MOIN_01_2017_ePaper
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THEMA DES MONATS 035<br />
e<br />
rinnern Sie sich? Anfang des<br />
letzten Jahres strandeten insgesamt<br />
30 Pottwale an den deutschen,<br />
niederländischen, englischen<br />
und französischen Küsten. Allein 16<br />
davon an der der deutschen Nordsee; zwei<br />
von ihnen drohten am Wangerooger Strand<br />
zu explodieren. Die Behörden suchten Rat:<br />
zum Glück wusste der Niederländer Aart<br />
Walen, was zu tun ist.<br />
Die Kadaver blähten sich bedrohlich auf,<br />
Gase bildeten sich im Inneren der toten Tiere.<br />
Wal-Experte Walen kannte das Prozedere:<br />
Die Wale mussten aufgestochen werden,<br />
damit die Gase entweichen konnten. Doch<br />
damit nicht genug, schließlich mussten die<br />
Tiere auf irgendeine Art und Weise abtransportiert<br />
werden. Auch hier war Walen und<br />
sein Team gefragt. Es war ein spektakulärer<br />
Anblick, als die beiden Pottwale auf dem<br />
riesigen Areal des Containerhafens Jade-<br />
WeserPort in Wilhelmshaven zerlegt wurden.<br />
Zunächst mussten Stufen in die Fettschicht<br />
geschnitten werden, um auf die toten<br />
Tiere klettern zu können. Danach wurden<br />
die Kadaver für Untersuchungen, zur Entsorgung<br />
und für den Abtransport in viele<br />
Stücke zerteilt.<br />
1500 Kilogramm Wal-Überreste hatten<br />
die Niederländer schließlich bei der Rückfahrt<br />
in die Heimat im Container. Mit dabei<br />
außerdem ein Arbeitsauftrag von Wangerooges<br />
Bürgermeister Dirk Lindner: »Ich<br />
möchte unbedingt einen Wal als Ausstellungsstück<br />
haben«, hat er sich bereits am<br />
Strand gewünscht. Am 4. April 2<strong>01</strong>7 soll das<br />
Wal-Skelett dann auf Wangerooge stehen.<br />
Am 8.2. wurde ein Aufstellungs-Vorschlag<br />
von Bürgermeister Lindner einstimmig angenommen:<br />
Das Skelett soll jetzt südlich<br />
des Rosenhauses parallel zur Friedrich-August-Straße<br />
auf dem Gelände des Rosengartens<br />
ausgestellt werden. Zwar müssen dafür<br />
Bäume gefällt werden, jedoch im Vergleich<br />
zu anderen Optionen deutlich weniger. Das<br />
Vorhaben hat allerdings seinen Preis: Rund<br />
70.000 Euro werden Transport, Präparation<br />
und Aufstellen kosten – viel Geld für eine<br />
kleine Inselgemeinde. Doch Lindner bleibt<br />
optimistisch, will die Summe mit Zuschüssen<br />
und Sponsoren zusammenkratzen. Die<br />
Volksbankstiftung trägt bereits mit 15.000<br />
Euro einen Großteil dazu bei, dieses Ziel zu<br />
erreichen.<br />
Nach einem Jahr ist die Arbeit der Präparatoren<br />
gut vorangekommen. Walen und<br />
seine Crew, bestehend aus Pedro und Niels,<br />
befestigen den Walkopf an einem Tragegeschirr.<br />
Auf einer langen Eisenstange werden<br />
die ersten Wirbelkörper aufgereiht. Die<br />
spätere Lage jedes Knochens ist auf einem<br />
Plan wie bei einem Puzzle genau beschrieben.<br />
»Ich will das Skelett etwas dynamisch<br />
ausrichten, nicht so steif«, beschreibt Walen<br />
sein Vorgehen. So soll der Walkopf später in<br />
die Tür des Nationalparkhauses »reinschauen«.<br />
Es werden übrigens nur Abdrücke der<br />
46 Zähne des Pottwals eingebaut, um zu verhindern,<br />
dass die eigentlichen Zähne illegal<br />
gehandelt und für eine hohe Summe verkauft<br />
werden.<br />
Der Arbeitsplatz ist nichts für Jedermann.<br />
Schon kurz nach dem betreten der<br />
Halle, schlägt die Nase Alarm. Es herrscht<br />
ein Durcheinander aus Kübeln, Gerüsten<br />
und Werkzeugkisten mit Schälmessern,<br />
Schabern und Haken. Von der Decke hängen<br />
Ketten und Flaschenzüge. Der Blick fällt auf<br />
Tapeziertische mit seltsam langen Knochen,<br />
auf dem Boden stapeln sich Wirbelkörper, so<br />
groß wie Holzklötze. Dort wird der stechende<br />
und unangenehme Geruch stärker. »Nach<br />
zwei Stunden hast du dich dran gewöhnt«,<br />
sagt Aart Walen. Weniger streng riechen die<br />
Knochen, in denen die Bakterien das Eiweiß<br />
abbauen. Nach dem Entfetten werden die<br />
Gebeine ihre leicht gelbliche Farbe verlieren,<br />
zu guter Letzt werden sie gegen Wettereinflüsse<br />
imprägniert.<br />
Vor zehn Jahren hat Pedro als Praktikant<br />
bei Walen angefangen und ist bis heute geblieben.<br />
Sicher ein sehr außergewöhnlicher,<br />
allerdings auch durchaus interessanter Beruf.<br />
Der Chef, Aart Walen verrät, dass die Arbeit<br />
mit Tieren (und zwar nicht nur toten) für<br />
ihn eine Herzensangelegenheit ist: »Ich liebe<br />
Tiere, ich habe viele Tiere gehabt, aber auch<br />
verletzte Tiere. Ich möchte sie lieber lebend<br />
als tot.«<br />
Walen hat jedoch keine Skrupel, wenn<br />
er armdicke Löcher in die Knochen bohren<br />
muss, um sie später zu verankern: »Ich liebe<br />
Knochen. Schau mal hier, diese feinen Verästelungen<br />
und ästhetischen Strukturen an<br />
den Wirbelkörpern. Das ist fantastisch, wie<br />
das aussieht und funktioniert. Aber es ist<br />
auch nicht heilig: Ich kann damit arbeiten,<br />
um es zu stabilisieren und für alle sichtbar<br />
zu machen.« Solch einen Enthusiasmus kann<br />
man sich bei der Arbeit nur wünschen.<br />
Doch ist es nicht seltsam, mit dem Tod<br />
der Wale sein Geld zu verdienen? Walen<br />
winkt entschlossen ab: »Wenn Tiere sterben,<br />
ist es doch zu schade, sie einfach wegzuwerfen.<br />
Wir nehmen etwas, und wir geben etwas<br />
zurück.«<br />
TEXT: MARC OSENBERG / HANS-CHRISTIAN WÖSTE