27.02.2017 Aufrufe

03/2017

Fritz+Fränzi

Fritz+Fränzi

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Digital & Medial<br />

Therapie im Chatroom?<br />

Der Klient, sein Problem, der Therapeut und vielleicht noch eine Couch – diese bekannte<br />

Konstellation ist heute längst nicht mehr die Regel. Das ständige Vor-dem-Bildschirm-<br />

Sitzen ist ein Grund, warum Jugendliche eine Therapie brauchen. Aber es kann auch<br />

Teil der Lösung sein. Viele Therapeuten holen die Jugendlichen heute dort ab,<br />

wo sie sind: online. Die psychoanalytische Sozialarbeiterin Sylvia Künstler über Risiken<br />

und Chancen. Interview: Kathrin Blum<br />

Frau Künstler, aus dem Alltag von<br />

Jugendlichen sind neue Medien nicht<br />

mehr wegzudenken. Wie wirkt sich das<br />

auf Ihren Arbeitsalltag aus?<br />

Es ist ein riesiges Problem, wenn wir<br />

eine Jugendgruppe vor uns haben<br />

und alle ihre Smartphones zücken.<br />

Alle müssen nur «ganz schnell, ganz<br />

kurz»… Wenn man ihnen ihr Telefon<br />

wegnimmt, ist das im übertragenen<br />

Sinne gesprochen so, wie<br />

wenn man ihnen die Hand oder ein<br />

Bein amputieren würde. Das Handy<br />

hat eine immense Bedeutung<br />

bekommen, das «In-Kontakt-Sein<br />

mit der Welt» ist für die Jugendlichen<br />

essenziell.<br />

Selbst wenn sich die Jugendlichen<br />

gerade in einer sozialtherapeutischen<br />

Sitzung befinden?<br />

Ja – und manchmal vielleicht auch<br />

gerade dann. Es kann natürlich auch<br />

eine Art sein, den Kontakt zu uns zu<br />

«Mitten in der Sitzung wird<br />

das Smartphone gezückt.<br />

Und dann nimmt ein Freund<br />

virtuell teil.»<br />

vermeiden oder uns die Kontaktaufnahme<br />

zumindest zu erschweren.<br />

Die Klienten teilen uns auch etwas<br />

mit, wenn sie den Kontakt zu anderen<br />

suchen, wenn eigentlich wir zu<br />

ihnen Kontakt aufnehmen möchten.<br />

Hin und wieder kommt es vor, dass<br />

wir nicht nur zu zweit in einer Einzelstunde<br />

sind, sondern dass per<br />

Internet oder Handy von den Jugendlichen<br />

noch jemand dazugeholt<br />

wird. Nimmt ein Jugendlicher jemanden<br />

(virtuell) mit in die Therapie,<br />

fragen wir uns: Warum macht<br />

er das? Was will uns der Klient damit<br />

mitteilen? Es ist möglich, dass dadurch<br />

ein Problem in die Stunde<br />

mitgebracht wird, über das der Jugendliche<br />

nicht sprechen kann. So<br />

macht er es dennoch zum Thema.<br />

Sehen Sie neue Medien in der Psychotherapie<br />

eher als Chance oder Risiko?<br />

Mal sind sie Risiko, mal Chance. Wir<br />

sehen beispielsweise junge Menschen<br />

mit autistischen Störungen,<br />

die aus der Welt fallen, weil sie es<br />

nicht schaffen, zu anderen Kontakt<br />

aufzunehmen oder gar Beziehungen<br />

aufzubauen – zumindest nicht, wenn<br />

ihnen diese anderen gegenübersitzen.<br />

Für sie kann es eine grosse<br />

Chance sein, im Netz virtuelle<br />

Freundschaften zu schliessen. Und<br />

diese Freundschaften können durchaus<br />

sehr intensiv sein. Ich erinnere<br />

mich da an eine Klientin, die<br />

Freundschaft geschlossen hat zu<br />

einer Frau in Moskau. Sie haben<br />

täglich telefoniert, geskypt oder<br />

gechattet, waren füreinander da,<br />

wenn eine in Not war. Das war eine<br />

echte Freundschaft. Aber die junge<br />

Frau hätte diesen Kontakt ohne die<br />

räumliche Distanz nicht ausgehalten.<br />

Für Autisten sind neue Medien<br />

und soziale Netzwerke eine grosse<br />

Chance, in Beziehungen zu treten.<br />

Werden allerdings alle anderen Beziehungen<br />

durch Freundschaften im<br />

Netz ersetzt, kann das durchaus auch<br />

für autistische Menschen zum Problem<br />

werden. Ausserdem gibt es die<br />

dunklen Seiten, etwa die ganzen<br />

Mobbinggeschichten. Neue Medien<br />

sind extrem ambivalent.<br />

Viele Jugendliche verbringen mehrere<br />

Stunden täglich in der virtuellen Welt.<br />

Wann stellt sich die Frage nach der<br />

Internetsucht?<br />

Da müssen wir differenzieren. Exzessive<br />

Computernutzung wird oft<br />

als Problem betrachtet. Übersehen<br />

darf man dabei nicht, dass diese oft<br />

nur die Folge eines anderen Problems<br />

ist. Sozusagen das Sym ptom.<br />

Wenn beispielsweise ein Jugendli-<br />

74 März <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!