertretungen, ungewisser Dauer eines<br />
Dienstes etc. besser mit den privaten Verpflichtungen<br />
vereinbaren lässt. Auch mit<br />
dem «Berufsbild» verbundene Erwartungshaltungen<br />
und entsprechende Rollenverständnisse<br />
der Vorgesetzten sind<br />
Feedback-Pool<br />
(D)ein kleiner, aber wertvoller<br />
Beitrag für eine gute<br />
Weiter- und Fortbildung<br />
Um im Bereich der ärztlichen Weiter- und Fortbildung Meinungen<br />
unserer Mitglieder zu einem Thema einholen zu<br />
können, wurde der Feedback-Pool eingerichtet.<br />
Macht mit, und helft dem <strong>VSAO</strong> damit, den Horizont im Ressort<br />
Weiterbildung etwas zu erweitern und Überlegungen<br />
breiter abzustützen.<br />
Weitere Infos unter www.vsao.ch und Anmeldung per E-Mail<br />
an bertschi@vsao.ch.<br />
Deine Erfahrung zählt!<br />
Visitationen bilden ein Element für das Überprüfen und Sicherstellen<br />
der Weiterbildungsqualität an einer Weiterbildungsstätte.<br />
Ein Visitationsteam, bestehend aus Vertretern des<br />
SIWF, der entsprechenden Fachgesellschaft und des <strong>VSAO</strong>,<br />
besucht die Klinik; vor Ort können die Umsetzung des Weiterbildungskonzeptes<br />
und die Verhältnisse überprüft werden. Ziel<br />
ist es, im Sinne einer positiv-konstruktiven Rückmeldung<br />
mögliche Verbesserungspotenziale zu erkennen und zu nutzen.<br />
Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte, die gerne für den<br />
<strong>VSAO</strong> Visitationen begleiten möchten, melden sich bei Béa trice<br />
Bertschi, unserer Sachbearbeiterin für Weiterbildung/Visitationen<br />
im <strong>VSAO</strong> (bertschi@vsao.ch).<br />
16 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
WEITERBILDUNG / ARBEITSBEDINGUNGEN<br />
häufig Thema. Weitere Fragen betreffen<br />
Informationen zu familienfreundlichen<br />
Kliniken oder Spitälern. Diese kommen in<br />
erster Linie von Stellensuchenden, die sich<br />
auf dem Arbeitsmarkt orientieren und<br />
positionieren möchten. Verhandlungen<br />
und Gesprächsführung mit vorgesetzten<br />
Personen werden besprochen. Zum Beispiel,<br />
wenn eine Ärztin nach der Geburt<br />
des zweiten Kindes mit einem Teilzeitpensum<br />
weiterarbeiten möchte und Widerstände<br />
bei ihrem Vorgesetzten wahrnimmt.<br />
Immer wieder geht es um konkrete<br />
Konfliktsituationen mit Vorgesetzten<br />
oder in der Partnerschaft.<br />
Unterscheiden sich Ärztinnen<br />
und Ärzte von anderen Berufsgruppen?<br />
Wir beobachten eine grosse Identifikation<br />
mit der Tätigkeit und dem Beruf an sich,<br />
ausgeprägte Reflexionsfähigkeit und intellektuelle<br />
sowie emotionale Kompetenzen.<br />
Dazu gehören eine rasche Auffassungsgabe<br />
und die Fähigkeit, sich kurz zu fassen<br />
ohne Wesentliches auszulassen. Charakteristisch<br />
ist die grosse Bereitschaft, sehr viel<br />
zu leisten. Das Berufsbild ist ausgeprägt<br />
leistungsorientiert mit verhältnismässig<br />
wenig Rücksichtnahme auf eigene Grenzen<br />
bei sehr hoher Belastbarkeit.<br />
Sie holen Feedbacks ein.<br />
Wie sehen diese aus?<br />
Wer sich coachen lässt, befindet sich meistens<br />
in einer schwierigen Situation. Für<br />
Ratsuchende ist es einerseits wichtig, wieder<br />
Selbstvertrauen aufzubauen und ermutigt<br />
zu werden. Anderseits wird die<br />
Möglichkeit geschätzt, über die eigene<br />
Situation nachzudenken und diese durch<br />
eine Fachperson beurteilen zu lassen. Oft<br />
melden uns Betroffene, wie hilfreich es sei,<br />
mit gestärktem Rücken in ein Gespräch<br />
zu gehen und sich nicht einschüchtern zu<br />
lassen oder in übertriebene Dankbarkeit<br />
zu verfallen, wenn das Gegenüber auf die<br />
geäusserten Bedürfnisse eingehe.<br />
In den Feedbacks wird auch erwähnt, dass<br />
es nach den Coachings gelungen sei, Blockaden<br />
zu lösen und Prioritäten klarer zu<br />
setzen. So sind eigenständige Entscheidungen<br />
wieder möglich, und die freigewordene<br />
Energie kann in den Beruf und<br />
die Familie investiert werden. Viele Personen<br />
berichten, dass sie nach dem Coaching<br />
ihre Ressourcen und ihr Potenzial<br />
wieder erkannt hätten.<br />
Was muss auf Arbeitgeberseite<br />
geschehen, damit das Coaching<br />
überflüssig wird?<br />
Spitaldirektionen müssen grundsätzlich<br />
ein Verständnis für die Bedürfnisse der<br />
Mitarbeitenden im 21. Jahrhundert entwickeln.<br />
Nachhaltige und wiederkehrende<br />
Massnahmen zur Förderung einer familienfreundlichen<br />
Führungskultur im<br />
Unternehmen sind unerlässlich. Wichtig<br />
sind möglichst viele Involvierte, die sich<br />
für das Thema verantwortlich fühlen,<br />
idealerweise aus der Linie. Es ist unabdingbar,<br />
das Kaderpersonal zu schulen,<br />
zu unterstützen und in die Verantwortung<br />
zu nehmen. Ein spezifisches Controlling,<br />
welches die Auswirkungen von Massnahmen<br />
misst und aus dessen Erkenntnissen<br />
sich weitere Massnahmen ableiten lassen,<br />
ist hilfreich. Ferner müssen Strukturen<br />
und Abläufe überdacht werden. Auf der<br />
Suche nach tragfähigen Lösungen, z.B.<br />
bei der Dienstplanung, müssen die Betroffenen<br />
einbezogen werden. Schliesslich<br />
sollte das Berufsbild hinterfragt werden.<br />
Realistisch sind heute kompetente Teamplayer<br />
und nicht mehr omnipräsente und<br />
-potente «Halbgötter bzw. -göttinnen in<br />
Weiss».<br />
■<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
17
<strong>VSAO</strong><br />
SEKTION BERN<br />
Finanzierung<br />
Weiterbildung<br />
Zurzeit läuft das Vernehmlassungsverfahren<br />
zur Frage, ob der Kanton Bern der<br />
Interkantonalen Weiterbildungsfinanzierungsvereinbarung<br />
(was für ein Wort!)<br />
beitreten soll. Die WFV legt einen Mindestbeitrag<br />
von aktuell 15 000 Franken fest,<br />
mit dem sich die Standortkantone an den<br />
Kosten der Spitäler für die strukturierte<br />
Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten<br />
beteiligen sollen. Sie regelt zudem den<br />
Ausgleich des unterschiedlichen Kostenaufwands<br />
der Kantone.<br />
Der <strong>VSAO</strong> Bern befürwortet den Beitritt zur<br />
WFV, obwohl sie nicht mehr dem ursprünglichen<br />
Modell entspricht, das die<br />
Themengruppe «Finanzierung ärztliche<br />
Weiterbildung» des BAG, in der auch der<br />
<strong>VSAO</strong> mitgearbeitet hat, ausgearbeitet hat.<br />
Es fehlen nun sämtliche Qualitätsanforderungen<br />
für die Ausrichtung der Beiträge.<br />
Unter dem finanziellen Druck der<br />
geltenden Spitalfinanzierung ist aber<br />
nicht die Zahl der Weiterbildungsstellen<br />
gefährdet, sondern die Weiterbildungsleistungen<br />
der Spitäler. Für uns sind deshalb<br />
die Qualitätsanforderungen des ursprünglichen<br />
Modells zentral, damit nicht<br />
ein zusätzlicher Anreiz geschaffen wird,<br />
mehr Assistenzärzte einzustellen, als die<br />
Weiterbildungskapazität bzw. die Fallzahlen<br />
zulassen würden. Ausserdem sollte<br />
sichergestellt werden, dass die Gelder<br />
zweckgebunden verwendet werden. Unsere<br />
Stellungnahme mit den entsprechenden<br />
Anträgen finden Interessierte auf<br />
unserer Website (www.vsao-bern.ch).<br />
Auslagerung<br />
Psychiatrie<br />
Bekanntlich sollen die drei kantonalen<br />
psychiatrischen Kliniken UPD, PZM und<br />
SPJBB (Bellelay) per 1.1.2017 aus der kantonalen<br />
Verwaltung ausgegliedert werden.<br />
Das ist eine Monsteraufgabe, da zahlreiche<br />
Fragen wie Nutzung der Liegenschaften,<br />
Kapitalisierung, Pensionskasse, Personalrecht,<br />
IT usw. geklärt und gelöst<br />
werden müssen. Bereits entschieden wurde,<br />
dass sich die drei Kliniken dem bestehenden<br />
Spital-GAV (Gesamtarbeitsvertrag<br />
für das Personal bernischer Spitäler) anschliessen<br />
werden. Zurzeit verhandeln<br />
wir Personalverbände mit<br />
den Klinken und dem Kanton die<br />
Anschluss- und Übergangsbestimmungen.<br />
Gemäss GAV ist gewährleistet,<br />
dass allfällig günstigere Bedingungen<br />
im bisherigen Personalrecht während<br />
mindestens 12 Monaten weiter zur Anwendung<br />
kommen. 2017 gilt also je die für das<br />
Personal günstigere Lösung.<br />
Der Regierungsrat hat im August ausserdem<br />
bekannt gegeben, dass es im Zusammenhang<br />
mit der Verselbständigung der<br />
psychiatrischen Kliniken zu Einsparungen<br />
von 34 Millionen Franken kommen<br />
muss. Nur so könnten die drei Kliniken<br />
nach der Privatisierung nachhaltig ausgeglichene<br />
Rechnungen realisieren.<br />
Der <strong>VSAO</strong> Bern und die anderen<br />
betroffenen Personalverbände<br />
lehnen diese Sparübung, die vor<br />
allem auf dem Buckel des Personals<br />
erfolgen soll und die zudem<br />
die Versorgung gefährdet, ab.<br />
Nacht- und<br />
Wochenendzulagen<br />
UPD,<br />
PZM, SPJBB<br />
(Bellelay)<br />
Seit 1.1.<strong>2015</strong> müssen gemäss kantonalem<br />
Personalrecht, welches in den psychiatrischen<br />
Kliniken UPD, PZM und SPJBB gilt,<br />
die Nacht- und Wochenendzulagen von<br />
5 Franken pro Stunde bis und mit Gehaltsklasse<br />
23 bezahlt werden (vorher nur<br />
bis GK 18). Leider wird den Assistenzärztinnen<br />
und -ärzten diese Zulage mit der<br />
Begründung verweigert, für sie gelte – im<br />
Gegensatz zu den anderen Berufsgruppen<br />
– das Arbeitsgesetz. Diese Argumentation<br />
ist aus unserer Sicht unhaltbar:<br />
• Das Arbeitsgesetz regelt den Arbeitnehmerschutz<br />
und definiert deshalb nur<br />
Minimalstandards. Es ersetzt keinesfalls<br />
arbeitsvertragliche Regelungen<br />
oder Personalrecht.<br />
• Die «Verordnung über die Anstellung<br />
der Assistenzärztinnen und Assistenzärzte<br />
sowie der Oberärztinnen und<br />
Oberärzte an den kantonalen Psychiatrieinstitutionen»<br />
(AAOPV) hält fest,<br />
dass sich das Arbeitsverhältnis nach<br />
kantonalem Personalgesetz und Personalverordnung<br />
richtet, soweit die Verordnung<br />
nichts abweichend regelt.<br />
Zusätzlich gelten die Bestimmungen<br />
des ArG, angesichts der Formulierung<br />
«sind einzuhalten» aber eindeutig nur<br />
subsidiär, als Mindeststandard.<br />
• Bei der Erarbeitung der AAOPV gab es<br />
Nacht- und Wochenendzulagen nur bis<br />
Gehaltsklasse 18. Es bestand deshalb<br />
keine Veranlassung, diesen Punkt in<br />
der Spezialgesetzgebung zu regeln.<br />
• Im Moment wird die Frage vom Rechtsdienst<br />
der GEF geprüft. Sollte dies zu<br />
keiner befriedigenden Lösung führen,<br />
müsste ein Gericht entscheiden. Betroffene<br />
können sich bei uns melden.<br />
GAV 18<br />
Die Verhandlungen über einen neuen<br />
Spital-GAV (Gesamtarbeitsvertrag), der für<br />
alle öffentlichen Spitäler im Kanton Bern<br />
gelten soll, haben begonnen. Wir nehmen<br />
Wünsche und Anregungen unserer Mitglieder<br />
gerne entgegen. ■<br />
Rosmarie Glauser,<br />
Geschäftsführerin Sektion Bern<br />
Gut zu wissen<br />
Unsere Filmclips «Arbeitsplatz Spital»<br />
helfen bei vielen arbeitsrechtlichen<br />
Fragen weiter. Du findest sie auf unserer<br />
Website www.vsao-bern.ch auf der<br />
linken Seite. Auch unter der Rubrik<br />
«Gut zu wissen» gibt es nützliche Hinweise.<br />
18 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
<strong>VSAO</strong><br />
§<br />
Rechtsberatung<br />
Sandra P. Leemann, Juristin der Sektionen<br />
Aargau, Solothurn, St. Gallen/Appenzell, Thurgau<br />
und Zentralschweiz<br />
Ich bin Assistenzarzt an<br />
einem Kantonsspital und<br />
Vater von zwei Kindern im<br />
Kindergarten- bzw. Schulalter.<br />
Aufgrund dieser<br />
Familienpflichten bin ich<br />
darauf angewiesen, meinen<br />
Dienstplan möglichst frühzeitig<br />
zu kennen. Gibt es<br />
im Gesetz eine Regelung,<br />
wie viele Wochen im<br />
Voraus mein Arbeitgeber<br />
verpflichtet ist, den Dienstplan<br />
bekanntzugeben?<br />
Probleme bei der Dienstplanung und<br />
kurzfristige Änderungen der Dienstpläne<br />
sind ein allgemein verbreitetes Ärgernis.<br />
Grundsätzlich hält das Arbeitsgesetz fest,<br />
dass die Arbeitnehmenden möglichst<br />
frühzeitig, in der Regel zwei Wochen vor<br />
einem geplanten Einsatz, über den neuen<br />
Dienstplan zu informieren sind (Art. 69<br />
Abs. 1 ArGV 1 i.V.m. Art. 47 Abs. 1 ArG).<br />
Diese Frist darf ohne zwingenden Grund<br />
nicht verkürzt werden. Sie soll den Arbeitnehmenden<br />
die Planung ihrer Zeit in<br />
Abhängigkeit von Familie, Arbeit und<br />
Freizeit ermöglichen. Es gilt also: Je früher<br />
die Information erfolgt, desto besser.<br />
Das Gesetz geht aber noch weiter, so sind<br />
die Arbeitnehmenden bei der Planung und<br />
bei Änderungen des Dienstes stets beizuziehen<br />
(Art. 69 ArGV 1 i.V.m. Art. 48 ArG).<br />
Der Arbeitgeber ist zwar nicht verpflichtet,<br />
die Vorschläge seiner Arbeitnehmenden zu<br />
befolgen, es genügt aber nicht, dass er die<br />
Anliegen der betroffenen Arbeitnehmenden<br />
bloss zur Kenntnis nimmt, sondern er<br />
muss sich damit auch konkret auseinandersetzen<br />
und deren Ablehnung entsprechend<br />
begründen.<br />
Arbeitnehmende mit Familienpflichten<br />
werden im Gesetz speziell erwähnt. Der<br />
Arbeitgeber hat ihnen gegenüber eine besondere<br />
Verpflichtung bei der Festsetzung<br />
der Arbeits- und Ruhezeit (Art. 46 lit. d<br />
ArGV 1). Zu den Familienpflichten gehören<br />
die Erziehung und die Betreuung von<br />
minderjährigen Kindern bis zum vollendeten<br />
15. Altersjahr sowie die Betreuung<br />
von pflegebedürftigen Angehörigen oder<br />
anderen nahestehenden Personen. Laut<br />
Gesetz dürfen Arbeitnehmende mit Familienpflichten<br />
nur mit ihrem Einverständnis<br />
zur Leistung von Überzeitarbeit herangezogen<br />
werden. Sie haben somit das<br />
Recht, Überzeitarbeit abzulehnen. Kommt<br />
es nun kurzfristig aus betrieblicher Notwendigkeit<br />
(z.B. Unfälle, Krankheiten)<br />
zur Änderung des Dienstplanes, so dürfen<br />
Arbeitnehmende mit Familienpflichten<br />
nur beigezogen werden, wenn sie damit<br />
ausdrücklich einverstanden sind und für<br />
den Betrieb keine zumutbare Alternative<br />
besteht. Ausserdem ist ihnen auf Verlangen<br />
eine Mittagspause von wenigstens<br />
1½ Stunden zu gewähren.<br />
Kurzfristig darf der Dienstplan nur aus<br />
zwingenden Gründen geändert werden.<br />
Zwingende Gründe sind gegeben, wenn in<br />
dringenden Fällen Überzeitarbeit kurzfristig<br />
angeordnet werden muss (Art. 12<br />
ArG, 25 und 26 ArGV 1).<br />
Soweit die gesetzlichen Grundlagen. Leider<br />
sieht der Alltag oftmals anders aus.<br />
Folglich wurde das Thema auch von der<br />
Politik aufgegriffen: Im März dieses Jahres<br />
reichte Nationalrat Jacques-André<br />
Maire die Motion «Bekanntgabe der<br />
Arbeitszeiten. Verlängerung der Frist<br />
auf vier Wochen» ein. Leider fand er bei<br />
seinen Ratskollegen kein Gehör. Sie lehnten<br />
die Motion am 19.6.<strong>2015</strong> ab.<br />
Um den Missständen bei der Dienstplanung<br />
zu begegnen, stellt der <strong>VSAO</strong> den<br />
Spitälern bzw. den Zuständigen seit einiger<br />
Zeit verschiedene Instrumente<br />
(Dienstplanungsforum, Beratungen vor<br />
Ort) zu Verfügung. In Ihrem konkreten<br />
Fall empfehlen wir Ihnen, zunächst zu<br />
kontrollieren, ob die gesetzlich vorgeschriebenen<br />
Mindestvorschriften (zwei<br />
Wochen im Voraus, Einbezug der Angestellten,<br />
Rücksichtnahme auf Arbeitnehmende<br />
mit Familienpflichten) eingehalten<br />
werden. Sollte das nicht der Fall sein,<br />
wenden Sie sich an Ihren Dienstplaner<br />
bzw. Vorgesetzten oder an die <strong>VSAO</strong>-<br />
Rechtsberatung Ihrer Sektion. ■<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
19
<strong>VSAO</strong><br />
COACHING<br />
Arztberuf & Familie / Privatleben<br />
Telefonische Beratung:<br />
044 462 71 23 • info@und-online.ch<br />
Wie bringe ich Familie, Freizeit und Beruf unter einen Hut? Wie steige ich nach der Babypause wieder ein? Wie<br />
meistere ich die täglichen Herausforderungen? Antworten und Lösungsvorschläge auf diese und weitere Fragen<br />
bietet der <strong>VSAO</strong> seinen Mitgliedern im Rahmen eines kostenlosen Coachings an. Die Beratung erfolgt telefonisch<br />
durch die Fachstelle UND.<br />
Erfahren Sie mehr über dieses Beratungsangebot des <strong>VSAO</strong> auf unserer Website www2.vsao.ch unter der Rubrik<br />
Arztberuf & Familie / Privatleben.<br />
Kitaplatz gesucht – der <strong>VSAO</strong> hilft<br />
Wenn Sie einen Betreuungsplatz für Ihr Kind suchen, denken Sie daran: Seit 2011 unterstützt<br />
Ihr Verband Sie bei dieser zeitaufwendigen Aufgabe. Eine Anfrage mittels Online-Formular beim <strong>VSAO</strong> genügt und Sie<br />
erhalten Informationen zu verfügbaren Plätzen in Ihrer Wunschregion und die entsprechenden Kontaktdaten<br />
der Tagesstätten. Weitere wichtige Informationen und das Formular finden Sie unter der neuen Rubrik Arztberuf und Familie<br />
auf der <strong>VSAO</strong>-Homepage www.vsao.ch.<br />
20 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
<strong>VSAO</strong><br />
-INSIDE<br />
Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte<br />
Association suisse des médecins-assistant(e)s et chef(fe)s de clinique<br />
