Geschäftsbericht 2001 - Die Schweizerische Post
Geschäftsbericht 2001 - Die Schweizerische Post
Geschäftsbericht 2001 - Die Schweizerische Post
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
So schnell möchte<br />
man denken können<br />
Text Adrian Müller<br />
Fotos Eliane Rutihauser<br />
«Liebe Chloé<br />
Seit wir uns unter dem Birnbaum begegnet sind, gehst du mir nicht mehr<br />
aus dem Sinn. Mein Herz rast. Seufzer folgt auf Seufzer. Ohne dich ist alles<br />
nichts. Du bist mein Mond, meine Sonne. Ich möchte immer bei dir sein.<br />
Empfindest du auch so? Fritz»<br />
So oder anders könnte, sollte man schreiben. Schliesslich hat<br />
bereits Branchenkenner Ovid darauf hingewiesen, dass «die Liebe<br />
die Trägen hasst». Ins Kuvert stecken, Zunge raus, zukleben, Zunge<br />
nochmals raus, Marke drauf, den<br />
Brief ans Herz gedrückt zum nächsten<br />
Briefkasten eilen, einwerfen. Dann<br />
beginnt das grosse Bangen. <strong>Die</strong> Frage ist<br />
nicht nur: «Liebt sie mich oder liebt sie<br />
mich nicht?», sondern auch: «Kommt er<br />
an oder nicht?» Zumindest Sorge zwei<br />
kann man sich sparen, denn die Schweizer <strong>Post</strong> ist Weltklasse:<br />
zuverlässig und fast so schnell wie der geölte Blitz. Modernste<br />
Hochleistungsmaschinen und 20 000 Briefpost-Mitarbeiter aus<br />
70 Nationen sorgen dafür, dass das Billetdoux oder die gepfefferte<br />
Natelrechnung rechtzeitig ankommen.<br />
Eskortieren wir also den Brief auf dem Weg zu unserer – frei<br />
erträumten – Liebsten. Vom gelben Kasten Nr. 174 beim Zürcher<br />
Schlachthof bis zur boîte aux lettres an der Genfer Rue Vermont.<br />
Erlebnisreich ist die Reise, geradezu abenteuerlich: Sprünge über<br />
Klippen, Stürze in Schächte, Kollisionen, rasante Sprints und Verschnaufpausen;<br />
fluoreszierende Tätowierungen, gründliche Durchleuchtungen,<br />
Gerangel von Dicken und Dünnen und ein Happy<br />
End am Ziel.<br />
Auftakt beim Schlachthof<br />
Dire Straits hört Briefkastenleerer Antonio Montiel am liebsten. Als<br />
der Fiat mit dem Steuerrad auf der englischen Seite beim Schlachthof<br />
hält, flöten allerdings grad Destiny’s Child aus dem Autoradio<br />
(«tears in my pillow»!). Kasten Nr. 174 haben wir heute Nachmittag<br />
unsere süsse Botschaft anvertraut. Mit der Eleganz des Routi-<br />
Mail 39<br />
Von Zürich saust ein Brief nach Genf. Wir haben ihn beschattet.<br />
Der kleine gelbe Kasten mit dem Schlitz ist das Tor zu einer verborgenen<br />
Welt, in der Mensch und Maschine Erstaunliches leisten.<br />
niers öffnet Montiel das Türchen,<br />
packt die <strong>Post</strong>, zieht<br />
einen Scanner aus der Brusttasche<br />
und blitzt auf den Strichcode<br />
im Innern. Wir staunen<br />
und erfahren, dass seit einem<br />
Jahr sämtliche Leerungen auf<br />
diese Weise elektronisch dokumentiert<br />
werden. Sollte also<br />
mal ein Kunde steif und fest<br />
behaupten, dass der Pöstler<br />
einen weiten Bogen um den<br />
Kasten gemacht habe, verfügt<br />
man über einen hieb-<br />
und stichfesten Beweis. «Ritsch<br />
ratsch», macht der silberne<br />
Rollladen, der Fiat schluckt die<br />
Ware. Auf der grössten, 140<br />
Stationen zählenden Tour kön-<br />
Antonio Montiel<br />
Briefkastenleerer<br />
nen das bis zu 6000 Briefe<br />
sein. 140-mal aus- und einsteigen<br />
spürt man abends im<br />
Gebein, und der Briefkastenleerer-Alltag<br />
umfasst drei<br />
Touren. Montiel schätzt die<br />
melodiöse Gesellschaft des<br />
Autoradios. Oft stockt der Verkehr,<br />
immer drängt die Zeit:<br />
«Man braucht viel Geduld und<br />
wenns staut, kann auch ich<br />
keine Wunder vollbringen.»<br />
Wer meint, Briefkästen enthielten<br />
bloss Briefe, täuscht sich<br />
gewaltig. Montiel erinnert sich<br />
an seine bisherigen Funde:<br />
Natels, Schlüssel, ausgeweidete<br />
Portemonnaies, gebrauchte<br />
Spritzen (in den Zürcher Dro-