02 Thoraxschmerz in der Notaufnahme

02.04.2017 Aufrufe

Schwerpunkt: Thoraxschmerz Internist 2017 · 58:3–7 DOI 10.1007/s00108-016-0167-y Online publiziert: 16. Dezember 2016 © Springer Medizin Verlag Berlin 2016 Redaktion C.F. Vogelmeier, Marburg T. Welte, Hannover T. Köhnlein Klinik für Pneumologie und Intensivmedizin, Klinikum St. Georg gGmbH (Robert-Koch-Klinikum), Leipzig, Deutschland Thoraxschmerz in der Notaufnahme Differenzialdiagnose und diagnostisches Vorgehen Thoraxschmerzen gehören zu den häufigsten Ursachen für das Aufsuchen einer Krankenhausnotaufnahme. Da sie sehr unspezifisch sind, eröffnet sich für den Behandler ein breites Spektrum an Differenzialdiagnosen. Die Herausforderung andenArztineinerNotaufnahmebesteht in der Stellung einer Verdachtsdiagnose, gefolgt von einer raschen Risikostratifizierung und Einleitung der notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Bei verzögerter oder inadäquater Therapie kann es innerhalb kurzer Zeit zu irreversiblen Organschäden und zum Tod des Patienten kommen. Dieser Beitrag beleuchtet die Situation in der Notaufnahme. Wichtige Krankheitsbilder werden in den weiteren Beiträgen dieses Schwerpunkts im Detail dargestellt. Ursachen für akuten Thoraxschmerz Bei Notfallpatienten ist die häufigste Ursache für akuten Thoraxschmerz das akute Koronarsyndrom mit etwa 24 %, gefolgt von neuroradikulären Beschwerden (17 %), Erkrankungen der Lunge und des Brustkorbs (10 %), Herzrhythmusstörungen (6 %) und Herzinsuffizienzsymptomen (6 %). Die Häufigkeiten von Lungenembolie, Pleuritis und Pneumothorax liegen bei jeweils etwa 2 %. Akute Aortensyndrome wie ein thorakales Aortenaneurysma haben einen geschätzten Anteil von 0,6 % [3, 5]. Dazu kommen gastroösophageale, muskuloskeletale und funktionelle Ursachen (. Tab. 1). Thoraxschmerzen sind fast immer von Angst begleitet, wobei das Spektrum von selbstlimitierenden Panikattacken bis hin zur begründeten Todesangst bei tatsächlich vital bedrohlichen Zuständen reicht. Diagnostische Strategie In der Notaufnahme erfolgt unmittelbar nach Eintreffen des Patienten eine Ersteinschätzung. Dazu werden in der Regel Instrumente des Risikomanagements angewendet. Konkret kommen Triagesysteme zum Einsatz: Mithilfe einer Checkliste werden gezielt bestimmte Patientenkonstellationen und Symptome abgefragt. Als Beispiel sei das Manchester Triage System [8] genannt.Dieseserfasst die generellen Indikatoren Lebensgefahr, Schmerz, Blutverlust, Bewusstsein, Temperatur und Krankheitsdauer sowie spezielle Indikatoren wie Thoraxschmerz. Damit sollen gezielt kardial bedingte Schmerzen, eine auffällige kardiale Anamnese, akute Atemnot, Pleuraschmerz, ein Zustand nach Thoraxtrauma und weitere Aspekte erkannt und eingeordnet werden. Mithilfe der IndikatorenwerdenDringlichkeitsstufenfürdie Behandlungspriorität des Patienten ermittelt. Symptome, bei denen eine vitale Gefährdung bestehen kann, führen zu einer höheren (dringlicheren) Eingruppierung des Patienten. Dieses Vorgehen hat zwar den Nachteil, dass auch Patienten mit Thoraxschmerz durch ungefährliche Ursachenungerechtfertigthochdringlich eingruppiert werden, andererseits weist das Symptom unspezifisch auf mehrere vital bedrohliche Ursachen hin, wo- Tab. 1 Differenzialdiagnosen des akuten Thoraxschmerzes Kardiale und kardiovaskuläre Ursachen Pulmonale Ursachen Akutes Koronarsyndrom (STEMI, NSTEMI, instabile Angina pectoris) Postinfarktangina Muskuloskeletale Ursachen Gastroösophageale Ursachen Lungenembolie Interkostalneuralgie Gastroösophagealer Reflux, Ösophagitis (Spontan-)Pneumothorax Tietze-Syndrom Ösophagusruptur (Boerhaave- Syndrom) Akute Perikarditis Pneumonie Rippenfrakturen Akute Pankreatitis Akutes Aortensyndrom Pleuritis Radikulopathien Ulkusleiden/-perforation Bronchialkarzinom NSTEMI Nicht-ST-Hebungs-Myokardinfarkt; STEMI ST-Hebungs-Myokardinfarkt Weitere Ursachen Herpes Zoster Psychogener Thoraxschmerz Der Internist 1 · 2017 3

