Rilkes "Die weisse Fürstin"
Rilkes "Die weisse Fürstin" Rilkes "Die weisse Fürstin"
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- Seite 8: Astrid fV1eyerfeldt, Kotjo Sieder ,
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- Seite 18: Die Oper Rilkes Text fristete ein S
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- Seite 34: Nachweise Texte: Rainer Maria Rilke
- Uraufführung -<br />
<strong>Die</strong> <strong>weisse</strong> Fürstin<br />
Scene polidimensionali XVII<br />
Oper von fVl6rton Illes<br />
nach dem<br />
gleichnamigen Schauspiel von<br />
Rainer fVlaria Rilke<br />
Libretto vom Komponisten<br />
Kompositionsauftrag<br />
der GEfVlA-Stiftung<br />
zur fVlünchener Biennale<br />
Koproduktion<br />
mit der fVlünchener Biennale<br />
- mit Übertiteln -<br />
2<br />
MUSIKALISCHE LEITUNG<br />
REGIE<br />
BÜHNE UND KOSTÜME<br />
DRAMATURGIE<br />
SOPRAN<br />
SOPRAN<br />
MEZZOSOPRAN<br />
TENOR<br />
TENOR<br />
BASS<br />
BASS<br />
BASS<br />
BASS<br />
SCHAUSPIELERIN<br />
SCHAUSPIELERIN<br />
SCHAUSPIELER<br />
Georg Fritzsch<br />
Andrea Moses<br />
Christian Wiehle<br />
Ludwig Haugk I<br />
Cordula Engelbert<br />
Lesia Mackowycz<br />
Heike Wittlieb<br />
Merja Mäkelä<br />
Michael Müller<br />
Steffen Doberauer<br />
Michail Milanov<br />
Hans Griepentrog<br />
Marek Wojciechowski<br />
Kevin Thompson<br />
Astrid Meyerfeldt<br />
Kat ja Sieder<br />
Julian Mehne<br />
Mitglieder des Philharmonischen Orchesters Kiel:<br />
Maximilian Lohse, Eri Ishiodori, Sara Täuber (Violine), Atsuko Matsuzaki,<br />
Caroline Gosman (Bratsche), Paul Füssinger, Aynur Caymaz-Agri<br />
(Violoncello), Hans-Martin Keltsch (Kontrabass), Alexander Wernet,<br />
Sherif El Razzaz, Winfried Kassenberg, Vladimir Martinu, Georg Paltz /<br />
Igal Levin (Klarinette), Victor Sokolov / Thomas Bierfeld, Isgard Boock<br />
(Horn), Thilo Schramm, Volker Siepelt (Trompete) Christoph Beyer (Posaune),<br />
Allan jensen (Tuba), Claus Koschnitzke (Schlagzeug), Sunyeo<br />
Kim (Klavier)<br />
MUSIKALISCHE ASSISTENZ<br />
STUDIEN LEITUNG<br />
MUSIKALISCHE EINSTUDIERUNG<br />
REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIELLEITUNG<br />
BÜH NENBILDASSISTENZ<br />
KOSTÜMASSISTENZ<br />
INSPIZlENZ<br />
SOUFFLAGE<br />
Florian Erdl<br />
Bettina Rohrbeck<br />
Sunyeo Kim, Paul Plummer<br />
lörg <strong>Die</strong>kneite<br />
Elisabeth Richter<br />
julia Scholz<br />
Marina Hewig<br />
Angelika Siebel<br />
TECHNISCHE LEITUNG Klaus Buchholz I TECHNISCHE EINRICHTUNG Wilfried<br />
Wahler I LICHTGESTALTUNGJoachim Mohr I STELLWERK DER BELEUCHTUNG<br />
Mario Witulski, Martin Buro I TONTECHNIK Manfred Bamberg, Sänke<br />
Timm, Peter Behnke, Jens Koob I MASCHINENTECHNIK Volker Niggemann I<br />
DAMENSCHNEIDEREI Anita Gaffke I HERRENSCHNEIDEREIMoritz Vollmers I<br />
MASKE Caroline Steinhage, Alexandra Enke, Mareike Langkau I REQUISITE<br />
Maike Guttau, Christine Kissing-Gebert, Viola Redlin I MALSAAL Rainer<br />
Kühn, Friederike von Hammerstein I TISCHLEREIHeinz Kräger, Michael Schulz<br />
I SCHLOSSEREIManfred Seifert, Wolfgang Voigt I POLSTEREIWitold Fydrych,<br />
Nicole Witt I BÜHNENPLASTIK Katina Kuschnerus I ÜBERTITELUNG Tjorven<br />
Brauckhoff, Monika Kurz I TEXTFASSUNG DER ÜBERTITEL Cordula Engelbert<br />
