Rilkes "Die weisse Fürstin"

Rilkes "Die weisse Fürstin" Rilkes "Die weisse Fürstin"

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- Uraufführung -<br />

<strong>Die</strong> <strong>weisse</strong> Fürstin<br />

Scene polidimensionali XVII<br />

Oper von fVl6rton Illes<br />

nach dem<br />

gleichnamigen Schauspiel von<br />

Rainer fVlaria Rilke<br />

Libretto vom Komponisten<br />

Kompositionsauftrag<br />

der GEfVlA-Stiftung<br />

zur fVlünchener Biennale<br />

Koproduktion<br />

mit der fVlünchener Biennale<br />

- mit Übertiteln -<br />

2<br />

MUSIKALISCHE LEITUNG<br />

REGIE<br />

BÜHNE UND KOSTÜME<br />

DRAMATURGIE<br />

SOPRAN<br />

SOPRAN<br />

MEZZOSOPRAN<br />

TENOR<br />

TENOR<br />

BASS<br />

BASS<br />

BASS<br />

BASS<br />

SCHAUSPIELERIN<br />

SCHAUSPIELERIN<br />

SCHAUSPIELER<br />

Georg Fritzsch<br />

Andrea Moses<br />

Christian Wiehle<br />

Ludwig Haugk I<br />

Cordula Engelbert<br />

Lesia Mackowycz<br />

Heike Wittlieb<br />

Merja Mäkelä<br />

Michael Müller<br />

Steffen Doberauer<br />

Michail Milanov<br />

Hans Griepentrog<br />

Marek Wojciechowski<br />

Kevin Thompson<br />

Astrid Meyerfeldt<br />

Kat ja Sieder<br />

Julian Mehne<br />

Mitglieder des Philharmonischen Orchesters Kiel:<br />

Maximilian Lohse, Eri Ishiodori, Sara Täuber (Violine), Atsuko Matsuzaki,<br />

Caroline Gosman (Bratsche), Paul Füssinger, Aynur Caymaz-Agri<br />

(Violoncello), Hans-Martin Keltsch (Kontrabass), Alexander Wernet,<br />

Sherif El Razzaz, Winfried Kassenberg, Vladimir Martinu, Georg Paltz /<br />

Igal Levin (Klarinette), Victor Sokolov / Thomas Bierfeld, Isgard Boock<br />

(Horn), Thilo Schramm, Volker Siepelt (Trompete) Christoph Beyer (Posaune),<br />