Schwerpunkt: <strong>Thoraxschmerz</strong><br />

Internist 2017 · 58:3–7<br />

DOI 10.1007/s00108-016-0167-y<br />

Onl<strong>in</strong>e publiziert: 16. Dezember 2016<br />

© Spr<strong>in</strong>ger Mediz<strong>in</strong> Verlag Berl<strong>in</strong> 2016<br />

Redaktion<br />

C.F. Vogelmeier, Marburg<br />

T. Welte, Hannover<br />

T. Köhnle<strong>in</strong><br />

Kl<strong>in</strong>ik für Pneumologie und Intensivmediz<strong>in</strong>, Kl<strong>in</strong>ikum St. Georg gGmbH (Robert-Koch-Kl<strong>in</strong>ikum), Leipzig,<br />

Deutschland<br />

<strong>Thoraxschmerz</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Notaufnahme</strong><br />

Differenzialdiagnose und diagnostisches<br />

Vorgehen<br />

<strong>Thoraxschmerz</strong>en gehören zu den häufigsten<br />

Ursachen für das Aufsuchen e<strong>in</strong>er<br />

Krankenhausnotaufnahme. Da sie sehr<br />

unspezifisch s<strong>in</strong>d, eröffnet sich für den<br />

Behandler e<strong>in</strong> breites Spektrum an Differenzialdiagnosen.<br />

Die Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

andenArzt<strong>in</strong>e<strong>in</strong>er<strong>Notaufnahme</strong>besteht<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Stellung e<strong>in</strong>er Verdachtsdiagnose,<br />

gefolgt von e<strong>in</strong>er raschen Risikostratifizierung<br />

und E<strong>in</strong>leitung <strong>der</strong> notwendigen<br />

diagnostischen und therapeutischen<br />

Maßnahmen. Bei verzögerter o<strong>der</strong> <strong>in</strong>adäquater<br />

Therapie kann es <strong>in</strong>nerhalb kurzer<br />

Zeit zu irreversiblen Organschäden<br />

und zum Tod des Patienten kommen.<br />

Dieser Beitrag beleuchtet die Situation<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong>. Wichtige Krankheitsbil<strong>der</strong><br />

werden <strong>in</strong> den weiteren Beiträgen<br />

dieses Schwerpunkts im Detail<br />

dargestellt.<br />

Ursachen für akuten<br />

<strong>Thoraxschmerz</strong><br />

Bei Notfallpatienten ist die häufigste<br />

Ursache für akuten <strong>Thoraxschmerz</strong> das<br />

akute Koronarsyndrom mit etwa 24 %,<br />

gefolgt von neuroradikulären Beschwerden<br />

(17 %), Erkrankungen <strong>der</strong> Lunge<br />

und des Brustkorbs (10 %), Herzrhythmusstörungen<br />

(6 %) und Herz<strong>in</strong>suffizienzsymptomen<br />

(6 %). Die Häufigkeiten<br />

von Lungenembolie, Pleuritis und Pneumothorax<br />

liegen bei jeweils etwa 2 %.<br />

Akute Aortensyndrome wie e<strong>in</strong> thorakales<br />

Aortenaneurysma haben e<strong>in</strong>en<br />

geschätzten Anteil von 0,6 % [3, 5].<br />

Dazu kommen gastroösophageale, muskuloskeletale<br />

und funktionelle Ursachen<br />

(. Tab. 1). <strong>Thoraxschmerz</strong>en s<strong>in</strong>d fast<br />

immer von Angst begleitet, wobei das<br />

Spektrum von selbstlimitierenden Panikattacken<br />

bis h<strong>in</strong> zur begründeten<br />

Todesangst bei tatsächlich vital bedrohlichen<br />

Zuständen reicht.<br />

Diagnostische Strategie<br />

In <strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong> erfolgt unmittelbar<br />

nach E<strong>in</strong>treffen des Patienten e<strong>in</strong>e Erste<strong>in</strong>schätzung.<br />

