03/2017 Gesundheit-Spezial
Fritz + Fränzi Fritz + Fränzi
Achtsamkeit mit Kindern – wie funktioniert das? Durch Innehalten, Achtsamkeit und Meditation lernen wir, uns nicht vom Aussen abzulenken und das Gedankenkarussell abzuschalten. Auch Kinder profitieren davon. Text: Claudia Füssler Bild: Alain Laboile 14 März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial
Geist Die erste Aufgabe klingt lösbar: sich einfach mal hinstellen. Ohne sich irgendwo anzulehnen. Die Hände aus den Hosentaschen, die Arme an den Seiten baumeln lassen. Beide Füsse stehen auf dem Boden, das Gewicht ist gleichmässig verteilt. «Für viele Kinder ist das extrem schwierig», sagt Vera Kaltwasser. «Einfach zu stehen, das kann der Anfang für eine Verfeinerung der Selbstwahrnehmung sein, spielerisch können die Kinder mal in die rechte Fusssohle spüren, dann in die linke und so Kontakt mit dem Körper aufnehmen.» Vera Kaltwasser ist Lehrerin an einer Frankfurter Schule und Autorin mehrerer Bücher zum Thema Achtsamkeit. Sie hat die sogenannte Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR, Mindfulness-Based Stress Reduction) bei Jon Kabat-Zinn, dem Erfinder dieses Programms, gelernt – eigentlich für sich selbst. Das hat ihr so gut getan, dass sie irgendwann auf die Idee kam, einen Teil dieser Methode bei ihren Schülern auszuprobieren. Das bewusste Stehen gehört zu den Stillephasen, die Kaltwasser immer wieder in den Unterricht einflicht – schon bei den Jüngsten. «Aischu» heisst das von ihr entwickelte Konzept, das Kinder und Jugendliche kontinuierlich in kleinen Schritten dafür begeistern soll, ihre Innenwelt zu erkunden und sich selbst besser spüren zu lernen. «Ich bitte die Kinder zum Beispiel, sich eine Zitrone vorzustellen. Dann nehmen sie erstaunt wahr, dass ihnen das Wasser im Mund zusammenläuft. Eine Vorstellung bewirkt also eine körperliche Reaktion», erklärt Kaltwasser. «So verstehen die Kinder, dass sie sich mit Befürchtungen und Sorgen, obwohl es nur Gedanken sind, in Stress versetzen. Der nächste Schritt ist dann, dass Kinder und Jugendliche lernen, selbsttätig ihre Stressreaktion zu entschärfen, indem sie zum Beispiel bewusst auf den Atem achten.» Meditieren ist ein Prozess Auch wenn es von aussen nicht so aussieht: Achtsamsein, Meditieren ist ein hochaktiver Prozess. Der Geist wird geschult. So ist der Fokus zum Beispiel der Atem. Immer, wenn die Gedanken abschweifen, wird die Wahrnehmung wieder zum Atem zurückgeholt. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass aufmerksamer wird, wer regelmässig seine Achtsamkeit schult. Indirekt wirkt sich das auch auf die Leistungen der Schüler aus. Denn wer unter Stress steht, sieht oft die einfachsten Lösungen nicht, auch Höchstleistungen erbringt niemand in angespanntem Zustand. Auf die besten Ideen kommt man, wenn man entspannt ist. Das haben zahlreiche Studien gezeigt, und genau diese Erfahrung macht Vera Kaltwasser mit ihren Schülern. «Wichtig ist, dass wir Achtsamkeit nicht als Werkzeug zur Selbstoptimierung entwerten, sondern das ethische Potenzial erkennen, das sich entfaltet, wenn wir lernen, bewusst mit uns und dem anderen umzugehen», betont die Frankfurter Lehrerin. Regelmässige Übung ist wichtig Der Schlüssel zur erfolgreichen Achtsamkeit ist die Konti- >>> Wer unter Stress steht, sieht oft die einfachsten Lösungen nicht. Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Gesundheits-Spezial März 201715
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Die erste Aufgabe<br />
klingt lösbar: sich<br />