Allan jensen (Tuba), Claus Koschnitzke (Schlagzeug), Sunyeo<br />

Kim (Klavier)<br />

MUSIKALISCHE ASSISTENZ<br />

STUDIEN LEITUNG<br />

MUSIKALISCHE EINSTUDIERUNG<br />

REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIELLEITUNG<br />

BÜH NENBILDASSISTENZ<br />

KOSTÜMASSISTENZ<br />

INSPIZlENZ<br />

SOUFFLAGE<br />

Florian Erdl<br />

Bettina Rohrbeck<br />

Sunyeo Kim, Paul Plummer<br />

lörg <strong>Die</strong>kneite<br />

Elisabeth Richter<br />

julia Scholz<br />

Marina Hewig<br />

Angelika Siebel<br />

TECHNISCHE LEITUNG Klaus Buchholz I TECHNISCHE EINRICHTUNG Wilfried<br />

Wahler I LICHTGESTALTUNGJoachim Mohr I STELLWERK DER BELEUCHTUNG<br />

Mario Witulski, Martin Buro I TONTECHNIK Manfred Bamberg, Sänke<br />

Timm, Peter Behnke, Jens Koob I MASCHINENTECHNIK Volker Niggemann I<br />

DAMENSCHNEIDEREI Anita Gaffke I HERRENSCHNEIDEREIMoritz Vollmers I<br />

MASKE Caroline Steinhage, Alexandra Enke, Mareike Langkau I REQUISITE<br />

Maike Guttau, Christine Kissing-Gebert, Viola Redlin I MALSAAL Rainer<br />

Kühn, Friederike von Hammerstein I TISCHLEREIHeinz Kräger, Michael Schulz<br />

I SCHLOSSEREIManfred Seifert, Wolfgang Voigt I POLSTEREIWitold Fydrych,<br />

Nicole Witt I BÜHNENPLASTIK Katina Kuschnerus I ÜBERTITELUNG Tjorven<br />

Brauckhoff, Monika Kurz I TEXTFASSUNG DER ÜBERTITEL Cordula Engelbert<br />

AUFFÜHRUNGSRECHTE:Breitkopf & Härtet KG, Wiesbaden<br />

PREMIERE:Mittwoch, 28. April 2010, 20.00 Uhr, Gasteig München / Carl-Orff-Saal<br />

Samstag, 8. Mai 2010, 20.00 Uhr, Schauspielhaus Kiel<br />

DAUERDERAUFFÜHRUNG:Ca. 1 Stunde ohne Pause<br />

Aufnahmen auf Bild- und Tonträger sind nicht gestattet.<br />

Bitte denken Sie daran, Ihr Handy auszuschalten.<br />

operxr


Fabel der Inszenierung<br />

Mitten in eine reiche Strandgesellschaft platzt ein Bote mit<br />

einer grausigen Nachricht: eine furchtbare Seuche grassiert in<br />

den umliegenden Dörfern, düstere Mönche tragen die Leichen<br />

aus den Häusern, wenn man ihnen am Fenster winkt. Doch<br />

die versammelte Gesellschaft will den Bericht nicht hören<br />

und drängt den Boten ins Abseits. Aus Beschreibungen baut<br />

man sich eine Gegenwelt, bestehend aus Park und Schloss<br />

und inszeniert sich selbst als weiße Fürstin, ihre Schwester<br />

Manna Lara und Haushofmeister Amadeo. Im Gespräch<br />

mit dem Haushofmeister erzählt die weiße Fürstin ihre<br />

Geschichte: als Mädchen verheiratet, lebt sie seit elf Jahren<br />

in diesem Schloss, immer bewacht von ihrem Gatten. Nun ist<br />

sie das erste Mal allein. Sie will auch Amadeo wegschicken:<br />

er soll seine Enkel besuchen und ihre Schwester Manna Lara<br />

mitnehmen. <strong>Die</strong>se weigert sich aber: sie will bei der weißen<br />

Fürstin bleiben. Sie gesteht ihr ihre Liebe, die Szene wird<br />

erneut durch den Boten unterbrochen, der einen Brief überbringt<br />

und sei oe Geschichte erneut erzählt. Während Manna<br />

Lara angstvoll auf den Boten reagiert, ist die Fürstin ganz<br />

mit dem Brief und seinem Inhalt beschäftigt - eine Botschaft<br />

von ihrem Geliebten? Sie beschließt, den Boten wegzuschicken:<br />

"erst morgen das Erbarmen; heute das Blindsein". Sie<br />

berichtet Manna Lara von den Zuständen erotischer Ekstase.<br />

Beide halten Ausschau nach dem Geliebten, der sich im Brief<br />

angekündigt hat. Doch sie werden erneut unterbrochen: <strong>Die</strong><br />

Männer, die vormals Haushofmeister waren, tragen jetzt den<br />

Boten als Toten herein: ihr Text ist sein Text vom Tod, der<br />

Hunger hat. <strong>Die</strong> weiße Fürstin flüchtet: in die Beschwörung<br />

der Sehnsucht, in den hilflosen Versuch der Rekonstruktion,<br />

in die Starre.<br />

4


Astrid fV1eyerfeldt, Kotjo Sieder<br />

,.J


<strong>Rilkes</strong> "<strong>Die</strong> <strong>weisse</strong> Fürstin"<br />

<strong>Die</strong> erste Seite von Rainer Maria <strong>Rilkes</strong> Text - einer "Scene am Meer" - besteht aus einer<br />

Ortsbeschreibung. Eingeteilt in .Vorderbühne", "Mittelbühne" und "Hinterbühne" wird<br />

eine Landschaft entworfen, wie sie keine Bühne fassen kann: ein Park, "eypressen", eine<br />