Dazu werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />

Instrumente des Risikomanagements angewendet.<br />

Konkret kommen Triagesysteme<br />

zum E<strong>in</strong>satz: Mithilfe e<strong>in</strong>er Checkliste<br />

werden gezielt bestimmte Patientenkonstellationen<br />

und Symptome abgefragt.<br />

Als Beispiel sei das Manchester<br />

Triage System [8] genannt.Dieseserfasst<br />

die generellen Indikatoren Lebensgefahr,<br />

Schmerz, Blutverlust, Bewusstse<strong>in</strong>,<br />

Temperatur und Krankheitsdauer<br />

sowie spezielle Indikatoren wie <strong>Thoraxschmerz</strong>.<br />

Damit sollen gezielt kardial bed<strong>in</strong>gte<br />

Schmerzen, e<strong>in</strong>e auffällige kardiale<br />

Anamnese, akute Atemnot, Pleuraschmerz,<br />

e<strong>in</strong> Zustand nach Thoraxtrauma<br />

und weitere Aspekte erkannt und e<strong>in</strong>geordnet<br />

werden. Mithilfe <strong>der</strong> IndikatorenwerdenDr<strong>in</strong>glichkeitsstufenfürdie<br />

Behandlungspriorität des Patienten ermittelt.<br />

Symptome, bei denen e<strong>in</strong>e vitale<br />

Gefährdung bestehen kann, führen zu e<strong>in</strong>er<br />

höheren (dr<strong>in</strong>glicheren) E<strong>in</strong>gruppierung<br />

des Patienten. Dieses Vorgehen hat<br />

zwar den Nachteil, dass auch Patienten<br />

mit <strong>Thoraxschmerz</strong> durch ungefährliche<br />

Ursachenungerechtfertigthochdr<strong>in</strong>glich<br />

e<strong>in</strong>gruppiert werden, an<strong>der</strong>erseits weist<br />

das Symptom unspezifisch auf mehrere<br />

vital bedrohliche Ursachen h<strong>in</strong>, wo-<br />

Tab. 1 Differenzialdiagnosen des akuten <strong>Thoraxschmerz</strong>es<br />

Kardiale und kardiovaskuläre Ursachen<br />

Pulmonale<br />

Ursachen<br />

Akutes Koronarsyndrom (STEMI,<br />

NSTEMI, <strong>in</strong>stabile Ang<strong>in</strong>a pectoris)<br />

Post<strong>in</strong>farktang<strong>in</strong>a<br />

Muskuloskeletale<br />

Ursachen<br />

Gastroösophageale Ursachen<br />

Lungenembolie Interkostalneuralgie Gastroösophagealer Reflux, Ösophagitis<br />

(Spontan-)Pneumothorax<br />

Tietze-Syndrom<br />

Ösophagusruptur (Boerhaave-<br />

Syndrom)<br />

Akute Perikarditis Pneumonie Rippenfrakturen Akute Pankreatitis<br />

Akutes Aortensyndrom Pleuritis Radikulopathien Ulkusleiden/-perforation<br />

Bronchialkarz<strong>in</strong>om<br />

NSTEMI Nicht-ST-Hebungs-Myokard<strong>in</strong>farkt; STEMI ST-Hebungs-Myokard<strong>in</strong>farkt<br />

Weitere Ursachen<br />

Herpes Zoster<br />

Psychogener<br />

<strong>Thoraxschmerz</strong><br />

Der Internist 1 · 2017 3


Zusammenfassung · Abstract<br />

durch die heute praktizierte E<strong>in</strong>ordnung<br />

gerechtfertigt ersche<strong>in</strong>t.<br />

Sofortmaßnahmen<br />

Neben dem obligatorischen kardiopulmonalen<br />

Überwachungsmonitor<strong>in</strong>g<br />

muss beim Leitsymptom <strong>Thoraxschmerz</strong><br />

mit e<strong>in</strong>er sorgfältigen Anamnese und<br />

e<strong>in</strong>er ersten, fokussierten körperlichen<br />

Untersuchung begonnen werden. Innerhalb<br />

von 10 m<strong>in</strong> nach E<strong>in</strong>treffen des<br />

Patienten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong> muss e<strong>in</strong><br />

