03/2017
Fritz+Fränzi
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cher antriebslos ist, eine Depression<br />
entwickelt, verbringt er deshalb<br />
möglicherweise viel Zeit vor dem<br />
Bildschirm, weil er es nicht mehr<br />
schafft, rauszugehen. Und vor dem<br />
Bildschirm vergeht die Zeit einfach<br />
schneller. Viele versinken völlig in<br />
dieser anderen Welt. Man muss sehr<br />
genau hinschauen, ob die Computersucht<br />
nicht andere Pro bleme verdeckt<br />
und nur die Oberfläche darstellt.<br />
Vielen dieser Pa tienten, die auf<br />
den ersten Blick computersüchtig<br />
scheinen, fällt es in der Klinik nicht<br />
schwer, dort zu verzichten. Durch<br />
die Therapie und den Kontakt zu<br />
anderen Jugendlichen mit ähnlichen<br />
oder gleichen Problemen brauchen<br />
sie den Computer nicht mehr.<br />
Wann sollten sich Eltern Sorgen<br />
machen?<br />
Es gibt ein paar klare Grenzlinien.<br />
Die Zahl der Stunden, die jemand<br />
vor dem Computer sitzt, ist allerdings<br />
wenig ausschlaggebend. Entscheidender<br />
sind die Fragen: Verlieren<br />
Jugendliche normale Bezüge?<br />
Gehen sie in die Schule, in Vereine,<br />
treffen sie reale Freunde? Wenn sie<br />
andere, alltägliche Dinge nicht vernachlässigen,<br />
sitzen sie zwar vielleicht<br />
zu lange am Computer, sind<br />
aber nicht krankhaft süchtig. Sobald<br />
ein Leistungsabfall eintritt, ein<br />
Rückzug oder eine Veränderung im<br />
Sozialverhalten, sind das Warnzeichen,<br />
die man ernst nehmen und<br />
denen man auf den Grund gehen<br />
sollte.<br />
Ist es nicht auch ein Warnzeichen,<br />
wenn Jugendliche sich dem ganzen<br />
Soziale-Netzwerke-Hype verweigern?<br />
Mädchen und Jungen stellen sich<br />
ausserhalb ihrer Jugendkultur, wenn<br />
sie neue Medien ablehnen. Sie begeben<br />
sich dadurch nicht selten in die<br />
Einsamkeit. Denn das Smartphone<br />
ist durchaus auch Bezugspunkt. Oft<br />
sitzen Jugendliche zu dritt über<br />
einem Bildschirm und zeigen sich<br />
Sachen. Computer und Handy<br />
haben ja auch interaktive Elemente.<br />
Wenn die Jugendlichen sich aber<br />
sonst nicht aus ihren sozialen Kon<br />
takten zurückziehen, würde ich es<br />
nicht als Warnzeichen sehen.<br />
Und wie gehen Sie nun in der Sitzung<br />
vor, wenn das Smartphone stört?<br />
Verbieten Sie das Gerät?<br />
Mit radikalen Einschränkungen tun<br />
wir uns schwer. Und, wie gesagt,<br />
Jugendliche mit Aspergersyndrom<br />
sind mitunter auf dieses Medium<br />
angewiesen. Es ist ihr Zugang zur<br />
Welt. Deshalb lassen wir es gerade<br />
bei ihnen zu. Und nicht nur das. Wir<br />
versuchen, genau darüber in Kontakt<br />
zu kommen. Es gibt junge Menschen,<br />
die erzählen beispielsweise<br />
von ihren Computerspielen und was<br />
sie da machen. Wir versuchen, neutral<br />
und interessiert zuzuhören –<br />
und nicht gleich zu wettern: blödes<br />
Ballerspiel. Oder es gibt die Jugendlichen,<br />
die nicht über ihr Problem<br />
sprechen können und es deshalb<br />
«verpacken», indem sie von einem<br />
Freund oder einer Freundin erzählen,<br />
die gerade eine Nachricht geschrieben<br />
hat. In der geht es eben<br />
um den Konflikt, der den Klienten<br />
gerade selbst beschäftigt. In der virtuellen<br />
Welt entstehen Gruppen,<br />
Freundschaften, Konflikte – genau<br />
wie im realen Leben. Das müssen wir<br />
nutzen. Ich habe das Internet tatsächlich<br />
schon als Brücke erlebt.<br />
Computer und Handy bieten uns als<br />
Therapeuten die Möglichkeit, mit<br />
den Jugendlichen in Kontakt zu treten.<br />
Das kann durchaus in einem<br />
Chatroom sein.<br />
Haben Sie schon mit Klienten<br />
gechattet?<br />
Ja. Mit einer Klientin habe ich mich<br />
regelmässig im Chatroom verabredet,<br />
um dort die sozialtherapeutischen<br />
Einzelstunden mit ihr zu halten.<br />
Ihre Schwierigkeiten >>><br />
«Im Internet fällt es manchen<br />
Jugendlichen leichter,<br />
Beziehungen und Vertrauen<br />
aufzubauen.»<br />
Erste Hilfe für Jugendliche im Internet<br />
• Die neuen Kommunikationswege nutzen, um<br />
Jugendlichen zu helfen, möchte die Plattform<br />
JugendNotmail. Für die in Berlin ansässige<br />
Online-Beratung arbeiten ehrenamtlich über<br />
100 Psychologen und Sozialpädagogen – 365<br />
Tage im Jahr. Auffällig: Mindestens 360 Mails<br />
kamen 2015 aus der Schweiz. In den Anfragen<br />
geht es um Depressionen, Selbstverletzung,<br />
Missbrauch, Suizidgedanken, Essstörungen.<br />
«Neben der Einzelberatung können sich die<br />
hilfesuchenden Jugendlichen im Forum und<br />
den monatlichen Themenchats austauschen»,<br />
so Sprecherin Amelie Schwierholz. Sie betont:<br />
«Die Beratung kann keine Therapie ersetzen.»<br />
Erweise sich eine als nötig, vermittelten die<br />
Mitarbeiter den Jugendlichen weiter.<br />
• www.u25-schweiz.ch ist eine kostenlose und<br />
anonyme Online-Hilfe für Jugendliche – von<br />
Jugendlichen mit spezieller Ausbildung. Die<br />
Berater sind zwischen 17 und 25 Jahre alt,<br />
hinter ihnen stehen Sozialarbeiter und<br />
Psychologen. Angesprochen werden sollen<br />
Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 25<br />
Jahren mit Suizidgedanken. Träger dieses<br />
Projekts ist der Verein Lebe! in Winterthur.<br />
• Auch viele Stellen, die bisher eher angerufen<br />
wurden, beraten heute Chat, SMS oder Mail:<br />
Die Dar gebotene Hand (www.143.ch), Das<br />
Sorgentelefon (das-sorgentelefon.com)<br />
und die Jugendberatung von Pro Juventute<br />
(www.147.ch).<br />
Laden und<br />
starten Sie die<br />
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und lesen Sie online ein<br />
Originalprotokoll einer<br />
Chat-Beratung.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2017</strong>75