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Karnickel kann sie fangen und Regenwürmer rösten. Menschen ...

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indung zu einem besatzungssoldaten gegeben haben. schon<br />

eine erstaunliche Geschichte. Gut, dass es die beiden Zeugen gibt,<br />

die <strong>sie</strong> seit 25 beziehungsweise 15 Jahren kennen.<br />

hat Sie im heim Stricken gelernt? „nein. Von<br />

den alten Frauen“, antwortet <strong>sie</strong> unbestimmt. Im Heim sei es so<br />

gewesen: Wenn <strong>sie</strong> als kinder eingenässt hätten, seien <strong>sie</strong> eiskalt<br />

abgeduscht, oft auch geschlagen worden. es ist eine der wenigen<br />

erinnerungen, die <strong>sie</strong> aus dieser Zeit mitteilt. Für eine Weile ist<br />

es still. Ob <strong>sie</strong> jemanden aus ihrem früheren leben gern noch<br />

einmal wiedersehen würde? „Gustav, weil der mir noch mein Geld<br />

schuldet.“ <strong>sie</strong> lacht.<br />

seit einiger Zeit kommt <strong>sie</strong> meist zweimal die Woche in den<br />

Ort. Ihre beine sind so geschwollen, dass <strong>sie</strong> sich nur ganz langsam<br />

bewegen <strong>kann</strong>, im Ort <strong>kann</strong> <strong>sie</strong> einen Rollstuhl benutzen. In<br />

den letzten Jahren hat sich ihr leben verändert, was mit der<br />

Fre<strong>und</strong>schaft zu einer alten Frau zu tun hatte. marion hatte ihr<br />

Hilfe angeboten, <strong>sie</strong> ab <strong>und</strong> zu im Rollstuhl herumgefahren. In<br />

der Wohnung dieser Frau konnte <strong>sie</strong> duschen. als die Frau starb,<br />

organi<strong>sie</strong>rte die Familie den nachlass so, dass der Rollstuhl für<br />

marion dablieb. <strong>und</strong> <strong>sie</strong> boten ihr an, nun bei ihnen zu duschen.<br />

Für ein paar euro schiebt <strong>sie</strong> einmal in der Woche die leeren<br />

mülltonnen in ein mietshaus zurück. Vom bäcker bekommt <strong>sie</strong><br />

altes backwerk. „man muss höflich fragen“, rät <strong>sie</strong> <strong>und</strong> macht es<br />

mit übertrieben hoher stimme vor: „Haben <strong>sie</strong> vielleicht noch<br />

alte brötchen von gestern?“ bei einer lebensmittelausgabe für<br />

arme geben <strong>sie</strong> ihr manchmal Obst, auch ohne bedürftigkeitsnachweis.<br />

„es fällt ihr in der letzten Zeit leichter, auf menschen<br />

zuzugehen“, sagt ihr arzt. auch zu annegret Zühlke, der Frau des<br />

62 chrismon 07 . 2012<br />

So unwirtlich wie die Städte kam<br />

ihr der Wald nicht vor. Jetzt ist<br />

es schwer, in die Gemeinschaft<br />

zurückzukehren<br />

Pfarrers, bei der <strong>sie</strong> früher wortlos den Hörer auflegte, hat sich<br />

im lauf der Jahre ein anderes Verhältnis entwickelt. die beiden<br />

tauschen sich über Ges<strong>und</strong>heit, essen <strong>und</strong> Wetter aus.<br />

Über die einzelheiten in marions alltag weiß annegret Zühlke<br />

am besten bescheid – dass die Familie am Ort für marion Haferschleim<br />

kocht <strong>und</strong> ausprobiert, welches Obst <strong>sie</strong> verträgt. marion<br />

leidet seit einigen Wochen unter schweren schluckbeschwerden,<br />

der arzt vermutet eine ernste erkrankung. <strong>sie</strong> ernährt sich überwiegend<br />

von astronautennahrung aus der apotheke, in die <strong>sie</strong><br />

schmelzflocken <strong>und</strong> Früchte mischt. <strong>sie</strong> bekommt dafür Geld vom<br />

Pfarrer, vom arzt <strong>und</strong> von der Gemeinde – für marion ein Problem.<br />

„<strong>sie</strong> hat eine klare einstellung dazu, was <strong>sie</strong> von leuten<br />

annehmen will <strong>und</strong> was nicht“, sagt michael bock. In absehbarer<br />

Zeit braucht <strong>sie</strong> vielleicht Pflege. aber eine Pflege mit wechselnden<br />

Pflegepersonen anzunehmen, sei für <strong>sie</strong> völlig <strong>und</strong>enkbar. In<br />

letzter Zeit spricht <strong>sie</strong> wieder davon, sich das leben zu nehmen.<br />

der arzt will <strong>sie</strong> in ihrer entscheidung weder bestärken noch<br />

hindern, er will ihre autonomie respektieren. In den Telefongesprächen<br />

<strong>und</strong> den Treffen am Ortsrand geht es öfter um abschied.<br />

<strong>sie</strong> wolle nicht beerdigt werden, hat <strong>sie</strong> Zühlke mitgeteilt, <strong>und</strong> „<strong>sie</strong><br />

hat danke gesagt“, woraufhin er sehr beunruhigt war.<br />

aber der Pfarrer <strong>und</strong> der arzt sind nicht die einzigen, die<br />

sich Gedanken machen. die Familie, bei der marion manchmal<br />

duscht, hat mit ihr geredet. <strong>sie</strong> könne sich jetzt nicht davonmachen.<br />

die Tochter bekomme ein mädchen. keiner von ihnen<br />

habe Zeit, marion solle für das kind warme sachen stricken.<br />

Wieder ein anruf bei Zühlke: <strong>sie</strong> hätte gern noch ein bisschen<br />

Wolle, um etwas vorzubereiten für das kind, das im Herbst geboren<br />

werden soll. e<br />

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