12-Kanal-EKG aufgezeichnet und umgehend<br />

ärztlich ausgewertet werden. Auf<br />

e<strong>in</strong>e sofortige Blutabnahme folgt e<strong>in</strong>e<br />

Labordiagnostik, die neben Standardparametern<br />

wie Blutbild, Elektrolyten,<br />

Transam<strong>in</strong>asen, Retentionsparametern,<br />

Inflammationsparametern und Ger<strong>in</strong>nung<br />

e<strong>in</strong>en Tropon<strong>in</strong>-I- o<strong>der</strong> Tropon<strong>in</strong>-<br />

T-Test und ggf. auch die Bestimmung<br />

<strong>der</strong> D-Dimere im Serum umfasst. Wenn<br />

die Symptomatik nicht sofort mit h<strong>in</strong>reichen<strong>der</strong><br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er<br />

def<strong>in</strong>ierten Ursache zugeordnet werden<br />

kann, müssen das EKG und die Tropon<strong>in</strong>bestimmung<br />

im Serum nach 3–6 h<br />

wie<strong>der</strong>holt werden [2].<br />

» Für CT und MRT außerhalb<br />

<strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong> muss <strong>der</strong><br />

Patient hämodynamisch<br />

ausreichend stabil se<strong>in</strong><br />

Weitere unverzügliche diagnostische<br />

Maßnahmen s<strong>in</strong>d die Bestimmung <strong>der</strong><br />

Körperkerntemperatur und Spontanatemfrequenz,<br />

die Anfertigung e<strong>in</strong>er<br />

Röntgenaufnahme des Thorax <strong>in</strong> posterior-anteriorem<br />

Strahlengang, e<strong>in</strong>e<br />

arterielle o<strong>der</strong> kapillare Blutgasanalyse<br />

und eventuell die Durchführung e<strong>in</strong>er<br />

transthorakalen Echokardiographie.<br />

Bei Verdacht auf Lungenembolie muss<br />

kurzfristig e<strong>in</strong>e Computertomographie-<br />

Angiographie erfolgen (. Abb. 1). Dazu<br />

muss <strong>der</strong> Patient hämodynamisch ausreichend<br />

stabil se<strong>in</strong>, denn häufig f<strong>in</strong>den<br />

computertomographische und magnetresonanztomographische<br />

Untersuchungen<br />

außerhalb des <strong>Notaufnahme</strong>bereichs<br />

statt, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>e enge Überwachung<br />

möglichistundschnelldurchdasärztliche<br />

Team <strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong> e<strong>in</strong>gegriffen<br />

werden kann.<br />

Scor<strong>in</strong>g-Systeme zur<br />

Risikostratifizierung bei akutem<br />

<strong>Thoraxschmerz</strong><br />

Die Verwendung des Global-Registry-<br />

of-Acute-Coronary-Events(GRACE)-<br />

Scores wurde als Klasse-I-B-Empfehlung<br />

<strong>in</strong> die Leitl<strong>in</strong>ien für das akute<br />

Koronarsyndrom und den Nicht-ST-<br />

Hebungs-Myokard<strong>in</strong>farkt aufgenommen.<br />

Dieser an großen Kollektiven<br />

validierte Score erlaubt die Abschätzung<br />

des Sterberisikos im Krankenhaus<br />

(und nach 6 Monaten) bei e<strong>in</strong>er gegebenen<br />

Konstellation aus kl<strong>in</strong>ischen und<br />

Laborparametern ([4]; . Tab. 2). Aufgrund<br />

<strong>der</strong> komplexen Punktevergabe ist<br />

e<strong>in</strong>e Computerunterstützung bzw. die<br />

Nutzung e<strong>in</strong>es Kalkulators im Internet<br />

empfehlenswert (http://www.gracescore.<br />

org/WebSite/WebVersion.aspx).<br />

DieWahrsche<strong>in</strong>lichkeitfürdasVorliegen<br />

e<strong>in</strong>er akuten Lungenembolie kann<br />

mit dem Wells-Score (. Tab. 3) abgeschätzt<br />

werden. Dieser stellt <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation<br />

mit D-Dimeren e<strong>in</strong> validiertes<br />

Scoresystem dar [10]. E<strong>in</strong> normaler prädiktiver<br />

Wert nach Verwendung des<br />

Wells-Scores und normale D-Dimere<br />

schließen e<strong>in</strong>e Lungenembolie mit hoher<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit aus, ohne die<br />