Associazione svizzera dei medici assistenti e capiclinica<br />
Dina-Maria Jakob<br />
Wohnort: Bern<br />
Im <strong>VSAO</strong> seit: 8.7.2009<br />
Im Geschäftsausschuss:<br />
seit April <strong>2015</strong><br />
Arbeitsort und Funktion im<br />
Spital: Assistenzärztin Kinderkardiologie,<br />
Inselspital Bern<br />
Der <strong>VSAO</strong> für Dich in drei Worten:<br />
engagiert, kritisch, spannend<br />
Im November 2014 präsentierte Dina-<br />
Maria am MEDIfuture-Kongress des <strong>VSAO</strong><br />
ihre Arbeit für Médecins sans Frontières<br />
(msf). Im anschliessenden Gespräch zeigte<br />
sich, dass sie auch an einer Mitarbeit im<br />
Geschäftsausschuss <strong>VSAO</strong> interessiert<br />
wäre. Nach einer «Schnupperlehre» wurde<br />
sie anlässlich der Frühlingsversammlung<br />
des Zentralvorstandes <strong>2015</strong> gewählt.<br />
Seither beteiligt sie sich intensiv und rege<br />
an den Diskussionen. Sie sei von Anfang<br />
an angehört und ernst genommen worden,<br />
was sie sehr schätze, sagt Dina-Maria<br />
zu ihrem Einstieg. Inhaltlich möchte sie<br />
sich vor allem für das Thema Vereinbarkeit<br />
Familie/Privatleben und Beruf sowie<br />
Weiterbildung engagieren: So fordert sie<br />
mehr Teilzeitstellen, um den drohenden<br />
Ärztemangel zu verringern. «Mittlerweile<br />
arbeiten mehr Frauen in der Medizin und<br />
auch nicht alle Männer wollen 100 Prozent<br />
oder mehr arbeiten.» Das führt aus<br />
der Sicht von Dina-Maria dazu, «dass zu<br />
viele leider aus unserem tollen Beruf aussteigen,<br />
weil die Arbeitsbedingungen teilweise<br />
immer noch unmenschlich sind».<br />
Mitunter sieht sie die Rolle des <strong>VSAO</strong> als<br />
Mittler und Vermittler zwischen verschiedenen<br />
Fachrichtungen und als Kontaktstelle<br />
zwischen verschiedenen Generationen<br />
von Ärzten und Ärztinnen. Diese<br />
Rolle selber aktiv mitzugestalten, ist ein<br />
weiterer Punkt, wieso sie sich als Geschäftsausschussmitglied<br />
engagieren will:<br />
«Der <strong>VSAO</strong> versucht Lösungen zu finden,<br />
auf bestehende Missstände aufmerksam<br />
zu machen, immer auf dem Laufenden<br />
zu sein und hinter die Kulissen zu blicken.<br />
Dies finde ich reizvoll und ich möchte<br />
meinerseits einen Beitrag dazu leisten.»<br />
Aktuell arbeitet Dina-Maria als Assistenzärztin<br />
im Inselspital Bern und steht in der<br />
Weiterbildung zur Kinderkardiologin. Ab<br />
Januar 2016 wird sie ihre Weiterbildung in<br />
der Kinderkardiologie am Kinderspital<br />
Zürich weiterführen. Nach einem Jahr als<br />
Assistenzärztin auf der Herz- und Gefässchirurgie<br />
im Inselspital folgten zwei Jahre<br />
im Kinderspital Bern und ein Jahr in<br />
der Pädiatrie in Fribourg. Nach der Facharztprüfung<br />
im Jahr 2013 war sie dann<br />
zweimal für Médecins sans Frontières im<br />
Einsatz. Daneben treibt sie sehr viel Sport:<br />
Laufen, Tennis spielen, Segeln und Skifahren.<br />
Als Ausgleich zum Beruf kocht sie<br />
sehr gerne, trinkt mit Vorliebe guten Wein<br />
und trifft sich mit Freunden. Zur Horizonterweiterung<br />
besucht sie Theatervorstellungen,<br />
Konzerte oder Ausstellungen. Bei<br />
all dem ist nicht verwunderlich, dass ihr<br />
Tag manchmal 25 Stunden hat. Seit ihrer<br />
Kindheit reist sie sehr gerne, wenn möglich<br />
auch etwas unkonventioneller, denn<br />
nur so lerne man andere Kulturen, Menschen<br />
und Bräuche wirklich kennen. Sich<br />
selber bezeichnet Dina-Maria als neugierigen<br />
und offenen Menschen. Kein Wunder<br />
also, dass sie einem weiteren Einsatz<br />
mit Médecins sans Frontières offen gegenübersteht.<br />
<br />
■<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
21
FOKUS ▶ SPIEL<br />
Spiel und blutiger Ernst<br />
Denkt die Verkäuferin nur an ihren Umsatz oder findet sie wirklich, dass mir das Kleid steht?<br />
Im Zentrum der Spieltheorie steht die strategische Interaktion. Dabei bedient sie sich<br />
mathematischer Modelle. Doch nicht nur gesellschaftliche Probleme lassen sich spieltheoretisch<br />
ergründen. In jüngerer Zeit macht vor allem die evolutionäre Spieltheorie von sich reden.<br />
Andreas Diekmann, Professor für Soziologie ETH Zürich<br />
Ein Arzt bringt sein Auto mit Motorschaden<br />
zur Reparaturwerkstätte. Nach einigen<br />
Tagen holt er das Auto wieder ab,<br />
wundert sich aber über die astronomisch<br />
hohe Rechnung. «Nun», sagt der Mechaniker,<br />
«es war nicht nur die Batterie. Wir<br />
mussten den Motor durchchecken lassen,<br />
der Anlasser war defekt und der Vergaser<br />
musste auch ausgetauscht werden –<br />
ganz zu schweigen von den Zylinderköpfen<br />
und der Hinterachse. Seien Sie froh,<br />
dass Sie rechtzeitig gekommen sind,<br />
sonst hätten Sie nach kurzer Zeit einen<br />
Totalschaden gehabt.» «Ach übrigens»,<br />
fährt der Mechaniker fort, «haben Sie<br />
nicht kürzlich meinen Bruder behandelt,<br />
zahlreiche Tests in Ihrem Labor gemacht,<br />
den Blinddarm entfernt und zu<br />
einer weiteren Operation geraten, obwohl<br />
er nur mit einer leichten Erkältung zu<br />
Ihnen gekommen ist?»<br />
Arzt und Mechaniker haben eines gemeinsam:<br />
Ihre Klienten sind mit einem<br />
doppelten Vertrauensproblem konfrontiert.<br />
Sie müssen zum einen in die Kompetenz<br />
vertrauen und sie müssen darüber<br />
hinaus vertrauen, dass sich ein Arzt oder<br />
Mechaniker im Konfliktfall zwischen der<br />
Mehrung seines Vermögens und dem<br />
Wohl des Klienten für Letzteres entscheidet.<br />
Das ist, trotz hippokratischem Eid,<br />
keineswegs selbstverständlich. Nicht selten<br />
sind gerade Privatpatienten gefährdet. In<br />
der Spieltheorie spricht man von einem<br />
Vertrauensspiel mit asymmetrischer Information.<br />
Denn weder der Patient noch<br />
der Werkstattkunde weiss, welche «therapeutischen»<br />
Massnahmen wirklich gerechtfertigt<br />
sind. Anders als beim Roulettespiel<br />
handelt es sich bei der Entscheidung<br />
für oder gegen die empfohlene<br />
Therapie um eine strategische Entscheidung,<br />
deren Ausgang vom Verhalten der<br />
Gegenpartei abhängt. Der Patient kann<br />
Vertrauen schenken oder entziehen, der<br />
Arzt kann ehrlich sein oder nur an seinen<br />
Geldbeutel denken. Beide treffen eine strategische<br />
Entscheidung; das Ergebnis<br />
hängt von der Kombination der Entscheidungen<br />
ab. Es handelt sich um strategische<br />
Interaktion, und genau damit befasst<br />
sich die Spieltheorie. Im Sinne der Spieltheorie<br />
ist Roulette dagegen kein Spiel.<br />
Wenn man 1000 Franken auf Rot setzt,<br />
kann man gewinnen oder verlieren, aber<br />
das Ergebnis hängt nicht von den Entscheidungen<br />
anderer Personen ab. Strategische<br />
Interaktion ist die Essenz der Spieltheorie.<br />
Zur Präzisierung und Lösung von<br />
Interaktionen stellt die Spieltheorie mathematische<br />
Modelle bereit; die Spieltheorie<br />
ist sozusagen die Mathematik sozialer<br />
Interaktionen.<br />
22 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
FOKUS ▶ SPIEL<br />
Auktionen als Spielplatz<br />
Da Menschen, Firmen, Organisationen<br />
und Staaten tagtäglich millionenfach<br />
miteinander interagieren ist die Spieltheorie<br />
auf zahlreiche soziale, politische und<br />
ökonomische Aktivitäten anwendbar. Typische<br />
Fälle sind Kartelle und Auktionen,<br />
die Übernahme von Firmen, die Dauer<br />
von Patentrechten oder die Analyse von<br />
Problemen der Ressourcenausbeutung<br />
(Allmendeprobleme), um nur einige Beispiele<br />
zu nennen.<br />
Spieltheorie kann auch dazu beitragen,<br />
neue Regeln oder Institutionen zu erfinden.<br />
Betrachten wir ein Beispiel aus der<br />
Auktionstheorie. Fluggesellschaften bieten<br />
neuerdings gegen Aufpreis ein «Upgrade»<br />
von «Holzklassensitzen» an. Die offenbar<br />
nicht gebuchten Komfortsitze mit Beinfreiheit<br />
werden im Internet verdeckt versteigert;<br />
den Zuschlag bekommt das<br />
höchste Gebot. Nehmen wir der Einfachheit<br />
halber an, es gehe nur um einen<br />
Komfortsitz. Dieser Komfort ist einem<br />
Passagier auf einem Langstreckenflug<br />
einen Zuschlag von 150 Fr. wert. Unser<br />
hypothetischer Passagier bietet aber nun<br />
nicht 150, sondern nur 120 Fr., weil er<br />
glaubt, es würde vermutlich niemand ein<br />
höheres Gebot abgeben und er könne eine<br />
Art Extragewinn einstreichen. Denn die<br />
Differenz zwischen seiner Zahlungsbereitschaft<br />
von 150 Fr. und seinem Gebot ist im<br />
Erfolgsfall ein Gewinn. Leider geht die<br />
Rechnung nicht auf, denn ein Konkurrent<br />
bietet 140 Fr. Bei einer verdeckt englischen<br />
Auktion, um die es sich hier handelt, ist<br />
ein Bieter immer versucht, seine Gebote<br />
«abzuschwächen» und nicht bis zu seiner<br />
wahren Präferenz zu bieten.<br />
Der Ökonom und Spieltheoretiker William<br />
Vickrey (1914–1996) hat einen ebenso<br />
einfachen wie genialen Vorschlag gemacht,<br />
der rationale Spieler geradezu zu<br />
Geboten zwingt, die der wahren Präferenz<br />
entsprechen. Bei der Vickrey-Auktion oder<br />
auch Zweitpreisauktion bekommt zwar<br />
wieder das höchste Gebot den Zuschlag,<br />
aber der Bieter muss nur den Preis des<br />
zweithöchsten Gebots zahlen. Unser Passagier<br />
bietet nun 150 Fr., bekommt den<br />
Komfortsitz, zahlt dafür 140 Fr. und hat<br />
quasi 10 Fr. gewonnen. Man kann nun<br />
zeigen, dass im Unterschied zu anderen<br />
Auktionsverfahren bei der Zweitpreisauktion<br />
ein rationaler Bieter immer Gebote<br />
abgibt, die exakt seiner wahren Präferenz<br />
entsprechen. Deshalb hat man die Vickrey-Auktion<br />
auch als «Wahrheitsserum»<br />
bezeichnet. Man kann nämlich nachweisen,<br />
dass unabhängig von den Geboten<br />
anderer Spieler die Strategie, entsprechend<br />
der Präferenz zu bieten, immer besser<br />
oder mindestens gleich gut ist wie jede<br />
andere Bieterstrategie. Liegt das höchste<br />
Gebot über der eigenen Präferenz von<br />
150 Fr., dann hat man weder gewonnen<br />
noch verloren, denn mehr als 150 Fr. war<br />
die Bequemlichkeit nicht wert. Liegt aber<br />
das zweithöchste Gebot unter 150 Fr., gewinnt<br />
unser Flugpassagier immer die<br />
Differenz zwischen seinem und dem<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
23
FOKUS ▶ SPIEL<br />
zweithöchsten Gebot und kann es sich auf<br />
dem Flug bequem machen. Das Gleiche<br />
gilt natürlich auch für verdeckte Auktionen<br />
von Immobilien, die aber aller Auktionstheorie<br />
zum Trotz meist als Erstpreisauktion<br />
durchgeführt werden. Übrigens<br />
hat schon Goethe diese Idee gehabt und<br />
sein Manuskript «Hermann und Dorothea»<br />
per Zweitpreisauktion an seinen<br />
Verleger versteigert. Spieltheoretisch betrachtet<br />
ist die Strategie «biete gemäss<br />
deiner Präferenz» eine (schwach) dominante<br />
Strategie. Sie ist immer besser oder<br />
mindesten gleich gut wie jede andere<br />
Strategie, ganz gleich wie sich die Gegenspieler<br />
verhalten.<br />
Nash-Gleichgewicht<br />
Wählen alle Spieler eine dominante Strategie,<br />
dann erhält man ein Nash-Gleichgewicht,<br />
das ist ein zentraler Begriff der Spieltheorie.<br />
In einem Nash-Gleichgewicht hat<br />
kein Spieler einen Anreiz, seine Strategie<br />
einseitig zu ändern, sofern die anderen<br />
Spieler bei ihrer Strategie bleiben. Die wechselseitige<br />
Wahl von Geboten entsprechend<br />
der wahren Präferenz ist bei der Zweitpreisauktion<br />
ein Nash-Gleichgewicht.<br />
John Nash (1928–<strong>2015</strong>) hat nicht nur das<br />
nach ihm benannte Gleichgewicht definiert,<br />
sondern in einer berühmten Arbeit<br />
auch bewiesen, dass für jedes Spiel mit<br />
endlicher Anzahl von Strategien mindestens<br />
ein Nash-Gleichgewicht existiert.<br />
Zusammen mit John Harsanyi und Reinhard<br />
Selten hat Nash für seine mathematisch-spieltheoretischen<br />
Arbeiten 1994 den<br />
Nobelpreis erhalten. Leider gibt es einen<br />
Haken, denn sein Vorschlag liefert nicht<br />
immer eine eindeutige Lösung für einen<br />
rationalen Entscheider.<br />
Wenn Ihnen ein Auto auf der rechten Seite<br />
entgegenkommt, sind Sie gut beraten,<br />
ebenfalls rechts zu fahren. Die Strategienkombination<br />
rechts/rechts ist ein Nash-<br />
Gleichgewicht. Dasselbe gilt aber auch für<br />
die britische Verkehrsregel des Linksfahrgebots.<br />
Auf der Insel wird man im Eigeninteresse<br />
links, auf dem Kontinent rechts<br />
fahren. Hat das «Spiel» Links- oder<br />
Rechtsfahren eine dominante Strategie?<br />
Natürlich nicht, denn ob «links» oder<br />
«rechts» besser ist, hängt von der gewählten<br />
Strategie des Mitspielers ab. Das Koordinationsspiel<br />
mit den Optionen links und<br />
rechts hat zwei Nash-Gleichgewichte. Man<br />
sieht, dass Spiele mehrere Gleichgewichte<br />
haben können. So attraktiv der Begriff des<br />
Nash-Gleichgewichts auch ist, so stellt sich<br />
doch das Problem, dass damit nicht immer<br />
eine eindeutige Lösung eines interaktiven<br />
Entscheidungsproblems gegeben ist.<br />
Man benötigt also weitere Kriterien, um<br />
die Menge der Nash-Gleichgewichte einzuschränken.<br />
Soziale Paradoxe<br />
Mit dem Nash-Gleichgewicht verbindet<br />
sich noch ein weiteres Problem, das oft als<br />
Paradox bezeichnet wurde. Nehmen wir<br />
an, Diamantendiebe beabsichtigen ein<br />
illegales Geschäft mit einem Hehler. Sie<br />
vereinbaren, um Mitternacht im Park einen<br />
Beutel mit Diamanten auf einer Parkbank<br />
zu deponieren. Der Hehler soll seinerseits<br />
dort eine Tasche mit einer Million<br />
Franken abstellen. Beide profitieren von<br />
dem Geschäft. Werden sie kooperieren?<br />
Die Gauner überlegen sich, den Beutel mit<br />
Kieselsteinen zu füllen; der Hehler wiederum<br />
könnte die Tasche mit Papierschnitzeln<br />
füllen. Man kann sich überlegen,<br />
dass die Strategien «Kieselsteine» und<br />
«Papierschnitzel» dominant sind und ein<br />
Nash-Gleichgewicht ergeben, das in diesem<br />
Spiel sogar eindeutig ist. Zwei individuell<br />
rationale Spieler werden sich gegenseitig<br />
betrügen, obwohl sie beide durch<br />
wechselseitige Kooperation gewinnen<br />
könnten. Das ist die paradoxe Logik des<br />
Gefangenendilemmas und anderer Arten<br />
sozialer Fallen, die wir bei vielen ökonomischen<br />
und politischen Problemen in<br />
unserer Gesellschaft beobachten können.<br />
Dazu zählen Probleme wie die Überfischung<br />
in den Weltmeeren, die Abholzung<br />
von Regenwäldern und besonders<br />
das Problem der weltweiten Emissionen<br />
von Treibhausgasen. Diese Probleme lassen<br />
sich als «N-Personen-Spiele» beschreiben<br />
und sind Varianten sozialer<br />
Dilemmas. Denn was der Einzelne rational<br />
und eigeninteressiert anstrebt, muss<br />
nicht zwangsläufig das öffentliche Wohl<br />
befördern. Leider trifft es nicht immer zu,<br />
dass Adam Smith‘ «unsichtbare Hand»<br />
Eigeninteresse und Gemeinwohl zur<br />
Übereinstimmung bringt. Oft handeln die<br />
einzelnen Akteure rational, das Ergebnis,<br />
das unter dem Strich herauskommt,<br />
kann sich aber als höchst irrational erweisen<br />
und zum Schaden aller führen.<br />
Die Spieltheorie analysiert solche «sozialen<br />
Dilemmas» und kann Lösungswege<br />
aufzeigen, die zu kollektiv besseren Lösungen<br />
führen.<br />
Evolutionäre Spieltheorie<br />
Spieltheorie wird heute nicht nur auf die<br />
Probleme rationaler und vorausschauender<br />
Entscheider angewandt. Auch evolutionäre<br />
Dynamik kann zu einem Nash-<br />
Gleichgewicht führen, sofern weitere Bedingungen<br />
erfüllt sind. Der Durchbruch<br />
in der Theorie kam mit der Idee des evolutionär<br />
stabilen Gleichgewichts (ESS) von<br />
Maynard-Smith und Price. Der evolutionären<br />
Spieltheorie kommt damit eine<br />
bedeutende Rolle in der Verhaltensbiologie<br />
und neuerdings sogar in der Medizin zu.<br />
So lässt sich die Interaktion von zwei verschiedenen<br />
Zelltypen mit invasiven Tumorzellen<br />
mit spieltheoretischen Methoden<br />
analysieren, wie eine Forschungsgruppe<br />
der TU Dresden und der Universitätsklinik<br />
Bonn demonstrieren konnte<br />
(Basanta et al., 2008, Cell Proliferation).<br />
Eine zentrale Rolle spielen dabei die «Motilitätskosten»<br />
der invasiven Zellen sowie<br />
Zellen, die die Energieversorgung auf anaerobe<br />
Glykolyse umstellen. Werden gewisse<br />
Schwellenwerte überschritten, die<br />
sich mit den Gleichungen der evolutionären<br />
Spieltheorie berechnen lassen, wird<br />
das zunächst stabile Gleichgewicht gestört<br />
und es kommt zum Wachstum invasiver<br />
Tumorzellen.<br />
Die Spieltheorie hat sich in den vergangenen<br />
Jahren rasant entwickelt. John von<br />
Neumann, ein Pionier der Spieltheorie,<br />
hatte diese Anwendungen wohl kaum vor<br />
Augen, als er die Theorie der Nullsummenspiele<br />
in den zwanziger Jahren des<br />
vergangenen Jahrhunderts entwickelt<br />
hatte.<br />
Mit der oben erwähnten Vickrey-Auktion<br />
haben wir eine Institution kennen gelernt,<br />
mit der sich Bieterverfahren verbessern<br />
lassen. Die Versteigerung von Telefonfrequenzen<br />
in England erfolgte unter<br />
