Martin R. Textor Bildung im Kindergarten - von Ingeborg Becker ...

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11.12.2012 Aufrufe

Ein anderer Ausweg wäre, wenn sich Erzieher/innen mehr an Lehrer/innen orientieren würden. Auch die Schulen sollten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherstellen, also z.B. verlässliche Öffnungszeiten haben und Nachmittagsbetreuung anbieten. In Deutschland bestand die Schule jedoch im Gegensatz zum Kindergarten darauf, dass sie eine reine Bildungseinrichtung ist und die vorrangige Aufgabe der Lehrer/innen das Unterrichten sei. Ergebnis: Die Kinderbetreuung vor und nach dem Unterricht übernehmen Hausmeister, Eltern, Hilfskräfte auf 400-Euro-Basis usw. Die Lehrer/innen haben weiterhin den ganzen Nachmittag als Vorbereitungszeit und nahezu dieselben Arbeitszeiten wie zuvor. Erzieher/innen müssten selbstbewusst auftreten, sich mit Eltern verbünden und ihre Forderungen so laut stellen, dass Medien und Politik sie nicht ignorieren können. Sie müssten deutlich machen, dass ihre Aufgabe in erster Linie das Erziehen und Bilden von Kleinkindern ist. Sie müssten ihre Grenzen offen benennen und Tätigkeiten verweigern, die sie von dieser Aufgabe ablenken, ihnen die hierfür benötigte Zeit rauben oder sie überfordern. Es kann nicht so weiter gehen, dass Erzieher/innen immer mehr aufgehalst wird – nach intensivierter Elternarbeit, Konzeptionsentwicklung, Qualitätsmanagement, interkultureller Bildung, integrativer Erziehung usw. nun noch Sprachlernprogramme, kompensatorische Erziehung für Migrantenkinder, kontinuierliche Beobachtung aller Kinder, Dokumentation etc. Es kann nicht so weiter gehen, dass Erzieher/innen das pädagogisch richten sollen, woran unsere Gesellschaft krankt: Dass sie auf Umweltzerstörung mit Umwelterziehung, auf Einzelkindsituation mit (weiter) Altersmischung, auf Fremdenfeindlichkeit mit interkultureller Erziehung, auf Segregation Behinderter mit Integration reagieren sollen, um nur einige Beispiele zu nennen. Es kann nicht so weiter gehen, dass Erzieher/innen immer mehr jüngere Kinder und die Kinder immer länger und möglichst noch im Schichtdienst betreuen sollen. Erzieher/innen sollten sich auf die zentralen Aufgaben der Bildung und Erziehung konzentrieren können und diese dann wirklich gut erfüllen! 18

1.4 Bildung ist keine Dienstleistung 2 Was heißt überhaupt „Dienstleistung“? Der Brockhaus definiert sie als „wirtschaftl. Tätigkeiten, die nicht in Erzeugung von Sachgütern, sondern in persönl. Leistungen bestehen: Handel, Banken, Versicherungen, Transport- und Nachrichtenwesen, öffentl. Verwaltung, freie Berufe (z.B. Steuerberatung).“ Für den Duden ist „Dienstleistung“ eine „Arbeit in der Wirtschaft, die nicht unmittelbar der Produktion von Gütern dient“. Meyers Lexikon unterscheidet zwischen materiellen Dienstleistungen, die die Nutzung eines vorhandenen Produktes gewährleisten, und nichtmateriellen Dienstleistungen zur unmittelbaren Befriedigung von Bedürfnissen der Menschen oder der Gesellschaft. Der Duden bezeichnet das Wort „Dienstleistungsbetrieb“ als einen aus der Wirtschaft kommenden Begriff für ein „Unternehmen, das Dienstleistungen erbringt“. Sind Kindergärten jetzt auf einmal Teil des Wirtschaftssystems? Erbringen sie wirtschaftliche Tätigkeiten? Werden hier menschliche Bedürfnisse unmittelbar befriedigt? Sind Erziehung und Bildung vergleichbar mit dem Verkauf eines Mantels, mit einem Haarschnitt oder der Installation einer Wasserleitung? Sind Erzieher/innen nun gleich gestellt mit Verkäuferinnen, Friseusen und Handwerkern? Berücksichtigen die letztgenannten Dienstleister etwa das Wohl ihrer Kunden? Nein, eher das eigene Wohl: Sie wollen ihre Dienstleistung für möglichst viel Geld an den Mann oder die Frau bringen! Für Erzieher/innen ist hingegen das Kindeswohl und nicht der eigene Gewinn vorrangig: Sie sollen das Recht eines jeden jungen Menschen „auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ gewährleisten (§ 1 Abs. 1 SGB VIII, wiederholt in § 22 Abs. 2 SGB VIII). Sie sollen das Kind in seiner „individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachtei- 2 Einige der folgenden Absätze finden sich – z.T. mit etwas anderen Formulierungen – auch in meinem Artikel „Die Vergesellschaftung der Kleinkindheit“ im „Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik“ (im Druck). Mit Genehmigung der Herausgeber. 19

