COMPACT-Magazin | ERSTAUSGABE | 12-2010
Sog. 'Nullnummer' des erfolgreichen gesellschaftspolitischen Nachrichten-Magazins
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Titelthema<br />
<strong>COMPACT</strong><br />
ist den Leuten egal, wer sie aus dem<br />
Jammertal führt, solange derjenige für<br />
eine gewisse Respektabilität und<br />
Professionalität steht.<br />
Rechte Extremisten jedenfalls, das<br />
zeigen die demoskopischen Werte für<br />
die entsprechenden Splitterparteien,<br />
können von «Volksheld Sarrazin»<br />
(Spiegel) nicht profitieren. Dazu passt,<br />
wie stark seine Anstöße nach links ausstrahlen:<br />
Bei der erwähnten Umfrage<br />
hatten 29 Prozent der Linke-Wähler ihr<br />
Kreuzchen bei der imaginären Sarrazin-<br />
Partei gemacht – das waren mehr<br />
als bei den Anhängern aller anderen.<br />
Das Ergebnis muss die Nomenklatura<br />
um Gregor Gysi schockieren – die war,<br />
ihrem Verständnis von Antifaschismus<br />
folgend, beim Verbellen des angeblichen<br />
Rechtspopulisten besonders lautstark<br />
gewesen. Die von Sarrazin befürchtete<br />
Abschaffung Deutschlands<br />
wurde im Zentralorgan frech bejubelt:<br />
«Muss das etwas Schlechtes sein? (…)<br />
Vielleicht muss es wirklich so geschehen,<br />
wie es in einem Punk-Klassiker<br />
besungen wird: »<br />
Dass dieser antideutsche Hass in einer<br />
Zeitung versprüht werden kann, die<br />
immer noch den patriotischen SED-<br />
Titel Neues Deutschland trägt, zeigt, wie<br />
sehr sich die neue und allerneueste Lin -<br />
ke von ihren Traditionen entfernt hat<br />
– und von einem Gutteil ihrer Wähler.<br />
Dass Sarrazin im Kern ein sozial<br />
reformerisches und keineswegs ein<br />
rechtsradikales Manifest vorgelegt hat,<br />
hat Hans-Ulrich Wehler, einer der linken<br />
Gegner von Ernst Nolte im so genannten<br />
Historikerstreit, herausgearbeitet<br />
(vg. S. 20). Dass dieser Kern nicht<br />
immer sichtbar ist, muss sich Sarrazin<br />
zwar auch selbst zuschreiben – seine<br />
Ausflüge in die Erbbiologie hätte er<br />
besser unterlassen, und auch zu seinen<br />
Angriffen auf den Islam wird unten<br />
noch Kritisches vermerkt werden. Die<br />
Unschärfe dieses Kerns erklärt sich<br />
jedoch weniger durch seine Darstellungsschwächen,<br />
als durch den politisch-korrekten<br />
Knick in der Optik seiner<br />
linken Kritiker. Diese können nicht<br />
erkennen, dass die im Buch zentrale<br />
Forderung nach einer Umkehr in der<br />
Einwanderungspolitik ganz im Interes<br />
se der arbeitenden Menschen in diesem<br />
Land – im marxistischen Duktus:<br />
im Klasseninteresse des Proletariats –<br />
liegt. Die Zuwanderung ist seit ihrem<br />
Beginn in den sechziger Jahren ein<br />
Projekt der Großkonzerne, die durch<br />
den Import billiger «Gastarbeiter» die<br />
Lohn quote immer mehr absenken<br />
konn ten. Das ist ökonomisch gewollte<br />
Inländerfeindlichkeit – wobei man den<br />
Begriff durchaus weit fassen sollte: So,<br />
wie schwäbische Betongießer in der<br />
Altbundesrepublik anatolischen Zuzüg<br />
lern weichen mussten, werden<br />
deren Jobs heute von polnischen oder<br />
baltischen Dienstleistern übernommen.<br />
Mit anderen Worten: Auch die Türken<br />
in Deutschland müssten in ihrem eige -<br />
nen Interesse mit Sarrazin dafür sein,<br />
dass vor der großen Flut die Schleusen<br />
geschlossen werden.<br />
Auch die Türken in<br />
Deutschland müssten<br />
in ihrem eige nen<br />
Interesse für Sarrazin<br />
sein.<br />
Sarrazin selbst hat ganz richtig<br />
erkannt, dass die notwendige Sammlung<br />
der Kräfte auf einer breiten Basis,<br />
also in der Mitte der Gesellschaft, erfolgen<br />
muss. «Eine Partei, die sich ausschließlich<br />
dem Thema Zuwanderung<br />
und Integration widmen würde, wäre<br />
eine Rechtspartei. Und ich möchte<br />
keine Rechtspartei in Deutschland (…)<br />
Ich lasse mich nicht in die rechte Ecke<br />
drängen», sagte er Ende Oktober der<br />
Bild am Sonntag. Bei den Themen, die<br />
hinzu kommen müssten, hat er in<br />
seinem Buch noch Ausarbeitungen zu<br />
Demographie und zur Familien- sowie<br />
Bildungspolitik vorgelegt.<br />
Zwei große Themenkreise fehlen: Die<br />
Zerstörung Deutschlands durch die<br />
undemokratischen Eingriffe der EU in<br />
alle Lebens bereiche sowie durch die<br />
US-amerikanische Finanz- und Kriegspolitik.<br />
Letzteres ist eine déformation<br />
professionelle bei einem Politiker,<br />
der in seiner Zeit als Berliner Senator<br />
die Priva tisierung von kommu na lem -<br />
Ei gen tum – eines der schlimmsten<br />
Ele men te des angelsächsischen Wirtschafts<br />
modells – immer voran ge trieben<br />
und sich mit Außenpolitik nie<br />
beschäftigt hat. Sein blinder Fleck in Bezug<br />
auf die EU verwundert hin gegen:<br />
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