Beratung von Spieltheoretikern. Der britische<br />
Staat erzielte unerwartet Rekordeinnahmen<br />
von 22,5 Milliarden Pfund<br />
Sterling. Die Eidgenossenschaft dagegen<br />
verzichtete auf gute Ratschläge und wurde<br />
prompt mit einem mageren Erlös von<br />
205 Mio. Fr. bestraft. Spieltheorie kann<br />
sich also auch für den Steuerzahler<br />
durchaus lohnen! <br />
■<br />
Wenn Sie mehr über Spieltheorie wissen<br />
möchten: A. Diekmann, Spieltheorie. Einführung,<br />
Beispiele, Methoden. 3. Aufl.<br />
2013: Rowohlt Taschenbuch.<br />
24 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
FOKUS ▶ SPIEL<br />
Mehr als ein Kinderspiel<br />
Kinder bereiten sich spielerisch auf die Zukunft vor. Im Rollenspiel erschaffen und erleben<br />
sie alltägliche Situationen, aber mit einem Perspektivwechsel. Beim Bauen schulen sie neben den<br />
motorischen Fähigkeiten auch räumliches Denken oder das Kategorisieren von Materialien.<br />
Geschlechtsspezifische Präferenzen können durch Ausgestalten der Spielräume ein Stück weit<br />
ausgeglichen werden.<br />
Carine Burkhardt Bossi, dipl. Psych. FH/SBAP<br />
Das Kinderspiel wird in der Gesellschaft<br />
meist als Zeitvertreib und somit als Gegensatz<br />
zur Schule und dem Lernen gesehen.<br />
Dabei zeigen diverse Studien (z.B. Einsiedler,<br />
1999; Hughes, 2010) den Einfluss des<br />
Spiels auf die kindliche Entwicklung auf.<br />
Das kindliche Spiel ist sehr bunt und benötigt<br />
unterschiedliche Kompetenzen.<br />
Diese Vielfalt des Phänomens Spiel ist für<br />
die Forschung eine Herausforderung und<br />
bis heute gibt es keine klare Definition. Im<br />
Artikel werden die zwei Spielformen –<br />
Rollenspiel und Konstruktionsspiel – mit<br />
den jeweiligen Kompetenzbereichen und<br />
dem Geschlecht in Verbindung gebracht.<br />
Wie die Grossen<br />
Rollenspiele beinhalten gemeinsame<br />
Spielhandlungen mit Spielpartnern und<br />
Spielpartnerinnen. Die Spielhandlungen<br />
müssen mit den Partnern abgestimmt<br />
und koordiniert werden. Es werden meist<br />
Szenen aus dem Alltag gespielt, wie beispielsweise<br />
Mutter und Kind beim Einkaufen.<br />
Die spielenden Kinder tauschen sich<br />
dabei über die Bedeutung der Gegenstände<br />
aus und müssen sich bezüglich Rollenverteilung<br />
und Regeln einigen. Dies bedingt<br />
sprachliche und sozioemotionale<br />
Kompetenzen und trainiert die Meta-<br />
Kommunikation. Die Rollen- und Perspektivenübernahme<br />
hat auch einen positiven<br />
Einfluss auf die Entwicklung empathischer<br />
Fähigkeiten (Fisher et al., 2010).<br />
Nach Ogawa & Takahashi (2012) besteht<br />
gar ein Zusammenhang zwischen Rollenspielen<br />
und der Entwicklung sozialer Kognition.<br />
Im Rollenspiel regulieren die<br />
Kinder ihre Emotionen und müssen lernen,<br />
diese angemessen zu verbalisieren.<br />
Ferner integrieren sie imaginäre Inhalte<br />
und verfolgen eigene Ziele und Pläne, was<br />
eine kognitive Leistung darstellt. Somit<br />
kann zusammenfassend festgehalten werden,<br />
dass das Rollenspiel von grosser Bedeutung<br />
für die sprachliche und kognitive<br />
Entwicklung sowie insbesondere auch für<br />
die sozioemotionale Entwicklung ist.<br />
Burgen und Türme<br />
Konstruktionsspiele ermöglichen die Beschäftigung<br />
mit Material im vertikalen<br />
und horizontalen sowie später im dreidimensionalen<br />
Bauen. Dieses Bauen kann<br />
alleine oder mit Spielpartnern stattfinden<br />
und trainiert das räumliche Denken und<br />
könnte dadurch einen positiven Einfluss<br />
auf mathematische Leistungen haben<br />
(Einsiedler, 1999; Hughes, 2010). Ferner<br />
wird beim Bauen oft das Material sortiert<br />
und klassifiziert, was grundlegende Fähigkeiten<br />
schult.<br />
Wer sich das Spielverhalten im Kindergarten<br />
anschaut, wird schnell feststellen,<br />
dass oft gleichgeschlechtliche Spielpartner<br />
zusammen spielen und es geschlechtstypische<br />
Materialien und Spielorte gibt<br />
(Hughes, 2010). Buben sind eher in der<br />
Bauecke vertieft und Mädchen spielen<br />
häufiger in der Familienecke oder malen<br />
(Einsiedler, 1999). Pellegrini & Bjorklund<br />
(2004) stellen fest, dass Mädchen häufiger<br />
und länger im Rollenspiel verweilen und<br />
komplexere Spielthemen entwickeln. Dadurch,<br />
dass Buben vermehrt Konstruktionsspiele<br />
und Mädchen eher Rollenspiele<br />
wählen, werden räumliche, mathematische<br />
Aufgaben vermehrt von Buben und<br />
sprachliche und sozioemotionale Bereiche<br />
eher im Spiel der Mädchen geübt (Hughes,<br />
2010). Da das Spielverhalten der Kinder in<br />
Wechselbeziehung mit ihrer sozialen und<br />
räumlichen sowie materiellen Umwelt<br />
steht, sollte versucht werden, die sozialen<br />
Interaktionen zwischen den Geschlechtern<br />
durch bewusst gestaltete Settings zu<br />
ermöglichen. In der explorativen Studie<br />
von Mayer, Bernhard und Peters (2013)<br />
wurden die Auswirkungen von Spielumwelten<br />
auf das Spielverhalten der Ge-<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
25
FOKUS ▶ SPIEL<br />
schlechter und deren Entwicklung untersucht.<br />
Die typischen Spielbereiche wurden<br />
geschlechtsneutraler umgestaltet und<br />
zusammengelegt. Nach der Raumumgestaltung<br />
wurde signifikant mehr gemeinsam<br />
gespielt und die Geschlechterunterschiede<br />
waren kaum mehr zu beobachten.<br />
Die Buben verbesserten ihre sozioemotionalen<br />
Kompetenzen und die Mädchen ihr<br />
räumliches Denken (ebd., 2013).<br />
In der nachfolgenden Tabelle werden die<br />
unterschiedlichen Spielformen und ihre<br />
Auswirkungen dargestellt.<br />
Zeigen Kinder im Spielverhalten Vermeidungstendenzen,<br />
stellt sich die Frage,<br />
woran dies liegen könnte. In der Tabelle<br />
mit den Spielformen und deren Auswirkungen<br />
wird sichtbar, dass es durch<br />
Vermeidungstendenzen aufgrund von<br />
Schwierigkeiten, z.B. in der emotionalen<br />
Wahrnehmung, zu mangelnden Sozialund<br />
Sprachkompetenzerfahrungen kommen<br />
dürfte. Dies wiederum könnte zur<br />
verstärkten Isolation führen. Deshalb<br />
sollten Kinder im Spiel Erfahrungsräume<br />
bekommen, die es ihnen ermöglichen,<br />
mit anderen Kindern zu interagieren. Viele<br />
Kinder mögen Routinen und Rituale im<br />
Kinder(garten)alltag, welche ihnen Sicherheit<br />
geben, um Neues entdecken oder<br />
auf andere zugehen zu können. ■<br />
Literatur<br />
Einsiedler, W. (1999). Das Spiel der Kinder. Bad<br />
Heilbrunn: Klinkhardt, 3. Auflage.<br />
Hughes, F. (2010). Children, Play, and Development.<br />
SAGE Publications.<br />
Ogawa, M. & Takahashi, N. (2012). The developmental<br />
relationship between role play, pretend<br />
play, and theory of mind in young<br />
children. Japanese Journal of Developmental<br />
Psychology, 23 (1), 85–94.<br />
Fisher, K.; Hirsh-Pasek, K.; Golinkoff, R.; Singer,<br />
D. & Berk, L. (2010). Playing Around in<br />
School: Implications for Learning and Educational<br />
Policy. The Oxford Handbook of<br />
the Development of Play, 341–353.<br />
Mayer, M.; Bernhard C. und Peters, A. (2013).<br />
Spielumwelten im Kindergarten: Auswirkungen<br />
auf Geschlechterunterschiede in<br />
Spielverhalten und Kompetenzentwicklung.<br />
Frühe Bildung, 2 (4), 185–195.<br />
Stamm, M. (2014). Frühförderung als Kinderspiel.<br />
Ein Plädoyer für das Recht der Kinder<br />
auf das freie Spiel. Dossier 14/5. Online:<br />
http://www.netzwerk-kinderbetreuung.<br />
ch/files/KWPYLNA/stamm_2014_<br />
dossier_spiel.pdf (abgefragt am 08.06.15).<br />
Pellegrini, A. P. & Bjorklund, D. F. (2004). The<br />
ontogeny and phylogeny of children’s object<br />
and fantasy play. Human Nature, 15 (1),<br />
23–43.<br />
Spielformen Auswirkung von häufigem Spielen Auswirkung von seltenem (fehlendem) Spielen<br />
Bewegungsspiele – Training körperlicher Funktionen (Kraft, Ausdauer,<br />
Geschicklichkeit etc.)<br />
– Aggressionskontrolle und Beziehungsaufbau<br />
(z.B. beim Herumbalgen)<br />
– Motorische Ungeschicklichkeit<br />
– Tendenz zu Übergewicht<br />
– Isolation, Ängste<br />
Funktionsspiele<br />
Konstruktionsspiele<br />
Rollenspiele<br />
– Phänomene erfassen<br />
– Sensomotorische und taktile Erfahrungen<br />
– Technischer, künstlerischer und handwerklicher<br />
Kompetenzerwerb<br />
– Mengen erfassen und kategorisieren<br />
– Räumliche Beziehungen erfassen<br />
– Handlungsabläufe planen<br />
– Sprachlicher und sozialer Kompetenzerwerb<br />
(auch emotionale Intelligenz)<br />
– Gefühlskontrolle<br />
Tabelle 1: Spielformen und ihre Auswirkungen (adaptiert nach Stamm, 2014)<br />
– Wenige bis keine Experimentiererfahrungen<br />
– Wenige motorische, taktile Erfahrungen u.a. in<br />
der Aug-Hand-Koordination<br />
– Mangelhafte feinmotorische Fähigkeiten<br />
– Fehlende Erfahrungen im Sortieren<br />
– Mangelhafte Sprach- und Sozialkompetenzen bis<br />
hin zu Einsamkeit oder Isolation<br />
26 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
FOKUS ▶ SPIEL<br />
Batman Arkham Knight © Warner Bros. Interactive<br />
Das ist ja wie im Film ...<br />
Moderne Computerspiele haben mit ihren Vorfahren Pac-Man oder Space Invaders etwa<br />
so viel gemeinsam wie ein TGV mit einem Trottinett. Kein Wunder, dass Games wenigstens<br />
kommerziell die Spielfilme bereits hinter sich gelassen haben. Aber selbst wenn die<br />
Grenzen zwischen Film und Videogame verschwimmen, wird doch jedes Medium weiterhin<br />
für sich bestehen.<br />
Marc Bodmer, Cyberculturist und Journalist BR<br />
Aus der nasskalten Dunkelheit löst sich ein<br />
Schatten. Lautlos stürzt er in die Tiefe. Die<br />
versammelten Schurken merken erst zu<br />
spät, was ihnen widerfährt. Grau-schwarz<br />
wirft sich Batman ihnen entgegen, duckt<br />
unter Schwingern und Schüssen weg und<br />
teilt Haken aus. Es ist ein fliessendes Ballett<br />
von Kicks und Schlägen. Wenn ich<br />
rechtzeitig reagiere und die korrekten<br />
Tasten drücke, denn ich bin Batman.<br />
«Das ist ja wie im Film ...» entfährt es manchem<br />
Laien, der einen Blick auf «Batman:<br />
Arkham Knight» erhascht, dem finalen<br />
Kapitel der preisgekrönten Arkham-Videospiele-Serie.<br />
Die fortschreitende Digitalisierung<br />
bringt es mit sich, dass Hollywood<br />
und die Game-Industrie sich immer näherkommen.<br />
Vor rund dreissig Jahren betrachteten<br />
die Filmemacher die interaktiven<br />
Emporkömmlinge mit einer Mischung aus<br />
Argwohn und Belustigung. Sie wollten die<br />
pixeligen Figuren wie Super Mario und<br />
Pac-Man, die über den Bildschirm ruckelten,<br />
nicht wirklich ernst nehmen. Das wäre<br />
aber gescheiter gewesen, denn inzwischen<br />
übertrumpft der kleine Bruder von damals<br />
den alten, zumindest was Umsatz und<br />
wachsende Beliebtheit anbelangt: 91 Milliarden<br />
Dollar wird die Game-Industrie gemäss<br />
den Marktforschern von Newzoo <strong>2015</strong><br />
umsetzen. Zum Vergleich: Die gesamte<br />
amerikanische Spielfilmindustrie wird sich<br />
– Kinokasseneinnahmen, Filmverkäufe,<br />
TV-Auswertungen etc. eingerechnet – mit<br />
62 Milliarden Dollar Umsatz zufrieden<br />
geben müssen.<br />
Gemeinsame Bildsprache<br />
Besonders wenn es um Computer Generated<br />
Images CGI, um vom Computer erstellte<br />
Grafiken und Bilder, geht in Animationsfilmen,<br />
aber auch in Action- und<br />
Fantasy-Streifen, dann bekommt man<br />
den Eindruck, dass sich die Medien Film<br />
und Videospiel vereinen. Tatsächlich<br />
kommen in gewissen Bereichen ähnliche<br />
Technologien zur Anwendung. Im Animationsfilm<br />
werden dank der verbesserten<br />
Rechenleistungen vermehrt Echtzeitwerkzeuge<br />
eingesetzt. In Computerspielen<br />
wird verstärkt auf eine cineastische Bildsprache<br />
gesetzt. Nicht zuletzt deshalb sind<br />
immer öfter Kameraleute aus Hollywood<br />
beratend in Game-Studios zugegen.<br />
Doch während beim Spielfilm einzig die<br />
Vision des Regisseurs umgesetzt werden<br />
muss und diese dann in bestmöglicher<br />
Qualität während Monaten von Hochleistungscomputern<br />
errechnet wird, sind bei<br />
einem Videospiel die Perspektiven der<br />
grafischen Darstellung abhängig vom<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
27
FOKUS ▶ SPIEL<br />
Spieler. Es reicht also nicht, dass eine Figur<br />
von einer Seite toll aussieht in einem<br />
Game. Sie muss rundum ausgearbeitet<br />
sein und in Echtzeit dargestellt werden<br />
können, schlüpft doch der Spielende gewissermassen<br />
in die Rolle des Regisseurs<br />
und führt den Avatar nach seinem Gutdünken<br />
durch die virtuelle Umgebung.<br />
Unterschiedliche Nutzung<br />
Es ist auch dieser Umstand, der die Befürchtungen<br />
mancher Kinofans ins Leere<br />
laufen lässt, dass Videospiele einst den<br />
Film verdrängen werden. So wenig wie die<br />
Birne den Apfel vom Markt gejagt hat, so<br />
unwahrscheinlich ist es, dass Games den<br />
Kinomarkt kannibalisieren werden. Seit<br />
wir ums Lagerfeuer hocken, lieben wir es,<br />
Geschichten zu erzählen und vor allem<br />
erzählt zu bekommen. Das macht Hollywood<br />
immer noch besser als die Game-<br />
Industrie, auch wenn Letztere in den<br />
vergangenen Jahren grosse Fortschritte<br />
gemacht hat. Film ist ein klassisch narratives<br />
Medium und eignet sich perfekt, um<br />
einen Spannungsbogen aufzubauen. Aber<br />
er gibt ein Diktat vor, dem die Konsumenten<br />
zu folgen haben. Letztere haben keinen<br />
Entscheidungs- oder Handlungsspielraum,<br />
sind nicht frei, rechts oder links zu<br />
gehen, sondern müssen einfach Folge<br />
leisten. Dieser Umstand qualifiziert Film<br />
als so genanntes «lean back»-Medium,<br />
das eben entspannt im Sessel hängend<br />
genossen werden kann, während Games<br />
als «lean forward»-Medium eine Partizipation<br />
– nicht selten in angespannter<br />
Körperhaltung – erfordern. Ohne das<br />
Zutun des Spielenden geschieht nichts im<br />
Computergame und längst nicht alle mögen<br />
in der feierabendlichen Entspannung<br />
selber Hand anlegen.<br />
Batman Arkham Knight © Warner Bros. Interactive<br />
Passendes Medium finden<br />
Nichtsdestotrotz ist der Traum vom interaktiven<br />
Film lebendiger denn je. So wurde<br />
am diesjährigen Call for Projects: Swiss<br />
Games der Schweizer Kulturstiftung Pro<br />
Helvetia das innovative Projekt «CtrlMovie»<br />
eingereicht, das mit richtigen Schauspielern<br />
einen Krimi präsentiert, dessen<br />
Verlauf der Geschichte durch die Entscheidungen<br />
des Nutzers bestimmt wird. Während<br />
frühere Versuche zu unbefriedigenden<br />
Resultaten führten, verfügt «CtrlMovie»<br />
dank der heutigen Technologie und<br />
Halo 5 Guardians © Microsoft Studios<br />
28 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
FOKUS ▶ SPIEL<br />
raffinierteren Erzählweise über ein grosses<br />
Potenzial.<br />
Doch den Atem anzuhalten, bis die grosse<br />
Welle von interaktiven Filmen heranrollt,<br />
ist keine gute Idee. So verlockend die Vorstellung,<br />
einen eigenen Film mitzugestalten,<br />
so angenehm ist es, einfach nichts zu<br />
tun. Auf Letzteres setzt dank ihres gewachsenen<br />
Einflusses die Game-Industrie.<br />
Prominente Verlage wie Ubisoft, Electronic<br />
Arts und Microsoft bringen ihre<br />
Bestseller wie «Assassin‘s Creed», «Need<br />
for Speed» oder «Halo» auf die Leinwand<br />
oder packen sie in TV-Serien. Dabei geht<br />
es nicht einfach um eine filmische Inszenierung<br />
eines Spielinhalts, sondern um<br />
ergänzende Elemente, die zum gesamten<br />
Storyverse gehören. So schlägt beispielsweise<br />
die von «Gladiator»-Regisseur Ridley<br />
Scott produzierte TV-Serie «Halo:<br />
Nightfall» eine narrative Brücke zwischen<br />
Teil 4 und 5 der Spielserie und trägt so<br />
zum Gesamterlebnis des Halo-Epos bei.<br />
Der oben geschilderte Ansatz wird unter<br />
dem Begriff «Transmedia» zusammengefasst,<br />
wo die verschiedenen medialen Inhalte<br />
wie Puzzlestücke eines grossen<br />
Ganzen ineinandergreifen, aber für sich<br />
alleine bestehen und genossen werden<br />
können. Ob Buch, Film, Game oder Comic,<br />
die darin erzählten Geschichten gehören<br />
zu einem Storyverse, einem narrativen<br />
Universum, dessen Grenzen immer<br />
fliessender werden. Doch der mediale<br />
Unterhaltungskanon und seine Ausdrucksformen<br />
bleiben bestehen. Entscheidend<br />
ist, für den jeweiligen Inhalt das am<br />
besten passende Medium zu finden. Steht<br />
die Geschichte und die hintergründige<br />
Ausgestaltung der Figuren im Vordergrund,<br />
so gewinnt das Buch die Wahl.<br />
Während der Spielfilm als audio-visuelles<br />
Erzählmedium besticht. Doch bei (Inter-)<br />
Action haben Games klar die Nase vorn.<br />
Sie machen die Geschichte zum Erlebnis<br />
und den Spielenden zum Helden, zum<br />
Superhelden, zu Batman. ■<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
29
FOKUS ▶ SPIEL<br />
Spiel und Therapie zugleich<br />
Kreatives Schaffen in all seinen Formen gehört seit längerem zum Bestand therapeutischer<br />
Massnahmen. Dass die Resultate einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden, ist<br />