AUFFÜHRUNGSRECHTE:Breitkopf & Härtet KG, Wiesbaden<br />
PREMIERE:Mittwoch, 28. April 2010, 20.00 Uhr, Gasteig München / Carl-Orff-Saal<br />
Samstag, 8. Mai 2010, 20.00 Uhr, Schauspielhaus Kiel<br />
DAUERDERAUFFÜHRUNG:Ca. 1 Stunde ohne Pause<br />
Aufnahmen auf Bild- und Tonträger sind nicht gestattet.<br />
Bitte denken Sie daran, Ihr Handy auszuschalten.<br />
operxr
Fabel der Inszenierung<br />
Mitten in eine reiche Strandgesellschaft platzt ein Bote mit<br />
einer grausigen Nachricht: eine furchtbare Seuche grassiert in<br />
den umliegenden Dörfern, düstere Mönche tragen die Leichen<br />
aus den Häusern, wenn man ihnen am Fenster winkt. Doch<br />
die versammelte Gesellschaft will den Bericht nicht hören<br />
und drängt den Boten ins Abseits. Aus Beschreibungen baut<br />
man sich eine Gegenwelt, bestehend aus Park und Schloss<br />
und inszeniert sich selbst als weiße Fürstin, ihre Schwester<br />
Manna Lara und Haushofmeister Amadeo. Im Gespräch<br />
mit dem Haushofmeister erzählt die weiße Fürstin ihre<br />
Geschichte: als Mädchen verheiratet, lebt sie seit elf Jahren<br />
in diesem Schloss, immer bewacht von ihrem Gatten. Nun ist<br />
sie das erste Mal allein. Sie will auch Amadeo wegschicken:<br />
er soll seine Enkel besuchen und ihre Schwester Manna Lara<br />
mitnehmen. <strong>Die</strong>se weigert sich aber: sie will bei der weißen<br />
Fürstin bleiben. Sie gesteht ihr ihre Liebe, die Szene wird<br />
erneut durch den Boten unterbrochen, der einen Brief überbringt<br />
und sei oe Geschichte erneut erzählt. Während Manna<br />
Lara angstvoll auf den Boten reagiert, ist die Fürstin ganz<br />
mit dem Brief und seinem Inhalt beschäftigt - eine Botschaft<br />
von ihrem Geliebten? Sie beschließt, den Boten wegzuschicken:<br />
"erst morgen das Erbarmen; heute das Blindsein". Sie<br />
berichtet Manna Lara von den Zuständen erotischer Ekstase.<br />
Beide halten Ausschau nach dem Geliebten, der sich im Brief<br />
angekündigt hat. Doch sie werden erneut unterbrochen: <strong>Die</strong><br />
Männer, die vormals Haushofmeister waren, tragen jetzt den<br />
Boten als Toten herein: ihr Text ist sein Text vom Tod, der<br />
Hunger hat. <strong>Die</strong> weiße Fürstin flüchtet: in die Beschwörung<br />
der Sehnsucht, in den hilflosen Versuch der Rekonstruktion,<br />
in die Starre.<br />
4
Astrid fV1eyerfeldt, Kotjo Sieder<br />
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<strong>Rilkes</strong> "<strong>Die</strong> <strong>weisse</strong> Fürstin"<br />
<strong>Die</strong> erste Seite von Rainer Maria <strong>Rilkes</strong> Text - einer "Scene am Meer" - besteht aus einer<br />
Ortsbeschreibung. Eingeteilt in .Vorderbühne", "Mittelbühne" und "Hinterbühne" wird<br />
eine Landschaft entworfen, wie sie keine Bühne fassen kann: ein Park, "eypressen", eine<br />
"Allee hellstämmiger Platanen" und als Höhepunkt "das Meer, welches von der Seite des<br />
Zuschauers her, gegen die Scene wogt". Rilke benutzt die Form des Dramas, um sie zu<br />
sprengen. Er stellt einen Theaterraum vor, um ihn unmöglich zu machen. <strong>Die</strong> kursiv gesetzte<br />
"Regieanweisung" ist eine Erzählung, die eingebundene Personenliste ist eine Handlung, die<br />
