Seele Krank oder null Bock? Die Pubertät ist eine Zeit der Veränderung. Psychische Erkrankungen wie Depressionen treten gehäuft auf. Eltern sollten jetzt auf erste Anzeichen achten. Text: Constanze Löffler 56 März <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi <strong>Gesundheit</strong>s-<strong>Spezial</strong>
Bild: Alain Laboile Ungefähr ein Kind pro Klasse leidet an einer behandlungsbedürftigen Depression. Leere und Trauer kennt der 16-jährige Jakob, seitdem er von der Primar- in die Sekundarstufe wechselte. Um sie zu vertreiben, fängt er an zu kiffen. Später erscheint der Junge wiederholt angetrunken zum Unterricht. Als ihn ein Vertrauenslehrer darauf anspricht, streitet Jakob die Trunkenheit erst ab und fängt dann an zu weinen. Sein Leben sei völlig verkorkst und hoffnungslos. Er wisse überhaupt nicht, wie es nach der Schule weitergehen solle. Und ja, er denke darüber nach, sich das Leben zu nehmen. Der Lehrer ruft umgehend Alain Di Gallo an. Der Direktor der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie Basel ist alarmiert. «Ich bestellte Jakob und seine Mutter noch am gleichen Abend in die Klinik», erinnert er sich. Dort erzählt der Junge, dass seine Eltern seit fünf Jahren getrennt seien. Seine Mutter erklärt, sie habe unter dem unerwarteten Fortgang ihres Mannes sehr gelitten und sei kaum noch für ihren Sohn da gewesen. Jakob ist überzeugt, auch seine Freunde würden ihn nicht mehr mögen. Immer mehr hat er sich zurückgezogen und ins Comic-Zeichnen vertieft. Für den Psychiater deutet alles auf eine Depression hin. Geschichten wie die von Jakob gibt es viele. In der Schweizer SMASH-Studie aus dem Jahr 2002 gaben 35 Prozent der Mädchen und knapp 20 Prozent der befragten Jungen an, sie seien häufiger traurig und deprimiert. «Eine behandlungsbedürftige Depression hat am Ende nur ein Bruchteil von ihnen», beruhigt Experte Di Gallo. Rund drei Prozent der Kinder und fünf Prozent der Jugendlichen, also etwa eine Person pro Klasse, leiden daran. Das Fatale: Häufig bleiben die Symptome unerkannt – insbesondere, wenn sie mit dem Eintritt in die Pubertät zusammentreffen. Eltern fällt es dann schwer, zu erkennen, ob der Sprössling die Zimmertür ab-schliesst, weil er sich – wie in diesem Alter völlig gesund – von ihnen abgrenzt oder weil er ernsthaft krank ist. Stimmungsschwankungen «Gelegentliche Nullbockstimmung und ein schwankendes Selbstwertgefühl während der Pubertät sind völlig normal», meint auch Di Gallo. Gleichzeitig sei diese Lebensphase eine Zeit, in der sich gehäuft psychische Störungen entwickelten. «Negative Gedanken über die eigene Person», so Di Gallo, «können ein Baustein für die Entstehung von Depressionen sein.» Eine Untersuchung der Universität Zürich hat gezeigt, dass Pubertierende besonders rasch auf negatives Feedback reagieren. Das könnte erklären, warum sich Jugendliche alles so sehr zu Herzen nehmen. Während der Pubertät fallen solche negativen Empfindungen auf besonders fruchtbaren Boden. Jetzt gleicht das Gehirn einer Grossbaustelle: Unwichtige Nervenverbindungen werden gekappt, wichtige ausgebaut. Nicht alle Hirnanteile entwickeln sich dabei gleich schnell. Das limbische System und die Amygdala – beides Hirnstrukturen, die Belohnung und Emotionen verschlüsseln – gedeihen schneller als das Stirnhirn. Das wiederum hat eine kontrollierende Funktion, mahnt also zur Ordnung und erinnert an Regeln. Die Suche nach dem Kick Dieses Ungleichgewicht macht Heranwachsende anfällig für riskantes Verhalten. Jugendliche rasen mit dem Mofa umher, probieren Drogen, betrinken sich und wechseln ihre Geschlechtspartner – immer auf der Suche nach dem ultimativen Kick. «Die Schwelle, bei der ein Reiz das Gefühl >>> Wenn das Leben keinen Sinn mehr macht 2014 nahmen sich laut Bundesamt für Statistik 31 Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren das Leben. «Diese Zahl muss uns zu denken geben», sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Alain Di Gallo. Nach Unfällen sind Selbsttötungen hierzulande die häufigste Todesursache bei Jugendlichen. Die Zahl der Suizidversuche schätzen Fachleute noch einmal 100-fach höher. Depressionen sind der stärkste Risikofaktor für einen Suizid: Betroffene Buben und Mädchen hegen oft Selbstmordgedanken. Als Gründe nennen sie Gefühle wie Einsamkeit und sich nicht geliebt fühlen, Wut, Ärger und Enttäuschungen. «Suizidalität muss mit depressiven Jugendlichen offen angesprochen werden. Falls notwendig, werden konkrete Hilfsmassnahmen verbindlich festgelegt», so Di Gallo. Dazu gehöre der Besuch bei einem <strong>Spezial</strong>isten und auch, zu Hause Waffen und Medikamente unzugänglich zu machen. Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi <strong>Gesundheit</strong>s-<strong>Spezial</strong> März <strong>2017</strong>57