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Ohne sich<br />
irgendwo anzulehnen.<br />
Die Hände aus den Hosentaschen,<br />
die Arme an den Seiten<br />
baumeln lassen. Beide Füsse stehen<br />
auf dem Boden, das Gewicht<br />
ist gleichmässig verteilt. «Für viele<br />
Kinder ist das extrem schwierig»,<br />
sagt Vera Kaltwasser. «Einfach<br />
zu stehen, das kann der<br />
Anfang für eine Verfeinerung der<br />
Selbstwahrnehmung sein, spielerisch<br />
können die Kinder mal in<br />
die rechte Fusssohle spüren, dann<br />
in die linke und so Kontakt mit<br />
dem Körper aufnehmen.»<br />
Vera Kaltwasser ist Lehrerin an<br />
einer Frankfurter Schule und<br />
Autorin mehrerer Bücher zum<br />
Thema Achtsamkeit. Sie hat die<br />
sogenannte Achtsamkeitsbasierte<br />
Stressreduktion (MBSR, Mindfulness-Based<br />
Stress Reduction) bei<br />
Jon Kabat-Zinn, dem Erfinder dieses<br />
Programms, gelernt – eigentlich<br />
für sich selbst. Das hat ihr so<br />
gut getan, dass sie irgendwann auf<br />
die Idee kam, einen Teil dieser<br />
Methode bei ihren Schülern auszuprobieren.<br />
Das bewusste Stehen gehört zu<br />
den Stillephasen, die Kaltwasser<br />
immer wieder in den Unterricht<br />
einflicht – schon bei den Jüngsten.<br />
«Aischu» heisst das von ihr entwickelte<br />
Konzept, das Kinder und<br />
Jugendliche kontinuierlich in kleinen<br />
Schritten dafür begeistern<br />
soll, ihre Innenwelt zu erkunden<br />
und sich selbst besser spüren zu<br />
lernen. «Ich bitte die Kinder zum<br />
Beispiel, sich eine Zitrone vorzustellen.<br />
Dann nehmen sie erstaunt<br />
wahr, dass ihnen das Wasser im<br />
Mund zusammenläuft. Eine Vorstellung<br />
bewirkt also eine körperliche<br />
Reaktion», erklärt Kaltwasser.<br />
«So verstehen die Kinder, dass<br />
sie sich mit Befürchtungen und<br />
Sorgen, obwohl es nur Gedanken<br />
sind, in Stress versetzen. Der<br />
nächste Schritt ist dann, dass Kinder<br />
und Jugendliche lernen, selbsttätig<br />
ihre Stressreaktion zu entschärfen,<br />
indem sie zum Beispiel<br />
bewusst auf den Atem achten.»<br />
Meditieren ist ein Prozess<br />
Auch wenn es von aussen nicht so<br />
aussieht: Achtsamsein, Meditieren<br />
ist ein hochaktiver Prozess. Der<br />
Geist wird geschult. So ist der<br />
Fokus zum Beispiel der Atem.<br />
Immer, wenn die Gedanken abschweifen,<br />
wird die Wahrnehmung<br />
wieder zum Atem zurückgeholt.<br />
Wissenschaftliche Studien<br />
haben gezeigt, dass aufmerksamer<br />
wird, wer regelmässig seine Achtsamkeit<br />
schult. Indirekt wirkt sich<br />
das auch auf die Leistungen der<br />
Schüler aus. Denn wer unter Stress<br />
steht, sieht oft die einfachsten<br />
Lösungen nicht, auch Höchstleistungen<br />
erbringt niemand in angespanntem<br />
Zustand.<br />
Auf die besten Ideen kommt<br />
man, wenn man entspannt ist. Das<br />
haben zahlreiche Studien gezeigt,<br />
und genau diese Erfahrung macht<br />
Vera Kaltwasser mit ihren Schülern.<br />
«Wichtig ist, dass wir Achtsamkeit<br />
nicht als Werkzeug zur<br />
Selbstoptimierung entwerten,<br />
sondern das ethische Potenzial<br />
erkennen, das sich entfaltet, wenn<br />
wir lernen, bewusst mit uns und<br />
dem anderen umzugehen», betont<br />
die Frankfurter Lehrerin.<br />
Regelmässige Übung ist wichtig<br />
Der Schlüssel zur erfolgreichen<br />
Achtsamkeit ist die Konti- >>><br />
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sieht oft die einfachsten<br />
Lösungen nicht.<br />
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März <strong>2017</strong>15