Endlichkeit des Theaterraums wird ins Unendliche verlängert. Was ist Wirklichkeit, was<br />
ist Kunst? Von den ersten Zeilen an verwirrt der 23-jährige Rilke diese Kategorien. Bricht<br />
das Meer, die Unendlichkeit, die schwüle Mittagshitze als Wirklichkeit in den Kunstraum<br />
Theater ein? Oder ist der Zuschauer, die Vorder- und Hinterbühne die trockene Realität,<br />
die sich traumhaft in einen surrealen Kunstraum verwandelt?<br />
<strong>Die</strong> Erweiterung der Wahrnehmungsgrenzen durch deren Verwirrung mit Mitteln der<br />
Kunst war ein Kennzeichen der Zeit, in der Rilke sein seltsames dramatisches Gedicht<br />
oder poetisches Drama schrieb. Es war die Zeit, in der die Architekten des Jugendstil<br />
Gebäudefassaden zu Blumenbeeten umgestalteten, in der Gustav Mahler an der Auflösung<br />
der sinfonischen Fassbarkeit arbeitete, die Zeit, in der Richard Strauss begann, mit<br />
Musik polyphone Geschichten zu erzählen. Es war aber auch eine Zeit des Endes: im<br />
Ton vieler literarischer Werke liegt die Nervosität eines bevorstehenden gesellschaftlichen<br />
Paradigmenwechsels eingeschrieben: wie sollte die Kunst, die Literatur auf die zunehmende<br />
Militarisierung des öffentlichen Lebens, auf die immer drastischer werdenden sozialen<br />
Probleme in den Städten, auf die mit der Säkularisierung einhergehende Verwirrung des<br />
Wertekanons und der ästhetischen Kategorien reagieren?<br />
Rainer Maria Rilke, der eigentlich Rene hieß, hatte bereits einen mühsamen Lebenslauf<br />
hinter sich, als er 1897 in München strandete. Ein Student Anfang zwanzig, hochbegabt,<br />
der eine militärische und eine Wirtschaftskarriere abgebrochen hatte. Im München war es<br />
die Bekanntschaft mit der fast 15 Jahre älteren Lou Andreas Salome, die für ihn zu einer<br />
Schicksalsbegegnung wurde. <strong>Die</strong> Beziehung wurde zum Motor seines Schreibens. Rilke<br />
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folgte ihr nach Berlin und reiste mit ihr 1898, dem Jahr der WEISSEN FÜRSTIN nach Italien.<br />
Leicht ließe sich also DIE WEISSE FÜRSTIN autobiografisch entschlüsseln: eine alternde Frau vor<br />
italienischem Sujet etc. Aber wenn die Regel gilt, dass jeder Text mehr weiß, als sein Autor,<br />
dann gilt sie für einen lyrischen Schriftsteller, wie Rilke es nicht nur in seinen Gedichten<br />
war, insbesondere. <strong>Die</strong> Faszination dieses kurzen Textes liegt einerseits in seiner bildhaften<br />
Abgründigkeit und in der Vielschichtigkeit seiner Ebenen. Rilke lässt Form und Inhalt nicht<br />
nur einander entsprechen, sondern verschränkt sie zu einem untrennbaren Bild. So wie das<br />
prächtige Schloss der Fürstin sich als Gefängnis erweist, das gleichzeitig Schutzraum und<br />
Grab ist, so ist auch die dramatische Form gleichzeitig Anker und zu sprengende Mauer für<br />
den Klang und die Bedeutung der Worte, die unter dem komprimierenden Druck der Verse<br />
ihre existentielle Kraft erhalten.<br />
<strong>Die</strong> Handlung des "Stücks" spielt sich in Realzeit ab. Vielleicht sind es zehn Minuten,<br />
vielleicht ist es eine halbe Stunde, von "Mittag" bis zum Versinken der Sonne, vielleicht<br />
eine Unendlichkeit: Rilke legt die Begegnung der weißen Fürstin mit der Freiheit und<br />