hingegen nicht alltäglich. In Basel setzten Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung<br />
gemeinsam mit professionellen Schauspielern ein spezielles Theaterprojekt um.<br />
Fidelio Lippuner, Musiker und Theaterschaffender<br />
Prolog<br />
«ELFe (11e – ein Schreibprozess)» war ein<br />
Theaterprojekt zum Thema psychische<br />
Beeinträchtigung. Die Uraufführung fand<br />
am 20. November 2013 im Foyer des<br />
Schauspielhauses Basel statt. Mitwirkende<br />
waren Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen,<br />
welche in einem Angebot<br />
des Vereins Mobile Basel wohnen, sowie<br />
professionelle Schauspielerinnen und<br />
Schauspieler und Tänzer des Theaters<br />
Basel. Die Teilnehmenden konfrontierten<br />
sich und das Publikum mit den gesellschaftlichen<br />
Normen und Werten, indem<br />
sie fragten: «Was ist ‹normal›? Was ist<br />
‹anormal›»?<br />
Unter agogischer und künstlerischer Begleitung<br />
wurde im Rahmen von Workshops,<br />
Proben und schliesslich der Theateraufführung<br />
an dem Thema Umgang<br />
mit psychischen Beeinträchtigungen gearbeitet.<br />
Es entstand ein spannendes und<br />
spartenübergreifendes Projekt für Profis<br />
und Amateure, für Schauspieler und Tänzer.<br />
1. Akt: Entstehung<br />
Eine Bewohnerin des Vereins Mobile Basel<br />
schreibt seit vielen Jahren Prosa und Lyrik.<br />
In ihren Texten beschäftigt sie sich mit<br />
ihren Gefühlen und ihren Beobachtungen<br />
im Umgang mit psychischen Beeinträchtigungen.<br />
Ihre Arbeiten haben mich sehr<br />
berührt; mir gefielen ihre eindringliche,<br />
deutliche Sprache und die unerwartete,<br />
überraschende Leichtigkeit der Texte. Ausschlaggebend<br />
für das Projekt war die Absicht<br />
der Autorin, ein Thea terstück zu<br />
schreiben. Ich fand diese Idee sehr spannend<br />
und brachte meine Gedanken mit<br />
ein. In Absprache mit ihr versetzte ich die<br />
Handlung in eine andere Zeit und ergänzte<br />
das Stück mit Lyrik und Prosa aus den<br />
Werken der Autorin. So entstand ein spannender<br />
Bühnenstoff, der nicht so sehr auf<br />
die psychische Beeinträchtigung, sondern<br />
stärker auf allgemeinmenschliche Kon-<br />
30 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
FOKUS ▶ SPIEL<br />
flikte fokussiert. Ich war überzeugt, dass<br />
der Inhalt jedermann in irgendeiner Form<br />
betrifft. Die Idee für ein übergreifendes<br />
Projekt war geboren: Die Rollen sollten<br />
professionellen Schauspielern und Tänzern<br />
sowie Bewohnern von Mobile Basel<br />
angeboten werden.<br />
2. Akt: Werkinhalt<br />
Das Stück beginnt mit einem Sommerfest.<br />
Unter den Gästen befindet sich eine<br />
42-jährige Frau, die sich im lockeren Bekanntenkreis<br />
amüsiert und unterhält. Im<br />
Laufe des Festes fühlt sie sich jedoch zunehmend<br />
unwohl und zieht sich schliesslich<br />
zurück. Damit beginnt ein Prozess,<br />
der sie in die vollständige Isolation führen<br />
wird. Sie ist nicht mehr gesellschaftsfähig.<br />
Ihr Lebenselixier, das Schreiben, wird für<br />
sie zur Sucht und Flucht vor der Wirklichkeit.<br />
Ihre Familie akzeptiert dieses Verhalten<br />
nicht und versucht, Einfluss auf sie zu<br />
nehmen. Alte Geister der Vergangenheit<br />
– wurzelnd in einer schwierigen Familienkonstellation,<br />
die aber nie konkret<br />
benannt wurde – kehren zurück. Was<br />
muss geschehen, damit sich ihre Lebenssituation<br />
verändert? Sie stellt sich den<br />
unbearbeiteten Themen der Vergangenheit<br />
und beginnt, die Muster ihres familiären<br />
Umfeldes und ihre eigenen aufzubrechen.<br />
In einer leisen und doch explosiven<br />
Öffnung ihrer Persönlichkeit sprengt sie<br />
ihre eigenen und die familiären Fesseln<br />
und beschreitet einen neuen Weg.<br />
3. Akt: Umsetzung<br />
Rollenbesetzungen: In erster Linie waren<br />
alle Betreuten von Mobile Basel angesprochen,<br />
die sich künstlerisch betätigen wollten.<br />
Einige Teilnehmende verfügten bereits<br />
über eine gewisse Sicherheit und<br />
Selbständigkeit im kreativen Schaffen,<br />
andere wollten diese Fähigkeit bei sich<br />
entdecken. Das Projekt sollte für möglichst<br />
viele psychisch Kranken nutzbar<br />
sein, deshalb war der Einstieg ins Projekt<br />
einfach zugänglich gestaltet. Eine konfrontative<br />
Agogik seitens der künstlerischen<br />
Leitung setzte auf die Auseinandersetzung<br />
mit problematischen Situationen,<br />
um mit diesen konstruktiver umzugehen<br />
als bis anhin. Die Teilnehmenden wurden<br />
durch die inhaltliche Vorgabe des Stückes<br />
mit einer Problematik konfrontiert, von<br />
welcher sie auch selber betroffen sein<br />
konnten. Die Auseinandersetzung auf der<br />
theatralischen Ebene und unter agogischer<br />
Anleitung ermöglichte es ihnen, sich<br />
neuen Erfahrungen mittels eines geschützten<br />
künstlerischen Wegs anzunähern.<br />
Die damit verbundenen Persönlichkeitsentwicklungen,<br />
die Herausforderungen<br />
und die Erfolgserlebnisse sowie<br />
möglicherweise auch das Scheitern, persönliche<br />
Rückschläge und die Überwindung<br />
von Phasen kreativer Widerstände,<br />
bewirkten viel bezüglich Selbsterfahrungen<br />
und Selbsterkenntnis. Diese Erfahrungen<br />
hinterliessen bei allen Teilnehmenden<br />
einen bleibenden Eindruck. Ich<br />
denke, dass einzelne Mitmachende dank<br />
des Projekts bei der Bewältigung von alltäglichen<br />
Krisen gestärkt worden sind,<br />
was sich insgesamt stabilisierend für den<br />
weiteren Lebensweg auswirkte.<br />
4. Akt: Rückblick<br />
Die Auseinandersetzung mit den hier geltenden<br />
gesellschaftlichen Normen, den<br />
alltagssprachlichen Begriffen «normal/<br />
anormal» beschäftigen mich seit vielen<br />
Jahren und sind für mich immer wieder<br />
sehr präsent: Welcher Weg ist der richtige?<br />
Was braucht es, um selbstverantwortlich<br />
sein Leben gestalten zu können? Wie gehen<br />
wir mit Menschen mit einer Beeinträchtigung<br />
um?<br />
Das Stück «ELFe» setzte sich mit solchen<br />
und weiteren Fragen auseinander: Wann<br />
weiss ich, dass ein nächster Schritt ansteht,<br />
und wie sieht er aus? Wer hilft mir<br />
dabei? Wer oder was hindert mich daran?<br />
Soll ich den Schritt wagen?<br />
Meine persönliche Auseinandersetzung<br />
mit ähnlichen Lebensthemen erlaubten<br />
mir – mit dem Einverständnis der Autorin<br />
– eigene Erfahrungen in das Werk einzubringen.<br />
Dadurch entstand ein Prozess<br />
mit dem Ziel, neue Wege zu gehen und<br />
Alternativen aufzuzeigen.<br />
Weshalb entstand die Idee, das Stück mit<br />
Laiendarstellern von Mobile Basel, die sich<br />
selber in einer ähnlichen Situation befinden,<br />
wie die Hauptfigur, aufzuführen?<br />
Diese Entscheidung basierte auf folgenden<br />
Überlegungen: Einerseits wollte ich ein<br />
authentisches und künstlerisch wertvolles<br />
Stück auf die Bühne bringen. Den Darstellern<br />
sollten weder Rollen «übergestülpt»<br />
noch sollten sie «ausgestellt» werden.<br />
Andererseits entstand für die Beteiligten<br />
die Chance, sich mit ihrer Problematik<br />
«spielerisch» zu befassen und durch diese<br />
Arbeit vielleicht einen anderen Zugang zu<br />
sich selbst zu finden. Das Spielerische,<br />
auch vermittelt durch professionelle<br />
Schauspieler und Tänzer, sollte Fähigkeiten<br />
freilegen, welche das Selbstwertgefühl<br />
stärken. Das Werk behandelte nicht die<br />
Täter-Opfer-Situation, sondern die Vergebung<br />
und das Loslassen. Am Schluss wurde<br />
bewusst offen gelassen, ob der gewählte<br />
Weg der richtige ist. Doch vielleicht<br />
konnte dieser Weg Blockaden lösen und<br />
einen nächsten Schritt ermöglichen. Ich<br />
bin im Nachhinein überzeugt, dass dies<br />
bei einigen Menschen eingetroffen ist. Zu<br />
Beginn des Projekts war es für mich ein<br />
zentrales Anliegen, den persönlichen Hintergrund<br />
dieser Menschen nicht zu kennen,<br />
um unbeeinflusst auf die Teilnehmenden<br />
zugehen zu können. Mir war<br />
bewusst, dass zu viel Hintergrundwissen<br />
die Beziehungsebene und die gemeinsame<br />
Arbeit behindern würde. So entstanden<br />
Begegnungen mit einem positiven Energiefluss,<br />
und ich wurde dadurch persönlich<br />
sehr bereichert.<br />
Epilog<br />
Nach der erfolgreichen Aufführung von<br />
ELFe kam von Seiten der Teilnehmenden<br />
des Vereins Mobile der Wunsch, weiterzumachen.<br />
Sie möchten ein eigenes Stück<br />
basierend auf ihren Ideen schreiben und<br />
umsetzen, was ich sehr begrüsse und gerne<br />
unterstütze. Seit Sommer 2014 leite ich<br />
einen Workshop, in welchem wir gemeinsam<br />
eine neue Stückfassung schreiben<br />
mit dem Ziel, das Ergebnis im Herbst 2016<br />
zur Aufführung zu bringen. Das Stück<br />
beschäftigt sich mit dem Thema Ausgrenzung<br />
oder eben dem Wunsch, diese nicht<br />
mehr erleben zu müssen und in unserer<br />
Gesellschaft akzeptiert und aufgenommen<br />
zu werden wie ein «normaler»<br />
Mensch. Mit dieser Philosophie machen<br />
wir uns auf den Weg ... ■<br />
Kontakt und Informationen:<br />
www.fideliolippuner.ch<br />
Danksagung<br />
Ein grosser Dank für die pädagogische<br />
und textliche Mitarbeit sowie die tägliche<br />
Unterstützung für meine Arbeit<br />
geht an Thekla Michel (Sozialarbeiterin<br />
/Sozialpädagogin).<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
31
FOKUS ▶ SPIEL<br />
Ohne «Spiel» keine Entwicklung<br />
Womit spielten Kinder vor gut 40 000 Jahren? Und wie verbrachten Erwachsene ihre «Freizeit»?<br />
Angesichts der aus heutiger Sicht kurzen Lebenserwartung und der harschen Lebensbedingungen<br />
ist man verlockt zu denken, so etwas habe es damals kaum oder gar nicht gegeben. Funde jedoch<br />
zeigen, dass auch für die steinzeitlichen Menschen Leben weit mehr war als reines Überleben.<br />
Dr. Beate Maria Pomberger, Musikarchäologin und Sängerin, Wien<br />
Stellt man sich die Fragen nach «Spiel»<br />
und «Freizeitgestaltung» in prähistorischen<br />
Epochen, so dürften Begriffe wie<br />
«Arbeit» und «Freizeit» für die Lebensweise<br />
steinzeitlicher Menschen nicht passend<br />
sein, denn diese waren vor allem<br />
Jäger und Sammler, später Bauern. Es<br />
wird einen gleitenden Übergang von überlebensnotwendigen<br />
Tätigkeiten, die wir<br />
heute als «Arbeit» bezeichnen, zu nicht<br />
lebensnotwendigen Tätigkeiten, die wir<br />
mit Musse, Hobby und Freizeit verbinden,<br />
gegeben haben.<br />
In Epochen, von denen Artefakte und Befunde<br />
zeugen, aber keine schriftlichen<br />
Zeugnisse vorhanden sind, ist das Thema<br />
zunächst einmal schwer fassbar und erfordert<br />
eine intensive Spurensuche.<br />
Spiel – Musik –<br />
Tanz – Kunst<br />
Betrachtet man Spiel als einen «… Verhaltensbereich<br />
bei Mensch und Tier, der<br />
dadurch gekennzeichnet wird, dass die<br />
spielerische Aktivität eigenen, von allem<br />
anderen Verhalten abgegrenzten<br />
Regeln folgt, sich frei von Zwang vollzieht<br />
und damit für den Menschen einen<br />
Bereich der Freiheit und Offenheit<br />
Abb. 1: Bär – Dolní Vˇ estonice, Tschechien<br />
individuellen Handelns erschliesst …»<br />
und wird «… Spiel als ein schöpferisches<br />
Organisationsprinzip der Natur und<br />
der gesamten Evolution gesehen …» 1 ,<br />
so ist es durchaus möglich, Aussagen über<br />
urzeitliche Epochen zu tätigen. Der Philosoph<br />
Mircea Eliade ist der Auffassung:<br />
«… Lässt man einen sehr grossen Teil<br />
der Geschichte des menschlichen Geistes<br />
unerforscht, so begünstigt man die Vorstellung,<br />
während dieser Zeit habe sich<br />
die Aktivität des Geistes lediglich auf die<br />
Bewahrung und Weitergabe von Technologien<br />
beschränkt. Eine solche Auffassung<br />
ist nicht nur irrig, sondern sie<br />
ist auch verhängnisvoll hinsichtlich der<br />
Kenntnisse der Menschen. Der homo<br />
faber war auch ein homo ludens, sapiens<br />
und religiosus …» 2 – darüber<br />
hinaus ein homo musicus, saltans und<br />
artifex. In diesem Sinne lassen sich einige<br />
Aussagen tätigen.<br />
Innovation und Spiel:<br />
Altsteinzeit<br />
Vor ca. 43 500 Jahren wanderte der moderne<br />
Mensch nach Mitteleuropa in eine<br />
kalte Steppenlandschaft ein 3 . Kleine Menschengruppen<br />
lebten in Höhlen, unter<br />
Abris, in Freilandstationen. Sie bestritten<br />
ihren Lebensunterhalt durch jägerischsammlerische<br />
Tätigkeiten. Durch die<br />
neue Klingentechnik war es ihnen möglich<br />
geworden, eine Feuersteinknolle optimal<br />
zu nutzen und viele, feinere Werkzeuge<br />
wie Spitzen, Bohrer, Stichel, Schaber<br />
und Kratzer zu erzeugen. Damit liessen<br />
sich wiederum Knochenspitzen,<br />
Nähnadeln, Haken aus Knochen und<br />
Geweihen wie auch Holzgeräte herstellen.<br />
Man jagte mit dem Speer, mit Harpunen<br />
und wahrscheinlich auch mit dem Jagdbogen<br />
4 . Die Speerschleuder verlieh dem<br />
Wurf eine grössere Reichweite. War man<br />
nicht mit Nahrungssuche beschäftigt,<br />
widmete man sich wohl dem Ausbessern<br />
der Ausrüstung, dem Flechten von Behältnissen,<br />
dem Nähen der Kleidung, oder<br />
eben «spielerischen» Tätigkeiten. So<br />
konnten neue Erfindungen entstehen,<br />
Kleider verziert, Schmuck aus Tierzähnen,<br />
Molluskenschalen, Steinplättchen, Knochenstücken<br />
und Elfenbein kreiert und<br />
geschnitzt werden 5 . Die Venusfiguren des<br />
Gravettien 6 , z.B. aus Sandstein, wie die<br />
Venus von Willendorf, Österreich 7 , oder<br />
aus Elfenbein, wie die Venus vom «Hohle<br />
Fels», Deutschland 8 , aber auch aus gebranntem<br />
Lösslehm, wie die Venus von<br />
Dolní Vˇ estonice, Tschechien 9 , sind offensichtlich<br />
Produkte von «Freizeit». Auf<br />
letzterer sind noch die Fingerabdrücke der<br />
ca. 14-jährigen künstlerisch begabten<br />
Person zu sehen, die die beeindruckende<br />
Figurine hergestellt hat 10 . Die Statuetten<br />
werden unter anderem auch als Puppen/<br />
Figuren für rituelle Zwecke gedeutet 11 .<br />
Kleine aus Lösslehm geformte und im<br />
Feuer gehärtete Tierfiguren, wie die Löwen,<br />
Bären (Abb. 1), Mammuts, Nashörner<br />
oder Wildrinder aus Dolní Vˇ estonice,<br />
Tschechien 12 , und Krems-Wachtberg,<br />
Österreich, aber auch Tierfiguren aus Elfenbein,<br />
wie aus der Vogelherdhöhle,<br />
Deutschland 13 , sind bekannt. Diese kleinen<br />
Figuren werden ebenfalls mit Kult in<br />
Zusammenhang gebracht, jedoch haftet<br />
32 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
Abb. 2: Venusfigur von Stratzing, Österreich<br />
ihnen auch ein gewisser Spielzeugcharakter<br />
an.<br />
Formbare, knetbare Masse ist ein faszinierendes<br />
Material und vermutlich haben<br />
künstlerisch begabte Kinder sich dessen<br />
bedient und ihrer Phantasie freien Lauf<br />
gelassen. Faszinierend wird es auch gewesen<br />
sein, zu beobachten, wie aus einem<br />
Stück Elfenbein ein Mammut oder ein<br />
Löwenmensch 14 herausgeschnitten wird.<br />
Mit schwungvollem Strich wurden die<br />
tanzenden Frauen von Gönnersdorf,<br />
Deutschland, sowie diverse Tiere in Steinplatten<br />
geritzt 15 . Hat der Künstler vorher<br />
auf dem Boden die Strichführung geübt<br />
und ausprobiert, wie man dies auch von<br />
Vorzeichnungen für die Höhlenmalerei<br />
kennt? Haben Kinder dies wohl nachgeahmt?<br />
Farben wurden aus gelbem und rotem<br />
Ocker, Hämatit, Graphit, verwittertem<br />
Muschelkalk 16 sowie Holzkohle hergestellt.<br />
Sie dienten der Körperbemalung<br />
und der Malerei auf Felswänden.<br />
Wie lange haben die Künstler der Höhlenbilder<br />
ihre Modelle – Vertreter der damaligen<br />
Fauna sowie Menschen – beobachtet,<br />
versucht, diese möglichst naturgetreu<br />
nachzuzeichnen und zuletzt das Bild auf<br />
einer geeigneten Stelle der Höhlenwand in<br />
Farbe oder Ritzung zu verewigen? Die Bilder,<br />
mit flackerndem Feuer beleuchtet,<br />
werden faszinierend auf Erwachsene und<br />
Kinder gewirkt haben. Welche Geschichten<br />
hat man sich dazu erzählt, welche<br />
Lieder wohl gesungen? Gesang und Tanz<br />
bilden eine harmonische Ureinheit. Ersterer<br />
bewirkt emotionale Gruppenbindung<br />
17 , Letzterer ist belegt durch die «tanzende<br />
Venus vom Galgenberg», Österreich,<br />
eine kleine Steinfigur 18 (Abb. 2), durch die<br />
Steingravuren der schlanken Frauen von<br />
Gönnersdorf, Deutschland 19 , die beiden<br />
«Zauberer» der Höhle von Le Trois-Frères,<br />
aber auch durch die Fussspuren junger<br />
Menschen im Lehmboden von Montespan<br />
20 , Frankreich. Kinder werden mitgesungen<br />
und mitgetanzt haben.<br />
Zur musikalischen Ergötzung dienten<br />
hohe Grifflochflöten aus Vogelknochen,<br />
Mammutelfenbein und Rentierknochen<br />
(Abb. 3), Schrapper aus Knochen und<br />
Holz, Phalangenpfeifen, Schlaginstrumente<br />
aus Knochen, Schwirrblätter, vermutlich<br />
Musikbögen, Rasseln aus Horn<br />
und Korbgeflecht sowie Rahmentrommeln<br />
aus biegsamen Ästen 21 . Einfache<br />
Rasseln – kleine Silexstückchen in der<br />
Abb. 3: Knochenflöte von<br />
Grubgraben, Österreich<br />
hohlen Hand geschüttelt – erklingen hoch<br />
und glasartig. Der Schrei der Eule, nachgeahmt<br />
durch das Spiel einer aus beiden<br />