Ein anderer Ausweg wäre, wenn sich Erzieher/innen mehr an<br />

Lehrer/innen orientieren würden. Auch die Schulen sollten die<br />

Vereinbarkeit <strong>von</strong> Familie und Beruf sicherstellen, also z.B. verlässliche<br />

Öffnungszeiten haben und Nachmittagsbetreuung anbieten.<br />

In Deutschland bestand die Schule jedoch <strong>im</strong> Gegensatz zum<br />

<strong>Kindergarten</strong> darauf, dass sie eine reine <strong>Bildung</strong>seinrichtung ist<br />

und die vorrangige Aufgabe der Lehrer/innen das Unterrichten<br />

sei. Ergebnis: Die Kinderbetreuung vor und nach dem Unterricht<br />

übernehmen Hausmeister, Eltern, Hilfskräfte auf 400-Euro-Basis<br />

usw. Die Lehrer/innen haben weiterhin den ganzen Nachmittag<br />

als Vorbereitungszeit und nahezu dieselben Arbeitszeiten wie<br />

zuvor.<br />

Erzieher/innen müssten selbstbewusst auftreten, sich mit Eltern<br />

verbünden und ihre Forderungen so laut stellen, dass Medien und<br />

Politik sie nicht ignorieren können. Sie müssten deutlich machen,<br />

dass ihre Aufgabe in erster Linie das Erziehen und Bilden <strong>von</strong> Kleinkindern<br />

ist. Sie müssten ihre Grenzen offen benennen und Tätigkeiten<br />

verweigern, die sie <strong>von</strong> dieser Aufgabe ablenken, ihnen die<br />

hierfür benötigte Zeit rauben oder sie überfordern. Es kann nicht<br />

so weiter gehen, dass Erzieher/innen <strong>im</strong>mer mehr aufgehalst<br />

wird – nach intensivierter Elternarbeit, Konzeptionsentwicklung,<br />

Qualitätsmanagement, interkultureller <strong>Bildung</strong>, integrativer Erziehung<br />

usw. nun noch Sprachlernprogramme, kompensatorische<br />

Erziehung für Migrantenkinder, kontinuierliche Beobachtung<br />

aller Kinder, Dokumentation etc. Es kann nicht so weiter gehen,<br />

dass Erzieher/innen das pädagogisch richten sollen, woran unsere<br />

Gesellschaft krankt: Dass sie auf Umweltzerstörung mit Umwelterziehung,<br />

auf Einzelkindsituation mit (weiter) Altersmischung,<br />

auf Fremdenfeindlichkeit mit interkultureller Erziehung,<br />

auf Segregation Behinderter mit Integration reagieren sollen, um<br />

nur einige Beispiele zu nennen. Es kann nicht so weiter gehen,<br />

dass Erzieher/innen <strong>im</strong>mer mehr jüngere Kinder und die Kinder<br />

<strong>im</strong>mer länger und möglichst noch <strong>im</strong> Schichtdienst betreuen<br />

sollen. Erzieher/innen sollten sich auf die zentralen Aufgaben der<br />

<strong>Bildung</strong> und Erziehung konzentrieren können und diese dann<br />

wirklich gut erfüllen!<br />

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