dem Tod in einen Moment. Eine Mittagsstunde, High noon, in dem die erste Chance<br />
zu atmen nach Jahren der Ehehölle im Paradies mit dem Auftritt des Schreckens zusammenfällt,<br />
der mit der Pest an das Schloss brandet wie das Meer. Der Kunstraum, der um<br />
sie als Abschottung gegen die Welt der Gefahren gebaut wurde, bricht auf zur Freiheit<br />
- und zur Gefahr. Mit der Schwester Monna Lara führt Rilke eine Figur ein, die wie ein<br />
Kontrastmittel zur Fürstin wirkt. Sie ist jung, an ihr muss die Fürstin all das erkennen,<br />
was sie selbst gerade zu verlieren hat. Zwei Frauen im unerträglichen Druckzustand unerfüllter<br />
erotischer Sehnsucht im dekadenten Gewand aristokratischen Überflusses: was für<br />
den jungen Rilke möglicherweise poetisches Abreagieren eigener Phantasien war, gerät<br />
durch sein noch ungesteuertes Talent zu einer verdichteten Probe auf den Zusammenhang<br />
zwischen Tod und Sexualität. Denn mit dem Boten bricht in die Küsse der zwei Frauen<br />
die Bedrohung. Von der Pest berichtet er, von Leichen, die aus den Häusern ge schleift<br />
werden, von dringend notwendiger Soforthilfe: Der hungrige Tod "bricht wie Brot" die<br />
Menschen, in das von innen ausgehöhlte Paradies der Fürstin tritt die Wirklichkeit als<br />
Verkehrung christlicher Symbolik. Rilke schneidet die Kontraste hart gegeneinander:<br />
die sich in rauschhafter Sehnsucht gegenseitig ansteckenden Frauen und die ansteckende<br />
Bedrohung der um sich greifenden Krankheit. Mehr noch: er überlagert Hässlichkeit und<br />
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Schönheit, Tod und Leben, er ästhetisiert die Katastrophe und lässt die Liebe von dunklen<br />
Bildern ergriffen werden.<br />
Was wäre, wenn es keinen Gott mehr gäbe? <strong>Die</strong> Philosophie Friedrich Nietzsches, das vitalistische<br />
Aufbegehren gegen Gott schimmert unverkennbar durch die Verse des jungen Rilke.<br />
"Erst morgen das Erbarmen, heute das Blindsein" beschließt die Fürstin, die "den Gott<br />
ergreifen", das Leben in seiner ganzen Ekstase auskosten will. Das absolute Leben heißt,<br />
sich dem Tod aussetzen, der Tod ist gleichzeitig aber das Ende des Lebens. Ihn auszugrenzen,<br />
von sich wegzuhalten aber heißt, nicht zu leben. Rilke sucht mit seiner "Scene am Meer"<br />
eine Form für die radikale Sekunde, für den Moment der Ekstase, des Außerhalb-ihrerselbst-Stehens.<br />
Eine Form, in der alles gleichzeitig passiert: die Erinnerung, die Vernunft, die<br />
Erwartung, der Tod und die Liebe. Von heute aus betrachtet erscheint sein Text an vielen<br />
Stellen wie die Fassade eines leicht verfallenen Jugendstilhauses inmitten einer der zerbombten<br />
und im Stil der siebziger Jahre wieder aufgebauten westdeutschen mittelgroßen Stadt:<br />
die träumende Erinnerung an eine vorausgeahnte Krise. "<strong>Die</strong> Jugend ist die Erinnerung an<br />
Den, der noch nicht kam. Hinter dem Bräutigam reißt der Vorhang der Erinnerung entzwei<br />
und Du weißt nur dunkel: Einmal im Mai ... cc heißt es in DIE WEISSE FÜRSTIN. Gleichzeitig mit<br />
der Entdeckung des Ichs in der Poesie fand die Entdeckung der Massenvernichtungswaffen<br />