Händen geformten Gefässflöte, dürfte<br />
altsteinzeitlichen Kindern bekannt gewesen<br />
sein. Die drei Säuglingsbestattungen<br />
aus Krems-Wachtberg, Österreich, geben<br />
keine Aufschlüsse über «Spielzeug», jedoch<br />
wurde den neugeborenen Zwillingen<br />
Ketten aus Elfenbeinperlen mit ins Grab<br />
gegeben 22 .<br />
Kleinkinder werden zunächst die Wohnstätte<br />
«begriffen», mit Steinen, Abschlägen,<br />
Knochen, Hörnern und Hölzern gespielt<br />
haben. Grössere Kinder werden bei<br />
Balgereien ihre Körperkraft, Beweglichkeit,<br />
Ausdauer, schnelles Laufen, Klettern<br />
und Kämpfen ausprobiert haben. Diese<br />
Fähigkeiten sind von Vorteil in einer Umwelt,<br />
die man sich mit gefährlichen Raubund<br />
Beutetieren teilen musste. Früh gelernt<br />
wollen Jagen mit der Lanze und dem<br />
Wurfspeer sowie sämtliche Überlebensstrategien<br />
sein, denn bei einer Lebenserwartung<br />
von durchschnittlich 30 Jahren<br />
musste man schnell auf eigenen Beinen<br />
stehen und auch zur Nahrungsbeschaffung<br />
der Gemeinschaft beitragen. Die<br />
Geschlechtsreife, die zwischen dem 10.<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
33
FOKUS ▶ SPIEL<br />
Abb. 4: Knaben von Sungir, Russland<br />
und 14. Lebensjahr 23 stattfindet, und eine<br />
Initiation werden den Übergang zum Erwachsenendasein<br />
markiert haben. Die<br />
beiden Knaben von Sungir, Russland,<br />
bestattete man mit sämtlichen Waffen<br />
eines Jägers 24 .<br />
Abb. 5: Schweinchenfigur aus Mondsee, Österreich<br />
Innovation und Spiel:<br />
Jungsteinzeit<br />
Ein wärmeres Klima, Sesshaftigkeit, verbunden<br />
mit Ackerbau und Viehzucht,<br />
prägten das Leben der Menschen in der<br />
Jungsteinzeit, deren Lebenserwartung<br />
zwischen 25 und 30 Jahren lag 25 . Werkzeuge<br />
aus Stein und Knochen wurden<br />
weiterentwickelt, Gefässe aus Ton geformt<br />
und gebrannt. Das «Spiel» der Keramikformen,<br />
Verzierungen und Farben änderte<br />
sich die ganze Epoche hindurch. Nicht<br />
nur Erwachsene widmeten sich der Töpferei,<br />
auch Kinder mussten früh das<br />
Handwerk erlernen. Ihre Gefässe sind<br />
durch Unregelmässigkeiten in der Ausformung<br />
und der Verzierung erkennbar 26 .<br />
Aus der spätneolithischen Vuc ˇ edol-Kultur<br />
27 sind Miniaturgefässe erhalten, die<br />
als Kinderspielzeug angesehen werden 28 .<br />
Anthropomorphe und zoomorphe Tonfiguren<br />
treten in etlichen neolithischen<br />
Kulturen auf 29 . Sie werden meist kultisch<br />
gedeutet, könnten jedoch fallweise auch<br />
Kinderspielzeug sein. Auf den in der<br />
Pfahlbausiedlung von Mondsee, Oberösterreich,<br />
entdeckten kleinen Schweinefiguren<br />
wurden Fingerabdrücke von Kindern<br />
festgestellt (Abb. 5) 30 . Die vielen in<br />
Abfallgruben aufgefundenen Tonplastiken<br />
– darunter Schafe und Ziegen – aus<br />
Çatal Hüyük, Türkei, werden neuerdings<br />
als ein auf das Bauerntum vorbereitendes<br />
Spielzeug angesehen 31 . Hatten Kinder<br />
auch mit Figürchen, geflochten aus Stroh,<br />
Zweigen, Gras bzw. aus Holz geschnitzt<br />
gespielt? Ein enges Zusammenleben von<br />
Mensch und Tier bedingt sehr wohl, dass<br />
Kinder auch mit lebenden Jungtieren herumgetollt<br />
haben. In Franzhausen, Österreich,<br />
wurde das Grab eines kleinen Mädchens<br />
aufgefunden, das zwei Gegenstände<br />
aus Knochen in den Armen hielt. Es handelt<br />
sich dabei um einen Metacarpus und<br />
den Schaft eines rechten Femurs von Caproviden.<br />
Beide Stücke werden als «Pupperl»<br />
– es kann angezogen gewesen sein,<br />
denn organische Stoffe erhalten sich normalerweise<br />
nicht im Boden – und «Pfeiferl»<br />
gedeutet (Abb. 6) 32 . Wie uns der Fund<br />
eines kleinen, pfahlbauzeitlichen Jagdbogens<br />
aus Zürich zeigt 33 , will auch der<br />
Umgang mit Pfeil und Bogen ebenso von<br />
früh auf geübt sein. Viel Zeit zum Spielen<br />
gab es dennoch nicht, denn «… Kinder<br />
werden sobald wie möglich in die täglichen<br />
Arbeitsaufgaben Erwachsener<br />
eingebunden, um sie für das künftige<br />
selbstständige Leben auf einem autarken<br />
Bauernhof vorzubereiten … Kinder<br />
haben im Familienbetrieb tatkräf<br />
34 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
FOKUS ▶ SPIEL<br />
Abb. 6: Mädchengrab Franzhausen IV, Grab 4335, Österreich und der experimentale Nachbau<br />
Abb. 8: Geometrisches Felsbild<br />
Dja’de, Syrien<br />
Abb. 7: Gefässflöte Brunn am Gebirge/Flur<br />
Wolfholz, Österreich<br />
tigst mitgeholfen ...» 34 . Sie werden zum<br />
Beispiel Vieh gehütet, Feldfrüchte geerntet,<br />
Rohmaterial gesucht, Wildfrüchte gesammelt<br />
haben. Hatten Kinder vielleicht geheime<br />
Verstecke, wo sie sich ungestört<br />
treffen konnten? Handwerkliche Tätigkeiten,<br />
bei deren Verrichtung man sich blendend<br />
mit anderen Personen unterhalten<br />
konnte, gab es etliche wie zum Beispiel<br />
Spinnen, Weben, Schnitzen, Töpfern,<br />
Werkzeugherstellung. Man schmückte<br />
sich mit Ketten aus Muschel-, Ton- und<br />
Kalksteinperlen, mit Eberhauern und tönernen<br />
glockenförmigen Anhängern.<br />
Musiziert wurde auf tönernen Gefässflöten<br />
mit Grifflöchern (Abb. 7), auf Flöten<br />
aus Knochen und Holunderholz, mit Keramikglocken,<br />
Tontrommeln und Tonrasseln,<br />
aber auch Pfeiferl und Panflöten<br />
aus Knochen, Keramikhörnern und<br />
Schneckentrompeten 35 sind als Musikinstrumente<br />
in Gebrauch gewesen. Die Gehäuse<br />
von Weinbergschnecken, die ab<br />
dem Frühneolithikum in Mitteleuropa<br />
nachweisbar sind 36 , könnten als Spielzeug,<br />
Schmuck oder Pfeiferl fungiert haben,<br />
ebenso wie auch Schalen der Miesmuschel<br />
als Klanginstrumente dienen<br />
konnten. Die Freude am Tanz wurde<br />
bildlich auf Wandmalereien und Felswänden<br />
festgehalten. Einen ekstatischen Tanz<br />
um den grossen Stier zeigt uns eine Wandmalerei<br />
aus dem Jagdschrein von Çatal<br />
Hüyük 37 . Dazu schlägt ein Tänzer die<br />
Rahmentrommel. Tanzende Figuren mit<br />
hocherhobenen Armen sind aus der<br />
macro schematischen Felsmalerei der Levante<br />
in Spanien bekannt 38 . Szenen eines<br />
Rundtanzes sind auf dem Felsen <strong>Nr</strong>. 3 in<br />
der Valcamonica, Italien, dargestellt 39 .<br />
Verzierte Hüttenwände wie in der mittelneolithischen<br />
Lengyel-Kultur 40 , bunte<br />
Felsbilder aus Dja’de, Syrien 41 (Abb. 8),<br />
oder der spanischen Levante 42 zeugen von<br />
der «Freizeitgestaltung» und Lebensfreude<br />
jungsteinzeitlicher Menschen.<br />
Das Thema ist in diesem Artikel nur<br />
kurz skizziert, aber die ganze faszinierende<br />
Entwicklung der Menschheit beruht<br />
auf Spiel: Neugierde, Entdecken,<br />
Ausprobieren, Kreieren, Innovation.<br />
Forschungen zum Thema Spielzeug in<br />
der Urgeschichte gibt es nur ansatzweise<br />
und der Gegenstand bietet Raum für<br />
künftige Überlegungen und Untersuchungen.<br />
■<br />
Literatur:<br />
E. Altenmüller 2004: Singen – die Ursprache?<br />
Zur Evolution und Hirnphysiologie des Gesanges.<br />
In:<br />
E. Hickmann, R. Eichmann (Hrsg.) Music-Archaeological<br />
Sources: Finds, Oral Transmission,<br />
Written Evidence. Papers from the 3 rd<br />
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Group on Music Archeology at Monastery<br />
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14, Rahden/Westfahlen 2004, 3–9.<br />
W. Antl-Weiser 2008: Die Frau von W. – Die Venus<br />
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um ihre Auffindung. Naturhistorisches<br />
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G. Bosinski 1981: Gönnersdorf. Eiszeitjäger am<br />
Mittelrhein. Koblenz 1981.<br />
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J. Weiss): Spiel. Brockhaus. Enzyklopädie.<br />
Bd. 25, Mannheim – Leipzig 2006,<br />
752–756.<br />
N. J. Conard 2009: A female figurine from the<br />
basal Aurignacian of Hohle Fels Cave in southwestern<br />
Germany. Nature 459, 2009,<br />
248–252.<br />
E. Coqueugniot 2014: «Dja'de (Syrie) et les représentations<br />
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cal. BC», in C. Manen, T. Perrin, J. Guilaine<br />
(éd.), La transition néolithique en Méditerranée<br />
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avril 2011). Archives d’écologie préhistorique,<br />
éditions Errance-Actes Sud, Arles,<br />
91–108.<br />
A. Durmann 1988: Vuc ˇdol – three thousand<br />
years B. C., Zagreb 1988.<br />
N. Ebinger-Rist, C.-J. Kind, S. Wolf, K. Wehrberger<br />
2013: Der Löwenmensch bekommt ein<br />
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Alb-Donau-Kreis. Denkmalpflege in<br />
Baden-Württemberg 4 | 2013, 194–200.<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
35
FOKUS ▶ SPIEL<br />
M. Eliade 1978: Geschichte der religiösen Ideen.<br />
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Perrin, J. Guilaine (éd.), La transition néolithique<br />
en Méditerranée. (Actes du colloque<br />
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d’écologie préhistorique, éditions Errance-Actes<br />
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51.<br />
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Mitteilungen Niederösterreichisches<br />
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2008.<br />
M. Händel, U. Simon, Th. Einwögerer, Chr. Neugebauer-Maresch<br />
2009: New Excavationes at<br />
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Middle Danube Region. Quartär 56, Rahden<br />
2009.<br />
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Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft<br />
in Wien (MSGW) Band 140, 2010,<br />
23–38.<br />
B. Klíma 1991: Ausstellung Mensch und Mammut,<br />
1991, Liestal: Die jungpaläolithischen<br />
Mammutjäger-Siedlungen Dolní Ve ˇstonice<br />
und Pavlov in Südmähren – C ˇSFR :/.Z/ zur<br />
Ausstellung «Mensch und Mammut» im<br />
Museum im alten Zeughaus (Kantonsmuseum<br />
Baselland) in Liestal (Schweiz) 1991/Amt für<br />
Museen und Archäologie des Kantons Baselland<br />
, Basel 1991.<br />
M. Králik, V. Novotný, M. Oliva 2002: Fingerprints<br />
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XL/2, 2002, 107–113.<br />
E. Lenneis, Chr. Neugebauer-Marsch, E. Ruttkay<br />
1999: Jungsteinzeit im Osten Österreichs.<br />
Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich<br />
102/103/104/105, St. Pölten 1999.<br />
J. Mellaart 1967: Çatal Hüyük. Stadt aus der<br />
Steinzeit. Bergisch-Gladbach 1967.<br />
Chr. Neugebauer-Maresch 2008: Galgenberg-<br />
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years old female statuette. Wissenschaftliche<br />
Mitteilungen Niederösterreichisches Landesmuseum<br />
19, St. Pölten 2008, 119–128.<br />
Chr. Neugebauer Maresch, M. Bachner, J. M.<br />
Tuzar 2008: Kammern-Grubgraben. Wissenschaftliche<br />
Mitteilungen Niederösterreichisches<br />
Landesmuseum 19, St. Pölten 2008,<br />
109–118.<br />
Ph. R. Nigst, P. Haesaerts, F. Damblonc, Chr.<br />
Frank-Fellner, C. Mallol, B. Viola, M. Götzinger,<br />
L. Nivena, G. Trnka, J.-J. Hublina<br />
2014: Departments of a Human Evolution<br />
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modern human settlement of Europe north<br />
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Edition, 2104, 1–6. (www.pnas.org/cgi/<br />
doi/10.1073/pnas.1412201111).<br />
L. Niven 2006: The Palaeolithic Occupation of<br />
Vogelherd Cave. Implications for the Subsistence.<br />
Behavior of Late Neanderthals and<br />
Early Modern Humans. Tübingen 2006.<br />
B. M. Pomberger 2014 – im Druck: Wiederentdeckte<br />
Klänge. Musikinstrumente und<br />
Klang objekte der Epochen Neolithikum,<br />
Bronzezeit, Eisenzeit und römische Kaiserzeit<br />
im Gebiet zwischen der Salzach und<br />
dem Donauknie. Frequenzanalysen, Schallpegelmessungen,<br />
Reichweiten. Unpublizierte<br />
Dissertation Universität Wien 2014 – im<br />
Druck (UPA).<br />
E. Pucher, E. Ruttkay 2006: Votivfiguren oder<br />
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Das Altertum 51, Oldenburg 2001, 229–250.<br />
G. Rosendahl, K.-W. Beinhauer, M. Löscher, K.<br />
Kreipl, R. Walter, W. Rosendahl 2006: Le plus<br />
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en provenance de Mannheim, Allemagne.<br />
L’anthropologie 110, 2006, 371–382.<br />
C. Sachs 1937: World History of the Dance, New<br />
York 1937.<br />
S. Siˇ ska 1995: Dokument o spoloc ˇnosti mlads ˇej<br />
doby kamennej (Saris ˇské Michal’any), Bratislava<br />
1995.<br />
Bildernachweis:<br />
Abb. 1: Bär von Dolní Ve ˇstonice , Foto Don Hitchcock<br />
2008, http://donsmaps.com/dolni.<br />
html, 28.4.<strong>2015</strong>.<br />
Abb. 2: Venusfigur von Stratzing, Alice Schumacher,<br />
NHM Wien; nach Chr. Neugebauer-<br />
Maresch 2008, Fig. 6.<br />
Abb. 3: Knochenflöte von Grubgraben-Kammern;<br />
Foto NÖ Museum für Urgeschichte,<br />
http://insmuseum.com/post/30567819957/<br />
knochenfloete-grubgraben-kammern.<br />
Abb. 4: Knaben von Sungir. https://erlangenwladimir.wordpress.com/tag/walter-leitner/<br />
29.4.<strong>2015</strong>.<br />
Abb. 5: Schweinefigur mit Fingerabdrücken aus<br />
Mondsee; nach Pucher, Ruttkay 2006, 231,<br />
Abb. 1/6480.<br />
Abb. 6: Mädchengrab von Franzhausen, Foto<br />
BDA; nach Kern, Lobisser 2010, 25, Abb.2.<br />
und Abb. 5.<br />
Abb. 7: Gefässflöte Brunn am Gebirge, Niederösterreich;<br />
nach Pomberger, 2014, Abb. 39,<br />
Fototaf. 1/Abb. 1.<br />
Abb. 8: Geometrisches Felsbild Dja’de, Syrien;<br />
nach: Coqueugniot 2014, Fig. 14.<br />
Fussnoten:<br />
1 Brockhaus 2006, Bd. 25, 752<br />
2 Eliade 1978, 20<br />
3 Nigst et al. 2014, 1–6<br />
4 Rosendahl et al. 2006, 371–382<br />
5 Klíma 1991, 20–21<br />
6 Antl-Weiser 2008, 135–161. Das Gravettien<br />
ist die Kultur des mittleren Jungpaläolithikums.<br />
7 Antl-Weiser 2008, 107–117<br />
8 Conard 2009, 248–252<br />
9 Klíma 1991, 22, Abb. 17<br />
10 Králik et al. 2002, 107–113<br />
11 Antl-Weiser 2008, 140, 148<br />
12 Klíma 1991, 21–23, Abb. 16; Händel et al.<br />
2009<br />
13 Niven 2006, 36<br />
14 Ebinger-Rist et al. 2013, 194–200<br />
15 Bosinski 1981, 90–117<br />
16 Händel et al. 2008, 93<br />
17 Altenmüller 2004, 3–9<br />
18 Neugebauer-Maresch 2008, 119–128<br />
19 Bosinski 1981, 108–114, Abb. 114, 115, 116,<br />
117, 118, 119, 120, 121<br />
20 Sachs 1937, 124, 208<br />
21 Pomberger 2014/im Druck<br />
22 Händel et al. 2007, 91–108<br />
23 Erste Hälfte der Phase Juvenil, 13–18/20<br />
Jahre.<br />
24 Bader 1970, 103–105.<br />
25 Mitteilung Maria Teschler-Nicola, Naturhistorisches<br />
Museum Wien, Anthropologische<br />
Abteilung<br />
26 Grömer, Kern 2010, 3144<br />
27 Ausbreitung in Slowenien und Slawonien<br />
28 Durman 1988, 84<br />
29 Lenneis, Neugebauer-Marsch, Ruttkay 1999<br />
30 Pucher, Ruttkay 2006, 229–250<br />
31 http://www.dailymail.co.uk/sciencetech/<br />
article-1212320/Ancient-figurines-toysmother-goddess-statues-say-experts-<br />
9-000-year-old-artefacts-discovered.html,<br />
22. 4. <strong>2015</strong><br />
32 Kern, Lobisser 2010, 23–38<br />
33 Von Niels Bleicher, Amt für Städtebau der<br />
Stadt Zürich, entdeckt. Mündliche Mitteilung<br />
der Pfahlbaukommission<br />
34 Pucher, Ruttkay 2006, 246<br />
35 Pomberger 2014, 40–89<br />
36 Mitteilung Eva Lenneis, Dozentin, Institut<br />
für Urgeschichte und historische Archäologien,<br />
Universität Wien, Fachgebiet Frühneolithikum<br />
37 Mellaart 1967, 166, Taf. 61, 206<br />
38 Fernández-López de Pablo 2014, 371–404,<br />
Fig. 4<br />
39 Fossati, Ragazzi 2001, 47, 49, Abb. 17<br />
40 Lenneis et al. 1999, 91, Abb. 42/3 und 4<br />
41 Coqueugniot 2014, 91–108, Abb. Fig. 8 und 9<br />
42 Fernández-López de Pablo 2014, 371–404<br />
36 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
PERSPEKTIVEN<br />
FACHSERIE – AKTUELLES AUS DER GYNÄKOLOGIE: POSTMENOPAUSALE HORMONTHERAPIE<br />
Entlastung in wechselhaften Zeiten<br />
Die Menopause ist ein Übergang, der sich über Jahre hinzieht. Bis zu drei Viertel aller Frauen leiden<br />
jahrelang unter Hitzewallungen, Schlafstörungen sowie weiteren physischen und psychischen<br />
Beeinträchtigungen. Wegen der Karzinom- und kardiovaskulären Risiken ist die Hormontherapie<br />
unter Beschuss geraten. Was lässt sich zu Risiken und Nutzen sagen? Gibt es Alternativen?<br />
Prof. Dr. Jürgen M. Weiss, Leiter Reproduktionsmedizin und gyn. Endokrinologie, Kantonsspital Luzern<br />
Die Menopause markiert den Zeitpunkt<br />
ein Jahr nach der letzten Menstruationsblutung.<br />
Das mittlere Menopausenalter in<br />
Europa beträgt rund 51 Jahre. Bis zu drei<br />
Viertel der postmenopausalen Frauen berichten<br />
über klimakterische Symptome.<br />
Nach den neuesten Kriterien des Stages of<br />
Reproductive Aging Workshop (STRAW)<br />
wird die reproduktive Lebensspanne der<br />
Frau in zehn Stadien eingeteilt, von der<br />
Menarche bis zur späten Postmenopause,<br />
die sieben Jahre nach der letzten Menstruation<br />
beginnt (Harlow et al. 2012).<br />
Nach der letzten Periodenblutung werden<br />
alleine noch vier verschiedene Phasen<br />
unterschieden. Dies zeigt, dass es sich bei<br />