"Allee hellstämmiger Platanen" und als Höhepunkt "das Meer, welches von der Seite des<br />

Zuschauers her, gegen die Scene wogt". Rilke benutzt die Form des Dramas, um sie zu<br />

sprengen. Er stellt einen Theaterraum vor, um ihn unmöglich zu machen. <strong>Die</strong> kursiv gesetzte<br />

"Regieanweisung" ist eine Erzählung, die eingebundene Personenliste ist eine Handlung, die<br />

Endlichkeit des Theaterraums wird ins Unendliche verlängert. Was ist Wirklichkeit, was<br />

ist Kunst? Von den ersten Zeilen an verwirrt der 23-jährige Rilke diese Kategorien. Bricht<br />

das Meer, die Unendlichkeit, die schwüle Mittagshitze als Wirklichkeit in den Kunstraum<br />

Theater ein? Oder ist der Zuschauer, die Vorder- und Hinterbühne die trockene Realität,<br />

die sich traumhaft in einen surrealen Kunstraum verwandelt?<br />

<strong>Die</strong> Erweiterung der Wahrnehmungsgrenzen durch deren Verwirrung mit Mitteln der<br />

Kunst war ein Kennzeichen der Zeit, in der Rilke sein seltsames dramatisches Gedicht<br />

oder poetisches Drama schrieb. Es war die Zeit, in der die Architekten des Jugendstil<br />

Gebäudefassaden zu Blumenbeeten umgestalteten, in der Gustav Mahler an der Auflösung<br />

der sinfonischen Fassbarkeit arbeitete, die Zeit, in der Richard Strauss begann, mit<br />

Musik polyphone Geschichten zu erzählen. Es war aber auch eine Zeit des Endes: im<br />

Ton vieler literarischer Werke liegt die Nervosität eines bevorstehenden gesellschaftlichen<br />

Paradigmenwechsels eingeschrieben: wie sollte die Kunst, die Literatur auf die zunehmende<br />

Militarisierung des öffentlichen Lebens, auf die immer drastischer werdenden sozialen<br />

Probleme in den Städten, auf die mit der Säkularisierung einhergehende Verwirrung des<br />

Wertekanons und der ästhetischen Kategorien reagieren?<br />

Rainer Maria Rilke, der eigentlich Rene hieß, hatte bereits einen mühsamen Lebenslauf<br />

hinter sich, als er 1897 in München strandete. Ein Student Anfang zwanzig, hochbegabt,<br />

der eine militärische und eine Wirtschaftskarriere abgebrochen hatte. Im München war es<br />

die Bekanntschaft mit der fast 15 Jahre älteren Lou Andreas Salome, die für ihn zu einer<br />

Schicksalsbegegnung wurde. <strong>Die</strong> Beziehung wurde zum Motor seines Schreibens. Rilke<br />

7


folgte ihr nach Berlin und reiste mit ihr 1898, dem Jahr der WEISSEN FÜRSTIN nach Italien.<br />

Leicht ließe sich also DIE WEISSE FÜRSTIN autobiografisch entschlüsseln: eine alternde Frau vor<br />

italienischem Sujet etc. Aber wenn die Regel gilt, dass jeder Text mehr weiß, als sein Autor,<br />

dann gilt sie für einen lyrischen Schriftsteller, wie Rilke es nicht nur in seinen Gedichten<br />

war, insbesondere. <strong>Die</strong> Faszination dieses kurzen Textes liegt einerseits in seiner bildhaften<br />

Abgründigkeit und in der Vielschichtigkeit seiner Ebenen. Rilke lässt Form und Inhalt nicht<br />

nur einander entsprechen, sondern verschränkt sie zu einem untrennbaren Bild. So wie das<br />

prächtige Schloss der Fürstin sich als Gefängnis erweist, das gleichzeitig Schutzraum und<br />

