03/2017 Gesundheit-Spezial
Fritz + Fränzi
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Seele<br />
>>> von Belohnung verschafft,<br />
liegt in der Jugend höher als im<br />
Erwachsenenalter», führt der<br />
55-jährige Experte aus. «Die Adoleszenz<br />
ist wie ein Auto mit vielen<br />
PS, das die Jugendlichen zwar starten,<br />
aber noch nicht sicher lenken<br />
können.»<br />
Veranlagung spielt eine Rolle<br />
Für Jungen sind Entwicklungen<br />
wie die von Jakob typisch. Sie verstossen<br />
gegen Regeln in der Schule<br />
und Öffentlichkeit, riskieren<br />
mehr beim Sport oder im Strassenverkehr.<br />
Mädchen hingegen<br />
verletzen sich eher selbst und neigen<br />
zu Essstörungen. Psychiater<br />
und Psychologen haben die Kriterien<br />
für eine Depression klar<br />
umrissen. «Wenn Heranwachsende<br />
sich mindestens zwei Wochen<br />
am Stück von Freunden, Schule,<br />
Familie zurückziehen, ihre Freizeitaktivitäten<br />
vernachlässigen<br />
und ungewohnt bedrückt sind,<br />
muss man von einer depressiven<br />
Phase ausgehen», so Experte Di<br />
Gallo. Anders als Gleichaltrige<br />
kämen sie dann nicht mehr aus<br />
dem Bett, verweigerten die Schule<br />
und brächen den Kontakt mit<br />
Freunden ab.<br />
Dennoch ist die Diagnose nicht<br />
immer einfach: «Es gibt keine eindeutigen<br />
Laborwerte oder Anzeichen<br />
des Gehirns im Kernspin»,<br />
erklärt Klinikdirektor Di Gallo.<br />
Eine Depression wird in erster<br />
Linie anhand der Symptome diagnostiziert.<br />
Ausschlaggebend sei<br />
Experten zufolge können<br />
Erlebnisse im Kleinkindalter<br />
depressive Krisen in<br />
der Adoleszenz auslösen.<br />
neben der Schwere der Symptomatik<br />
vor allem der Zeitfaktor:<br />
Das Gefühl der Leere geht einfach<br />
nicht mehr weg.<br />
Doch warum erkranken manche<br />
Kinder und warum überstehen<br />
andere diese labile Phase völlig<br />
unbeschadet? Untersuchungen<br />
zeigen, dass Kinder, die in schwierigen<br />
sozialen Bedingungen aufwachsen,<br />
gefährdeter sind für psychische<br />
Krankheiten. Auch eine<br />
genetische Veranlagung spielt eine<br />
Rolle. Ist ein Elternteil depressiv,<br />
erhöht sich das Risiko des Kindes,<br />
zu erkranken, auf 20 Prozent, sind<br />
beide Eltern betroffen, auf 50 Prozent.<br />
«Die genetische Veranlagung<br />
ist aber nicht allein für die<br />
Entwicklung von Depressionen<br />
verantwortlich», stellt Di Gallo<br />
klar. Zu den inneren Faktoren<br />
müssen äussere kommen. Einer<br />
der häufigsten Gründe ist die<br />
Trennung der Eltern. In einer Zeit,<br />
in der die Gefühle Achterbahn<br />
fahren, sind stabile Beziehungen<br />
eben besonders wichtig. Auch<br />
Jakob hätte seinen Vater gebraucht<br />
– um sich mit ihm als Pubertierender<br />
auseinanderzusetzen und<br />
um sich mit ihm als Mann zu<br />
identifizieren.<br />
Mittlerweile verstehen Forscher<br />
auch immer besser, dass<br />
schon Erlebnisse im Säuglingsund<br />
Kleinkindesalter depressive<br />
Krisen in der Adoleszenz auslösen<br />
können. «Traumatische Trennungen<br />
oder Vernachlässigung in der<br />
frühen Kindheit können nachhal-<br />
tige Auswirkungen auf die Entwicklung<br />
haben», bestätigt Di<br />
Gallo. Mitunter reichen die Auslöser<br />
sogar noch weiter zurück.<br />
Schon während der Schwangerschaft<br />
stehen Föten über die Plazenta<br />
unter dem Einfluss mütterlicher<br />
Stresshormone wie Cortisol.<br />
Pränataler Stress hebt beim Ungeborenen<br />
den Stresshormonspiegel<br />
dauerhaft an und beschleunigt die<br />
Hirnreifung, fanden Neurologen<br />
der Uniklinik Jena heraus. Stress<br />
während der Schwangerschaft gilt<br />
deshalb als ein Risikofaktor für<br />
eine spätere Depression.<br />
Sind Jugendliche denn heute<br />
depressiver als noch vor zehn oder<br />
zwanzig Jahren? Experte Di Gallo<br />
«Eltern verkennen<br />
ihre Rolle»<br />
Wenn das Kind sich in der Pubertät<br />
in sich zurückzieht, dürfen Eltern<br />
nicht lockerlassen.<br />
Interview: Constanze Löffler<br />
Frau Walitza, wie deutet sich eine psychische<br />
Krise bei Pubertierenden an?<br />
Eltern sollten bei neu auftretenden Symptomen<br />
hellhörig werden. Vielleicht ist ihr<br />
Kind öfter schlecht gelaunt und gereizt<br />
oder ungewohnt ernsthaft und traurig.<br />
Vielleicht hört es auf, sich am Nachmittag<br />
oder Wochenende mit den Kollegen zu<br />
treffen. Oder es sackt in der Schule ab,<br />
bringt schlechte Noten heim oder verweigert<br />
die Schule ganz.<br />
Wie sollten Eltern reagieren?<br />
Solche Symptome treten auch im Laufe<br />
einer normalen pubertären Entwicklung<br />
auf. Eltern kennen ihre Kinder am besten.<br />
Wenn sie spüren, dass etwas nicht<br />
stimmt, sollten sie dem nachgehen und<br />
mit dem Nachwuchs reden. Ein offenes<br />
58 März <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi <strong>Gesundheit</strong>s-<strong>Spezial</strong>