<strong>COMPACT</strong> Titelthema Das Feindbild als Spiegelbild. Über Henryk M. Broders Vorstöße in der deutschen Islam-Debatte. Foto: Florian Siebeck Tit for Tat Dubai City im Jahre <strong>2010</strong>: Bedroht der Islam die Moderne – oder die Moderne den Islam? <strong>COMPACT</strong> / Nullnummer / Dezember <strong>2010</strong>
Titelthema <strong>COMPACT</strong> Von André F. Lichtschlag Der Journalist Henryk M. Broder betrach - tete das Gestammel der Gut menschen- Kollegen nach dem Schweizer Minarettvotum als «luschtig». Die Schweizer, so Broder, seien «die erste europäische Nation, die sich in einer freien Abstimmung gegen die Isla misie rung ihres Landes entschieden» habe. Es sei tatsächlich eine Abstimmung gegen eine bisherige «Asy mmetrie», denn «Moslems dürfen in Europa Gebetshäuser bauen, Christen in den arabischislamischen Ländern dürfen es nicht. In Afghanistan und Pakistan droht Konvertiten die Todesstrafe, Touristen dürfen nach Saudi-Arabien nicht einmal Bibeln im Gepäck mitführen.» Das, so Broder, «sind Zustände, die nicht toleriert werden können.» Nun sei die Zeit für das alte jüdische «Tit-for-tat- Prin zip» gekommen: «So wie zwischen den Regierungen Slots für die Flug - gesellschaften ausgehandelt werden, werden jetzt auch Landerechte für den Bau von religiösen Einrichtungen vereinbart. Wenn es in Bonn eine König-Fahd-Aka demie geben kann, die nicht der Schulaufsicht untersteht, muss es in Riad oder Jedda eine Evangelische, eine Ka tholische oder eine Akademie für Theorie und Praxis des Atheismus geben können. Wenn iranische Frauen in Voll verschleierung durch München flanieren können, müssen europäische Frauen in der Kleidung ihrer Wahl durch Teheran oder Isfahan gehen dür fen, ohne von den notgeilen Greifern der Sittenpolizei belästigt zu werden.» «Gut gebrüllt», antwortet ihm Kollege Hermann L. Gremliza: Schade nur, «dass der Rat zu spät kommt für die USA, um dem deutschen Emigran - ten Brecht zu sagen, er dürfe in Amerika erst schreiben, wenn im Deutschen Reich wieder Pressefreiheit herrscht.» Claudius Seidl fügt mit Voltaire hinzu: «Ich mag Ihr Kopftuch nicht. Aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sich kleiden dürfen, wie Sie wollen.» Dabei spricht durchaus auch viel für Broders Provokation. Zweifellos ist die genannte «islamische Asymmetrie» bezüglich Religionsfreiheit gegeben, und dass sie bislang von den Kol legen der Mainstream-Presse nicht thematisiert wurde, ist ein Skandal. Es bleibt nur die alte Frage: Was unterscheidet den nach eigenem Bekunden Toleranten vom Intoleranten, wenn er dessen Intoleranz gegen ihn selbst wendet? Sollten wir dann nicht besser gleich alle zum Islam konvertieren und umgekehrt? Wäre es nicht entschieden aufrichtiger, das Abendland bliebe seinen Werten treu, statt sie zu verraten? Daher ein anderer Vorschlag: Broders einflussreiche Arbeitgeber Spiegel und Welt könnten zur Abwechslung mit den Berichten über Christenver folgungen in arabischen Ländern beginnen. Oder ARD und ZDF könnten themati sieren, dass seit dem 1. Januar 2000 nahezu alle Kinder türkischer Eltern von Geburt an Deutsche sind. Ein Faktum über viele momentan heranwachsende und statistisch bereits deutsche Mitbürger, das vielen Abstam mungsdeutschen kaum bewusst ist, wurde das Gesetz doch in etwa so heimlich