Erinnerung und Wirklichkeit Das Ungarnbild von Konrad Adenauer ...

Zoltán Maruzsa: Erinnerung und Wirklichkeit – Das Ungarnbild von Konrad Adenauer anhand seiner Memoiren
Traditionen verfügenden Staaten die sowjetische Belagerung nur sehr schwer
ertragen, dies schrieb er auch öfter auf: er war der Meinung, dass der
Freiheitsbedarf der Jugoslawischen, Rumänischen, Polnischen, Tschechischen und
Ungarischen Nation Risse an der Wand des Sowjetischen Reiches bilden würde. 25
Er ging davon aus, dass „in Polen, in der Tschechoslowakei, und wahrscheinlich
auch in Ungarn starke Widerstandskräfte gegen die Sowjetunion vorhanden
sind” 26 , und war der Meinung, dass wenn die Sowjetische Belagerungszone in
Deutschland verschwinden würde (praktisch die DDR), und das diese Länder sehen
würden, sie daraus Hoffnung für ihr eigenes Anliegen schöpfen könnten und die
Konsequenz bezüglich der von der Sowjetunion auf sie oktroyierten Regime ziehen
würden.
Als – wenn auch unter anderen Umständen – sich das dann auch
dementsprechend entwickelt äußert sich Adenauer mit folgenden Worten: In
Ungarn kam es zur Entladung von antisowjetischen und antikommunistischen
Strömungen gleichzeitig. Träger der Opposition waren nichtkommunistische, in der
Hauptsache intellektuelle Kreise. Schon Mitte Oktober 1956 hatte es unter den
Studenten Unruhen gegeben. Es wurde die Gewährung größerer Freiheit und
verbesserte Lebensbedingungen gefordert. Die Änderungen in Polen gaben vielen
Ungarn die Hoffnung, auch in ihrem Lande nach dem Beispiel Polens eine
unabhängigere Regierung zu schaffen. Am Abend des 23. Oktober lösten in
Budapest große Studentendemonstrationen den Bürgerkrieg aus. Unsere
deutschen Zeitungen vom 24. Oktober waren voll von den sich überstürzenden
Nachrichten aus Ungarn. Berichte mit Schlagzeilen wie „Aufstand in Ungarn”,
„Sowjets greifen ein”, „Standgerichte wüten im ganzen Land”, „Nie wieder
Knecht sein, sagen Zehntausende” gaben Kenntnis von dem verzweifelten
Bemühen der Ungarn, ihre Freiheit zurückzuerlangen.” 27 Wir können feststellen,
dass Adenauer die antikommunistische und zugleich antisowjetische Seite der
Unzufriedenheit entsprechend erkannt hat, sich aber darin getäuscht hat, dass die
Opposition nicht aus Kommunisten, sondern aus Intellektuellen besteht: die Basis
der Unzufriedenen wächst bis dahin weit über die Schicht der Intellektuellen
hinaus. Die Ziele der von Adenauer als Bürgerkrieg bezeichneten Revolution
müssen anhand der Anforderungen der Aufstehenden vielseitiger beurteilt
werden. 28
„Am Mittwoch, dem 24. Oktober, verhängte die ungarische Regierung über das
ungarische Staatsgebiet den Ausnahmezustand. Es wurde verkündet, daß jeder
Versuch, die Regierung der „Ungarischen Volksdemokratie” zu stürzen, mit dem
25 Erinnerungen… II.: 124.
26 Erinnerungen… II.: 210.
27 Erinnerungen… II.: 230. Adenauers Kenntnisse über den Ausbruch der Revolution sind anhand
dessen oberflächlich, er erscheint aber trotzdem als gut informiert. Wie wir sehen werden stimmt das
in erster Linie nur für die internationalen Ereignisse, bezüglich der ungarischen Ereignisse stützt er sich
auf die Presse und schreibt auch ganz grundsätzliche Fehlinformationen auf.
28 Ignác ROMSICS, Magyarország története a 20. században, Osiris, Budapest 2001, 387 und 392.
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