Notwendigkeit weiterer Diagnostik [7].<br />

Kooperationen mit den<br />

Fachabteilungen<br />

Nach Abschluss <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong><br />

realisierbaren Diagnostik erfolgt die<br />

Therapie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Fachabteilungen<br />

<strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik. Das Symptom<br />

<strong>Thoraxschmerz</strong> erlaubt ke<strong>in</strong>en zeitlichen<br />

Verzug. Deshalb s<strong>in</strong>d def<strong>in</strong>ierte Kommunikationswege<br />

zu den entscheidungsbefugten<br />

Kollegen <strong>der</strong> Fachabteilungen essenziell.<br />

In erster L<strong>in</strong>ie s<strong>in</strong>d das die Intensiv-<br />

bzw. Überwachungsstationen e<strong>in</strong>es<br />

Hauses, das Herzkatheterlabor sowie<br />

die pneumologischen und thoraxchirurgischen<br />

Konsildienste. Der Übergang<br />

<strong>in</strong> die letztlich behandelnde Abteilung<br />

ist das letzte Glied <strong>der</strong> Rettungskette.<br />

Auch diese Schnittstelle muss <strong>der</strong><br />

Patient reibungslos überw<strong>in</strong>den können,<br />

Internist 2017 · 58:3–7<br />

DOI 10.1007/s00108-016-0167-y<br />

© Spr<strong>in</strong>ger Mediz<strong>in</strong> Verlag Berl<strong>in</strong> 2016<br />

T. Köhnle<strong>in</strong><br />

<strong>Thoraxschmerz</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Notaufnahme</strong>.<br />

Differenzialdiagnose und<br />

diagnostisches Vorgehen<br />

Zusammenfassung<br />

<strong>Thoraxschmerz</strong> als Leitsymptom bei<br />

Notfallpatienten kann zahlreiche Ursachen<br />

haben und erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong> rasches und<br />

zielgerichtetes diagnostisches und<br />

therapeutisches Handeln. Kl<strong>in</strong>ische Scor<strong>in</strong>g-<br />

Systeme erleichtern die Risikoabschätzung.<br />

Erfolgsfaktoren für die <strong>in</strong>trakl<strong>in</strong>ische<br />

Notfallmediz<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d professionelle<br />

M<strong>in</strong>deststandards im ärztlichen und<br />

pflegerischen Bereich <strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong> und<br />

e<strong>in</strong>e gut funktionierende Organisation <strong>der</strong><br />

technischen Abläufe.<br />

Schlüsselwörter<br />

Notfallmediz<strong>in</strong> · Risikoe<strong>in</strong>schätzung ·<br />

Triage · Akutes Koronarsyndrom · Akute<br />

Lungenembolie<br />

Chest pa<strong>in</strong> <strong>in</strong> the emergency<br />

department. Differential<br />

diagnosis and diagnostic<br />

strategy<br />

Abstract<br />

Chest pa<strong>in</strong> as the lead<strong>in</strong>g symptom <strong>in</strong><br />

emergency patients can have numerous<br />

causes and requires an immediate and<br />

targeted diagnostic and therapeutic<br />

strategy. Cl<strong>in</strong>ical scor<strong>in</strong>g systems facilitate<br />

risk assessment for <strong>in</strong>dividual patients.<br />

In the emergency department, critical<br />

factors for success are def<strong>in</strong>ed professional<br />

qualification standards for physicians<br />

and nurs<strong>in</strong>g staff comb<strong>in</strong>ed with a wellfunction<strong>in</strong>g<br />

organization of all technical<br />

procedures.<br />

Keywords<br />

Emergency medic<strong>in</strong>e · Risk assessment ·<br />

Triage · Acute coronary syndrome ·<br />

Pulmonary embolism, acute<br />

weshalb e<strong>in</strong>e funktionierende Organisationsstruktur<strong>in</strong>nerhalbdesKrankenhauses<br />

zu etablieren ist.<br />

4 Der Internist 1 · 2017


Hier steht e<strong>in</strong>e Anzeige.<br />

K


Schwerpunkt: <strong>Thoraxschmerz</strong><br />

Akuter <strong>Thoraxschmerz</strong><br />

Erste<strong>in</strong>schätzung zur Bestimmung <strong>der</strong> Behandlungspriorität<br />