statt. Dem Dichter als Boten der Gleichzeitigkeit von Schönheit und Schrecken bleibt keine<br />
Wahl. Er "verneigt sich und geht über die Terrasse nach rechts ab."<br />
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<strong>Die</strong> Oper<br />
<strong>Rilkes</strong> Text fristete ein Schattendasein in der Werkgeschichte des Autors. Dass ausgerechnet<br />
der junge ungarische Komponist Marton Illes DIE WEISSE FÜRSTIN wieder entdeckt hat, kommt<br />
nicht von ungefähr. Seit Jahren beschäftigt sich Illes mit der Dialogizität über einander<br />
liegender musikalischer Linien. Das Arbeitsmodell, gewissermaßen die Versuchsanordnung<br />
dafür nennt er "scene polidimensionali": unabhängig davon, ob er eine Oper schreibt<br />
oder kammermusikalisch orientierte Werke, es geht dem Komponisten darum, in seiner<br />
Klangwelt polydimensionale Szenen zu bauen. <strong>Die</strong> musikalischen Gedankenlinien verhalten<br />
sich dabei wie Figuren: sie treten mit einander in Kontakt, reiben sich an einander und stehen<br />
dann wieder ganz für sich. Im Unterschied zur klassischen Mehrstimmigkeit führen die<br />
Stimmen bei Illes ein Eigenleben, nicht der Zusammenklang ist das Ziel, sondern der Weg<br />
der Stimmen im Raum ergibt immer wieder neue Konstellationen. Dadurch entsteht eine<br />
Vielschichtigkeit von Farben und Situationen, wie sie in dieser Gleichzeitigkeit nur in zwei<br />
Modi vorkommen kann: in der Musik und im wirklichen Leben.<br />
<strong>Die</strong> Anwendung dieses Prinzips auf <strong>Rilkes</strong> Text erweist sich deshalb als besonders fruchtbar,<br />
weil Illes über ein Instrumentarium verfügt, das Rilke nicht benutzen konnte: <strong>Die</strong><br />
Gedanken, Emotionen und Zweifel der Figuren können in der Musik gleichzeitig übereinanderliegen,<br />
wo sie im Text in lineare Folgen gebracht werden müssen. Das wogende Meer<br />
im Zuschauerraum: Illes nimmt die Grenzüberschreitungen <strong>Rilkes</strong> wörtlich und Texte<br />
werden auf verschiedenen Ebenen eingefangen: durch die Mehrfachbesetzung können sie<br />
sich selbst beobachten, mit sich in Streit geraten, gleichzeitig träumend verharren und die<br />
Handlung vorantreiben. Illes Technik geht dabei den Weg der Öffnung. Er betont das den<br />
Zustand beschwörende, klangliche an den Worten <strong>Rilkes</strong>, hebt Begriffe und Stimmungen<br />
an, und lässt dabei viel Raum für die szenische Interpretation. Dabei ist nichts an dieser<br />
Komposition zufällig, jede einzelne musikalische Stimme, ob gesanglich, schauspielerisch<br />
oder instrumental verfolgt eine Linie durch das Werk.<br />
<strong>Die</strong> Oper beginnt mit der Katastrophe. Illes zieht den Botenbericht nach vorn, und notiert<br />
die Gebrochenheit des Sprechers, die sich durch die wie Provokationen erscheinenden<br />
Unterbrechungen des Chores steigert. Der Bote ist die dramaturgische Schlüsselfigur dieser<br />
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!<br />
I<br />
Oper. Während er bei Rilke nur einmal auftritt und das erotische Spiel der Schwestern nach<br />
seinem Auftritt die Unschuld verliert, stellt Illes die Oper von Beginn an in den Konfliktraum<br />
zwischen der Vernichtung und der Gegenbewegung. Insgesamt drei Mal taucht der Bote in<br />
