MO., 5.6. 14:00 UHR WANDERUNG AUF FREIEM FELD – HEIMAT ALS FELDFORSCHUNGSERLEBNIS Wanderung mit philosophischen Gesprächen, Lesungen, Musik Teilnahmegebühr € 15,– inkl. Bustransfer von Bucsu nach Rechnitz und kleiner Jausen Eigentlich sind wir sicher, was wir meinen, wenn wir Heimat und Wohnort gleichsetzen. Aber wie ist das mit uns Burgenländern, gebürtig oder gewählt. Österreich, Burgenland, Westungarn, Doppelmonarchie, Hianzen, Magyaren, Kroaten, Roma und ehemals Menschen jüdischer Abstammung – dieses Land spannt einen weiten geschichtlichen und gesellschaftlichen Bogen. Wir erwandern also an einem hoffentlich warmen und schönen Pfingstmontag diese geschichtsträchtige Heimat mit der Absicht, ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft zu erforschen. Und weil die Grenze im Burgenland immer schon eine wichtige politische Rolle gespielt hat, haben wir dafür eine ganz besondere Route ausgewählt. Neben dem alten Schienenstrang und Bahndamm von Rechnitz im Burgenland nach Bucsu in Ungarn wandern wir philosophierend, musikalisch begleitet und textlich unterstützt – mit Lesungen, musikalischen und philosophischen Einlagen an vorbereiteten Orten – zu Fuß durch eine wunderschöne Landschaft, vorbei am Kreuzstadl und dem aufgelassenen Bahnhof in Rechnitz über die Grenze, wo der „Eiserne Vorhang“ seine Spuren hinterlassen hat, hinunter ins Ungarische nach Bucsu, wo noch ein kleiner, alter K&K-Bahnhof ein symbolischer Rest des Schienenstrangs stehen. Für Verpflegung auf der etwa zehn Kilometer langen Strecke ist gesorgt, und ein Bus bringt uns nach erbrachter geistiger und körperlicher Ertüchtigung wieder zurück nach Rechnitz, wo wir in einem Buschenschank den Tag glücklich ausklingen lassen können. Eine organisierte Wanderung mit Lese- und Musikstationen, begleiteten philosophischen Gesprächen über Heimat und Grenze. Lesungen Theodora Bauer, Clemens Berger, György Dragoman, Karin Ivancsics, Katharina Tiwald, Peter Wagner Philosophische Gespräche Cornelia Bruell, Kai Kranner Musik Vlado Blum – Akkordeon Eveline Rabold – Gesang VOM PHILOSOPHIEREN IN BEWEGUNG „… schlendernd, immer wieder diese köstliche Ha! … Weisheit“ Samuel Beckett, „Watts“ Irgendwo in Großpetersdorf liegt ein Foto herum, entwickelt auf feinnoppigem Achtziger-Jahre-Karton. Die Frau darauf sieht ein bisschen so aus wie ich. Der Mann auch. Die kleine Kerlin, die ich bin, hockt zwischen den beiden und trägt rosa Sachen. Sie haben mich in Mönichkirchen den Berg hoch geschleppt, und ich habe es gehasst. Mit dem gleichen Un willen habe ich mich in irgendwelchen Semesterferien dem Schifahren verweigert: Wer fährt denn bitte Schi, wenn man lesen kann? Ich hatte aber viel zu wenige Bücher mit auf der Hütte: Na, dann doch Schifahren, und sogar eine schwarze Piste runter, als mein Vater zu mir sagte: Schau mal, wo du runtergefahren bist, hat es mich auf den türkis gewandeten Hintern gesetzt. Es mag also trotz allem Sitzfleisch und aller Bücherwurmigkeit Freude in der Bewegung liegen. Dass beim Joggen Glückshormone ausgeschüttet werden, die süchtig machen, hofft ja mindestens das halbe Land. Aber da wäre noch was anderes. Irgendetwas passiert mit dem Kopf und den Gedanken, wenn wir uns bewegen. Wenn wir zum Beispiel wandern. Vielleicht hat es etwas mit dem Geist zu tun, der dabei mitbewegt wird, obwohl das in Zeiten der Jakobsweg-Fußautobahn fast schon ein banaler Gedanke ist und die wahren Freigeister eventuell an den einsamen Schreibtischen zu suchen sind. Ich suche trotzdem nach Formulierungen für das Erlebnis der Freiheit, die in Bewegung liegt, glaube auch irgendwie daran, trotz meiner früheren Abneigung gegen die Ödigkeit des Spazierengehens, und frage in einem postmodernen Moment Tante Google, wie es denn die Philosophie mit dem Ambulieren hält, dem Lustwandeln. Witzigerweise soll gerade Sokrates, lese ich, der vermutlich allerbekannteste Philosoph, das Spazierengehen nur zum Auffinden von Dialogpartnern eingesetzt haben, diskutiert wurde dann im Sitzen. Vor allem die sophistischen Paraderhetoriker, lese ich, sollen andauernd hin- und hergegangen sein, Sokrates soll sie zum Sitzen fast genötigt haben! „Felder und Bäume wollen mich nichts lehren“, sagt er sogar genervt zum jüngeren Phaidros, der Sokrates einmal mitnimmt zu einem Spaziergang außerhalb der Stadtmauern. Wenn nun aber Felder und Bäume doch lehren? Phaidros, lese ich, ist mit seiner Umgebung viel verwachsener und verbundener als der Stadtmensch Sokrates. Und geht und geht. Nota bene: Auch Phaidros ist keiner, der sich und die Seinen brav bürgerlich sonntags im Park paradiert. Ich glaube, das ist der Knackpunkt: seine Augen durch die Welt zu tragen, in der man zu Hause ist, und die, denen man begegnet, als dieser Welt zugehörig zu begreifen. Speziell, wenn wir dort wandern, wo wir zu Hause sind, führt das durchs Philosophieren munter gemachte Denken uns die Augen anders und neu. Dann faltet sich sogar „Heimat“ auf – warum sollten wir uns die Heimat von rechtsrechts kontaminieren lassen? – und wird, begangen in Muße und guten Gesprächen, zum externen Herzberg. Die wahren Freigeister, übrigens, gehen sicher auch ab und zu spazieren, wandern, lustwandeln. 22
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