Kardiopulmonales Rout<strong>in</strong>emonitor<strong>in</strong>g<br />

Anamnese, fokussierte Untersuchung, EKG, Labor<br />

VERDACHTSDIAGNOSE<br />

Akute Lungenembolie<br />

Akutes Koronarsyndrom<br />

Patient stabil<br />

kl<strong>in</strong>ische Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

hoch o<strong>der</strong><br />

D-Dimere positiv<br />

Patient <strong>in</strong>stabil<br />

Echokardiographie<br />

ke<strong>in</strong>e<br />

akute rechtsventrikuläre<br />

Dysfunktion<br />

o<strong>der</strong><br />

nichtdiagnostische<br />

Echokardiographie<br />

akute rechtsventrikuläre<br />

Dysfunktion<br />

Risikomerkmale<br />

ne<strong>in</strong><br />

Ergometrie<br />

<strong>in</strong>stabile<br />

Ang<strong>in</strong>a pectoris/<br />

NSTEMI<br />

Risikomerkmale<br />

ja<br />

STEMI<br />

CT-Pulmonalisangiographie<br />

Ischämie<br />

ne<strong>in</strong><br />

Ischämie<br />

ja<br />

Koronarangiographie<br />

Behandlung<br />

Konservative<br />

Therapie<br />

Reperfusionstherapie<br />

PCI<br />

Abb. 1 8 Komplexe Entscheidungen bei Verdacht auf akute Lungenembolie und bei akutem Koronarsyndrom, die sofort<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong> getroffen werden müssen. CT Computertomographie; NSTEMI Nicht-ST-Hebungs-Myokard<strong>in</strong>farkt; PCI<br />

perkutane Koronar<strong>in</strong>tervention; STEMI ST-Hebungs-Myokard<strong>in</strong>farkt. (Adaptiert nach [1, 2])<br />

Tab. 2 GRACE-Score: Risikoe<strong>in</strong>schätzung<br />

für e<strong>in</strong> Versterben während des stationären<br />

Aufenthalts beim Nicht-ST-Hebungs-Myokard<strong>in</strong>farkt<br />

Parameter<br />

Alter (Jahre)<br />

Herzfrequenz (Schläge/m<strong>in</strong>)<br />

Systolischer Blutdruck (mmHg)<br />

Kreat<strong>in</strong><strong>in</strong> (mg/dl)<br />

Killip-Klasse I–IV<br />

Herzstillstand bei Aufnahme<br />

Erhöhte Herzenzyme<br />

ST-Strecken-Verän<strong>der</strong>ungen<br />

Berechnung: http://www.gracescore.org/<br />

WebSite/WebVersion.aspx<br />

Risikoe<strong>in</strong>schätzung<br />

Punkte<br />

Risiko<br />

133 Sehr hoch<br />

Tab. 3 Wells-Score zur Risikoe<strong>in</strong>schätzung bei Verdacht auf akute Lungenembolie<br />

Kriterium<br />

Punkte<br />

Kl<strong>in</strong>ische Zeichen e<strong>in</strong>er TVT 3,0<br />

An<strong>der</strong>e Diagnose weniger wahrsche<strong>in</strong>lich als 3,0<br />

Lungenembolie<br />

Herzfrequenz >100/m<strong>in</strong> 1,5<br />

Immobilisierung o<strong>der</strong> Operation vor 6 66,7 Hoch<br />

TVT Tiefe Venenthrombose<br />

6 Der Internist 1 · 2017


Limitationen und Entwicklungsperspektiven<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>trakl<strong>in</strong>ischen<br />

Notfallmediz<strong>in</strong><br />

Der akute <strong>Thoraxschmerz</strong> ist e<strong>in</strong> ausgesprochen<br />

unspezifisches Symptom, das<br />

leicht zu Verdachtsdiagnosen führt, die<br />

durch die weiterführende Diagnostik bestätigt<br />

o<strong>der</strong> ausgeschlossen werden müssen.<br />

So wird die Verdachtsdiagnose akute<br />

Aortendissektion <strong>in</strong> 99 % <strong>der</strong> vermuteten<br />

Fälle nicht bestätigt, an<strong>der</strong>erseits werden<br />

bis zu 35 % <strong>der</strong> tatsächlichen Fälle nicht<br />

o<strong>der</strong> erst verspätet korrekt diagnostiziert<br />

[6].<br />

» Die Verdachtsdiagnose akute<br />

Aortendissektion bestätigt sich <strong>in</strong><br />

99 % <strong>der</strong> vermuteten Fälle nicht<br />

Entscheidend für die qualitativ hochwertige<br />

Betreuung von Notfallpatienten s<strong>in</strong>d<br />

die Gewährleistung e<strong>in</strong>es professionellen<br />

M<strong>in</strong>deststandardsimärztlichenundpflegerischen<br />

Bereich <strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong> [9]<br />

und e<strong>in</strong>e gut funktionierende Organisation<br />

<strong>der</strong> technischen Abläufe. In den letztenJahrenwurdenerheblicheAnstrengungen<br />