Grab ist, so ist auch die dramatische Form gleichzeitig Anker und zu sprengende Mauer für<br />

den Klang und die Bedeutung der Worte, die unter dem komprimierenden Druck der Verse<br />

ihre existentielle Kraft erhalten.<br />

<strong>Die</strong> Handlung des "Stücks" spielt sich in Realzeit ab. Vielleicht sind es zehn Minuten,<br />

vielleicht ist es eine halbe Stunde, von "Mittag" bis zum Versinken der Sonne, vielleicht<br />

eine Unendlichkeit: Rilke legt die Begegnung der weißen Fürstin mit der Freiheit und<br />

dem Tod in einen Moment. Eine Mittagsstunde, High noon, in dem die erste Chance<br />

zu atmen nach Jahren der Ehehölle im Paradies mit dem Auftritt des Schreckens zusammenfällt,<br />

der mit der Pest an das Schloss brandet wie das Meer. Der Kunstraum, der um<br />

sie als Abschottung gegen die Welt der Gefahren gebaut wurde, bricht auf zur Freiheit<br />

- und zur Gefahr. Mit der Schwester Monna Lara führt Rilke eine Figur ein, die wie ein<br />

Kontrastmittel zur Fürstin wirkt. Sie ist jung, an ihr muss die Fürstin all das erkennen,<br />

was sie selbst gerade zu verlieren hat. Zwei Frauen im unerträglichen Druckzustand unerfüllter<br />

erotischer Sehnsucht im dekadenten Gewand aristokratischen Überflusses: was für<br />

den jungen Rilke möglicherweise poetisches Abreagieren eigener Phantasien war, gerät<br />

durch sein noch ungesteuertes Talent zu einer verdichteten Probe auf den Zusammenhang<br />

zwischen Tod und Sexualität. Denn mit dem Boten bricht in die Küsse der zwei Frauen<br />

die Bedrohung. Von der Pest berichtet er, von Leichen, die aus den Häusern ge schleift<br />

werden, von dringend notwendiger Soforthilfe: Der hungrige Tod "bricht wie Brot" die<br />

Menschen, in das von innen ausgehöhlte Paradies der Fürstin tritt die Wirklichkeit als<br />

Verkehrung christlicher Symbolik. Rilke schneidet die Kontraste hart gegeneinander:<br />

die sich in rauschhafter Sehnsucht gegenseitig ansteckenden Frauen und die ansteckende<br />

Bedrohung der um sich greifenden Krankheit. Mehr noch: er überlagert Hässlichkeit und<br />

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Schönheit, Tod und Leben, er ästhetisiert die Katastrophe und lässt die Liebe von dunklen<br />

Bildern ergriffen werden.<br />

Was wäre, wenn es keinen Gott mehr gäbe? <strong>Die</strong> Philosophie Friedrich Nietzsches, das vitalistische<br />

Aufbegehren gegen Gott schimmert unverkennbar durch die Verse des jungen Rilke.<br />

"Erst morgen das Erbarmen, heute das Blindsein" beschließt die Fürstin, die "den Gott<br />

ergreifen", das Leben in seiner ganzen Ekstase auskosten will. Das absolute Leben heißt,<br />

sich dem Tod aussetzen, der Tod ist gleichzeitig aber das Ende des Lebens. Ihn auszugrenzen,<br />

von sich wegzuhalten aber heißt, nicht zu leben. Rilke sucht mit seiner "Scene am Meer"<br />

eine Form für die radikale Sekunde, für den Moment der Ekstase, des Außerhalb-ihrerselbst-Stehens.<br />

Eine Form, in der alles gleichzeitig passiert: die Erinnerung, die Vernunft, die<br />

Erwartung, der Tod und die Liebe. Von heute aus betrachtet erscheint sein Text an vielen<br />

Stellen wie die Fassade eines leicht verfallenen Jugendstilhauses inmitten einer der zerbombten<br />

und im Stil der siebziger Jahre wieder aufgebauten westdeutschen mittelgroßen Stadt:<br />

die träumende Erinnerung an eine vorausgeahnte Krise. "<strong>Die</strong> Jugend ist die Erinnerung an<br />

