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VOL. XVI (2010), NO 23 - The International Newsletter of Communist ...

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<strong>The</strong> <strong>International</strong> <strong>Newsletter</strong> <strong>of</strong> <strong>Communist</strong> Studies Online <strong>XVI</strong> (<strong>2010</strong>), no. <strong>23</strong> 55<br />

zumindest ebenso intensive eigene und zutiefst persönliche Erfahrung dar, wie eine<br />

Modelektüre des großen französischen Zentrums. In der allertiefsten Schicht seiner<br />

intellektuellen Persönlichkeit läßt sich der durchaus apolitische Konflikt zwischen seinen<br />

ständigen und „charismatisierenden” politischen und sozialen Erfolgen und seiner nicht<br />

weniger starken Entschlossenheit entdecken, „wirklich” zu arbeiten und gemäß der<br />

Vorstellung der damaligen Intelligenz zeitüberdauernde Werke zu hinterlassen, die ihre<br />

Existenz ethisch zu rechtfertigen in der Lage waren.<br />

Allerdings besaß er – so kann man es wohl ausdrücken – nicht das Glück, im Umfeld dieses<br />

apolitischen Konflikts zu verbleiben. Schließlich lebte er in einer der politisch<br />

schicksalsschwersten Zeiten der europäischen Geschichte, die zudem in Ungarn vielleicht<br />

noch um einiges härter ausgefallen sein mochte als anderswo (was sich jedoch nie wirklich<br />

zuverlässig feststellen lassen wird).<br />

Gyula Ortutay (1910-1978) wurde in Szabadka (Subotica – heute Serbien) geboren, die<br />

Familie zog nach 1918 wegen der veränderten Grenzen in die benachbarte südliche<br />

Großstadt Szeged. Er verlor früh seinen Vater und kämpfte sich zum Doktor der Philosophie<br />

(Dr. phil.) mit den an der Szegediner Universität absolvierten Fächern Latein, Griechisch und<br />

ungarische Literatur empor. Härte und Schwierigkeiten der frühen Jugend werden in den<br />

Tagebüchern nicht selten heraufbeschworen, der klassisch-philologische Abschluß kann<br />

schon deshalb allein als glänzender Lebenserfolg eines jungen Mannes gelten. Trotzdem<br />

beschreitet er nicht die Laufbahn eines klassischen Philologen oder die eines<br />

Gymnasiallehrers. Zum Teil sicherlich wegen der damaligen Beschäftigungsmisere der<br />

humanistischen Intelligenz, aber auch deshalb nicht, weil er 1930 als Gründer des<br />

Kunstkollegs der Szegediner Jugend (Szegedi Fiatalok Művészeti Kollégiuma) auf den Plan<br />

tritt.<br />

Dies gilt wohl als der entscheidendste Schritt seines bisherigen Lebens. Denn damit gründet<br />

er nicht nur ein schöpferisches Kollegium intellektueller Synergetik der begabtesten<br />

literarisch und wissenschaftlich interessierten Generationsgenossen in Szeged (unter ihnen<br />

finden wir auch den späteren Märtyrer der ungarischen Dichtkunst, einen der bedeutendsten<br />

Lyriker des zwanzigsten Jahrhunderts, Miklós Radnóti), sondern es gelingt ihm auch, eine<br />

Gruppe vollkommen neuen Typs auf die Beine zu stellen. Das Kunstkolleg wirkt<br />

selbsterzieherisch interdisziplinär, schafft um sich herum Publikationsorgane und seine<br />

Stimme läßt sich auch in der landesweiten Kulturpolitik (und der ständigen Reformen des<br />

Landes) vernehmen. Als einer der relevantesten Aktivitätsbereiche des Kunstkollegs tritt das<br />

ethnographische Interesse hervor. Dabei treffen die unterschiedlichen Interessen der Gruppe<br />

auf harmonische und gleichzeitig aktualisierende Weise erneut zusammen. Daß sie „ins<br />

Volk” gehen, gilt zugleich als Solidarität mit der armen und besitzlosen Landbevölkerung und<br />

als sozialer Akt, aber auch als kulturelle Tat, nachdem Béla Bartók und Zoltán Kodály in<br />

ihrem Programm eine neue demokratische Kultur auf der Basis der Volkskunst errichten<br />

wollten. Es ist kein Einzelphänomen im damaligen Ost-Mitteleuropa, daß das Interesse für<br />

das Volk, für die Volkskunst, aber auch für die Ethnographie als wissenschaftliche Disziplin<br />

nicht zu den konservativen oder traditionalistischen, sondern zu den par excellence<br />

modernen intellektuellen Strömungen gehören, aus denen der Weg deshalb nicht nur nach<br />

rechts, sondern auch nach links führen kann.<br />

Ortutays große Leistung bringt sein Leben in eine endgültige Bahn. Er arbeitet sich in die<br />

wissenschaftliche Ethnographie hinein, sodaß er später seine akademische Laufbahn in<br />

dieser Disziplin bestreiten wird. Als Repräsentant einer neuen intellektuellen Jugend – und<br />

dergleichen spielt sich in einem Land ab, das zumeist als traditionalistisch angesehen wird –

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