unternommen, um durch Zusatzqualifikation<br />

zum<strong>in</strong>dest den leitendenÄrztenaller<strong>Notaufnahme</strong>abteilungen<br />

fundierte Kenntnisse <strong>in</strong> allen wichtigen<br />

notfallrelevanten Themenkreisen zu<br />

vermitteln [11]. Für den akuten <strong>Thoraxschmerz</strong><br />

betrifft dies <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Ärzte<br />

ohne <strong>in</strong>ternistische Gebietsbezeichnung.<br />

Fazit für die Praxis<br />

4 Bei <strong>der</strong> Erste<strong>in</strong>schätzung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Notaufnahme</strong> kommen Triagesysteme<br />

wie das Manchester Triage<br />

System zum E<strong>in</strong>satz, mit <strong>der</strong>en Hilfe<br />

Dr<strong>in</strong>glichkeitsstufen für die Behandlungspriorität<br />

des Patienten ermittelt<br />

werden.<br />

4 Das Leitsymptom <strong>Thoraxschmerz</strong><br />

erfor<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>e sorgfältige Anamnese<br />

und e<strong>in</strong>e erste, fokussierte körperliche<br />

Untersuchung.<br />

4 Innerhalb von 10 m<strong>in</strong> nach E<strong>in</strong>treffen<br />

des Patienten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong><br />

muss e<strong>in</strong> 12-Kanal-EKG aufgezeichnet<br />

und umgehend ärztlich ausgewertet<br />

werden.<br />

4 Die Verwendung des GRACE-Scores<br />

wurde als Klasse-I-B-Empfehlung <strong>in</strong><br />

die Leitl<strong>in</strong>ien für das akute Koronarsyndrom<br />

und den Nicht-ST-Hebungs-<br />

Myokard<strong>in</strong>farkt aufgenommen.<br />

4 Die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit für das Vorliegen<br />

e<strong>in</strong>er akuten Lungenembolie<br />

kann mit dem Wells-Score abgeschätzt<br />

werden.<br />

4 E<strong>in</strong>e qualitativ hochwertige Betreuung<br />

von Notfallpatienten verlangt<br />

die Gewährleistung ärztlicher und<br />

pflegerischer M<strong>in</strong>deststandards im<br />

Bereich <strong>der</strong> <strong>Notaufnahme</strong> und e<strong>in</strong>e<br />

gut funktionierende Organisation<br />

<strong>der</strong> technischen Abläufe.<br />

Korrespondenzadresse<br />

PDDr.T.Köhnle<strong>in</strong><br />

Kl<strong>in</strong>ik für Pneumologie und<br />

Intensivmediz<strong>in</strong>, Kl<strong>in</strong>ikum St.<br />

Georg gGmbH (Robert-Koch-<br />

Kl<strong>in</strong>ikum)<br />

Nikolai-Rumjanzew-Str. 100,<br />

04207 Leipzig, Deutschland<br />

thomas.koehnle<strong>in</strong>@<br />

sanktgeorg.de<br />

E<strong>in</strong>haltung ethischer Richtl<strong>in</strong>ien<br />

Interessenkonflikt. T. Köhnle<strong>in</strong> gibt an, dass ke<strong>in</strong><br />

Interessenkonflikt besteht.<br />

Dieser Beitrag be<strong>in</strong>haltet ke<strong>in</strong>e vom Autor durchgeführten<br />

Studien an Menschen o<strong>der</strong> Tieren.<br />

Literatur<br />

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Derivation of a simple cl<strong>in</strong>ical model to categorize<br />

patients probability of pulmonary embolism:<br />

<strong>in</strong>creas<strong>in</strong>g the models utility with the SimpliRED<br />

D-dimer.ThrombHaemost83:416–420<br />

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Notfallmediz<strong>in</strong>.NotfRettungsmediz<strong>in</strong>19:533–539<br />

Der Internist 1 · 2017 7

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