03/2017 Gesundheit-Spezial
Fritz + Fränzi
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gen, im Kindergarten etwa oder wenn sie<br />
bei Freunden zu Besuch sind, verhalten<br />
sich Kinder meistens ganz anders und<br />
essen anstandslos, was dort auf den Tisch<br />
kommt. Einfach weil sie wissen, dass es<br />
da nicht verhandelbar ist.<br />
Also geht es gar nicht unbedingt um<br />
eine Vorliebe oder Abneigung.<br />
Genau. Das jeweilige Essen ist oft nur ein<br />
Vehikel, über das ganz andere Dinge verhandelt<br />
werden. Ein anderes gutes Beispiel<br />
ist die «Quengelmeile» mit Süssigkeiten<br />
vor der Supermarktkasse, die ganz<br />
bewusst dort platziert werden, weil viele<br />
Eltern die Wut ihrer Kinder nicht aushalten<br />
und dann lieber nachgeben. Vordergründig<br />
geht es um Süssigkeiten, die jedes<br />
Kind gern isst. Darunter läuft aber noch<br />
ein anderes Thema, nämlich: Wer hat hier<br />
das Sagen? Eltern müssen sich erst einmal<br />
selbst darüber klar werden, welche<br />
Linie sie fahren wollen. Wenn sie diese in<br />
aller Ruhe und konsequent vertreten,<br />
akzeptieren die Kinder sie auch irgendwann.<br />
Von strikten Verboten rate ich allerdings<br />
ab, egal ob es um Bonbons, Chips<br />
oder Hamburger geht – sie machen das<br />
Begehrte nur noch attraktiver.<br />
Fastfood und andere Dickmacher zu<br />
begrenzen, ist das eine. Wie schaffe<br />
ich es aber, mein Kind von Obst und<br />
Gemüse zu überzeugen?<br />
Indem Sie es selbst gern essen und zubereiten,<br />
und zwar ganz normal und selbstverständlich,<br />
ohne mahnende Appelle und<br />
<strong>Gesundheit</strong>sbotschaften. Mit das Erste,<br />
was ein Kind lernt, ist ja das Essen. Es<br />
kommt zwar mit einer Vorliebe für Süsses<br />
auf die Welt, lernt dann aber in der sozialen<br />
Gemeinschaft auch andere Geschmäcker<br />
kennen und erweitert so allmählich<br />
seinen kulinarischen Horizont, wobei es<br />
sich das meiste von seiner unmittelbaren<br />
Umgebung abguckt. Früher oder später<br />
will es darum ganz von selbst auch das<br />
probieren, was Vater, Mutter oder ältere<br />
Geschwister sichtlich mögen. Vorbilder<br />
haben eine starke Wirkung. Bei Kindern<br />
siegt immer die Neugier.<br />
Und wenn es trotzdem nicht so recht<br />
funktioniert?<br />
Gelassen bleiben, sich nicht verunsichern<br />
lassen und sich in Geduld üben. Solange<br />
man selbst kein Problem daraus macht,<br />
weiterhin die Vielfalt anbietet und das<br />
Kind wählen lässt, wird sich sein Spektrum<br />
mit der Zeit schon erweitern. Das<br />
Wichtigste ist die entspannte Atmosphäre<br />
bei Tisch. Essen sollte etwas rundum<br />
Erfreuliches sein, das sich mit schönen<br />
Erlebnissen in der Gemeinschaft verbindet<br />
und so positiv aufgeladen wird. Wenn<br />
das gelingt, bekommt man die Kinder<br />
schon. Man darf nur nicht den Fehler<br />
machen, zu erwarten, dass sie sich gleich<br />
beim ersten Mal für ein neues Lebensmittel<br />
begeistern. An unbekannte Geschmäcker<br />
und Konsistenzen muss man sich<br />
erst gewöhnen. Das ist normal und geht<br />
Erwachsenen auch so. Was bekannt ist<br />
und regelmässig auf den Tisch kommt,<br />
wird hingegen gern gegessen. Es ist eine<br />
Art Training. Tischregeln können dabei<br />
helfen, etwa die, dass alles probiert werden<br />
muss. Oder gemeinsame Familienrituale<br />
– Pizza oder Pfannkuchen am<br />
Wochenende zum Beispiel, für die sich<br />
jeder seinen Lieblingsbelag bzw. seine<br />
Lieblingsfüllung wünschen kann.<br />
Wie geht man mit Teenagern um, die<br />
ständig ihr Gewicht im Auge behalten<br />
oder bestimmte Nahrungsmittel aus<br />
ideologischen Gründen ablehnen?<br />
Das ist nicht leicht. Leider machen heute<br />
viele Jugendliche beim Essen eine Gratwanderung,<br />
besonders Mädchen. Nach<br />
meiner Erfahrung finden die meisten aber<br />
wieder zurück zum normalen Essen. Vor<br />
allem muss man versuchen, mit ihnen im<br />
Gespräch zu bleiben. Zeigen Sie Interesse<br />
an dem, was sie beschäftigt, und erkundigen<br />
Sie sich nach ihren Beweggründen,<br />
statt ihr Verhalten als unsinnig abzutun.<br />
Wenn Mädchen Angst haben, zu dick zu<br />
werden, nützt es wenig, ihnen das ausreden<br />
zu wollen. Besser ist, mit Verständnis<br />
zu reagieren und bis zu einem gewissen<br />
Grad darauf einzugehen, indem man etwa<br />
Gemüsetage für die ganze Familie anbietet.<br />
Man darf den Draht nicht verlieren.<br />
Wann ist wirklich Grund zur Sorge?<br />
Wenn das Essverhalten pathogene Züge<br />
annimmt und sich zur psychogenen Störung<br />
entwickelt. Erste Anzeichen für eine<br />
Essstörung könnten sein, wenn Jugendliche<br />
beispielsweise nach einer zunächst<br />
durchaus sinnvollen Gewichtsreduktion<br />
immer noch weiter abnehmen wollen und<br />
sich bei ihnen keine Zufriedenheit mit<br />
dem neuen Körperbild und dem neuen<br />
Essverhalten einstellt. Man sollte ausserdem<br />
darauf achten, was sie von Gleichaltrigen<br />
erzählen und – ganz wichtig – in<br />
welchen Internetforen sie unterwegs sind.<br />
Andererseits zeichnet sich bei jungen<br />
Leuten im positiven Sinne ein zunehmendes<br />
Bewusstsein fürs Essen und<br />
die Herkunft von Lebensmitteln ab.<br />
Ja, angesichts von Trends wie Clean<br />
Eating, veganer Küche oder dem Hype um<br />
sogenannte Superfoods zeigen viele junge<br />
Leute Interesse an gesunder Ernährung<br />
und lassen sich für Fragen der Nahrungsqualität<br />
gewinnen. Verbindet sich das im<br />
sozialen Raum der Familie oder im Freundeskreis<br />
mit einem Gefühl der Zusammengehörigkeit,<br />
indem man neue Rezepte<br />
oder Zubereitungsarten ausprobiert<br />
und sich darüber austauscht, wird Essen<br />
wieder zum genüsslichen und Gemeinschaft<br />
stiftenden Erlebnis – und das «Problemthema<br />
Ernährung» verliert seine<br />
Macht im Alltag.<br />
Ines Heindl<br />
Professorin, ist Ernährungswissenschaftlerin<br />
an der Europa-Universität Flensburg, Abteilung<br />
Ernährung und Verbraucherbildung.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi <strong>Gesundheit</strong>s-<strong>Spezial</strong><br />
März <strong>2017</strong>41