der Peri-/Postmenopause um kein einheitliches<br />
abrupt einsetzendes Ereignis<br />
handelt, sondern eher um einen Übergang<br />
in mehreren Phasen. Zunächst werden die<br />
Zyklen unregelmässiger und meist kürzer.<br />
Das FSH steigt an und das Östrogen fällt<br />
ab. Phasenweise werden, meist verbunden<br />
mit Follikelpersistenz, auch hohe Östrogenspiegel<br />
erreicht. Es besteht zudem oft<br />
ein Progesteronmangel.<br />
Frauen mit häufigen vasomotorischen<br />
Symptomen haben durchschnittlich<br />
7,4 Jahre lang klimakterische Beschwerden.<br />
Dies berichtete vor wenigen Monaten<br />
die amerikanische Beobachtungsstudie<br />
Study of Women’s Health Across the Na tion<br />
(SWAN) an 1449 Frauen. Bei denen, die<br />
schon prämenopausal Beschwerden hatten,<br />
halten die Symptome länger an als<br />
bei jenen, die die Probleme erst postmenopausal<br />
bekommen (knapp 12 Jahre vs.<br />
3,4 Jahre) (Avis et al. <strong>2015</strong>). Diese und<br />
andere Daten zeigen, dass klimakterische<br />
Beschwerden ein länger andauerndes und<br />
relevanteres Problem darstellen, als häufig<br />
gedacht wird.<br />
Es sei darauf hingewiesen, dass<br />
für Frauen, die eine vorzeitige<br />
Ovarialinsuffizienz (< 40. Lebensjahr)<br />
erleiden, andere Risikoeinschätzungen<br />
und Aussagen gelten.<br />
Hormontherapie<br />
und Krebs<br />
Mammakarzinom: Dass eine langdauernde<br />
(>5 Jahre) postmenopausale Hormontherapie<br />
zu mehr Brustkrebsfällen<br />
führt, ist schon lange bekannt. Bereits<br />
1997 publizierte die Collaborative Group<br />
diesen Befund im «Lancet». Anfang der<br />
2000er-Jahre wurden die Ergebnisse der<br />
WHI-Studie veröffentlicht (Rossouw et al.<br />
2002), (Anderson et al. 2004). Das neue<br />
an der WHI-Studie war, dass es eine randomisierte,<br />
Placebo-kontrollierte Studie<br />
mit über 16 000 Frauen im Östrogen-<br />
Gestagen-Arm und über 10 000 Frauen im<br />
Östrogen-Arm war. Ins Bewusstsein der<br />
Öffentlichkeit gelangte die Studie auch<br />
dadurch, dass sie in beiden Versuchsgruppen<br />
vorzeitig abgebrochen wurde; bei der<br />
Östrogen-Gestagen-Gruppe 2002, bei der<br />
alleinigen Östrogen-Gruppe 2004. Das<br />
Netto-Gesamtrisiko überwog den Benefit.<br />
Die Hormongabe führt zu einer Zunahme<br />
kardiovaskulärer Ereignisse. Dies war<br />
überraschend, da es in der Studie eigentlich<br />
darum ging, den aus vorangegangenen<br />
Beobachtungsstudien bekannten<br />
positiven Effekt auf das kardiovaskuläre<br />
System nachzuweisen.<br />
Die alleinige Östrogentherapie führte im<br />
Gegensatz zur Östrogen-Gestagen-Kombinationstherapie<br />
zu keinem erhöhten<br />
Brustkrebsrisiko. Die Kombinationstherapie<br />
führt auch zu einer erhöhten Mortalität.<br />
Dies gilt allerdings nur für die getesteten<br />
Substanzen, namentlich konjugiertes<br />
equines Estradiol und Medroxyprogesteronacetat.<br />
Bei allem Hype um die<br />
WHI-Studie sind einige Fakten für deren<br />
Einordnung wichtig:<br />
• Die absoluten Risiken sind gering. So<br />
ist beispielsweise das Risiko, an einem<br />
Mammakarzinom zu erkranken, um<br />
acht Fälle bezogen auf 10 000 Personenjahre<br />
erhöht.<br />
• Die WHI-Studie hat nur zwei Medikamente<br />
getestet: CEE und MPA. Ob die<br />
Ergebnisse auf andere Therapieregime<br />
und Medikamente übertragbar sind, ist<br />
ungeklärt.<br />
• Die getesteten Patientinnen waren im<br />
Mittel 63 Jahre alt.<br />
Ovarialkarzinom: Eine postmenopausale<br />
Hormontherapie erhöht das Risiko für ein<br />
Ovarialkarzinom. Vor allem für endometroide<br />
und seröse Tumore. Eine grosse Analyse<br />
der Collaborative Group on Epidemiological<br />
Studies on Ovarian Cancer aus dem<br />
Jahre <strong>2015</strong> der bislang verfügbaren Daten<br />
zeigt ein relatives Risiko von 1,25 (Östrogentherapie)<br />
bis 1,32 (Östrogen-/Gestagentherapie)<br />
(Collaborative Group <strong>2015</strong>). Die<br />
absolute Risikoerhöhung liegt bei 10 auf<br />
10 000. Erst wenn die postmenopausale<br />
Hormontherapie kürzer als fünf Jahre dauerte<br />
und die letzte Einnahme schon länger<br />
als fünf Jahre zurückliegt, ist das Risiko<br />
nicht mehr erhöht. Für alle anderen zeitlichen<br />
Szenarien findet sich eine Risikoerhöhung.<br />
Es wurden keine verschiedenen Regime<br />
oder Medikamente unterschieden.<br />
Endometriumkarzinom: Eine rezente<br />
Analyse zeigt eine Zunahme des Endometriumkarzinoms<br />
unter einer Östrogen-/<br />
Gestagentherapie (Fournier et al. 2014). Hier<br />
wurde zwischen verschiedenen Gestagenen<br />
differenziert. Eine langdauernde Einnahme<br />
(>5 Jahre) zeigt für mikronisiertes Progesteron<br />
und Dydrogesteron eine Zunahme an<br />
Endometriumkarzinomen, wohingegen<br />
andere Gestagene keine Zunahme zeigten.<br />
Dies steht im Widerspruch zu den Daten der<br />
gleichen französischen Kohortenstudie<br />
(EN3) zum Mammakarzinom. Hier haben<br />
Dydrogesteron und Progesteron ein günstigeres<br />
Profil als synthetische Gestagene.<br />
Wahl des Gestagens in Bezug auf Karzinomrisiko<br />
Derzeit sind die Daten zu verschiedenen<br />
Karzinomen und Gestagenen widersprüchlich,<br />
so dass sich gesamthaft kein<br />
38 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
PERSPEKTIVEN<br />
Vorteil eines bestimmten Gestagens herausarbeiten<br />
lässt.<br />
Fazit<br />
Die postmenopausale Hormontherapie<br />
erhöht das Ovarialkarzinomrisiko und in<br />
bestimmten Kombinationen auch das<br />
Endometriumkarzinomrisiko. Eine konjugierte<br />
Östrogen-/MPA-Therapie erhöht<br />
das Mammakarzinomrisiko, wohingegen<br />
das konjugierte Östrogen alleine zu keiner<br />
Erhöhung des Mammakarzinomrisikos<br />
führt. Die meisten dieser Effekte sind zeitabhängig.<br />
Dauert die Therapie mehr als<br />
fünf Jahre, erhöht sich das Risiko.<br />
Alternativen zur<br />
Hormontherapie<br />
Lebensstiländerung und Sport<br />
Es existiert keine Evidenz, dass eine generelle<br />
Veränderung des Lebensstils und<br />
mehr sportliche Betätigung zu einer Verbesserung<br />
von klimakterischen Beschwerden<br />
führt (Daley et al. Cochrane 2014 und<br />
Daley et al. <strong>2015</strong>).<br />
Pflanzliche Wirkstoffe<br />
Phytoestrogene in Soja (isoflavones), Hops<br />
(Humulus lupulus) black cohosh (Cimicifuga),<br />
St. John’s Wort, Ginseng, Ginkgo<br />
biloba, Rotklee und Dong quai sind alle<br />
vielfach untersucht. Für all diese Substanzen<br />
gilt, dass die Evidenz nicht ausreichend<br />
ist (Lethaby et al. Cochrane 2013;<br />
Leach und Moore Cochrane 2012).<br />
SNRI/Gabapentin<br />
Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer<br />
(SNRI) wie Venlafaxin und Desvenlafaxin<br />
können zur Behandlung von<br />
menopausalen Symptomen eingesetzt<br />
werden. Meist dann, wenn die Hormontherapie<br />
kontraindiziert ist. Andere Daten<br />
zeigen, dass Gabapentin, ein Gammaaminobutyric-acid(GABA)-Analog,<br />
klimakterische<br />
Beschwerden verbessern<br />
kann.<br />
Kürzlich erschien ein RCT zu Venlafaxin.<br />
Dabei wurde Venlafaxin (75 mg/Tag) mit<br />
niedrig dosiertem Estradiol (0,5 mg/Tag)<br />
und einem Placebo verglichen. Das Placebo<br />
senkte die Häufigkeit vasomotorischer<br />
Beschwerden um 28,6%, Venlafaxin<br />
um 47,4% und Estradiol um 52,9%. Venlafaxin<br />
war demnach nahezu äquieffektiv<br />
im Vergleich zu Estradiol (Joffe et al.<br />
2014).<br />
Eine andere Studie an 339 postmenopausalen<br />
Frauen zu Lebensqualität, vasomotorischen<br />
Symptomen und Schlaf zeigte<br />
mit Venlafaxin und Estradiol in gleicher<br />
Dosierung wie bei obiger Untersuchung<br />
einen ähnlich guten Effekt (Caan et al.<br />
2014 und Ensrud et al. <strong>2015</strong>).<br />
Patientinnen nach Brustkrebs bevorzugten<br />
in einer Cross-over-Studie Venlafaxin<br />
gegenüber Gabapentin. Beide senkten die<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
39
PERSPEKTIVEN<br />
Frequenz von vasomotorischen Ereignissen<br />
um zwei Drittel. Das Nebenwirkungsprofil<br />
von Venlafaxin war jedoch günstiger<br />
als das von Gabapentin, weswegen<br />
68 Prozent der Frauen Venlafaxin dem<br />
Gabapentin vorziehen würden (Bordeleau<br />
et al. 2010). Venlafaxine führte vermehrt<br />
zu Unwohlsein, Verstopfung und Appetitverlust,<br />
wohingegen Gabapentin mit<br />
Schwindel und vermehrtem Appetit assoziiert<br />
wurde.<br />
SSRI<br />
Unter den Alternativen zur Hormontherapie<br />
sind die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer<br />
(SSRI) am besten untersucht.<br />
Paroxetin, Escitalopram, Citalopram und<br />
Sertralin senken die Häufigkeit und den<br />
Schweregrad von Hitzewallungen.<br />
In einer RCT führte eine 8-wöchige Behandlung<br />
mit 10 bis 20 mg Escitalopram<br />
im Vergleich zum Placebo zu einer signifikanten<br />
Reduktion von Hitzewallungen<br />
und einer Verbesserung der Lebensqualität<br />
(Carpenter et al. 2012).<br />
Paroxetin in der niedrigen Dosierung von<br />
7,5 mg/Tag wurde im Jahre 2013 von der<br />
FDA zur Behandlung von vasomotorischen<br />
Beschwerden zugelassen. Die Nebenwirkungen<br />
waren: Kopfschmerzen,<br />
Erschöpfung und Unwohlsein. Die Zulassungsstudie<br />
wurde an knapp 1200 Frauen<br />
durchgeführt (Simon et al. 2013).<br />
Paroxetin war gegenüber dem Placebo<br />
signifikant effektiver bei der Reduktion<br />
von Frequenz und Schwere der Hitzewallungen.<br />
Clonidin<br />
Zur Behandlung von Hitzewallungen können<br />
auch Alpha-2-Agonisten, hauptsächlich<br />
Clonidin, eingesetzt werden. Clonidin<br />
ist in einigen Ländern für diese Behandlung<br />
zugelassen. Es kann das Vorkommen<br />
von Hitzewallungen nach drei Monaten<br />
Einnahmezeit reduzieren. So zeigten<br />
Boek hout et al. 2011, dass nach 12 Wochen<br />
Einnahme von 0,1 mg Clonidin die<br />
Hitzewallungen signifikant geringer waren<br />
als bei Einnahme des Placebo.<br />
Fazit<br />
Mit den SSRI und den SNRI stehen Substanzgruppen<br />
zur Verfügung, die in mehreren<br />
RCT ihre Wirksamkeit in der Reduktion<br />
von Hitzewallungen gegenüber<br />
Plazebo demonstriert haben. Das niedrig<br />
dosierte Paroxetin ist auch von der FDA<br />
in dieser Indikation zugelassen. Somit<br />
stellen sie Alternativen zur Hormontherapie<br />
dar. <br />
■<br />
Literatur<br />
Anderson et al. <br />
JAMA. 2004 Apr 14; 291 (14): 1701–12<br />
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Menopause. 2013 Oct 20; (10): 1027–35<br />
40 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
PERSPEKTIVEN<br />
AUS DER «THERAPEUTISCHEN UMSCHAU» *<br />
Der nichtkardiale Thoraxschmerz<br />
Ziel der Arbeit ist eine kurzgefasste Übersicht der klinischen Symptome, Befunde und<br />
Differentialdiagnose von nichtkardialen Thoraxschmerzen. Gezielte Anamnese und klinische<br />
Untersuchung erlauben meist mit hoher Treffsicherheit eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose,<br />
die in der Folge gezielt mit EKG, Laboruntersuchungen und allenfalls einem bildgebenden<br />
Verfahren bestätigt werden kann. Der Text über nichtkardiale Thoraxschmerzen wäre<br />
unvollständig ohne kurze Rekapitulation kardialer Thoraxschmerzen.<br />
Benedikt Horn, Hausarzt i. R., Interlaken<br />
Die Medizin war, ist und bleibt eine aufregende<br />
Herausforderung. Wer sich langweilt,<br />
macht etwas falsch! (Siehe Faustregel<br />
von G. Engel am Schluss der Arbeit).<br />
Der Thoraxschmerz beim<br />
akuten Koronarsyndrom<br />
(AKS)<br />
Der Thoraxschmerz beim akuten Koronarsyndrom<br />
(AKS) manifestiert sich meist<br />
• retrosternal, zu Beginn häufig im Epigastrium,<br />
oft ausstrahlend in Schultern<br />
oder Nacken<br />
• drückend, würgend, oft als vernichtend<br />
empfunden, «jetzt ist gleich Schluss»,<br />
Todesangst<br />
• «stärker als der Patient»: Der Schmerz<br />
zwingt zu körperlicher Ruhe<br />
• abhängig von oder ausgelöst durch körperliche<br />
oder auch psychische Belastung<br />
• vom Patienten nicht mit einem Finger<br />
(punktförmig) sondern mit der Faust<br />
gezeigt<br />
Ätiologisch sind oft mehrere Risikofaktoren<br />
kombiniert (familiäre Belastung,<br />
Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie,<br />
Stress, aktivierte Gerinnung).<br />
Das EKG zeigt eine ST-Hebung (STEMI),<br />
eine ST-Senkung oder es ist (noch) normal.<br />
Die Labor-Parameter (Troponin,<br />
CPK) sind zu Beginn oft noch nicht erhöht!<br />
Da tödliche Komplikationen (Arrhythmien)<br />
zu Beginn am häufigsten<br />
* Der Artikel erschien ursprünglich in der «Therapeutischen<br />
Umschau» (Therapeutische Umschau <strong>2015</strong>;<br />
72 (1): 62–65). <strong>VSAO</strong>-Mitglieder können die «Therapeutische<br />
Umschau» zu äusserst günstigen Konditionen<br />
abonnieren. <br />
Details siehe unter www.verlag-hanshuber.com/vsao.<br />
sind, ist eine notfallmässige Spitaleinweisung<br />
sinnvoll, sofern ein AKS klinisch<br />
wahrscheinlich ist [1].<br />
Perikarditis<br />
Stechende Schmerzen, verstärkt bei Inspiration,<br />
bessern im Sitzen. Retrosternal,<br />
oft ausstrahlend in Rücken, Hals, Schultern.<br />
Ein Perikardreiben muss man «suchen»,<br />
d. h. den Patienten täglich mehrmals<br />
sorgfältig liegend und sitzend auskultieren.<br />
Es beweist die Perikarditis, sagt<br />
aber über die Ursache nichts aus: Dressler-<br />
Syndrom (2 – 5 Tage nach Infarkt oder<br />
Herz-Opera tion), Virusinfekt (inkl. HIV!),<br />
selten bakterielle Infektionen (Borrelliose,<br />
Tbc), Urämie, Neoplasien, Autoimmun,<br />
Bestrahlung.<br />
CAVE! Das Perikard ist nicht dehnbar.<br />
Eine grössere Flüssigkeitsansammlung<br />
führt zur Kompression des Myokards und<br />
zu rasch auftretender und lebensbedrohlicher<br />
Reduktion der Herzleistung (Perikardtamponade).<br />
Transthorakale Echokardiographie!<br />
[3]. Interessant ist die<br />
Therapie der akut-rezidivierenden Perikarditis<br />
mit Colchizin [4].<br />
Bei ambulanten Patienten<br />
ist der nichtkardiale<br />
Thoraxschmerz viel<br />
häufiger als der kardiale<br />
Abklärung im Rahmen einer Kurzhospitalisation<br />
(6 bis 8 Std.) mit Anamnese,<br />
klinischer Untersuchung, EKG, Sonografie,<br />
Röntgen-Thorax und wenigen gezielten<br />
Laboruntersuchungen kostet gerechnet<br />
aktuell über CHF 1000.–, Fallkostenpauschalen<br />
geben ein verzerrtes Bild effektiver<br />
Kosten! Es gilt somit, anhand<br />
einiger aussagekräftiger Kriterien rasch<br />
zu beurteilen, ob eine Hospitalisation<br />
zwingend ist oder nicht. Im Vordergrund<br />
steht (einmal mehr) die Anamnese:<br />
• frühere gleiche oder ähnliche Schmerzepisoden?<br />
Häufigkeit, Dauer, Verlauf?<br />
• Auslösende Faktoren (Bewegung, Essen,<br />
Trauma, psychische Belastung,<br />
Infekt)<br />
Nach wie vor eine der besten Übersichten<br />
findet sich bei [5]. Weist der Patient Zeichen<br />
von Instabilität auf (vergl. unten,<br />
Abschnitt G), muss er notfallmässig hospitalisiert<br />
werden.<br />
A) Die wichtigste Differentialdiagnose<br />
zum AKS stellt die<br />
Aorten-Dissektion dar<br />
An diese muss immer gedacht werden, sie<br />
zu übersehen, kann tödliche Folgen haben.<br />
Es handelt sich um ein schweres, oft<br />
dramatisches Krankheitsbild. Am Beginn<br />
steht ähnlich wie beim akuten Koronarsyndrom<br />
ein heftiger («reissender») Thoraxschmerz,<br />
mit zunehmender Dissektion<br />
wandert der Schmerz gegen Rücken und<br />
Abdomen. AZ schlecht, Patient mit kaltem<br />
Schweiss. BD initial häufig erhöht, später<br />
Radialispuls bei tiefem BD (unter 100) und<br />
wegen Dissektion oft nicht palpabel. 144<br />
alarmieren, Sauerstoff, Venflon, Mo 5 mg<br />
iv, dann «titrieren» (2,5 mg-weise). Ein<br />
gutes Merkblatt gibt es von der Kardiologie<br />
des Kantonsspitals St.Gallen [6].<br />
B) Der Patient erwähnt ein<br />
Trauma: Meist Rippenkontusion<br />
oder Fraktur<br />
CAVE! Meldet sich der Patient trotz heftiger<br />
Schmerzen erst am folgenden Tag, besteht<br />
Verdacht auf ein Alkoholproblem! Es gibt<br />
aber auch «harte Burschen», die nicht<br />
trinken.<br />
• meist Sturz, gelegentlich direkte Gewaltanwendung<br />
(Faust, Fusstritt, Kickboxen<br />
[7])<br />
• Schmerz meist streng lokalisiert, bewegungs-<br />
und atemabhängig<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
41
PERSPEKTIVEN<br />
• von Sonographie und/oder Röntgen-<br />
Thorax profitieren Arzt und Spital häufig<br />
mehr als der Patient, aber unter<br />
Druck von Patient, Arbeitgeber, Versicherung<br />
und Jurist oft nötig<br />
• Schmerzen dauern lange, tags meist<br />
drei, nachts sechs Wochen (Patienten<br />
informieren!)<br />
Therapie: Analgesie grosszügig mit<br />
Paracetamol 3 × 1 gr plus Ibuprofen<br />
3 × 600 mg. Cingulum (Rippengürtel)<br />
subjektiv oft sehr wirkungsvoll: Bei COPD<br />
und Rauchern mehrmals täglich entfernen<br />
und 2 Minuten gegen Widerstand<br />
atmen und husten lassen.<br />
CAVE! Bei zunehmender Dyspnoe/Zyanose<br />
an Spannungspneumothorax denken<br />
[8]! Wiederholte sorgfältige klinische Untersuchung<br />
(vergl. unten, Abschnitt I).<br />
C) Der Schmerz beginnt mit<br />
einer «blöden Bewegung»<br />
