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03/2017 Gesundheit-Spezial

Fritz + Fränzi

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Seele<br />

Malatavie: Wenn das<br />

Leben wehtut<br />

In Genf hat die Stiftung Children Action<br />

in Zusammenarbeit mit den Universitätsspitälern<br />

Genf ein einzig artiges Konzept<br />

zur Prävention von selbstmordgefährdeten<br />

Jugendlichen entwickelt.<br />

Text: Claudia Landolt<br />

1994 gründete der gebürtige Franzose Bernard<br />

Sabrier, ehemals Chef von Unigestion, einem<br />

Vermögensverwalter für Grosskunden wie Pensionskassen<br />

und Versicherer, die Stiftung Children<br />

Action mit dem Ziel, Kindern in Not zu helfen<br />

– in der Schweiz und auch im Ausland.<br />

1996 wurde in Genf in Zusammenarbeit mit<br />

den Universitätskliniken eine interdisziplinäre<br />

Kriseneinheit zur Prävention und Therapie von<br />

Teenies in Nöten, darunter auch selbstmordgefährdete<br />

Jugendliche, geschaffen. Die Malatavie<br />

(dt. Wenn das Leben wehtut) genannte<br />

Kriseneinheit besteht aus einer Präventionsund<br />

einer Pflegeabteilung. In der sogenannten<br />

Care Unit ist ein multidisziplinäres Team von<br />

Experten da, um betroffene Teenager und<br />

deren Eltern zu unterstützen, sei dies stationär<br />

oder ambulant. Das Ziel dabei ist, den Teenager<br />

zur Mitwirkung zu motivieren.<br />

Die Präventionsabteilung Preven tion Unit<br />

operiert auf drei Ebenen: jener, die sich ausschliesslich<br />

an Jugendliche richtet, einer zweiten,<br />

die sich an Risikopersonen adressiert, und<br />

schliesslich einer dritten, die sich mittels Aufklärung<br />

an die Gesamtbevölkerung wendet.<br />

Seit Beginn des in der Schweiz einzigartigen<br />

Präventionsprogrammes hat Malatavie Hilfe<br />

für 3731 Jugendliche geleistet. Im selben Zeitraum<br />

hat die Ados Line, der Telefondienst für<br />

Teenies in Not, 7514 Anrufe registriert, wovon<br />

6236 klinische Anliegen behandelt wurden.<br />

2014 wurde die Plattform www.airedados.ch<br />

geschaffen, die das Netzwerk rund um sensi ble<br />

Jugendliche stützen und erweitern soll.<br />

>>> zial verhalten. Statt mit drei,<br />

vier echten Freunden auf dem<br />

Sportplatz zu kicken oder sich<br />

zum Shoppen zu verabreden,<br />

haben Jugendliche mit ein paar<br />

hundert Freunden Kontakt – hinter<br />

zugezogener Tür. Das ständige<br />

Herumtippen am Smartphone<br />

oder Bildschirm verändert ihren<br />

Tag- und Nachtrhythmus. «Die<br />

ex zessive nächtliche Nutzung<br />

elektronischer Medien ist ein Risikofaktor<br />

für Schlafstörungen und<br />

Depressionen», erklärt Susanne<br />

Walitza, Direktorin der Klinik für<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

der Universität Zürich. Schlafstörungen<br />

selbst können ein Symptom<br />

der Depression sein, aber<br />

auch die Entstehung von Depressionen<br />

begünstigen.<br />

Diese Risikofaktoren lassen<br />

sich jedoch positiv beeinflussen,<br />

meint die Expertin. «Elterliche<br />

Zuwendung, klare Grenzen und<br />

ein strukturierter Tagesablauf in<br />

Kindheit und Jugend beugen vor.»<br />

Nicht immer können sie eine psychische<br />

Erkrankung verhindern.<br />

Um frühzeitig zu erkennen, ob ein<br />

Jugendlicher in eine Depression<br />

abrutscht, braucht es die Aufmerksamkeit<br />

und Mithilfe aller<br />

aus dem Umfeld: Freunde, Eltern<br />

und Lehrer. Denn anders als früher<br />

gedacht wachsen sich Depressionen<br />

und andere psychische<br />

Erkrankungen nicht einfach aus.<br />

«Eine frühe Diagnose und durchgängige<br />

Intervention sind wichtig»,<br />

erklärt Walitza. «Ansonsten<br />

kann sich die Langzeitprognose<br />

deutlich verschlechtern.» Studien<br />

belegen, was passiert, wenn die<br />

therapeutische Chance in der<br />

Pubertät vertan wird: Vier von<br />

fünf psychisch kranken Erwachsenen<br />

waren schon als Jugendliche<br />

psychisch labil.<br />

Die Therapie jugendlicher<br />

De pressionen unterscheide sich<br />

kaum von der depressiver Er-<br />

wachsener, erklärt Walitza, da sich<br />

auch die Symptome sehr ähnelten.<br />

«Im ersten Schritt klären wir die<br />

Jugendlichen über die Erkrankung<br />

auf.» Bei leichten Störungen helfe<br />

eine Gesprächs- und Verhaltenstherapie,<br />

in schwereren Fällen<br />

unterstützt durch Medikamente.<br />

«Typisch für Depressive ist, dass<br />

sie oft alles schwarz sehen und<br />

negativ bewerten», erklärt die<br />

Kinder- und Jugendpsychiaterin.<br />

«In der Therapie bringen wir<br />

Ereignisse und Empfindungen in<br />

einen realistischen Kontext.» Hat<br />

jemand eine Zwei in Mathe, ist er<br />

kein Schulversager. Verlässt ihn<br />

die Freundin, bedeutet das nicht,<br />

dass der Junge nie wieder eine<br />

Partnerin haben wird.<br />

Sich selbst vertrauen<br />

Die Therapeuten helfen auch<br />

dabei, Auslöser aus der Welt zu<br />

schaffen. Beispiel Mobbing: «Wir<br />

nehmen mit der Schule Kontakt<br />

auf und überlegen gemeinsam, wie<br />

wir mit der Situation umgehen»,<br />

so Walitza, selbst Mutter eines<br />

Teenagers. Mal fänden Gespräche<br />

mit Tätern und Opfer statt, mal<br />

würden ganze Klassen einschliesslich<br />

der Eltern geschult. Und gelegentlich<br />

empfehle sich ein Schulwechsel.<br />

«Zentrales Ziel der<br />

Therapie ist immer, das Kind zu<br />

stärken und es darin anzuleiten,<br />

auf sein Können und seine Fähigkeiten<br />

zu vertrauen», betont die<br />

Expertin.<br />

Auch ein stationärer Aufenthalt<br />

kann hilfreich sein. Einfach mal<br />

rauskommen aus dem deprimierenden<br />

Umfeld, weg von den traurigen<br />

Gedanken und den Grübeleien.<br />

Grossen Wert legt die<br />

47-Jährige darauf, die Kinder nach<br />

der Therapie nicht einfach zu entlassen.<br />

«Es muss klar sein, wie es<br />

in Elternhaus und Schule weitergeht<br />

und wo die Therapie ambulant<br />

fortgeführt werden kann.»<br />

60 März <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi <strong>Gesundheit</strong>s-<strong>Spezial</strong>

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