Den, der noch nicht kam. Hinter dem Bräutigam reißt der Vorhang der Erinnerung entzwei<br />

und Du weißt nur dunkel: Einmal im Mai ... cc heißt es in DIE WEISSE FÜRSTIN. Gleichzeitig mit<br />

der Entdeckung des Ichs in der Poesie fand die Entdeckung der Massenvernichtungswaffen<br />

statt. Dem Dichter als Boten der Gleichzeitigkeit von Schönheit und Schrecken bleibt keine<br />

Wahl. Er "verneigt sich und geht über die Terrasse nach rechts ab."<br />

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<strong>Die</strong> Oper<br />

<strong>Rilkes</strong> Text fristete ein Schattendasein in der Werkgeschichte des Autors. Dass ausgerechnet<br />

der junge ungarische Komponist Marton Illes DIE WEISSE FÜRSTIN wieder entdeckt hat, kommt<br />

nicht von ungefähr. Seit Jahren beschäftigt sich Illes mit der Dialogizität über einander<br />

liegender musikalischer Linien. Das Arbeitsmodell, gewissermaßen die Versuchsanordnung<br />

dafür nennt er "scene polidimensionali": unabhängig davon, ob er eine Oper schreibt<br />

oder kammermusikalisch orientierte Werke, es geht dem Komponisten darum, in seiner<br />

Klangwelt polydimensionale Szenen zu bauen. <strong>Die</strong> musikalischen Gedankenlinien verhalten<br />

sich dabei wie Figuren: sie treten mit einander in Kontakt, reiben sich an einander und stehen<br />

dann wieder ganz für sich. Im Unterschied zur klassischen Mehrstimmigkeit führen die<br />

Stimmen bei Illes ein Eigenleben, nicht der Zusammenklang ist das Ziel, sondern der Weg<br />

der Stimmen im Raum ergibt immer wieder neue Konstellationen. Dadurch entsteht eine<br />

Vielschichtigkeit von Farben und Situationen, wie sie in dieser Gleichzeitigkeit nur in zwei<br />

Modi vorkommen kann: in der Musik und im wirklichen Leben.<br />

<strong>Die</strong> Anwendung dieses Prinzips auf <strong>Rilkes</strong> Text erweist sich deshalb als besonders fruchtbar,<br />

weil Illes über ein Instrumentarium verfügt, das Rilke nicht benutzen konnte: <strong>Die</strong><br />

Gedanken, Emotionen und Zweifel der Figuren können in der Musik gleichzeitig übereinanderliegen,<br />

wo sie im Text in lineare Folgen gebracht werden müssen. Das wogende Meer<br />

im Zuschauerraum: Illes nimmt die Grenzüberschreitungen <strong>Rilkes</strong> wörtlich und Texte<br />

werden auf verschiedenen Ebenen eingefangen: durch die Mehrfachbesetzung können sie<br />

sich selbst beobachten, mit sich in Streit geraten, gleichzeitig träumend verharren und die<br />

Handlung vorantreiben. Illes Technik geht dabei den Weg der Öffnung. Er betont das den<br />

Zustand beschwörende, klangliche an den Worten <strong>Rilkes</strong>, hebt Begriffe und Stimmungen<br />

an, und lässt dabei viel Raum für die szenische Interpretation. Dabei ist nichts an dieser<br />

Komposition zufällig, jede einzelne musikalische Stimme, ob gesanglich, schauspielerisch<br />

oder instrumental verfolgt eine Linie durch das Werk.<br />

<strong>Die</strong> Oper beginnt mit der Katastrophe. Illes zieht den Botenbericht nach vorn, und notiert<br />

die Gebrochenheit des Sprechers, die sich durch die wie Provokationen erscheinenden<br />

Unterbrechungen des Chores steigert. Der Bote ist die dramaturgische Schlüsselfigur dieser<br />

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!<br />

I<br />

Oper. Während er bei Rilke nur einmal auftritt und das erotische Spiel der Schwestern nach<br />

seinem Auftritt die Unschuld verliert, stellt Illes die Oper von Beginn an in den Konfliktraum<br />

zwischen der Vernichtung und der Gegenbewegung. Insgesamt drei Mal taucht der Bote in<br />

der Oper auf: am Beginn, in der Mitte - der Position, an der Rilke ihn vorsieht - und am<br />