Beginn akut oft morgens (Zähneputzen,<br />
Aufstehen aus Bett, Rasieren, Kind hochheben).<br />
Der Schmerz ist oft, aber nicht<br />
immer lokalisiert, er strahlt gegen vorne<br />
und hinten aus und ist ausgesprochen<br />
bewegungs- und atem abhängig: Kostovertebrales<br />
Schmerzsyndrom (früher «Interkostalneuralgie»<br />
genannt). Meist kann<br />
der Schmerz durch lokalen Druck ausgelöst<br />
werden («Trigger»). Um nicht einen<br />
Herpes Zoster zu verpassen, muss die Haut<br />
im betroffenen Segment sehr exakt auf<br />
eventuelle Flecken und Bläschen untersucht<br />
werden. Weiterführende Untersuchungen<br />
sind nicht indiziert (EGK, Sono,<br />
Röntgenthorax, Labor), hingegen können<br />
wir dem Pa tienten mit Paracetamol, Ibuprofen<br />
® , ev. Cingulum (siehe Abschnitt B)<br />
helfen. Das kostovertebrale Schmerzsyndrom<br />
ist der häufigste organische Thoraxschmerz<br />
überhaupt!<br />
D) Der Herpes Zoster<br />
Der Herpes Zoster in einem thorakalen<br />
Hautsegment äussert sich nicht selten<br />
durch Schmerzen bereits zwei, drei Tage<br />
bevor Rötung und Bläschen auftreten. Es<br />
ist deshalb klug, Patienten mit einem kostovertebralen<br />
Schmerzsyndrom (C) darauf<br />
aufmerksam zu machen, sich bei<br />
Auftreten von Flecken und Bläschen zu<br />
einer Neubeurteilung zu melden. Im Alter<br />
unter 50 Jahren sind persistierende Zoster-<br />
Neuralgien ausgesprochen selten. Bei Patienten<br />
über 50 sollte eine Therapie mit<br />
Aciclovir ® diskutiert werden.<br />
CAVE! Hat der Patient Kontakt mit Patienten<br />
unter Immunsuppression, sollte die<br />
Situation dringend mit einem Infektiologen<br />
besprochen werden. Wie weit ein Herpes<br />
Zoster Hinweis auf eine maligne Erkrankung<br />
sein kann, und damit eine<br />
gezielte Abklärung rechtfertigt, ist nach<br />
wie vor nicht geklärt [9, 10, 11]. Der Herpes<br />
Zoster geniesst bei der Bevölkerung<br />
einen ausgesprochen schlechten Ruf<br />
(Neuralgien, gelegentlich Vorbote eines<br />
Lymphoms).<br />
E) Der Thoraxschmerz bei<br />
gastro-oesophagealem Reflux<br />
Er tritt vor allem beim Liegen und Bücken<br />
auf. Häufig wird der Schmerz durch «Säurelocker»<br />
(Senf, Pfeffer, Blätterteig-Gebäck,<br />
Rahm, tanninhaltiger Rotwein)<br />
provoziert. Damit ist auch die wichtigste<br />
Prävention klar: Verzicht auf die genannten<br />
Nahrungsmittel. Oft lassen sich die<br />
Beschwerden auch durch Vermeiden von<br />
Arbeit in gebückter Haltung (kauern und<br />
knien statt bücken) und durch Liegen mit<br />
erhöhtem Oberkörper vermeiden. Wie weit<br />
«Chemie statt Verzicht» mit einem Säureblocker<br />
(«-prazol») gerechtfertigt ist, ist<br />
letztlich nicht nur eine finanzielle, sondern<br />
eine ethische Frage: Wie weit lassen<br />
sich individuelle Wünsche und Bedürfnisse<br />
mit einem hohem finanziellen Aufwand<br />
rechtfertigen? «Ohne Säurelocker<br />
braucht es keine Säureblocker».<br />
CAVE: Ein akutes Koronarsyndrom (AKS)<br />
manifestiert sich oft zuerst mit «Magenbrennen».<br />
Tritt nach Verabreichung von<br />
40 mg Omeprazol plus Aluminiumhydroxyd<br />
innert 30 Minuten keine Besserung<br />
ein, muss ein AKS dringend in Betracht<br />
gezogen werden!<br />
F) Tietze-Syndrom<br />
Der heute halb informierte und völlig verunsicherte<br />
Patient ist alarmiert: Er hat<br />
unterhalb der Klavikula links eine<br />
schmerzhafte Schwellung, hat die halbe<br />
Nacht gegoogelt und kommt zum Schluss,<br />
dass es sich wohl um eine Metastase eines<br />
Prostata- oder Bronchus- Karzinoms<br />
handle, wegen der Eternitziegel auf dem<br />
Haus komme sicher auch ein Pleura-Mesotheliom<br />
in Frage. Wir beruhigen ihn,<br />
möglichst mit Bild (im «Siegenthaler» seit<br />
50 Jahren in jeder Ausgabe!), es ist ein<br />
Tietze-Syndrom. Und seit 50 Jahren wissen<br />
wir nicht, was das eigentlich ist. Sicher<br />
eine entzündliche Schwellung, die auf<br />
Verabreichung von Ibuprofen meist verschwindet,<br />
wie sie gekommen ist. Lokalisiert<br />
am Knorpel der 2., ev. 3. Rippe, häufiger<br />
links als rechts. Entzündungsparameter<br />
negativ, die überflüssige Bildgebung<br />
zeigt das, was wir sehen und palpieren:<br />
Eine Schwellung. Falls die Rippe betroffen<br />
ist, vergl. Abschnitt L.<br />
G) Die Lungenembolie<br />
Die Lungenembolie (LE) gehört nach wie<br />
vor zu den häufig «verpassten» Diagnosen<br />
[12].<br />
Viele Patienten mit einer LE sind schwere<br />
Notfälle (Zeichen von Instabilität). Die LE<br />
wird hier erwähnt, weil dem Hausarzt bei<br />
der Beurteilung der Vortest-Wahrscheinlichkeit<br />
eine hohe Bedeutung zukommt.<br />
Die Lungenembolie ist selbstverständlich<br />
kein «kleiner Notfall»!<br />
Es gibt mehrere diagnostische Scores [13]<br />
deren «Extrakt» etwa lautet: 1. Anamnese<br />
(Trauma, Geburt, Operation, Bettruhe<br />
> 24 h, lange Flug/Busreise) plus 2. Wadenschmerz<br />
(spontan oder auf Druck)<br />
plus 3. Tachycardie über 100/Min. bedeutet<br />
Lungenembolie, bis das Gegenteil bewiesen<br />
ist (in der Regel mittels Spiral-CT).<br />
Labor: D-Dimer sehr sensitiv, aber wenig<br />
spezifisch. Ein negativer D-Dimer-Test<br />
macht eine LE wenig wahrscheinlich,<br />
schliesst sie aber nicht aus [13]. Die Klinik<br />
entscheidet!<br />
Welcher Patient muss ins Spital? Jeder<br />
Patient, der instabil ist. Zeichen von Instabilität<br />
sind Dyspnoe, Cyanose, ausgeprägte<br />
Tachycardie, BD unter 100 mHg<br />
syst., Schock-Symptome, Bewusstseinstrübung,<br />
Angst, ungünstige soziale Verhältnisse,<br />
alleinstehende Menschen. Der Patient<br />
muss auch ins Spital, wenn der Arzt<br />
Angst hat, den Patienten mit einer potentiell<br />
tödlichen Erkrankung zu Hause zu<br />
betreuen! Angst ist ein schlechter Berater!<br />
Die Therapie der LE ist anspruchsvoll,<br />
siehe (neben [12] und [14]) prägnante<br />
Beschreibung bei Furger [15].<br />
H) Die Pleuritis<br />
Die Pleuritis führt zu scharfen, lokalisierten<br />
Schmerzen, verstärkt bei Husten, Niesen<br />
und tiefer Inspiration. Bei Pleuraerguss<br />
sind Stimmfremitus, Klopfschall und<br />
Atemgeräusch vermindert. Die Differentialdiagnose<br />
ist eine Herausforderung und<br />
verlangt häufig eine enge Kooperation mit<br />
dem Pneumologen und Infektiologen. Als<br />
erste Massnahme ist Paracetamol (ev.<br />
kombiniert mit Codein) und Ibuprofen<br />
42 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
PERSPEKTIVEN<br />
sinnvoll. Die Abklärung des Pleuraergusses<br />
ist bei [16] ausführlich und praxisnah<br />
beschrieben.<br />
I) Pneumothorax<br />
Die Diagnose erfolgt auch hier primär<br />
klinisch: Akut einsetzende unilaterale<br />
Thoraxschmerzen, leichte Dyspnoe. Atemgeräusch<br />
und Stimmfremitus vermindert,<br />
Klopfschall erhöht. Der primäre Pneumothorax<br />
tritt in erster Linie bei jungen,<br />
schlanken Männern auf, der Sekundäre<br />
bei Patienten mit COPD, Asthma und<br />
zahlreichen weiteren (chronischen) Lungenerkrankungen.<br />
CAVE! Nimmt die Dyspnoe zu, begleitet<br />
von schlechter O 2 -Sättigung und Oppressionsgefühl,<br />
liegt ein Spannungs-Pneumothorax<br />
vor. Kann der Patient nicht<br />
innert Minuten im Spital sein, ist die<br />
Punktion mit der grösstmöglichen Venflon-Kanüle<br />
lebensrettend (2. ICR in der<br />
Medioclavicular linie, senkrecht zur Haut).<br />
J) Morbus Bornholm<br />
(Epidemische Pleurodynie). Es handelt<br />
sich nicht um eine Pleuritis, sondern um<br />
einen interkostalen Schmerz bei einer<br />
viralen Infektion (oft Coxsackie B). Dauer<br />
eine Woche, Prognose gut. Therapie mit<br />
NSAR.<br />
K) Rippenmetastasen<br />
CAVE! Ist die Schwellung beim «Tietze-<br />
Syndrom» (s. Abschnitt F) nicht streng auf<br />
den Rippenknorpel lokalisiert, hat der<br />
Patient möglicherweise recht! CT, ev. MRI,<br />
usw.<br />
L) Funktionelle Probleme<br />
Last but not least: Zu den häufigsten Thoraxschmerzen<br />
gehören funktionelle Probleme<br />
(Effort Syndrom, «soldiers heart»,<br />
psychogene Schmerzen). Während Standardwerke<br />
der Inneren Medizin [17] immerhin<br />
in vier Zeilen auf psychische Ursachen<br />
von Thoraxschmerzen hinweisen<br />
(Depression, Angst, Panikstörung), widmet<br />
der Orthopäde A. M. Debrunner [18]<br />
Themen wie Zuhören, Gespräch, Betreuung<br />
und Beratung gar mehrere Seiten.<br />
Erschöpfend Auskunft über funktionelle<br />
Schmerz-Syndrome gibt das Standardwerk<br />
von Uexküll [19], unter anderem in<br />
einer Tabelle über «Merkmale vorwiegend<br />
organischer und vorwiegend nichtorganischer<br />
Schmerzen».<br />
Die Faustregel von G. Engel [20] gilt nach<br />
50 Jahren unverändert: Patienten mit<br />
organischem Hintergrund für die<br />
Schmerzen ziehen als Ursache psychische<br />
Gründe heran, und solche mit<br />
psychogen bedingten Schmerzen betonen,<br />
dass hinter ihrem Schmerz eine<br />
nur noch nicht erfasste organische Störung<br />
liege.<br />
■<br />
Korrespondenzadresse<br />
Prof. em. Dr. med. Benedikt Horn<br />
FMH Allgemeine Medizin<br />
Marktgasse 66<br />
3800 Interlaken<br />
dr.horn@tcnet.ch<br />
Manuskript gegengelesen von:<br />
Dr. med. Hans U. Marty<br />
Ehem. Chefarzt Spital Zweisimmen<br />
Ehem. Leiter Medizin am<br />
Universitären Notfall-Zentrum<br />
Inselspital Bern<br />
Literatur<br />
1. Neuner-Jehle S. Diagnose-Scores für das<br />
ACS. PrimaryCare 2012, 12: 383.<br />
2. Schneider T et al. Myokarditis – eine wichtige<br />
Differentialdiagnose. SMF 2012,12:<br />
812 – 816.<br />
3. Horn R, Krähenbühl G. Notfallsonografie<br />
des Thorax für internistische und traumatologische<br />
Patienten. PRAXIS 2014, 103:<br />
689 – 695.<br />
4. de Torrenté A. Akute Pericarditis, eine wirksame<br />
Behandlung. SMF 2014, 14: 167.<br />
5. Raetzo MA, Restellini A. (Hrsg): Alltagsbeschwerden<br />
Verlag Huber 1998.<br />
6. Kardiovaskuläres Manual Kt.-Spital St. Gallen<br />
2011. www. kv_manual_2011.pdf<br />
7. Extremer k.o. beim Kickboxen. www. youtube.com:<br />
kickbox k.o.<br />
8. Petke S. Der Spannungspneumothorax<br />
(2011). www.Petke_Spannungspneu.pdf.<br />
9. Egli A. Herpes Zoster. Pharma-Kritik 12,04<br />
www.infomed.ch (pdf).<br />
10. Wareham DW, J. Breuer: Herpes Zoster. BMJ<br />
2007, 334: 1211 – 1215.<br />
11. CME Herpes Zoster. PRAXIS 2013, 102:<br />
185 – 194.<br />
12. Benz R et al. Akute Lungenembolie, aktuelle<br />
Diagnostik und Therapie. SMF 2014, 14,<br />
195 – 201.<br />
13. Neuner-Jehle S. Diagnose von tiefer Venenthrombose<br />
& Lungenembolien PrimaryCare<br />
2013, 13: 294 – 295.<br />
14. Kucher N et al. Behandlung der venösen<br />
Thromboembolie. SMF 2013, 13: 715 – 718.<br />
15. Furger Ph et al. TURBO Notfallmedizin,<br />
Guidelines 2010, update www.investimed.ch.<br />
16. CME Pleuraerguss. PRAXIS 2014, 103,<br />
739 – 752.<br />
17. Papadakis MA et al. Current medical Diagnosis<br />
and treatment 2014.<br />
18. Debrunner AM. Orthopädische Chirurgie. 4.<br />
Aufl. 2005, 261 – 274.<br />
19. Uexküll Th. (Hrsg. R. Adler) Psychosomatische<br />
Medizin. Urban und Schwarzenberg<br />
1990.<br />
20. Engel G. signs and symptoms. Lipincott 1970,<br />
5. Aufl., Kap. 30.<br />
Chest pain<br />
Chest pain in ambulatory setting is predominantly not<br />
heart-associated. Most patients suffer from muskuloskeletal<br />
or functional (psychogenic) chest pain. Differential<br />
diagnosis covers aortic dissection, rib-fracture, shingles,<br />
GERD, Tietze-Syndrome, pul monary embolism, pleuritis,<br />
pneumothorax, pleurodynia and metastatic disease.<br />
In most cases history, symptoms and signs allow a<br />
clinical diagnosis of high pretest-probability.<br />
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Kathrin Grüneis<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
43
PERSPEKTIVEN<br />
D as erleseneObjekt<br />
Berauschender Rauch<br />
Prof. Iris Ritzmann, Medizinhistorikerin in Zürich<br />
Reich verzierte Opiumpfeife aus Vietnam, 20. Jahrhundert. <br />
© MKB; Fotograf: Derek Li Wan Po<br />
«Rauchen verboten!» Die immer zahlreicheren<br />
Verbotsschilder gelten der Droge<br />
Tabak. Tabak, einst gekaut und geschnupft,<br />
wird heute mehrheitlich geraucht<br />
oder – zum Abgewöhnen – als<br />
Nikotin mittels Pflastern oder Saugtülle<br />
aufgenommen. Doch die hier abgebildete<br />
mit einer filigranen Silberverzierung<br />
überzogene Pfeife ist keine Tabakspfeife.<br />
Sie diente dem Opiumkonsum.<br />
Opium kann ebenfalls auf unterschiedliche<br />
Arten eingenommen werden. Die Injektion<br />
von Morphin kam erst nach der<br />
Isolierung dieses Alkaloids und der Verbreitung<br />
von Spritzen auf. Wie wandte<br />
man das Schmerzmittel vorher an? Im<br />
18. Jahrhundert verabreichte sich der bekannte<br />
Arzt und Universalgelehrte Albrecht<br />
von Haller regelmässige Opiumklistiere.<br />
Er konnte so die invalidisierenden<br />
Schmerzen, die sein Blasenstein hervorrief,<br />
etwas besser ertragen. In der Regel<br />
jedoch nahmen Schmerzleidende das<br />
Heilmittel Opium als Pille, Täfelchen oder<br />
in gelöster Form als Laudanum ein.<br />
Das Genussmittel Opium dagegen wurde<br />
gekaut und geraucht, vor allem in China.<br />
Trotz strenger Verbote breitete es sich<br />
immer weiter aus, nicht zuletzt, weil<br />
Opium das Hungergefühl zu dämpfen<br />
vermag. Doch nicht nur in den berüchtigten<br />
«Opiumhöhlen» des fernen China<br />
oder der Neuen Welt wurde Opium geraucht.<br />
Auch europäische Künstler, ja<br />
sogar gut betuchte Stadtbürger sogen an<br />
ihren Opiumpfeifen, um einen Rausch<br />
zu erleben.<br />
Wollen auch Sie einen Opiumrausch erleben<br />
– weder rauchend noch schluckend?<br />
Dann besuchen Sie das Museum der Kulturen<br />
in Basel und lassen Sie sich überraschen!<br />
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Opium.<br />
Eine Ausstellung<br />
des Museums der<br />
Kulturen Basel<br />
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Di – So: 10.00 – 17.00 Uhr<br />
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44 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
Versicherungen verstehen:<br />
die Berufshaftpflicht<br />
Welche Ärztinnen und Ärzte müssen eine eigene Berufshaftpflichtversicherung abschliessen und<br />
welche nicht? Was muss beim Abschluss einer solchen Versicherung besonders beachtet werden?<br />
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC beantwortet diese Fragen mit Hilfe des Lebensphasenmodells.<br />
Christoph Bohn, freier Mitarbeiter MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
Wer sich täglich für seine Patienten einsetzt,<br />
sollte möglichst frühzeitig an seine<br />
eigene Risikosituation denken. Denn gerade<br />
Ärztinnen und Ärzte sind im Berufsleben<br />
erheblichen Risiken ausgesetzt. Die Erwartungen<br />
an selbständige Ärzte aller Fachrichtungen<br />
werden immer höher. Erfolgreiche<br />
Behandlungen werden heute praktisch<br />
vorausgesetzt. Zudem sind Pa tienten meistens<br />
gut informiert und nicht bereit, Behandlungsresultate<br />
klaglos zu akzeptieren,<br />
die ihre Erwartungen nicht erfüllt haben.<br />
Dazu kommen politische Vorstösse zur Verbesserung<br />
der Patientenrechte (z.B. Beweislastumkehr).<br />
Entsprechend steigen die<br />
Haftungsrisiken von Ärzten laufend. So hält<br />
zum Beispiel das Bundesamt für Sozialversicherungen<br />
fest: «Vor allem Ärzte und<br />
Ärztinnen, Zahnärzte, Architektinnen, Ingenieure<br />
und Anwältinnen sind speziellen<br />
Berufsrisiken ausgesetzt, denn ihre Produkte<br />
sind in der Regel die Arbeit am Menschen.<br />
(…) Ein Anstieg der Fälle von Klagen<br />
gegen Ärzte und Zahnärzte wegen<br />
Kunstfehlern ist hier feststellbar.»<br />
Dass diese Entwicklung nicht immer zum<br />
Vorteil der Patienten ist, unterstreicht<br />
Brückner in seinen Ausführungen zur ärztlichen<br />
Haftpflicht: «Ganz allgemein kann<br />
festgehalten werden, dass eine auf die Vermeidung<br />
von Haftpflichtrisiken bedachte<br />
Medizin für die Patienten nachteilig ist. In<br />
einem haftpflichtrechtlich immer intoleranter<br />
werdenden Umfeld bedeutet dies eine<br />
wachsende Risikoscheu der Ärzte und damit<br />
– aufs Ganze gesehen – eine entsprechend<br />
reduzierte Qualität der medizinischen<br />
Versorgung der Bevölkerung.» 1<br />
Selbst wenn wir noch weit von amerikanischen<br />
Verhältnissen mit ihren horrenden<br />
Wiedergutmachungssummen entfernt<br />
sind, lohnt es sich sehr, die eigene<br />
Situation rechtzeitig und gründlich zu<br />
analysieren und die entsprechenden<br />
Schritte für eine individuelle Absicherung<br />
zu unternehmen.<br />
Ein Muss für selbständig<br />
Praktizierende<br />
Mögen die Bedürfnisse an Versicherungslösungen<br />
noch so individuell sein: Für<br />
selbständig praktizierende Ärzte ist der<br />
Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung<br />
ein absolutes Muss – ohne Wenn<br />
und Aber. Denn einerseits schützt sie bei<br />
Personen- und Sachschäden. Und anderseits<br />
kann damit möglichen Schadenersatzforderungen<br />
von Patientenseite begegnet<br />
und das eigene Vermögen geschützt<br />
