03/2017
Fritz+Fränzi
Fritz+Fränzi
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Kolumne<br />
An alle<br />
schlechten Eltern<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
Mikael Krogerus<br />
ist Autor und Journalist.<br />
Der Finne ist Vater einer Tochter<br />
und eines Sohnes, lebt in Biel<br />
und schreibt regelmässig für<br />
das Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi und andere<br />
Schweizer Medien.<br />
Vatersein hat mich vor allem in einem Punkt verändert: Es hat mich<br />
verständnisvoller gemacht. Nicht gegenüber Kindern – Gott be <br />
wahre! Da bin ich ungeduldiger, ja ungehaltener als früher. Nein,<br />
verständnisvoller gegenüber anderen Eltern.<br />
Früher habe ich Eltern oft bewertet. Und mir ausgemalt, wie<br />
liebe voll, abenteuerlustig und verspielt ich dereinst mit meinen Kindern umgehen<br />
würde. Heute bin ich vorsichtiger. Wenn ich eine müde Mutter mit ihrem<br />
nörgelnden Kind in der Schlange an der Coop-Kasse sehe und höre, wie das<br />
Kind schon wieder ansetzt: «Mami, i wott no Schoggi …» – worauf die Mutter<br />
komplett die Fassung verliert und brüllt: «I wott, I wott, I wott – du kannst<br />
doch verdammt nochmal nicht immer nur wollen!». Dann denke ich nicht mehr<br />
im Bettina-Wegner*-Tonfall: «Es sind so kleine Kinder, die darf man nicht<br />
anschreien!» Nein, meine Sympathien sind bei der Mutter: «Was für ein<br />
grässliches, rücksichtsloses Kind!», denke ich. Manchmal werde ich innerlich<br />
richtig laut – «Rettet die Frau!» Natürlich würde ich nichts dergleichen sagen.<br />
Nicht mal denken. Aber wissen Sie, was ich meine?<br />
Neulich sah ich, wie ein Vater auf einer Bank vor dem Spielplatz nicht ein<br />
einziges Mal von seinem Smartphone aufblickte, als sein Kind ihn fragte:<br />
«Kann ich den Schnee essen?» Früher hätte ich gedacht: «Was ist denn das für<br />
ein Vater? Wenn ich einmal Kinder habe, werde ich ihnen jede Frage<br />
beantworten und ihre Augen öffnen für die Wunder dieser Welt.» Heute denke<br />
ich: «Lass den Mann in Ruhe und beschäftige dich selber.»<br />
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meine Kinder. Aber was kinderlose<br />
Erwachsene gern vergessen: Kinder machen nicht nur glücklich. Sie saugen dich<br />
auch aus. Sie können die schlimmsten Seiten in dir wecken. Und dich zum Gegenteil<br />
von dem machen, was du eigentlich gerne wärst. Elternsein ist ein tägliches<br />
Scheitern, und ich finde, Eltern bekommen dafür zu wenig Verständnis.<br />
Lange Zeit beeindruckten mich (scheinbar) perfekte Familien, in denen glückliche<br />
Kinder und stolze Eltern Hand in Hand durchs Leben spazieren. Ich<br />
fragte mich: Wie machen die das? Inzwischen frage ich mich: Was, wenn es<br />
vielleicht gar nicht gute Eltern sind, sondern bloss gute Kinder? Kinder,<br />
die einfach von selbst aufrichtig, engagiert und zufrieden geworden sind – und<br />
nicht weil ihre Eltern alles richtig gemacht haben? Niemand wird bestreiten, dass<br />
Liebe und Zuneigung für Kinder so wichtig ist wie Atmen und Schlafen, aber<br />
darüber hinaus, könnte es nicht sein, dass sie sich auch ein klein wenig autonom<br />
entwickeln, von ihrem Umfeld und ihrer Herkunft geprägt werden und nicht<br />
ausschliesslich von ihren Eltern?<br />
Vielleicht stimmt das nicht. Aber in den schwärzesten Stunden meines Elternseins<br />
ist es ein kleiner Trost, dass wir die Wirklichkeit nicht planen, sondern nur<br />
in ihr leben können.<br />
*Bettina Wegner ist eine deutsche Liedermacherin und Lyrikerin. Ihr bekanntestes Lied<br />
ist «Kinder» (Sind so kleine Hände …).<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
März <strong>2017</strong>51