Ende, als Leiche, die von den Sängern hereingetragen wird. Am Zustand des Boten, an seiner<br />

Verstörtheit bis hin zu seinem Tod lässt sich der Grad der Überforderung messen, dem<br />

die Figuren ausgesetzt sind: zwischen den Fetzen ihrer Erinnerung, den Worten, die sie wie<br />

Champagner genießen, der Angst, die sie fast zerreißt, dem sehnsüchtigen Warten, das sie<br />

erfüllt. Eine weitere wesentliche Änderung zu seiner Vorlage nimmt Illes in der Besetzung<br />

des Haushofmeisters Amadeo vor. Der Chor aus vier Bässen und zwei Tenören gibt sowohl<br />

dem Bedienten im Haus die Stimme als auch den geheimnisvollen Pestmönchen. Damit<br />

hebt Illes die Grenzen der Gewissheiten zwischen innen und außen nach und nach auf.<br />

<strong>Die</strong> zwei weiblichen Hauptfiguren lässt der Komponist durch die Frauenstimmen mehrfach<br />

spielen. Dabei belässt er es nicht dabei, dass die Schauspielerinnen Rollen spielen, die von<br />

den Gesangsstimmen atmosphärisch "untermalt" werden. In der Vieldimensionalität der<br />

Figuren entstehen immer wieder neue, einander widersprechende oder anziehende Züge, die<br />

die Berechenbarkeit der Handlung aufheben. Eine weitere Hauptfigur schließlich ist für den<br />

Komponisten die Sprache selbst. Jedes Wort bei Rilke ist mehr als das, was es im Kontext<br />

der schmalen Handlung funktional bedeutet. Der Klang arbeitet mit. Illes hebt folgerichtig<br />

die Beschreibungen des Textes in den Rang von Figurentext, durch Wiederholungen und<br />

Schichtungen auf den unterschiedlichen Achsen seines polydimensionalen Klangraums entsteht<br />

so ein neues Bild, das nach szenischer Deutung verlangt.<br />

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f\1erja f\1äkelä, Lesia f\1acko-<br />

WYCl, Heike Wittlieb, (oben),<br />

Katjo Sieder, Astrid f\1eyerfeldt<br />

(unten)


Michail Milanov, Steffen Doberauer, Kevin<br />

Thompson, Michael Müller, Hans Griepen-<br />

trog, Marek Wojciechowski, julian Mehne


Nachweise<br />

Texte:<br />

Rainer Maria Rilke: <strong>Die</strong> Weisse Fürstin (Erstfassung von 1898) in:<br />

Sämliche Werke, Bd. III (Jugendgedichte). Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1987, S. 265 ff. (it<br />

1103)<br />

Fabel der Inszenierung, <strong>Rilkes</strong> "<strong>Die</strong> <strong>weisse</strong> Fürstin", <strong>Die</strong> Oper:<br />

Originaltexte für dieses Programm heft von Ludwig Haugk<br />

Ein besonderer Dank für Beratung und Hilfe geht an Moritz Lobeck.<br />

Bilder:<br />

Titel: Olaf Struck.<br />

Auf der Titelseite: Heike Wittlieb, Lesia Mackowycz, Astrid Meyerfeldt, Kat ja Sieder, Merja<br />

Mäkelä<br />

Alle Probenfotos von Olaf Struck (Generalprobe am 22.4.2010)<br />

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Impressum:<br />

Spielzeit 2009 I 20010<br />

Herausgegeben vom Theater Kiel<br />

Theaterleitung: Daniel Karasek (Generalintendant),<br />

Georg Fritzsch (Generalmusikdirektor), Dr. Ralf Klöter (Kaufmännischer Direktor)<br />

Operndirektor: Reinhard Linden<br />

Redaktion und Gestaltung: Ludwig Haugk, Cordula Engelbert<br />

Grafische Gestaltung: Olaf Struck<br />

Druck und Anzeigenverwaltung: Grafik-Druck GmbH & Co. KG

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