werden. Medizinische Praxisassistentinnen<br />
und -assistenten sind automatisch in<br />
der Police ihres Arbeitgebers versichert.<br />
Je nach Fachrichtung und ausgeübter Tätigkeit<br />
gibt es massgeschneiderte sowie<br />
standardisierte Berufshaftpflichtlösungen.<br />
Relevant ist dabei stets eine komplette<br />
Auflistung davon, was jemand beruflich<br />
macht bzw. nicht macht. Die Angabe eines<br />
Facharzttitels genügt also nicht. Die Versicherungsgesellschaft<br />
muss im Gegenteil<br />
präzis wissen, welche Behandlungen ein<br />
Arzt durchführt und welche nicht. Wer<br />
beispielsweise angibt, als Facharzt «Innere<br />
Medizin» tätig zu sein, kann nicht<br />
davon ausgehen, dass das Risiko Gastroenterologie,<br />
Endoskopie oder Angiologie<br />
gedeckt ist. Oder: Immer häufiger wenden<br />
sich Ärzte besonderen medizinischen<br />
Marktnischentätigkeiten zu (zum Beispiel<br />
Botox-, Laserbehandlungen etc.). Über all<br />
das muss die Versicherungsgesellschaft<br />
Bescheid wissen, sonst kann ein daraus<br />
resultierender Schaden an einer Person<br />
unter Umständen nicht gedeckt sein. Die<br />
Konsequenzen eines solchen Falles könnten<br />
dann für den behandelnden Arzt<br />
enorm einschneidend sein. Wichtig ist<br />
zudem, dass eine Berufshaftpflichtversicherung<br />
wegen der ärztlichen Notfallpflicht<br />
auch ausserhalb der Praxis und<br />
möglichst weltweit gültig ist.<br />
Kompetente Beratung<br />
für komplexe Fälle<br />
Generell kann gesagt werden: Je invasiver<br />
ein Arzt tätig ist, desto höher ist sein Risiko<br />
und damit auch die Versicherungsprä-<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
45
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
mie. «Die Versicherungssummen bewegen<br />
sich meistens zwischen 5 und 10 Millionen<br />
Franken und die Prämien liegen oft<br />
im vier- bis fünfstelligen Bereich. Mit<br />
Konkurrenzvergleichen lassen sich aber<br />
bis 30 Prozent davon einsparen», bemerkt<br />
Reto Spring, Präsident Finanzplaner Verband<br />
Schweiz.<br />
Bei der individuellen Ausgestaltung einer<br />
geeigneten und langfristig konzipierten<br />
Berufshaftpflichtlösung sind zudem viele<br />
spezielle, zum Teil hochkomplexe Faktoren<br />
und Bedingungen zu beachten. Deshalb<br />
ist eine persönliche Analyse und<br />
Beratung für jeden Arzt von zentraler<br />
Bedeutung. MEDISERVICE ist dafür mit<br />
seinem Know-how und seinem Netzwerk<br />
der ideale Ansprechpartner für selbständige<br />
Ärzte aller Fachrichtungen.<br />
Wichtig: Angestellte Ärzte und Medizinalpersonen<br />
sind von Gesetzes wegen durch<br />
ihren Arbeitgeber (Spital, Klinik, Praxis<br />
etc.) versichert und müssen darum keine<br />
eigene Berufshaftpflichtversicherung abschliessen.<br />
Die Berufshaftpflichtversicherung auf einen Blick:<br />
• Ein Muss für selbständige Ärzte aller Fachrichtungen, während der Berufszeit und in der Phase<br />
Pensionierung/Nachfolgeregelung<br />
• Angestellte Ärzte und Medizinalpersonen sind durch den Arbeitgeber versichert<br />
• Haftpflichtversicherung für Personen-, Sach- und Vermögensschäden aus medizinischer Tätigkeit<br />
(gemäss gesetzlichen Bestimmungen)<br />
• Versicherung gegen Schäden an Mieträumen etc.<br />
• Speziell attraktive Prämien und Dienstleistungen für MEDISERVICE-Mitglieder<br />
Weitere Informationen und Beratung: MEDISERVICE, 031 350 44 22 oder info@mediservice-vsao.ch<br />
MEDISERVICE steht den Mitgliedern in<br />
all diesen Fragen mit Rat und Tat aktiv<br />
zur Seite. Als Dienstleistungsorganisation<br />
des <strong>VSAO</strong> kennt MEDISERVICE die Risikoprofile<br />
von Ärztinnen und Ärzten in den<br />
verschiedenen medizinischen Fachrichtungen<br />
genau. Das speziell entwickelte<br />
Lebensphasenmodell (www.mediservicevsao.ch/de/lebensphasen)<br />
liefert wichtige<br />
Erkenntnisse, wer sich vertieft mit dem<br />
Thema Berufshaftpflicht und weiteren<br />
Versicherungsthemen auseinandersetzen<br />
sollte. Damit gilt es, Überraschungen zu<br />
vermeiden, die enorm ins Geld gehen und<br />
unter Umständen ganze Berufskarrieren<br />
gefährden können.<br />
■<br />
Nicht verpassen: In der nächsten Ausgabe<br />
des <strong>VSAO</strong>-Journals vom Dezember<br />
<strong>2015</strong> (<strong>Nr</strong>. 6/15) gehen wir näher auf die<br />
Privathaftpflichtversicherungen ein.<br />
1 Arzthaftpflicht, Juristischer Ratgeber für Ärzte<br />
und Kliniken. Prof. Dr. iur. Christian<br />
Brückner. 1. Mai 2011.<br />
46 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
BRIEFKASTEN<br />
Santésuisse wirft mir in einem Schreiben das fehlerhafte Anwenden<br />
von Tarifen und Überarztung vor. Was bedeutet dies im Detail? Was<br />
soll ich tun?<br />
Ziel der santésuisse/tarifsuisse ist es, einen schweizweit möglichst gleichen Preis für<br />
gleiche Leistung zu erreichen. Deshalb wird das Abrechnungsverhalten der Leistungserbringer<br />
auf deren Wirtschaftlichkeit hin systematisch kontrolliert.<br />
Dazu wird einerseits die Einzelrechnungsprüfung eingesetzt, anlässlich derer die Abrechnung<br />
eines Leistungserbringers auf falsche oder ungerechtfertigte in Rechnung<br />
gestellte Tarifpositionen oder Preise angeschaut werden. Diese Überprüfung erfolgt durch<br />
die Krankenversicherer. Andererseits wendet die santésuisse die Wirtschaftlichkeitsprüfung<br />
gemäss Art. 56 Abs. 6 KVG an, um Leistungserbringer zu erkennen, deren Kosten<br />
signifikant (Schwelle: 120%) über dem Durchschnitt liegen.<br />
Neu führt die santésuisse zudem im Rahmen eines Wirtschaftlichkeitsverfahrens zusätzlich<br />
eine Tarifkontrolle durch. Dies bedeutet eine Kontrolle des Abrechnungsverhaltens<br />
des betroffenen Arztes. Der Arzt wird somit nebst dem Verdacht der Überarztung<br />
zusätzlich mit «fehlerhafter» Anwendung von Tarifen belastet. Der Fokus wird dabei<br />
auf die in Rechnung gestellten Tarifpositionen gelegt, d.h., es erfolgt eine Analyse der<br />
Tarifanwendung. Sollten die verwendeten Tarife eines Leistungserbringers auffällig sein,<br />
wird eine Analyse über alle Leistungserbringer der gleichen Fachrichtung gemacht. Es<br />
handelt sich hier somit nicht um eine statistische Auffälligkeit, sondern um die Art der<br />
Tarifanwendung sowie das Vorhandensein von Fähigkeitsausweisen und Dignitäten. Bei<br />
einer missbräuchlichen Tarifanwendung wird eine Rückzahlungsforderung gestellt.<br />
lic. iur. Patrick Boschi, AXA-ARAG Rechtsschutz,<br />
Haftpflicht und Sozialversicherungsrecht<br />
(Tel. 0848 11 11 00, mediservice-vsao.ch/de/<br />
versicherungen/rechtsschutz)<br />
Wenn Sie als Leistungserbringer seitens der santésuisse bzw. der tarifsuisse mit einem<br />
Schreiben konfrontiert werden, in welchem Sie auf überhöhte Durchschnittswerte hingewiesen<br />
werden und von Ihnen eine Begründung gefordert wird, entstehen äusserst<br />
aufwendige Abklärungen, in zeitlicher wie auch in finanzieller Hinsicht. Abgesehen vom<br />
Verfassen einer Stellungnahme und der Teilnahme an einem Gespräch mit der santésuisse<br />
steht beim Scheitern eines Vergleichs auch der Gang ans Gericht zur Debatte. Wir<br />
empfehlen Ihnen deshalb, sich bereits im Anfangsstadium an Ihre Rechtsschutzversicherung<br />
zu wenden und somit rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen, um den<br />
diversen juristischen Stolpersteinen aus dem Weg zu gehen. Die Experten der Rechtsschutzversicherung<br />
unterstützen Sie während des ganzen Verfahrens. Sie helfen Ihnen<br />
bei der Risikoanalyse aufgrund der Rechnungsstellerstatistik, beim Auswerten der Statistiken,<br />
beim Verfassen einer Stellungnahme an die santésuisse; sie begleiten Sie zum<br />
Gespräch mit der santésuisse und vertreten Sie bei einem allfälligen Gerichtsverfahren.<br />
AXA-ARAG bietet MEDISERVICE-Mitgliedern eine Rechtsschutzversicherung zu sehr<br />
vorteilhaften Konditionen an. Haben Sie noch weitere Fragen? Wenden Sie sich an<br />
Ihren Ansprechpartner bei der MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC. <br />
■<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
47
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
Marderschäden lassen<br />
sich verhindern<br />
Egal welche Automarke – der Marder hat sie alle zum Fressen gern. Auf den Kabelbiss folgt meist<br />
eine kostspielige Reparatur. Wer aber gut versichert ist, kann gelassen den Pannendienst rufen.<br />
Die Wanderausrüstung ist gepackt, die<br />
Kinder unruhig und die Familie macht<br />
sich auf zum langersehnten Wochenendausflug.<br />
Dumm nur, dass das Auto keinen<br />
Wank tut – Marderschaden!<br />
Wenn der Marder zuschlägt und mit seinen<br />
spitzen Zähnen Kabel und Schläuche<br />
durchbeisst, geht oft gar nichts mehr.<br />
Zuoberst auf dem Speiseplan der pelzigen<br />
Zeitgenossen stehen Zündkabel,<br />
Kunststoffschläuche oder Lenkungsmanschetten.<br />
Doch wer zahlt die Zeche<br />
für die Reparatur und den Abschleppdienst?<br />
Teilkasko deckt selbst<br />
Ersatzwagen<br />
Die anfallenden Reparaturkosten für den<br />
Marderschaden übernimmt in aller Regel<br />
die Versicherung ohne Selbstbehalt,<br />
sofern man über eine Teilkasko verfügt.<br />
Meist sind auch die durch Marderbiss<br />
entstandenen Folgeschäden am Fahrzeug<br />
versichert sowie das Abschleppen<br />
des beschädigten Fahrzeugs bis in die<br />
nächstgelegene Werkstatt. In Regionen<br />
mit hohen Marderpopulationen ist der<br />
Abschluss einer Teilkasko durchaus eine<br />
Überlegung wert.<br />
Im Frühjahr wird der<br />
Appetit grösser<br />
Marder sind wie Kleinkinder oder junge<br />
Hunde. Sie ertasten ihre Umwelt durch<br />
Beissen. Hinzu kommt ihr ureigener<br />
Spieltrieb. Insbesondere während der Paarungszeit<br />
im Frühjahr reagieren Marder<br />
auf Duftspuren von Artgenossen aggressiv.<br />
Aber auch bei tiefen Temperaturen ist der<br />
Motorraum nicht vor den Zähnen der<br />
schlauen Tierchen gefeit – denn Marder<br />
kennen keinen Winterschlaf.<br />
Ein Blick unter die Haube<br />
bringts<br />
Um frühzeitig einzugreifen, lohnt sich ein<br />
Gespräch mit der Nachbarschaft. Denn<br />
sind in der Gegend Marderschäden aufgetreten,<br />
gilt es genauer hinzuschauen.<br />
Insbesondere Autos, die nachts an unterschiedlichen<br />
Standorten parkieren, sind<br />
überdurchschnittlich von Marderbiss betroffen.<br />
Schutz bietet einerseits das regelmässige<br />
Waschen des Motors, um die<br />
Duftmarken der Marder zu entfernen.<br />
Echten Schutz gegen Marderbiss bietet<br />
hingegen einzig eine Elektroschockanlage,<br />
die hungrige Marder in die Flucht<br />
schlägt.<br />
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48 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>
MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
Besteuerungsregeln im<br />
Vorsorgedschungel<br />
Unser Vorsorgesystem besteht bekanntlich aus drei Säulen, wobei in der dritten Säule noch<br />
zwischen Säule 3a (gebundene Vorsorge) und 3b (freie Vorsorge) unterschieden wird.<br />
Nachstehend ein Versuch, die unterschiedlichen Besteuerungsmodalitäten in den verschiedenen<br />
Säulen verständlich zu machen.<br />
Werner A. Räber, Geschäftsführender Partner der Dr. Thomas Fischer & Partner AG, Baar (werner.raeber@xantrium.ch)<br />
1. Säule (AHV/IV)<br />
Alle Beiträge an die AHV sind steuerlich<br />
absetzbar. Dies gilt auch für Beiträge, die<br />
Nichterwerbstätige bzw. Frühpensionierte<br />
bis zum Erreichen des ordentlichen Rentenalters<br />
basierend auf ihrem Vermögen zu<br />
entrichten haben. Im Gegenzug gelten die<br />
AHV- und auch allfällige IV-Renten bei den<br />
Empfängern als normales Einkommen,<br />
das zusammen mit dem übrigen Einkommen<br />
besteuert wird. Hat jemand zusätzlich<br />
Anspruch auf Ergänzungsleistungen oder<br />
Hilflosenentschädigungen, so muss er diese<br />
nicht versteuern. Auch Zuflüsse für IV-<br />
Eingliederungsmassnahmen sind steuerfrei,<br />
da es sich um Kostenersatz handelt.<br />
2. Säule (BVG)<br />
Ebenfalls steuerlich vollumfänglich absetzbar<br />
sind die Beiträge an die Pensionskasse.<br />
Unbeschränkt gilt dies für die ordentlichen<br />
Beiträge auf den Salärzahlungen.<br />
Darüber hinausgehende Einkaufsleistungen<br />
sind dann abziehbar, wenn<br />
eine entsprechende Beitragslücke besteht.<br />
Zudem ist zu beachten, dass während<br />
dreier Jahre seit der letzten Nachzahlung<br />
in keiner Form ein Kapitalbezug gemacht<br />
werden darf, da sonst der Steuervorteil<br />
verloren geht.<br />
Seit dem 1. Januar 2002 sind alle neu beginnenden<br />
Rentenauszahlungen vollumfänglich<br />
als Einkommen steuerbar. Altrechtliche<br />
Renten werden je nach Fallkonstellation<br />
weiterhin nur zu 60 bzw. 80 Prozent<br />
besteuert. Kapitalauszahlungen aus<br />
der Pensionskasse unterliegen einer reduzierten<br />
Sondersteuer, die getrennt vom<br />
übrigen Einkommen erhoben wird, und<br />
zwar am Wohnsitz zum Auszahlungszeitpunkt.<br />
Der Steuertarif ist stark progressiv<br />
und deshalb abhängig von der Höhe der<br />
Kapitalauszahlung. Beim Bund beträgt<br />
die Steuer einen Fünftel der ordentlichen<br />
Einkommenssteuer, womit der Maximalsatz<br />
bei 2,3 Prozent liegt. Kantonal sind<br />
die Unterschiede immens. Die Maximalbelastung<br />
für Bund und Kanton zusammen<br />
kann je nach Wohnort auf 7 bis<br />
28 Prozent zu liegen kommen.<br />
Die genannten Besteuerungsregeln gelten<br />
nicht nur für den Vorsorgefall Alter, sondern<br />
auch für allfällige Invaliditätsleistungen.<br />
Auch SUVA-Renten und Taggelder<br />
der Kranken- oder Militärversicherung<br />
sind normales Einkommen und werden<br />
zu 100 Prozent besteuert. Für die Besteuerung<br />
von Unfallversicherungsleistungen<br />
kann auf das <strong>VSAO</strong>-Journal 3/2014 verwiesen<br />
werden.<br />
Säule 3a<br />
(gebundene Vorsorge)<br />
Für die Säule 3a, auch Bausparen genannt,<br />
gelten im Wesentlichen die<br />
gleichen Grundsätze wie bei der 2. Säule.<br />
Die jährlichen Einzahlungen sind steuerlich<br />
abzugsfähig, allerdings nur bis zu<br />
den zulässigen Maximalbeträgen von<br />
derzeit CHF 6768 (Unselbständige) und<br />
CHF 33 840 (Selbständige). Die Kapitalauszahlungen<br />
werden identisch besteuert<br />
wie Kapitalbezüge aus der Pensionskasse.<br />
Wird aus beiden Quellen im gleichen Kalenderjahr<br />
Kapital bezogen, erfolgt eine<br />
gemeinsame Besteuerung, was zu einer<br />
höheren Progression führt. Gestaffelte<br />
Bezüge zahlen sich deshalb aus. Die Säule<br />
3a kann übrigens alle fünf Jahre leergeräumt<br />
werden, wenn der Bezug für die<br />
Amortisation einer Hypothek oder den<br />
Kauf von selbstbewohntem Eigentum verwendet<br />
wird.<br />
Säule 3b (freie Vorsorge)<br />
Auch das private (Versicherungs-)Sparen<br />
in der Säule 3b wird durch gewisse Steuerprivilegien<br />
gefördert. Als Grundsatz gilt<br />
hier, dass die Einlagen höchstens im Rahmen<br />
des allgemeinen Versicherung- und<br />
Sparabzuges steuerlich geltend gemacht<br />
werden können, dafür sind die Auszahlungen<br />
in vielen Fällen gänzlich steuerfrei.<br />
Die Vielfalt an entsprechenden Versicherungsprodukten<br />
macht die Übersicht<br />
aber nicht ganz einfach:<br />
• Rückkaufsfähige Kapitalversicherungen<br />
mit periodischen Prämien: Auszahlung<br />
steuerfrei<br />
• Rückkaufsfähige Kapitalversicherungen<br />
mit Einmalprämie: Auszahlung<br />
steuerfrei, wenn gewisse Bedingungen<br />
eingehalten sind<br />
• Reine Todesfallrisikoversicherungen:<br />
Sondersteuer auf Auszahlung zum Vorsorgetarif<br />
• Leibrenten: Rente, Rückkauf oder<br />
Rückgewähr je zu 40 Prozent steuerbar<br />
• Zeitrentenversicherung: Zinsquote zu<br />
100 Prozent steuerbar<br />
Weitergehende Informationen finden Sie<br />
in entsprechenden Merkblättern auf der<br />
Website Ihrer Steuerverwaltung.<br />
Auszahlungen ins Ausland<br />
Bezüglich den Besteuerungsmodalitäten<br />
bei Auszahlungen an Empfänger mit<br />
Wohnsitz im Ausland kann auf den entsprechenden<br />
Beitrag im <strong>VSAO</strong>-Journal<br />
6/2013 verwiesen werden. ■<br />
<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />
49
IMPRESSUM<br />
KONTAKTADRESSEN DER SEKTIONEN<br />
<strong>Nr</strong>. 5 • 34. Jahrgang • <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong><br />
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MEDISERVICE <strong>VSAO</strong>-ASMAC<br />
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Im Auftrag des <strong>VSAO</strong><br />
Redaktion<br />
Catherine Aeschbacher (Chefredaktorin),<br />
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Geschäftsausschuss <strong>VSAO</strong><br />
Daniel Schröpfer, Präsident<br />
Ryan Tandjung, Vizepräsident<br />
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Für <strong>VSAO</strong>-Mitglieder im Jahresbeitrag inbegriffen.<br />
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Ausgabe <strong>Nr</strong>. 6/<strong>2015</strong> erscheint im Dezember <strong>2015</strong>.<br />
Thema: Visionen<br />
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50 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2015</strong>