der Oper auf: am Beginn, in der Mitte - der Position, an der Rilke ihn vorsieht - und am<br />
Ende, als Leiche, die von den Sängern hereingetragen wird. Am Zustand des Boten, an seiner<br />
Verstörtheit bis hin zu seinem Tod lässt sich der Grad der Überforderung messen, dem<br />
die Figuren ausgesetzt sind: zwischen den Fetzen ihrer Erinnerung, den Worten, die sie wie<br />
Champagner genießen, der Angst, die sie fast zerreißt, dem sehnsüchtigen Warten, das sie<br />
erfüllt. Eine weitere wesentliche Änderung zu seiner Vorlage nimmt Illes in der Besetzung<br />
des Haushofmeisters Amadeo vor. Der Chor aus vier Bässen und zwei Tenören gibt sowohl<br />
dem Bedienten im Haus die Stimme als auch den geheimnisvollen Pestmönchen. Damit<br />
hebt Illes die Grenzen der Gewissheiten zwischen innen und außen nach und nach auf.<br />
<strong>Die</strong> zwei weiblichen Hauptfiguren lässt der Komponist durch die Frauenstimmen mehrfach<br />
spielen. Dabei belässt er es nicht dabei, dass die Schauspielerinnen Rollen spielen, die von<br />
den Gesangsstimmen atmosphärisch "untermalt" werden. In der Vieldimensionalität der<br />
Figuren entstehen immer wieder neue, einander widersprechende oder anziehende Züge, die<br />
die Berechenbarkeit der Handlung aufheben. Eine weitere Hauptfigur schließlich ist für den<br />
Komponisten die Sprache selbst. Jedes Wort bei Rilke ist mehr als das, was es im Kontext<br />
der schmalen Handlung funktional bedeutet. Der Klang arbeitet mit. Illes hebt folgerichtig<br />
die Beschreibungen des Textes in den Rang von Figurentext, durch Wiederholungen und<br />
Schichtungen auf den unterschiedlichen Achsen seines polydimensionalen Klangraums entsteht<br />
so ein neues Bild, das nach szenischer Deutung verlangt.<br />
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f\1erja f\1äkelä, Lesia f\1acko-<br />
WYCl, Heike Wittlieb, (oben),<br />
Katjo Sieder, Astrid f\1eyerfeldt<br />
(unten)
Michail Milanov, Steffen Doberauer, Kevin<br />
Thompson, Michael Müller, Hans Griepen-<br />
trog, Marek Wojciechowski, julian Mehne
Nachweise<br />
Texte:<br />
Rainer Maria Rilke: <strong>Die</strong> Weisse Fürstin (Erstfassung von 1898) in:<br />
Sämliche Werke, Bd. III (Jugendgedichte). Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1987, S. 265 ff. (it<br />
1103)<br />
Fabel der Inszenierung, <strong>Rilkes</strong> "<strong>Die</strong> <strong>weisse</strong> Fürstin", <strong>Die</strong> Oper:<br />
Originaltexte für dieses Programm heft von Ludwig Haugk<br />
Ein besonderer Dank für Beratung und Hilfe geht an Moritz Lobeck.<br />
Bilder:<br />
Titel: Olaf Struck.<br />
Auf der Titelseite: Heike Wittlieb, Lesia Mackowycz, Astrid Meyerfeldt, Kat ja Sieder, Merja<br />
Mäkelä<br />
Alle Probenfotos von Olaf Struck (Generalprobe am 22.4.2010)<br />
36<br />
Impressum:<br />
Spielzeit 2009 I 20010<br />
Herausgegeben vom Theater Kiel<br />
Theaterleitung: Daniel Karasek (Generalintendant),<br />
Georg Fritzsch (Generalmusikdirektor), Dr. Ralf Klöter (Kaufmännischer Direktor)<br />
Operndirektor: Reinhard Linden<br />
Redaktion und Gestaltung: Ludwig Haugk, Cordula Engelbert<br />
Grafische Gestaltung: Olaf Struck<br />
Druck und Anzeigenverwaltung: Grafik-Druck GmbH & Co. KG