27.02.2017 Aufrufe

03/2017

Fritz+Fränzi

Fritz+Fränzi

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

cher antriebslos ist, eine Depression<br />

entwickelt, verbringt er deshalb<br />

möglicherweise viel Zeit vor dem<br />

Bildschirm, weil er es nicht mehr<br />

schafft, rauszugehen. Und vor dem<br />

Bildschirm vergeht die Zeit einfach<br />

schneller. Viele versinken völlig in<br />

dieser anderen Welt. Man muss sehr<br />

genau hinschauen, ob die Computersucht<br />

nicht andere Pro bleme verdeckt<br />

und nur die Oberfläche darstellt.<br />

Vielen dieser Pa tienten, die auf<br />

den ersten Blick computersüchtig<br />

scheinen, fällt es in der Klinik nicht<br />

schwer, dort zu verzichten. Durch<br />

die Therapie und den Kontakt zu<br />

anderen Jugendlichen mit ähnlichen<br />

oder gleichen Problemen brauchen<br />

sie den Computer nicht mehr.<br />

Wann sollten sich Eltern Sorgen<br />

machen?<br />

Es gibt ein paar klare Grenzlinien.<br />

Die Zahl der Stunden, die jemand<br />

vor dem Computer sitzt, ist allerdings<br />

wenig ausschlaggebend. Entscheidender<br />

sind die Fragen: Verlieren<br />

Jugendliche normale Bezüge?<br />

Gehen sie in die Schule, in Vereine,<br />

treffen sie reale Freunde? Wenn sie<br />

andere, alltägliche Dinge nicht vernachlässigen,<br />

sitzen sie zwar vielleicht<br />

zu lange am Computer, sind<br />

aber nicht krankhaft süchtig. Sobald<br />

ein Leistungsabfall eintritt, ein<br />

Rückzug oder eine Veränderung im<br />

Sozialverhalten, sind das Warnzeichen,<br />

die man ernst nehmen und<br />

denen man auf den Grund gehen<br />

sollte.<br />

Ist es nicht auch ein Warnzeichen,<br />

wenn Jugendliche sich dem ganzen<br />

Soziale-Netzwerke-Hype verweigern?<br />

Mädchen und Jungen stellen sich<br />

ausserhalb ihrer Jugendkultur, wenn<br />

sie neue Medien ablehnen. Sie begeben<br />

sich dadurch nicht selten in die<br />

Einsamkeit. Denn das Smartphone<br />

ist durchaus auch Bezugspunkt. Oft<br />

sitzen Jugendliche zu dritt über<br />

einem Bildschirm und zeigen sich<br />

Sachen. Computer und Handy<br />

haben ja auch interaktive Elemente.<br />

Wenn die Jugendlichen sich aber<br />

sonst nicht aus ihren sozialen Kon­<br />

takten zurückziehen, würde ich es<br />

nicht als Warnzeichen sehen.<br />

Und wie gehen Sie nun in der Sitzung<br />

vor, wenn das Smartphone stört?<br />

Verbieten Sie das Gerät?<br />

Mit radikalen Einschränkungen tun<br />

wir uns schwer. Und, wie gesagt,<br />

Jugendliche mit Aspergersyndrom<br />

sind mitunter auf dieses Medium<br />

angewiesen. Es ist ihr Zugang zur<br />

Welt. Deshalb lassen wir es gerade<br />

bei ihnen zu. Und nicht nur das. Wir<br />

versuchen, genau darüber in Kontakt<br />

zu kommen. Es gibt junge Menschen,<br />

die erzählen beispielsweise<br />

von ihren Computerspielen und was<br />

sie da machen. Wir versuchen, neutral<br />

und interessiert zuzuhören –<br />

und nicht gleich zu wettern: blödes<br />

Ballerspiel. Oder es gibt die Jugendlichen,<br />

die nicht über ihr Problem<br />

sprechen können und es deshalb<br />

«verpacken», indem sie von einem<br />

Freund oder einer Freundin erzählen,<br />

die gerade eine Nachricht geschrieben<br />

hat. In der geht es eben<br />

um den Konflikt, der den Klienten<br />

gerade selbst beschäftigt. In der virtuellen<br />

Welt entstehen Gruppen,<br />

Freundschaften, Konflikte – genau<br />

wie im realen Leben. Das müssen wir<br />

nutzen. Ich habe das Internet tatsächlich<br />

schon als Brücke erlebt.<br />

Computer und Handy bieten uns als<br />

Therapeuten die Möglichkeit, mit<br />

den Jugendlichen in Kontakt zu treten.<br />

Das kann durchaus in einem<br />

Chatroom sein.<br />

Haben Sie schon mit Klienten<br />

gechattet?<br />

Ja. Mit einer Klientin habe ich mich<br />

regelmässig im Chatroom verabredet,<br />

um dort die sozialtherapeutischen<br />

Einzelstunden mit ihr zu halten.<br />

Ihre Schwierigkeiten >>><br />

«Im Internet fällt es manchen<br />

Jugendlichen leichter,<br />

Beziehungen und Vertrauen<br />

aufzubauen.»<br />

Erste Hilfe für Jugendliche im Internet<br />

• Die neuen Kommunikationswege nutzen, um<br />

Jugendlichen zu helfen, möchte die Plattform<br />

JugendNotmail. Für die in Berlin ansässige<br />

Online-Beratung arbeiten ehrenamtlich über<br />

100 Psychologen und Sozialpädagogen – 365<br />

Tage im Jahr. Auffällig: Mindestens 360 Mails<br />

kamen 2015 aus der Schweiz. In den Anfragen<br />

geht es um Depressionen, Selbstverletzung,<br />

Missbrauch, Suizidgedanken, Essstörungen.<br />

«Neben der Einzelberatung können sich die<br />

hilfesuchenden Jugendlichen im Forum und<br />

den monatlichen Themenchats austauschen»,<br />

so Sprecherin Amelie Schwierholz. Sie betont:<br />

«Die Beratung kann keine Therapie ersetzen.»<br />

Erweise sich eine als nötig, vermittelten die<br />

Mitarbeiter den Jugendlichen weiter.<br />

• www.u25-schweiz.ch ist eine kostenlose und<br />

anonyme Online-Hilfe für Jugendliche – von<br />

Jugendlichen mit spezieller Ausbildung. Die<br />

Berater sind zwischen 17 und 25 Jahre alt,<br />

hinter ihnen stehen Sozialarbeiter und<br />

Psychologen. Angesprochen werden sollen<br />

Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 25<br />

Jahren mit Suizidgedanken. Träger dieses<br />

Projekts ist der Verein Lebe! in Winterthur.<br />

• Auch viele Stellen, die bisher eher angerufen<br />

wurden, beraten heute Chat, SMS oder Mail:<br />

Die Dar gebotene Hand (www.143.ch), Das<br />

Sorgentelefon (das-sorgentelefon.com)<br />

und die Jugendberatung von Pro Juventute<br />

(www.147.ch).<br />

Laden und<br />

starten Sie die<br />

Fritz+Fränzi-App<br />

und lesen Sie online ein<br />

Originalprotokoll einer<br />

Chat-Beratung.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2017</strong>75

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!