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03/2017

Fritz+Fränzi

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Nach richten, in denen von Krieg,<br />

Entführungen und Terror berichtet<br />

wird. Sie hat nun versucht, den Kontakt<br />

zu diesen Nachbarskindern einzuschränken,<br />

und hat auch Regeln<br />

aufgestellt, was für sie okay ist und<br />

was nicht.<br />

Aber wo ist die Grenze, das Spielen<br />

zu verbieten? Welches Spielzeug<br />

können wir ruhigen Gewissens<br />

unseren Kindern geben? Mit Spielzeugpistolen<br />

und Schwertern können<br />

sie sich nicht verletzen. Und wie<br />

ist das mit Spielfiguren von «Superhelden»?<br />

Wir wollen nicht, dass<br />

unser Sohn zum Gewalttäter wird.<br />

Jesper Juul antwortet<br />

Lassen Sie mich damit beginnen,<br />

dass die Art und Weise, wie Sie und<br />

Ihr Mann bisher auf die aggressiven<br />

Spielmomente reagierten, vorbildlich<br />

ist. Ihr Sohn lernt durch Ihre<br />

Rückmeldungen über sein Verhalten.<br />

Historisch gesehen haben Eltern<br />

regelmässig genau das Gegenteil<br />

praktiziert: Sie haben die Grenzen<br />

der Kinder durch Kritik verletzt.<br />

Strafen, Tadel und Gewalt wurden<br />

als Versuch dafür eingesetzt, Kindern<br />

beizubringen, die Grenzen<br />

anderer Menschen zu respektieren.<br />

Es ist nicht gesagt, dass Ihr Sohn<br />

mit seinem Experimentieren und<br />

Forschen bereit ist zur Frage, welche<br />

Möglichkeiten noch in einem Plastikschwert<br />

stecken. In der Eisenzeit<br />

wurden Schwerter ja auch nicht<br />

dazu erfunden, Brot damit zu<br />

schneiden. Solange Ihr Sohn nicht<br />

durch Angst gesteuert wird und er<br />

offen spielt, wird er auch offen für<br />

Ihre Einwände sein.<br />

Als meine Generation kleine<br />

Kinder hatte, wurde Kriegsspielzeug<br />

von vielen Eltern und Bildungseinrichtungen<br />

kategorisch verboten,<br />

weil es den damals geltenden Idealen<br />

des Pazifismus widersprach.<br />

Man wollte nichts davon wissen,<br />

dass die Aggression ein natürlicher<br />

und auch notwendiger Teil unserer<br />

menschlichen Emotionen ist.<br />

Nicht die Spielsachen machen die<br />

Kinder zu Gewalttätern. Das machen<br />

die anderen Menschen.<br />

Das totale Verbot ist zum Glück nie<br />

gelungen, weil die Kinder andere<br />

Wege und Möglichkeiten gefunden<br />

haben, das Gleiche auszudrücken.<br />

Ein Verbot ist absurd. Ge nauso gut<br />

könnten wir Kindern verbieten, ihre<br />

Sexualität, ihre Freude oder ihre<br />

Trauer auszudrücken. Die Kunst der<br />

Aufklärung besteht nicht darin, Verbote<br />

auszusprechen. Es geht darum,<br />

unsere Kinder klug und vertrauensvoll<br />

zu begleiten – auf Basis universeller<br />

menschlicher Gefühle, die<br />

Ausdruck in der Kultur finden, in<br />

der die Kinder aufwachsen.<br />

Das Dilemma Ihrer Schwester ist<br />

ein schönes Beispiel für die globale<br />

Kultur, in der unsere Kinder heute<br />

aufwachsen. Wann und wie Kinder<br />

mit der Realität konfrontiert werden,<br />

müssen die Eltern selbst herausfinden.<br />

Eltern haben immer die<br />

Macht darüber, die Freundinnen<br />

und Freunde ihrer Kinder auszuwählen,<br />

um sie vor vermeintlichen<br />

Gefahren zu schützen. Ich persönlich<br />

würde eine andere Wahl treffen,<br />

aber das ist so wie mit vielen anderen<br />

persönlichen Wahlmöglichkeiten<br />

auch: Sie sind weder richtig noch<br />

falsch.<br />

Während meiner Arbeit habe ich<br />

viele traumatisierte Flüchtlingskinder<br />

kennengelernt, die ihre Erfahrungen<br />

im Spiel oder in Zeichnungen<br />

ausdrückten. Sie brauchen lange<br />

Zeit Hilfe, die sie leider nur selten<br />

bekommen – weder von ihren Eltern<br />

noch von der Gesellschaft. Das gleiche<br />

Prinzip gilt für alle Kinderspiele:<br />

Kinder verarbeiten und integrieren<br />

dabei unter anderem Erlebtes.<br />

Ihr Sohn nähert sich einer Phase,<br />

in der er sich, wie die meisten anderen<br />

Kinder auch, mit dem Tod<br />

beschäftigt. Bald wird er darüber<br />

nachdenken, dass auch seine Eltern<br />

sterben können. Was wird mit ihm<br />

geschehen, was wird mit ihm sein,<br />

falls das passiert? Er hat das Glück,<br />

mit nachdenklichen und liebevollen<br />

Eltern aufzuwachsen. So wird er<br />

offen über alles sprechen und seine<br />

Fragen stellen.<br />

Auf die Frage zum richtigen<br />

Spielzeug gibt es, glaube ich, keine<br />

gute Antwort: Wie Sie es ja beschreiben,<br />

braucht es keine Plastikpistolen,<br />

um Schiessen zu spielen. Es gibt<br />

ausgezeichnete pädagogische Spielmaterialien.<br />

Sie werden gegenüber<br />

anderen Spielmaterialien auf dem<br />

Markt danach beurteilt, welche Sinne<br />

sie im richtigen Alter stimulieren<br />

und welchen ästhetischen Wert sie<br />

haben.<br />

Meiner Meinung nach ist es so,<br />

dass – wie auch in anderen Fällen<br />

– vor allem die Eltern nachdenken<br />

und sicher sein müssen, ob sie sich<br />

mit einem guten Gewissen selbst in<br />

die Augen sehen können. Nicht die<br />

Spielsachen machen Kinder zu<br />

Gewalttätern. Das machen die anderen<br />

Menschen.<br />

Haben auch Sie eine Frage an Jesper Juul,<br />

die er persönlich beantworten soll?<br />

Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch oder<br />

einen Brief an: Schweizer ElternMagazin<br />

Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97,<br />

8008 Zürich<br />

Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2017</strong>45

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