03/2017

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27.02.2017 Aufrufe

Dossier 28 März 2017 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

Dossier Essay «Meine Kinder sagen Dinge, die ich als ihre Mutter nicht einmal zu denken wage» Ein Streit zwischen Eltern und Kindern ist unfair. Weil Eltern immer am längeren Hebel sitzen. Unsere Autorin empfindet das oft gerade umgekehrt. Die Tatsache, dass ihre Kinder ihre Kinder sind, verleihe ihnen in einem Konflikt ganz schön viel Macht. Text: Sandra Casalini Eltern können Konflikte mit ihren Kindern beenden, indem sie einfach eine Entscheidung treffen. Eltern können bestrafen, belohnen, Konsequenzen ziehen, Machtworte sprechen. Warum fühle ich mich dann oft so hilflos, wenn ich mit meinen Kindern streite? Vielleicht deshalb, weil ich oft gegen die kindliche Logik nicht ankomme. («Nein, Fernsehen schadet meinem Hirn nicht, im Gegenteil. Ich schone es, weil ich es beim Fernsehschauen nicht brauche.») Geschweige denn gegen die Argumentation eines Teenagers. («Ich bin morgen früh sowieso müde, egal, wann ich ins Bett gehe. Also kann ich auch gleich noch aufbleiben.») Meine Kinder haben gemäss einem ungeschriebenen Gesetz das Recht, mich jederzeit ultradoof und megapeinlich zu finden und furchtbar wütend auf mich zu sein. Ich habe im Gegenzug dieses Recht nicht, sondern muss Verständnis zeigen und im besten Fall auch Humor. Letzterer ist hilfreich, wenn sie mir Dinge an den Kopf werfen, die ich als ihre Mutter nicht einmal zu denken wage, geschweige denn laut aussprechen würde: «Eh Mann, Alter, du nervst! Aber so richtig!» Wobei das «Alter» ein gutes Zeichen ist, es bedeutet nämlich in ihrer Sprache, dass ich als gleichwertige Diskussionspartnerin akzeptiert bin. Immerhin. Selbstverständlich nerven mich meine Kinder auch. Nicht nur ein bisschen, sondern manchmal «so richtig». Ich darf ihnen aber niemals sagen, dass ich sie gerade ultrablöd finde («ICH finde dich grad richtig doof» geht nicht als eine dieser viel gepriesenen Ich-Botschaften durch, fürchte ich). Im Gegenteil. Ich achte sehr genau darauf, meinen Kindern im Streit klarzumachen, dass ich nicht sie blöd finde, sondern das, was sie tun oder getan haben – oder eben nicht. Worauf ich als Antwort meistens zu hören bekomme, ich verstände das halt nicht. (Man stelle sich umgekehrt vor, ich würde zu meinem Kind sagen: «Ich versuch dir hier was zu erklären, aber das verstehst du halt nicht, Dummerchen!») Wären meine Kinder Erwachsene – Freunde oder Arbeitskollegen –, würden wir Konflikte niemals so austragen, wie wir das tun. Einen ewigen Besserwisser wie meinen Sohn würde ich vermutlich einfach stehen lassen, statt nach unzähligen Erklärungsversuchen immer noch liebevolles Verständnis zu heucheln. Und käme mir jemand in dem Ton, den meine Teenie- Tochter manchmal drauf hat, würde ich die Diskussion wohl sofort für beendet erklären. Mit meinen Kindern geht das nicht. Weil ich die Pflicht habe, mit ihnen zu streiten und ihnen Grenzen zu setzen. Aber ich habe auch die Pflicht, sie zu selbstbewussten und selbständigen Individuen zu erziehen – und sie demnach im Streit niemals über die Massen zu verunsichern oder gar zu demütigen. Das ist nicht immer einfach. Aber als mein Sohn letzthin ganz pragmatisch meinte: «Ich weiss gar nicht, warum ich schreie, ich weiss ja, dass es nichts nützt», dachte ich, dass ich das vielleicht doch nicht so verkehrt mache. Bild: Christian Nilson / 13 Photo Ordnung und Sauberheit: Darüber streiten laut Statistik Mütter mit ihren Kindern am häufigsten. Mit Kindern zu streiten ist deshalb so schwierig, weil man als Eltern oft nicht gegen die kindliche Logik ankommt. Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi März 201729

Dossier<br />

Essay<br />

«Meine Kinder sagen Dinge, die ich als<br />

ihre Mutter nicht einmal zu denken wage»<br />

Ein Streit zwischen Eltern und Kindern ist unfair. Weil Eltern immer am längeren Hebel<br />

sitzen. Unsere Autorin empfindet das oft gerade umgekehrt. Die Tatsache, dass<br />

ihre Kinder ihre Kinder sind, verleihe ihnen in einem Konflikt ganz schön viel Macht.<br />

