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6/2010 - Leporello

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18 l <strong>Leporello</strong><br />

bühne<br />

Rezension<br />

Fragementarisch<br />

Subjektive Reminiszenzen an die Theatersaison in Schweinfurt<br />

Wonach bemisst sich, im welchem<br />

Maß eine Theaterspielzeit<br />

erfolgreich war? Nach<br />

der Zahl der Besucher? Das ist eine<br />

objektive Größe, die allerdings<br />

überhaupt nichts darüber aussagt,<br />

wie sehr eine Vorstellung wie<br />

viel Personen im Publikum gefallen<br />

hat. Interessant wäre es, am jeweiligen<br />

Abend die Länge und Intensität<br />

des Applauses zu messen<br />

– daraus könnte man tatsächlich<br />

eine unmittelbare Erfolgsstatistik<br />

erstellen. Aber auf die Idee ist<br />

noch niemand gekommen. Gerne<br />

werden auch Intendanten und<br />

Theaterleiter befragt; doch die reden<br />

naturgemäß manches schön<br />

und räumen immer nur „ein paar<br />

kleine Fehlgriffe“ ein. Und auf das<br />

subjektive Erinnern des Kritikers<br />

ist zugebenermaßen auch kein<br />

Verlass. Dermaßen unzuverlässig<br />

also an dieser Stelle ein sehr fragmentarisch<br />

persönlicher Rückblick<br />

auf die zu Ende gehende<br />

Spielzeit des Schweinfurter Theaters,<br />

die in ihrer Fülle und Vielfalt<br />

wahrzunehmen der Kritiker nicht<br />

in der Lage war. Beeindruckend<br />

großartig der musikalische Auftakt<br />

am 2. Oktober mit der Staatsphilharmonie<br />

Rheinland-Pfalz,<br />

die neben der „Pastorale“ von Beethoven<br />

endlich Gustav Mahlers<br />

„Lied von der Erde“ zum ersten<br />

Mal nach Schweinfurt brachte.<br />

Dass tags darauf dann noch die<br />

Bamberger Symphoniker einen<br />

reinen Brahms-Abend boten,<br />

war natürlich sinfonisches Glück<br />

pur! Über die im vorab hochgepriesenen<br />

Bühnenfassung des<br />

Films „Das Leben der Anderen“<br />

sei rasch der Mantel des Schweigens<br />

gebreitet. Musikalisch ein<br />

Top-Abend, weil hier endlich einmal<br />

ein ungewöhnliches, in sich<br />

geschlossenes Nichtrepertoire<br />

geboten wurde, war das Konzert<br />

der „Bamberger“ unter der Leitung<br />

von Ingo Metzmacher mit<br />

nahezu unbekannten Werken von<br />

Busoni, Stephan, Schreker und<br />

Reger, die entstehungsgeschichtlich<br />

spannend aufeinander bezogen<br />

waren. Das vielleicht interessanteste<br />

Sprechstück der Saison<br />

war für mich „Kollaboration“ von<br />

Ronald Harwood, das die letztlich<br />

tragische Arbeitsbeziehung zwischen<br />

dem Komponisten Richard<br />

Strauss und dem Dichter Stefan<br />

Zweig thematisiert. Wunderbar<br />

musiziert war der zweite Mahler-<br />

Abend der Spielzeit, an dem die<br />

Bamberger Symphoniker unter<br />

Jonathan Nott eine überragende<br />

Interpretation der 5. Symphonie<br />

hören ließen. Als Fan der Filme Alfred<br />

Hitchcocks hatte ich mir von<br />

der Bühnenadaption der „39 Stufen“<br />

mit Ingolf Lück etwas mehr<br />

erhofft; es war zwar ein rasanter<br />

Umzieh-Abend mit einigen netten<br />

Momenten, aber die Frage blieb:<br />

Was soll das Ganze? Einfach großartig<br />

dagegen „Hiob“ nach Josef<br />

Roth von den Münchner Kammerspielen;<br />

auch das die Bühnenfassung<br />

eines Romans, in diesem Fall<br />

eine sehr geglückte. Bei rund 80<br />

Vorstellungen eines Bespieltheater<br />

wie Schweinfurt eines ist, kann<br />

ein fragmentarischer Rückblick<br />

den vielfältigen Einzelleistungen<br />

nicht gerecht werden. Daher<br />

bleibt Vieles im Dunkeln und wie<br />

so oft der Vorhang zu und alle Fragen<br />

offen! Lothar Reichel<br />

nachdenkenswerte uraufführung der „brdfragmente“<br />

in den kammerspielen<br />

Was aufgezeigt wird, ist düster, aber es gibt<br />

Hoffnung: Am Ende einer sowohl individuell<br />

als auch kollektiv grausamen Geschichte<br />

werden die Namen jener Juden aufgesagt, die<br />

beim Holocaust ums Leben kamen. An sie zu<br />

erinnern, verheißt, das „Nie wieder!“ zu festigen.<br />

Johanna Kapteins „BRD-Fragmente“, von<br />

Nada Kokotovic inszeniert, sind ein nachdrücklicher<br />

Appell für eine Gedenkkultur gegen das<br />

Vergessen - die auch nach 65 Jahren für die Autorin<br />

nichts von ihrem Sinn eingebüßt hat. Die<br />

toten Opfer zu vergessen, die Ansprüche der<br />

noch lebenden zu ignorieren, heißt für die 1974<br />

geborene Leonhard-Frank-Preisträgerin, abzuerkennen,<br />

was ihnen an nicht wieder gut zu<br />

machendem Leid geschehen ist. Im Gegensatz<br />

zur Kraft der aktiven Erinnerung wirkt lächerlich,<br />

was die erste Nachkriegsgeneration noch<br />

unternahm, um eine bessere Welt zu schaffen.<br />

Nichts hat es gebracht, das revolutionäre<br />

Theoretisieren. Nichts oder doch zu wenig der<br />

Kampf der 68er gegen das, was sich da neuerlich<br />

zusammenzubrauen drohte. Eindrücklich<br />

setzt Nada Kokotovic mit Maria Brendel, Anne<br />

Diemer, Anne Simmering und Anna Sjöström<br />

die penetranten Aberrationen der Deutschen<br />

vom Humanum in den einzelnen Perioden der jüngeren Geschichte durch Wort, Melodie, Bild und Tanz in Szene. Abertausende<br />

Tote bewirkten letztlich kein Umdenken. Die kollektive Grausamkeit setzt sich im Familiären fort. Mit dem Teppichklopfer<br />

drischt die Mutter auf die Tochter ein. Fassungslos steht die Enkelin in Birkenau vor den Ruinen. Inwieweit Gedenken wirklich<br />

hilft? Foto: Gabriela Knoch Karten unter 0931.3908-124<br />

Pat Christ

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