eingeführt wie die Einwanderungspolitik von Beginn an systema tisch geplant und betrieben wurde. Das gar nicht mehr so neue Staatsbürgerschaftsrecht jedenfalls könnte sich in ein paar Jahren als Meilenstein auf dem Weg zum Bürgerkrieg erweisen, dann nämlich, wenn der Sozialstaat endgültig zusammenbricht, der all das Prekariat angezogen, herausgebildet und zielgerichtet vermehrt hat, das nicht nur den Schweizern langsam zu teuer wird. Oder wie wäre es, wenn die em - pörten Deutschen und Schweizer Urlaubslän der wie Ägypten mieden oder begännen, Waren aus entsprechenden Ländern zu boykottieren? Das wäre zwar für jeden einzelnen unbequemer, aber es würde auch nicht den eigenen Anspruch verraten. Und die Methode könnte erfolgversprechender sein, als auch hierzulande die Religionsfreiheit zu beschneiden. Und wenn schon Broders rabiates po - li tisches Mittel, dann bitte auch konse - quent: Irakische und afghanische Truppen dürfen nach kleineren dor tigen Gefechten und Bombardements in Berlin und Washington stationiert werden, und auch der Iran darf natür lich Atomwaffen bauen. Abschreckung ist machbar, Herr Nachbar. Oder auch: «Tit-for-tat». Broder erklärt die neue Angst des Westens vor dem Islam allein mit dessen Fehlern. Die andere Seite der Me daille verschweigt er, jene diffuse Grundangst, die aus eigener Schwäche herrührt. Deutschland und darüber hinaus das, was gemeinhin als «der Wes ten» bezeichnet wird, «haben fertig». Viele wissen das. Noch mehr ahnen es. Demographisch, demokratisch, kulturell, moralisch und ökonomisch zehren wir von der Vergangenheit und leben auf Kosten der Zukunft. So ist das im Sozialismus, immer. Große Gelehrte wie Ludwig von Mises oder Friedrich August von Hayek haben dicke Bücher zur Erklärung des Phänomens verfaßt. Roland Baader in Deutschland oder Igor Schafarewitsch in Russland haben erklärt, warum jeder neue so zi - a lis ti sche Menschenversuch – und es gab im Laufe der Jahrhunderte viele – immer wieder aus vier Komponenten besteht: Eigentumszerstörung, Religions zerstörung, Familienzerstörung, gekop pelt mit der Utopie der sozialen Gleichheit. Jetzt steht auch unsere neoso zialistische Gesellschaft wie vor mehr als zwanzig Jahren der Real sozi - a lismus vor dem Offenbarungseid. Wie damals suchen Kapital und Menschen das Weite. Wer kann, haut ab. Die Auswandererziffern nähern sich bereits den Zahlen der Einwanderer. Leistungsfähige und -willige ziehen in Scharen fort im Austausch gegen Anatoliens Landbevölkerung, die, bildungs fern, aber bauernschlau, vom hiesigen Sozialschlaraffenland wie magisch angezogen wird. Das düstere Bild der Zukunft ist an hiesigen Problemschulen bereits heute zu bewun dern. Die Überwachung der verbleibenden Produktiven wird immer lückenloser, fliehendem Kapital wird an den Grenzen polizeistaatlich nachgespürt. Der Klassenfeind lauert in Liechtenstein. Mauer und Stacheldraht sind nur noch eine Frage der Zeit. Auch so ist das im Sozialismus, auf Dauer immer. Die Beweggründe des auf gebrach ten Volkes sind ja nachvoll ziehbar: Immer mehr Straßenzüge im ei ge - nen Land mutieren zum No-go- Bezirk für Deutsche, die zudem noch gedemü tigt werden von den stets juristisch, soziologisch, politisch und sozialstaat - lich bevorzugten Jungmänner-«Migranten». Gemeint sind nicht die Rhein- <strong>12</strong> 13