Text: Sandra Casalini<br />

Eltern können Konflikte mit ihren<br />

Kindern beenden, indem sie einfach<br />

eine Entscheidung treffen. Eltern<br />

können bestrafen, belohnen, Konsequenzen<br />

ziehen, Machtworte sprechen.<br />

Warum fühle ich mich dann oft so<br />

hilflos, wenn ich mit meinen Kindern<br />

streite?<br />

Vielleicht deshalb, weil ich oft gegen<br />

die kindliche Logik nicht ankomme.<br />

(«Nein, Fernsehen schadet meinem<br />

Hirn nicht, im Gegenteil. Ich schone es,<br />

weil ich es beim Fernsehschauen nicht<br />

brauche.») Geschweige denn gegen die<br />

Argumentation eines Teenagers. («Ich<br />

bin morgen früh sowieso müde, egal,<br />

wann ich ins Bett gehe. Also kann ich<br />

auch gleich noch aufbleiben.»)<br />

Meine Kinder haben gemäss einem<br />

ungeschriebenen Gesetz das Recht,<br />

mich jederzeit ultradoof und megapeinlich<br />

zu finden und furchtbar wütend<br />

auf mich zu sein. Ich habe im Gegenzug<br />

dieses Recht nicht, sondern muss Verständnis<br />

zeigen und im besten Fall auch<br />

Humor.<br />

Letzterer ist hilfreich, wenn sie<br />

mir Dinge an den Kopf werfen, die<br />

ich als ihre Mutter nicht einmal zu<br />

denken wage, geschweige denn laut<br />

aussprechen würde: «Eh Mann, Alter,<br />

du nervst! Aber so richtig!» Wobei<br />

das «Alter» ein gutes Zeichen ist, es<br />

bedeutet nämlich in ihrer Sprache, dass<br />

ich als gleichwertige Diskussionspartnerin<br />

akzeptiert bin. Immerhin.<br />

Selbstverständlich nerven mich<br />

meine Kinder auch. Nicht nur ein<br />

bisschen, sondern manchmal «so<br />

richtig». Ich darf ihnen aber niemals<br />

sagen, dass ich sie gerade ultrablöd<br />

finde («ICH finde dich grad richtig<br />

doof» geht nicht als eine dieser viel<br />

gepriesenen Ich-Botschaften durch,<br />

fürchte ich).<br />

Im Gegenteil. Ich achte sehr genau<br />

darauf, meinen Kindern im Streit klarzumachen,<br />

dass ich nicht sie blöd finde,<br />

sondern das, was sie tun oder getan<br />

haben – oder eben nicht. Worauf ich als<br />

Antwort meistens zu hören bekomme,<br />

ich verstände das halt nicht. (Man<br />

stelle sich umgekehrt vor, ich würde zu<br />

meinem Kind sagen: «Ich versuch dir<br />

hier was zu erklären, aber das verstehst<br />

du halt nicht, Dummerchen!»)<br />

Wären meine Kinder Erwachsene<br />

– Freunde oder Arbeitskollegen –,<br />

würden wir Konflikte niemals so austragen,<br />

wie wir das tun. Einen ewigen<br />

Besserwisser wie meinen Sohn würde<br />

ich vermutlich einfach stehen lassen,<br />

statt nach unzähligen Erklärungsversuchen<br />

immer noch liebevolles Verständnis<br />

zu heucheln. Und käme mir<br />

jemand in dem Ton, den meine Teenie-<br />

Tochter manchmal drauf hat, würde ich<br />

die Diskussion wohl sofort für beendet<br />

erklären.<br />

Mit meinen Kindern geht das nicht.<br />

Weil ich die Pflicht habe, mit ihnen zu<br />

streiten und ihnen Grenzen zu setzen.<br />

Aber ich habe auch die Pflicht, sie zu<br />

selbstbewussten und selbständigen<br />

Individuen zu erziehen – und sie<br />

demnach im Streit niemals über die<br />

Massen zu verunsichern oder gar zu<br />

demütigen.<br />

Das ist nicht immer einfach. Aber als<br />

mein Sohn letzthin ganz pragmatisch<br />

meinte: «Ich weiss gar nicht, warum<br />

ich schreie, ich weiss ja, dass es nichts<br />

nützt», dachte ich, dass ich das vielleicht<br />

doch nicht so verkehrt mache.<br />

Bild: Christian Nilson / 13 Photo<br />

Ordnung und<br />

Sauberheit:<br />

Darüber streiten<br />

laut Statistik Mütter<br />

mit ihren Kindern<br />

am häufigsten.<br />

Mit Kindern zu streiten ist<br />

deshalb so schwierig, weil<br />

man als Eltern oft nicht gegen<br />

die kindliche Logik ankommt.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

März <strong>2017</strong>29

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